Billy Marvins Wunderjahre - Jason Rekulak - E-Book

Billy Marvins Wunderjahre E-Book

Jason Rekulak

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Beschreibung

Es ist der Mai des Jahres 1987 und vom Cover des Playboy lächelt Vanna White. Im amerikanischen Fernsehen dreht sie das "Glücksrad", und bei 14-jährigen Jungs wie Billy, Alf und Clark drehen bei ihrem Anblick die Hormone durch. Wenn es den dreien gelänge, eine Ausgabe des Magazins zu ergattern, könnte das ihr ganzes Leben verändern. Für immer. Auf legalem Weg ist die Zeitschrift für sie unerreichbar, also schmieden sie einen genialen Plan. Sie ahnen nicht, welche Gefahren, Gegner und Abfalltonnen ihnen im Weg stehen – und wie ein Mädchen namens Mary tatsächlich Billys ganzes Leben verändern könnte. Für immer.

Weitere berührende Wunderraum-Geschichten finden Sie in unserem kostenlosen aktuellen Leseproben-E-Book »Einkuscheln und loslesen – Bücher für kurze Tage und lange Nächte«

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Buch

Es ist der Mai des Jahres 1987, und vom Cover des Playboy lächelt Vanna White. Im amerikanischen Fernsehen dreht sie das »Glücksrad«, und bei 14-jährigen Jungs wie Billy, Alf und Clark drehen bei ihrem Anblick die Hormone durch. Wenn es den dreien gelänge, eine Ausgabe des Magazins zu ergattern, könnte das ihr ganzes Leben verändern. Für immer. Auf legalem Weg ist die Zeitschrift für sie unerreichbar, also schmieden sie einen genialen Plan. Sie ahnen nicht, welche Gefahren, Gegner und Abfalltonnen ihnen im Weg stehen – und wie ein Mädchen namens Mary tatsächlich Billys ganzes Leben verändern könnte. Für immer.

Weitere Informationen zu Jason Rekulak finden Sie am Ende des Buches sowie unter jasonrekulak.com

Aus dem Englischen übersetzt vonMarcus Ingendaay

Dieses Buch ist für Mom und Dad

1

10 REM *** WELCOME SCREEN ***

20 POKE 53281,0:POKE 53280,3

30 PRINT »{CLR}{WHT}{12 CSR DWN}«

40 PRINT »{7 SPACES}THE IMPOSSIBLE FORTRESS«

50 PRINT »{7 SPACES}A GAME BY WILL MARVIN«

60 PRINT »{9 SPACES}AND MARY ZELINSKY«

70 PRINT »{2 CSR DWN}«

80 PRINT »{7 SPACES}(C)1987 RADICAL PLANET«

90 GOSUB 4000

95 GOSUB 4500

Irgendwie litt meine Mutter unter der Angst, ich könnte jederzeit sterben. Im Frühjahr 1987, nur wenige Wochen nach meinem vierzehnten Geburtstag, fing sie ihre neue Stelle bei Food World an, die Spätschicht, weil es dafür einen Dollar Zulage gab. An diesen Abenden war ich allein zu Haus. Sie telefonierte ihre Liste von Lieferanten ab und malte sich aus, was mir unterdessen Schlimmes widerfuhr. Was, wenn ich an einem Chicken Nugget erstickte? Oder in der Dusche ausrutschte? Oder vergaß, das Gas im Ofen abzudrehen, und das ganze Haus explodierte in einem flammenden Inferno? Gegen zehn Uhr abends kam für gewöhnlich ihr Kontrollanruf, ob ich meine Hausarbeiten gemacht und die Haustür abgeschlossen hätte. Manchmal musste ich sogar die Feuermelder Probe auslösen, nur um sicherzugehen.

Für jemanden in der neunten Klasse aber war diese Situation ein seltener Glücksfall. Meine Freunde Alf und Clark kamen jeden Abend vorbei, um an der neu gewonnenen Freiheit teilzuhaben. Wir guckten stundenlang Fernsehen, mixten uns literweise Milchshakes, stopften uns mit Pop-Tarts voll und machten uns Pizza Bagels, bis uns schlecht wurde. Wir spielten Risiko und Monopoly, was sich tagelang hinziehen konnte und meist damit endete, dass ein schlechter Verlierer das Brett vom Tisch stieß. Wir redeten uns die Köpfe heiß über Musik und Filme und stritten, wer in einem Kampf Mann gegen Mann als Sieger vom Platz ging: Rocky Balboa oder Freddy Krueger? Bruce Springsteen oder Billy Joel? Magnum oder T. J. Hooker oder MacGyver? Diese Abende hatten etwas von Pyjama-Party, und ich glaubte allen Ernstes, sie würden nie zu Ende gehen.

Doch dann veröffentlichte der Playboy Bilder von Vanna White, der Zahlenfee vom Glücksrad. Ich verliebte mich über beide Ohren, und bald war nichts mehr wie zuvor.

Alf entdeckte das Playboy-Cover als Erster und kam direkt von Zelinskys Laden angerannt, um uns alles brühwarm zu berichten. Clark und ich saßen auf dem Sofa im Wohnzimmer und guckten gerade auf MTV den Top-20-Video-Countdown, als Alf buchstäblich mit der Tür ins Haus fiel.

