Bilderbuchstunden - Mirjam Zimmermann - E-Book

Bilderbuchstunden E-Book

Mirjam Zimmermann

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Beschreibung

Bilderbücher gelten als klassische Kleinkinderliteratur, das trifft häufig zu. Aber es ist eine vertane Chance, wenn man den Einsatz nur auf dieses Alter beschränkt. Wie man kreatives Arbeiten mit diesem Medium in der Unterrichtspraxis umsetzen kann, wird anhand von fast 100 Bilderbüchern überblicksartig angeregt.Mit Bilderbüchern kann man mit Kindern, aber auch mit Jugendlichen arbeiten. Vom Kindergarten bis hin zur Sekundarstufe kann man mit Hilfe von Bilderbüchern religiöse Bildungsprozesse initiieren. Bilderbücher steuern nämlich schon lange nicht mehr nur Kleinkinder als Zielgruppe an, sondern durch Stil, Erzählweise und eine breite Themenpalette weit darüber hinaus auch ein durchaus erwachsenes Publikum. Diese Inhaltsfülle macht es möglich, unterschiedliche religiöse Fragestellungen zu verorten und eine große Bandbreite religiöser Themen anzusprechen. Dieser Band belegt dies eindrücklich. Nach einer informativen knappen Einführung werden zunächst ausführliche Unterrichtsbeispiele für alle Altersstufen präsentiert. Daran anschließend wird eine Fülle von Bilderbücher nach Themen geordnet vorgestellt, kurz charakterisiert und zudem didaktische und methodische Hinweise für die Praxis gegeben. Lernen Sie die Möglichkeiten von Bilderbüchern neu kennen.

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Mirjam Zimmermann / Christian Butt

Bilderbuchstunden

Bilderbücher für religiöseBildungsprozesse in Kindergarten,Grundschule und Sekundarstufe

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Redaktion bedankt sich bei allen Verlagen, die ihre Bilderbuchcover für dieses Werk zur Verfügung gestellt haben!

Mit 63 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99740-7

Umschlagabbildung: © robodread/fotolia

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Erster Teil: Bilderbücher im (Religions-)Unterricht – Grundlagen und Beispiele

Zur Einführung

1. Was sind Bilderbücher?

2. Kleiner geschichtlicher Abriss

3. Typologien des Bilderbuches

4. Funktionen des Bilderbuches

5. Kriterien – was ist ein gutes Bilderbuch?

5.1 Kriterium der Kindgemäßheit

5.2 Kriterien der inhaltlichen Qualität

5.3 Kriterien der Bilder

5.4 Theologisch-religionspädagogische Kriterien

6. Bilderbücher und Entwicklungspsychologie

7. Bilderbücher und Kindertheologie

8. Bilderbücher im Klassenzimmer

9. Unterrichten mit Bilderbüchern: Beispiele für alle Altersstufen

9.1 Kindergarten/Vorschule

9.1.1 Astrid Lindgren/Ilon Wikland, Der Drache mit den roten Augen (1987/9. Aufl. 2015)

9.1.2 Ulf Nilsson/Anna-Clara Tidholm, Adieu Herr Muffin (2002/7. Aufl. 2014)

9.2 Klasse 1/2

9.2.1 Astrid Lindgren/Ilon Wikland, Weihnachten in Bullerbü (1963/35. Aufl. 2015)

9.2.2 Willi Fährmann/Gabriele Hafermaas, Paco baut eine Krippe (1993/2004)

9.3 Klasse 3/4

9.3.1 Wolf Erlbruch, Frau Meier, die Amsel (1995/5. Aufl. 2006)

9.3.2 Lorenz Pauli/Miriam Zedelius, Harzig, Kipplig, Fälltum (2010)

9.4 Klasse 5/6

9.4.1 Rafik Schami/Sandra Beer, »Wie sehe ich aus«, fragte Gott (2011/3. Aufl. 2014)

9.4.2 Max Lucado/Sergio Martinez, Du bist einmalig (2003/9. Aufl. 2015)

9.5 Mittelstufe

9.5.1 Max Bolliger/Michaela Sangl, Die Geschichte des weisen Nathan. Die Ringparabel neu erzählt. Festgabe zum 80. Geburtstag von Max Bolliger (2009)

9.5.2 Unterrichtsprojekt: Was ist ein gutes Bilderbuch zum Thema Sterben und Tod?

9.6 Oberstufe

9.6.1 Michael Schmidt-Salomon/Helge Nyncke, Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel. Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen (2007)

9.6.2 Michael Schmidt-Salomon/Helge Nyncke, Susi Neunmalklug erklärt die Evolution. Ein Buch für kleine und große Besserwisser (2009)

Zweiter Teil: Bilderbücher thematisch geordnet

Einführung

1. Gott

1.1 Kindliche Vorstellung von Gott

1.2 Gottes Liebe, Talente

1.3 Bilder für Gott

1.4 Vertrauen, Wege zu Gott finden

1.5 Wer und wo ist Gott?

1.6 Gott heute auf unserer Erde

1.7 Handelt Gott? Straft Gott?

1.8 Philosophieren zur Gottesfrage

1.9 Himmel, Projektionstheorie

1.10 Was die Welt im Innersten zusammenhält

1.11 Gottesbilder, Mensch als Ebenbild?

1.12 Rechtfertigungslehre

2. Schöpfung

2.1 Schöpfung und Sinn des Lebens

2.2 Die Schöpfung als Paradies

2.3 Theologisieren über die Schöpfung

2.4 Von der Schöpfung bis zu Kain und Abel

2.5 Schöpfung und Gegenwart

2.6 Der Mensch als (einzigartige) Schöpfung Gottes

2.7 Die Schönheit der Schöpfung

2.8 Die Welt als Schöpfung und Wunder

2.9 Schöpfung und Evolution

2.10 Bewahrung der Schöpfung/Erde

2.11 Kritik an der Schöpfungslehre

3. Feste: Weihnachten

3.1 Geschenke

3.2 Weihnachtslieder, Weihnachten in aller Welt

3.3 Weihnachten als Lichterlebnis

3.4 Geschenkte Weisheit

3.5 Weihnachtswunder

3.6 Weihnachten und Passion

3.7 Engelsbotschaft/Weihnachtslegende

3.8 Licht

3.9 Alleinsein/Gemeinschaft an Weihnachten

3.10 Weihnachtsbräuche

3.11 Weihnachten in Südamerika

4. Weitere kirchliche Feiertage im Bilderbuch

4.1 Heilige Drei Könige

4.2 Passion und Ostern

4.3 Die Herkunft des Ostereis

4.4 Theologisieren über Ostern

4.5 Ostern als moderne Übertragung

4.6 Ostern interkulturell

4.7 Terminierung von Ostern

4.8 Pfingsten

4.9 St. Martin als moderne Übertragung

4.10 St. Martin als interreligiöse Begegnung

4.11 Märchenhafte Übertragung von St. Martin

4.12 Nikolaus – Nacherzählung der Legende

4.13 Nikolaus als interreligiöse Begegnung

5. Gebet/Psalmen

5.1 Vaterunser

5.2 Kleine Gebetsschule

5.3 Erfahrung mit dem Gebet

5.4 Psalmen (Ps 91)

6. Anthropologische Grundfragen

6.1 Eitelkeit, Geiz, Freunde finden

6.2 Perspektivenwechsel, Rücksichtnahme, Vergeltung

6.3 Ichfindung

6.4 Frieden, Zusammenleben, Rücksichtnahme, Freundschaft

6.5 Leistungsdruck, Zusage Gottes

6.6 Zufriedenheit, Glück

6.7 Stärken und Schwächen

6.8 Mut, Individualität

6.9 Was man zum (Über-)Leben braucht

6.10 Wahrheit als Bauchgefühl

6.11 Über sich selbst hinauswachsen

6.12 Abschied

6.13 Wenn Träume fliegen lernen

7. Fremd sein, anders sein, andere Religionen

7.1 Dem Außenseiter helfen

7.2 Vorurteile, Chancen der Begegnung im Spiel

7.3 Außenseiter sein

7.4 Vielfalt der Menschen

7.5 Flucht

7.6 Interreligiöse Begegnung

7.7 Welche Religion hat Recht? (Ringparabel)

7.8 Religionskritik

8. Alter, Krankheit und Behinderung

8.1 Demenzprobleme im Alltag

8.2 Behinderung, Ausgrenzung

9. Abschied, Tod und Trauer

9.1 Trauerarbeit als Erinnerungsarbeit

9.2 Der Tod als lebenslanger Begleiter

9.3 Beerdigungen – kindlich spielerischer Umgang

9.4 Tod eines alten Menschen – Einbeziehung in den Abschiedsprozess

9.5 Tod eines alten Menschen – Kindliche Perspektive und Reaktion

9.6 Schutzengel im Leben, Hospiz

9.7 Tod eines Freundes – Abschied als Trauerweg

9.8 Tod eines Geschwisterkindes – christliche Deutung

9.9 Unfalltod eines Elternteils – Erinnerung als Trost

9.10 Hoffnungsbilder – Tod als Verwandlung

9.11 Tod eines Haustiers

9.12 Comic-artig gestalteter Überblick über Tod, Rituale und Erinnerungsmöglichkeiten

Literatur

Primärliteratur

Sekundärwerke

Bei der Suche nach Informationen zu bestimmten Autorinnen/Autoren bzw. Bilderbüchern, wird man im Primärliteraturverzeichnis auf S. 279 fündig. Dort stehen Verweise auf die entsprechenden Seitenzahlen im Buch.

