Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Interessante Post?«, fragte Alexander von Schoenecker seine geliebte Denise, als diesen einen geöffneten Brief besonders lange in der Hand behielt. Das Ehepaar hatte gerade auf der Terrasse des Gutshauses von Schoeneich gefrühstückt. Es war ein strahlender Frühsommermorgen. Alexander hatte bereits eine Fahrt über die Felder hinter sich, seine Frau ein erstes Telefongespräch mit dem unweit gelegenen Kinderheim Sophienlust, dessen Leitung nach wie vor in ihren Händen lag. »Traurige Post, Alexander«, erwiderte Denise bedrückt. »Es klingt so, als wären die Sattlers vom Pech verfolgt.« »Wer schreibt denn, Angela oder Klaus?«, erkundigte sich Alexander. »Klaus. Er hat jetzt einen ausführlichen Bericht über Angelas Erkrankung erhalten. Sie muss operiert werden. Aber die Erfolgsaussichten sind nicht günstig. Ein Segen, dass die kleine Bettina von all dem nichts ahnt.« Denise seufzte. »Du hast für die Sattlers getan, was in deiner Macht stand, Liebes«, tröstete Alexander seine Frau. »Sie sind unverschuldet in diese Situation geraten«, erinnerte Denise betrübt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
»Interessante Post?«, fragte Alexander von Schoenecker seine geliebte Denise, als diesen einen geöffneten Brief besonders lange in der Hand behielt. Das Ehepaar hatte gerade auf der Terrasse des Gutshauses von Schoeneich gefrühstückt. Es war ein strahlender Frühsommermorgen. Alexander hatte bereits eine Fahrt über die Felder hinter sich, seine Frau ein erstes Telefongespräch mit dem unweit gelegenen Kinderheim Sophienlust, dessen Leitung nach wie vor in ihren Händen lag.
»Traurige Post, Alexander«, erwiderte Denise bedrückt. »Es klingt so, als wären die Sattlers vom Pech verfolgt.«
»Wer schreibt denn, Angela oder Klaus?«, erkundigte sich Alexander.
»Klaus. Er hat jetzt einen ausführlichen Bericht über Angelas Erkrankung erhalten. Sie muss operiert werden. Aber die Erfolgsaussichten sind nicht günstig. Ein Segen, dass die kleine Bettina von all dem nichts ahnt.« Denise seufzte.
»Du hast für die Sattlers getan, was in deiner Macht stand, Liebes«, tröstete Alexander seine Frau.
»Sie sind unverschuldet in diese Situation geraten«, erinnerte Denise betrübt. »Das kleine Kapital, das Klaus von seiner Mutter geerbt hat, hätte wahrscheinlich für seinen Start als selbstständiger Architekt ausgereicht, wenn Angelas schwere Erkrankung nicht gekommen wäre. Jetzt hat er natürlich hart zu kämpfen. Aber er ist beruflich außerordentlich tüchtig, wie du weißt.«
»Davon bin ich überzeugt, Denise«, pflichtete Alexander ihr bei. »Wie hat sich die kleine Bettina denn eingelebt?«
Denise lächelte versonnen. »Bettina ist das einzige Familienmitglied der Sattlers, über das man sagen kann, dass es vollkommen glücklich ist.«
»Sophienlust, das Haus der glücklichen Kinder«, sagte Alexander schmunzelnd. »Nick hat schon recht.«
»Mein Sohn Dominik schreibt heute eine Lateinarbeit und ist ziemlich sorgenvoll in den Schulbus eingestiegen«, widersprach Denise, von Angela und Klaus Sattler nun ein wenig abgelenkt.
»Unser Sohn, Liebste«, verbesserte Alexander sanft.