»Ihr Hintern«, keuchte er, »ihr Hintern ist auf dem Cover.«

»Welcher Hintern?«, fragte Clark. »Welches Cover?«

Alf ließ sich erschöpft auf den Boden fallen und hielt sich die Seitenstiche. »Vanna White. Im Playboy. Gerade gesehen. Ihr Hintern ist auf dem Cover!«

Es stimmte also doch! Wheel of Fortune gehörte zu den beliebtesten Fernsehsendungen des Landes, und die Zahlenfee Vanna White war der Stolz der Nation, ein Mädchen aus der tiefsten Provinz, die es bis ganz an die Spitze, zu Geld und Ruhm, gebracht hatte, indem sie die Buchstaben in einer Buchstabenwand umdrehte. Die Massenblätter im Supermarkt hatten den Wahnsinn bereits verbreitet: »Für Vanna ist SOVIELNACKTEHAUT an der falschen Stelle hingegen alles andere als lustig. Die FREIZÜGIGENBILDER, so die geschockte Rate-Diva, seien vor vielen Jahren entstanden – und garantiert NICHTFÜRDENPLAYBOY.« Sie verklagte die Zeitschrift auf 5,2 Millionen Dollar, und erst jetzt, nach Monaten, in denen »die Gerüchteküche brodelte«, erblickte die Nummer mit den Nacktbildern von Vanna endlich das Licht der Welt.

»Echt, so was habt ihr noch nicht gesehen«, sagte Alf. Er setzte sich seitlich auf die Lehne eines Sessels, um Vannas Coverpose zu demonstrieren. »Sie sitzt so halb draußen auf einer Fensterbank, wie wenn sie bloß sehen will, wie das Wetter wird. Nur dass sie untenrum eben nichts anhat!«

»Unmöglich«, sagte Clark. »Nie im Leben.«

Wir drei wohnten im selben Block, wir kannten unseren Alf, er neigte zur Übertreibung. Zum Beispiel das mit John Lennon. Den hätten sie angeblich mit einer Maschinenpistole erschossen. Aber oben auf dem Dach des Empire State Building.

»Ich schwöre beim Leben meiner Mutter«, sagte Alf und hob feierlich die Hand. »Ein Truck soll sie überfahren, wenn ich lüge.«

Clark riss ihm die Schwurhand herunter. »Lass den Scheiß«, sagte er. »Deine Mutter kann froh sein, wenn sie überhaupt noch am Leben ist.«

»Und deine Mutter ist wie McDonald’s«, sagte Alf daraufhin. »Millionen zufriedene Kunden täglich.«

»Meine Mutter?«, fragte Clark. »Was hat meine Mutter damit zu tun?«

Doch Alf war nicht zu bremsen: »Deine Mutter wird häufiger geknallt als die Tür vom Arbeitsamt.« Er war ein profunder Kenner von Deine-Mutter-Witzen und zögerte nicht, sie einzusetzen. »Deine Mutter ist wie ein japanisches Steakhaus …«

Von Clark kam jetzt ein Kissen angeflogen und traf Alf mitten ins Gesicht. Alf warf es natürlich sofort zurück – und traf mein Glas Pepsi, das sich schäumend über den Teppichboden ergoss.

»Scheiße«, rief Alf und ging daran, die Sauerei zu entfernen. »Tut mir echt leid, Billy.«

»Schon gut«, sagte ich. »Hol ein paar Küchentücher.«

Jedenfalls kein Grund, sich aufzuregen oder sich nach anderen Freunden umzusehen, denn Alf und Clark waren unersetzlich. Wir drei waren jetzt seit einem Dreivierteljahr an der Highschool, und alle in unserer Klasse hatten sich in dieser Zeit neu orientiert, spielten in irgendwelchen Mannschaften, machten in Clubs oder AGs mit. Nur wir konnten uns nie entscheiden und gondelten ziellos durch die veränderte Welt. Wir wussten nur eines: Wir gehörten nirgendwo richtig dazu.

Ich zum Beispiel war der Größte in meiner Klasse, aber das nutzte mir gar nichts. Ich stakste herum wie eine Babygiraffe, mit langen Armen, langen Beinen, zu denen mein restlicher Körper erst noch aufschließen musste. Ich war eine Funktion ohne Parameter, sozusagen. Alf war kleiner, kräftiger, schwitziger, aber leider auch Namensvetter des beliebtesten Außerirdischen im amerikanischen Fernsehen, Alf, der laufende Meter aus der gleichnamigen NBC-Sitcom. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war erschreckend: ein haariger Troll mit schrägen Knopfaugen, dicker Nase und braunen Wuschelhaaren. Sogar die Lehrer konnten der Versuchung nicht widerstehen, auf die Familienähnlichkeit hinzuweisen.

All diesen Makeln zum Trotz waren wir am Ende besser dran als Clark. Wenn er morgens aus dem Bett stieg, sah er aus wie der Wonderboy aus TigerBeat, groß, muskelbepackt, blonde Locken, tiefblaue Augen und perfekt reine Haut. Wenn Mädchen ihn in der Mall sahen, von Weitem, fiel ihnen erst mal die Kinnlade runter, fast so, als käme ihnen River Phoenix oder Kiefer Sutherland entgegen. Wie gesagt, bis ihr Blick auf seine Klaue fiel und sie sich schnell von ihm abwandten. Ein freakiger Geburtsfehler hatte nämlich die Finger seiner Linken zu einer Art Scherenhand verschmolzen, die zu nichts gut war und maximal eine Zeitschrift halten konnte. Clark hatte sich geschworen, dass dieses extraterrestrische Ding spätestens mit achtzehn abkam, und wenn es eine Million Dollar kostete. Bis dahin musste er geduckt durchs Leben schleichen und die Klaue so gut als möglich in seiner Tasche verbergen. Uns war aber klar, dass er so oder so zu lebenslanger Enthaltsamkeit verurteilt war und nie eine echte Freundin haben würde. Mehr als jeder andere war er deshalb auf den Playboy mit Vanna White angewiesen.

»Ist sie auf dem Centerfold?«, fragte er.

»Ich weiß nicht«, sagte Alf. »Der Playboy liegt immer im Zeitschriftenregal hinter der Kasse, neben den Zigaretten. Da komme ich nicht dran.«

»Du hast das Heft nicht gekauft?«, fragte ich.

