Berlin Incursion – Das unsichtbare Netzwerk - C. A. Roberts - E-Book

Berlin Incursion – Das unsichtbare Netzwerk E-Book

C. A. Roberts

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn die Hauptstadt zum Schlachtfeld wird – erleben Sie einen Thriller, der atemlose Spannung mit bedrückender Realitätsnähe verbindet. „Berlin Incursion“ ist kein gewöhnlicher Actionroman. Dieses Buch greift tief in die dunklen Abgründe einer gespaltenen Gesellschaft – und zeigt, was passiert, wenn Spezialkräfte zu letzter Hoffnung werden.

Klappentext: Ein Jahr ist vergangen, seit Kris Jäger und Griffin MacDonald die Terrororganisation „Kettenbrecher“ zerschlagen haben – ein brutaler Aufstand, der Berlin an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Doch der Frieden war trügerisch. Als plötzlich wieder gut koordinierte Angriffe stattfinden, ahnt Kris: Alte Feinde sind zurück – radikaler, organisierter und tödlicher als je zuvor. Die AHG7, eine verdeckte Eingreiftruppe, ist der letzte Versuch des Staates, das fragile Gleichgewicht zu retten. Doch was, wenn die Bedrohung längst viel tiefer reicht, als alle glauben?

Warum dieses Buch Sie nicht loslassen wird: „Berlin Incursion“ ist der gnadenlos realistische Nachfolger von Berlin Insurgency – geschrieben von zwei Autoren, die wissen, wovon sie erzählen. Als Veteranen mit Einsatzerfahrung und Berater für Sicherheitsdienste gelingt es C. A. Roberts, ein erschreckend plausibles Szenario zu zeichnen: Ein Deutschland am Rande des Bürgerkriegs, das zwischen Clan-Kriminalität, Bürokratie und radikaler Gewalt zerrieben wird. Dabei liefert der Roman nicht nur pure Action – er taucht tief in die Strukturen von Polizei, Spezialeinheiten und Geheimdienstnetzwerken ein, verwebt persönliche Traumata mit geopolitischen Manipulationen und zeigt, wie dünn die Trennlinie zwischen Ordnung und Anarchie sein kann. Hyperrealistische Taktik, detailgetreue Ausrüstung, moralische Konflikte – Berlin Incursion ist nichts für schwache Nerven, aber genau das Richtige für Leser, die mehr wollen als oberflächliche Spannung.

Warten Sie nicht – sichern Sie sich jetzt „Berlin Incursion“! Lassen Sie sich diesen kompromisslosen Militär-Thriller nicht entgehen. Klicken Sie auf Jetzt kaufen und tauchen Sie ein in ein Deutschland, das Ihnen den Atem rauben wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


C. A. Roberts

Berlin IncursionDas unsichtbare Netzwerk

Veteranenroman – Bundeswehr Veteran Kris Jäger ist zurück

EK-2 Militär

Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein Familienunternehmen aus Duisburg und jeder einzelne unserer Leser liegt uns am Herzen!

Mit unserem Verlag EK-2 Publishing möchten wir militärgeschichtliche und historische Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Haben Sie Anmerkungen oder Kritik? Lassen Sie uns gerne wissen, was Ihnen besonders gefallen hat oder wo Sie sich Verbesserungen wünschen. Welche Bücher würden Sie gerne in unserem Katalog entdecken? Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns und unsere Autoren.

Schreiben Sie uns: [email protected]

Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!

Ihr Team von EK-2 Publishing,

Ihr Verlag zum Anfassen

Disclaimer

Für ein realistisches Leseerlebnis werden in diesem Buch detaillierte Ausrüstungsgegenstände von Polizei und Militär beschrieben. Aus Sicherheitsgründen werden Einsatzverfahren nicht vollständig oder verändert dargestellt, um vor Missbrauch zu schützen. Die Autoren bitten um Verständnis.

Einige Charaktere im Buch basieren auf realen Personen, mit deren Erlaubnis. Alle anderen sind frei erfunden und jegliche Ähnlichkeit ist Zufall.

Sehr gern stellen wir Ihnen weitere Informationen zu Waffen und Ausrüstung, welche in unserem Buch eine Rolle spielen, zur Verfügung und verweisen dafür auf unsere Website.

Der Sprengfallenangriff

Kalt war der Tag, die Gasse war schmal

Feig der Verrat,

perfide die Tat,

stark war das Feuer und schwach war der Stahl.

Doch der Anschlag sollte nicht gelingen.

Mit Öl beklebt

haben sie überlebt,

erhobener Daumen und Michaels Schwingen.

Und konnten sie auch den Körper schwächen,

trotz Tage voll hadern

und wirr Formularen.

Den Geist vermochten sie niemals zu brechen.

Drum ergeben wir uns nicht an vergangenem Zorn,

halten die Augen nun stets mit Dir vorn,

immer bei Dir, keine Tat ohne Reue.

Deine Kameraden: Treue um Treue

RCM – 2014

Einleitung

Das kleine rostige Auto begann wild zu hupen, als der kleine Mann über die Straße ging. Die Ampel war zwar rot, aber der Fußgänger kannte Istanbul und wusste, dass es um diese Uhrzeit keinen Sinn hatte, auf die Verkehrszeichen zu achten. Wie erwartet, hörte der Wagen auch gleich mit dem Hupen auf und fuhr weiter. Eine dichte, stinkende Rauchsäule war alles, was es hinterließ. Der Mann war nun auf der anderen Straßenseite und setzte die schwere Einkaufstasche, die er trug, ab.

Seit ein paar Jahren schon lebte der 52-Jährige in Istanbul, obwohl er beruflich für ein ganz anderes Land verantwortlich war. Seine körperliche Erscheinung war nicht sonderlich auffällig und erregte im Allgemeinen wenig Aufsehen. Gerade in einer lauten und hektischen Stadt wie Istanbul ging er in der Menge unter, und selbst die Menschen, mit denen er sprach, konnten sich eine halbe Stunde danach kaum an ihn erinnern. Zu seiner geringen Körpergröße kam, dass er auch von schmaler Statur war, weil er wegen seines empfindlichen Magens nicht scharf oder viel essen konnte. Sein Essen kochte er deshalb immer selbst, und so musste er nun wohl oder übel die prall gefüllte Tasche in seine kleine Wohnung schleppen.

Die Dielen knarrten, als er endlich mit den Einkäufen schnaubend die Wohnungstür aufschloss. Genau wie er war das Appartement klein und unscheinbar. Im Schrank hingen nur ein paar alte Anzüge, alle in der gleichen Farbe, und auch im Bad befanden sich nur die nötigsten Hygieneartikel. Am besten ausgestattet war die Küche, wo er sich den Luxus von verzierten Tellern und Besteck leistete. Das Wohnzimmer wirkte ebenfalls leer, außer dem Fernseher und einem Laptop auf dem Tisch gab es keine Möbel.

Der Laptop! Es zog ihn zu dem Gerät hin, als ob er es kaum erwarten konnte, seinem lang geplanten Werk endlich Leben einzuhauchen. Trotzdem zwang er sich, erst einmal die Einkäufe in die Küche einzuräumen. Seine körperlichen Nachteile machten es notwendig, seine Emotionen unter strenger Kontrolle zu haben, um in seinem Beruf weiterzukommen. Er hatte sich damals keine Trauer erlaubt, als sein Vater starb, er verdrängte jeden Groll, als man ihn Mal um Mal bei Beförderungen überging, und verdrängte die hin und wieder plötzlich auftauchenden Gefühle von Einsamkeit in dieser Stadt, die ihm so wesensfremd war. Um sein emotionales Equilibrium zu finden, brühte er sich einen schwarzen Tee. Kaffee oder Alkohol vertrug er nicht, daher war der liebliche Tee aus Indien das einzige Getränk, das er mochte. Irgendwann saß er vor dem Laptop und dachte nach. Er würde heute lange wach bleiben müssen, um genauestens zu analysieren, wie er seinen Plan in die Tat umsetzen würde.

Er war vor etlichen Jahren nach seinem Studium beim Geheimdienst seines Landes in die Abteilung für Agitation versetzt worden und wurde wegen seiner guten Sprachkenntnisse dort für das Land „Deutschland“ zuständig. Zunächst erschien die Stelle vielversprechend und bot einen eigenen Etat sowie Zugang zu bestehenden Netzwerken mit hohen Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft. Dann gewann schleichend die digitale Subversion anderer Abteilungen immer mehr an Bedeutung, die mit grandiosen Zahlen belegten, wie sie immer effizienter und günstiger mehr Menschen beeinflussen können. Das Geld für seine Abteilung schwand und somit auch die Kontakte. Wie die Ratten das sinkende Schiff verließen, sprangen alle Mitarbeiter sukzessive in andere Abteilungen ab, bis er am Ende ganz alleine war. Die Arbeit war sein Leben gewesen und er hatte sich nie Zeit für Freunde oder eine Freundin genommen. Zu alledem wurde er auch noch nach Istanbul abgeschoben, um dort seine Arbeit fortzusetzen. Viele Kollegen hatten schon ihn oder seine Abteilung als Misserfolg abgeschrieben, aber da hatten sie den kleinen unscheinbaren Mann unterschätzt! Ganz allein hatte er alle relevanten Nachrichten über sein Zielland gesammelt, analysiert und gewartet.

