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Lustiger Roman über Schule, Krafttraining, Freundschaft und erste Liebe, ab 13 Jahren.
Außenseiter Aaron fühlt sich zum ersten Mal als Teil einer Gemeinschaft, als er sich im angesagten Gym anmeldet. Ganz entkommt er den Kommentaren über seine schmächtige Statur dort nicht. Um es allen zu zeigen, will er deshalb in hundert Tagen drei Kilogramm Muskelmasse zulegen. Doch allzu schnell stellt er fest, dass dieses Ziel auf natürliche Weise kaum zu erreichen ist ...
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Erst ist Aaron genervt davon, dass alle ins neue Gym rennen, um zu trainieren. Klar, er könnte auch ein paar Muskeln vertragen, vielleicht würde Elif dann endlich mehr in ihm sehen als nur den Kumpel, der ihr in Mathe und Physik hilft. Schließlich geht er doch mal mit und ist überrascht, wie viel Spaß es ihm macht, sich auszupowern. Nur blöd, dass er sich prompt von Carlo provozieren lässt. Ohne nachzudenken, verkündet Aaron, dass er in drei Monaten fünf Kilo Muskelmasse zulegen will. Hätte er mal besser seine Klappe gehalten. Das kann er doch gar nicht schaffen. Oder?
© Jens Kortus
Heiko Wolz, geboren 1977, lebt mit seiner Familie in Unterfranken. Er hat über 40 Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht, erhielt das Literaturstipendium des Freistaats Bayern, war für den Oldenburger Jugendbuchpreis, den Lese-Kicker und weitere Auszeichnungen nominiert. Mehrere Wochen im Jahr ist er unterwegs, um Kinder in Schulen und Bibliotheken für das Lesen zu begeistern.
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Viel Spaß beim Lesen!
Heiko Wolz
Thienemann
Für Joscha
Beeindruckt von deinem sportlichen Ehrgeiz,
bewegt von dem Menschen, der du bist
Laut Augenzeugen kam es am gestrigen Morgen in der Buchberger Niederlassung einer bekannten Fitnesskette zum Zusammenbruch eines sechzehnjährigen Schülers. Der Jugendliche wurde von der zu Hilfe gerufenen Notärztin und den Notfallsanitätern behandelt und anschließend mit dem Rettungshubschrauber ins Universitätsklinikum Frankfurt geflogen. Ob der Vorfall mit der umstrittenen Mr-Universe-Challenge zusammenhängt, die derzeit hohe Wellen in den sozialen Medien schlägt, ist unklar. Auf Nachfrage bestätigte die zuständige Staatsanwältin die Aufnahme von Ermittlungen. Es besteht der Anfangsverdacht der …
- Buchberger Anzeiger online -
Zwei Monate zuvor, Anfang September
Ich steige mit Tan und Marlene die Stufen aus der Unterführung nach oben. Hinter uns rumpeln die Züge, manche halten quietschend und spucken Schülerinnen und Schüler aus den umliegenden Dörfern aus, die meisten rauschen durch. Für den Fernverkehr ist Buchberg nicht mehr als lange Zeit nur Wald, etwas Industrie, ein vorbeifliegender Bahnhof, eine Altstadt mit spitzem Kirchturm, dann wieder Wald. Irgendwann kommt Frankfurt.
Die Betonstufen sind schmutzig, über zwei hat sich etwas Rotes ergossen. Entweder Erbrochenes von letzter Nacht oder ein Erdbeersmoothie. Da nirgends ein Becher liegt, mache ich einen großen Schritt.
Oben biegen wir nach rechts, überqueren die Straße und folgen dem schmalen Pfad zum vorderen Pausenhof. Der Strom teilt sich, einige Ältere bleiben stehen und zünden sich, demonstrativ ein Bein auf dem mit Rauchverbot belegten Schulgelände, ihre Morgenzigarette an. Die aus der Unterstufe ziehen weiter. Niemand hat ihnen sagen müssen, dass sie hintenherum zu ihren Klassenzimmern müssen. Das war schon immer so. Der vordere Teil ist für die Leute aus der Oberstufe reserviert.
Wenigstens sagt keiner mehr nur für die Großen zu mir. Ich habe aufgeholt, überrage zu Hause meine nicht gerade kleine Mutter um ein paar Zentimeter. Genau deshalb habe ich seit letztem Jahr einen Spitznamen. Mein erster, auch wenn das irgendwie verwunderlich ist. Man würde doch wenigstens einen Zwerg erwarten. Früher. Auf jeden Fall bin ich jetzt Aaron, der Strich, Winter. Wie ein Strich in der Landschaft.
Verpasst hat mir den Nickname Carlo Engelbrecht. Dann hat er seine zwei Gehirnzellen zur Höchstleistung getrieben und sich mit Blick auf meinen Nachnamen korrigiert: In der Winterlandschaft. Carlo ist eindeutig die Intelligenzbestie in unserer Jahrgangsstufe.
Was die Größe angeht, falle ich nicht mehr auf. Dünn auf der Brust bin ich nach wie vor. Dazu die langen Arme. Meine Mutter meinte scherzhaft, dass sich wohl alle Sechzehnjährigen in den Kniekehlen kratzen können, ohne sich bücken zu müssen. Weil in dem Alter zuerst die Gliedmaßen wachsen. Der Rest des Körpers pennt. Irgendwann merkt er es dann doch und kommt nach.