Alf schnaubte. »Na klar habe ich es gekauft. Ich bin ganz locker bei Zelinsky rein und hab den neusten Playboy verlangt. Dazu noch ein Sixpack Bier und ein Crack-Pfeifchen. Hey, nichts leichter als das. Sag mal, bist du eigentlich dämlich, Mann?«

Wir wussten natürlich, dass ein Playboy für unsereinen unerreichbar war. Bestimmte Rockmusik war schon schwer zu bekommen, nachdem Fernsehprediger Jerry Falwell die amerikanische Öffentlichkeit vor Satans Hitmaschine gewarnt hatte und Tipper Gore alle Platten mit sogenannten expliziten Texten durch spezielle Warnhinweise brandmarken wollte. Kein Ladeninhaber in diesem Land würde einem Vierzehnjährigen den Playboy verkaufen.

»Howard Stern sagt, die Bilder wären sagenhaft«, erklärte Clark. »Er sagt, man sieht die Titten in Nahaufnahme. Mit Nippeln, Milchdüsen, alles eigentlich.«

»Milchdüsen?«, fragte ich

»Drüsen, mit R«, korrigierte sich Clark.

»Das sind die dunklen Ringe um den Nippel«, erklärte Alf.

Clark schüttelte den Kopf. »Das ist der Warzenhof, Dumpfbacke. Die Milchdrüsen, das sind die Hohlräume, wo die Milch rauskommt.«

»Quatsch, Nippel sind doch nicht hohl«, sagte Alf.

»Aber klar sind sie das«, sagte Clark. »Darum sind sie auch so empfindlich.«

Alf riss sein T-Shirt hoch und präsentierte seinen Bauch und seine Schwabbelbrust. »Und was ist mit meinen? Sind die auch hohl?«

Clark hielt sich die Augen zu. »Mach das weg, bitte.«

»Ich hab keine hohlen Nippel«, sagte er.

Es war wie immer. Jeder gab mit seinem Wissen über Mädchen an und markierte den großen Experten. Alf, weil er drei ältere Schwestern hatte. Clark, weil er in der Wäscheschublade seines Vaters auf einen obskuren dänischen Aufklärungsschmöker namens ABZ of Love gestoßen war. Ich beteiligte mich erst gar nicht an dem Wettbewerb, denn mir war klar, dass ich wirklich null Ahnung hatte.

Irgendwann war es dann halb acht, und Wheel of Fortune begann. Alf und Clark debattierten weiter über Milchdüsen, deshalb drehte ich den Ton auf volle Lautstärke. Wir waren schließlich allein zu Haus und konnten so viel Lärm machen, wie wir wollten.

»Ein Anblick ist das heute wieder! Schauen Sie mal: diese herrliche Produktpalette! Da möchte man sich glatt mitten reinlegen und die Woge der Begeisterung genießen!« Jede Folge begann mehr oder weniger gleich, mit einer Präsentation der größten Sachgewinne durch Quizmaster Charlie O’Donnell, der routiniert das Angebot herunterratterte. »Bitte anschnallen, heute haben wir für Sie: eine Weltreise für zwei Personen, eine edle Schweizer Luxusuhr und nicht zuletzt ein brandneues Whirlpool-System aus dem Hause Jacuzzi. Preise im Gesamtwert von über fünfundachtzigtausend Dollar, die nur darauf warten, bei Wheel of Fortune abgeräumt zu werden!«

Dabei Schwenk der Studiokamera über ein Warengebirge, an dem alles gestrandet sein konnte, das hochwertige Kofferset ebenso wie das Hausboot oder diverse Küchenmaschinen. Doch der eigentliche Hauptgewinn war der Engel, der vor dem ganzen Kram posierte und diesen erst zum Leuchten brachte: Vanna White, zweiundfünfzig Kilo leicht bei einer Größe von eins achtundsechzig und angetan mit einem echten Chinchilla im Wert von zwölftausend Dollar. Alf und Clark hörten auf zu zanken, und wir alle rückten näher an den Bildschirm. Vanna war zweifellos die schönste Frau Amerikas. Mag sein, Michelle Pfeiffer hatte die schöneren Augen, Kathleen Turner die besseren Beine und Heather Locklear insgesamt den besseren Body, doch wir standen eben auf den Typ Mädchen von nebenan, und da war Vanna nicht zu toppen. Vanna White besaß eine Unschuld und Reinheit, die sie weit über alle Mitbewerberinnen hinaushob.

Clark rutschte neben mich und klopfte mir mit seiner Klaue auf die Knie. »Morgen gehe ich zu Zelinsky«, sagte er. »Das Cover muss ich sehen.«

Ich sagte: »Ich komme mit«, wandte aber den Blick keine Sekunde lang vom Bildschirm.

2

200 REM *** ESTABLISHING DIFFICULTY ***

210 PRINT »{CLR}{15 CSR DWN}«

220 PRINT »SELECT SKILL LEVEL«

230 PRINT »EASY-1 NORMAL-2 EXTREME-3«

240 INPUT »YOUR CHOICE? »;SL

250 IF SL<1 OR >3 THEN GOTO 200

260 IF SL=1 THEN PK=10

270 IF SL=2 THEN PK=15

280 IF SL=3 THEN PK=20

290 RETURN

Wir wohnten in Wetbridge, das liegt fünf Meilen westlich von Staten Island. Ein Landstrich, der von Comedians gern als Achselhöhle Amerikas bezeichnet wird. Bei uns gab es Fabriken und Ölraffinerien, verschmutzte Flüsse und Dauerstaus und jede Menge katholische Kirchen, und wir wohnten in dicht gepackten Einfamiliensiedlungen. Zum Einkaufen musste man nach »Downtown« auf unsere Einkaufshalbmeile, wo ein paar inhabergeführte Geschäfte rund um den Bahnhof noch die Stellung hielten: ein Fahrradladen, eine Tierhandlung, ein Reisebüro und etwa ein halbes Dutzend Klamottenläden. Sie alle hatten einmal bessere Zeiten gesehen, aber das war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Jetzt, 1987, waren sie ziemlich am Ende, weigerten sich jedoch zäh dichtzumachen, obwohl sie von den neuen Einkaufszentren in der Umgebung langsam ausgehungert wurden. Man konnte damals mit dem Fahrrad über den Bürgersteig rasen, denn es gab einfach kein Publikum, das noch groß im Weg stand.