Eines Tages entdeckte er das „Uniter“ Netzwerk, eine Sammlung von aktiven und ehemaligen Mitgliedern von Spezialkräften aus Polizei und Bundeswehr, das sich über die Zeit erweitert hatte. In Chatgruppen hatten sie sich ausgetauscht und Treffen organisiert, aber als alles an die Öffentlichkeit kam und man Ermittlungen einleitete, wurden Netzwerk und Chatgruppen geschlossen. Der ältere Geheimdienstler aber hatte sofort die Signifikanz und das Potential dieser Gruppe erkannt und umgehend einen der letzten Kontakte von früher benachrichtigt, die er noch hatte: Heinz Meyer, ein ehemaliger Polizist, der sich wegen seiner rechten Gesinnung im Zwangsruhestand befand, sollte ihm dabei helfen, ein neues, besseres und vor allem völlig geheimes Netzwerk aufzubauen. Meyer hatte schon auf eigene Faust versucht, eine nationalistische Widerstandsgruppe mit dem Namen „Wölfe Odins“ aufzubauen, aber außer einigen Treffen, die meist in Gelagen endeten, war nie etwas Ernsthaftes von der Organisation gekommen. Allerdings war er auch aktiv im Uniter-Netzwerk gewesen und konnte somit als erfahrener Proxy fungieren.

Bei ihrem ersten Treffen hatte der alte Mann ihm schweigend zugehört, schien ab und zu geschmeichelt und stellte Fragen: „Aber hat der deutsche Staat nicht seine Macht demonstriert, indem er die KETTENBRECHER zerschlug?”, fragte er provozierend, ohne den leisesten Akzent in seiner Landessprache. Heinz biss sofort an und sein dickes, frisch rasiertes Gesicht lief rot an.

„Weil die so getan haben, als ob das Gehirn der KETTENBRECHER ein Deutscher war!”, regte er sich auf und argumentierte gleich weiter. „Guck doch mal, was mit den ganzen Ölaugen passiert ist, da wurde doch im Anschluss keiner belangt, obwohl die doch auch die Polizei angegriffen haben. Da haben dann auf einmal alle Politiker Kumba Ya gesungen und alles vergessen. Ich sag es dir, die Clans spielen immer noch den großen Max und machen, was sie wollen. Am liebsten würde ich auch so eine AMTSHILFEGRUPPE gegen die aufmachen, echt … da machen bestimmt viele Kollegen mit.”

Das war genau der Satz, zu dem der alte Mann sein Gegenüber hatte hinsteuern wollen, und bald hatte er ihn so weit, selbst zu formulieren, was er sich ausgedacht hatte.

„Ich bin mir sicher, dass die deutsche Politik so etwas in Erwägung zieht. Immerhin schadet diese Art von Kriminalität nicht nur Deutschland, sondern auch anderen Ländern so wie meinem.” Heinz schob sich die Ärmel hoch, so sehr echauffierte er sich über dieses Thema.

„Nä! Alles linkes Gesocks, die wollen doch, dass Deutschland überfremdet. Da läuft leider nichts, selbst mit den Wölfen Odins ging nichts, kein Geld und keine Motivation bei den Leuten.”

Das war der Moment, nun hatte er Heinz so weit gebracht, dass er bereit für den Vorschlag war.

Mit Mühe lächelte er so charmant, wie er konnte, und nahm einen vertraulichen Ton an: „Was wäre denn, mein Freund, wenn die Leute glauben, dass alles im Namen des Staates passiert? Wenn sie in einer neu aufgestellten AMTSHILFEGRUPPE wären, würden sie dann bei unserer Sache helfen?” Der alte Ex-Polizist guckte verdattert und hatte das Konzept sichtlich noch nicht verstanden. Es musste noch nachgeholfen werden. „Wie ich gesagt habe, diese Kriminalität betrifft auch mein Land, daher könnte ich bestimmt aus meiner Abteilung Ressourcen freimachen. Damit könntest du tatsächlich deine eigene AMTSHILFEGRUPPE aufbauen, allerdings müssen alle stets im Glauben sein, dass alles vom Staat sanktioniert ist.” Nun fiel langsam der Groschen und Heinz kam sofort in Fahrt. Wo andere Menschen kritisch nach Motivation oder Realisierbarkeit nachgefragt hätten, spielte er bereits in seinem Kopf den Kampf gegen die Berliner Unterwelt durch: Patriotische Kämpfer gegen die wilden Horden muslimischer Verbrecher. „Es gibt doch bestimmt auch noch alte Connections, die du zu verschiedenen Behörden hast”, fuhr der alte Mann fort, „das wird unser Schwert und Schild zugleich sein. Aktive und ehemalige Polizisten, Soldaten und Kriminalbeamte… ein Netzwerk, das uns schützt, informiert und ausrüstet!“ Heinz war ganz Ohr.

Schritt für Schritt half ihm der erfahrene Geheimdienstler dabei, bis das „Yggdrasil“-Netzwerk konsolidiert war. Der Name kam von dem Weltenbaum aus den nordischen Sagen, dessen Zweige durch die verschiedenen Welten führten. Genauso sollte das Netzwerk alle Behörden und Ehemalige verbinden. Die geringen Mittel, die er hatte, setzte er geschickt ein, um den Anschein zu erwecken, dass er eine mächtige Eminenz sei. Sogar etwas von seinem eigenen Geld hatte er investiert, um einen Bekannten von Heinz aus Kuwait freizukaufen, der eine entscheidende Führungsrolle übernehmen sollte und im Gegensatz zum ehemaligen Polizeibeamten als Ex-Soldat Verbindungen zur Bundeswehr hatte. Bewusst klein gehalten, mit moderner Technik kryptierter Kommunikation und einem stetigen Nachrichtenfluss über die verschiedenen arabischen Familienclans in Berlin entstand so Schritt für Schritt eine hochmotivierte und gut ausgerüstete paramilitärische Truppe. Jeder Einzelne hielt Kontakt zu den in den Behörden noch aktiven Freunden, die über die aktuellen Geschehnisse bei Polizei und Bundeswehr informieren konnten. Geduldig pflegte der kleine Mann aus Istanbul über ein Jahr lang dieses Netzwerk und brachte durch Heinz die Echokammer immer wieder geduldig auf das Thema der arabischen Clans in Berlin zurück, wenn die Diskussion zu weit abzuschweifen drohte. Bald musste er nicht mehr steuern. Vertrauliche Informationen aus Behörden, Profile der Hauptakteure und Strukturen wurden nun bereitwillig geteilt. Auch waren inzwischen genug Freiwillige für die neue AMTSHILFEGRUPPE im Netzwerk. Sie waren bereit.

Wieder einmal saß der kleine Mann bei einer Tasse Tee, immer bedacht, sein weißes Hemd nicht zu bekleckern. Lange hatte er mit wenig Ressourcen an diesem Netzwerk gearbeitet und es hatte sich ausgezahlt. Als vor einem Jahr in der Öffentlichkeit bekannt wurde, wie die KETTENBRECHER in Berlin agiert hatten, investierte die Bundesregierung mehr, um jegliche Einflussnahme von außen zu verhindern, vor allem im Bereich der Information an die Bevölkerung. Seither ist digitale Subversion immer schwieriger geworden, gerade auch für das Land des kleinen Mannes und das ausgerechnet in einem Augenblick, wo es die Aufmerksamkeit Deutschlands nicht gebrauchen konnte. Er war zu einem Treffen der Divisionsleiter eingeladen worden, zu denen er technisch noch gehörte, obwohl er alleine war.

„Was können wir tun?“ war die Frage des Direktors. Es folgten die üblichen Ideen, die mehr auf Hoffnung als auf Fakten basierten. Selbst die mühselig präsentierten Zahlen der Internet-Trollfabrik konnten nicht überzeugen.

Aber nun war seine Zeit gekommen und er stellte sein Konzept vor. Viel kosten würde sie im Vergleich zu den anderen Operationen nicht, und durch den Proxy würde auch kein Verdacht auf sein Land fallen, sollte alles doch auffliegen. Als sein Vorschlag genehmigt wurde, musste er seine Freude unterdrücken und so blieb ihm nur, sich unter dem Tisch ins Bein zu kneifen. Niemand sollte sehen, wie viel ihm diese Operation wirklich bedeutete, nicht die anderen Divisionsleiter und schon gar nicht der Direktor. Noch heute, zwei Tage später, ist der blaue Fleck noch zu sehen. Nun saß er ruhig vor dem Laptop und schrieb an seinen Proxy Heinz, der sich den Decknamen „Allvater“ gegeben hatte. Die Nachricht war kurz: „Operation Yggdrasil ist aktiv. Handlungsplan Alpha“. Langsam trank er aus seiner weißen Tasse mit dickem goldenem Rand und berechnete sein weiteres Vorgehen.

Erster Abschnitt – Subversion und Proxy

1 – Zivilunken –

Kris hatte sich inzwischen an das Klima in Deutschland gewöhnt. Im letzten Jahr hatte er zur gleichen Zeit unter dem kalten, nassen November gelitten und auch dem Rest des Winters nicht viel abgewinnen können. Trotzdem hat er die grüne Natur, die er so vermisst hatte, genossen, wenn er – angezogen wie auf einer Polarexpedition – in Deutschland, Polen und Rumänien Waldwanderungen gemacht und manchmal auch gejagt hatte. Dabei musste er überrascht feststellen, dass seine Trefferquote durch die mangelnde Vertrautheit mit der Landschaft nicht so gut war wie sonst. Er hatte sich so sehr an die karge Landschaft in der ariden Levante gewöhnt, dass er im dichten europäischen Wald oft die Schussentfernung zu kurz einschätzte und anfänglich sogar auf einen Entfernungsmesser zurückgreifen musste, was ihn ärgerte, da es Zeit kostete. Man gewöhnt sich aber an alles und mit der Zeit wurden auch Kris’ Schätzungen besser. Den Laserentfernungsmesser nutzte er inzwischen immer weniger. Aber seit seiner Rückkehr nach Deutschland war nicht alles gewöhnungsbedürftig gewesen. Das kleine Haus in Berlin, das er zusammen mit Melike gekauft hatte, war schon gemütlich eingerichtet und er war immer wieder aufs Neue überrascht, wie schnell es ihm nach Jahren des Dauerstresses in jeglicher Hinsicht besser ging.

