Berechnung der Liebe ausgeschlossen - Michelle Zerwas - E-Book

Berechnung der Liebe ausgeschlossen E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Marlene ist ein Zahlenmensch. In ihrem Beruf hat sie täglich mit Zahlen zu tun. Die Liebe hat in ihrem Leben keinen Platz. Eines Tages taucht Tilda in ihrem Büro auf und bringt ihr Leben völlig durcheinander, denn Marlene verliebt sich auf den ersten Blick in Tilda. Sie ahnt nicht, dass Tilda nicht ganz ohne Hintergedanken zu ihr gekommen ist, denn sie hat sich schon viel früher in Marlene verliebt. Es könnte alles so schön sein, wenn Marlene nicht so große Angst hätte, zu ihren Gefühlen zu stehen. Denn niemand weiß, dass Marlene Frauen liebt, und wenn es nach ihr geht, soll das auch in Zukunft so bleiben. Doch sie hat nicht mit Tildas Hartnäckigkeit gerechnet.

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Michelle Zerwas

Berechnung der Liebe ausgeschlossen

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorwort

Wie entsteht Liebe? Warum verliebt man sich in eine bestimmte Person und vor allem wann? Und warum kann man zum Teil jahrelang an einer Person vorbeilaufen, ohne dass man sie bemerkt oder dass sie etwas Besonderes für einen ist? Vielleicht ist wirklich Amor an dem ganzen Schuld, ein kleiner geflügelter Engel, der wahllos Liebespfeile verschießt. Doch geschieht dies wirklich so wahllos? Kann es nicht unter Umständen doch sein, dass dieser sogenannte Amor genau weiß, was er da den ganzen Tag treibt? Möglicherweise steckt hinter seinem Handeln doch ein gut durchdachter Plan und er weiß ganz genau, was er macht. Vielleicht ist es sogar gut, dass wir ihn haben. Ohne ihn würde möglicherweise ein gewaltiges Liebeschaos ausbrechen, das nicht mehr in Ordnung zu bringen wäre. Was ist, wenn Amor immer ganz genau zur richtigen Zeit die richtigen Menschen zusammenbringt? Mitunter kann man wirklich viele Jahre nebeneinander her leben, man sieht sich zum Teil sogar täglich, aber von Gefühlen oder gar von Liebe keine Spur. Bis Amor sich einmischt und zielsicher seine Pfeile durch die Luft surren lässt. Es kann doch sein, dass er einfach mehr weiß, als wir Menschen. Zuerst lässt er uns unsere eigenen Erfahrungen machen. Er überlässt uns allein die Entscheidung, in wen wir uns verlieben, verfolgt unsere Hilflosigkeit, unsere Freuden und auch unser Leid. Wahrscheinlich amüsiert er sich sogar ein wenig über unsere Ungeschicklichkeit, schließlich weiß er ja alles besser, denn für ihn ist klar wer zusammen gehört und wer nicht. Vermutlich ist es für ihn sogar so etwas wie ein Spiel. Er spielt mit uns Menschen, wenn er mal von Langeweile geplagt ist.

Woher weiß man, dass er auch wirklich die richtigen Entscheidungen trifft? Kann er wirklich im Vorfeld schon wissen, ob zwei Menschen perfekt zusammen passen oder nicht? Ist dieser Amor hundertprozentig vertrauenswürdig?

Im Leben muss man mitunter viele Nieten ziehen oder wie man so schön sagt „Frösche küssen“, bis man seine Traumprinzessin endlich findet. Man muss sich seine Traumpartnerin nach und nach verdienen. Was ich damit meine: Es hat vielleicht einen Grund warum man sich zwar kennt, aber trotzdem jahrelang aneinander vorbeiläuft, ohne einander zu beachten. Man wächst an seinen Erfahrungen, sagt man so schön und es ist so, dass man erst bestimmte Erfahrungen im Leben machen muss, die einen prägen, bevor man seine Traumfrau findet. Vorher wüsste man gar nicht, was man an der Frau hat, die Amor auserkoren hat. Man würde nicht erkennen, dass sie eindeutig die Richtige ist. Das kann man erst unter ganz bestimmten Voraussetzungen und deshalb ist es vielleicht sogar gut, wenn Amor seine Pfeile im Spiel hat. Er kennt den richtigen Zeitpunkt und weiß genau, was zu tun ist und vor allem wann.

Über all das hatte Tilda nie nachgedacht, bis zu jenem Tag, an dem sich ihr Leben schlagartig änderte.

Tilda hatte den ganzen Tag am Schreibtisch verbracht und gezeichnet. Der Verlag, für den sie arbeitete, wartete schon ungeduldig auf die Zeichnungen für eines der neuen Kinderbücher.

Abends stand sie im Esszimmer am Fenster und blickte nach draußen. Ein warmer Frühlingstag ging gerade zu Ende und Tilda hing wie so oft ihren Gedanken nach. Die Arbeit für den Verlag erfüllte sie schon lange nicht mehr mit der Freude wie am Anfang. Immer wieder las sie die zahlreichen Geschichten der Kinderbuchautoren und vervollständigte die Texte mit bunten Bildern. Am Anfang hatte es ihr nichts ausgemacht, weil sie sowieso davon überzeugt war, dass alle anderen viel besser schreiben konnten als sie selbst. Dabei spukten auch in ihrem Kopf unzählige Geschichten herum, die aufgeschrieben werden wollten, aber ihre ständigen Zweifel hielten sie davon ab. Ihre Gedanken schweiften zu ihrem letzten Gespräch mit ihrem besten Freund Felix.

„Wann erfüllst du dir endlich deinen Traum und fängst mit dem Schreiben an? Ich bin mir sicher, dein Verlag wird dir deine Geschichten aus den Händen reißen.“

„Ich glaube, du überschätzt mich und meine Fähigkeiten, Felix.“

„Da bin ich anderer Meinung. Vor ein paar Tagen habe ich mit meiner Schwester telefoniert und sie hat mir erzählt, dass Nathan ganz vernarrt in das Buch ist, das du ihm geschenkt hast. Das Buch, das du geschrieben hast, wenn ich dich daran erinnern darf.“

„Vielleicht hat deine Schwester das nur gesagt, weil sie nett sein wollte.“ Tilda konnte einfach nicht glauben, dass es wirklich jemanden gab, der ihre Geschichte liebte.

Felix schüttelte demonstrativ den Kopf. „Versuch gar nicht erst wieder dich selbst schlecht zu machen. Emmi sagt immer was sie denkt und sie würde nicht mal im Traum daran denken etwas zu beschönigen, nur um anderen zu gefallen. Wenn sie sagt, dass Nathan dein Buch gefällt, dann stimmt das auch.“

„Das heißt aber noch lange nicht, dass ich gut bin. Du kannst das unmöglich von einem einzigen Kind abhängig machen.“

„Glaub mir, wenn es um Bücher geht, gibt es nichts Ehrlicheres als Kinder. Sie sind gnadenlos in ihrem Urteil und Nathan weiß ganz genau was er will. Wenn du mir nicht glaubst, kann ich dich ja mal mit ihm in die nächste Buchhandlung schicken, dann wirst du sehen, was ich meine. Siehst du es jetzt endlich ein? Du bist gut! Also wann schreibst du weiter?“

„So einfach ist das alles nicht, Felix.“

„Ich weiß überhaupt nicht, wo dein Problem liegt. Du sitzt an der Quelle im Verlag und musst denen bloß eine deiner Geschichten auf den Tisch legen.“

„Ich weiß nicht… ich…“

„Aber ich weiß es!“ Felix ließ seine Freundin gar nicht erst ausreden.

„Und wenn der Verlag ablehnt, dann habe ich mich als Möchtegernschriftstellerin ganz schön blamiert.“

„Unsinn, dann probierst du es woanders, schließlich bist du mit deinem Verlag nicht verheiratet. Die wenigsten Autoren haben es beim ersten Anlauf geschafft. Du könntest es auch ganz ohne Verlag versuchen. Heutzutage gibt es doch genug Möglichkeiten ein Buch herauszubringen ohne einen Verlag dafür zu brauchen. Ein bisschen Mut zum Risiko gehört natürlich dazu.“

 

Durch das Bellen eines Hundes, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Als sie aus dem Fenster sah, erblickte sie ihre Nachbarin Marlene Sander mit ihrem Jack Russel Terrier Pino. Er kläffte noch immer, aber dann setzte Marlene sich problemlos gegen ihren Hund durch. Ungehorsam duldete sie bei ihm nicht.

Zum ersten Mal betrachtete Tilda Marlene intensiver. Das hatte sie bisher so noch nie gemacht, obwohl Marlene schon immer ihre Nachbarin gewesen war. Bewundernd ließ sie ihren Blick über Marlenes Körper wandern. Sie eilte wie immer schwungvoll zu ihrem Auto und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Tilda hatte genau dieses Bild in den vergangenen Jahren unzählige Male gesehen. Es war nichts Besonderes, sondern alltäglich, aber an diesem Tag traf Marlenes Lächeln sie mitten ins Herz und wie aus dem Nichts, hatte sie plötzlich Gedanken im Kopf, die sie niemals für möglich gehalten hatte und die ihr sogar selbst ein wenig unheimlich waren. Sie fragte sich, warum sie nie zuvor bemerkt hatte, wie schön ihre Nachbarin war. Bisher war sie immer achtlos an Marlene vorbeigelaufen, hatte sie nicht beachtet und nie auch nur den geringsten Gedanken an sie verschwendet.