Zelinsky’s Büromaschinen und Schreibwaren war der einzige Laden im Ort, wo man den Playboy kriegen konnte. Das Geschäft lag direkt gegenüber dem Bahnhof auf der Market Street, ein zweistöckiger Ziegelbau mit antiken Schreibmaschinen im Schaufenster. Die Markise über dem Eingang verkündete noch »Mechanische u. elektrische Schreibmaschinen – Farbbänder – Reparaturservice«, doch den Hauptumsatz machte Zelinsky mittlerweile mit seinem Kioskangebot gleich am Eingang. Er verkaufte Zeitungen, Zigaretten und Kaffee zum Mitnehmen an die Pendler, die zum Bahnhof wollten.

Wir knallten unsere Räder auf den Bürgersteig, und Clark betrat den Laden, um Alfs Geschichte zu überprüfen. Augenblicke später kam er wieder heraus, mit rotem Gesicht und schlierigem Blick.

»Und? Hast du es gesehen?«, fragte ich. »Alles okay mit dir?«

Clark nickte. »Genau wie er sagte: Es ist auf dem Ständer hinter der Kasse.«

»Und auf dem Cover ist ihr Hintern«, sagte Alf.

»Und auf dem Cover ist ihr Hintern«, gab Clark zu.

Wir setzten uns auf eine Bank, um unser weiteres Vorgehen zu besprechen. Es war halb vier am Nachmittag und bislang der wärmste Tag des Jahres. Der Sommer stand wirklich vor der Tür.

»Also, ich habe mir was überlegt«, sagte Alf und blickte sich verstohlen um, falls jemand mithörte. »Wir müssen jemanden anheuern, der uns das Heft besorgt.«

»Wie das?«, fragte ich.

»Der Playboy kostet vier Dollar, und wir benötigen drei Exemplare. Macht insgesamt zwölf Dollar. Wir aber zahlen zwanzig an jeden, der uns die Dinger besorgt. Die acht Dollar Differenz darf er behalten. Acht Dollar nur für den Einkauf von drei Heften.«

Alf tat beinahe so, als hätte er soeben einen Weg gefunden, an die Goldreserven von Fort Knox zu gelangen. Clark und ich hingegen sahen auf der Straße nur Muttis mit Kinderwagen und alte Leute, die auf den Bus warteten.

»Eins ist mal sicher«, sagte ich. »Von denen hilft uns niemand.«

»Von denen nicht«, entgegnete Alf mit Betonung auf dem entscheidenden Wort. »Wir müssen eben Geduld haben, bis der Richtige aufkreuzt. Bei Operation Vanna geht es primär um Geduld.«

Alf war der Mastermind hinter unseren besten Aktionen – wie der Operation Big Gulp (Entwendung von Musikkassetten mithilfe der gleichnamigen Maxi-Getränkebecher aus einem 7-Eleven-Supermarkt) oder, anderes Beispiel, Operation Royal Dump (Zerstörung einer Schultoilette mit Kanada-Böllern). Nichts forderte ihn so heraus wie Erwachsenenverbote, und er konnte sich wochenlang in die Vorbereitung einer Widerstandshandlung verbeißen. Laut meiner Mutter war es nur eine Frage der Zeit, bis Alf diesen Ehrgeiz mit einer Gefängnisstrafe oder mit dem Leben bezahlte.

Fürs Erste aber hockten wir nur auf unserer Bank und blickten Autos und Fußgängern hinterher. Es war klar, dass wir für Operation Vanna einen Mann benötigten, und hier standen wir schon vor dem ersten Problem: Es gab keine. Keine Männer. Nicht in Wetbridge um halb vier nachmittags. Die Männer waren alle auf Arbeit. Und falls doch einmal ein Mann vorbeikam, waren Ausschlusskriterien schnell gefunden:

»Der ist zu jung.«

»Der ist zu alt.«

»Der sieht zu arschig aus.«

»Der sieht aus wie ein Undercover-Priester.«

Alf mal wieder. Seine Familie war katholisch, und er warnte uns andauernd vor verdeckten Geistlichen, Dunkelmännern in Zivil, die in Wetbridge nach Sündern fahndeten. Clark und ich hielten das zwar für Unsinn, denn wir hatten in der Bibliothek nichts zu diesem Thema gefunden, doch Alf meinte, das sei Absicht, damit die Dunkelmänner umso ungestörter agieren konnten, übrigens auf direkten Befehl des Vatikans.

Über eine Stunde lang saßen wir so auf der Bank. Bis Clark die Geduld verlor. »Das bringt nichts«, sagte er schließlich. »Gehen wir lieber zu Video City. Wir könnten Kramer gegen Kramer ausleihen.«

»Nicht schon wieder«, sagte Alf.

»Immer noch besser, als die ganze Zeit hier rumzusitzen«, sagte Clark.