Erster TeilBilderbücher im (Religions-)Unterricht – Grundlagen und Beispiele

Zur Einführung

Eine Bilderbuchstunde ist für uns nicht (nur) die mit sehr gut bestandene Examenslehrprobe, sondern eine Unterrichtsstunde,

– in der die Klasse den Gong überhört, weil sie so begeistert über das Thema des Bilderbuches spricht,

– in der man in den Augen der Kinder die Betroffenheit, das Interesse und die Faszination erkennt und davon selbst angespornt wird,

– in der die Kinder bzw. Jugendlichen fasziniert mit leuchtenden Augen auf den Ausgang der Bilderbuchgeschichte warten und man eine Stecknadel fallen hören könnte,

– in der einige Schülerinnen und Schüler noch im Gespräch zum Stundenthema verweilen und dabei ihr Essen vergessen, obwohl der Lehrer schon den Raum verlässt,

– in der die Bilder des vorgestellten Bilderbuches in der Pause noch einmal ganz genau angeschaut werden müssen.

Solche Momente gehören zu Bilderbuchstunden dazu, jeder Lehrende kennt diese Flow-Erlebnisse für sich selbst und seine Klasse. Für uns waren Bilderbücher immer wieder Medien für solche Bilderbuchstunden. Das stand am Anfang der Planungen, ein solches Buch zu schreiben.

Bilderbücher faszinieren, sprechen alle Altersgruppen an, auch und gerade in unserem visuellen Zeitalter, und haben ein großes pädagogisches Potenzial.

Sicher, nicht jede Gesprächsrunde oder Unterrichtsstunde mit einem Bilderbuch wird automatisch eine »Bilderbuch-Stunde« und doch beeindrucken Bilderbücher sowohl Kinder als auch Jugendliche und Erwachsene und bieten so Anlass zu vielerlei Auseinandersetzungen mit ihnen. Durch das breite Themenspektrum, das Bilderbücher mittlerweile abdecken, kann man auch zu äußerst schwierigen Fragen mit ihnen arbeiten. Gerade zu Bereichen wie Gott, Sinn des Lebens, Krankheit, Behinderung, Tod oder auch Krieg und Flucht bieten Bilderbücher einen verdichteten und sensiblen Zugang, der lange Lektürephasen oder ermüdende Materialbearbeitung ersetzen kann.

Dieses Buch möchte Mut machen, die Vielfalt der Bilderbücher zu nutzen und in Kindergärten, Schulen und auch Gemeinden einzusetzen. Die Beschäftigung mit Bilderbüchern beschränkt sich nicht nur auf die Arbeit mit kleinen Kindern, auch wenn dies immer noch der klassische Bereich ist und sie hier eine Fülle von Aufgaben leisten. Über dieses Alter hinaus kann man Bilderbücher mit Gewinn auch bei älteren Kindern und Jugendlichen in der Sekundarstufe, im Konfirmandenunterricht oder in der Erwachsenenbildung einsetzen und dabei fruchtbare Gespräche, kreative Prozesse und erstaunliche Aktionen initiieren. Dazu möchte das Buch mit den unterschiedlichen Teilen beitragen.

Zunächst gibt es im ersten Teil einen bewusst kurz gehaltenen, nichtsdestotrotz aber informativen Überblick und eine fachliche Einführung, die auch praktische Hinweise zur Arbeit mit Bilderbüchern enthält. Das umfangreiche 9. Kapitel bietet umfassende Beispiele und Anregungen quer durch alle Altersgruppen und belegt damit die Aussage, dass Bilderbücher sich nicht nur an eine bestimmte jüngere Adressatengruppe richten.

Im zweiten Teil werden thematisch gruppiert fast 100 Bilderbücher zu unterschiedlichen Bereichen, mit didaktisch-methodischen Hinweisen versehen, vorgestellt. Dabei wurden sowohl Klassiker als auch erst kürzlich erschienene Bücher ausgewählt. Unsere Erfahrung ist, dass gute Bilderbücher nicht alt werden und sich die Arbeit mit ihnen immer (noch) lohnt.

Wir danken unseren Kindern für die Zeit, die wir mit ihnen beim Bilderbuchvorlesen, bei den privaten Bilderbuchstunden verbracht haben. Ihnen sei dieses Buch deshalb auch gewidmet. Besonders danken wir aber auch Anneke Butt, Kira Kotthaus, Lisa Unruh-Naber, Ludger Hohn-Morisch und Britta Vaorin für die Durchsicht und ihre Rückmeldungen.

Wir hoffen, dass das Buch Anregungen und Ideen gibt, Bilderbücher in der Arbeit in unterschiedlichen Bereichen einzusetzen. Dass vielleicht auch die eine oder andere Bilderbuchstunde dabei ist, wünschen Ihnen

Mirjam Zimmermann und Christian Butt

1. Was sind Bilderbücher?

Bilderbücher sind eine Spezialkunst für Kinder – Medien, die kurz und einfach verständlich in Text und Bild insbesondere für das Kindergarten- und Grundschulalter verfasst sind. In definitorischen Zusammenhängen ist die Kategorie des Einfachen »zu einer zentralen Maxime für Bild und Text«1 geworden, die Komprimierung auf das Wesentliche dagegen findet man erstaunlicherweise nur selten.2 Das Bilderbuch weist wie das illustrierte Buch auch eine Vielzahl an Bildern auf. Für das Bilderbuch ist aber die enge Wechselbeziehung von Bild und Text konstitutiv, bei der das Bild keine nur erläuternde und kommentierende Funktion besitzt, sondern beide zusammen ein komplexes, in ihrer Gemeinsamkeit symbolisches Kunstwerk darstellen. In diesem werden als narrativem Medium in der Regel Stoffe fiktionalen Charakters erzählt. Da das Bilderbuch zumeist kleine Kinder als Adressaten im Blick hat, beschränkt es sich auf einen begrenzten Text- und Bildumfang und verwendet wenige Text- bzw. Bildeinheiten.

Ob man von einer Dominanz des Bildes über den Text sprechen kann,3 ist umstritten. Man findet sicherlich Bilderbücher, für die die Bedeutung des Textes als eher untergeordnet eingeschätzt werden kann, wobei es hierbei nicht nur um eine quantitative Einschätzung geht. Manchmal haben wenige Worte eine größere Bedeutung als ein im Vergleich dazu langer Text. Zumindest ist es im Zusammenhang mit der Gattung Bilderbuch problematisch, von »Illustration«4 zu sprechen,5 denn das suggeriert eine Dominanz des Textes gegenüber den Bildern und unterschlägt die Eigenpotenz der künstlerischen Ausgestaltung. Dabei werden erst in Verbindung der textlichen und der bildlichen Narration beide »Texte« auf eine vielschichtige Art und Weise zu einem Gesamttext. »Angesichts der Entgrenzung traditioneller ästhetischer Kategorien scheint es heute Sinn zu machen, den Begriff der Illustration um die Kategorie Bild zu erweitern.«6 Ebenso wie der Text selbst besitzt auch das Bild bzw. die Bildfolge narrative Qualitäten, sodass es sogar textlose Bilderbücher gibt, die eine Geschichte erzählen. Das Verhältnis von Text und Bild kann in Form eines parallelen Aufbaus, als Verflechtung, als Spannung oder Durchdringung gestaltet sein. Hinsichtlich stilistischer Möglichkeiten finden sich unterschiedliche Malweisen von comic- und karikaturähnlichen, gegenständlich-naiven Bildlösungen über realistische bis surreal-fantastische Stile sowie bildnerische Abstraktion.