»Natürlich, Alexander. Er betrachtet sich längst als dein Kind. Er hat ja seinen Vater nie gekannt.«
»Und Sascha und Andrea betrachten dich als ihre Mutter, obwohl sie sich an ihre wirkliche Mutter noch gut erinnern können«, wandte Alexander ein. »Wir bilden alle zusammen eine Familie. Das ist das Geheimnis unseres großen Glücks. Dass nur Henrik unser beider leiblicher Sohn ist, muss ich mir manchmal recht mühselig klarmachen, so komisch das auch klingen mag.«
Der Gutsherr von Schoeneich, der auch den zu Sophienlust gehörigen landwirtschaftlichen Betrieb leitete, legte die sonnengebräunte Hand auf die seiner schönen Lebensgefährtin, die ihren ersten Mann, Dominiks Vater, nach sehr kurzer Ehe verloren hatte. Nach dem Tod von Nicks Urgroßmutter, Sophie von Wellentin, war dem damals fünfjährigen Jungen nicht nur Sophienlust, sondern auch ein Millionenvermögen als Erbe zugefallen. Nur zu gern hatte seine Mutter das Vermächtnis der alten Dame, Sophienlust zur Heimstatt für in Not geratene Kinder oder auch Erwachsene zu machen, erfüllt. Später hatte Denise in der Ehe mit dem verwitweten Gutsherrn von Schoeneich ein zweites erfülltes Glück gefunden.
»Ich liebe dich, Alexander«, flüsterte Denise mit bebenden Lippen. »Ohne dich wäre mein Leben leer und arm.«
Er zog ihre Hand an die Lippen. »Ich liebe dich ebenfalls, Denise«, gab er zurück. »Was ich ohne dich beginnen sollte, wüsste ich nicht.«
Denise holte tief Atem, die Luft roch nach Gras und Blüten. Es war Frühsommer, eine der schönsten Zeiten des Jahres.
In diesem Augenblick erschien Marie und meldete, dass die gnädige Frau am Telefon verlangt werde.
»Sophienlust?«, fragte Denise. »Es wird doch nichts passiert sein drüben?«
»Nein, der Anruf kam von außerhalb«, antwortete Marie.
Denise eilte ins Haus. Langsam folgte ihr Alexander. Wenig später berichtete ihm seine Frau.
»Es war Klaus Sattler, Alexander. Er hat gestern zwei große Aufträge zugeteilt bekommen. Der erste Durchbruch ist ihm gelungen, wie er selbst sagt. Nun wird es aufwärtsgehen. Selbst in seinen kühnsten Träumen hat er nicht zu hoffen gewagt, dass er beide Bauaufträge erhalten könnte. Doch seine Entwürfe waren die besten.«
»Damit ist er wohl auch finanziell über den Berg?«
»Das möchte ich annehmen.«
»Du hast viel für die Sattlers getan, Denise. Du hast Bettina kostenlos aufgenommen, Angelas Krankenhausaufenthalt in der Schweiz finanziert …«
»Für solche Fälle ist das Sophienluster Vermögen doch da, Alexander. Außerdem bin ich sicher, dass Klaus Sattler uns unsere Auslagen später zurückerstatten wird. Leider hat er im Augenblick wenig Zeit, sich über seinen Erfolg zu freuen, denn seiner Frau geht es weiterhin schlecht. Er hatte gerade mit dem Krankenhaus in Zürich telefoniert.«
»Schrecklich«, murmelte Alexander. »Das Leben ist oft grausam.«
»Er sagte mir, dass er seine Frau über das verlängerte Wochenende besuchen möchte. Vielleicht gibt es ihr Auftrieb, dass er beruflich über den Berg ist. Ich glaube, es ist ein guter Gedanke, dass er ihr diese gute Nachricht selbst überbringen will.«
Alexander nickte. »Natürlich. Ich würde an seiner Stelle wohl auch sofort losfahren.«
Denise wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. »Sie sind ein so glückliches Paar, Alexander. Gebe der Himmel, dass Angela gesund wird und wieder mit ihrem Mann und der kleinen Bettina vereint sein kann.«
Wenig später stieg Denise in ihren Wagen um, wie fast jeden Vormittag – in Sophienlust nach dem Rechten zu sehen. Die Fahrt führte sie über die Straße, die Hubert von Wellentin, Nicks Großvater, gebaut hatte, damit die beiden Güter eine direkte Verbindung hatten. Im See, an dem die Straße vorüberführte, spiegelte sich der klarblaue Himmel. Dann tauchte das ehemalige Herrenhaus von Sophienlust auf, das fast wie ein kleines Schloss wirkte – Sophienlust, das einmal in die Verantwortung und in den Besitz ihres Sohnes Nick übergehen würde, sobald er erwachsen sein würde. Wie schnell die Zeit verging! Als sie in Sophienlust Einzug gehalten hatten, war Nick fünf Jahre alt gewesen. Heute war er bereits fünfzehn, und doch kam es Denise manchmal vor, als wären sie erst vor ein paar Wochen zur Testamentseröffnung nach Sophienlust gekommen.