Bei Video City lief ohne Alterskontrolle gar nichts, selbst Filme ab sechzehn mit Erwachsenenbegleitung konnte man vergessen. Doch Clark hatte ihre Kataloge studiert und eine ganze Reihe jugendfreier Filme entdeckt, die gleichwohl jede Menge Nacktszenen enthielten: Barry Lyndon,Barbarella,Das Ding aus dem Sumpf. Bester Film in dieser Kategorie war Kramer gegen Kramer mit Dustin Hoffman und Meryl Streep, beide Oscar-Gewinner von 1979. Die Story war zwar unfassbar öde (zwei Leute lassen sich schieden), aber wenn man vorspulte zu Minute vierundvierzig, kam es: Die Frau von Dustin Hoffmans One-Night-Stand steigt am Morgen danach aus dem Bett und will ins Bad, sie hat es eilig. Trotzdem folgen dreiundfünfzig Sekunden volle Nacktszene aus verschiedenen Einstellungen. Wir hatten den Film schon ein Dutzend Mal ausgeliehen, aber nie mehr gesehen als diese eine knappe Minute.

»Kramer gegen Kramer kotzt mich an«, sagte Alf.

»Hier rumsitzen aber auch«, sagte Clark. »Die Leute auf der Straße nutzen uns eh nichts. So kann Operation Vanna nicht funktionieren.«

»Warten wir, bis die Leute zurückkommen«, sagte ich. »Vielleicht klappt es dann.«

Vom späten Nachmittag an liefen die Pendlerzüge im Viertelstundentakt ein und spuckten jedes Mal Dutzende männliche Fährgäste im Zielgruppenalter aus. Besondere Kennzeichen: Regenmantel und Aktentasche. Kurz darauf kamen sie an Zelinsky’s vorbei, und einige gingen sogar hinein, um Zigaretten oder Rubbellose zu kaufen. Doch wir ließen sie ziehen, denn keiner von uns traute sich, sie anzusprechen. Irgendwie kamen sie uns alle zu seriös vor.

»Warum blasen wir das Ganze nicht ab?«, sagte ich schließlich.

»Danke«, sagte Clark.

In selben Moment deutete Alf quer über die Straße zum Ausgang des Bahnhofs: »Der da«, sagte er. »Das ist unser Mann.«

Inmitten der grauen Anzug- und Krawattenträger ein junger Typ mit abgeschnittener Jeans, rotem Flanellhemd und Sonnenbrille von Ray-Ban. Ich hatte den Eindruck, dass ich ihn schon einmal auf dem Parkplatz vor unserem Schnapsladen Wetbridge Liquors hatte rumhängen sehen. Er hatte die Haare von Billy Idol, stachlig und weiß wie nach einem Atomblitz.

»Nee, der sieht irgendwie schräg aus«, sagte ich.

»Aber schräg ist gut«, sagte Clark. »Wir wollen doch schräg.«

»Entschuldigung, Sir«, rief Alf.

Der Typ reagierte sofort. Als würde er jeden Tag von vierzehnjährigen Jungs angesprochen. Zwar war durch die verspiegelte Sonnenbrille seine Miene nicht zu entschlüsseln, doch er grinste uns an – immerhin.

»Was liegt an, Freunde?«

Alf hielt ihm die zwanzig Dollar hin. »Kannst du uns ein paar Playboys kaufen?«

Sein Grinsen wurde noch breiter. »Vanna White!«, sagte er kennerisch. »Hab von den Bildern gehört.«

»Hier, drei Stück kosten zwölf Dollar«, erläuterte Alf. »Den Rest kannst du behalten.«

»Ach, Shit, Mann, du brauchst mich doch nicht zu bezahlen. Das mache ich auch so.« Ungläubig starrten wir ihn an.

»Echt jetzt?«, fragte Alf.

»Klar. Ich komme ebenfalls von hier. Jack Camaro mein Name – wie das Auto.« Er gab jedem von uns die Hand, als seien wir alte Freunde. »Freut mich, wenn ich Leuten helfen kann. Braucht ihr sonst noch was? Penthouse? Zichten? Alkopops? Sagt, was.«

Alfred zählte ihm zwölf Dollar in die Hand. »Nur drei Playboy.«

»Wir sind dir wirklich sehr dankbar«, sagte ich. »Danke.«

»Also drei Playboy«, wiederholte Jack Camaro die Bestellung. »Kein Problem. Ihr wartet hier.«

Er ging in den Laden, und wir blieben mit offenem Mund zurück. Es war, als hätten wir den Geist aus der Flasche gelassen, der uns jeden Wunsch erfüllte. Kurz darauf kam Jack Camaro wieder aus dem Laden – mit den zwölf Dollar.

Er sagte: »Mir fällt gerade ein: Meint ihr, drei Stück sind genug?«

»Drei reichen dicke«, sagte ich.

»Ein Heft für jeden von uns«, sagte Alf.

»Okay, dann passt mal auf«, sagte Jack. »Ich wette, bei euch auf der Schule laufen massenweise kleine Wichser rum, die diese Bilder sehen wollen. Wenn ihr ein paar Stück mehr kauft, könnt ihr verlangen, was ihr wollt.«

Wir alle begriffen das Geschäftsmodell sofort, und plötzlich redete alles durcheinander. Allein unsere Klassenkameraden würden locker zehn, fünfzehn, vielleicht sogar zwanzig Dollar hinlegen für die Fotos von Vanna White. Jack Camaro schlug sogar vor, Leihhefte bereitzustellen, die für einen oder zwei Dollar pro Abend zu haben waren, genau wie die Videokassetten bei Video City.

»Genial!«, rief Clark.

Jack Camaro zuckte nur mit den Schultern. »Ich bin eben Unternehmer. Ich bin immer auf der Suche nach einer guten Geschäftsidee. Man nennt das Angebot und Nachfrage.«

Wir griffen nochmals tief in die Tasche und holten raus, was drin war, nämlich weitere achtundzwanzig Dollar. Damit wollte Jack Camaro insgesamt zehn Hefte kaufen, wobei wir darauf bestanden, dass eines davon für ihn war, als Servicegebühr sozusagen.

»Ihr seid zu großzügig«, sagte er.

»Das ist das Mindeste, das wir tun können«, beruhigte ihn Alf.

