Beatrice - Paul Heyse - E-Book

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Paul Heyse

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Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 103

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Paul Heyse

Beatrice

Novelle

Paul Heyse

Beatrice

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962811-16-7

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Der Idi­ot

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Effi Briest

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Ili­as & Odys­see

Ge­schich­te des Gil Blas von San­til­la­na

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Beatrice

(1867)

Wir hat­ten bis in die tie­fe Nacht hin­ein ge­plau­dert, un­ser drei, bei ei­ni­gen Fla­schen As­ti­weins, die wir durch einen glück­li­chen Zu­fall auf­ge­trie­ben hat­ten und nun im küh­len Gar­ten­haus auf das Wohl des eben aus Ita­li­en heim­ge­kehr­ten Freun­des leer­ten. Er war der äl­tes­te von uns und schon ein fer­ti­ger Mann, als wir ihn vor zwölf Jah­ren auf ei­ner Rei­se im Sü­den ken­nen­lern­ten. Auf den ers­ten Blick hat­te uns sei­ne männ­li­che Ge­stalt, der Adel sei­nes We­sens und eine ge­wis­se me­lan­cho­li­sche An­mut sei­nes Lä­chelns für ihn ein­ge­nom­men. Sein Ge­spräch, sei­ne un­ge­wöhn­li­che Bil­dung und die Be­schei­den­heit, mit der er sie gel­tend mach­te, ge­wan­nen uns vollends, und die drei Wo­chen, die wir mit­ein­an­der in Rom zu­brach­ten, be­fes­tig­ten eine so war­me Freund­schaft, wie sie nur je zwi­schen Un­gleich­alt­ri­gen be­stan­den hat. Dann muss­te er plötz­lich nach Genf, sei­ner Hei­mat, zu­rück, wo er an der Spit­ze ei­nes an­sehn­li­chen Hand­lungs­hau­ses stand. Aber in den fol­gen­den Jah­ren hat­ten wir kei­ne Ge­le­gen­heit ver­säumt, uns wie­der­zu­se­hen, und auch jetzt war ihm der Um­weg über un­se­re Stadt nicht zu weit ge­we­sen, um uns we­nigs­tens auf vier­und­zwan­zig Stun­den zu be­grü­ßen.

Wir fan­den ihn in sei­nem Aus­se­hen un­ver­än­dert; er war noch im­mer ein schö­ner Mann, das Haar kaum mit dem ers­ten Grau an­ge­sprengt, die hohe Stirn glatt und weiß. Aber er schi­en uns schweig­sa­mer als bei un­se­rem letz­ten Be­geg­nen, manch­mal so in sich ver­sin­kend, dass er un­se­re Fra­gen über­hör­te, wäh­rend er mi­nu­ten­lang un­ver­wandt die Per­len des Weins im Gla­se auf­quel­len sah oder ein Stück Eis lang­sam am Ker­zen­licht zer­tau­en ließ. Wir dach­ten ihn ge­sprä­chig zu ma­chen, wenn wir ihn nach sei­ner letz­ten Rei­se aus­frag­ten. Aber als auch die­ses Lieb­lings­the­ma nicht son­der­lich ein­schlug, lie­ßen wir ihn ge­wäh­ren und spra­chen un­ter uns, froh, dass wir ihn we­nigs­tens leib­lich bei uns hat­ten, und ru­hig ab­war­tend, wann er auch geis­tig zu uns zu­rück­keh­ren wür­de.