Das kann einfach nicht sein. Tilda schüttelte über sich selbst den Kopf. Was war nur in sie gefahren? Wie konnte sie so etwas überhaupt denken? Marlene war viel älter als sie, eine gestandene Frau, mitten im Leben… Nein! Tilda wandte sich kopfschüttelnd vom Fenster ab. Sie musste dringend auf andere Gedanken kommen und griff nach alter Gewohnheit nach dem Telefon, um Felix anzurufen. Nachdem sie die ersten Zahlen gewählt hatte, fiel ihr ein, dass sie sich das sparen konnte, weil Felix im Ausland war. Seit 5 Wochen arbeitete er erst im Ausland, aber Tilda kam die Zeit jetzt schon wie eine Ewigkeit vor. Niemals hätte sie für möglich gehalten ihn so zu vermissen. Wahrscheinlich war Felix Abwesenheit allein erst schuld an ihrer Gefühlsverwirrung. Vielleicht war sie bloß einsam und fühlte sich deshalb zu Marlene hingezogen. Ich werde sie mir einfach aus dem Kopf schlagen. So schwer kann das ja nicht sein.

Gedankenverloren kehrte Tilda an ihren Schreibtisch zurück. Eigentlich hatte sie vorgehabt an diesem Abend nichts mehr zu machen, aber besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen. Sie durfte es gar nicht so weit kommen lassen, dass Marlene sich erst so richtig in ihren Gedanken einnistete und ihr Herz im Sturm eroberte.

 

Doch wenn das Herz entschieden hat, jemanden zu lieben, gibt es nichts, womit man es davon abhalten könnte.

Diese Erfahrung musste auch Tilda machen. Sie setzte alles daran, Marlene wieder aus ihren Gedanken zu vertreiben, aber sobald Amors Pfeil getroffen hat, ist man machtlos gegen seinen Willen. Ihre Gedanken schweiften immer öfter zu Marlene und schon bald wartete sie häufiger ungeduldig darauf, dass sie von der Arbeit nach Hause kam.

Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie sich in Marlene verliebt hatte, in ihre Nachbarin, die viel älter war als sie. Tilda musste am eigenen Leib erfahren, dass der Kampf gegen sich selbst aussichtslos gewesen war.

1. Kapitel

„Hallo Herzchen, ich bin wieder da!“ Felix fiel Tilda stürmisch um den Hals, sobald sie die Haustür geöffnet hatte und beförderte sie damit beinahe zu Boden. Manchmal erinnerte Felix sie an einen jungen ungestümen Hund.

Nachdem sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte, freute sie sich auch ihren besten Freund endlich wiederzusehen. Wie sehr hatte sie sich in den letzten Monaten danach gesehnt ihn wieder in die Arme schließen zu können und ihn stets um sich zu haben. Felix war der weltbeste Kummerkastenonkel. Wann immer sie ihn brauchte, war er für sie da, hatte bereits unzählige ihrer Tränen getrocknet und sie mit seiner durchgehend positiven Lebenseinstellung stets wieder zum Lachen gebracht. Felix war für sie wie die Sonne, ohne die kein Leben möglich war, der langersehnte Regen nach vielen heißen Tagen, ihr Seelenverwandter… und noch so unendlich viel mehr. Ein Leben ohne ihn war nicht vorstellbar. Felix war die Liebe ihres Lebens aus platonischer Sicht gesehen. Es konnte nur Schicksal gewesen sein, dass sie sich getroffen hatten.

Sie hatten sich ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen, weil Felix wegen eines Tierschutzprojekts im Ausland gewesen war und nie zuvor hatte sich ein Jahr so lang angefühlt. Felix setzte sich seit vielen Jahren unermüdlich für die Rechte von Tieren ein. Er verabscheute Tierquälerei und kämpfte mit allen Mitteln dagegen an. „Als Schwuler weiß ich wie es ist ausgegrenzt und mies behandelt, ja mitunter sogar misshandelt zu werden. Deshalb setze ich mich für Tiere ein, weil es ihnen genauso geht. Tiere haben keine Möglichkeit sich zur Wehr zu setzen. Sie haben keine Stimme, mit der sie sich verteidigen können, deshalb bin ich die Stimme für all diese gequälten Wesen.“

Diese Einstellung war zu Felix Motto geworden und er hatte eindeutig recht damit.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du heute schon zurückkommst?“

Felix sah sie beinahe vorwurfsvoll an. „Vielleicht, weil ich dich überraschen wollte.“

„Das ist dir gelungen.“

„Lass mich raten: Ich habe dich gerade rücksichtslos von deiner Arbeit gerissen. Arbeitest du immer noch so viel wie vor einem Jahr? Du bist ein hoffnungsloser Fall. Ich hoffe, das weißt du. Wenn du so weiter machst, wirst du niemals eine Frau kennenlernen und eines Tages als alte Jungfer sterben.“

„Komm doch erstmal rein“, sagte Tilda, um geschickt vom Thema abzulenken. Dabei war das sowieso aussichtslos, denn Felix kam spätestens in fünf Minuten darauf zurück.

„Guter Plan. Ich sterbe vor Hunger, denn ich bin direkt vom Flughafen hierher gefahren. Da kannst du mal sehen wie sehr ich dich vermisst habe.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, befand sich Felix bereits auf dem Weg zum Kühlschrank und wühlte suchend darin herum.

„Du könntest auch mal wieder einkaufen.“ Seine vorwurfsvolle Haltung ihr gegenüber nahm anscheinend heute überhaupt kein Ende mehr.

„Wo hast du denn Yuri gelassen? Ich dachte, ich lerne deinen Liebsten endlich mal persönlich kennen. Bisher habe ich ihn ja nur über die Webcam gesehen.“

Felix hatte inzwischen etwas Essbares gefunden, was seine Laune gleich noch ein wenig mehr verbesserte. „Da wirst du dich noch eine Weile gedulden müssen. Er ist immer noch in Rumänien und kommt erst in zwei Wochen zurück nach Deutschland.“

„Und was machst du dann schon hier? Ich dachte, ihr seid inzwischen unzertrennlich.“

„So schlimm ist es jetzt auch nicht. Yuri ist gerade mit ein paar anderen an einem wichtigen Projekt dran und kann deshalb erstmal nicht weg. Ich kann ja wieder abreisen, wenn dir das lieber ist.“ Felix tat so, als sei er beleidigt. Es war ein gerne gespieltes Spiel zwischen ihnen.

„Untersteh dich. Ich bin froh, dass du endlich wieder hier bist. Ich habe dich nämlich sehr vermisst.“

„Und das soll ich dir glauben? In deinem Leben gab es doch in der letzten Zeit einige Veränderungen, sodass du gar keine Zeit mehr hattest mich zu vermissen.“

Sofort fuhr Tilda der Schreck in die Glieder. Er konnte unmöglich von Marlene wissen. Sie hatte ihm nichts von ihr erzählt, obwohl sie sich deswegen schlecht fühlte. Ahnte er etwas? Funktionierte ihre telepathische Verbindung etwa auch auf so großer Distanz?

„Was meinst du?“, fragte sie deshalb ganz unschuldig nach.

„Na, dass du dich endlich von diesem Ausbeuterverlag getrennt hast, von dem du dich schon seit Jahren ausnutzen lässt und dass du es endlich gepackt hast dich selbstständig zu machen. Das wurde auch höchste Zeit.“

„Ach, das meinst du.“ Tilda konnte einen erleichterten Seufzer gerade noch unterdrücken, aber es war schon zu spät. Felix hatte längst seine Antennen ausgefahren. Ihm entging nicht die kleinste Veränderung Tildas.

„Ja, das meine ich.“ Er bedachte Tilda mit einem eindringlichen Blick, beinahe so als wollte er sie durchleuchten und in ihre Gedanken eindringen. „Gibt es noch etwas Anderes, das ich wissen sollte?“

Tilda zögerte mit ihrer Antwort, bevor sie rasch ein „Nein“ hervorbrachte, aber ihr Zögern hatte anscheinend den Bruchteil einer Sekunde zu lange gedauert.

„Tilda, du solltest wissen, dass du mir nichts vormachen kannst. Daran hat sich auch im vergangenen Jahr nichts geändert. Also raus mit der Sprache!“

Schon seit Wochen überlegte Tilda, wie sie Felix beibringen sollte, dass sie sich verliebt hatte. Nächtelang hatte sie Sätze im Kopf hin und her gewälzt, obwohl es doch eigentlich keinen Grund gab sich verrückt zu machen. Sie traute Felix sogar zu, dass er einen Freudentanz aufführte, wenn er davon erfuhr. Also wo lag eigentlich ihr Problem?

Felix beobachtete sie inzwischen kritisch und sofort hatte Tilda wieder das Gefühl, dass er jeden ihrer Gedanken lesen konnte, obwohl das natürlich eigentlich nicht möglich war. Bei Felix wusste man jedoch nie, er war immer für eine Überraschung gut.

