Beate und Mareile - Eduard von Keyserling - E-Book

Beate und Mareile E-Book

Eduard von Keyserling

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Beschreibung

Ein romantischer Reigen aus Ehebruch, Verrat und Rache. Beate und Mareile sind Freundinnen seit frühester Kindheit. Beate entstammt einer adligen Familie, Mareile hingegen ist nur die Tochter des Gutsinpektors. Beate heiratet den ebenfalls adligen Günther. Mareile aber wird in Berlin zu einer gefeierten Sängerin. Jahre sind vergangen. Als Mareile ihre Familie besuchen will, trifft sie auf die nun schwangere Beate. Das Wiedersehen ist alles andere als harmlos, als Mareile erkennt, dass Günther merklich an ihr interessiert ist. Zu diesem Reigen gesellen sich alte, lüsterne Grafen, verzogene Jungfrauen, heißblütige Liebhaber und freigeistige Künstler. Im Gegensatz zu den meisten Autoren seiner Zeit hatte Keyserling keine Probleme, sexuelle Themen unverblümt darzustellen. Wenn etwa die hochschwangere Beate in Selbstekel die Ansicht von "großen, hochbusigen" Mädchen beklagt, so ist das alles andere als wilhelminisch-prüde. Und wenn Günther seiner Geliebten befiehlt, "Kehr' das Gesicht zum Feuer hin. Lass die Zöpfe über die Schultern hängen.", dann weiß der Leser genau, was gerade passiert. Null Papier Verlag

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Eduard von Keyserling

Beate und Mareile

Eine Schlossgeschichte

Eduard von Keyserling

Beate und Mareile

Eine Schlossgeschichte

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 EV: S. Fischer, Berlin, 1903 (143 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962814-38-0

null-papier.de/606

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

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Erstes Kapitel

Aus dem Ba­de­zim­mer er­scholl ein gleich­mä­ßi­ges Plät­schern. Gün­ther von Tar­niff saß in sei­nem rot­gel­ben Ba­de­bas­sin. Die lau­war­me Du­sche wur­de in der Mor­gen­son­ne ganz blank – flie­ßen­des Kris­tall. Das war so hübsch und an­ge­nehm, dass Gün­ther sich nicht da­von tren­nen konn­te. Er saß da schon ge­rau­me Zeit und re­gis­trier­te die be­hag­li­chen Emp­fin­dun­gen, die über sei­nen Kör­per hin­g­lit­ten … wach­sam und auf­merk­sam, wie er je­des an­ge­neh­me Ge­fühl in sich zu ver­fol­gen pfleg­te, als müss­te aus die­ser Ad­di­ti­on sich ein Glück her­aus­rech­nen las­sen.

»Zie­hen Herr Graf die neu­en Wei­ßen an?« frag­te Pe­ter aus dem Ne­ben­zim­mer.

»Ja. Ge­fal­len sie dir nicht?« rief Gün­ther zu­rück.

»’ne neue Mode. Wird man se­hen«, mein­te Pe­ter.

Nun muss­te Gün­ther her­aus. Pe­ter rieb ihn be­hut­sam mit ei­nem wei­chen Tuch ab. Gün­ther pfleg­te sei­nen Kör­per wie ein Brah­ma­ne. Er be­wun­der­te ihn und ach­te­te ihn, als die Ta­fel, auf der das Le­ben vie­le, wich­ti­ge Genüs­se zu ver­zeich­nen hat.

»Frau Grä­fin wa­ren schon auf, bei der Mor­ge­n­an­dacht«, be­rich­te­te Pe­ter. »Ja, bei den al­ten Herr­schaf­ten im Flü­gel ist Mor­ge­n­an­dacht mit den Leu­ten vom Al­ten Te­sta­ment, wie die Ama­lie sagt.«

»Teu­fel. Dann sind wir hier das Neue Te­sta­ment – was? Be­deu­tend fre­che Jung­frau, die Ama­lie. Und du?«

»Gott, ich!« Pe­ter zog die Au­gen­brau­en über den klei­nen lit­hau­er Au­gen em­por: »Heu­te bin ich da­bei ge­we­sen. So ’n mal. Sonst, der Beck­mann geht nich’ –«

»– So – der Beck­mann ist dein Die­ne­r­ide­al? – Gott! Mit dem dum­men Ge­sicht!«