In­des­sen kram­te ich al­ler­lei Ge­dan­ken aus, die mich seit kur­z­em leb­haft be­schäf­tigt hat­ten und die, un­reif und schroff, wie ich sie hin­warf, den Wi­der­spruch un­se­res Freun­des, der ein schar­fer Dia­lek­ti­ker war, zu je­der an­de­ren Zeit ge­reizt ha­ben wür­den. Der Zu­stand des Thea­ters in Ita­li­en hat­te den An­stoß ge­ge­ben. Ich be­haup­te­te, es sei durch­aus nicht wun­der­bar, dass es die Ita­lie­ner, so pa­the­tisch und lei­den­schaft­lich sie sich ge­bär­de­ten, nicht zu ei­ner tra­gi­schen Li­te­ra­tur ge­bracht hät­ten, die sich ne­ben die grie­chi­sche, eng­li­sche und deut­sche stel­len könn­te. Im Grun­de sei es bei den Spa­ni­ern und Fran­zo­sen, trotz ih­rer hoch­be­rühm­ten dra­ma­ti­schen Blü­te­pe­ri­oden, nicht viel bes­ser da­mit be­stellt. Denn das Tem­pe­ra­ment der Ro­ma­nen, ihre Na­tur wie ihre Kul­tur, sei­en nun ein­mal so streng an das Kon­ven­tio­nel­le ge­bun­den, dass die ei­gent­lichs­ten tra­gi­schen Pro­ble­me, die alle auf der Selbst­herr­lich­keit des In­di­vi­du­ums be­ruh­ten, ih­nen kaum ver­ständ­lich wür­den; dazu kom­me noch, dass sie auch in der Form sich nie zu be­frei­en und die rück­sichts­lo­sen Na­t­ur­lau­te an­zu­schla­gen wag­ten, die al­lein den tra­gi­schen Schau­der in uns er­re­gen könn­ten. – Wie je­des äs­the­ti­sche Ge­spräch, das nicht bloß an der Scha­le her­um­tas­tet, führ­te auch die­ses bald in die rät­sel­haf­ten Tie­fen der Men­schen­na­tur, und wäh­rend Ama­de­us schein­bar teil­nahms­los mit sei­nem sil­ber­nen Stift Fi­gu­ren in den ver­schüt­te­ten Wein zeich­ne­te, nahm Otto leb­haft Par­tei für das, was ich als Kon­ven­ti­on zu ver­dam­men schi­en, er aber als das streng wal­ten­de Sit­ten­ge­setz auch in der Dich­tung oben­an stell­te. Mein Satz schi­en ihm ge­fähr­lich, dass je­der tra­gi­sche Fall das Na­tur­recht der Aus­nah­me ge­gen das bür­ger­li­che Recht der Re­gel ver­herr­li­chen müs­se, dass dem­nach der Be­griff ei­ner tra­gi­schen Schuld auf das Ver­bre­chen hin­aus­lau­fe, einen Dä­mon im Bu­sen zu ha­ben, der den ein­zel­nen über die en­gen Schran­ken der All­tags­sat­zung hin­aus­hö­be und ihn dar­in be­stär­ke, mit nichts sich ab­zu­fin­den, nichts zu dul­den, nichts zu ver­eh­ren, was dem in­ners­ten Ge­fühl wi­der­strei­te. Da­mit lö­sest du, sag­te er, die gan­ze Wel­t­ord­nung, die doch wohl ihre gu­ten Grün­de hat, zu Guns­ten ei­nes un­be­grenz­ten In­di­vi­dua­lis­mus auf und scheinst nur dem wah­ren Wert für die Poe­sie zu­zu­er­ken­nen, was sich au­ßer das Ge­setz stellt. – Ich such­te ihn da­bei fest­zu­hal­ten, dass es sich hier nur um die ei­gent­lich tra­gi­schen Kol­li­si­ons­fäl­le hand­le, und dass große und star­ke, mit ei­nem Wort, he­ro­i­sche See­len den Streit der Pf­lich­ten an­ders zu lö­sen pfleg­ten als der ängst­li­che, von klei­nen Ge­wohn­hei­ten und Rück­sich­ten ein­ge­eng­te Mit­tel­schlag der Phi­lis­ter. Ge­nia­le Na­tu­ren, sag­t’ ich, die auf sich selbst be­ruh­ten, er­wei­tern durch ihre Hand­lun­gen, in­dem sie das Maß ih­rer in­ne­ren Kraft und Grö­ße als ein Bei­spiel vor­leuch­ten las­sen, eben­so sehr die Gren­zen des sitt­li­chen Ge­biets, wie ge­nia­le Künst­ler die her­ge­brach­ten Schran­ken ih­rer Kunst durch­bre­chen und wei­ter hin­aus­rücken. Und was an Ober­maß und Über­mut des Selbst­ge­fühls in je­nen he­ro­i­schen See­len sich rüh­ren mag, wird es nicht eben durch den tra­gi­schen Un­ter­gang ge­läu­tert und ge­büßt? We­nigs­tens nach der Mei­nung der Phi­lis­ter, de­nen das Le­ben das höchs­te Gut ist, die also auch schwer­lich von Hand­lun­gen und Ge­sin­nun­gen zu ver­füh­ren sind, auf die nach dem Welt­lauf der Tod ge­setzt ist. Der Dich­ter aber und die, die ihn ver­ste­hen, wird sich das Recht nicht ver­küm­mern las­sen, sich der ho­hen Er­schei­nun­gen zu er­freu­en, für wel­che die üb­li­chen Zoll­stö­cke der Moral nicht pas­sen wol­len. Und wer das un­sitt­lich schilt, was bei un­se­ren trau­rig man­gel­haf­ten bür­ger­li­chen Ein­rich­tun­gen star­ken und frei­en Men­schen als eine hei­li­ge Not­wehr üb­rig bleibt, für den ist Schö­nes nie ge­schaf­fen wor­den, und vom Gu­ten kennt er nur das Nütz­li­che.