„Während deiner Abwesenheit ist einiges passiert“, sagte Tilda ausweichend.

„Du hast mir doch versprochen, dass du mir alles schreibst, was bei dir passiert.“

„Es gibt nun mal Dinge, die muss man erstmal mit sich selbst ausmachen.“

„Das klingt ja spannend und theatralisch. Raus mit der Sprache! Hast du dich endlich verliebt?“

Felix kannte Tilda eben einfach zu gut und nicht mal ihre lange Trennung hatte es geschafft die Verbindung zwischen ihnen zu zerstören. Für beide fühlte es sich an, als hätten sie sich erst letzte Woche gesehen und nicht vor einem Jahr.

„Ja, ich habe mich verliebt“, gab Tilda schüchtern zu. Es zu leugnen hätte sowieso nichts gebracht.

„Warum hast du das denn nicht gleich gesagt. Das ist doch super, oder etwa nicht?“

„Ja schon.“

„Aber? Ach man, Tilda. Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Du weißt doch, dass ich der ungeduldigste Mensch auf Erden bin. Ist sie so scheußlich oder warum willst du mir nicht mehr über sie erzählen?“

„Nein, das ist sie nicht, aber du wirst nie glauben wer es ist.“

„Sag bloß ich kenne sie?“ Felix riss die Augen vor Überraschung weit auf, was Tilda an einen Frosch erinnerte und sie musste lachen.

„Du kennst sie nur zu gut.“ Wieder machte Tilda nur eine vage Andeutung. Sie konnte nicht wirklich sagen warum, aber sie traute sich nicht Felix ihr Geheimnis zu offenbaren, obwohl sie sich normalerweise alles anvertrauten.

Felix Ungeduld hatte inzwischen den Höhepunkt erreicht.

„Du weißt doch, dass ich es nicht leiden kann, wenn du nicht sofort mit der Sprache raus rückst. Sag es mir! Bitte!“ Er setzte seinen treuesten Gesichtsausdruck auf, wie ein Hund, der ein Leckerchen ergattern will.

Tilda zögerte immer noch. Zum ersten Mal hatte sie Angst, Felix könnte sie nicht verstehen.

„Nun sag es endlich, dein Zögern macht mich wahnsinnig.“

„Du kennst doch meine Nachbarin Marlene Sander…“, platzte es schließlich aus Tilda heraus.

„Du meinst die Verrückte, mit den zwei Hunden, die du nie mochtest und die du immer belächelt hast?“

Tilda nickte. „Ja, die meine ich, aber erstens ist sie nicht verrückt und zweitens hat sie inzwischen nur noch einen Hund.“

„Das ist nicht dein ernst. Oh man, du musst echt verzweifelt gewesen sein, wenn du plötzlich auf sie abfährst. Gut, dass ich wieder da bin.“

„Ich meine das ernst, Felix und ich wäre dir dankbar, wenn du dich nicht über mich lustig machen würdest. Ich habe mich wirklich in sie verliebt.“

„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen, aber das ist einfach so… unfassbar. Ich meine, ausgerechnet sie. Ich weiß noch, wie du früher über sie gedacht hast. Was ist passiert, dass du deine Meinung über sie so grundlegend geändert hast?“

Sie erzählte Felix von dem Moment, als ihr zum ersten Mal bewusst geworden war, dass Marlene solche Gefühle in ihr auslöste. Warum habe ich es nicht früher bemerkt, Felix? Wieso habe ich mich ausgerechnet jetzt in sie verliebt?“, beendete Tilda ihre Erzählung.

„Vielleicht, weil jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wo du sie brauchst. Wir Menschen entwickeln uns ständig weiter, unsere Bedürfnisse und Wünsche ändern sich mit der Zeit und so ist es auch bei dir und Marlene. Vor ein paar Jahren konntet ihr noch nichts miteinander anfangen, weil ihr noch nicht auf einer Wellenlänge wart, aber inzwischen habt ihr euch weiter entwickelt und seid euch deshalb unbewusst näher gekommen, als ihr ahnt. Nun ist die Zeit gekommen, wo ihr euch gegenseitig braucht und gemeinsam glücklich werden könnt. Das wäre zuvor nicht möglich gewesen.“

„Das klingt logisch, aber sag mal, woher hast du diese altersklugen Weisheiten?“

„Yuri und ich haben viel geredet. Du musst wissen, er ist sehr belesen und weiß über Dinge Bescheid, die einen in Staunen versetzen. Er glaubt, dass es bei ihm und mir genauso ist, dass jetzt unsere Zeit gekommen ist. Es war reiner Zufall, dass er nach Rumänien gekommen ist und wir uns kennengelernt haben. Eigentlich sollte ein anderer sein Tierschutzprojekt übernehmen, aber derjenige hat sich zwei Tage vor der Abreise den Fuß gebrochen. Nur deshalb ist Yuri eingesprungen. Erkläre mich ruhig für verrückt, aber es gibt eine unsichtbare Macht, die uns führt. Manche nennen es Schicksal, andere Bestimmung.“

„Amor“, sagte Tilda und erntete einen überraschten Blick von Felix. Deshalb setzte sie rasch hinzu: „Na, man sagt doch, Amor verschießt Pfeile, damit die Menschen sich verlieben.“

„Ach, das meinst du. Ganz egal wie wir es nennen, die Hauptsache ist doch, dass es funktioniert und in unserem Fall scheint es so zu sein.“

„Amors Pfeil hat mich an dem Tag getroffen, als mir zum ersten Mal aufgefallen ist, wie wundervoll Marlene ist. Sie ist einfach perfekt und ich finde bis heute nichts, das mich an ihr stört.“

„So redet man nur, wenn man wirklich verliebt ist“, bestätigte Felix.

„Ich bin nicht nur verliebt, ich bin hin und weg von ihr. Es fühlt sich beinahe so an als hätte sie mich verzaubert.“

„Ich weiß, was du meinst.“ Felix Blick ging ins Leere und ein verträumtes Lächeln umspielte seine Lippen. Tilda wusste, dass er an Yuri dachte und sie fühlte sich mit einem Mal noch verbundener mit Felix. Die frisch erblühte Liebe zu Marlene und Yuri machte sie zu Verbündeten, im Kampf um das wohl schönste Gefühl auf der Welt.

„Was wirst du jetzt eigentlich tun bezüglich Marlene? Hast du bereits irgendwelche Schritte unternommen, um ihr näher zu kommen?“

„Ich war vor ein paar Wochen bei ihr im Büro wegen meiner Steuererklärung. Zuvor haben wir telefonisch einen Termin vereinbart und ich sage dir, mit ihr zu reden war der absolute Wahnsinn. Ihre Stimme hat mein Herz regelrecht zum Schmelzen gebracht. Du weißt ja, dass ich nur ungern mit fremden Menschen telefoniere, aber bei ihr habe ich mich gleich wohl gefühlt. Ich habe es richtig bedauert, als wir das Gespräch beendet haben. Zwei Wochen später hatte ich den Termin mit ihr und ich habe diesem Tag richtig entgegengefiebert. Ich konnte es kaum erwarten endlich zu ihr zu kommen. Ein paar Tage vor unserem „Treffen“ habe ich dann kalte Füße bekommen. Ich habe sie vom Fenster aus beobachtet und plötzlich haben sich meine Beine ganz wackelig angefühlt und mir war richtig schlecht. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Wie soll ich es bloß schaffen normal mit ihr zu reden? In dem Moment war ich fest entschlossen den Termin bei ihr abzusagen.

„Und hast du den Termin abgesagt?“

„Nein, ich hatte dienstags einen Termin bei ihr und montags war ein Feiertag, das heißt, ich konnte ihr nicht mehr absagen. Wäre der Feiertag nicht gewesen, hätte meine Angst vielleicht gesiegt, aber eine Stunde vorher absagen konnte ich nicht.“

„Manchmal verstehe ich dich nicht“, sagte Felix kopfschüttelnd. „Du hattest dich doch so darauf gefreut sie zu sehen und trotzdem wolltest du absagen?!“

„Du weißt doch wie schüchtern ich bin. Ich wollte mich vor ihr nicht blamieren.“

„Ja, du und deine Schüchternheit, das ist manchmal wirklich schlimm.“ Felix versuchte seit Jahren Tildas Selbstbewusstsein zu stärken, aber bisher waren die Erfolge eher überschaubar.

„Was war dann? Wie verlief dein Termin bei Marlene?“

„Ich war furchtbar aufgeregt, als ich zu ihrem Büro gefahren bin, aber auch voller Vorfreude. Endlich war der Tag gekommen, an dem ich ihr zum ersten Mal gegenübersitzen sollte. Es war so schön bei ihr und ich hatte den Eindruck sie hat sich auch gefreut mich zu sehen. Sie ist zur Tür gekommen, hat mir zur Begrüßung die Hand gereicht und mich dabei angestrahlt. Noch nie hat mich jemand mit einem solchen Lächeln begrüßt. Das war nicht nur ein geschäftsfreundliches Lächeln, sondern es war echt und kam wirklich von Herzen. Sogar ihre Augen haben dabei gestrahlt. Es war ein wunderschöner Moment. Ich hatte Herzrasen ohne Ende, aber ich war total glücklich darüber endlich in ihrer Nähe sein zu dürfen.“

Felix lauschte gebannt Tildas Erzählung. Er freute sich für Tilda und genoss es sehr ihre strahlenden Augen zu sehen, wenn sie an Marlene dachte oder von ihr erzählte.