Diskutiert man z. B. in Seminargruppen über die Qualität von Bilderbüchern, können problemlos die sogenannten »Warenhaus-/Kaufhausbilderbücher«7 von den »künstlerisch anspruchsvollen Bilderbüchern«8 unterschieden werden. Erstere werden in meist hohen Auflagen sehr preiswert überwiegend in Kaufhäusern und Supermärkten angeboten und zeichnen sich durch klischeehafte Handlungen in einer heilen Kinderwelt aus. Die Bildästhetik lebt von einem naiven Realismus in leuchtenden Farben, klaren Konturen und einem flächigen, unmodulierten Farbauftrag, der das Kindchen-Schema aufnehmend die Figuren in stereotypen Formen zeigt. In der zweiten Gruppe finden sich dagegen auflagenschwächere, meist in Fachbuchhandlungen zu beziehende, teurere (12–18 €) Bilderbücher, die auf der Inhaltsebene kindliche Probleme und soziale Themen aufgreifen und diese durch sehr differenzierte Gestaltungsformen in unterschiedlichen Techniken unterstützen und weiterführen (siehe im ersten Teil, Kap. 5).

________________

1 Thiele 2002, 228.

2 Ebd.

3 Grünewald 1991, 17.

4 Da der Begriff allerdings in allen von uns eingesehenen Publikationen verwendet wird (Hollstein/Sonnenmoser 2012; Kretschmer 2011, 34 ff.; Hollstein/Sonnenmoser 2010; Thiele 2000 u. a.), weichen wir auch nicht vom Illustrator auf Alternativen wie Künstler o. Ä. aus.

5 Thiele 2002, 230.

6 Ebd.

7 Hollstein/Sonnenmoser 2010, 28.

8 Dehn/Thiele 1986, 142 ff.

2. Kleiner geschichtlicher Abriss

Als Vorläufer des Bilderbuches gilt, neben den vorrangig für Leseunkundige gedachten ABC-Büchern oder illustrierten Bibelauszügen, das über 300 Seiten starke Buch Orbis sensualium pictus (Die sichtbare Welt) von Johann Amos Comenius aus dem Jahre 1658, das mit 150 Holzschnitten bebildert ist.9 Dem Sachbuch, das dem Kind das Ganze der Welt, das Wissen über Gott, Mensch und Welt vermitteln soll, liegt eine für seine Zeit zukunftsweisende, kindgemäße Pädagogik zugrunde. Es arbeitet nicht nur mit Texten (Latein und Deutsch) und hat das Ziel der Sprachschulung vor Augen, sondern nutzt zudem die Möglichkeiten der bildlichen Darstellungen, die helfen, das geordnete Wissen und einzelne Dinge in ihrem Sinnzusammenhang aufzuzeigen. Die Bilder tragen nämlich nach Ansicht von Comenius dazu bei, dass die Aufmerksamkeit, das Verständnis und die Fähigkeit, sich Dinge einzuprägen, wesentlich bei den Kindern gefördert werden. Allerdings richtet sich das Werk als Schulbuch auch an erwachsene Schülerinnen und Schüler.

Comenius entwickelt mit seinem Buch ein ganz neues Genre, das die Illustrationen nicht mehr nur als dekorative Verzierungen nutzt, wie die illustrierten Fabeln, Fibeln oder Bibeltexte seiner Zeit, sondern er billigt ihnen ein Eigengewicht mit einer gleichberechtigten Zielperspektive zu. Damit wird er Impulsgeber und beeinflusst mit seinem Werk nachhaltig die Entwicklung des Schulbuches bis ins 19. Jahrhundert, denn das Orbis sensualium pictus findet viele Nachahmer. Dabei spielen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Bilder in Form von Holzschnitten eine wichtige Rolle und werden dann vom Kupferstich abgelöst.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts etablieren sich Inhalte, Formen und Funktion des Bilderbuches, die in Grundzügen bis heute Bedeutung haben.10 In den Jahren und Jahrhunderten zuvor wendet sich die Bildungs- und Anfängerliteratur unspezifisch an verschiedene Adressaten. Die Abkehr von der Mehrfachadressierung ist einerseits wesentlich Folge der Ideen und Schriften von John Locke (1632– 1704). Er entdeckt die Bedeutung der Kindheit und damit des kindlichen Spiels bzw. der kindlichen Fantasie und fordert, dass diese besondere Berücksichtigung in einer spezifischen Kinderliteratur brauchen. Die von ihm beschriebenen Grundzüge einer Kinderliteratur haben zwar pädagogisch-belehrenden Charakter, es finden sich aber auch unterhaltende Züge. So ist Locke beispielsweise überzeugt, dass Illustrationen in Büchern für Kinder wichtig sind, da sie die besondere kindliche Neugier und ihren ausgeprägten Wissensdurst unterstützen. Zum anderen geben die Gedanken und Werke von Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) wichtige Impulse. Er beschreibt in Émile (1762) die Kindheit als eigenständige Existenzform des Menschen, die in einem qualitativen Kontrast zum Erwachsenensein steht. Die Kindheit durchlaufe verschiedene spezifische Entwicklungsstufen. Rousseau behauptet, dass die Erwachsenenwelt für Kinder unbegreiflich sei, sodass es regelrecht unnütz sei, Kindern in dieser Phase in Büchern Wissen und Kenntnisse beibringen zu wollen, weil dieses nur leeres Wortwissen werden könne. Folge dieser Idee war, wie bei Locke, eine ausschließlich an Kindern orientierte Literatur. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wächst in dieser Zeit die Zahl der ausschließlich für Kinder verfassten Bücher und Texte an. Erstmalig werden Themen und Stoffe ausgespart, die nicht für Kinder geeignet scheinen und andererseits werden besondere Erfahrungen und Erlebnisse aus der kindlichen Lebenswelt literarisch verarbeitet.

Die Romantik bildet »ihr eigenes Verständnis von Kindheit und einer entsprechenden Literatur für Kinder heraus«.11 Dieses gibt der Entwicklung des Bilderbuches zu einer eigenen kinderliterarischen Gattung den entscheidenden Schub. Die Romantik vertritt eine Auffassung von Kindheit, die sich als Gegenbewegung zu den vorhergehenden Strömungen und der Aufklärung versteht. Das Idealbild eines vernunftbegabten und belehrbaren Kindes wird von einer mythisch-poetischen Kindheitsvorstellung abgelöst. Das Wesen des Kindes wird als fantastisch-animistisch und wesentlich emotional bestimmt, ausgestattet mit einer natürlichen Religiosität, jedoch ohne ausgeprägten Realitätsbezug. Die Phase der Kindheit wird als autonomer Lebensabschnitt begriffen, den es nicht zu verzwecken und zu funktionalisieren gilt. Kindheit wird nicht als eine Vorbereitung auf das Erwachsensein angesehen. Mehr noch besagt die Idee der Kindheitsautonomie, dass das Kindsein als Phase des Lebens seinen Wert in sich trägt. Daher soll die Literatur, die sich an Kinder wendet, diese weniger belehren und unterhalten, als vielmehr die kindlichen Gefühle ansprechen und anrühren. D. h. auf erzieherische Literatur und unmittelbare Erziehungszwecke wird in den Büchern weitgehend verzichtet, da die Kinder in ihrem poetischen Dasein über Natur- und Volkspoesie zu erreichen sind, also durch Volksbücher, Sagen, Legenden und vor allem durch Märchen. Dabei spielt auch die sogenannte Genremalerei, also Darstellungen von Haus-, Stadt- oder Landszenen, die das Ideal des Bürgertums verkörpern, eine wichtige Rolle und bildet einen Vorläufer zu der Erneuerung des Bilderbuches in späterer Zeit.