„Die MacDonalds kommen bestimmt in fünf Minuten!“, rief er an dem kalten Novembertag nach unten in den Flur. Kris kannte Griffins Pünktlichkeitsfimmel und war sich sicher, dass er zehn Minuten vor dem besprochenen Termin klingeln würde.

„Ich mach mich noch fertig, schau bitte nach dem Essen!“, kam die Antwort aus dem Schlafzimmer.

Kris machte sich auf den Weg in die Küche. Das ganze Erdgeschoss ihres neuen Zuhauses war praktisch ein großer Raum, der Küche und Wohnzimmer beherbergte. Von der Kochinsel aus konnte man ungehindert durch die große Terrassentür in den kleinen Garten schauen. Dort lagen die letzten Anzeichen des bunten Herbstes in allerhand gelblichen und rötlichen Schattierungen umher. Kris hielt kurz inne und nahm das Bild in sich auf. Auch nach einem Jahr hatte er sich immer noch nicht an den Wechsel der Jahreszeiten und die einhergehende Farbenvielfalt gewöhnt. Es sah friedlich aus, aber innerlich fragte er sich, ob er nach all dem, was er die letzten zehn Jahre mitgemacht hatte, es überhaupt verdient hatte, glücklich zu sein. Wie lange würde es noch dauern, bis er wirklich angekommen ist oder würde er überhaupt je richtig ankommen? Er riss sich selbst aus seinen Gedanken und verbannte diese Zweifel in eine tiefe Ecke seines Geistes. Stattdessen begab er sich zur Arbeitsfläche, wo ein Kochtopf wohlduftend vor sich her kochte. Melike und Kris hatten sich entschieden an diesem Abend Biryani zu kochen, ein Reisgericht, das Griffin und Kris zum ersten Mal, während ihrer Bundeswehreinsätze in Afghanistan kennengelernt hatten. In dieser Hinsicht war es eine bedeutungsgeladene Mahlzeit. Bei Griffin und Kris weckte es Erinnerungen an den Einsatz, bei Melike an die Heimat. Es würde also bestimmt nicht an interessanten Gesprächen mangeln.

Kris hob vorsichtig den Topfdeckel an und schaute, ob der Reis wie gewünscht am Kochen war. Er kostete und fügte dann noch ein wenig Kardamom und Fenchelsamen hinzu. Melike lieferte die authentischen Rezepte für die Gerichte, aber es war Kris, der eine Leidenschaft für das Kochen entwickelt hatte. Er mochte die Präzision, die man benötigte, angefangen bei den Zutaten und der Vorbereitung bis hin zum Timing. Kochen war für ihn irgendwie genauso meditativ wie das Schießen auf weite Distanz und außerdem mochte er es, mit den Küchenmessern zu hantieren. Während er über das Gericht wachte, nahm er abwesend ein handgefertigtes Küchenmesser vom Schneidebrett, das er kürzlich in Istanbul an einem romantischen Wochenende mit Melike gekauft hatte. Er ließ es gerade in Gedanken versunken durch die Finger seiner rechten Hand wirbeln, als sich Melike von hinten näherte.

„Na, spielst du schon wieder mit Messern?”, neckte sie ihn. „Es riecht köstlich. Langsam hast du den Dreh mit den Gewürzen raus.” Aus seinen Gedanken gerissen, fand sich Kris sofort in der Gegenwart wieder. Vorsichtig legte er das Messer zurück auf das Brett, bevor er sich umdrehte. Sie waren jetzt schon seit über einem Jahr ein Paar, aber es kam ihm so vor, als ob sie sich schon ein Leben lang kannten. Er konnte immer noch nicht glauben, wie glücklich er mit ihr war. Als sie bis auf wenige Schritte an ihn herangetreten war, zog er sie an sich und sie küssten sich innig. Melike löste sich als Erste und sagte mit einem Zwinkern: „Na, na, wir wollen uns doch vor dem Essen nicht den Appetit verderben und außerdem kommen die Gäste gleich. Zieh doch bitte noch das blaue Hemd an, das ich so mag. Ich hab es dir oben bereitgelegt.“ Im Obergeschoss angekommen, hörte er ein Auto auf die Einfahrt fahren. Kris schmunzelte leicht, als er auf die Garmin Tactix-Uhr an seinem Handgelenk schaute: Zwölf Minuten vor der Zeit. Beim Anziehen des Hemdes betrachtete er sich kritisch im Spiegel. Mit seiner fast 1,90m Größe war er immer noch kräftig gebaut, wenn auch inzwischen wieder etwas „bequemer” um die Hüften, als ihm lieb war. Die Tätowierungen aus den verschiedenen Kulturen, in denen er gelebt hatte, und Narben aus vergangenen Gefechten verschwanden, als er das Hemd überwarf und sein kurzes hellblondes Haar noch einmal ordnete. Mit jedem Knopf, den er zuknöpfte, erinnerte er sich an die Stationen seines Lebens: Gebirgsjägeroffizier, frühe Hochzeit, Einsätze, Contractor, Sicherheitsmanager, Scheidung. „Großartig!“ Aber die beiden Manschettenknöpfe, die er zuletzt anlegte, erinnerten ihn an die letzten beiden Schritte in seinem Leben: AMTSHILFEGRUPPE 7… Melike. Zufrieden ging er die Treppe hinunter, um den Besuch zu empfangen.

Die Kinder kamen wie Rammböcke auf ihn zugeschossen und warfen ihn mit ihrer heftigen Umarmung fast um. Kris vermutete, dass das es ihr Ziel gewesen und sie ihm zeigen wollten, wie stark sie inzwischen waren.

„Langsam, langsam“, beschwichtigte er die beiden. „Wenn ihr so viel Energie habt, könnt ihr mir beim Tischdecken helfen.“ Das schien die beiden dann doch wieder zu beruhigen. Nun hatte er Zeit Lucia und Griffin zu begrüßen. Lucia umarmte ihn herzlich und ging sofort zu Melike, um die Mitbringsel zu überreichen. Griffin sah irgendwie verändert aus, er war schlanker, seine Kleidung war teurer als früher. Als er vor einem Jahr seine Kündigung einreichen wollte, schlug man ihm stattdessen eine Beförderung zum Chief Security Officer vor. Der Geschäftsführer, ein ehemaliger Offizier wie er, hatte schon vorher ein Auge auf den dynamischen Manager geworfen und konnte sich die Beurlaubung seines Mitarbeiters mit dem Niedergang der KETTENBRECHER zusammenreimen. „So jemand wie dich brauche ich an der Spitze!“ hatte er in seinem Büro zu Griffin gesagt und ihm einen dicken Signingbonus in Aussicht gestellt. So blieb Kris‘ bester Freund doch bei seinem Krawattenjob und stieg in die C-Suite auf.

„Gut siehst du aus“, war Kris’ Kompliment, da man sah, dass Griffin nun wieder regelmäßig Sport machte und tatsächlich seit neustem auf seine Ernährung achtete.

„Danke“, erwiderte dieser und umarmte ihn kräftig. „Du musst mir alles von deiner Jagdreise in Rumänien erzählen“, fing sein Freund gleich an, als er sich die Jacke auszog, „das war doch bestimmt ein Traum.“ Griffin und er kannten sich schon lange und waren gleichzeitig ähnlich und doch verschieden. Der ehemalige Fallschirmjäger war durchschnittlich groß, aber stämmig. Er trug seit langem einen Vollbart, um sein rundes Gesicht etwas zu strecken und, wenn er lachte, tat er es mit dem ganzen Gesicht. Die beiden waren zusammen schon durch etliche brenzliche Situationen gegangen und vertrauten sich blind.

Die Kinder waren mit den beiden Frauen trotz des kühlen Wetters im Garten und spielten, und so konnten sich die beiden Freunde unter vier Augen unterhalten. Kris bemerkte die teure Panerai-Uhr an Griffins Handgelenk, als dieser den Whisky eingoss. Er freute sich für seinen Freund, weil er wusste, dass er und seine Familie nach der Militärzeit andere karge Zeiten durchgemacht hatten.

„Unser letztes Treffen ist wieder viel zu lange her“, fing Griffin an und reichte ihm das eine Whiskyglas. „Jetzt bist du endlich wieder in Deutschland und wir sehen uns trotzdem kaum.“

Kris nickte. „Ich brauchte einfach mal den Kopf frei nach all den Jahren, und nach der ganzen Sache letztes Jahr.“

Sein Freund setzte sich in den Sessel neben ihm, die Augen ernst, obwohl er lächelte. „Ja, das war eine ganz schön knappe Sache damals. Das Bein funktioniert aber wieder hundert Prozent“, spielte er auf seine Schussverletzung im letzten Jahr an.

„Und du hast wirklich nur noch San Pellegrino-Wasser getrunken?“, fragte Kris amüsiert, weil er sich erinnerte, was Lucia ihm geschrieben hatte.

„Natürlich!“, verteidigte sich Griffin. „Pellegrino Laziosi ist immerhin der Schutzpatron bei Beinleiden … hat doch auch geholfen.”

„Das beruhigt mich auch sehr, Mac.“

„Wie geht es eigentlich den Tufan Jungs, hoffe, es gab nicht zu viel Ärger wegen des Drone Operators?“ Kris dachte kurz an das Erlebte. Kriminelle und Veteranen zusammen gegen die Polizei. Mit Maschinengewehren, Drohnen und Social Media. Letztlich war es das Eingreifen der Bürger selbst, die die Insurgency zerwarf. Tufan, afghanisch für Sturm, nannten sie sich und kämpften tapfer in Straßenschlachten gegen die aufständische Gruppe. Als sie den Drohnenkontrolleur in die Finger bekamen, der sie aus sicherer Entfernung mit einem Sprengsatz töten wollte, erschlugen sie ihn auf der Stelle.