„Wie lange warst du bei ihr?“

„Etwa eine halbe Stunde, aber es kam mir eher wie fünf Minuten vor. Ich habe die Zeit mit ihr so sehr genossen. Zuerst haben wir ein bisschen über private Dinge gesprochen, ehe wir zum geschäftlichen Teil übergegangen sind. Ich hätte ihr gerne so viel gesagt, aber meine Schüchternheit stand mir mal wieder im Weg. Marlene ist einfach eine großartige Frau, sie hat Humor und ich glaube mit ihr kann man echt Spaß haben. Sie hat unglaublich schöne blaue Augen und ihre Stimme ist ein Traum. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Meinetwegen hätte sie mir stundenlang aus ihren Steuerbüchern vorlesen können, nur damit ich noch länger ihre Stimme hätte hören können.“

„So wie du mir das schilderst, habe ich keinen Zweifel mehr daran, dass du sie wirklich liebst.“

„Ich könnte dir noch stundenlang von ihr vorschwärmen, den ganzen Tag könnte ich nur von ihr reden.“

„Hast du ihr gegenüber denn wenigstens eine Andeutung gemacht, dass du sie toll findest?“

„Nein, aber sie hat mich gefragt worüber ich schreibe und zuerst hatte ich große Bedenken auszusprechen, dass ich lesbische Liebesromane schreibe, aber sie hat ganz toll darauf reagiert. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so locker darauf reagiert.“

„Warum sollte sie abweisend darauf reagieren? Homosexuell zu sein ist ja nichts Schlimmes“, meinte Felix.

„Na ja, jedenfalls bin ich mir ganz sicher, dass ihr meine Nervosität nicht entgangen ist und da wird sie sich bestimmt gefragt haben, warum ich in ihrer Gegenwart nervös war. Sie braucht nur eins und eins zusammenzuzählen, dann weiß sie Bescheid über meine Gefühle.“

„Das muss nicht mal unbedingt so sein“, stellte Felix fest. „Für dich war es schließlich das erste Gespräch mit einer Steuerberaterin. Da kann man schon mal nervös sein. Sicher wird sie sich das so erklären.“

Tilda überlegte einen Moment. Aus der Sicht hatte sie das bisher noch nicht gesehen. Sie war davon ausgegangen sich Marlene gegenüber mit ihrer Nervosität verraten zu haben.

„Und warum war Marlene dann mindestens genauso nervös wie ich? Für sie war es schließlich nicht das erste Mal. Sie führt solche Gespräche tagtäglich.“

„Inwiefern war sie nervös? Das musst du mir schon genauer schildern, damit ich die Situation beurteilen kann.“

„Sie war richtig süß. Sie hat eines ihrer Steuerbücher gesucht, nur um dann festzustellen, dass es die ganze Zeit neben ihr gelegen hatte und bevor ich gegangen bin, hat sie mir noch ihre Visitenkarte gegeben. Dabei wären ihr beinahe alle Visitenkarten aus der Hand gefallen, weil sie nervös war. Das ist doch verdächtig, findest du nicht? Zuerst habe ich gedacht, ich bilde mir ihre Nervosität nur ein, aber es war eindeutig. Denkst du, sie empfindet auch etwas für mich?“

Felix überlegte einen Moment. „Das ist eine Möglichkeit, es könnte allerdings auch sein, dass du sie mit deiner Nervosität angesteckt hast. Vielleicht habt ihr euch gegenseitig verrückt gemacht.“

„Ich weiß es nicht, aber auf jeden Fall verhält sie sich mir gegenüber komisch. Ein paar Tage später habe ich abends auf sie gewartet und bin zu ihrem Auto gegangen. Ich habe ihr gesagt, dass ich mich bei ihr sehr wohl gefühlt habe und dass ich froh bin, mich für sie als Steuerberaterin entschieden zu haben.“

„Wow, echt mutig von dir. Das ist dir bestimmt nicht leicht gefallen.“ Felix wusste so gut wie kaum ein anderer, wie schwer es ihr fiel auf andere Menschen zuzugehen.

„Ich war so aufgeregt. Mir war richtig schlecht und es hat mich große Überwindung gekostet auf sie zuzugehen. Ich habe am ganzen Körper gezittert.“

„Und wie hat sie reagiert?“

„Ich hatte das Gefühl es war ihr unangenehm, dass ich sie angesprochen habe. Jedenfalls hat sie gesagt, dass sie sich darüber freut, dass ich mit ihr zufrieden bin. Ich wollte sie bei der Gelegenheit eigentlich fragen, ob ich mal mit ihr spazieren gehen darf, aber dazu ist es nicht gekommen. Sie ist regelrecht vor mir geflüchtet. „Wir sehen uns“, hat sie gesagt, ist dann rasch in ihr Auto gestiegen und hat mich einfach stehen lassen. Ich war am Boden zerstört und bin wie ein geprügelter Hund wieder ins Haus geschlichen. Kannst du dir erklären, warum sie so abweisend zu mir ist?“

„Vielleicht hat sie gemerkt, dass du mehr für sie empfindest und blockt dich ab, weil sie deine Gefühle nicht erwidert oder sie empfindet ähnlich für dich und ist deshalb verwirrt. Möglicherweise hat sie auch Angst vor ihren Gefühlen.“

„Wenn ich doch nur wüsste, wo ich bei ihr dran bin.“

„Warum musst du dich auch in eine Frau verlieben, mit der alles so kompliziert ist?“ Felix versuchte die Situation mit einem Scherz ein wenig aufzulockern, aber Tilda stand die Verzweiflung regelrecht ins Gesicht geschrieben und ihm wurde bewusst, dass die Geschichte wirklich ernst war. Deshalb sprach er rasch weiter. „Und seitdem hattet ihr keinen Kontakt mehr?“

„Doch, ein paar Tage später habe ich ihr eine Mail geschrieben und sie gefragt, ob wir uns privat mal treffen können. Sie hat abgelehnt, mit der Begründung, dass sie beruflich sehr ausgelastet ist.“

„Das klingt ja jetzt nicht gerade so, als bestehe von ihrer Seite ebenfalls Interesse an dir. Es könnte natürlich auch sein, dass sie vor irgendetwas Angst hat und deshalb ihre Arbeit vorschiebt.“

„Na ja, sie arbeitet wirklich viel, immerhin verbringt sie den ganzen Tag in ihrem Büro. Sie fährt frühmorgens hin und kommt oft erst abends nach Hause.“

„Die Arbeit bietet immer die perfekte Ausrede“, meinte Felix. „Es wäre eben gut zu wissen, ob sie Interesse an dir hat und dich aus Angst abweist oder ob sie kein Interesse hat. Das gilt es herauszufinden.“

„Ich habe ihr zwei Wochen später erneut geschrieben und sie gefragt, ob ich sie mal auf einem ihrer Spaziergänge begleiten darf, aber sie hat mir nicht mehr geantwortet. Ich verstehe sie nicht! Sie geht doch sowieso spazieren und müsste nicht mal extra Zeit für mich opfern.“

„Aber wenn sie den ganzen Tag im Büro ist, ständig mit irgendwelchen Leuten reden muss, dann ist sie abends auch mal froh, einfach nur ihre Ruhe zu haben.“

„Das verstehe ich ja, aber ich will ja auch nicht jeden Abend mit, sondern nur ein einziges Mal und sie nimmt ja auch manchmal andere Begleiter mit. Da kann sie mich doch auch mal mitnehmen.“

„Wahrscheinlich hat sie Bedenken, dass es bei dem einen Mal nicht bleibt und sie dich immer wieder mitnehmen muss, dich quasi nie wieder los wird. Sie hat Angst, dass sie aus der Nummer nicht wieder raus kommt.

„Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch machen soll, Felix. Ich vermisse Marlene jeden Tag, sehne mich danach sie zu sehen. Es muss doch eine Möglichkeit geben, mit ihr in Kontakt zu kommen.“

„Wenn sie nicht will, kannst du sie nicht zwingen. Und was ist, wenn du ihr einfach schreibst, dass du dich in sie verliebt hast? Darauf muss sie einfach reagieren und du musst dich nicht länger mit dieser Ungewissheit herumquälen.“

„Nein, wenn ich ihr meine Liebe gestehe, dann möchte ich das persönlich machen. Ich will ihr dabei in die Augen sehen. Ich muss sehen, wie sie reagiert.“

„Gut, aber wie willst du jetzt weiter vorgehen?“

„Ich weiß es nicht. Im Moment schreibe ich ihr nur hin und wieder eine SMS, aber geantwortet hat sie mir noch nie.“

„Hoffentlich verrennst du dich da nicht in irgendetwas. Ich will nicht, dass du dich unglücklich machst.“

„Um umzukehren ist es längst zu spät, denn ich stecke schon mittendrin.“

„Also gut, dann gilt es jetzt so viel wie möglich über Marlene herauszufinden, damit wir uns eine Strategie erarbeiten können, wie du ihr Herz eroberst.“

„Wir?“

„Na klar, hast du etwa geglaubt ich lasse dich im Stich? Ich helfe dir natürlich dabei. Das ist doch wohl logisch!“

„Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich tun würde.“

Tilda spürte eine tiefe Dankbarkeit für ihren besten Freund. Einen Freund wie ihn konnte man sich nur wünschen.