Wichtig für die Verbreitung und die zunehmende Popularität des Bilderbuches ist die »Entwicklung neuer Drucktechniken«12, die es möglich machen, dass Bilderbücher in hohen Auflagen produziert und gedruckt werden. Dafür sind technische Neuerungen notwendig, die eine massenhafte wirtschaftliche Herstellung möglich machen. Hier sind vor allem der Stahlstich, die Lithografie und der Dreifarbendruck zu nennen. Als bekanntestes Beispiel aus den Anfangsjahren gilt Heinrich Hoffmanns Lustige Geschichten und drollige Bilder mit 15 schön kolorierten Tafeln für Kinder von 3 bis 6 Jahren aus dem Jahr 1845, das ab der vierten Auflage unter dem Titel Der Struwwelpeter (1847) aufgelegt wurde. Mit der engen Verschränkung von Bild- und Textbereich ist dieses Buch ein wichtiger Wegbereiter des modernen Bilderbuches.

In den Folgejahren erlebt das Bilderbuch in Westeuropa und den USA durch unterschiedlichste Autoren einen enormen Aufschwung. In Deutschland gibt die Kunsterziehungsbewegung als Element der Reformpädagogik wichtige Impulse. Als kindgemäß werden beispielsweise Schlichtheit, Klarheit und Deutlichkeit in der Bildgebung propagiert.13 Die Maßstäbe (eindeutige Umrisse, flächendeckende Farbgebung) gelten bis in die Gegenwart. Auch die reformpädagogisch orientierten Kräfte, die die Erneuerung der Kinder- und Jugendliteratur vorantreiben, schätzen das Bilderbuch als wertvoll ein, da dies den freien und schöpferischen Umgang mit der Literatur eröffne und unterstütze.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen widmen sich renommierte Künstler dem Bilderbuch und gestalten dies in ihren Stilrichtungen: Expressionismus, Bauhaus oder im Stile der neuen Sachlichkeit. Damit setzen sie einen Gegenakzent zu den patriotisch geprägten Bilderbuchveröffentlichungen des Ersten Weltkrieges und vor allem zu den nationalistischen, rassistischen und ideologisch entstellten Bilderbüchern in der Zeit des Nationalsozialismus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält die Bilderbuchproduktion einen immensen Aufschwung, der von verschiedenen Strömungen und Impulsen gekennzeichnet ist. So folgt einer Phase, die die Kindheit immer noch als Wert an sich herausstellt, eine Zeit, die durch antiautoritäre und realistische Bücher gekennzeichnet ist, die die gesellschaftlichen Verhältnisse miteinbeziehen. Die sozialkritischen Bilderbücher fordern die aktive Auseinandersetzung der Kinder ein.

Seit längerer Zeit zeichnet sich der Trend ab, dass Bilderbücher heute vor allem auch die Aufgabe wahrnehmen, Kinder mit dem Phänomen Literatur vertraut zu machen. Sie sollen die kognitiven Fähigkeiten anregen,14 dabei spielt die Normen- und Wertevermittlung eine zumeist untergeordnete Rolle. Die Bilderbuchästhetik geht innovative Wege. Einflüsse aus den Medien sind dabei unverkennbar.15 Unterschiedliche Stile, Buchformate und Kunstformen werden integriert und werten die Bilderbücher künstlerisch auf. Comics, Karikaturen, Collagen oder filmische Aufnahmen werden zur grafischen Gestaltung herangezogen. Auch experimentelle Bilderbücher und solche, die die akustische und haptische Dimension berücksichtigen, sind kommerziell erfolgreich.

Zugleich widmet sich das Bilderbuch bislang ausgeklammerten Themen, beispielsweise dezidiert religiösen Themen, Krieg, Sterben/Tod oder auch der Shoah.16 Diese unterschiedlichen Tendenzen führen dazu, dass sich das Bilderbuch in der Gegenwart zur Crossover Literature oder All Ages Literature entwickelt hat. Sowohl die Aufnahme von literarischen Elementen der Moderne als auch der künstlerische Anspruch sowie die Themenvielfalt begünstigen diesen Trend. Gleichzeitig führt die zunehmende Komplexität dazu, dass sich wiederum einfache Bilderbücher für Kleinkinder, bei denen vor allem die kommunikativen Fähigkeiten des Erkennens und Benennens im Vordergrund stehen, von den restlichen Bilderbüchern abheben.

Die Kommerzialisierung im Bereich des Bilderbuches und die frühzeitige Konfrontation auch der jüngeren Kinder mit einem überreichen multimedialen Angebot stellen das Bilderbuch der Zukunft vor große Herausforderungen. Zugleich zeigt die Verleihung von Preisen und Auszeichnungen an Bilderbücher und Bilderbuchillustratoren die Wertschätzung dieses Genres.

________________

9 Comenius 1658/2013.

10 Kümmerling-Meibauer 2012, 153. 11 Dreßing 2004, 51.

11 Dreßing 2004, 51.

12 Kümmerling-Meibauer 2012, 154.

13 Thiele 2000, 157.

14 Die Aufgabe der ästhetisch-literarischen Sozialisation findet einen erweiterten Anwendungsbereich auch in der Leseförderung im mehrsprachigen Umfeld, Neugebauer 2007, 229 ff.

15 Kretschmer 2009, 19.

16 Thiele 2000, 163 ff.

3. Typologien des Bilderbuches

Schon in den letzten 200 Jahren, aber auch heute noch findet man unterschiedliche formale Typen von Bilderbüchern. Zuallererst kann man Sachbilderbücher von Erzählbilderbüchern unterscheiden, die beide für den Religionsunterricht durchaus ihre Relevanz haben. Letztere lassen sich in fantastische und realistische Erzählungen untergliedern, wobei die fantastische und die realistische Erzählebene, korrespondierend zum Weltbild des Kindes, häufig vermischt werden (bekannt ist z. B. Sendac, Wo die wilden Kerle wohnen).

Bei den erzählenden Bilderbüchern lassen sich Problembilderbücher, die Tabuthemen wie z. B. Sterben und Tod sowie soziale Konflikte wie Mobbing/Ausgrenzung aufnehmen, von anderen Themenbilderbüchern unterscheiden, die kindliche Erfahrungen kreativ bearbeiten oder kindliche Fragen anregend zum Thema machen.

Aufgrund der Bedeutung des Bildes im Text-Bild-Zusammenspiel kann man Bilderbücher auch hinsichtlich der ästhetisch-stilistischen Ausgestaltung unterscheiden. Dabei finden sich figürlichgegenständliche und eher abstrakt gearbeitete Werke.

Davon differenziert werden kann die technische Ausstattung von Bilderbüchern: Bei manchen gibt es z. B. einen Aufklapp-, Dreh-, Zieh- oder Faltmechanismus, manche gehen in die Form eines Ausschneidebogens über oder sind wie eine Bastelvorlage konstruiert, andere bieten Begleitmaterialien auf CD-ROM, die ein interaktives Betrachten ermöglichen.

Fragt man nach explizit christlichen Bilderbüchern, ist nicht einfach zu beurteilen, was eigentlich religiöse Bilderbücher von anderen unterscheidet. Magda Motté17 differenziert zwischen drei Dimensionen, die in theologisch relevanten Texten nachgewiesen werden können.

1. Die allgemein ethisch-existenzielle Ebene, die in Texten mit »allgemein menschlichen Themen« aufscheint.

2. Die transzendental-religiöse Dimension, in der die »Erlösungsbedürftigkeit unserer Welt nicht durch Selbsterlösungsprogramme beantwortet und das Ich nicht zum Mittel- und Zielpunkt des Universums stilisiert« wird. Menschliche Grunderfahrungen werden darin transzendiert, d. h., dass der Mensch »sich auf einen letzten, alles umfassenden Sinngrund verwiesen fühlt, von dem er sich abhängig weiß und dem er sein Leben verdankt«.18

3. Darstellungen mit Bezug auf die jüdisch-christliche Botschaft: Das sind also Texte, die »die Frage nach dem nahbaren Gott und dem Schicksal seines Volkes Israel aufwerfen und als ›christlich‹ jene, die aus dem Geist Jesu leben, d. h., Umkehr, Auferstehung und ewiges Leben über den Tod hinaus thematisieren und dies auch durch Signale im Text […] zum Ausdruck bringen«.19

Zur letzten Dimension stellt Motté in Bezug auf Kinder- und Jugendliteratur20 ernüchternd fest, dass der »Befund unter den literarisch befriedigenden Werken« in diesem Bereich äußerst »mager« sei. Das Gleiche gilt auch für Bilderbücher.