Als Pe­ter sei­nem Herrn das Bein­kleid reich­te, nahm er ein an­de­res The­ma auf: »Schön is hier! Das Haus, der Gar­ten. Al­les ge­hört uns!«

»Ja«, mein­te Gün­ther und hielt im An­klei­den inne, um sei­ne Be­mer­kung Pe­ter ein­dring­lich mit­zu­tei­len: »Wie die­ser An­zug. Al­les weich – lose. Nicht? Und die Uni­form war steif – und eng. Nun also. Wenn man den Dienst auf­gibt und nach Kal­tin zieht, dann zieht man eben die Uni­form aus und dies hier an!«

Pe­ter war vol­ler Be­wun­de­rung: »Wie spit­zig der Herr Graf das sa­gen! Ja, so ’n Kopf, wie un­ser Graf! Aber so stramm war un­ser Dienst nicht.«

»Ach was, Dienst! Das Le­ben, ver­stehst du? Die Zeit ver­geht und noch zu we­nig, zu we­nig …«

»Wei­ber«, half Pe­ter ein.

»Ja, auch das. Das ist vor­über. Hier ist Ruhe.«

»Gott sei Dank«, schloss Pe­ter die Un­ter­hal­tung.

Gün­ther war fer­tig und stell­te sich vor den Spie­gel. Er sah gut aus, er konn­te zu­frie­den sein: die mat­te Ge­sichts­far­be, das schwar­ze Haar sei­ner ita­lie­ni­schen Mut­ter, die brau­nen, blan­ken Frau­en­au­gen mit den lan­gen Wim­pern, die Lip­pen so rot wie bei Kna­ben, in de­nen die Ju­gend noch wie ein Fie­ber brennt.

»Heu­te wie­der wun­der­bar«, mein­te Pe­ter.

*

»Sie hat auf mich ge­war­tet«, dach­te Gün­ther, als er in den Gar­ten­saal trat und die zwei Ge­de­cke auf dem Früh­stücks­ti­sche sah. Eine be­hag­li­che Rüh­rung er­griff ihn bei die­sem An­blick: »An­ge­nehm ist das – wie – wie – rei­ne Wä­sche nach der Rei­se!«

Er trat auf die Ve­ran­da hin­aus und blick­te über die Kies­we­ge und Blu­men­bee­te hin. Die hei­ße Luft zit­ter­te und flim­mer­te. Der Buchs­baum glänz­te wie grü­nes Le­der. Hin­ter dem Gar­ten dehn­te sich Wie­sen­land aus, dann nied­ri­ge Hü­gel, an de­nen die Äcker wie re­gel­mä­ßi­ge Sei­den­strei­fen nie­der­hin­gen. Un­ten, von der Buchs­baum­he­cke sah Gün­ther sei­ne Frau auf das Haus zu­lau­fen. Die eine Hand hielt die Schlep­pe des wei­ßen Klei­des, die an­de­re einen bun­ten Strauß Erb­sen­blü­ten. Ein we­nig atem­los blieb Bea­te vor Gün­ther ste­hen und lä­chel­te. Die Ge­stalt schwank­te leicht, wie zu bieg­sam.

»Riech mal«, sag­te sie und hielt ihm den Strauß hin. »Das riecht wie Som­mer­fe­ri­en, nicht?«

»Du kannst ja lau­fen wie ein Jöhr«, mein­te Gün­ther.

»Ja, ja!« Bea­te lach­te: »Hier ist man wie­der jung; weil al­les um­her so schön alt ist, so alt wie – wie Kin­der­frau­en.«

Sie gin­gen in den Gar­ten­saal. Gün­ther streck­te sich in ei­nem Ses­sel aus und ließ sich Tee ein­schen­ken.

»Ge­wiss! Gut ist’s hier«, be­gann er, die Wor­te lang­sam vor sich hin­schnar­rend. »Wie’s so aus­sieht, müss­te der schon ein um­ge­wand­ter Mon­sieur sein, der hier nicht auf sei­ne Rech­nung kommt, wie, Bea­ting?«

Bea­te schlug die Au­gen zu ihm auf, für das schma­le, wei­ße Ge­sicht sehr große Au­gen, durch­sich­tig und grau­blau, mit ein we­nig feuch­tem Gol­de auf dem Grun­de. Eine freund­li­che, ru­hi­ge Iro­nie lag in ih­rem Blick. Das mach­te Gün­ther be­fan­gen. Er be­gann im Zim­mer auf und ab zu ge­hen und an­ge­regt zu spre­chen: »So wie hier, das lie­b’ ich; ru­hi­ge, kö­nig­lich preu­ßi­sche Schön­heit. Die ewi­gen Groß­ar­tig­kei­ten fal­len mir auf die Ner­ven. Na – ja du – du bist an­ders. Sor­rent – Lu­zern – das ist dir wie dein De­pu­tat.«

»Ja, Kal­tin ist gut«, mein­te Bea­te.