Mehr Zeit zum Grübeln blieb Denise nicht, denn sie hatte nun ihr Ziel erreicht und hielt an. Frau Rennert, von den Heimkindern zärtlich Tante Ma genannt und für die reibungslose Führung des großen Kinderheimes zuständig, kam ihr sofort entgegen.
»Guten Morgen, Frau von Schoenecker.«
Herzlich erwiderte Denise die Begrüßung. Sie erkundigte sich nach Vickys Befinden, die am Abend zuvor erhöhte Temperatur gehabt hatte.
»Die Temperatur war heute früh siebenunddreißigneun. Man kann nichts Rechtes sagen. Vicky klagt über keinerlei Beschwerden und hatte sogar Appetit beim Frühstück«, berichtete Frau Rennert.
»Hoffentlich bleibt die Sache harmlos. Eine ansteckende Krankheit hätte uns gerade noch gefehlt.« Denise schaute zum Himmel empor. »Bei diesem Wetter kann man eigentlich gar nicht krank werden.«
»Vicky schmökert und findet es ganz interessant, dass sie die Schule versäumen muss«, fuhr Frau Rennert lächelnd fort. »Natürlich wird sie sich über Ihren Besuch schrecklich freuen.«
»Ich werde sie bestimmt besuchen«, versprach Denise. »Michael, Angelika und Vicky Langenbach sind mir besonders ans Herz gewachsen, wie Sie wissen. Dass Michael jetzt schon mit unserem Sascha in Heidelberg studiert, ging viel zu schnell.«
Gemeinsam betraten die beiden Frauen das Haus und gingen in Rennerts Büro, wo einige Abrechnungen zur Unterschrift für Denise bereitlagen. Danach sollte Denise den Küchenzettel für die nächste Woche prüfen, den Magda, die Köchin von Sophienlust, zusammengestellt hatte. Noch nie hatte Denise an Magdas Vorschlägen etwas zu ändern gehabt. Aber Magda wäre untröstlich gewesen, wenn sie den Zettel ohne die ausdrückliche Billigung der Herrin von Sophienlust in der großen Küche hätte anhängen müssen.
Erst ganz zuletzt, nachdem sie noch eine halbe Stunde bei Vicky Langenbach gesessen und sich mit dem aufgeweckten Mädchen unterhalten hatte, suchte Denise Schwester Gretli auf, die für die Kleinsten in Sophienlust verantwortlich war. Sie fand die Schwester sowie die dreijährige Bettina Sattler und andere Kinder im Spielzimmer.
Bettina war ein hübsches Kind, pausbäckig und kerngesund. Da sie sich nun schon fast zwei Monate in Sophienlust befand, hatte sie ihre Eltern fast vergessen. Unter den anderen Kindern und bei der liebevollen Pflege, die Schwester Gretli ihr angedeihen ließ, fühlte sich die Kleine restlos glücklich und entbehrte nichts. Von der gefährlichen Erkrankung der Mutter und den schweren Sorgen, die der Vater sich um die geliebte Frau machte, ahnte sie nichts. Bettina lebte fröhlich in den sonnigen Tag hinein.