An sie anschließend kategorisiert Langenhorst21 Kinder- und Jugendliteratur ähnlich:

1. Werke der »nicht intentionale[n] religiösen Literatur«,

2. Werke der religiösen Literatur mit transzendental-religiöser Dimension und

3. Werke der explizit christlichen Jugendliteratur, in denen die christliche Botschaft direkt erkennbar ist und im Mittelpunkt steht.

In diesem Buch werden je nach Thema (siehe zweiter Teil) alle drei Dimensionen berücksichtigt.

________________

17 Motté 1996, 28; 2003; 2011, 146–148.

18 Motté 2011, 147.

19 Motté 1996, 38.

20 Motté 2004, 5.

21 Langenhorst 2011b, 39.

4. Funktionen des Bilderbuches

»Bilderbücher sind die ersten Bücher, zu denen Kinder eine intensive Beziehung entwickeln und durch die sie zur Literatur hingeführt werden.«22 Entsprechend wichtig ist der Umgang mit diesen Medien einerseits für die frühe Lesesozialisation, andererseits bieten Bilderbücher auch erste rezeptiv ästhetisch-künstlerische Erfahrungen durch das Betrachten der Bilder.

Wer Bilderbücher z. B. verschenkt, hat dabei einen inhaltlichen oder einen bildnerischen Anspruch. Er möchte mit dem gewählten Inhalt etwas vermittelt wissen, denn Bilderbücher führen, wie andere fiktionale Stoffe, in die gesellschaftliche Realität ein, die über Figuren, Handlungen, Normen und Rituale präsentiert wird.

Wichtig ist auch die mit dem Bilderbuch verbundene Kommunikationsform. Bilderbücher werden gewöhnlich von Erwachsenen, z. B. den Eltern, den Erzieherinnen und Erziehern, den Lehrerinnen oder den Lehrern vorgelesen. Oft kommt man dabei ins Gespräch, die Kinder fragen, sind aber nicht immer an der Antwort der Eltern interessiert, sondern nutzen die Frage quasi als rhetorisches Element, um selbst über mögliche Antworten nachzudenken. Das kann ein Initial für das vertiefte Nachdenken, das Philosophieren bzw. Theologisieren sein (vgl. Kap. 7).

Nachhaltig ist die Erinnerung an die Bilder und den Text einiger häufig gelesener Bilderbücher aus der Kinderzeit, sodass Erwachsene ihre Lieblingsbilderbücher noch kennen und auf diese wieder zurückgreifen, wenn sie eigene Kinder haben. Gerade in Anbetracht des immer früher einsetzenden Medienkonsums in Form von Filmen oder Computerspielen hat das Bilderbuch als einfaches, langsames Medium eine besondere Bedeutung.23

Im Unterricht selbst kommen dem Bilderbuch als Lerngegenstand z. B. als »Vehikel für problemorientierten Unterricht«24 noch weitere Funktionen zu: Während im Deutschunterricht im Rahmen des Lesenlernens Bilderbücher als Brücke zwischen literarischer Erfahrung im Kindergarten und dem Erstleseunterricht verwendet werden und auf die Ganzheitlichkeit literarischer Erziehung durch Originaltexte mit Bildunterstützung verwiesen wird, geht es im Rahmen der Kunstpädagogik um die ästhetische Erziehung. Die religionspädagogische Funktion lässt sich am ehesten inhaltlich aufgreifen, indem im Bilderbuch in elementarer und doch tiefgründiger Form schwierige lebensweltliche Themen wie z. B. Tod, Ausgrenzung oder theologisch-biblische Fragen wie z. B. nach der Schöpfung, nach Gott etc. in Text und Bild bearbeitet werden.

Thematisch einbinden lassen sich die hier ausgewählten und vorgestellten Bücher auch im Rahmen der Umwelterziehung, der Sozialerziehung, der Medienerziehung, der interkulturellen Erziehung, in lernbereichsübergreifenden Aufgabenfeldern u. a.

Je nach gewähltem methodischem Zugang (Vorlesen, Reflexion des Inhalts, der grafischen Gestaltung, produktiver und handlungsorientierter Zugänge u. a.) werden wiederum unterschiedliche Funktionen fokussiert, indem der Inhalt im Medium Bilderbuch durch die gewählte Methode spezifisch zum Lernenden in Bezug gesetzt wird.

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22 Spinner 1992, 17.

23 Erstaunlicherweise findet man kaum Rezeptionsforschungen, sodass die Funktionen, die dem Medium zugeschrieben werden, aus Deutungen und Setzungen bestehen.

24 Thiele 2002, 241.

5. Kriterien – was ist ein gutes Bilderbuch?

Bei der Auswahl eines Bilderbuches (für den Religionsunterricht) ist dieses nicht nur hinsichtlich seiner thematischen Bearbeitung, sondern auch gemäß seiner literarischen und künstlerischen Qualität zu prüfen. Dabei gilt für Bilderbücher die für die Kinder- und Jugendliteratur getroffene Aussage ebenso, dass viele »Werke älteren Datums durch die Zeit nichts an ihrer Aussagekraft verloren«25 haben.

Kriterien zur Bewertung von Literatur für Kinder und Jugendliche finden sich an unterschiedlicher Stelle in der Literatur und sollen hier nur ganz knapp aufgeführt werden.26

5.1 Kriterium der Kindgemäßheit

Der Begriff der Kindgemäßheit, der besonders bei Bilderbüchern als Qualitätskriterium herangezogen wird,27 bedeutet, dass Bilder und Texte nur dann geeignet sind, wenn sie in ihrer Sprache und ihrem Inhalt dem Kind angepasst sind. Allerdings ist diese Definition doch stark abhängig von den jeweiligen Erziehungs- und Weltvorstellungen der die Bücher auswählenden Erwachsenen. Hier steht die Absicht, Wissen zu vermitteln, Sensibilität zu unterstützen, Ästhetik und Ethik zu fördern, neben dem Wunsch, die Kinder kindgemäß zu unterhalten. Dabei haben z. B. Witz, Fantastisches, Skurriles, Nonsens u. a. eine wichtige Funktion.

Außerdem ist die Alters- bzw. Entwicklungsgemäßheit ein Kriterium, das nicht grundsätzlich für eine Altersklasse beurteilt werden kann, weil es z. B. die altersspezifische Gruppe der 3-jährigen Kindergartenkinder nicht gibt.

Retter definiert deshalb Kindgemäßheit folgendermaßen:

»Kindgemäß sind demzufolge jene Bilderbücher, die in der Lage sind, diesem Spannungsbogen von Unterhaltungs- und Aufklärungsabsicht gerecht zu werden, d. h. spannend, unterhaltend, faszinierend zu sein, gleichzeitig aber auch Anregungen zu einem Stück Aufklärung über sich selbst und die Welt zu sein.«28

5.2 Kriterien der inhaltlichen Qualität

Inhaltlich anspruchsvolle Bilderbücher nehmen die Erfahrungen, Interessen und Probleme ihrer Zielgruppe auf und reduzieren den Inhalt nicht auf die Darstellung einer idealisierten, problemlosen, fröhlichen Kinderwelt. Unterhaltung und Lebenshilfe sollen dabei in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Um das zu überprüfen, können folgende Leitfragen helfen:29

– Hat der Text eine ausreichende literarische Qualität?

– Ist die Handlung in sich logisch konstruiert und regt sie durch Leerstellen zum Nachdenken an?

– Sind die gesellschaftliche Interaktion und die verwendete Kommunikation kindgemäß und trotzdem realitätsnah?

– Ist die Grundstimmung optimistisch und hoffnungsvoll?

– Finden sich Identifikationsangebote (für Jungen und Mädchen)?

– Werden Fantasie und Realitätsbewusstsein gleichermaßen angesprochen?

– Werden geschlechtsspezifische Rollenklischees vermieden?

– Gestattet die Fabel/die Parabel/die Metapher eine Umsetzung in reale Erfahrung?