»Hier lässt man sich also nie­der«, setz­te Gün­ther sei­ne Be­trach­tung fort. »Das ist das De­fi­ni­ti­ve – Ruhe – Ab­schluss.«

Bea­te zog die Au­gen­brau­en em­por.

»Wo­mit schließt du denn ab? Jetzt fäng­t’s doch ge­ra­de an – un­ser Le­ben.«

»Für euch Frau­en«, do­zier­te Gün­ther mit klin­gen­der Stim­me, »für euch ist die Ehe ein An­fang – der An­fang. Für uns Män­ner ist die Ehe auch ein Ende. Das Frü­he­re ist zu Ende – aus; ver­stehst du? – Frau­en un­se­rer Ge­sell­schaft ha­ben kein Frü­her. Sie ha­ben Gou­ver­nan­ten, aber kei­ne Ver­gan­gen­heit ge­habt.«

»Die­ses ›Frü­her‹ klingt ziem­lich un­sym­pa­thisch«, warf Bea­te ein we­nig ge­reizt ein.

Gün­ther lach­te: »Ja, das könnt ihr nun mal nicht än­dern. Ihr Ehe­frau­en seid im­mer ’ne Art Ha­fen. Du, Bea­ting, bist ein hüb­scher, glat­ter, tiefer Ha­fen, gut aus­ge­bag­gert, man sieht bis auf den Grund.«

Bea­te schau­te in der still­ver­schlos­se­nen Art vor sich hin, die sie an­zu­neh­men pfleg­te, wenn sie et­was gleich­sam nicht zu sich her­ein­las­sen woll­te, es ihr zu­wi­der war. Gün­ther sprach schon von an­de­rem: »Müs­sen wir nicht zu un­se­ren al­ten Da­men hin­über?«

»Ja, wenn du willst.«

»Sag, ist’s dort noch so – so – düs­ter?«

»Düs­ter – dort?«

»Na ja, für dich – na­tür­lich – da sin­d’s die Kin­der­zim­mer und so. Die Zim­mer sin­d’s auch nicht. Ich glau­be, es ist die Tan­te Se­neï­de.«

»Tan­te?« rief Bea­te. »Aber Tan­te Se­neï­de ist doch wie – wie Mond­schein im Ah­nen­saal.«

»So! Ist das nicht un­heim­lich, wenn man so ist?«

»Ach nein!« er­klär­te Bea­te. »Weißt du, wenn der Mond durch die obe­ren Fens­ter des Ah­nen­saals scheint, dann ist der Fuß­bo­den ganz voll von Licht­krin­gel. Als Kin­der setz­ten Ma­rei­le und ich uns da mit­ten hin­ein. Tan­te Se­neï­de ging im Saa­le auf und ab und sag­te ihre geist­li­chen Lie­der her. Das war so echt Kal­tinsch und das ge­hört Tan­te.«

»So«, mein­te Gün­ther, »als Kna­be habe ich mich ge­fürch­tet, wenn die Leu­te von der kran­ken Kom­tes­se spra­chen. Na, jetzt soll sie mir wie Mond­schein im Ah­nen­saal sein. Komm!«

