Bildung -  - E-Book

Bildung E-Book

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was ist Bildung? Die meisten Publikationen, die vorgeben, diese Frage beantworten zu können, führen in der Regel eine Reihe weißer europäischer Männer an, die an Universitäten gelehrt haben oder das immer noch tun. Das bildungsLab* interveniert in diese Selbstverständlichkeit und legt – als Auftakt einer mehrteiligen Reihe unter dem Titel resistance & desire – ein Manifest vor, das dazu anregen möchte, Bildung und Erfahrung zu verknüpfen. Akademikerinnen* und Künstlerinnen* of Color und/oder mit Migrationsgeschichten reflektieren über Bildung aus unterschiedlichsten Blickwinkeln: mal persönlich, mal theoretisch, mal poetisch, mal witzig, mal ernst – immer aber präzise und klug. Sie fordern das Überdenken der eurozentrisch-humanistischen Bildungsvorstellungen und ein Nachdenken über eine postkoloniale Bildung in einer pluralen Gesellschaft. Mit Beiträgen von María do Mar Castro Varela, Mai-Anh Boger, Lalitha Chamakalayil, Saphira Shure, Sabine Mohamed, Carolina Tamayo Rojas, Shadi Kooroshy, Samia Aden, Malika Mansouri, Trovania Delille, Sheila Ragunathan, Purnima Vater, Leila Haghighat, Thu Hoài Tran, Jamila al-Yousef, Natascha Khakpour, Karima Arezo Popal-Akhzarati, Gülden Ediger, Fallon Cabral, Narmada Saraswati, Aicha Diallo, Arzu Cicek, Saboura Naqshband und Meryem Choukri.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 105

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das bildungsLab* setzt sich zusammen aus migrantischen Akademikerinnen* und Akademikerinnen* of Color, die im pädagogisch-kulturellen Raum tätig sind. Sie vermitteln und produzieren Theorie, diskutieren pädagogische und künstlerische Vorstellungen, Konzepte und Paradigmen. Sie kommentieren, intervenieren und publizieren im Feld der rassismus- und hegemoniekritischen Bildung und Vermittlung.

bildungsLab* (Hg.)

Bildung

Ein postkoloniales Manifest

resistance & desire #1

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

bildungsLab* (Hg.):

Bildung. Ein postkoloniales Manifest

1. Auflage, Oktober 2021

eBook UNRAST Verlag, Januar 2023

ISBN 978-3-95405-141-0

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Tasnim Baghdadi, Zürich

Satz: Unrast Verlag, Münster

Inhalt

Vorwort

Mai-Anh Boger & María do Mar Castro VarelaWas ist postkoloniale Bildung (überhaupt)?

Lalitha ChamakalayilGeschichten – eingeschrieben in Braune Körper

Saphira ShureOrte der Bildung neu be_gründen?!

Mai-Anh BogerLateinunterricht – mein heimlicher Genosse

Sabine Mohamed#MustFall: Über Dekolonialisierung, Sprache und Ästhetik

Carolina Tamayo RojasEin romantischer Rausch

Shadi KooroshyMit Kant gegen Kant

Samia AdenWarum wir über FGM sprechen und über Rassismus schweigen sollen – Wenn postkoloniale Bildung fehlt

Malika MansouriPostkoloniale Interventionen in der Rechtswissenschaft – ein Plädoyer fürs Recht

Trovania DelilleKeine Antwort ist endgültig. Ein Gedicht zur Notwendigkeit einer postkolonialen Bildung

Sheila RagunathanÜber das Lehren und Lernen: Auszüge aus dem Seminaralltag

Purnima Vater Irritation von Imagination als gesellschaftlicher Transformationsprozess

Leila HaghighatKompliziertes Lernen

Thu Hoài TranManifest des Fühlens und Widerstehens

Jamila Al-YousefBorder Syndrome

Natascha KhakpourDon’t beg my pardon. You never paid me for this rose garden

Karima Arezo Popal-AkhzaratiEin Weg

Gülden Edigerwi(e)der-sprechen

Fallon Tiffany Cabralre-orientiert und post-kolonial ge-bildet – (m)ein Prozess

Narmada Saraswati Unteilbar denken lernen in einer postkolonialen Bildungspraxis

Aïcha DialloDer Körper als Subjekt der Vermittlung

Arzu Çiçek Vom doppelten Ursprung der Welt zur Neuerfindung des Planeten

Saboura NaqshbandOrte des Lernens

Meryem ChoukriFragen über Fragen

María do Mar Castro VarelaManifesto – Bildung, Rassismus und Postkolonialität

Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Das bildungsLab* startete 2017 als kritischer Debattierraum im Zusammenhang mit dem Projekt Schools of Tomorrow, welches vom Haus der Kulturen der Welt bis Juni 2021 durchgeführt wurde. Seither war es in vielfältigen Kontexten an der Produktion widerständiger Entwürfe draußen-innerhalb der Lehrmaschine – wie es Spivak nennt – beteiligt: Wissenschaftlerinnen of Color und/oder mit Migrationsgeschichte, die institutionell in den Bereichen Bildung und (Kunst-)Vermittlung verortet sind, intervenieren in den hegemonialen Diskurs zu Fragen von Heterogenität, Pluralität, Marginalisierung und Diskriminierung in Bildungsinstitutionen.