Er nahm unser Geld und verschwand im Geschäft, während wir uns wieder auf die Bank setzten. Auf einmal erschienen uns unsere Zukunftsmöglichkeiten grenzenlos. Mit Jack Camaros Hilfe würden wir bald alle Unternehmer sein.

»Leute, wir werden reich!«, rief Alf.

»Langsam, langsam, wir dürfen nicht übermütig werden«, sagte Clark und empfahl dringend, den Gewinn in weitere Männermagazine zu stecken, nicht nur in Playboy, sondern auch in Penthouse,Hustler,Gallery und Oui. »Ich rede von Hunderten Heften. Je nach Lagerbestand gehen unsere Gewinne ab wie eine Rakete!«

Alf kündigte schon an, dass er sich demnächst einen Ford Mustang kaufen wolle. Clark plante die Operation an seiner Klaue. Und ich wollte meiner Mutter mit den Rechnungen helfen, damit sie halbwegs sorgenfrei leben konnte.

Diese Wunschträume hielten insgesamt sechs oder sieben Minuten.

»Das dauert aber ganz schön lang«, meinte Clark.

»Es ist Rushhour, was willst du?«, sagte Alf. »Wahrscheinlich ist in dem Laden gerade viel los.«

Aber wir hatten den Eingang beobachtet, in all der Zeit hatte niemand Zelinsky’s betreten oder verlassen.

»Vielleicht war das ein Undercover-Priester. Vielleicht lassen sich die beiden gerade zum Vatikan durchstellen.«

Alf wurde sauer. »Die Undercover-Priester gibt es wirklich, Billy. Man hört bloß nie was davon, weil diese Sachen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Aber sie passieren.«

»Ach, lass doch«, sagte Clark.

Wir zählten bis hundert, dann sollte Clark im Laden nachsehen. Er versprach, nichts von unserem Vorhaben preiszugeben, sondern nur zu gucken, wo Jack Camaro abgeblieben war. Er ging, und Alf und ich blieben wie festgelötet auf der Bank sitzen. Der Sekundenzeiger meiner Swatch tickte eine volle Minute ab, dann noch eine, dann noch eine. Wir rührten uns nicht vom Fleck, hielten nur die Tür im Blick, durch die Clark herauskommen sollte.

»Irgendwas stimmt da nicht«, sagte Alf.

»Irgendwas stimmt da wirklich nicht«, sagte Clark.

Er stand auf einmal hinter uns – so ähnlich wie Doug Henning oder David Copperfield, wenn sie sich aus einem geschlossenen Kasten befreit haben.

Alf fuhr herum. »He, wo kommst du denn her? Wie hast du …«

»Es gibt einen Hintereingang, Dummi. Da, wo der Parkplatz ist.«

»Und wo ist Jack Camaro?«, fragte ich.

Die Frage blieb unbeantwortet, da uns die Wahrheit dämmerte. Jack Camaro war mit unseren vierzig Dollar abgehauen, und wir saßen blöd da, während unsere unternehmerische Zukunft und der Traum vom großen Geld das Klo runterging. Zusammen besaßen wir nicht mehr als einen Dollar und zweiundfünfzig Cent, gerade genug, um uns einen Film auszuleihen.

»Kramer gegen Kramer?«, fragte Clark.

Und damit zogen wir ab und trollten uns zu Video City.

3

300 REM *** TRANSFER CHARACTER SET ***

310 PRINT »SETTING UP THE GAME …«

320 PRINT »PLEASE WAIT …«

330 POKE 56334,0

340 POKE 1,51

350 FOR ADDRESS=2048 TO 6143

360 POKE ADDRESS,PEEK(ADDRESS+51200)

370 NEXT ADDRESS

380 POKE 1,55:POKE 56334,125

390 RETURN

Bevor es weitergeht, muss ich noch kurz von Strip-Poker mit Christie Brinkley erzählen. Das war ein Computerspiel, das wir damals auf meinem Commodore 64 spielten und worin man im Stud Poker gegen ein Supermodel namens Christie Brinkley antreten musste. Das heißt, man spielte gegen den Computer, vertreten durch Christie Brinkley, die schönste Frau der Welt – bis irgendwann Vanna White auftauchte. Christie Brinkley stand während des ganzen Spiels stocksteif in der Bildschirmmitte und tat eigentlich nichts, außer Kleidungsstücke verlieren (Bluse, Rock, BH), sooft der gegen sie spielende Mensch eine Wettrunde gewann. Ziel des Spiels war, ihr mehr Kleidungsstücke abzunehmen, als man selbst eingebüßt hatte. Aber das Irrste an dem Spiel war, dass man es nicht kaufen konnte. Meine Freunde und ich waren die Einzigen, die jemals Strip-Poker mit Christie Brinkley spielten, denn ich selbst hatte es geschaffen, indem ich Aberhunderte Programmzeilen BASIC in den Computer eingab.

Alf fand das Spiel zu primitiv, womit er teilweise sogar recht hatte. Meine Christie bestand nur aus Sonderzeichen der ASCII-Tabelle und war eigentlich nicht mehr als ein besseres Strichmännchen:

Auch wenn ich nicht die Mona Lisa kreiert hatte, ich war stolz auf dieses Spiel. Es hatte Wochen gedauert, dem Computer den Unterschied zwischen zwei Paaren, einem Drilling und einem Royal Flush beizubringen. Mir war es am Ende sogar gelungen, dem Joker – als Wildcard – jeden denkbaren Wert zuzuordnen. Nichts davon wusste Alf zu schätzen, er nörgelte nur am fehlenden Busch von Computer-Christie herum. Hände hätte sie auch keine.