Zweites Kapitel

Lan­tin, das Stamm­gut der Tar­niffs, grenz­te an Kal­tin, den Sitz der Los­nitz’. Bea­te und Gün­ther wa­ren Nach­bars­kin­der und ver­wandt. Die Tar­niffs und die Los­nitz’ ge­hör­ten zu dem alt­ein­ge­ses­se­nen Lan­dadel, zu den »braun­ge­brann­ten Her­ren«, von de­nen Bis­marck spricht: »Die man mor­gens früh um fünf auf ih­ren Fel­dern ein­her­ge­hen oder rei­ten sieht.« Star­ke Leu­te, die das Le­ben und die Ar­beit lie­ben, roh mit den Wei­bern und an­däch­tig mit ih­ren Frau­en um­ge­hen und einen an­ge­erb­ten Glau­ben und an­ge­erb­te Grund­sät­ze ha­ben. Der Lan­ti­ner Zweig der Tar­niffs je­doch hat­te durch meh­re­re Ge­ne­ra­tio­nen dem Staat gute Di­plo­ma­ten ge­lie­fert. Der Auf­ent­halt in der Frem­de ent­rück­te sie ih­rem Land­sitz. Die Schü­ler der Grumb­kow, Har­den­berg, Bis­marck brach­ten et­was Frem­des in das Gleich­ge­wicht und die ein we­nig hoch­mü­ti­ge Be­schrän­kung der Land­jun­ker; neue Ge­dan­ken und Ap­pe­ti­te kom­pli­zier­ten ihr See­len­le­ben. Dazu schlos­sen die Her­ren auf ih­ren di­plo­ma­ti­schen Pos­ten Ehen mit Aus­län­de­rin­nen. Das exo­ti­sche Blut nag­te an den star­ken Ner­ven der mär­ki­schen Ras­se, er­hitz­te und schwäch­te sie mit sei­ner Erb­schaft frem­der Ge­schlech­ter.

Graf Bo­tho, Gün­thers Va­ter, war mit ei­ner ita­lie­ni­schen Prin­zes­sin ver­mählt ge­we­sen; ein herr­li­ches Ge­schöpf, wie Fra Se­bas­tia­no sie ger­ne mal­te: Kö­nig­li­che, edel­stein­har­te Au­gen, eine blei­che Ge­sichts­far­be, in die sich et­was wie grün­li­ches Gold mischt. Die schö­ne Rö­me­rin konn­te deut­sche Luft und deut­sche Men­schen nicht ver­tra­gen. Ge­trennt von ih­rem Gat­ten leb­te sie mit ih­rem ein­zi­gen Kin­de, dem klei­nen Gün­ther, in ih­rer Hei­mat. Noch jung er­lag sie ei­nem Brust­lei­den. Lan­tin hat­te von sei­ner Herr­schaft we­nig ge­se­hen. Jetzt lang­te Graf Bo­tho in Lan­tin an mit sei­nem Kin­de, dem Sarg sei­ner Frau und Kom­tes­se Be­nig­ne, sei­ner al­ten Schwes­ter. Der Sarg wur­de in der Fa­mi­li­en­gruft bei­ge­setzt, Be­nig­ne mit dem Kin­de im Schloss ein­ge­rich­tet, und dann reis­te Graf Bo­tho wie­der ab.

Hier ver­brach­te Gün­ther sei­ne Kind­heit. Da­mals war es, dass er sei­ne ers­ten Spie­le mit Bea­te und Ma­rei­le, der brau­nen In­spek­tor­s­toch­ter, zwi­schen den Lev­ko­jen und Li­li­en­bee­ten des Kal­ti­ner Gar­tens spiel­te.

Die Baro­nin von Los­nitz, früh ver­wit­wet, leb­te mit ih­rer ein­zi­gen Toch­ter in Kal­tin. Kom­tes­se Se­neï­de Sal­len, ihre Schwes­ter, wohn­te bei ihr. Ir­gend­ei­ne bru­ta­le Lie­bes­ge­schich­te war in das stil­le Le­ben des Land­fräu­leins ein­ge­schla­gen und hat­te es see­lisch und geis­tig ge­bro­chen. Jetzt leb­te sie hier. Fried­li­che Be­schäf­ti­gun­gen, die freund­li­che Nar­ko­se der Re­li­gi­on er­hiel­ten das Gleich­ge­wicht die­ses kran­ken Geis­tes.