Die­ses und ähn­li­ches hat­t’ ich ge­sagt, als auf ein­mal Ama­de­us aus sei­nem Hin­brü­ten zu mir auf­sah und mir über den Tisch hin­über die Hand reich­te. Ich dan­ke dir, sag­te er; du hast da ein gu­tes Wort ge­spro­chen, das mir wohl­tut. Un­ter uns Drei­en kann ja auch kein Streit dar­über sein, dass die Sit­te nicht das Maß der Sitt­lich­keit ist, und dass die höchs­ten Auf­ga­ben der Poe­sie an den Gren­zen der Mensch­heit lie­gen. Aber ge­gen eins muss ich Ein­spra­che er­he­ben: dass du den Man­gel ei­nes wahr­haft großen tra­gi­schen Poe­ten in Ita­li­en aus der kon­ven­tio­nel­len Ge­bun­den­heit des Volks­cha­rak­ters er­klä­ren willst. Als ob Ge­müts- und Ge­schmacks­an­la­gen, Sitt­li­ches und Äs­the­ti­sches sich not­wen­dig Hand in Hand ent­wi­ckel­ten, nicht oft ge­nug eins das an­de­re über­hol­te! Wenn den Ita­li­e­nern das große tra­gi­sche Ta­lent ge­bo­ren wür­de, das sie in ih­rem Al­fie­ri frei­lich längst zu be­sit­zen wäh­nen, – der Ge­ni­us des Vol­kes wür­de ihm auf hal­b­em Wege ent­ge­gen­kom­men, und die aka­de­mi­schen Vor­ur­tei­le des Stils hiel­ten ge­gen eine ech­te Na­tur­kraft so we­nig stand, wie alle an­er­zo­ge­ne kon­fes­sio­nel­le Sit­te ge­gen das Recht und die Pf­licht ei­nes frei ge­bo­re­nen Ge­müts. Nein, fuhr er in sicht­ba­rer Er­re­gung fort, und sei­ne Au­gen schim­mer­ten feucht, das hoh­le Pa­thos ih­rer Trau­er­spie­le ist nicht der Grund­ton, auf den die See­le die­ser ed­len Na­ti­on ge­stimmt ist. Ich we­nigs­tens darf dies nicht an­hö­ren, ohne Ver­wah­rung ein­zu­le­gen. Denn wenn es je ein We­sen gab, das in sei­nem Ge­fühl und Han­deln auf sich be­ruh­te und sei­nem Dä­mon ge­horch­te, so war es mein Weib, und mein Weib war eine Ita­li­e­ne­rin.