»Außerdem sind die Beine zu kurz«, sagte er. »Die Poportionen stimmen nicht.«

»Du meinst Pro-portionen …«

»Sag ich ja. Die Frau sieht ätzend aus.«

Ich versuchte, Alfs Kritik nicht an mich heranzulassen. Ich sagte mir, dass er keine Ahnung hätte, was bei der Entwicklung eines Computerspiels alles berücksichtigt werden musste. Das wusste übrigens niemand aus meiner Klasse. Unsere Schule verfügte zwar über ein EDV-Labor mit nagelneuen Tandy-TRS-80-Rechnern, aber man schrieb das Jahr 1987, und unsere Lehrer waren damit restlos überfordert. Sie nutzten Computer ausschließlich als Vokabeltrainer und Übungsgeräte für ihre Schreibmaschinenkurse.

Die meisten Kids hatten zu Hause auch noch keinen eigenen Rechner. Ich war einer der wenigen Glücklichen. Meine Mutter hatte bei einem Preisausschreiben der örtlichen Bank einen Commodore 64 gewonnen. Anfangs hielt ich den C64 nur für eine bessere Spielkonsole, so etwas wie einen Atari 2600 mit Turbo. Als ich aber alles angeschlossen und das Benutzerhandbuch gelesen hatte, merkte ich, dass man mit dem Commodore 64 seine eigenen Spiele schreiben konnte. Weltraumabenteuer, Fantasy-Schlachten, Autorennen, was immer man wollte. Von diesem Augenblick an war ich dem Rechner verfallen.

Und während meine Lehrer weiter ihre Gleichungen oder die Geschichte des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs herunterbeteten, saß ich hinten in der letzten Reihe, lugte immer wieder in mein Programmierhandbuch (Alles über den Commodore 64) und entwarf auf Millimeterpapier 8-Bit-Grafiken. Ich las Computerzeitschriften mit ganzen Seiten voller Codes, die man direkt übernehmen konnte (FOR X=1020 TO 1933 STEP 3). Oft saß ich bis ein, zwei Uhr morgens am Rechner und gab solche Programmzeilen ein. Es war eine öde, langwierige Arbeit, aber ich lernte ständig dazu. Häufig kopierte ich ganze Programmteile aus den Zeitschriften in meine eigenen Projekte, Strip-Poker mit Christie Brinkley war lediglich das ambitionierteste – und wie maßgeschneidert für die Bedürfnisse meiner Altersgruppe. Trotzdem konnte ich mit Christie bei Alf und Clark irgendwie nicht landen.

»Ihre Nippel sind ja bloß Nullen!«, beschwerte sich Alf. »Echt der Abtörner. Wer spielt schon Strip-Poker mit Null-Nippel-Christie? Kannst du die nicht runder machen?«

Das war ein paar Tage nach der Sache mit Jack Camaro, wir saßen alle vor dem Computer in meinem Zimmer, tranken RC Cola und langweilten uns zu Tode.

»Ich könnte die Nullen gegen Sternchen austauschen«, sagte ich, doch Alf und Clark meinten, Sternchen sähen noch doofer aus.

»Lass stecken, Billy«, sagte Alf. »Spielen wir lieber was anderes.«

Er warf die Floppy aus dem Diskettenlaufwerk, und noch ehe ich dazwischengehen konnte, hatte er die Beschriftung der Diskette gesehen. Da stand nämlich:

STRIP-POKER MIT CHRISTIE BRINKLEY

EIN SPIEL VON WILLIAM MARVIN

COPYRIGHT © 1987 PLANET WILL SOFTWARE

Alf las das und schnaubte verächtlich.

»William Marvin?«, fragte er.

Ich lief rot an. »So heiße ich.«

»William? So wie William Shakespeare?«

Jetzt wollte Clark auch mal gucken. »Und was ist Planet Will Software?«

»Meine Firma«, sagte ich.

Alf lachte noch lauter als Clark. »Deine Firma?«

Es war eine von diesen Ideen gewesen, die sich gut anhören – bis sie jemand laut ausspricht.

»Ist doch auch egal«, sagte ich.

Aber Alf war noch lange nicht fertig. Er deutete auf mein winziges Zimmer und die Poster mit Spuds MacKenzie und den Bikini-Models aus der Bud-Light-Werbung. »Ich nehme an, das hier ist dann deine Firmenzentrale. Und ich bin CEO, ja?«

»Das war nur ein Witz«, sagte ich. »Ich habe es hingeschrieben, weil es komisch war.«

Das glaubte er mir aber nicht. Deshalb warf ich ihm einen Köder hin, den er nicht ausschlagen konnte, die Swimsuit Issue 1987 von Sports Illustrated. »Hier, Seite achtundneunzig: Kathy Ireland wie Tarzan an der Liane.«

Der Trick funktionierte. Alf schlug die Zeitschrift auf und war gebannt – und ich hatte Ruhe. Auch wenn er und Clark meine besten Freunde waren, so hatte ich ihnen nichts von meinem Geheimplan erzählt, es eines Tages zum gefeierten Spieleentwickler zu bringen. Ich wollte der nächste Mark Cerny werden, der legendäre Game-Designer, der schon mit siebzehn zu Atari stieß. Ich wollte mit Visionären wie Fletcher Mulligan zusammenarbeiten, dem Gründer von Digital Artists, und ich wollte meine eigene Softwarefirma haben. Ich wusste selbst, wie verrückt sich das anhörte – genauso gut hätte ich sagen können, ich sei Astronaut oder Präsident der USA. Wenn Erwachsene mich fragten, was ich einmal werden wollte, sagte ich nur: »Ich weiß noch nicht.«

Alf steckte seinen Riechkolben in die Zeitschrift, als wollte er den Duft von Kathy Ireland einatmen, aber Clarks Klaue hielt die Floppy umklammert, als sei ihm soeben eine Idee gekommen.

»Planet Will hört sich jedenfalls ziemlich echt an«, meinte er.

»Es ist nur ein Witz«, sagte ich.