Schloss Lan­tin wur­de un­ter­des wie­der leer. Kom­tes­se Be­nig­ne starb, und Gün­ther wur­de in die Stadt ge­ge­ben. Lan­tin sah sei­nen Herrn zwar noch ein­mal, al­lein un­ter wun­der­li­chen Um­stän­den, wie­der. Graf Bo­tho lang­te mit ei­ner frem­den, schwarz­lo­cki­gen Dame an. Frau Kul­mann, Kas­tel­la­nin und Kam­mer­diener­gat­tin, ver­stand es, ein un­durch­dring­li­ches Dun­kel um die Frem­de zu brei­ten. Die Leu­te schüt­tel­ten die Köp­fe. Be­geg­ne­ten sie dem Paar, dann rück­ten sie an den Müt­zen, ver­zo­gen je­doch höh­nisch die Mäu­ler. Man­kow, der Wild­hü­ter und Ver­trau­te des Gra­fen, er­zähl­te abends im Wald­kru­ge un­heim­li­che Ge­schich­ten von der »ver­fluch­ten Schwar­zen«. Über dem Por­tal des Schlos­ses hing in be­mal­tem Stein das Tar­niff­sche Wap­pen: auf dem Tart­schen­schil­de in gol­de­nem Fel­de drei schwar­ze Lin­den­blät­ter, dar­über, auf ge­krön­tem Stech­helm, zwi­schen dem of­fe­nen, gol­de­nen Flug ein wach­sen­der, schwar­zer Bra­cken­hals. »Die drei herz­för­mi­gen Blät­ter«, sag­ten die Lan­ti­ner, »sind die drei Wei­ber­her­zen, die je­der Tar­niff bricht.« – »Ja«, sag­te Man­kow, »und der Hund da oben, das ist der Teu­fel, der sie holt. Un­ser Al­ter hat sich sei­nen Teu­fel sel­ber mit­ge­bracht.« Die Sa­che nahm kein gu­tes Ende: »So ver­fault is un­ser Al­ter auch noch nich«, mein­te Man­kow. »Was zu doll is, is zu doll! Das schwar­ze Aas hat die Reit­peitsch, die mit dem gol­de­nen Knopf, wisst ihr, zu schme­cken ge­kriegt.« Eine ver­schlos­se­ne Kut­sche brach­te die Schwar­ze ei­nes Mor­gens zur Sta­ti­on. Der alte Herr ver­schloss sich in sei­ne Ge­mä­cher, dann reis­te er ab, kam wie­der, ver­grub sich in sei­ne Bü­cher: »Alt is ’r«, sag­te Man­kow. »Er sagt, er hat das Le­ben satt. Muss der ge­fres­sen ha­ben! Was? Jetzt sitzt er bei den Bü­chern, und das ist das Letz­te.« Ein Schlag­an­fall be­raub­te den al­ten Herrn sei­ner Füße. Stun­den­lang schob Kul­mann ihn im Roll­stuhl die Al­leen des Par­kes auf und ab, und das große, blei­che Grei­sen­ant­litz wa­ckel­te miss­mu­tig und er­ge­ben bei je­der Be­we­gung des Roll­stuh­les. End­lich kam das Ende. Kul­mann hat­te sei­nen Herrn ei­nes Nach­mit­tags al­lein im Park ge­las­sen, um zu Hau­se einen Grog zu trin­ken. Das moch­te ein we­nig lan­ge ge­dau­ert ha­ben. Als Kul­mann ge­gen Abend sei­nen Gra­fen auf­such­te, fand er ihn in der Herbst­däm­me­rung tot im Roll­stuhl sit­zen, feucht von Abend­ne­beln, über­streut von Herbst­blät­tern, und den gol­de­nen Knopf der Reit­peit­sche fest zwi­schen die Zäh­ne ge­klemmt.

Gün­ther mied das Schloss. Frau Kul­mann kämpf­te mit Staub und Mot­ten und dach­te an lus­ti­ge­re Zei­ten, da sie jung war und dem se­li­gen Herrn ge­fiel.