Er schwieg und wir sa­ßen in der wun­der­bars­ten Er­re­gung ihm ge­gen­über, eben­falls stumm und atem­los vor Über­ra­schung. So gut wir ihn und all sei­ne Ver­hält­nis­se zu ken­nen mein­ten, zum ers­ten Male hör­ten wir heu­te, dass er ver­hei­ra­tet ge­we­sen sei, mit ei­ner Frau, die er so hoch stell­te und die er uns doch ver­leug­net hat­te, wie man eine Ver­ir­rung ver­heim­licht.

Nun stand er auf und ging in dem en­gen, halb­dun­keln Raum eine Wei­le auf und ab, und wir stör­ten ihn we­der mit Fra­gen noch mit Bli­cken. End­lich trat er zwi­schen uns und sag­te mit sei­ner tie­fen, klang­vol­len Stim­me: Ich habe es euch nicht er­zählt, weil mich die Erin­ne­rung zu sehr über­mannt und manch­mal, wenn ich es nur mir selbst so recht ge­gen­wär­tig mach­te, mich ein Fie­ber be­fiel, das mich eine Wo­che lang nicht wie­der ver­ließ. Und doch ist es mir wie eine Schuld ge­gen euch vor­ge­kom­men, dass ich auf alle eure Ne­cke­rei­en, warum ich kei­ne Frau ge­nom­men, nur im­mer mit Scher­zen ant­wor­te­te. Ihr könnt glau­ben, haupt­säch­lich um dies end­lich zwi­schen uns ins kla­re zu brin­gen, habe ich dies­mal, da ich wie­der von ih­rem Gra­be kom­me, den Heim­weg so ein­ge­rich­tet, dass ich euch tref­fen muss­te. Lasst mich also al­les her­aus­sa­gen, wie es mir auf die Zun­ge kommt. Wir wol­len erst noch die Fens­ter nach dem Gar­ten öff­nen; es ist hier so schwül, dass man schwer Atem holt. So! – und nun trinkt und raucht, und ich will auf und ab ge­hen. Ein Vier­tel­jahr­hun­dert ist dar­über hin­ge­gan­gen, und doch steht al­les wie von ges­tern ne­ben mir und lässt mich nicht ru­hig blei­ben.

Was er dann be­rich­te­te, bis an die Mor­gen­däm­me­rung – denn auch nach­her konn­ten wir uns nicht so bald tren­nen – schrieb ich am fol­gen­den Tage auf, so­viel ich konn­te mit sei­nen ei­ge­nen Wor­ten. Da­mals dach­te ich nicht, dass es in Wahr­heit sein letz­tes Ver­mächt­nis sein wür­de. Aber er hat­te nicht zu viel ge­sagt. Die Nacht, in der er es uns er­zähl­te, trug ihm ein Fie­ber ein, das ihn bis nach Hau­se be­glei­te­te. Eine nächt­li­che Auf­re­gung beim Lö­schen ei­nes Haus­bran­des trat hin­zu. We­ni­ge Wo­chen, nach­dem wir ihn zu­letzt ge­se­hen, kam die Nach­richt, dass wir ihn ver­lo­ren hat­ten.

Nun sind mir die­se Auf­zeich­nun­gen um so wert­vol­ler, und kaum kann ich mich ent­schlie­ßen, frem­de Au­gen hin­ein­bli­cken zu las­sen. Dann wie­der emp­fin­de ich es als eine Pf­licht, das wun­der­sa­me Ge­schick die­ser bei­den Men­schen nicht im Dun­keln zu las­sen. Soll­te nicht das, was hohe und edle Men­schen er­le­ben, Ei­gen­tum der gan­zen Mensch­heit sein?

So will ich ihn denn er­zäh­len las­sen.