5.3 Kriterien der Bilder

Die Rezeptionsforschung hat festgestellt, dass meist die Bilder darüber entscheiden, ob das Buch gekauft wird, aber auch darüber, ob es später gelesen und betrachtet wird. Während zum Kauf der Geschmack der Erwachsenen getroffen werden muss, entscheidet bei der Verwendung meist der Geschmack der Kinder. Da beide Gruppen auf das sogenannte »Kindchen-Schema« (überdimensionaler Kopf, weit auseinanderstehende Kulleraugen, Stupsnase, kleiner Mund) reagieren, finden sich solche Bilderbuchillustrationen immer noch häufig als Stereotypen des Niedlichen. Umso wichtiger ist es, Kriterien zur Beurteilung der bildlichen Qualität zu haben:30

– Stehen Text und Bild in einem sinnvollen funktionalen Verhältnis zueinander?

– Sind Text und Bild im Zusammenhang verständlich, laden sie zum verweilenden Betrachten und Nachdenken ein?

– Werden illustratorische Stereotypen des Niedlichen vermieden?

– Wecken die Bilder Fragen und lösen Neugier aus?

– Sind die Bilder ästhetisch ansprechend?

– Ist die künstlerische Umsetzung in sich stilistisch stringent?

– Ist das Bild einfach und doch um Komplexität bemüht?

– Sind die Bilder der dargestellten Wirklichkeit angemessen?

– Wie stimmig ist der Bildrhythmus (Wechsel von doppelseitigen, ganzseitigen, halbseitigen u. a. Illustrationen; auch Bildregie genannt)?

– Wird die Farbe als Bedeutungs- und Stimmungsträger genutzt (Farbregie)?

– Werden komplexe Sachverhalte durch Symbolverwendung unterstützt? Werden hier bildnerische Traditionen (Bildanspielungen) verwendet, als Zitate oder Variationen?

5.4 Theologisch-religionspädagogische Kriterien

Auch im Rahmen der religionspädagogischen Beurteilung von Bilderbüchern können Leitfragen helfen:

– Werden im Sinne einer narrativen Identität elementare, auch religiös bedeutsame Erfahrungen und Fragehorizonte menschlicher Existenz anknüpfend an die Lebenswelt der Kinder eröffnet?

– Werden religiös-ethische Herausforderungen in Kultur, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft oder in menschlichen Beziehungen verdeutlicht?

– Kann ausgehend von der Lektüre sinnvoll über den Zusammenhang von Glauben, Werten, Normen und Handeln gesprochen werden?

– Wird im Sinne ethischen Lernens eine Deutungs- und Urteilskompetenz gefördert?

– Hilft die durch die Lektüre angeleitete Diskussion dabei, am religiösen Dialog argumentierend teilzunehmen?

– Wird die religiöse Pluralität der modernen Welt authentisch dargestellt und kann damit Pluralitätsfähigkeit gefördert werden?

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25 Motté 2011, 157.

26 Sie finden sich ausführlich zum Bilderbuch bei Hollstein/Sonnenmoser 2010, 28–67; Kretschmer 2009, 28–33; zur Kinder- und Jugendliteratur allgemein bei Kaminski 1994, 130–137; bzw. Plieth 2009, 182–184.

27 Vgl. Hollstein/Sonnenmoser 2010, 31; Retter 1989, 11–15 u. a.

28 Retter 1989, 15.

29 Vgl. auch Hollstein/Sonnenmoser 2010, 33–34.

30 Vgl. auch Hollstein/Sonnenmoser 2010, 38.

6. Bilderbücher und Entwicklungspsychologie

Im Vergleich mit allen anderen Medien, selbst den besonders auf Kinder zugeschnittenen, gilt das Bilderbuch als das angemessenste und angebrachteste Informations- und Unterhaltungsmedium für Kinder. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es durch die Verknüpfung von Bild und Text so klar und eindeutig auf die spezifische Adressatengruppe bezogen ist. Da einerseits gerade jüngere Kinder ein großes Interesse an Bildern haben, andererseits die Massenmedien uns aktuell mit einer rasanten, nicht enden wollenden Bilderflut überschwemmen, wird das Bilderbuch mit seinen langsam, selbstständig zu entdeckenden Bildern als besonders geeignet vor allem für Vorschulkinder angesehen. Dabei kommt ihm in mehrfacher Hinsicht ein besonderer pädagogischer Nutzen zu:

– Aufbau des kindlichen Wortschatzes (Wörter lernen, Sätze konstruieren, kleine eigene Texte und Erzählungen entwickeln).

– Entwicklung eines Verständnisses für bildhaft poetische und metaphorische Sprache.31 Bild und Text vergegenständlichen das Gemeinte und machen es so verstehbar.

– Innere seelische Fähigkeiten wie Vertrauen oder Empathie werden den Kindern narrativ anschaulich und als narrative Erfahrung zur Verfügung gestellt.32

– »Ästhetische Alphabetisierung« (Ludwig Duncker): Textliche und bildhafte Elemente des Bilderbuches ergeben erst im Zusammenspiel ein ästhetisches Ganzes. Der Umgang mit ihnen fördert die Ausbildung von Sinnverstehen und das Erschließen von Wirklichkeit.33

Wird das Bilderbuch generell für Kinder als wertvoll und entwicklungsfördernd gewürdigt, muss doch innerhalb der Kindheit, abhängig von den unterschiedlichen Entwicklungsschritten, der kindliche Umgang mit diesem Medium differenziert werden:

Kleinstkinder finden ihren Zugang zum Bilderbuch über die Erfahrungen mit dessen Material und Beschaffenheit. An sie richten sich die abbildbetonten Bücher aus strapazierfähigem Karton oder Stoff. Gegenstände, Personen oder Tiere aus der Umwelt werden charakteristisch abgebildet. Das Kind erwirbt Wörter für Dinge, die es (noch nicht gut) kennt.

Im Alter von zwei bis drei Jahren können Kinder sich meist länger auf den Inhalt eines Bilderbuches konzentrieren. Der angewachsene Sprachschatz und ihre differenziertere Wahrnehmung der Umwelt ermöglichen ihnen ein Erfassen von einfachen, bildlich dargestellten Handlungsabläufen. Dabei spielt das Wiedererkennen von Objekten oder Szenen beim Betrachten eine ebenso große Rolle wie das Nachahmen des Erwachsenen beim Vorlesen durch das Wiederholen von Wörtern und Sätzen oder auch das Umblättern von Seiten.

Vier bis fünf Jahre alte Kinder zeichnen sich erfahrungsgemäß durch eine komplexere Fähigkeit zur Wahrnehmung, aber auch zur Wiedergabe aus. Sie können die Bildinhalte nicht nur erkennen und mit dem Vorgelesenen in Verbindung bringen, sondern auch die Bilder und Inhalte in einfachen Sätzen beschreiben und selbstständig kleine Erlebnisse, die nicht immer der Realität entsprechen müssen, dazu ergänzen und erzählen.

Mit dem Eintritt in die Grundschule und der »Schulreife« haben körperliche, geistige, soziale und emotionale Entwicklungen weitere und große Fortschritte gemacht. Die Kinder sind sprachlich und logisch in der Lage, komplexe Handlungen in Bilderbüchern nachzuvollziehen. Sie können sich mit handelnden Personen identifizieren, da sie nunmehr weniger egozentrisch fixiert sind und somit empathische und soziale Wahrnehmungen ausbauen können. Bilder werden von ihnen in ihrer Abstraktheit und Differenziertheit verstanden und nachvollzogen. Mehr und mehr werden sie selbstständig, was bedeutet, dass sie Bilderbücher allein oder mit Freunden lesen und auf ein Vorlesen verzichten.

Wird das Bilderbuch als das ideale Medium für Kinder angesehen, so wird gerne ein sehr enger Begriff von »Kindgemäßheit« benutzt. Mit diesem setzt sich Jens Thiele kritisch auseinander: »Unter einem kindgemäßen Bilderbuch werden seitens der Erwachsenen offenbar immer noch Einfachheit und Beschwichtigung statt Komplexität und Wahrheit verstanden«34, wofür er wiederum plädiert.