Gün­ther er­wuchs zu ei­nem sehr glän­zen­den Ula­ne­n­of­fi­zier. Er durch­späh­te das Le­ben mit lei­den­schaft­li­cher Hast nach Genüs­sen, als fürch­te­te er be­stän­dig, ir­gend­ein Ge­nuss, ein sel­te­nes Glück könn­te ihm un­ter­schla­gen wer­den. Nach ei­ni­gen Jah­ren hieß es, sei­ner Ge­sund­heit hal­ber müs­se er den Dienst ver­las­sen. An­de­re er­zähl­ten, sei­ne Be­zie­hun­gen zu ei­ner hoch­ste­hen­den Dame hät­ten sei­ne Ent­fer­nung aus Ber­lin wün­schens­wert ge­macht. Er ging nach Athen, bei der Ge­sandt­schaft di­plo­ma­ti­sche Kennt­nis­se zu sam­meln. Ei­ni­ge Win­ter spä­ter tra­fen die Ju­gend­ge­spie­len sich in Ber­lin. Frau von Los­nitz woll­te Bea­te in die Ge­sell­schaft ein­füh­ren. Gün­ther be­fand sich ge­ra­de in ei­ner Kri­sis, die bei sol­chen ner­vö­sen, all­zu gie­ri­gen Le­ben­strin­kern ge­gen Ende der zwan­zi­ger Jah­re ein­zu­tre­ten pflegt. Er war satt. Von je­her hat­te er das Weib für die Ver­schlei­ße­rin der wich­tigs­ten Genüs­se des Le­bens an­ge­se­hen. Für jede Stim­mung das rich­ti­ge Weib zu fin­den er­schi­en ihm als die be­deut­sams­te Kunst; und ur­plötz­lich war er der Wei­ber so müde: »Es ist doch in der gan­zen Welt im­mer wie­der die­sel­be klei­ne Schau­spie­le­rin mit den ge­mal­ten Au­gen­brau­en und den geld­gie­ri­gen Tau­ben­au­gen«, mein­te er. »Ich kann Dir sa­gen«, schrieb er an den Ma­ler Hans Ber­kow, sei­nen Freund, »ich gehe den Wei­bern wie ei­ner Dreh­or­gel, die eine zu oft ge­hör­te Me­lo­die spielt, aus dem Wege. Ich kann nur noch mit den stil­len, küh­len Mar­mord­amen im Mu­se­um ver­keh­ren.« In die­ser Ge­müts­la­ge muss­te Bea­te stark auf Gün­ther wir­ken. Die­ses Mäd­chen, mit ei­ner stil­vol­len Rein­heit, schi­en ihm ein Glück zu ver­spre­chen, das ihm wirk­lich bis­her un­ter­schla­gen wor­den war. »Sie ist ja die ade­li­ge Poe­sie in Per­son«, sag­te er, denn er lieb­te die ge­schmück­ten Re­de­wen­dun­gen. Ei­nen schwung­vol­le­ren Be­wer­ber hat­te die küh­le Ber­li­ner Ge­sell­schaft noch nicht ge­se­hen: »Je nun!« sag­te der Fürst Kor­no­witz, »wir ha­ben bei un­se­ren Da­men schon alle mög­li­chen Ma­nie­ren ver­sucht, Jockey­ma­nie­ren, Künst­ler­ma­nie­ren, De­ka­denz­ma­nie­ren. Der Tar­niff scheint die Trou­ba­dour­ma­nier auf­brin­gen zu wol­len. Kei­ne be­que­me Ma­nier das.«

Bea­te nahm Gün­thers Wer­bung in ih­rer wohl­er­zo­ge­nen Art hin. In den Sch­lös­sern un­se­res Lan­dadels wach­sen noch, un­ter fei­ner be­rech­ne­ter Ob­hut, sol­che Mäd­chen von wun­der­bar nai­ver Rein­heit her­an. Das Gute und Schö­ne er­war­ten sie von dem Le­ben, wie das Selbst­ver­ständ­li­che, und Gün­ther er­schi­en Bea­te als die­ses Schö­ne und Gute. Im Win­ter ver­lob­ten sie sich, im April wur­den sie ge­traut, und im Juli des nächs­ten Jah­res zog Gün­ther nach Kal­tin, ent­schlos­sen, dort ein glück­li­ches Fa­mi­li­en­le­ben zu füh­ren nach wohl­be­währ­tem, al­ta­de­li­gem Re­zep­te.

Drittes Kapitel

Die alte Baro­nin von Los­nitz saß in ih­rem Vol­tai­re­ses­sel und strick­te einen blau­en Kin­der­strumpf. Schö­ne Haar­trom­pe­ten, blank und weiß, rahm­ten das fet­te, wei­ße Ge­sicht ein mit den re­gel­mä­ßi­gen Zü­gen. Se­neï­de saß am Fens­ter und näh­te. Ihre Züge wa­ren scharf und ge­zo­gen, die Lip­pen fast weiß, und die Au­gen la­gen tief in den Höh­len und ga­ben dem Ge­sich­te einen kum­mer­voll-er­reg­ten Aus­druck. Sie leg­te ih­ren Fin­ger­hut mit ei­nem lau­ten »Klap« auf den Tisch, lehn­te den Kopf zu­rück und schloss die Au­gen. »Bea­ting«, be­gann sie, »war heu­te wie­der wie sonst. Ges­tern, da war et­was Frem­des in ih­rem Ge­sich­te – et­was – ich weiß nicht?«

Die Baro­nin schau­te ihre Schwes­ter über die Bril­le hin­weg an: »Hör, Se­neïd­chen, du machst die Din­ge gern ge­heim­nis­voll. Für ein jun­ges Ehe­paar ist das nichts. In dei­ner Milch­kam­mer rührst du auch nicht in den Töp­fen her­um; du war­test doch ru­hig, bis die Sah­ne sich ab­steht. Na – also!«

Se­neï­de beug­te sich still auf ihre Ar­beit nie­der.