„Soweit ich weiß, dauern die Ermittlungen dazu noch an.“

„Ist es komisch, dass ich die Zeit vermisse?“, fragte Griffin. „Mark, Ant, das ganze Team. Es war überwältigend, aber im Vergleich zu dem, was ich jetzt mache…“

„Ich verstehe dich absolut, aber ich muss jetzt zusehen, dass ich wieder in meiner alten Heimat ankomme. Ohne Maschinengewehrfeuer.“ Sie erhoben ihre Gläser.

„Auf die AHG7“, schlug Kris vor.

„Auf eine verrückte, aber tolle Zeit!“ beendete Griffin.

*

Nach dem gelungenen Abend mit seinem Freund war Kris am nächsten Morgen motiviert zu einem Vorstellungsgespräch nahe des Hackeschen Markts gefahren. Es war für ihn neu wieder S-Bahn zu fahren, und mit Anzug und Krawatte die Straße entlangzugehen. Immer wieder musste er sich selbst daran erinnern, dass er jetzt wieder in Deutschland war. Leider verlief das Interview nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.

„…aber Sie brauchen doch die deutsche Zertifizierung dafür.“ Der schmächtige Mann vor ihm redete mit einer monotonen Stimme und verstand einfach nicht, was Kris sagte. Kris’ Puls erhöhte sich rasch und die Ader auf seiner Stirn schwoll an. Obwohl Griffin ihn bei sich im Konzern unterbringen wollte, war es Kris wichtig, erst einmal eigene Wege zu gehen. So saß er in seinem ersten Bewerbungsgespräch zum Sicherheitsmanager und drückte verkrampft seine Finger in seine Oberschenkel. Dieser blutleere Erbsenzähler, der von Sicherheit keine Ahnung hatte, verstand nicht, dass er für seine Arbeit in den Krisengebieten für mehrere internationale Organisationen keine deutsche Zertifizierung hatte, beziehungsweise brauchte. „Sie können doch unmöglich Sicherheitsmanager sein, wenn Sie nicht zertifiziert sind“, wiederholte das Männchen mantraartig immer wieder in belehrendem Ton.

„Ich hab doch jahrelang nach all den internationalen Standards gearbeitet und bin auch entsprechend zertifiziert!“, versuchte der ehemalige Gebirgsjäger gezwungen ruhig zu argumentieren.

„Ja, international, aber nicht deutsch… Sie brauchen die Zertifizierung dafür.“

Kris verzog seinen Mund zu einem verkrampften Lächeln und sprach nun langsam und überdeutlich: „Welche Risikomanagementrichtlinie gilt denn für die deutsche Zertifizierung?“ Das Gegenüber kramte in seinen Unterlagen, da er diese Fachfrage so nicht beantworten konnte.

„Ah…die ISO31000“, las er von einem Blatt.

Nun lehnte sich Kris zurück und sagte gelassen: „Sehen Sie, und ich bin ISO31000 zertifiziert, alles in Ordnung.“ Der Mann vor ihm guckte ihn ungläubig an und rückte seine Brille zurecht.

„…aber Sie brauchen doch die Deutsche Zertifizierung dafür.“ Kris stellte sich darauf ein, dass das Bewerbungsgespräch noch dauern wird und begann mit denselben Atemtechniken, die er als Scharfschütze nutzte, um seinen Puls zu verlangsamen und sich im Zaum zu halten. Zu dem Zeitpunkt war ihm nicht bewusst, dass er nicht der Einzige war, der vor Herausforderungen stand, um sich im Zivilleben zurechtzufinden.

*

Das Münchner Bürogebäude sah aus wie jedes andere Corporate Office. Offene weiße Räume mit motivierenden Leitsprüchen und Vielfaltsbekundungen in bunten Lettern an den Wänden. Sitzecken mit Tischen in knalligen Farben und kleine gläserne Räume, in denen man ungestört Meetings abhalten kann.

„Aber da kann man doch mal drüber hinwegsehen!“, versuchte die junge Managerin die beiden Männer zu beschwichtigen. Einer davon war ein neuer Mitarbeiter nigerianischer Abstammung. Er war vom Site Security-Leiter Mark beobachtet worden, als er sich ein paar von den bereitgestellten Getränken mit nach Hause nehmen wollte. Mark wollte die Office Policy durchsetzen, die so etwas explizit verbot, und befahl in seiner schroffen Art dem Mitarbeiter, die Getränke zurückzustellen. So fing der Streit an.

„Der guckt immer nur auf mich wegen meiner Hautfarbe!“, monierte der Mitarbeiter. „Andere nehmen doch auch Getränke mit nach Hause!“

Mark lief rot an: „Du kannst mal deine fiese Schnauze halten, du Lappen. Ich sehe dich hier nur rumheulen und nicht die Flaschen zurückstellen!“ Die Situation drohte zu eskalieren, als der Mitarbeiter jetzt auch noch eine trotzige und aggressive Haltung einnahm.

Eine unerwartete Nachricht unterbrach die beiden Streithähne. „Security! Schnell! Im Foyer wird unser Tech-Leiter bedroht!“, schrie ein junger Mann im Star Wars T-Shirt, der aussah, als ob er noch minderjährig sei. Mark fixierte ein letztes Mal den Flaschendieb.

„Wenn ich zurückkomme, ist alles wieder an seinem Platz, kapiesch?“ bellte er und stapfte dem Mann hinterher, der ihn die Treppe runter zum Ort des Geschehens führte. Ein hünenhafter Mann in Anzug und Krawatte schüttelte gerade einen anderen Mann durch, der nicht viel imposanter aussah als der Mann, der Mark alarmiert hatte. Der wütende Anzugträger beachtete den Sicherheitsleiter nicht und schimpfte auf sein Opfer ein.

„Mein nagelneuer Benz! Das warst bestimmt du mit diesem schwulen E-Roller! Hab dich doch gesehen, wie…” Der Grund war Mark egal. Er ging auf den großen Mann zu, ohne langsamer zu werden und trat mit aller Kraft von hinten in die Kniekehle des Aggressors. Als das Knie nachgab und das Bein einknickte, packte Mark den Wüterich am Kopf, der nun bequem auf seiner Höhe war, und riss ihn mit dem gesamten Körper nach hinten. Dank seiner schweren Masse krachte der Angreifer schmetternd auf den Teppich in den Firmenfarben. Bevor er reagieren konnte, kniete Mark auf seiner Brust und wickelte die Hand um die Krawatte.

„So, du Grattler“, drohte ihm der Halb-Südafrikaner, dessen Mutter aus Bayern kam, und ihn in einigen Situationen in den bajuwarischen Dialekt abgleiten ließen. „Wenn du nicht gleich abhaust, dann kracht‘s richtig. Verstanden?” knurrte er mit der Aggression eines Pitbulls. Der Angreifer war größer und schwerer, merkte aber gleich, dass er hier besser gehen sollte.

„Das hat noch ein Nachspiel!“ schimpfte er, als Mark ihn losließ und er so schnell er konnte durch die gläserne Drehtür entfloh. Der Flaschendieb, der das Ganze von der Treppe aus mit ansah, flitzte so schnell er konnte zurück zur Getränkeecke, um die Flaschen zurückzustellen.

„Na, alles fit?“, fragte Mark grinsend, als er zum Tech-Leiter ging. Dieser blickte ihn allerdings völlig entgeistert an.

„Mark, was war das denn gerade?“ fragte er, die Kleider noch ganz zerzaust von der Konfrontation. Das überraschte den ehemaligen Contractor.

„Na, ich hab dir geholfen, bevor dir der Hirte da eben die Fresse polieren konnte“, erinnerte Mark das Opfer.

„Ja, aber nicht mit Gewalt. Wir haben eine Zero-Violence-Policy. Das weißt du doch!“

„Was hätte ich denn tun sollen, ihn mit ‚bitte, bitte‘ davon abhalten, dir die Kauleiste umzupflastern?“

„Wir rufen bei sowas die Polizei an!“

„Und wann wäre die gekommen?“ Mark blickte sich um und sah jetzt auch die erschrockenen Blicke der anderen Mitarbeiter.

„Es tut mir leid, Mark, ich werde darüber mit der Personalabteilung sprechen müssen.“, flüsterte der Tech-Leiter und entfernte sich so schnell er konnte.

Mark war noch nicht einmal sauer, sondern schlenderte zur Rezeption, an der ein Security Guard saß. „Egal, was die sagen, Mark, ich fand‘s Klasse!“, motivierte ihn die erfahrene Security-Frau mit den pink gefärbten Haaren.