»Nur selten wird der Anspruch erhoben, Bilderbücher auch in höheren Schulstufen zum Gegenstand von Unterricht zu machen.«35 Es scheint auf den ersten Blick so, dass die Tendenz, das Bilderbuch als Form vor allem für jüngere Kinder zu verstehen, seit der Romantik bis heute ihre Gültigkeit behalten hat. Allerdings ist auf dem Buchmarkt in den letzten Jahren eine Veränderung zu bemerken, auch wenn diese vielleicht noch nicht in alle Schulen und Unterrichtsgestaltungen, sei es im Kunst-, Deutsch- oder Religionsunterricht, vorgedrungen ist. Seit einigen Jahren ergibt sich eine Art Gegenbewegung, die das Bilderbuch sowohl an Kinder als auch an Jugendliche oder Erwachsene richtet. »Die Doppeltadressiertheit des modernen Bilderbuches ergibt sich nicht nur durch die Integration zeitgenössischer Kunststile […], sondern auch durch Übernahme komplexer narrativer Erzählstrukturen.«36 Diese Crossover Literature, die sich auch in anderen Bereichen der Literatur findet – erinnert sei nur an die Harry Potter Romane von Joanne K. Rowling oder die Tintenwelt-Trilogie von Cornelia Funke –, zeichnet sich durch ihre implizite Mehrfachadressierung aus, sodass sie auf mehreren Ebenen interpretiert werden können. Damit einher geht die Ausweitung der mittlerweile in Bilderbüchern behandelten Themen, die für eine zusätzliche Attraktivität für ältere Leser sorgen. Gerade bei Themen, die für erwachsene Leser schwierig sind (Sterben/Tod, Krankheit, Demenz, Shoah und religiöse Themen), können die anscheinend so einfach strukturierten Bilderbücher eine Sprach-, Verstehens- und Verständigungshilfe bilden und damit dieselbe Funktion erfüllen wie bei der ursprünglich angedachten Leserschaft.

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31 Bönig/Hering 2012, 6.

32 Ebd., 7.

33 Kretschmer 2009, 25 f.

34 Thiele 2000, 189.

35 Ebd., 178.

36 Kümmerling-Meibauer 2012, 147.

7. Bilderbücher und Kindertheologie

Kinder haben neben vielen verbürgten Rechten, z. B. in der UN-Kinderrechtskonvention, auch ein Recht auf Religion und religiöse Begleitung. Das bedeutet, dass die schulische Bildung auch die religiöse Dimension berücksichtigen muss. Dabei sind Kinder aber nicht als Objekte religiöser Bildung zu sehen, die nach einem Kanon zu vermittelnder Inhalte gebildet werden sollen, sie sind als Subjekte auch hinsichtlich ihres Glaubens und ihrer Theologie zu betrachten. Von diesem Grundgedanken ausgehend37 stellen sich nun die Fragen, wie ein solches selbstbestimmtes religiöses Lernen gelingen kann, was hilfreiche Medien und methodische Unterstützungen dabei sind.

Wir wollen hier den Ansatz des Theologisierens mit Kindern aufgreifen, um diesen methodisch auf die Arbeit mit Bilderbüchern zuzuspitzen. Kindertheologie als eine Arbeit mit der Theologie der Kinder hat sich als religionspädagogischer Ansatz in den letzten 20 Jahren etabliert und stellt »eine Hermeneutik der aktiven Aneignung und weniger der Vermittlung«38 dar. Seit Beginn dieses Konzeptes ist die Arbeit mit Bilderbüchern im Blick.39 Christina Kalloch resümiert 2014 in ihrem Artikel im Handbuch Kindertheologie zum Theologisieren mit Bilder- und Kinderbüchern: »Religiöse Kinderliteratur kann eine Schatzkiste für religiöses Fragen sein.«40

Ziel der kindertheologischen Arbeit ist, die von Kindern hervorgebrachte Theologie wahrzunehmen (Theologie der Kinder), das so (hypothetisch) ermittelte Muster zu deuten und dann in einem dritten Schritt zu ergänzen, zu differenzieren und zu flexibilisieren (Theologie mit und für Kinder).

Gerade weil es beim ersten Schritt darum geht, durch eine ansprechende Anforderungssituation mit hohem Aufforderungscharakter die Beschäftigung mit einer theologischen Frage anzubahnen, können Bilderbücher helfen, medial ein Initial zum Nachdenken anzubieten. Hierbei sei an die zentrale Frage Rafik Schamis in seinem gleichnamigen Buch »Wie sehe ich aus«, fragte Gott erinnert, die auch eines der zentralen Themen ist, auf die Kinder und Jugendliche beim Theologisieren immer wieder zu sprechen kommen. Das Bilderbuch gibt hier Anknüpfungspunkte, darüber nachzudenken, was die Gottesbilder über die Geschöpfe aussagen, ob Vielfalt Beliebigkeit bedeutet, welchen Eigenwert die Vorstellungen von Kindern haben und warum die des Malers als falsch abgelehnt wird.

Auch beim Konzept des Philosophierens mit Kindern gibt es verschiedene Vorschläge, mit dem Medium Bilderbuch zu arbeiten.41 Wie Hans-Bernhard Petermann in der ersten These in seinem Buch Kann ein Hering ertrinken? Philosophieren mit Bilderbüchern formuliert, ist die Arbeit mit Bilderbüchern im Zusammenhang mit der inhaltlichen Auseinandersetzung sinnvoll:

»Es hat Sinn, sich über Bilderbücher der Philosophie zu nähern. Denn Philosophie hat etwas mit Leben zu tun; ihre Grundlage hat sie in ganz konkreten Lebensfragen und die artikulieren sich am unmittelbarsten in Bildern.«42

Das kann auf theologische Fragen übertragen werden, die große Überschneidungen mit philosophischen Fragen haben und sich oft nur in ihren Antworten unterscheiden: So wie die Philosophie entzündet sich die Theologie oft an einfachen und doch so schwierigen Fragen. Die Frage, die im einzelnen Bilderbuch aufgeworfen wird, ist das Initial. Die Auseinandersetzung im Sinne des Theologisierens muss sich daran anschließen. Das soll an einigen unterschiedlichen Bilderbüchern im Praxisteil beispielhaft verdeutlicht werden.

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37 Vgl. Schweitzer 2011, 10 f.

38 Bucher 2002, 23.

39 Kalloch 2014, 61, die auf Martin Schreiners Literaturbericht im ersten Jahrbuch für Kindertheologie (JaBuKi) verweist.

40 Ebd.

41 Z. B. Petermann 2004.

42 Petermann 2004, 14.

8. Bilderbücher im Klassenzimmer

In vielen Kindergärten und vor allem Grundschulen findet man Leseecken, in denen, meist mit Bücherregalen abgetrennt und bequem mit Sofa oder Teppichen eingerichtet, ein vielfältiges Angebot an erzählender Literatur in Form von Bilder- und Kinderbüchern, Sachbüchern, Kinderzeitschriften, Comics etc. bereitsteht. Kinder bekommen hier die Gelegenheit, in freien Lesezeiten Bilderbücher anzuschauen und zu lesen bzw. sich vorlesen zu lassen. Für die Ausstattung einer solchen Lesezone kann die hier angebotene Auswahl hilfreich sein.

Das Bilderbuch kann aber auch Gegenstand/Medium eines Unterrichts für die gesamte Gruppe/Klasse sein. Dabei wird das Buch meist zuerst (abschnittsweise) vorgelesen. Hierfür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:

– Wenn zwei Exemplare zur Verfügung stehen, kann aus einem Exemplar vorgelesen werden, während aus dem anderen z. B. ein Kind die jeweiligen Bilder aufblättert und hochhält.

– Einzelne Bilder, die zentral für das Verständnis sind, werden auf Folie (OHP), Dias, Beamer oder als Farbkopien präsentiert.43

Zur Behandlung der Bilderbücher werden im zweiten Buchteil unterschiedliche methodische Ideen entwickelt. Hier sollen nur methodische Anregungen im Überblick angeboten werden:

Über Bilderbücher sprechen: Zum Titel assoziieren, das Erzählte mit eigenen Erfahrungen vergleichen, Leerstellen ausfüllen, Geschichten zu Ende denken, alternative Verläufe überlegen, sich aus der Handlung ergebende Dilemmasituationen diskutieren, literarische Vorlagen kennenlernen (z. B. Lessings Ringparabel), Rahmen- und Binnenerzählung unterscheiden, Textebenen erschließen, literarische Gestalten charakterisieren, u. a.

Bilder wahrnehmen und deuten: Stimmungen durch Farben und Symbole beschreiben, Darstellungen von Räumen und Landschaften mit den beschriebenen Handlungen und Figuren in Beziehung setzen, eigene Bilder im Stil des Bilderbuches ergänzen, andere Illustrationen als Alternativen ausprobieren u. a.