Inspiriert von Gayatri Chakravorty Spivaks Idee von Bildung als einer möglichst »zwanglosen Neuordnung von Begehren« und unter Einbezug der Erfahrungen von Migration, Diskriminierung, Rassismus, Klassismus, Be_hinderungen und (Hetero-)Sexismus sollen utopische Entwürfe von Schule und pädagogischer Praxis entstehen. Wie lassen sich Schulen in Orte verwandeln, die nicht nur für alle offen sind, sondern in denen Bildung auch begehrenswert erscheint? Welche Begehren gilt es anzustiften, welche Momente des Widerstands zu artikulieren?

Mit dem folgenden Manifest eröffnet das bildungsLab* die Reihe ›resistance & desire‹[1].

Was ist postkoloniale Bildung (überhaupt)?

Mai-Anh Boger & María do Mar Castro Varela

Es gibt Fragen, die man nicht alleine beantworten sollte, insofern sie nach unterschiedlichen Antworten rufen. Darunter fällt zum Beispiel jene danach, was ›postkoloniale Bildung‹ ist. Wie kann man sich einen Begriff davon machen, was Bildung in postkolonialen Verhältnissen bedeutet? Das Interessante an dieser Frage entbirgt sich in der Erkenntnis, dass sie zwischen Sackgassen/Aporien[2] aufgespannt ist: Sie kann nur kontrapunktisch sinnvoll verfolgt werden. Kontrapunktisch meint hier, andere Stimmen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern diesen eine Möglichkeit zu eröffnen, den Kanon, die Curricula, die Wahrheiten zu irritieren, ohne dass eine neue Wahrheit gesetzt wird.

Aber zurück zu den Sackgassen: Die erste Sackgasse/Aporie besteht darin, dass eine übereilte Antwort, in der Konturen einer postkolonialen Bildung festgesetzt werden, häufig dazu führt, ebenjene Selbstpartikularisierung fortzuschreiben, von der man sich doch gerade mit Mitteln der postkolonialen Theorie befreien sollte und wollte. Das Komposit ›postkoloniale Bildung‹ suggeriert, diese lasse sich von einem Verständnis von ›Bildung‹, das ohne dieses zusätzliche Attribut auskommt, klar abgrenzen. Unfreiwillig oder absichtlich, bewusst oder unbewusst fragt sie nach einem Gegenhorizont und geriert sich dabei zuweilen revolutionär. So beginnt eine Kette von Sprechakten, bei denen sich ein Anderes vor einem normalisierten Gegenüber erhebt. Ein normalisiertes Gegenüber, dessen Heterogenität geleugnet werden muss. Schnell entfleucht einem dabei ebenjenes, das man als anders – in diesem positiven Sinne – hervorbringen und hochhalten wollte: Wünschte man nicht von jedem Attribut ›postkolonialer Bildung‹, dass es einfach ein Attribut von ›Bildung‹ wäre? Solange man an dem Begriff ›postkolonialer Bildung‹ festhält aber, lässt sich diese Rekonstitution im Wechselspiel mit einem Gegenüber nicht unterbrechen.[3]

Die zweite Sackgasse/Aporie erscheint am Horizont, wenn man versucht, ebenjenen Fehler nicht zu machen, nicht schon wieder in einer dichotomen Logik das Eine gegen das Andere zu stellen, sondern stattdessen hegemoniale Verständnisse von Bildung zu hacken, sich in sie einzuschreiben, sie gegen den Strich zu lesen, wie Gayatri Chakravorty Spivak es stark macht: »… das Lesen im Stil der Kulturwissenschaften, das sich mit der Klassenherkunft von Form und Information befasst, mag das Vergnügen nicht steigern. Es kann höchstens einen Hinweis auf die Hindernisse geben, die einer zu schnellen Begeisterung für den Anderen nach dem Kolonialismus im Wege stehen, selbst wenn sie versucht, der Arroganz der Disziplin ungeschulten Widerstand zu leisten.« (Spivak 2012: 83; Übers. MB/MCV)