*
Angela Sattler lag in einem schönen Einzelzimmer der Züricher Privatklinik. Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass Denise von Schoenecker für alle Kosten aufkam und ihre kleine Bettina in Sophienlust unentgeltlich eine vorläufige Zuflucht gefunden hatte. Angela war zu schwach, um bedrückt zu sein. Sie fühlte nichts als tiefe Dankbarkeit gegenüber Denise von Schoenecker, die ihr und ihrer Familie in der Stunde bitterster Not beigestanden hatte.
Eben war die Visite vorüber. Es war jeden Tag das gleiche, die Ärzte und Schwestern kamen zu ihr, der Chefarzt stellte ein paar freundliche und scheinbar belanglose Fragen. Dann nickte man ihr zu und ließ sie wieder allein. Angela hatte längst gelernt, aus den Mienen und Augen der Ärzte einiges abzulesen. Was sie dabei erfuhr, war nicht gerade tröstlich. Angela wusste, sie fanden keinen anderen Ausweg als den der Operation, deren Erfolg jedoch fraglich blieb.
Manchmal fragte sich Angela Sattler, ob sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren denn wirklich schon sterben müsse. Klaus und Bettina allein zurücklassen – nein! Alles in ihr wehrte sich gegen diese Vorstellung. Sie liebte ihren Mann und ihr süßes kleines Mädchen. Sie wollte den beruflichen Erfolg ihres Mannes miterleben, an den sie fest glaubte. Außerdem hatte sie keinen sehnlicheren Wunsch, als Bettina zu einem hübschen Mädchen heranwachsen zu sehen, ihr den Weg ins Leben so weit wie möglich zu ebnen und ihr jeden Tag mütterliche Liebe zu schenken.
Manchmal empfand Angela die Trennung von ihrem Kind fast schwerer als die von ihrem Mann. Mit Klaus konnte sie Briefe wechseln oder telefonieren, sodass eine ständige Bindung und Verbindung bestand, während Bettina die Mutter vielleicht kaum noch wiedererkennen würde, wenn sie plötzlich vor ihr stehen würde.
Eine Träne rann der kranken Frau über die schmale Wange. Ein stummes Gebet wurde zum Tausendstenmal zum Himmel gesandt, dass ein Wunder geschehen und sie gesund werden möge.
Angela Sattler wusste nicht, dass um diese Stunde Klaus bereits in seinem Wagen saß und die Fahrt in den Süden angetreten hatte. Ihr Mann wollte sie überraschen – nicht nur mit seinem unangemeldeten Besuch, sondern auch mit der wunderbaren Mitteilung über die beiden großen Aufträge, die ihm erteilt worden waren.
Gegen Mittag brachte eine Schwester der Patientin einen Brief von Denise von Schoenecker, die regelmäßig über Bettinas Ergehen berichtete. Diesmal hatte Denise ihrem Brief sogar eine kleine Fotografie des Kindes beigelegt, die Nick auf ihren Wunsch hin geschossen hatte. Wie Bettina sich verändert hatte! Sie schien gewachsen zu sein. Auch das Kleidchen, das sie auf dem Bild trug, kannte Angela nicht. Für alles, alles sorgte im Augenblick Denise von Schoenecker. Das war tröstlich und bitter zugleich für die Kranke.
Das Foto war vor genau einer Woche aufgenommen worden. Nick hatte das Datum sorgsam auf der Rückseite vermerkt.
Angela nahm sich vor, Denise in einem kurzen Brief zu danken und einige Zeilen für Nick beizufügen, damit er erfuhr, wie sehr sie sich über die Aufnahme ihres Töchterchens freute.
Als das Essen gebracht wurde, musste die Schwester das Bildchen selbstverständlich gebührend bewundern.
»Nun sollten Sie wenigstens heute ein paar Löffel voll versuchen, Frau Sattler«, ermunterte die Pflegerin die Kranke im schönsten Schwyzerdütsch.
Angela schüttelte mutlos den Kopf. Sie konnte kaum noch etwas zu sich nehmen, obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass sie auf diese Weise immer mehr von Kräften kam. Es war ein Teufelskreis, und niemand wusste, ob die Operation die Rettung sein würde.