Nun ka­men Gün­ther und Bea­te. Gün­ther be­gann so­fort die al­ten Da­men zu be­zau­bern. Nichts im Le­ben war ihm un­ge­müt­li­cher, als wenn er nicht ge­fiel. Bei der Toi­let­te be­müh­te er sich, Pe­ter zu ge­fal­len, und auf der Rei­se dem Schaff­ner. »O Mama, wie blü­hend du aus­siehst, hübsch und som­mer­lich. Und Tan­te – Ihr Har­mo­ni­um habe ich heu­te früh schon im Bet­te ge­hört. Gera­de­zu hei­lig hab’ ich da­bei ge­schla­fen – auf Ehre. Gott, hier muss man ja gut sein.«

Dann spra­chen sie von Ma­rei­le Zie­pe, der In­spek­tor­s­toch­ter. »Oh, un­se­re Ma­rei­le«, rief Gün­ther, »die ist groß! Also – nicht nur die be­rühm­te Sän­ge­rin; sie ist die ge­fei­erts­te Schön­heit der Ge­sell­schaft – der Ge­sell­schaft – bit­te.«

Die Baro­nin lach­te: »Mei­ne Ma­rei­le! Die hat­te im­mer eine fes­te Hand … Wenn man Zie­pe heißt und dann …«

»Na ja, Zie­pe«, mein­te Gün­ther, »das hat sie ab­ge­legt. Sie heißt Cibò! Ist auch bes­ser. Die Fürs­tin Eli­se kann ohne Ma­rei­le nicht le­ben, der Fürst Kor­no­witz schmach­tet sie an.«

Durch die Sei­ten­tür kam jetzt Frau Zie­pe her­ein. Sie woll­te die jun­gen Herr­schaf­ten be­grü­ßen. Er­hitzt und ver­le­gen saß sie ne­ben Bea­te und sprach von ih­ren Zwil­lin­gen. Plötz­lich ver­klär­te sich ihr Ge­sicht. Ma­rei­le war ge­nannt wor­den.

»Auf Ihre Toch­ter«, wand­te sich Gün­ther an die In­spek­tors­frau, »sind wir alle stolz.«

»Dan­ke, Herr Graf, dan­ke.« Frau Zie­pe er­rö­te­te. »Und ich hab’ mich so vor der Kunst ge­fürch­tet. Man spricht so viel. Aber Ma­rei­ling hat Cha­rak­ter, Gott sei Dank.«

*

»Was tun wir?« frag­te Gün­ther sei­ne Frau, als sie wie­der al­lein in Bea­tes blau­em Ka­bi­nett auf den weiß­la­ckier­ten Stühl­chen sa­ßen. »Na­tür­lich bei­ein­an­der sein!« Er nahm Bea­tes Hand und küss­te vor­sich­tig jede Fin­ger­spit­ze. »Ja, was tun wir?« wie­der­hol­te Bea­te.

Gün­ther dach­te nach. »In den Gar­ten müs­sen wir, da­mit wir so das Sum­sum des Som­mers hö­ren. Nicht? Im Park un­ter den Lin­den muss es jetzt gut sein. Su­che ein Buch her­aus. So was Alt­mo­di­sches, ganz Sü­ßes, weißt du. Ich be­stel­le die Hän­ge­mat­ten?«

»Ah! So ist’s gut!« rief Gün­ther, als sie bei­de un­ter den Lin­den in den Hän­ge­mat­ten la­gen. »Nun lies, Schatz.«

Zwi­schen den star­ken Stäm­men hin­durch sah Gün­ther ein Stück des Tei­ches mit sei­nen In­seln von Froschlöf­fel und Was­ser­lin­sen. Li­bel­len, klei­ne blan­ke Licht­ge­stal­ten wieg­ten sich in der hei­ßen Luft. Un­ter den Wei­den am Ufer aber sa­ßen die Schwä­ne, wei­ße, re­gungs­lo­se Ge­bil­de. Gün­ther blick­te auf die schma­le, hel­le Ge­stalt ne­ben sich in der Hän­ge­mat­te. Lich­ter und Blät­ter­schat­ten husch­ten über sie hin: »Gott ja!« dach­te er, »un­se­re Frau­en, die sind ei­gen! So ’ne küh­le, kla­re Luft ist um sie her. Die an­de­ren sind auch schön – o ja! Ma­rei­le zum Bei­spiel, aber so das – das Fest­li­che fehlt.«