„Jetzt habe ich dir die ganze Zeit nur von meinen Problemen erzählt. Unser Wiedersehen hast du dir bestimmt ganz anders vorgestellt.“

„Mach dir mal darüber keine Gedanken. Deine Liebe zu Marlene ist schließlich auch ein ernstes Problem.“

„Nein im Ernst, Felix. Wie war es in Rumänien?“

„Die Zustände dort sind katastrophal. Ich habe noch nie so viele gequälte Tiere auf einem Haufen gesehen. Das sind Bilder, die bekommst du nicht mehr aus dem Kopf.“

„Dann war das vermutlich nicht dein letzter Aufenthalt dort.“

„Auf keinen Fall. Es gibt noch viel zu tun, weil wir gerade erst am Anfang stehen, aber ich werde in Zukunft nie länger als ein paar Wochen dort bleiben. Du brauchst mich ja schließlich auch.“

Er strahlte Tilda an und vertrieb damit für einen kurzen Moment all ihre Sorgen und ihren Kummer wegen Marlene.

Felix blickte auf seine Armbanduhr. „Oh verdammt, schon so spät. Lass uns ein anderes Mal weiter reden. Ich muss nach Hause, Yuri wollte sich noch bei mir melden.“

Hektisch sprang er auf und flitzte los, kam allerdings nochmal zurück und drückte Tilda einen dicken Kuss auf die Wange. „Halt die Ohren steif, Herzchen. Wir finden eine Lösung, um deine Sorgen zu vertreiben. Ich melde mich, okay.“

„Ja, bis dann und grüß Yuri von mir.“

Felix eilte davon und ließ sie nachdenklich zurück. Es hatte gut getan endlich mit jemandem über ihre Gefühle zu reden. Sie fühlte sich irgendwie… befreit, auch wenn sie durch das Gespräch nicht viel weiter gekommen war, denn die Zweifel blieben. War es tatsächlich möglich, dass Marlene das Gleiche für sie empfand oder bildete sie es sich nur ein? Vielleicht lief sie bloß einem Hirngespinst hinterher, aber wie hatte Felix gesagt: Wir finden eine Lösung. Sie fühlte sich sogleich ein wenig besser, weil sie nun nicht mehr allein war und sie gestattete sich für einen Moment, sich der Vorstellung hinzugeben, mit Marlene zusammen zu sein. Sie sah Marlenes Lächeln vor sich und stellte sich vor mit ihr zu reden, ganz ungezwungen, vielleicht sogar mit ihr herumzualbern, denn Marlene war im Herzen jung geblieben und sie hatte Humor.

Tilda verlor sich so sehr in ihrer Fantasie, dass sie darüber hinaus beinahe Marlene verpasst hätte, die von ihrem Spaziergang mit Pino zurückkam.

 

2. Kapitel

Zwei Tage später stand Felix wieder vor der Tür. So sehr Tilda ihren Freund auch mochte, aber gerade kam er wirklich ungelegen. Es war 16:53 Uhr und Marlene musste jeden Moment von der Arbeit kommen. Nun konnte sie nicht am Fenster stehen und auf sie warten. Dementsprechend übellaunig öffnete Tilda die Haustür.

Von schlechter Laune konnte man bei Felix ganz und gar nicht reden.

„Du wirst es nicht glauben, aber ich habe Neuigkeiten für dich.“ Felix war so euphorisch, dass er beinahe an ihr vorbei ins Haus tanzte. Tilda hatte sich schon oft gefragt woher Felix seine gute Laune und seine fast durchgehend positive Einstellung nahm. Nun ja, zurzeit war er auch frisch verliebt und wenn der Himmel voller Geigen hing, konnte einen normalerweise nichts erschüttern. Doch eigentlich musste sie ihm dafür dankbar sein, denn er hatte sie schon oft genug mit seinem Humor wieder aufgebaut, wann immer etwas in ihrem Leben schief gelaufen war.

Felix ging voraus ins Wohnzimmer und fläzte sich aufs Sofa. Tilda warf dem Wohnzimmerfenster, an dem sie so oft auf Marlene wartete, einen sehnsüchtigen Blick zu, ehe sie es Felix gleich tat. Felix war Tildas Blick allerdings nicht entgangen. Er kannte sie so gut, dass oft ein einziger Blick ausreichte, um sie zu verstehen. Sein einjähriger Auslandsaufenthalt hatte daran nicht das Geringste geändert.

„Wir können unser Gespräch auch so lange verschieben, bis deine Marlene zu Hause ist. Ich habe Zeit mitgebracht.“

„Macht dir das denn wirklich nichts aus?“

„Unsinn! Ich weiß doch, wie wichtig es dir ist, Marlene zu sehen und auf die paar Minuten kommt es wirklich nicht an.“

Sofort hellte sich Tildas Miene auf, sie stand auf und flitzte zum Fenster. Felix folgte ihr verschmitzt lächelnd und trat neben sie ans Fenster.

„Danke, dass du meine Verrücktheiten so kommentarlos hinnimmst.“

Felix lachte. „Was du hier veranstaltest ist tatsächlich ein bisschen verrückt, aber wenn es dich glücklich macht, werde ich dir bestimmt nicht im Weg stehen.“

„Ich weiß doch selber, dass es total verrückt ist, was ich tue und manchmal habe ich Angst, dass mich das ständige Warten auf sie bereits zur Stalkerin macht. Ich versuche immer mir vorzustellen, wie ich mich fühlen würde, wenn mich jemand heimlich beobachtet und irgendwie gefällt mir die Vorstellung nicht. Deshalb habe ich trotz aller Freude, wenn ich sie sehe, auch immer ein schlechtes Gewissen.“

Felix zögerte einen Moment mit seiner Antwort und formulierte im Kopf eine passende Antwort für Tilda.

„Ich denke, es ist Ansichtssache wo Stalking anfängt und du wandelst bei solchen Geschichten meines Erachtens immer auf einem sehr schmalen Grad. Andererseits lässt sie dir aber auch kaum eine Wahl und wenn man die ganze Sache mal genauer betrachtet, schadest du ihr ja nicht, wenn du sie beobachtest. Du machst ja schließlich nicht heimlich Fotos von ihr.“

„Nein, das würde ich nie machen. Ich gebe ehrlich zu, dass ich darüber schon mal nachgedacht habe, aber das geht wirklich zu weit. Ich hoffe, dass sie mir irgendwann mal freiwillig ein Foto von sich gibt, damit ich sie immer bei mir tragen kann.“

Felix legte ihren Arm um Tilda. „Dich hat es wirklich schwer erwischt, was?“

Tilda nickte. „Ich glaube, so verliebt war ich noch nie in eine Frau.“

„Ach Schätzchen, jetzt bin ich ja endlich wieder da und kann dir helfen und was deine Gewissensbisse betrifft: Mach dir nicht so viele Gedanken deswegen. Du machst es schließlich aus Liebe und ein bisschen ist sie ja auch selbst schuld. Wenn sie dir die Gelegenheit geben würde, sie regelmäßig zu sehen, müsstest du sie nicht heimlich beobachten.“

„Da hast du nicht ganz Unrecht. Weißt du, wenn ich wenigstens wüsste, dass wir uns einmal in der Woche treffen oder meinetwegen auch nur alle zwei Wochen, müsste ich sie nicht permanent beobachten. Das wäre dann auch für mich entspannter. Ich kann es einfach nicht dem Zufall überlassen, dass wir uns sehen. Dann sehe ich sie möglicherweise wochenlang nicht und das halte ich nicht aus.“

„Na also, dann ist doch alles gut. Du bedrohst sie nicht und schleichst auch nicht nachts heimlich um ihr Haus herum. In dem Fall würde ich mir ernsthaft Sorgen um dich machen.“

„Aus welchem Grund sollte ich sie bedrohen? Das Wichtigste ist, dass es ihr gut geht und um nachts um ihr Haus zu schleichen, bin ich viel zu ängstlich. Du weißt doch, dass ich nachts draußen Angst habe.“

„Ja, daran kann ich mich lebhaft erinnern“, scherzte Felix.

Plötzlich sprang Tilda ohne Vorwarnung zum zweiten Fenster im Wohnzimmer.