Nach Tisch zog die Schwester wie immer die Vorhänge vor, damit die Patientin ruhen konnte. Doch Angela konnte nicht schlafen. Sie war plötzlich von einer ihr selbst unbegreiflichen Unruhe erfüllt. Es wunderte sie kaum, dass der Chefarzt gegen drei Uhr nach kurzem Anklopfen ihr Zimmer betrat und sich zu einer ausführlichen Besprechung an ihr Bett setzte.
»Sie wollen mir mitteilen, dass Sie operieren müssen, nicht wahr?«, fragte Angela tonlos.
»Ja, Frau Sattler. Wir haben Ihre Befunde eingehend geprüft. Ohne Operation kommen wir nicht weiter. Das steht fest. Wir möchten aber auch nicht warten, bis Ihr Allgemeinzustand sozusagen auf dem Nullpunkt angelangt ist. Wären Sie mit Montag einverstanden?«
»Ja«, flüsterte Angela. »Ich wünschte nur, Sie könnten mir versprechen, dass ich danach gesund werde.«
»Wir hoffen es, Frau Sattler. Sonst würden wir die Operation nicht vornehmen. Das sollten Sie wissen.«
»Natürlich, Doktor. Ich vertraue Ihnen. Sie sind immer vollkommen aufrichtig zu mir gewesen. Deshalb weiß ich auch, dass die Operation möglicherweise vergeblich sein wird.«
»Im Grunde ist das bei jeder Operation der Fall, Frau Sattler. Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Wir wollen nicht länger zögern. Wenn Sie also derselben Meinung sind wie wir …?«
»Ich muss mich auf Sie verlassen, Doktor.«
»Nicht auch ein wenig auf den, der unsere Geschicke lenkt und über uns allen steht?«, fragte der Arzt voller Ernst.
»Doch, auch auf Gott vertraue ich«, gab Angela ruhig zurück. »Er wird meinem kleinen Mädchen die Mutter nicht nehmen. Sie ist doch noch so klein. Sehen Sie nur …« Sie reichte ihm das Foto, das der Arzt gerührt betrachtete. Er war selbst glücklich verheiratet und hatte drei Kinder. Deshalb verstand er, was im Herzen der jungen Frau vor sich ging. Worte wären da sinnlos gewesen. So drückte er nur ihre schmal gewordene Hand und sah ihr ruhig ins Gesicht, bevor er wieder ging.
Montag, dachte Angela. Heute ist Freitag. Noch das Wochenende. Ich werde an Klaus schreiben. Vielleicht ist es besser, wenn er erst erfährt, nachdem es vorüber ist. Er hat bestimmt viel zu tun. Damit, dass er sich entsetzlich um mich sorgt, ist mir nicht geholfen. Vielleicht würde er den ganzen Montag über nichts Rechtes tun können. Ja, es ist richtiger, wenn ich es ihm schreibe. Den Brief wird er dann am Dienstag bekommen, wenn das Schlimmste vorüber ist. Natürlich ist es denkbar, dass er mich noch anruft vorher. Aber ich werde auf der Hut sein und nichts sagen.
Auf einmal lächelte Angela. Wäre es nicht eine wunderbare Überraschung für Klaus? Die Operation musste ganz einfach gelingen! Sie glaubte plötzlich mit unwandelbarer Zuversicht daran, dass sie durch die Kunst des berühmten Schweizer Arztes gerettet werden könne.
Genau zwei Stunden später geriet der Wagen von Klaus Sattler auf einer unübersichtlichen Alpenstraße ins Schleudern, weil ein entgegenkommender Fahrer unvorschriftsmäßig die Kurve schnitt und nicht mehr auszuweichen vermochte.