Bea­te hielt inne und blick­te zu Gün­ther hin­über. »Du hörst mir nicht zu. Woran denkst du?«

»Ich den­ke – ich den­ke an dich – und dass es gut ist, dass du hier in der Hän­ge­mat­te liegst und nicht – eine an­de­re – Ma­rei­le oder sonst eine von den an­de­ren.«

»Ma­rei­le? Wa­rum?«

»Erin­nerst du dich noch des Be­su­ches der Rum­pe­nower Kin­der? Du und Ma­rei­le hat­tet da­mals lan­ge, dün­ne Back­fisch­bei­ne. Wir spiel­ten Räu­ber im Gar­ten. Ich weiß nicht, wie das kam, aber Ma­rei­le und ich muss­ten in den Rü­ben­kel­ler flüch­ten. Kühl war’s da und roch feucht nach Ge­mü­sen. Wir wa­ren stark ge­lau­fen, un­se­re Her­zen schlu­gen laut – tap – tap. Ma­rei­le hat­te ein wei­ßes Kleid an – und nack­te Schul­tern. Nun da – bog ich mich vor und küss­te eine die­ser spit­zen, hei­ßen Back­fisch­schul­tern. Frü­her war mir das nie ein­ge­fal­len.«

»Oh! Wirk­lich?« warf Bea­te hin.

»Ja. Sie stieß mich vor die Brust und sag­te: ›Dum­mer Jun­ge‹.«

»Nun – und?«

»Ach nichts! Ich dach­te dar­an. Üb­ri­gens glaub’ ich doch, dass Ma­rei­le da­mals in mich ver­liebt war.«

»Mög­lich!« mein­te Bea­te ein we­nig hoch­mü­tig. »Sie sprach da­mals zu­wei­len vom Ver­lie­ben. Ich fand das lä­cher­lich. Ver­lie­ben ge­hör­te zur Kam­mer­jung­fer Li­set­te, zu Bet­ty Ahl­mey­er.«

»Ja – ja – na­tür­lich!« rief Gün­ther. »Das war Kal­tinsch – ganz echt. Na, lies nur.« Gün­ther schau­te wie­der in das Blät­ter­dach hin­auf. Ein Schwarm Mücken dreh­te sich wie blon­der Staub in ei­nem Son­nen­strahl. Das macht schwin­de­lig und schläf­rig.

Gün­ther reck­te sich: »Wie schön – wie schön!« Er pfleg­te jede Le­bens­la­ge ge­nau auf die Sum­me von Be­frie­di­gung hin zu prü­fen, die sie ihm bot; er stell­te gern je­dem Au­gen­blick eine Zen­sur aus. Jetzt war er zu­frie­den. An dem Jung­ge­sel­len­le­ben war doch nichts Rech­tes dran! Stil­le, hel­le Zim­mer, gute Men­schen, die­se Frau – die­ses be­ru­hi­gen­de, wei­ße Rät­sel, an dem her­um­zu­ra­ten eine so fried­li­che Be­schäf­ti­gung war – das woll­te er jetzt.

Das Ehe­jahr in Ber­lin zähl­te nicht. Was die Lie­be der Jung­ge­sel­len­jah­re lehrt, lässt sich bei den Bea­ten schlecht ver­wen­den. Da muss um­ge­lernt wer­den; das macht un­ge­schickt. Bea­te nahm dort et­was Er­staun­tes, bleich Er­ge­be­nes an; als hät­te sie eine Ent­täu­schung er­lebt. Dass er die­se Ent­täu­schung sein könn­te, war für Gün­ther krän­kend und quä­lend ge­we­sen. Ber­lin war oh­ne­hin für Bea­te nicht der rech­te Hin­ter­grund. Hier war’s gut! Er streck­te sei­ne Hand zu der an­de­ren Hän­ge­mat­te hin­über.

»Du hast ge­schla­fen?« frag­te Bea­te.

»Ja«, sag­te Gün­ther, »und ge­träumt. Ein Traum, ganz weiß von dir.«

Beck­manns schwarz und gol­de­ne Ge­stalt stand plötz­lich in all dem Grün und mel­de­te das Früh­stück.

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