Tatsächlich haben wir im bildungsLab* aus diesem Grund kurz diskutiert, ob wir unser gemeinsames Buch eben nicht ›Postkoloniale Bildung – Ein Manifest‹, sondern schlichtweg ›Allgemeine Bildung – Ein Manifest‹ nennen sollten, um diesen typisch westlich-akademischen Gestus der Selbstinthronisierung auf den Platz des Allgemeinen scherzhaft und doch ernsthaft zu reinszenieren. Das Problem an dieser Vorgehensweise besteht jedoch nicht nur in dem Adressenverlust sondern auch in dem Verlust des lustvoll Widerständigen darin. Sie suggeriert eine andere Verschlimmbesserung – und diese besteht in der Idee, dass es etwas besser mache, wenn diesmal ausnahmsweise Andere, die sich nicht mehr als anders verstehen, diese Anmaßung eines (potentiell bis sicherlich) falschen Allgemeinheits- und Universalitätsanspruchs begehen. Zudem wäre es schlichtweg sachlich falsch, da die an diesem Projekt Beteiligten ja durchaus aus einer spezifischen, benennbaren Perspektive über Bildung ins Sprechen und Schreiben kommen und dies auch als (anti-)disziplinäre Verortung sichtbar machen wollen.[4] Das Ergebnis, bei dem wir lustvoll diskutierend gelandet sind, war daher: ›Bildung – Ein postkoloniales Manifest‹. Es geht uns eben doch auch darum, die Disziplinierung zu unterlaufen, ihre Regeln zu brechen.

Die dritte Sackgasse/Aporie bei der Bestimmung dessen, was postkoloniale Bildung ist, besteht in der Versuchung, sich ihrer habhaft zu glauben, nachdem man sie als etwas konstruiert hat, das der eigenen verschütteten (kollektivierten) Identität zu eigen sei und das man schlichtweg wieder ›freilegen‹ müsse. Das Ironische an derlei dekolonialen Ausbuddel-Aktionen besteht in ihrer obskurantistischen Rückseite, die nahezu in das Gegenteil dessen kippen kann, wofür eine postkoloniale, emanzipatorische Bildung wohl auch steht: Das Zulassen der mitunter irritierenden Konfrontation mit dem Anderen, dem Fremden kippt darin in eine Austreibung alles Fremden – nur dass als ›fremd‹ dieses Mal das Europäische markiert wird. Häufig führt dies zu einer politisch fragwürdigen sowie akademisch unhaltbaren Selbstexotisierung und einem Quasi-Exorzismus, bei dem verleugnet wird, dass sich viele kluge Gedanken ›wider Erwarten‹ im Herzen des europäischen Kanons der Bildungstheorie und Bildungsphilosophie finden lassen. In einem Versuch, widerständig und eigensinnig zu sein, werden neue Begriffsreihen entworfen, die sich erschreckend oft als Metonymie zu alten Bekannten wie der Klafki-Trias aus Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidarisierungsfähigkeit enttarnen. Kurz gesagt handelt es sich bei dieser Panne um einen klassischen Fall aus der Rubrik ›Das Gegenteil ist genauso falsch‹.[5]

Hier empfiehlt sich doch eher Spivaks (2012) Umgang mit den Schriften der Aufklärung: affirmative Sabotage. Das ist keine Verneigung vor europäischer Wissensproduktion, aber ein pfiffiges Nutzen von Wissen mit dem Ziel der Irritierung und Erschütterung liberaler Bildungsbastionen. Nur wenn wir den Irrwegen des weißen, bürgerlichen Phallologozentrismus folgen, werden wir in der Lage sein, nicht nur gegen den Strich zu lesen, sondern auch neue (Irr-)Wege zu finden. Leider verführt der Begriff der »Sabotage« dazu, das Konzept für eine vermeintlich radikale Bildung zu missbrauchen, der es ganz entgegen Spivaks Intention nicht darum geht, die Schriften der Aufklärung klug und informiert auseinanderzunehmen, sondern eben darum, sie im plattesten Sinne zu verwerfen. Stattdessen jedoch gilt es, hacking zu betreiben.

Aufgespannt zwischen diesen Sackgassen/Aporien ist ›postkoloniale Bildung‹ zunächst als eine Chiffre zu verstehen, die selbst alles re_inszeniert, wiederholt oder aber verschiebt, was sie zu adressieren versucht: Sie suggeriert eine Andersheit in Relation zum etablierten Allgemeinen des westlich-weißen Kanons der Bildungstheorie. Gleichzeitig beansprucht sie eine Geltung und Bedeutung, die über partikulare Interessen hinausgeht, erhebt den Anspruch, für alle bedeutsam zu sein und wehrt sich dementsprechend gegen illegitime Formen der Partikularisierung. Spielerisch taktierend sucht sie nach Wegen, auf denen die erlebte Diskriminierung der zu den Anderen Gemachten, die die Lehrmaschine bevölkern, sichtbar werden kann. Dabei verwehrt sie es zugleich, in dem und durch das gegen die Zuschreibung von Partikularität wehrhafte Moment in eine naive (Re-)Affirmation aufklärerischer Universalismen zurückzufallen. Sie gibt sich widerständig anders und kämpft zugleich gegen ihre Exotisierung und die darauf basierende sekundäre Marginalisierung in der europäischen Universität.