„Danke, danke. Ich brauche eine Pause nach all dem Mist“. Er griff neben den Bildschirm mit den Videoaufnahmen und nahm sein Pfeifenetui. Draußen setzte er sich auf eine Bank und genoss die frische Luft. Der mittlerweile seltener werdende Sonnenschein, der ab und zu durch die Wolken kam machte das kalte Wetter etwas erträglicher. „Jetzt werde ich entlassen, weil ich Leuten helfe“, dachte er. All die Jahre beim Militär, als Contractor und zuletzt bei der AHG7, immer wurde er für seine Fähigkeit kontrollierte Gewalt anzuwenden bezahlt. Wie Griffin wollte er nun wechseln, um mehr für seine Kinder da zu sein. „Aber kann ich das schaffen? Wenn das bisschen Fratzengeballer eben schon zu viel war?“ Er paffte an seiner Pfeife und sinnierte noch eine Weile über seine Optionen. Arbeiten im Ausland würde mehr Geld bringen, ihn aber wieder von den Kindern wegreißen. Als Leibwächter wäre er auch nur auf Achse, außerdem fühlte er sich dabei immer mehr als Kammerdiener verwendet als ein Experte für Personenschutz. „Kein Plan, wie es weitergehen soll, vielleicht sollte ich mal Griffin fragen, ob er Kontakte hat.“

2 – Das Netzwerk –

Sören blieb einen Augenblick außerhalb des Flughafens stehen, bevor er in das bereitstehende Auto stieg. Kalter Wind und Regen, wie hatte er das vermisst! Das einseitige heiße Klima in Kuwait steckte ihm noch in den Knochen. Sehr vielversprechend hatte die neue Stelle dort angefangen – als Sicherheitsberater für die Handwaffenbeschaffung der Polizeispezialkräfte des Landes. Gutes Geld und luxuriöses Ambiente. Als er dann noch die Möglichkeit hatte, mit seinem Zugang zu Waffen ein kleines Vermögen für sich selbst an Land zu ziehen, war er Feuer und Flamme gewesen. Kaum Arbeit und genug Geld, um in den Ruhestand zu gehen. Seine Miene verfinsterte sich, als er an seine beiden Kollegen dachte: Kris Jäger und dieser Halb-Ami Griffin MacDonald. Als sie ihm auf die Schliche kamen, hatte er ihr Schweigen erkaufen wollen, aber sie hatten ihn bei dem Polizeikontakt gemeldet. Schneller als er reagieren konnte, war er nicht nur sein angespartes Geld los, sondern musste ins Gefängnis. Zwar organisierte sein Sponsor, der örtliche Arbeitgeber, seine Entlassung, brachte ihn aber mit einem Berg Schulden in eine sklavenähnliche Abhängigkeit. Doch dann hat ein Telefonat seines alten Kameraden Heinz Meyer alles verändert: Plötzlich war er nicht nur seine Schulden los, er hatte nun auch die Chance, sich an den beiden Männern zu rächen, die ihm damals alles genommen hatten.

Um ihn herum suchten die Leute unter Schirmen Schutz vor dem Regen, aber er genoss die Tropfen in seinem Gesicht und den Windchill-Faktor, der langsam einsetzte. „Los, komm jetzt!“, maulte jemand aus dem Auto, „zuregnen lassen kannst du dich auch später.“ Der kräftige Blonde grinste und ließ sich beim Einsteigen Zeit.

„Sechs Jahre in der Wüste, lass mich den Regen genießen“, sagte er und fixierte den Mann, der gemeckert hatte. Heinz, der mit einem anderen Mann auf dem Rücksitz saß, und er hatten gemeinsam entschieden, die Details seiner Abwesenheit und Rückkehr im Unklaren zu lassen, so konnte Sören mit kryptischen Beschreibungen wie „Wüste, Sandkiste oder Indianerland“ den Eindruck erwecken, dass er ein knallharter Contractor gewesen war und nicht ein Betrüger, der ertappt wurde. Es wirkte, der Mann am Steuer blickte zu Boden und entschuldigte sich.

Heinz versuchte die Stimmung zu lockern: „Sören, wir haben da etwas, das deine Stimmung heben wird. Es gibt gleich einen ordentlichen Schweinebraten! Auf deinen ganzen Reisen durch gefährliche Gegenden hast du sowas doch bestimmt sehr vermisst.” Es hatte den gewünschten Erfolg. Sören lehnte sich nun entspannt in seinen Sitz und genoss die neugierigen Blicke, die nun wissen wollten, was dieser kräftige Kerl alles gemacht und erlebt hatte. Lügen fielen dem Egozentriker nur zu leicht, aber er wusste, dass er sich nicht dazu hinreißen lassen durfte, zu viele Details zu verwenden.

„Naja, nach meiner letzten Aktion hat mich ein CEO als Dank zu Schweinemedaillons eingeladen”, schwindelte er mit überlegenem Lächeln, „aber auf deinen Braten freue ich mich trotzdem.” Bevor ihn jemand noch weiter nach dieser ominösen Aktion befragen konnte, setzte er sich schnell Kopfhörer auf und betrachtete das verregnete Brandenburg um Berlin durch das Autofenster. Egal, was Heinz mit ihm plante, er hatte seine eigene Agenda und würde nicht eher ruhen, bis er Kris und Griffin unter die Erde bringen würde. Sollte er sich dabei durch das Yggdrasil-Netzwerk noch etwas bereichern können, würde er auch diese Chance nicht verpassen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen sie in einem der vielen Neubaugebiete an, die außerhalb von Berlin wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Besonders junge Familien zog es in den „Speckgürtel”, denn im Gegensatz zur Hauptstadt, wo der Wohnraum immer teurer wurde, war ein Haus hier noch erschwinglich. Auch Heinz hatte hier ein Haus gekauft, das haargenau so aussah wie jedes andere in der Gegend. Sören bemerkte beim Aussteigen enttäuscht, dass der Regen nachließ. Dafür stieg ihm auch schon der Duft des Schweinebratens in die Nase und er musste sich eingestehen, wie sehr er solch einen Leckerbissen vermisst hatte. Seine Ablehnung von ausländischem Essen sowie sein Bedarf an Protein, um seinen Körper muskulös zu erhalten, ließen in Kuwait nur wenig Spielraum bei der Auswahl der Gerichte. Im Esszimmer angekommen, traf er nun auch die anderen Männer und bei der Begrüßung versuchte er, die Gesichter mit den Informationen zu verbinden, die Heinz ihm bereits vorher geschickt hatte. Vorsichtshalber waren beim heutigen Treffen nur Heinz, Sören und die drei Führer der Angriffstrupps dabei. Mit Frank und Ede war er ja bereits im Auto gefahren und nun traf er Siggi und dessen alten Bekannten Vincent. Von vornherein hatte der alte Mann ihnen geraten, Codenamen zu verwenden. Bereits bei der Kontaktaufnahme wusste daher jeder, dass sie sich nur noch unter diesem Alias zu melden hatten. Somit könnten sie niemals die echten Namen ihrer Kameraden preisgeben. Sie stellten sich gegenseitig vor und gaben sich die Hand, wobei Sören jedes Mal so fest drückte, wie er konnte, um gleich seine Dominanz zu festigen. Der Mann mit dem Decknamen „Siegfried“ war der erste.

„Siggi“, stellte er sich salopp vor, seine Augen halb geschlossen.

„Ein alter Bulle“, registrierte Sören, „deine kesse Art werden wir auch noch kleinkriegen. Mal sehen, was du wirklich draufhast.“ Den nächsten Mann, Thor, musterte er schon gnädiger.

„Ehemaliger Militärpolizist. Keine imposante Statur, aber hält sich militärisch akkurat. Ebenfalls kräftiger Händedruck, aber nicht zu dominant. Wenn du jetzt noch loyal bist, dann kommen wir gut miteinander klar.“

Auch der letzte Mann gefiel ihm. „Codename Tiger, ehemaliger Bundespolizist, gebaut wie ein Kickboxer. Fabelhaft“, bewertete Sören den letzten Teamleiter. „Da scheinen wir ja gute und motivierte Anführer zu haben. Nach dem Essen werde ich nochmal sehen, wie die Jungs drauf sind.“

Nach dem Essen, bei dem nur Sören und Heinz redeten und lachten, saßen sie nun beim Bier und besprachen den Grund, warum sie alle hier waren. Obwohl Heinz der Einladende war, ergriff Sören sofort das Wort, was den älteren ehemaligen Polizeibeamten aber nicht störte. Dazu hatte er ihn ja schließlich aus Kuwait freigekauft.

„Also, Männer, was wir heute besprechen, ist streng geheim und darf mit niemandem außerhalb des Netzwerks besprochen werden. Die erste AMTSHILFEGRUPPE war ein Erfolg, wie ihr mitbekommen habt, aber nun bemerken unsere Damen und Herrn Politiker, dass solch eine verdeckte Einheit noch nicht weit genug ging. Ihr bekommt ja alle mit, was läuft und was die Lügenpresse nicht melden will. Berlin gerät immer mehr ins Chaos und es gibt keinen, der etwas tun kann, weil dann die ganzen schwindligen Weltverbesserer mit Demos kommen und ,Die Gefahr kommt von Rääächts‘ krächzen. Einige hohe Herren merken aber jetzt, dass mit dieser Larifari-wir-haben-uns-alle-lieb-Nummer alles nur noch schlimmer wird. Deshalb ist das Yggdrasil-Netzwerk sozusagen die AMTSHILFEGRUPPE 7, aber Version Zwei-Punkt-Null. Wir bekommen diesmal Informationen und Aufträge direkt von der höchsten Ebene, aber vollständig durch Heinz und mich gefiltert, damit alles verschwiegen bleibt.” Er hielt inne, um die Macht seiner Worte erst einmal wirken zu lassen. Alle nickten und warteten auf mehr. Nur Siggi guckte skeptisch. Dagegen musste Sören sofort etwas tun. Siggi war laut den Informationen ein ehemaliger Berliner Polizist, der den Dienst zugunsten einer Detektivkarriere beendet hatte und nun um Arbeit kämpfte. Beim Essen hatte Sören diesen Mann gemustert, der trotz geringer Größe eine selbstbewusste Art hatte und dem festen Händedruck standgehalten hat. Einschüchtern wie bei Frank im Auto würde hier nicht funktionieren, aber vielleicht könnte man ihn am Ego packen. Denn seine Autorität musste von Anfang an unangefochten sein.

„Siggi”, sprach er den skeptisch guckenden Mann an, „du scheinst noch unsicher zu sein? Es ist schon riskant, gegen die Araberclans zu kämpfen… vielleicht ist es nichts für dich.” Siggi reagierte nicht wie erhofft. Wie andere nach dem Essen steckte er sich seelenruhig eine Zigarette an, warf seine mattblonden Haare nach hinten und fixierte Sören.