Als der Anruf kam, schlief Angela Sattler schon. Klaus Sattler lebte nicht mehr. Durch die Rücksichtslosigkeit und Fahrlässigkeit eines Fremden war sein junges Leben ausgelöscht worden. Die Ärzte beschlossen, es Angela zu verheimlichen, um den Erfolg der riskanten Operation nicht zu gefährden. Niemand vermochte es, die Sinnlosigkeit dieses unerwarteten Schicksalsschlages zu begreifen. Würde Angela Sattler ihrem Mann ins Reich der Ewigkeit folgen, ohne von seinem tragischen Ende etwas erfahren zu haben?
*
Denise weinte bitterlich, als sie die Nachricht erhielt. Henrik, der seine Mutter in ihrem Zimmer hatte aufsuchen wollen, schlich sich lautlos wieder fort. Glücklicherweise fand er Nick in dessen Klause vor.
»Du, Nick, Mutti weint«, stotterte Henrik unsicher. »Ob was passiert ist?«
Nick, braunäugig und dunkelhaarig, ganz das Ebenbild seiner schönen Mutter, vergaß seine eigenen Sorgen. Bei einem Vergleich mit dem Text hatte sich leider herausgestellt, dass er bei der Lateinarbeit mindestens sieben Kardinalfehler gemacht hatte. Er konnte sich leicht ausrechnen, dass sich daraus eine schlechte Note ergab.
»Mutti weint?«, fragte er betroffen. »Dann ist bestimmt etwas passiert. Meinst du, ich sollte zu ihr gehen und sie fragen? Vati ist natürlich ausgerechnet heute nicht hier.«
Eben war Nick darüber noch froh gewesen, weil er dadurch die Beichte über die zu erwartende schlechte Note aufschieben konnte. Doch jetzt wünschte er seinen Stiefvater aus ganzem Herzen herbei, weil er wusste, dass kein anderer seine geliebte Mutti so zu trösten verstand, wie Alexander von Schoenecker.
»Geh lieber«, meinte Henrik mit großen Augen. »Sie hat gar nicht gemerkt, dass ich in ihrem Zimmer war. Dabei hatte ich sogar angeklopft.«
»Na gut.« Nick seufzte und begab sich auf den Weg. Mutti in Tränen – das war ungewöhnlich und beunruhigend. Er durfte jetzt ganz einfach nicht kneifen, sondern musste versuchen, ihr zu helfen. Das war seine Pflicht.
Während Henrik sich ängstlich im Hintergrund hielt, klopfte Nick an Denises Tür und trat ein, ohne auf ihren Ruf zu warten. Es stimmte, seine Mutti weinte. Henrik hatte sich nicht geirrt.
»Mutti …«
Denise hob den Kopf und streckte die Hand nach ihrem Sohn aus.
»Mutti, was ist denn?« Wie als kleiner Bub setzte Nick sich seiner Mutter zu Füßen und schaute zu ihr auf. »Sag’s mir, Mutti.«
»Es ist etwas sehr Trauriges geschehen, Nick. Bettinas Vater ist mit dem Wagen tödlich verunglückt, als er seine Frau in der Schweiz besuchen wollte.«
»Das ist schrecklich«, flüsterte Nick. Er war blass geworden. »Bettinas Mutter ist doch so schwer krank …«
Denise neigte den Kopf. »Das ist es ja, was mich so bedrückt, mein Junge. Angela Sattler ist operiert worden. Noch kann man nicht sagen, ob sie den Eingriff überlebt und ob sie dadurch geheilt sein wird.«
»Dann …, dann würde Bettina vielleicht beide Eltern verlieren?« Des großen Jungen Lippen zitterten.
»Man muss mit dieser Möglichkeit rechnen, Nick, so bitter es sein mag.«
»Dann bleibt die kleine Bettina eben für immer in Sophienlust, Mutti. Denk’ doch an die Geschwister Langenbach. Sie haben damals die Eltern durch das schlimme Lawinenunglück verloren. Natürlich war das furchtbar. Aber heute gehören sie ganz zu uns und sind nicht mehr unglücklich. Bettina ist doch noch so klein. Sie würde sich an ihre Eltern bald nicht mehr erinnern. Es wäre für sie also sogar leichter als für Michael, Angelika und Vicky. Wie gehts Vicky übrigens?«