„Kommt sie?“ Felix wusste natürlich sofort, was Tildas Ausbruch zu bedeuten hatte. Doch im gleichen Moment ließ Tilda enttäuscht die Schultern sinken. „Ich dachte, sie kommt, aber sie war es nicht.“ Tilda blickte nervös auf die Uhr – 17:10 Uhr. „Wo bleibt sie denn nur so lange?“, sagte sie. „Vielleicht habe ich sie verpasst.“

„Ach was“, winkte Felix ab. „So wie ich dich kenne, stehst du mindestens seit 16 Uhr hier und wartest auf sie.“

„Nein, seit 16.30 Uhr, aber vielleicht hat sie heute früher Feierabend gemacht oder sie ist gekommen während ich dir die Tür aufgemacht habe oder als wir zusammen auf dem Sofa saßen. Es macht mich fertig, nie zu wissen, ob sie gegenüber von meinem Haus parkt oder sie ihr Auto um die Ecke abstellt. Diese Ungewissheit bringt mich noch um den Verstand.“

„Sie kommt bestimmt noch.“ Felix versuchte Tilda Mut zu machen.

„Meinst du?“ Tilda spürte inzwischen eine tiefe Verzweiflung in ihrem Herzen und es fehlte nicht mehr viel, dass sie in Tränen ausbrach.

„Sie kommt ganz bestimmt noch. Vielleicht hat sie noch einen Mandanten und kann deshalb nicht weg oder sie hat ganz einfach die Zeit vergessen. Es könnte auch sein, dass sie noch schnell beim Finanzamt vorbeifahren musste oder sie hat einen Außentermin oder ist noch einkaufen oder, oder, oder… Es gibt so viele Möglichkeiten. Du wirst sehen, jeden Moment biegt sie um die Ecke und dann strahlst du wieder.“

Felix war wirklich unbezahlbar. Er war gerade mal wenige Tage aus dem Ausland zurück und schon war es wieder so, als wäre er nie weg gewesen. Wie hatte sie die Zeit ohne ihn bloß überstanden?

Kaum fünf Minuten später, sollte Felix Recht behalten und Tilda hörte das vertraute Motorengeräusch von Marlenes Auto.

„Da ist sie.“ Aufgeregt trat Tilda vom Fenster zurück, damit sie nicht von Marlene gesehen werden konnte.

„Na also, was hab ich gesagt“, meinte Felix überflüssigerweise, denn Tilda hörte ihm nicht mehr zu. Sie war wie in einer anderen Welt und völlig verzaubert von Marlene. Sie konnte es kaum erwarten, bis Marlene endlich aus dem Auto stieg. Sobald sich die Autotür öffnete, schlug Tildas Herz wie verrückt und ihr Atem ging nur noch stoßweise. Sie war überwältigt von Marlene und das jeden Tag aufs Neue. Marlene stieg elegant aus. Sie öffnete den Kofferraum und nahm ihre Tasche heraus, die neben ihrem Hund Pino ihr ständiger Begleiter auf der Arbeit war. Anschließend öffnete sie die Beifahrertür und Pino sprang aus dem Auto. Tilda registrierte jede von Marlenes Bewegungen und versuchte sich ihren Anblick so genau wie möglich einzuprägen, um das Bild später wieder abrufen zu können.

Marlene hatte es eilig nach Hause zu kommen, was nach fast zehn Stunden im Büro nur allzu verständlich war. Pino trottete hinter ihr her und versuchte mit seiner Besitzerin Schritt zu halten, doch inzwischen war der Kleine auch schon ein wenig älter und ging es etwas ruhiger an. An seiner üblichen Hecke, an der er immer sein Beinchen hob, kam er allerdings auch an diesem Tag nicht vorbei. Tilda lächelte, denn dieses Bild war ihr inzwischen vertraut. Marlene wartete geduldig auf ihren Freund. Das gefiel Tilda so an ihr, dass sie niemals an der Leine zerrte, egal was passierte. Sie war eine sehr liebevolle und rücksichtsvolle Hundebesitzerin. Als sie weiter ging, folgte Tilda ihr mit ihren Blicken und musste wieder mal mitansehen, wie Marlene viel zu schnell um die Ecke verschwand.

„Ist sie nicht einfach süß? Sie sieht so gut aus, ist liebevoll und wenn sie lächelt, geht die Sonne auf.“

Tilda strahlte übers ganze Gesicht. Sie legte ihre Hände auf ihr Herz und seufzte verträumt.

Felix betrachtete sie schmunzelnd. „Dich hat es wirklich schwer erwischt, was?“

„Und wie. Hast du sie gesehen? Sie ist einfach umwerfend.“

„Das klang vor wenigen Jahren aber noch ganz anders.“

Beschämt blickte Tilda zu Boden. „Ja, das stimmt leider, aber inzwischen sehe ich das anders. Du musst zugeben, dass sie wirklich toll aussieht.“

„Da kann ich dir in der Tat nur zustimmen. Für ihr Alter ist sie wirklich eine Granate. Du kannst froh sein, dass ich auf Männer stehe.“

Tilda gab Felix empört einen Klaps auf den Arm. „So alt ist sie gar nicht.“

„Na komm schon, du solltest wenigstens realistisch bleiben. Sie ist auch keine zwanzig mehr.“

„Und wenn schon. Das stört mich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Es macht sie bloß noch anziehender für mich, denn wie du weißt stehe ich auf ältere Frauen.“

„Daran ist ja auch nichts auszusetzen. Ich hoffe nur für dich, dass Marlene ebenfalls keine Probleme mit dem Altersunterschied hat. Im Prinzip ist das Alter ja zweitrangig, solange man sich mag.“

„Das sehe ich auch so und Marlene werde ich das auch klar machen.“

Felix nickte zweifelnd, doch das ignorierte Tilda geflissentlich.

„Okay, jetzt wo dein Schatz da ist, können wir uns ja endlich meinen Neuigkeiten zuwenden. Oder wolltest du noch länger am Fenster stehen?“

„Nein, Marlene kommt erst in einer guten Stunde wieder. Wir haben also etwas Zeit.“

„Das sollte reichen.“ Felix ging zurück zum Sofa und Tilda folgte ihm. Nun, da Marlene zu Hause war, konnte sie sich endlich entspannen.

„Also ich habe dir ja versprochen, dass ich dir helfen werde und den ersten Schritt habe ich gestern getan. Ich habe nämlich meine Oma über Marlene ausgefragt und ein paar interessante Dinge herausgefunden.“

Felix strahlte von einem Ohr zum anderen, doch Tilda konnte seine Begeisterung nicht teilen. „Du solltest doch niemandem von Marlene und mir erzählen.“

Beinahe unbewusst funkelte sie Felix böse an. Er hob besänftigend die Hände. „Bevor du mich jetzt steinigst, keine Sorge, ich habe niemandem von deinen Gefühlen erzählt. Du weißt doch, dass ich meine Versprechen halte.“

„Schon klar“, erwiderte Tilda spöttisch. Sie war immer noch nicht überzeugt. „Du hast deine Oma über Marlene ausgefragt und sie ist nicht misstrauisch geworden, warum dich das plötzlich interessiert?“

„Nein, ich schwöre dir, sie hat nichts gemerkt. Ich bin ganz geschickt vorgegangen und vor allem diskret. Sie weiß nicht, dass du in Marlene verliebt bist.“

„Verrate mir mal, wie du das angestellt hast?“

„Das war gar nicht so schwer. Ich habe ihr einfach erzählt, dass ein Freund von mir für einen größeren Zeitungsartikel recherchiert, in dem es um Familiengeheimnisse geht. Da meine Oma in der Nähe von deiner Marlene wohnt, kennt sie deine Angebetete natürlich und ich hatte gehofft, dass sie auch etwas über Marlene und ihre Familie weiß. Und so viel kann ich vorweg sagen: Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht.“

„Und wie hast du es nun geschafft, dass sie nicht misstrauisch wird?“

„Ganz einfach, ich habe mich Schritt für Schritt herangetastet und sie erstmal über Marlenes unmittelbare Nachbarn ausgefragt. Dabei habe ich sehr interessiert getan, obwohl es mich nur bedingt interessiert hat, ich habe mir sogar Notizen gemacht, damit es realistisch aussieht. Das Highlight des Tages waren schließlich die Infos über Marlene. Ich kann dir nicht garantieren, ob tatsächlich alles stimmt, was meine Oma wusste, denn natürlich hat sie das meiste auch nur durch Gerüchte erfahren, aber du weißt ja, wie das mit Gerüchten ist. Ein Funke Wahrheit ist immer dran. Jedenfalls ist es ziemlich interessant, was ich über Marlene herausgefunden habe.“

Bevor Felix weiter sprach, zog er einen ziemlich mitgenommen aussehenden Zettel aus seiner Hosentasche.

„Ich habe mir extra alles aufgeschrieben, damit ich nichts vergesse.“

Nun hatte es Felix geschafft ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und Tilda konnte es kaum erwarten, bis er endlich weitersprach. Sie war so aufgeregt, was sie nun erfahren würde, dass sie eiskalte Hände hatte.

Nach einem kurzen Blick auf seine Notizen, fuhr er fort.

„Marlene war vor vielen Jahren mit einem Mann zusammen. Ob sie verheiratet war, wusste meine Oma nicht.“

„Dann ist sie also gar nicht lesbisch?!“, unterbrach Tilda ihren besten Freund und sie spürte beinahe wie ihr Herz schmerzhaft entzwei brach. Sie hatte also völlig umsonst gehofft, dass Marlene auch etwas für sie empfinden könnte. Hatte sie sich denn wirklich so geirrt? Hatte sie sich nur eingebildet, dass Marlene ebenfalls Interesse an ihr hatte?