„Mich wundert nur, warum wir uns hier in einem Privathaus treffen, wo doch alles offiziell sein soll. Kenne doch verdeckte Arbeit, so wird das nicht gemacht.” Er zog nochmal tief an seiner Zigarette und blies den Rauch entspannt aus. Heinz sah, wie sich Sörens Rückenmuskeln vor Wut anspannten und übernahm schnell das Ruder.

„Das ist hier ja auch mehr als eine verdeckte Ermittlung”, warf er ein, bevor Sören etwas Unüberlegtes tat. „Es wird gerade für jeden Trupp ein Haus bereitgestellt, von dem aus ihr autark voneinander operieren könnt. Haus, Ausrüstung und euer Gehalt geht alles über mich, denn vergesst nicht, wie heikel das Thema ist. So einen Medienzirkus wie über die AHG7 können sich die Politiker diesmal nicht leisten. Darum wirkt das alles etwas unkonventionell und improvisiert.” Tatsächlich nickte Siggi zustimmend. Von einem alten Kollegen hatte er einige Geschichten über diese AHG7 gehört, in denen irgendwelche Ex-Soldaten auf einmal aus der kalten Hose mit Polizisten zusammenarbeiten wollten. Völlig improvisiert. Nicht einmal die Dienstgrade der Polizei kannten diese Veteranen.

„Ihr seid hier am Anfang von etwas ganz Neuem”, sagte Sören nun und blickte mit seinen blauen Augen alle ernst an. „Dazu brauchen wir von euch den absoluten Willen zum Sieg und uneingeschränkte Loyalität. Die Lügenpresse wird euch als Terroristen und Nazis beschimpfen, wie sie es immer tut. Die gleichen Politiker, die euch das Gehalt und die Aufträge geben, werden nach euren Köpfen schreien. Jeder, der damit nicht umgehen kann, hat hier nichts verloren.” Erneutes Nicken im Raum.

Heinz fügte lächelnd hinzu: „Aber keine Sorge, so sehr die auch offiziell schimpfen, sind alle im Boot und es wird keinen Versuch einer Verhaftung geben, von dem wir nicht vorher wissen.” Das schien den meisten zu gefallen.

Siggi drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und fragte: „Wann geht es los?”

Heinz guckte zu Sören und, als dieser nicht gleich antwortete, übernahm er wieder: „Wir werden euch und eure Teams nächste Woche in die Verstecke bringen. Das sind alles überprüfte und gesicherte Häuser. Danach melden wir Einsatzbereitschaft und die ersten Aufträge werden reinkommen.”

Jetzt wurde auch Ede neugierig und fragte: „Über was für Aufträge reden wir denn da?”

Sören antwortete: „Zunächst müssen wir ihre Ressourcen so gut es geht reduzieren, das bedeutet Überfälle auf ihre Geschäfte und Aufdecken von illegalen Machenschaften. Überall da, wo es weh tut. Das Geld und die Beweise werden Heinz und ich dann an die offiziellen Stellen weiterleiten, wobei wir alle von dem Geld einen kleinen Bonus bekommen.” Heinz verschluckte sich fast, als er den letzten Teil hörte, der so nicht mit ihm abgesprochen war. Bonus? Hier ging es doch nicht ums Geld, sondern darum, Deutschland von diesen finsteren Gesellen zu befreien. Aber so sehr es ihn anwiderte, dass sich einige hier bereichern wollten, so sehr schien die Aussicht auf Geld alle Folgefragen der anderen in den Wind zu schießen.

„Lasst uns jetzt nochmal Decknamen und Verbindungswege durchgehen”, wies Sören die Truppführer an und beugte sich mit ihnen über einige Zettel. Heinz war sichtlich zufrieden, denn es lief ganz so, wie sein Freund, der alte Mann, gesagt hatte: „Bald hast du deine eigene AMTSHILFEGRUPPE gegen die Clans.” Glücklich öffnete er sich ein neues Bier und sah seiner Kreation beim Arbeiten zu.

*

„Wie anders es hier aussieht”, stellte Kris fest, als er neues Protein kaufen wollte und den Laden „Pump Unit” aufsuchte, bei dem er vor etlichen Jahren, als er noch in Deutschland lebte, immer seine Einkäufe für Supplements erledigt hatte. Es war schon eine ganze Weile her, aber dennoch war er nicht auf das Ausmaß der Veränderung gefasst. Das Innere des Ladens war größer geworden und auch die Geschäfte im direkten Umfeld herum hatten sich fast alle verändert.

„Gut siehst du aus!”, begrüßte ihn Dev, der freundliche Besitzer des Geschäfts, „machst du wieder mehr Sport?”

Sie schlugen die Handflächen zusammen. „Ja, einer der Vorteile, wieder hier zu sein, statt vor Arbeit bis über beide Ohren zu nichts Zeit zu haben.” Er blickte über die aufgestellten Regale voller Kanister, Tablettendosen und Tüten. Es war schön, nach all den Änderungen in Berlin, die er seit seiner Rückkehr bemerkt hatte, wieder etwas Vertrautes um sich zu haben. So blieb er doch länger, als er wollte, und sprach noch eine ganze Weile, bevor er mit zwei Tüten Protein den Laden verließ. Auf dem Rückweg zu Melike wollte er aber nochmal bei Florian vorbeischauen, mit dem er sich zu einem kurzen Plausch verabredet hatte.

Der junge aufstrebende Politiker, der letztes Jahr für die beiden AMTSHILFEGRUPPEN verantwortlich gewesen war, wollte Kris unbedingt wieder treffen. Er hatte vom Ende seiner längeren „Auszeit“ erfahren und wollte ihm einige Fragen stellen.

„Du hast es gut!“, lachte er, als Kris in seinem Büro saß. Er wusste nicht, dass es das Büro war, in dem Griffin den NDA, die Verschwiegenheitsbelehrung, für ihren wilden Befreiungsauftrag in Syrien unterschrieben hatte: Das Büro von Lena Hufschmidt, denn kein anderes hätte Florian akzeptiert.

„Während du wanderst und jagst, muss ich mich mit der Parteibasis anlegen, mir minutiös alle Details merken und mir nebenbei vorwerfen lassen, dass ich Deutschland zerstören will!“, scherzte Florian mit einem lachenden Mund, aber ernsten Augen.

„Der Optimismus von vor einem Jahr hat leider nicht gehalten“, seufzte Kris. Die KETTENBRECHER hatten sie zerschlagen, aber nicht das Problem der rastlosen jungen Männer, den Abgehängten. Die Hoffnungen auf gut bezahlte Jobs, Belohnungen oder in einigen Fällen Einbürgerung wurden gar nicht oder nur schwer erfüllt, weshalb es bald wieder mehr Kriminalität in dem Milieu gab. Florian sprach auch einen anderen Punkt an, den Kris vor einem Jahr nicht erwartet hatte.

„Wir haben tatsächlich unterschätzt, wie wütend die Polizisten sein würden. Das ist das schlimmste Thema, mit dem ich gerade kämpfe.“

Der Veteran war ganz Ohr und fragte gleich interessiert nach: „Polizisten, was ist da los?“

Der junge Politiker stand auf und guckte aus dem Fenster, ohne einen bestimmten Punkt zu fixieren. „Ich kann sie verstehen“, begann er, „das SEK-Team, der Drohnenangriff und der improvisierte Sprengsatz … Viele haben nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde verloren. Da gab es die Erwartung, dass wir jetzt hart durchgreifen, nicht nur bei den abtrünnigen Veteranen, sondern auch gegen all diejenigen, die mitgemacht haben.“

Kris nickte und beendete die Aussage: „…und der Berliner Senat fing an mit Hilfsprogrammen und Bekundungen der Einigkeit.“

„Richtig“ stimmte Florian zu und ging wieder zurück zum Sessel. „Es gab einige, die selbst das Gesetz in die Hand nehmen wollten, und folglich kam es zu einem Anstieg an gemeldeter Polizeigewalt und fremdenfeindlichen Äußerungen.“

„Laut den Zeitungen und ein paar Berlinern, mit denen ich gesprochen habe, geht es wohl gerade ganz schön ab zwischen den kriminellen Banden“, unterstrich der Scharfschütze die Bredouille, in der Florian steckte.

„Daher, sei froh, dass du raus aus der ganzen Nummer bist“, beendete der Politiker das Thema, „es scheint nur falsche Antworten zu geben.“ Sie sprachen noch etwas über ihr Privatleben und darüber, was der Rest der AMTSHILFEGRUPPE 7 und 8 machte. Eine Handynachricht von Melike mit Grüßen an Florian beendete dann ihr Gespräch. Beim Verabschieden fragte sich Kris, ob er wirklich so froh war „aus der Nummer raus zu sein“.

*

Das Büro war seit den 70er Jahren nahezu unverändert und der senffarbene Gelbton der Wände provozierte des Öfteren belustigte Kommentare von jüngeren Kollegen.

„Lass doch zumindest die Gardinen austauschen oder diese Stühle mit der hässlichen Polsterung“, lachten die neuen Kollegen, die erst vor kurzem in die Abteilung versetzt worden waren. Kriminalhauptkommissar Klaus Wiecorek machte das nichts aus. Die Kollegen kamen und gingen, die Einrichtung und er blieben.