Szenische Gestaltungen: Standbilder entwickeln, Rollen ausgestalten, Szenen weiterspielen, Perspektiven wechseln, Stabfiguren basteln, Schattenspiel gestalten, Papiertheater auf dem OHP, Musik zum Untermalen des Textes heraussuchen und die Auswahl begründen, das Bilderbuch in ein Theaterstück umschreiben, unterschiedliche Enden nachspielen u. a.

Verschiedene Bilderbücher zu einem Thema z. B. Schöpfung, Tod o. Ä. vergleichen, Rezensionen schreiben, für eine Zielgruppe, z. B. Kindergarten, Firmkind, Täufling auswählen, die Auswahl begründen u. a.

Autor/in, Illustrator/in einladen, Interview vorbereiten, einen Verlag besuchen u. a.

Ein eigenes Bilderbuch zum gleichen/einem ähnlichen Thema mit gleichen oder unterschiedlichen visuellen Gestaltungen konzipieren und umsetzen.

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43 Es gibt auch die sogenannten Bilderbuchkinos als Medienpaket (früher mit Dias, heute in der Regel mit CD-ROM) zu ausgewählten Bilderbüchern zu kaufen oder zu entleihen. Darin sind z. T. schon weiterführende Unterrichtsmaterialien und didaktische Informationen enthalten (z. B. von MATTHIAS-Film zu Die besten Beerdigungen der Welt, Paco baut eine Krippe, Leb wohl, lieber Dachs u. a.).

9. Unterrichten mit Bilderbüchern: Beispiele für alle Altersstufen

9.1 Kindergarten/Vorschule

Eine erste Annäherung an das Thema Abschied, Trauer und Tod soll anhand der Bilderbücher von Astrid Lindgren/Ilon Wikland Der Drache mit den roten Augen und Ulf Nilsson/Anna-Clara Tidholm Adieu Herr Muffin versucht werden.

9.1.1 Astrid Lindgren/Ilon Wikland, Der Drache mit den roten Augen (1987/9. Aufl. 2015)

In dem Gesamtwerk von Astrid Lindgren (1907–2002) war immer »der Tod oder das Leben nach dem Tod mit der Frage nach der Existenz Gottes und damit nach dem Sinn des Lebens verbunden.«44 In vielen ihrer Bücher ringt sie auf ganz unterschiedliche Art mit dieser Thematik.

Kurzvorstellung

Die Geschichte ist aus der Perspektive eines kleinen Mädchens erzählt, das an einem Aprilmorgen mit ihrem Bruder in den Stall läuft, um die in der Nacht geborenen Ferkel der Muttersau zu bewundern. Die Überraschung ist groß, als zwischen den zehn Ferkeln auch ein kleiner, schwächlicher grüner Drache mit roten Augen liegt. Anscheinend hat die Sau auch den kleinen Drachen zur Welt gebracht. Da der kleine Drache die Sau beißt, wenn sie ihn säugt, müssen die Geschwister beim Drachenfüttern einspringen. Sie versorgen ihn mit Futter, also Kerzenstummeln, Korken und ähnlichen Drachenleckereien. Der Drache ist böse und wild, aber gewinnt über die Zeit Zutrauen zu den Kindern. An einem sonnigen Oktoberabend ist die Sau mit den Ferkeln und dem Drachen auf der Wiese. Unvermittelt kommt der Drache zu dem Mädchen, legt die Tatzen auf ihre Wange, die Augen voller Tränen, und fliegt dann laut und hell singend der Sonne entgegen. Dieser jähe Abschied lässt die beiden Kinder sehr traurig zurück.

Ziele und Kompetenzen der Stunde

Die Buchvorlage von Astrid Lindgren hat zunächst keinen erkennbaren religiösen oder gar biblischen Bezug. Dies ist für das Werk Astrid Lindgrens nicht anders zu erwarten. Die Thematik des Abschieds, und zwar eines Abschieds für immer, ist hier zentral. Die These 4 der Erklärung der EKD zur religiösen Bildung im Elementarbereich lautet: »religiöse Bildung unterstützt die Selbstwerdung des Kindes und fördert die Entwicklung zentraler Kompetenzen.«45 Als solche werden »kognitive und emotionale, sprachliche sowie soziale, ästhetische und moralische Kompetenzen«46 benannt. In der Auseinandersetzung mit dem Thema Abschied (für immer) anhand des kleinen Drachen können mehrere Kompetenzbereiche angestrebt werden. So kann es um die kognitive sowie emotionale und soziale Auseinandersetzung gehen. Die Kinder nehmen kognitiv die Erzählung wahr und besprechen und deuten einzelne Abschnitte. Sie benennen im Anschluss daran eigene negative oder positive Erfahrungen mit Abschieden und erkennen im gemeinsamen Gespräch, dass andere Kinder ähnliche oder andere Erfahrungen gemacht haben. Indem sie eine Idee über den Verbleib des Drachen (evtl. mit religionspädagogisch orientierter Vorgabe) entwickeln und dies in einem Trosttuch vertiefen und auf sich selbst übertragen, setzen sie sich damit auseinander, ob eine religiöse Idee für ihr Selbstverständnis Trost gibt und von Relevanz sein kann.

Unterrichtsinhalt

Sicherlich wird es sich im Kindergarten weniger um eine Unterrichtsstunde handeln als eher um ein Projekt, das sich in unterschiedliche Phasen gliedern kann. Zunächst geht es um das Verstehen und Verarbeiten des Inhaltes. Dabei kann helfen, immer nur kleine Abschnitte des Buches zu lesen/zu erzählen und dabei unterstützend intensiv die detailreichen und kindgerechten Bilder von Ilon Wikland zu betrachten. Folgende Zäsuren scheinen hilfreich, die durch Fragen beispielhaft markiert werden:

Seite 1: Was würdet ihr machen, wenn ihr den Drachen entdeckt hättet?

Seite 3: Womit würdet ihr den Drachen füttern?

Seite 6: Was kann man tun, damit der Drache lieb wird und sich beruhigt?

Seite 11: Was macht der Drache, als er das »pilutta, pilutta« hört?

Seite 17: Warum weint der Drache?

Seite 20: Wohin fliegt der Drache?

Seite 22: Was machen die Kinder, als der Drache weggeflogen ist?

Die ersten Fragen können optional gewählt werden. Die wichtigsten Fragen sind die letzten drei, da sie das Verstehen des Abschiedes in besonderer Weise reflektieren. Einzelne Stationen des Projektes können sein:

Erzählrunde I: Wann habe ich eine ähnliche Situation erlebt, in der jemand wegging? Wie habe ich mich gefühlt? Diese Erzählrunde kann durch farbige Karten oder andere Ausdrucksmöglichkeiten unterstützt werden, die das Kind jeweils nach dem eigenen Gefühl wählt und im Anschluss daran erst redet. Beispielsweise eine dunkle Karte für Trauer und eine helle Karte für Freude (weinendes/lachendes Gesicht o. Ä.). Zusätzlich können die Bilder des Buches miteinbezogen werden. Entdecken die Kinder unterschiedliche Emotionen? Beispielhaft kann man den Drachen gemeinsam beobachten: Wie schaut der Drache in den verschiedenen Situationen?

Male ein Bild – wohin ist der Drache geflogen? Natürlich ist es möglich, hier einen religionspädagogischen Impuls gezielt zu setzen, indem man durch die Vorgabe lenkt: Der Drache fliegt in den Himmel – zu Gott. Diesen Hinweis gibt man vor dem Malen des Bildes bereits in einem Gespräch oder erarbeitet ihn nach dem freien Malen wiederum in einem Gespräch. Evtl. nimmt man dabei Bildmotive der Kinder auf.

Erzählrunde II: Wenn die Kinder wissen, wohin der Drache geflogen ist, verändert sich dadurch das Traurigsein? Sind sie mehr oder weniger traurig? Hier kann man wieder an das Himmelsmotiv und die Gottesvorstellung anknüpfen.

Bemalen eines Trost(taschen)tuches: Manchmal kann man gut aufhören mit Traurigsein und Weinen, weil etwas Trost gibt. Bemale mit Stofffarbe dein Trosttuch, indem du malst, was dir Trost gibt. Wähle die passenden Farben aus!

9.1.2 Ulf Nilsson/Anna-Clara Tidholm, Adieu, Herr Muffin (2002/7. Aufl. 2014)