Ich war eben fünf­und­zwan­zig Jah­re alt ge­wor­den, als mein Va­ter starb; seit ich sei­nen schmerz­li­chen To­des­kampf mit an­ge­se­hen, schi­en ich mir um zehn Jah­re äl­ter. Kurz vor­her hat­te mei­ne ein­zi­ge Schwes­ter, die ich sehr lieb­te, einen jun­gen Ge­schäfts­freund un­se­res Hau­ses ge­hei­ra­tet, einen Fran­zo­sen, des­sen Fa­mi­lie seit lang in Genf an­ge­sie­delt war, und der nun sei­nen Na­men un­se­rer Fir­ma hin­zu­füg­te. Wir stan­den uns so nah wie Brü­der, und als er und mei­ne Schwes­ter in mich dran­gen, ei­ni­ge Mo­na­te auf Rei­sen zu ge­hen, um mei­ne ver­stör­ten Le­bens­geis­ter wie­der ins Glei­che zu brin­gen, ließ ich mich hier­in wie in al­len Din­gen gern von ih­nen be­stim­men, zu­mal ich wohl fühl­te, dass ich ei­ner Hil­fe von au­ßen sehr be­dürf­tig war.

Auch wirk­te die Luft­ver­än­de­rung bald, wie mei­ne Lie­ben ge­hofft hat­ten. Ju­gend und Le­bens­mut kehr­ten mir zu­rück; ich hat­te wie­der of­fe­ne Au­gen für alle Schön­hei­ten der Na­tur, und mein Sinn für die Küns­te, der schon auf frü­he­ren Rei­sen in Deutsch­land und Frank­reich ge­weckt wor­den war, fand rei­che Nah­rung in Mai­land und Ve­ne­dig, wo­hin ich mich zu­nächst wand­te, um dann in mä­ßi­gen Ta­ges­rei­sen süd­li­cher zu ge­hen.

Vor al­lem zog es mich nach Flo­renz, und die Herr­lich­kei­ten, die ich dort zu fin­den hoff­te, mach­ten mich ge­gen man­ches un­dank­bar, was mir auf dem Wege da­hin be­geg­ne­te. So hat­t’ ich mir auch für Bo­lo­gna nicht mehr als einen ein­zi­gen Tag fest­ge­setzt, Kir­chen und Ga­le­ri­en has­tig durch­rannt und mich am Nach­mit­tag in einen Wa­gen ge­wor­fen, um nach dem al­ten Klos­ter­hü­gel San Mi­che­le in Bos­co hin­aus­zu­fah­ren und mit ei­ner Rund­schau von da oben her­ab mein Rei­se­ge­wis­sen über die­se merk­wür­di­ge Stadt zu be­ru­hi­gen.

Es war ei­ner der hei­ßes­ten Tage je­nes Hoch­som­mers, und ob­wohl ich sonst ge­gen jede Tem­pe­ra­tur ziem­lich un­emp­find­lich war, lähm­te mich doch heu­te die Schwü­le bis zur Er­schöp­fung. Die Stra­ße, die von San Mi­che­le nach der Stadt zu­rück­führt, war völ­lig öde. Über die Mau­ern der Gär­ten rag­ten die Bäu­me und Bü­sche dick ver­staubt her­über, die Rä­der des Wa­gens gru­ben sich in den hand­ho­hen glü­hen­den Staub schwer­fäl­lig ein, mein Kut­scher nick­te so schlaf­trun­ken auf dem Bock, dass er sich kaum im Gleich­ge­wicht hielt, und sein mü­des Tier schlich mit ge­senk­ten Ohren ganz am Ran­de der Chaus­see, um den schma­len Schat­ten mit­zu­neh­men, den hie und da eine Vil­la oder Gar­ten­he­cke über die Stra­ße warf. Ich hat­te mich auf dem Rück­sitz be­quem aus­ge­streckt und mir aus mei­nem Re­gen­schirm ein Zelt ge­macht, un­ter dem ich in ei­ner Art Halb­schlaf hin­däm­mer­te.