„Diese Abteilung wird euch entweder brechen oder ausspucken“, dachte er im Stillen, wenn wieder so ein junger ungestümer Kollege in sein Büro trat. Er selbst hatte sich nach einer kurzen, motivierten Anfangsphase recht schnell für den Schreibtisch entschieden. Der Papierkrieg war zwar langweilig, aber berechenbar und er konnte so immerhin erkennen, was er tat und erreichte. Wenn sie ihn „Schreibtischtäter“ nannten und er schlechter Laune war, konterte er mit: „Welchen Clanchef habt ihr denn zuletzt überführt? Vor Monaten? Vor Jahren?“ Das ließ sie dann ruhig werden. Inzwischen meinte er jedoch zu spüren, dass schon von Anfang an die Motivation der Neuen fehlte. Immer weniger Ungestüme kamen, die die Welt verändern wollten, die was bewegen wollten. Sie waren schon zufrieden, einen festen Job und geregelte Aufstiegschancen zu haben. Klaus bemerkte, dass ihn das deutlich mehr ärgerte als der ungestüme Tatendrang der früheren Generation.

„Wo soll das noch hinführen?“, dachte er und verbrachte so manche Zeit damit, sich in Internetforen Luft zu machen.

„Da müsste mal jemand was machen!“, regte er sich eines Tages in einem der Foren auf. „Ich bin zwar nur Schreibtisch-Cop, aber ich sehe doch, was abläuft!“ Er bekam viel Zustimmung, und einige gratulierten ihm sogar dazu, die Dinge beim Namen zu nennen, darunter auch Heinz, ein anderer Polizist. Nachdem sie sich einige Monate lang immer wieder über die Lage aufgeregt hatten, machte Heinz ihm plötzlich ein Angebot. Er könnte wirklich etwas verändern, ohne selbst dabei in Gefahr zu geraten.

„Wir wissen doch genau, wer unsere Pappenheimer sind“, schrieb Heinz, „nur, keiner tut etwas! Wenn du diese Infos an mich weiterleitest, könnten andere etwas bewirken.“ Klaus, der brave Beamte, war zunächst schockiert. Er – ein Spitzel?

Aber Heinz ließ nicht locker: „Die Clans haben uns doch auch schon unterwandert und machen das genauso! Glaubst du, die zögern auch nur eine Sekunde?“ Über Tage blieb er in seiner Ansicht unbeirrt, doch Heinz ließ nicht locker, bis auch Klaus überzeugt war, dass er derjenige war, der etwas ändern konnte und handeln musste. Endlich gab er nach. Er kannte tatsächlich alle Tricks, um Informationen unauffällig weiterzuleiten.

„Aber versprich mir!“, sagte er zu Heinz, als er die ersten Kopien übergab, „versprich mir, dass ihr denen mal richtig einheizt!“.

Heinz lachte. „Ganz sicher, mein Freund, die kennen nur die harte Hand und sollen jetzt mal ihre eigene Medizin schmecken.“

3 – Eayila –

Mit einem plötzlichen Hieb mit der Faust gegen die Schläfe schlug Amir den angetrunkenen Gast zu Boden. Auch ohne die Menge Alkohol, die der schon konsumiert hat, wäre er von der Wucht zu Boden gegangen. Nun lag der Gast bewusstlos da. Die anderen Männer aus seiner Gruppe, die bis eben noch selbstsicher Scherze gemacht hatten, waren schlagartig still.

„Raus jetzt!“, befahl Amir und machte durch sein Nicken den Männern der Security klar, wie sie zu verfahren hätten, wenn die Bande nicht spurte.

Auf dem Weg zurück ins Büro und außerhalb der Sichtweite der Mitarbeiter rieb er sich seine Hand. „Ich werde langsam zu alt für diesen Scheiß“ dachte er, als er die Tür des Spielbankbüros hinter sich schloss. Wie lange hatte er keinen mehr geschlagen, sondern starr vor einem Rechner gesessen und Zahlen analysiert. Genauso wie die Glücksspielhölle, in der er saß, gehörte er zum Najjar Clan in Berlin. Dank seiner kräftigen Natur hatte Amir schon früh Führungsaufgaben übernommen und jetzt mit 35 Jahren kümmerte er sich um alle Glücksspielsites, die einem undurchsichtigen Netz von Firmen und Einzelpersonen gehörten und deren Hauptzweck Geldwäsche von kriminell-beschafftem Geld war. Im Gegensatz zu anderen Geschäftszweigen des Familienclans war hier die Grenze vom legalen Geschäft zur Illegalität verwischt. Das bedeutete, dass er wie jeder Allman alle Hände voll zu tun hatte – Ämter und Behörden und ihre Vorschriften, Genehmigungen, Kontrollen. So sehr er sich noch selbst als Gangster sah, hatte er inzwischen mehr mit einem operativen Manager als mit einem Drogendealer gemeinsam. Würde er auf offizielle Networking Events gehen, wäre er erstaunt, wie viele Probleme und Beschwerden der anderen Manager er wiedererkannt hätte.

Vielleicht war das der Grund, weshalb der Geschäftsführer dem jungen Gast gleich ins Gesicht schlug, als der und seine Gruppe im Suff anfingen, Ärger anzuzetteln. Wollte er sich was beweisen? Die Tür ging auf und der Leiter der Security kam herein.

„Das war unnötig, Mann, wir hatten die Lage im Griff. Das gibt schlechte Publicity“, beschwerte er sich und guckte missbilligend auf den Geschäftsmann herunter. Das brachte Amir wieder in Rage, vor allem, weil er selbst wusste, dass es überflüssig gewesen war.

„Fuck Publicity!“, keifte er schnaubend. „Vergiss nicht, wer wir sind… wir lassen uns nicht von diesen Wichsern auf der Nase rumtanzen.“ Der Security-Mann war schlau genug nicht zu widersprechen.

„Der wievielte Vorfall war das jetzt?“ fragte er auf Arabisch und rieb sich die Stirn. Das lange Nachdenken seines Gegenübers verriet alles über die hohe Zahl.

„Ich hab genug anderen Stress als nur diese Typen“, fing er an zu erzählen. „Das Business mit Emre ist ja mal voll in die Hose gegangen und seit diese KETTENBRECHER kaputt sind, gibt es einfach zu viele aufgestachelte junge Männer. Jetzt kommen die hierher und machen einen auf dicke Hose, wenn sie nicht gleich den Hauptgewinn verdienen.“

Der Leiter der Security nickte, dachte nach und fragte: „Könnten die von der Shami kommen, die sich hier langsam breit machen wollen?“ Damit sprach er den nächsten Punkt an, der Amir Kopfschmerzen bereitete. Jede neu zugezogene Großfamilie wollte ein Stück vom Kuchen abhaben und so wurde der Konkurrenzdruck immer größer.

„Isschwöre“, sagte Amir nun wieder auf Deutsch, „ich wähle noch die Bessere Option, um die ganzen neuen Assis rauszuwerfen!“ Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, hörte man einen Schlag und das Splittern von Glasscherben. Die beiden Männer sprangen auf.

„Was zum…“ Sie rannten aus dem Büro und sahen all die bunten Glassplitter, die unten im Foyer verteilt lagen. Ein Pflasterstein hatte mit Wucht die Glasfassade der Spielbank zerschlagen. Von der Straße hörte man Geschrei.

„Die Typen von eben!“, rief ein Mitarbeiter nach oben und lief dann auf die Straße, um den jungen Männern Drohungen hinterher zu schreien, die schnell davonrannten.

*

„Was meinen Sie mit ,drei Monaten‘?“, rief der Geschäftsführer mit hochrotem Kopf. Der 58-Jährige blickte auf den kleinen Mann vor sich und konnte immer noch nicht glauben, was dieser gerade von sich gab. Bench blieb ruhig sitzen und wiederholte den gerade geäußerten Satz nochmal im gleichen fröhlichen Singsang, der die cholerische Führungskraft so außer Fassung brachte.

„In drei Wochen ist Ihre Firma insolvent, das meine ich.“

„Was fällt Ihnen ein? Ich… Sie sind entlassen. Hören Sie, Herr Winkelmann? Ent-la-ssen!“ Der IT-Consultant ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Genau deswegen bin ich ja hier“, postulierte er, „so kann ich noch meine drei Wochen Resturlaub aufbrauchen und die Freistellung genießen. Meine Zugangskarte und den Laptop hab ich auch schon abgegeben. Nur für den Fall, dass ihr dynamischer IT-Chef das Ganze schon vorher verbockt und ich aus dem Urlaub zurückkommen muss.“ Das nahm seinem Gegenüber kurz den Wind aus dem Segeln.

„Was macht Sie überhaupt so sicher?“, fragte er und unterdrückte einen weiteren Wutanfall, als der kleine Mann ein freches Gesicht annahm.

„Ja, aber das sage ich Ihnen doch schon die ganze Zeit! Es sind immer die gleichen Managementfehler, die ich sehe. Man kann eine IT-Abteilung nicht wie eine operative führen. Leider haben die Führungskräfte keine Ahnung davon und wollen ihr Ding durchziehen. Erinnern Sie sich an den Vortrag, als ein brandneues Tool für mehr Effizienz eingeführt wurde? Mehr ,transparent interconnected lead yourself management‘? Jedes Mal, wenn eine Firma solche Phrasen drischt und das Tool verkauft, gehen Sie bald pleite.“ Er stand auf und ging zur Tür.

„Raus jetzt!“, keifte er, allerdings mit weniger Wut als vorher. In der Tür drehte sich Bench nochmal um.

„Wissen Sie, weil Sie so nett sind… vier Monate.“ Er zog die Tür schnell hinter sich zu, um das Geschrei, das folgte, nicht mehr hören zu müssen. Noch eine Firma, die ihre Lektion nicht lernen wollte.

„Irgendwann“, dachte er sich und freute sich darauf, zurück zu seiner Hündin Shiva zu kommen, die zu Hause auf ihn wartete. „Warum haben sie nur die AHG8 dichtgemacht“, ärgerte er sich. Als er in sein Auto stieg und auf dem Beifahrersitz das Schreiben des Zentrums für Cybersicherheit der Bundeswehr liegen sah, überlegte er, ob er nicht doch das Stellenangebot annehmen sollte.