Als eine solche amorphe Masse ohne festen Träger ist das Chiffre ›postkoloniale Bildung‹ selbst ein Affront gegen das positivistische Wissenschaftsverständnis, in dem eine klare Definition als Grundlage und notwendige Bedingung jedes weiteren Forschens und Denkens gilt. Das Unklare und Flüchtig-Entgrenzte ist gemäß postkolonialer Epistemologien (siehe genauer Castro Varela/Dhawan 2020) kein Manko, sondern vielmehr Möglichkeitsbedingung einer doppelbödigen Reflexionsbewegung, die ersucht, Wissen zu schaffen, während sie gleichzeitig die Geltungsbedingungen ebenjenen ›Wissens‹ mitverschiebt. Ein Balanceakt, der ohne Selbstkritik zum Sturz führt.

Auf Basis dieser Überlegungen entstand das Eröffnungsmanifest zur Reihe ›resistance & desire‹ des bildungsLab*s. Die Sackgassen lassen sich nicht vermeiden, die Aporien nicht umschiffen, aber in einer Vielfalt der Stimmen nimmt man wenigstens jede Panne, jede Falle, jeden Affekt einmal mit. Unter der gemeinsamen Fragestellung »Was ist postkoloniale Bildung?« haben die Teilnehmerinnen des bildungsLab* ihre Antworten verschriftlicht – nicht nur in konventionell-wissenschaftlicher Form, sondern teilweise auch in Gedichten und Geschichten, literarischen, essayistischen und anderen Formexperimenten. Auch dies ist auf eine gewisse Weise der Sache selbst geschuldet: Stets betont Spivak die Bedeutung der ästhetischen Bildung im Umgang mit postkolonialen Widersprüchen und raubkapitalistischen Verhältnissen.

Wer sich daher fragt, was postkoloniale Bildung sein könnte (und ob sie nicht einfach ›Bildung‹ ist), möge sich im Gewirr der Stimmen verlieren, sich von diesen verunsichern lassen und niemals nur eine Antwort auf diese Frage hören.

Geschichten – eingeschrieben in Braune Körper

Lalitha Chamakalayil

Julia lernte ich kennen, als ich an einem grauen Nachmittag auf einem grauen Schulgelände in einer kleinen Stadt im Westmünsterland um die Ecke von der Aula noch schnell und heimlich eine Zigarette rauchen wollte und sie mit derselben Intention den gleichen überdachten Eingang aufsuchte. Ich erinnere mich noch an die Aufgeregtheit, die mit der Heimlichkeit einherging, aber auch daran, wie fürchterlich erwachsen ich Julia und mich fand, die wir dort rauchend standen – ich war vielleicht 14 oder 15. Rauchen verbindet, und so kamen wir ins Gespräch. Und irgendwann ist wohl eine Frage aufgetaucht, eine Variation von: »Wie ist es denn so in Indien?«

Und ich antwortete in einer Variation von: »Also sehr heiß ist es. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie heiß. Also, wenn die Frauen mit ihren Wasserkrügen zum Brunnen laufen, dann ist es echt so, dass es so heiß ist, dass das Wasser zur Hälfte verdunstet ist, bis sie zu Hause sind, und sie dann wieder loslaufen müssen«.

Beim Erzählen hatte ich ein konkretes Bild vor Augen: Braune Frauen in bunten Saris, die Wasserkrüge auf ihren Köpfen durch trocken-wüstenartige Landschaften tragen. Julia lachte und gab mir zu verstehen, dass sie meine kleine Anekdote höchst dubios fand. Und dieses Anzweifeln war das Erstaunliche, denn ich merkte dann, wie häufig ich schon aufgefordert worden war, eine authentische, kleine, gut verpackte Geschichte zu Indien zu erzählen und wie eingespurt diese Erzählung schon war. An ihrer Reaktion merkte ich aber auch, dass ich diese Geschichte anscheinend schon seit frühen Grundschultagen erzählte und es irgendwie verpasst hatte, ein altersgerechtes Update für mein Zielpublikum vorzunehmen.

Muss ich jetzt dazu sagen, dass dies so gut wie gar nichts mit meinen Erinnerungen an meine beiden Besuche in Kerala zu tun hatte – wo es vor allem grün war, Wasser aus dem Wasserhahn kam und es eigentlich auch nicht wirklich so heiß war, dass man sich nicht nach ein paar Tagen daran gewöhnt hätte? Aber die andere(n) Geschichte(n) war(en) einfacher zu erzählen.