„Jetzt sieh mal nicht gleich so schwarz. Es war ja noch gar keine Rede davon, dass sie nicht auf Frauen steht, denn jetzt wird es erst richtig interessant.“

„Mach es doch nicht so spannend, Felix. Was hast du herausgefunden?“

„Also pass auf. Es wurde damals erzählt, dass ihr Mann abgehauen ist, nachdem sie sich zwei Hunde angeschafft hatte. Ihr wurde nachgesagt, dass ihr die Hunde wichtiger waren als ihr Lebensgefährte und er sie deshalb verlassen hat. Er muss sie anscheinend auch überall ziemlich schlecht gemacht haben. Es wurde sehr übel über sie hergezogen. Die Zeit war nicht leicht für Marlene. Deshalb ist es nur verständlich, dass sie Angst hat sich ein weiteres Mal auf eine Beziehung einzulassen.“

Tilda konnte nicht so ganz nachvollziehen, warum Felix wegen dieser Informationen so aufgeregt gewesen war. Sie hatte eindeutig etwas anderes erwartet.

„Das heißt aber doch nichts“, meinte Tilda. „Es könnte die Lebensgeschichte von zig anderen Frauen sein. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt. Na und, das ist nichts Besonderes.“

„Nein falsch, er hat sich von ihr getrennt. Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied.“

„Was tut es denn zur Sache wer sich von wem getrennt hat? Am Ende läuft es doch auf dasselbe hinaus.“

„Wenn du dich da mal nicht täuschst“, erwiderte Felix. „Ich habe mir das alles mal durch den Kopf gehen lassen. Die Story ist hochinteressant. Ich habe schon oft gehört, dass Frauen sich ein Haustier zulegen, wenn sie in ihrer Beziehung unglücklich sind…“

Tilda setzte wieder dazu an etwas zu erwidern, doch Felix brachte sie mit einem Blick zum Schweigen und sprach rasch weiter. „Ehe du jetzt etwas sagst: Du hast recht, es ist nichts Besonderes, dass Marlene sich zwei Hunde zugelegt hat. Es muss nichts heißen, aber es könnte eine Bedeutung haben. Hast du dir mal überlegt, dass es auch einen anderen Grund dafür geben könnte? Stell dir vor, Marlene hat plötzlich gemerkt, dass sie überhaupt nicht auf Männer steht und weil sie es ihrem Mann nicht sagen konnte, hat sie sich die Hunde angeschafft und gehofft, ihn damit vergraulen zu können. Das ist ihr ja auch gelungen.“

„Das ist aber sehr weit hergeholt, findest du nicht?“

Felix schüttelte den Kopf und ging sogar noch einen Schritt weiter. „Vielleicht hatte sie sogar nie Interesse an Männern und hat sich nur auf diesen Mann eingelassen, weil es von ihrem Umfeld erwartet wurde.“

„Ich weiß nicht, Felix. Das klingt alles ziemlich unrealistisch.“

„Das mag sein, aber an jedem Gerücht ist etwas Wahres dran. Es ist nicht völlig abwegig, dass sie auf Frauen steht.“

„Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Es ist zwar mein größter Wunsch mit ihr zusammen zu sein, aber ich glaube das ist ziemlich unwahrscheinlich.“

„Aber die Gerüchte decken sich mit dem, was du erzählt hast. Wenn sie nicht auf Frauen steht, warum war sie dann so nervös, als du bei ihr warst?“

„Das ist es ja, was ich nicht verstehe und worüber ich die ganze Zeit nachgrübele. Warum war sie so nervös während unseres Gesprächs? Dafür gab es überhaupt keinen Grund. Sie führt solche Gespräche tagtäglich und das nicht erst seit gestern, für sie ist das nichts Besonderes mehr, Alltag eben. Deshalb muss es eindeutig mit mir zu tun gehabt haben.“

„Das klingt logisch. Es könnte aber auch sein, dass sie ein Problem mit lesbischen Frauen hat, möglicherweise Berührungsängste und das daher ihre Unsicherheit kam. So was soll es ja auch geben.“

Tilda schüttelte heftig den Kopf. „Nein, auf keinen Fall. Sie hat kein Problem damit, das hat sie mir oft genug versichert.“

„Siehst du, damit bestätigt sich doch meine Theorie. Vielleicht weiß sie wirklich schon sehr lange, dass sie auf Frauen steht und der Mann war nur ein Ausrutscher oder sie war bloß mit ihm zusammen, weil sie ihrer Familie etwas beweisen wollte.“

„Selbst wenn du Recht hast mit deiner Theorie, hilft mir das aber nicht weiter, denn es sieht ganz danach aus, als ob sie Angst davor hat, es könnte etwas Derartiges über sie an die Öffentlichkeit kommen. Ich glaube nicht, dass sie so schnell ihre Meinung ändern wird.“

Felix nickte zustimmend. „Wenn es wirklich so ist, ist es fraglich, ob sie sich überhaupt noch outet.“

„Du kannst einem wirklich Mut machen.“ Tildas anschließender Seufzer klang so abgrundtief verzweifelt, dass wahrscheinlich jeder Mitleid mit ihr gehabt hätte.

„Ich habe nicht gesagt, dass jetzt alles verloren ist. Du musst eben an ihr dran bleiben, ihr langsam aber sicher klar machen, dass sie von nun an ohne eine Frau an ihrer Seite nicht mehr leben kann und will.“

„Das ist leicht dahin gesagt und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen? Ich kann sie schließlich nicht zwingen ihr Leben zu ändern.“

„Nein, zwingen kann man niemanden. Sie muss es wollen und sie ganz allein entscheidet, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Du musst natürlich damit rechnen, dass dieser Zeitpunkt in ihren Augen nie kommt.“

„Du glaubst gar nicht wie zermürbend das ist. Es beschäftigt mich Tag und Nacht. Es könnte alles so einfach sein, wenn sie es bloß zulassen würde. Wir könnten glücklich miteinander sein.“ Tilda war erneut den Tränen nahe.

„Ich weiß, mein Herzchen.“ Felix legte tröstend seine Hand auf ihren Arm. „Manche Dinge brauchen eben einfach Zeit. Gib Marlene die Möglichkeit sich an den Gedanken zu gewöhnen, zeige ihr aber weiterhin, dass es dir ernst ist. An ihr dran bleiben solltest du auf jeden Fall, sonst denkt sie womöglich noch, für dich ist das alles bloß ein Spiel. Sie muss spüren, dass du es ernst meinst.“

„Ich hoffe es stimmt, was du sagst.“

„Wenn nicht, darfst du mich verklagen“, scherzte Felix und schaffte es, trotz der ausweglosen Situation, Tilda zum Lachen zu bringen. Das Beste, was einer Frau im Leben passieren konnte, war, einen schwulen Mann kennenzulernen.

„Was unternimmst du denn im Moment bezüglich Marlene? Schreibst du ihr oder hältst du dich zurück?“

„Das mit dem Zurückhalten klappt überhaupt nicht, obwohl ich mir das wirklich immer wieder vornehme. Zurzeit schreibe ich ihr mindestens einmal pro Woche, entweder eine SMS oder einen Brief, manchmal auch eine Karte.“

„Deiner Stimmung nach zu urteilen, ist das aber nicht sehr erfolgreich.“

„Nein, ist es auch nicht. Ganz egal, was ich ihr schreibe, sie reagiert nicht. Ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll. Ich weiß ja nicht mal, ob sie sich darüber freut oder nicht. Ich habe sie sogar gefragt, ob es sie stört, wenn ich ihr dauernd schreibe, aber nicht mal darauf gibt sie mir eine Antwort.“

„Wahrscheinlich hofft sie, dass es irgendwann genauso schnell wieder aufhört, wie es angefangen hat, wenn sie es nur lange genug ignoriert.“

„Na toll, dann steigere ich mich also doch nur in etwas hinein und sie will in Wahrheit gar nichts von mir.“

„Das ist eine Möglichkeit“, meinte Felix.