*

Es waren fast alle gegangen, nur noch Heinz, Sören und Vincent, der den ganzen Abend kein Wort gesprochen hatte, blieben. Heinz mochte diesen Mann nicht besonders. Zwar hatte er als alter Freund von Sören die richtige Gesinnung, aber irgendwie wirkte er unberechenbar.

So hatte er sich geweigert, wie sein Freund Sören zur „bunten Wehr“ zu gehen, wie er die Bundeswehr abfällig nannte, und sich bei der Fremdenlegion eingeschrieben. „Hier bekomme ich wenigstens etwas Action“, war sein Argument gewesen und er hatte Recht behalten. Nach einer brutalen Grundausbildung folgte die Ausbildung zum Scharfschützen und zwei Einsätze in Afghanistan. Wegen seiner Stimmungsschwankungen und letztlich wegen seiner politischen Ansicht verließ er danach jedoch die Legion, um in seiner Heimat gegen die „Staatssimulation BRD” zu kämpfen, um das deutsche Volk vor den „jüdischen Staaten Amerikas” zu schützen. Kurze Zeit später kamen noch Frank und Henrick, Fränkie und Ede genannt, dazu. Nachdem sie mit ihm Sören vom Flughafen abgeholt hatten, waren sie wieder losgefahren, um die bereitgestellten Safehouses für die Teams mit Wasser und Konserven zu versorgen. Fränkie war Wehrpflichtiger im Panzergrenadierbattaillon 421 in Brandenburg an der Havel gewesen und kannte Sören und Heinz durch die Wölfe Odins. Ede war sein alter Freund, der nie gedient hatte, sich aber voller Elan an neuen Plänen beteiligen wollte. Nun blickte er Sören erwartungsvoll an, als dieser sich bereit machte, endlich seinen Plan vorzustellen.

„Die Zugriffstrupps bringen uns erst einmal Ressourcen und schwächen den Gegner“, begann der muskulöse Ex-Soldat. „Allerdings brauchen wir ein Team, das bereit ist weiterzugehen und notfalls ein abtrünniges Mitglied des Netzwerks… zu beseitigen. Eine Sondertruppe sozusagen.“ Er blickte zu Heinz, der nickte, obwohl ihm Vincent immer noch nicht geheuer war.

„Einherjar“, schlug Vince mit seiner leisen, knarrenden Stimme vor. Der Namensgeber freute sich sichtlich über seinen cleveren Einfall.

„Haha, Jawohl! Das ist ein guter Name! Den nehmen wir.“ Er lehnte sich nun vor und blickte die beiden ernst an. „Es muss so schnell wie möglich passieren, damit wir gleich den gewünschten Effekt haben. Wir brauchen einen massiven Schlag gegen den ganzen Clan, nicht nur die Fußsoldaten und die Geschäfte, sondern gegen diese ganze Brut, zusammen mit Frauen und Kindern.“ Vincent wirkte nicht überrascht über den Vorschlag, sondern blickte weiter konzentriert schräg nach oben. Man konnte ihm die Vorfreude ansehen. Heinz begann allerdings etwas zu schwitzen.

„Moment, was? Frauen und Kinder? Was hast du dir gedacht?“, fragte er nervös. Sören ließ wieder seine Goldzähne glänzen.

„Du weißt doch, wie schnell sich diese Ölaugen vermehren, und die Kinder bekommen doch das Verbrechen mit in die Wiege gelegt. Wenn man das Geschwür entfernen will, muss man jedes kleine bisschen ausmerzen!“ Er sah, dass Heinz sprachlos war. „Wie ich mir das vorstelle? Ganz leicht, wir müssen dafür sorgen, dass sich die ganze Bande an einem Ort befindet. Dann wird unser Freund Vincent ein kleines Attentat durchführen. Sniperschuss! Bäm!“

Heinz traute seinen Ohren nicht und warf ein: „Aber genauso haben doch die KETTENBRECHER angefangen? Das ist doch ganz schnell eskaliert und brachte diese AMTSHILFEGRUPPE auf den Plan. Was ist, wenn die wiederkommen? Hast du vergessen, was mit Yuri passiert ist?“ Heinz wurde klar, dass er mit seinen Bedenken nicht durchkam: Er sah blanken Hass auf Sörens zu allem entschlossenen Gesicht.

„Genau deswegen muss es ein Sniper-Attentat sein“, presste dieser zwischen seinen Zähnen. Er dachte grimmig: „Ich will nichts mehr als diese zwei Verräter aus ihren Löchern holen“ und spielte damit auf Kris und Griffin an.

*

Müde suchte Amir nach den Schlüsseln zur Wohnung. Er hatte einen harten Tag hinter sich, aber seine Laune besserte sich schlagartig, als er schon durch die Tür das Lachen seiner Kinder hörte. Sie wurden so schnell groß, und er genoss diese Zeit, wo er mit ihnen noch toben und herumtollen konnte. Normalerweise arbeitete er bis spät, daher waren solche Momente gerade selten, aber heute gönnte er sich einen kurzen Arbeitstag und freute sich auf die kleinen Energiebündel. Extra laut klapperte er mit den Schlüsseln und ruckelte beim Öffnen umständlich an der Tür. Das Geschrei hörte kurzzeitig auf und, als seine Kinder registrierten, was die Geräusche bedeuten, ertönte es „Baba”. Ohne sich Mantel und Schal ausziehen zu können, wurde er von der Kinderlawine erfasst und musste sich erstmal anhören, was jedes Kind an dem Tag erlebt hatte – alle redeten gleichzeitig und versuchten, sich gegenseitig zu übertönen. Erst als die Mama die drei Kinder verscheuchte, konnte Amir Luft holen.

„Schön, dass du heute früher da bist“, sagte sie voll Freude.

Sie kannten sich schon so lange, dass Hiyam ihrem Ehemann sofort ansah, wenn er einen schlechten Tag hatte.

„Wir warten noch mit dem Essen, hör dir erst einmal an, wie es beim Fußballtraining war“, zwinkerte sie ihm zu und ging in die Küche. Es war eine geräumige Wohnung, die er zu einem Spottpreis mitten in seinem Heimatbezirk mietete. Amir weigerte sich, aus seinem Kiez umzuziehen, auch wenn es viele aus seiner näheren Familie in teurere Bezirke zog. Nein, er würde hierbleiben, was nicht bedeutete, dass er sich seine Wohnung nicht teuer einrichten lassen konnte. Seine Frau achtete darauf, dass sein nüchterner Geschmack an viel Technik mit farbenfrohen und gemütlichen Möbeln aus der libanesischen Heimat ausgeglichen wurde. Vom weichen Sofa konnte Amir beinahe alle Funktionen seiner Wohnung mit seinem Handy steuern.

Das Handy klingelte und Amirs Gesichtszüge wurden nach all dem Lachen wieder hart. Wenn das Handy klingelte, waren es höchstwahrscheinlich keine guten Nachrichten. Er sah den Namen des Anrufers und ging ins Nebenzimmer.

„Was ist?“, fragte er gereizt, als er den Anruf annahm.

Der Anrufer hatte scheinbar ebenfalls schlechte Laune und kam gleich zum Punkt: „Wir brauchen dich hier sofort für eine Notbesprechung, es gab da heute ein paar… Vorfälle.“ Amirs Ahnungen bestätigten sich. Seine Frau blickte aus der Küche und sah sein versteinertes Gesicht, als er das Telefonat beendete.

„Wieder los?“, fragte sie und gab sich Mühe, nicht tadelnd oder enttäuscht zu klingen. Er nickte stumm. Die Kinder kamen nun auch, um zu gucken, wo ihr Vater blieb, und wollten das Spiel fortsetzen.

„Los, komm zurück ins Wohnzimmer! Du bist dran“, schrien sie vergnügt und wollten ihn mit aller Kraft wegziehen.

„Ich muss leider wieder los zum Onkel, Kinder. Ist sehr wichtig.“ Zum Onkel. Die gesamte Familie wusste, dass diese zwei Wörter das Ende jeglicher Diskussionen oder Spiele waren.

„Okay,“ sagten sie kleinlaut. Ihnen war nicht entgangen, dass diese Besuche häufiger vorkamen und oft sehr kurzfristig.

„Hoffentlich ist alles in Ordnung“, sagte die Jüngste und rannte weg.

„Das hoffe ich auch“, murmelte er, als er seine Frau noch einmal in den Arm nahm.

4 – Gedeckte Annäherung –

Siggi warf stolz die Kopien der Akte auf die Mitte des Tisches. Neben ihm waren vier andere Männer in dem Haus, das ungefähr eine Stunde entfernt vom Stadtrand Berlins lag. Hier, in einem kleinen brandenburgischen Dorf, waren sie vor unerwünschter Beobachtung sicher. Das gelb gestrichene Haus lag 50m zurückgesetzt von der Straße, in zweiter Reihe hinter dem Haus eines Sympathisanten und nur über dessen Grundstück und Innenhof zugänglich. Somit konnte niemand ihr Versteck von der Straße aus einsehen. Siggis Team war eines der drei Zugrifftrupps und hatte sich den Namen „Balmung“, nach dem berühmten Schwert aus der Nibelungensage, gegeben. Vor einer Woche ungefähr hatten sie sich das erste Mal getroffen, bis dahin kannten sie sich nur aus dem streng vertraulichen Chat.

„Gebt auch dem Team niemals eure Klarnamen, arbeitet nur mit Decknamen!“, war die Anweisung gewesen. Trotzdem blieb Siggi, der im wahren Leben tatsächlich Siegfried hieß, bei seinem Spitznamen. Er hieß immer Siggi. Ein anderer nannte sich „Hildebrand“, nach dem Helden aus der Sage um Dietrich von Bern.