»So was könnte es aber geben«, sagte er. »Es gibt solche Jungs, die Videospiele machen und auch verkaufen. Sie sitzen noch in irgendwelchen Garagen, aber die Firmen sind real. Und ihren Bürobedarf kaufen sie in Läden wie dem Zelinsky’s.«

Clark öffnete meinen Kleiderschrank und kramte Sachen raus, die ich seit Jahren nicht getragen hatte. Das Sakko, das ich bei der Abschlussfeier der sechsten Klasse anhatte, die Stoffhose, die ich nur zur Weihnachts- oder Ostermesse trug, die schwarzen ramponierten Schuhe, die schon längst nicht mehr passten.

»Zieh das an«, befahl er.

»Wieso? Was soll das bringen?«, fragte ich.

»Operation Vanna, zweiter Versuch«, sagte er. »Ich habe eine Idee, und diesmal klappt es garantiert.«

4

400 REM *** PLAY THEME MUSIC ***

410 L1=54272:POKE L1+18,128

420 POKE L1,75:POKE L1+5,0

430 POKE L1+6,240:POKE L1+14,12

440 POKE L1+15,250:POKE L1+24,207

450 FOR L=0 TO 25:POKE L1+4,17

460 POKE L1+1,PEEK(L1+27)

470 FOR T=0 TO 100:NEXT T

480 NEXT L:POKE L1+4,0

490 RETURN

Dass man den Playboy erst ab achtzehn kaufen konnte, war bekannt. Weniger bekannt war, ob es sich dabei um ein Staats- oder Bundesgesetz oder nur um eine kommunale Verordnung handelte und welche Kammer das Verbot erstmals verabschiedete.

Wie auch immer, Clark bestand darauf, dass wir uns in Schale schmeißen. Er meinte, mit Anzug und Krawatte sähe man gleich anderthalb Jahre älter aus.

»Aber selbst dann bin ich erst fünfzehn«, sagte ich. »Vierzehn plus achtzehn Monate ist nicht mal voll sechzehn.«

»Das passt schon«, sagte Clark. »Wir haben so viel, das ablenkt, das kriegt Zelinsky gar nicht mit.«

Das Hemd war mir zu klein, und meine Schuhe drückten derart, dass ich darauf herumeierte wie eine Frau in High Heels. Clark hatte genau das entgegengesetzte Problem. Er trug einen petrolgrünen Polyesteranzug, der ihm mindestens zwei Nummern zu groß war. Seit sein Vater arbeitslos war, überlebte Clark nur noch mit Kleiderspenden seiner krassen Verwandtschaft aus Georgia. Einmal im Jahr kam ein ganzer Müllsack von dem Zeug, das nach Mottenkugeln roch und sich mit Markenlogos präsentierte, die wir noch nie gesehen hatten wie U-Men, Bootstrap, Kentucky Swagger.

In unserer Straße trug eigentlich nur Alf fabrikneue Sachen. Beide Eltern arbeiteten (sein Vater als Tapezierer, seine Mutter als Sekretärin in einem Maklerbüro), daher schwammen sie in Geld. Für unseren Ausflug zu Zelinsky’s zog Alf seine aktuellen Miami-Vice-Klamotten an: weiße Leinenhose, hellviolettes Sakko mit blauem T-Shirt, keinen Gürtel, keine Socken. Angeblich waren wir Geschäftsleute. Geschäftsleute, die nach einem langen Arbeitstag in Manhattan soeben dem Pendlerzug entstiegen waren. Doch Alf sah aus, als wolle er bei einem kolumbianischen Drogenbaron mal eben fünfzig Kilo Kokain sicherstellen.

»Selbstbewusstes Auftreten siegt«, sagte Alf.

»Genau«, sagte Clark. »Wenn du so tust, als wärst du alt genug, dann glaubt das auch ein Zelinsky.«

Sie hatten gut reden. Obwohl Clark den Plan ausgebrütet hatte und Alf der Älteste von uns dreien war, hielten sie mich für den aussichtsreichsten Erwachsenen-Darsteller – und folglich für denjenigen, der das Magazin zu kaufen hatte. Um vier am Nachmittag, lange nach Schulschluss, aber noch vor der abendlichen Rushhour, trafen wir vor Zelinsky’s ein. Ein menschenleerer Laden war entscheidend für unser Vorhaben. Wenn sich die Kunden gegenseitig auf die Füße treten, hätte ich nicht mehr den Mut, die Sache durchzuziehen, das wusste ich.

»Bist du bereit?«, fragte Clark.

»Gib mir die Knete«, sagte ich.

Alf drückte mir ein Bündel zerknitterter Scheine in die Hand. Er hatte sie aus der Kommode seiner ältesten Schwester Janice geklaut, die jede freie Minute mit Babysitten für andere Leute verbrachte. »Das sind siebenunddreißig Dollar«, sagte er. »Sieh zu, dass du darunter bleibst.«

ENDE DER LESEPROBE

© Courtney Apple

Jason Rekulak ist der Herausgeber von Quirk Books in Philadelphia. Er hat dort fast ein Dutzend New-York-Times-Bestseller veröffentlicht, die größtenteils von ihm konzipiert und auf sein Betreiben umgesetzt wurden. Er hat auch selbst unter Pseudonym einige Bücher für Quirk verfasst. Mit »Billy Marvins Wunderjahre« legt er erstmals einen Roman unter eigenem Namen vor.

Weitere Informationen zu Jason Rekulak finden Sie unter www.jasonrekulak.com

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel

»The Impossible Fortress« bei Simon & Schuster, New York

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Wunderraum-Bücher erscheinen im

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

einem Unternehmen der Random House GmbH.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung März 2018

Copyright © 2017 by Jason Rekulak

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018

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Redaktion: Regina Carstensen

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-19731-5V001

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