„Und welche ist die andere Möglichkeit?“

„Dass sie sehr wohl etwas von dir will, sich aber nicht traut es zuzugeben und deshalb hofft sie, dass du irgendwann das Interesse verlierst und sie sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen muss. In dem Fall würde für sie alles so weiterlaufen wie bisher und das hat ja immer ganz gut geklappt.“

„Aber das ist doch völlig unlogisch. Sie verzichtet freiwillig darauf glücklich zu sein, nur um Rücksicht auf andere zu nehmen.“

„Unter Umständen macht sie das schon ihr ganzes Leben so. Warum sollte sie plötzlich alles ändern, bloß weil du in ihrem Leben aufgetaucht bist?“

„Aber wenn doch sowieso jeder weiß, dass sie auf Frauen steht, kann sie es doch auch leben.“

„Woher soll sie wissen, dass es jeder weiß? Von den Gerüchten, die über sie im Umlauf sind, weiß sie ganz sicher nichts. Die Person, die von den Gerüchten betroffen ist, erfährt meistens als letzte davon oder nie.“

„Meinst du, ich soll sie mit den Gerüchten über sie konfrontieren? Ich meine, es wäre ihr gegenüber nur fair, wenn sie davon wüsste.“

Felix schüttelte den Kopf. „Das halte ich für keine gute Idee. Das kannst du machen, wenn ihr mal etwas vertrauter miteinander seid.“

„Aber vielleicht würde es helfen. Dann müsste sie keine Angst mehr haben, dass es jemand erfährt. Wenn es doch sowieso alle wissen…“

„Du musst tun, was du für richtig hältst. Wie gesagt, ich halte es für keine gute Idee, aber du machst ja sowieso was du willst.“

„Ich werde mal darüber schlafen, schließlich muss ich ja nichts überstürzen.“

„Richtig so. Du darfst Marlene auf keinen Fall überrumpeln. Für sie ist die Situation schon schwer genug. Vielleicht denkt sie sogar, dass du es ohnehin nicht ernst mit ihr meinst, wenn man mal euren Altersunterschied betrachtet. Sie wird sich fragen, warum du dich ausgerechnet für sie interessierst. Immerhin könntest du ihre Tochter sein. Das sind alles Punkte, die du berücksichtigen musst.“

„Ich weiß, und glaube mir, du willst nicht wissen, wie oft ich nachts wach liege und über all das nachdenke.“

„Ich kann immer noch nicht verstehen, dass du mir bisher kein Wort davon erzählt hast. Wir hätten schon viel früher darüber reden können.“

Schuldbewusst und um Verzeihung bittend, sah Tilda ihren besten Freund an. „Ich weiß, aber du warst so weit weg und außerdem musste ich selbst erstmal mit der Situation klar kommen. Das kam alles so unerwartet, weißt du? Wenn mir vor ein paar Jahren jemand vorausgesagt hätte, dass ich mich eines Tages in sie verlieben würde… das hätte ich selbst niemals für möglich gehalten.“

„Ich auch nicht, das kannst du mir glauben. Wenn ich daran denke, wie du früher über sie gedacht hast…“

„Man kann seine Meinung ja auch ändern. Ach Felix, was soll ich denn nur machen?“, seufzte Tilda.

Felix legte seinen Arm um Tilda und zog sie sanft an sich. „Herzchen, wir beide schaffen das schon. Ich bin ja jetzt wieder da und kann dir helfen und ich werde dir helfen. Wenn dein Herz so sehr an Marlene hängt, dann müssen wir unbedingt etwas unternehmen. Einen Vorteil hast du auf jeden Fall schon mal: Marlene ist Single und daran wird sich in nächster Zeit wahrscheinlich auch nichts ändern.“

Augenblicklich verkrampfte sich Tildas Körper in Felix Armen, was er natürlich sofort registrierte. Er schob Tilda von sich und blickte sie mit weit aufgerissenen Augen an.

„Sag jetzt nicht, es gibt doch jemanden an Marlenes Seite.“

„Ich weiß es nicht ganz sicher, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sie eine Partnerin hat.“ Sobald Tilda den Gedanken an Marlenes mögliche Lebensgefährtin zuließ, kam Panik in ihr auf, ihr Herz fühlte sich dann jedes Mal wie eingefroren an und sie zitterte am ganzen Körper. Es durfte einfach nicht sein.

Nachdem Felix seine Fassung wiedergefunden hatte, sagte er: „Wie bitte, und das sagst du mir erst jetzt? Das verändert alles. Wie kommst du darauf, dass Marlene in einer Beziehung ist?“

„Na ja, es gibt da eine Frau, bei der ich denke, sie könnte Marlenes Freundin sein. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um darauf zu kommen.“ Tilda machte eine Pause, weil sie nach den richtigen Worten suchte. „Seit einiger Zeit parkt immer mal wieder ein Auto mit fremdem Kennzeichen unten an der Straße, das einer älteren Frau gehört. Zuerst habe ich sie gar nicht weiter beachtet und sie auch nicht mit Marlene in Verbindung gebracht, aber eines Tages habe ich zufällig gesehen, dass sie zu Marlenes Haus gegangen ist.“ Erneut spürte Tilda einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen.

„Aber Marlene ist doch nicht die Einzige, die in dem Haus wohnt. Vielleicht besucht sie jemand anderen.“

„Dann erklär mir mal, warum sie jedes Mal, wenn sie da ist, mit Marlene spazieren geht. Weißt du, anfangs kam sie immer nur übers Wochenende, aber inzwischen bleibt sie manchmal sogar eine Woche oder länger. Es macht mich wahnsinnig, wenn ich weiß, dass sie da ist. Ich habe sie dann immer mit Marlene zusammen vor Augen. Manchmal bringt es mich beinahe um den Verstand, dass ich die Wahrheit nicht kenne. Wenn ich wüsste, dass sie vergeben ist, dann gäbe es keinen Grund mehr für mich mir Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft mit Marlene zu machen, aber im Moment lebe ich ständig mit dieser furchtbaren Ungewissheit.“

„Gibt es denn sonst noch irgendwelche Anzeichen, die deine Vermutung bestätigen? Hast du gesehen, dass sie sich geküsst haben oder gehen sie Hand in Hand spazieren.“

„Nein, das nicht.“

„Na also.“ Felix atmete erleichtert auf. Dann hast du doch gar keinen Grund dir Sorgen zu machen. Wenn sie das nächste Mal kommt, gibst du mir Bescheid, damit ich sie mir mal ansehen kann. Lass mich mal machen. Ich finde schon raus, ob sie Marlenes Partnerin ist.“

„Und wie willst du das anstellen?“

„Keine Ahnung, das entscheide ich dann aus der Situation heraus. Notfalls frage ich einfach bei Marlenes angeblicher Freundin nach.“

„Das kannst du nicht machen. Peinlicher geht es doch wohl nicht.“

„Und ob ich das kann, das wirst du schon sehen. Aber sieh das Ganze doch mal aus einer anderen Sicht. Wenn Marlene wirklich in einer glücklichen Partnerschaft wäre, dann hättest du es nicht geschafft sie so aus dem Konzept zu bringen, als du bei ihr warst. Oder würdest du nach anderen Frauen schauen, wenn du mit Marlene zusammen wärst?“

„Nein, dann wäre sie die Einzige für mich. In einer Beziehung will man schließlich die Eine sein und nicht eine von vielen.“

Felix nickte. Eigentlich war seine Frage überflüssig gewesen, denn er kannte Tildas Einstellung zu diesem Thema, aber nur so konnte er ihr verdeutlichen, dass sie mit ihrer Vermutung völlig falsch lag. „Siehst du, also entweder ist Marlene in ihrer Beziehung nicht glücklich oder die beiden sind überhaupt kein Paar und du machst dir ganz umsonst Sorgen.“

„Letzteres wäre mir eindeutig lieber.“

„Schon klar. Oh man, dein Leben ist echt kompliziert geworden. Gut, dass ich jetzt wieder da bin, um wieder Ordnung hinein zu bringen.“

Tilda schmiegte sich seufzend in Felix Arme. „Du hast doch immer gesagt, dass ich mir endlich eine Frau suchen soll.“

„Dass du es dir so schwer machen sollst, davon war allerdings keine Rede.“

„Wenn man sich das aussuchen könnte, wäre das Leben um einiges leichter.“

„Wem sagst du das“, erwiderte Felix gedankenverloren.

„Mit Yuri hattest du aber nicht solche Probleme, oder?“

„Nein, bei uns ging es eigentlich recht schnell und problemlos. Ich war gerade mal eine Woche in Rumänien, als wir uns kennengelernt haben und es war bei uns beiden Liebe auf den ersten Blick, aber das habe ich dir doch alles erzählt.“ Felix winkte ab. Er wollte Tilda nicht wehtun, indem er ihr von seinem Liebesglück vorschwärmte. Kaum jemand gab es zu, aber wenn man gerade mehr oder weniger unglücklich verliebt war, ertrug man glückliche Pärchen um sich herum nicht so gut.

„Ist das nicht irre? Du bist jahrelang durch alle möglichen Schwulenbars gezogen und hast keinen einzigen netten Mann kennengelernt. Da musst du erst ins Ausland, um deinem Traummann zu begegnen.“

„Manchmal geht das Leben seltsame Wege, aber Yuri konnte ich in unserer Stadt auch nicht kennenlernen, weil er nicht hier wohnt.“

„Habt ihr denn schon darüber gesprochen, wie es jetzt mit euch weiter geht? Du willst doch hoffentlich nicht umziehen.“ Zum ersten Mal seit Felix Yuri kennengelernt hatte, kam ihr dieser Gedanke in den Sinn. Auf keinen Fall wollte sie ihn verlieren, die einjährige Trennung war schon schlimm genug gewesen. Sie durfte gar nicht erst daran denken, dass das zum Dauerzustand werden könnte.

Felix konnte Tilda allerdings beruhigen. „Nein, keine Sorge. Yuri wird zu mir ziehen.“

„Das muss Liebe sein, wenn er sein ganzes bisheriges Leben aufgibt, um mit dir zusammen zu sein.“

„Na ja, sein bisheriges Leben war nicht ganz einfach.“