Was die Entwicklung von der Kindheit ins Jugend- und Erwachsenenalter angeht, kennt Mama sich aus. Sie könnte problemlos einspringen, sollte in der Klinik, in der wir früher Stammgäste waren, eine Expertin für einen Vortrag ausfallen. Ihre beste Freundin Monika hat sie kennengelernt, als wir damals quasi zum Inventar gehörten. Wenn die beiden sich unterhalten, glaubt man, dass zwei Krankenschwestern am Feierabend auf ein Glas Wein zusammensitzen. Dabei hat Mama sich zur Logopädin ausbilden lassen, nachdem sie ihren ersten Beruf wegen mir an den Nagel gehängt hat.
Kann gut sein, dass andere auch lange Arme haben. Bei mir ist es schon extrem. Ich sehe aus wie ein magersüchtiger Gorilla ohne Haare auf der Brust. Ich will nicht ins Detail gehen, aber wenigstens untenherum ist alles in Ordnung. Carlo erzählt gern, dass er sich dort rasiert, damit sein bestes Stück noch besser zur Geltung kommt. Ich habe auch darüber nachgedacht, aber es ist ja nicht so, dass die Mädchen Schlange stehen, um mich nackt zu sehen. Wozu also der Aufwand?
Aber ich schweife ab. Neben dem schmächtigen Brustkorb eine weitere Folge davon, dass ich in der dreißigsten Schwangerschaftswoche auf die Welt kam. Also mindestens acht Wochen zu früh. Rekord in Buchberg, yay!
Manchmal fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Eigentlich irre, wenn man meine Noten bedenkt. Vor allem die Naturwissenschaften liegen mir. Mathe, Physik. Chemie geht auch noch. Bio wird schon schwieriger. Hat ja mit Lebewesen zu tun, und mit denen habe ich es nicht so. Menschen sind besonders tricky.
Ich bin kein Autist oder eines dieser Asperger-Genies, falls das jetzt so rüberkommt! Darauf hat Mama mich testen lassen. Ich bin so ziemlich auf alles getestet, was man haben kann. Mein Vater hat mal gesagt, dass Mama mich zu einem Test auf eine Allergie gegen überflüssige Tests schicken würde, wenn es den gäbe. Ich fand das witzig. Mama nicht. Das war, bevor sie mehr oder weniger akzeptierte, dass ich allein zurechtkomme. Na ja, eher weniger. Da war mein Vater aber schon nicht mehr bei uns.
Auf jeden Fall kann ich gut mit Zahlen. Im Alltag dagegen springt mein Geist oft hin und her. Das Denken ist ein wilder Affe, sagt Linji, ein chinesischer Zen-Meister. Immer unruhig und dem nächsten Impuls hinterherjagend. In meinem Kopf hetzt der Affe nicht nur jedem Gedanken nach. Er kackt auch überall hin. Die schönsten Ideen stellen sich als die größte Scheiße heraus, die einem einfallen kann.
Es wird also eine ziemliche Herausforderung, das hier aufzuschreiben. Aber he, wegen einer Challenge bin ich ja genau da, wo ich gelandet bin. Also zurück auf Anfang.
Ich steige mit Tan und Marlene die Stufen aus der Unterführung nach oben. Wir biegen nach rechts, überqueren die Straße und folgen dem schmalen Pfad zum vorderen Pausenhof. Der Strom teilt sich, wir lassen die Raucher hinter uns. In der Mitte des Platzes, gleich neben den wenigen Sitzgelegenheiten in Form von vier im Quadrat stehenden Steinbänken im Schatten zweier mickriger Kastanienbäume, hat sich eine Traube gebildet. Ich höre Wahnsinn!, Wow! und Unnormal, Alter!
»Was ist da los?«, frage ich. Marlene zuckt die Schultern, aber etwas an Tans Grinsen verrät mir, dass er eine Ahnung hat. »Erzähl schon.«
Tan hebt entschuldigend die Hände. »Ick wisse nit beschaid«, lässt er den Vietnamesen raushängen.
Die Phans betreiben ein asiatisches Lokal in der Stadt. Das behauptet Tan gern, wenn jemand ihn nach seiner Herkunft fragt. Dann schaut er sein Gegenüber mit offenem Mund an, als würde er kein Wort von dem verstehen, was der andere sagt. Wenn er es ausreizen will, quatscht er in gebrochenem Deutsch von einer Kampfkunstschule oder einem buddhistischen Kloster, das seine Eltern nebenbei noch aufbauen. Erst Hühnchen süß-sauer, dann Erleuchtung. Irgendwann platzt er vor Lachen und kommt damit um die Ecke, dass sein Alter der Leiter der Kreditabteilung der hiesigen Sparkasse ist und seine Mama in einem Versicherungsbüro arbeitet.
Marlene rollt mit den Augen wie immer, wenn Tan seine Witze als persönliches soziales Experiment zum Alltagsrassismus hinstellt. Sie sind karamellbraun, die Brauen eine Spur heller, die Haare blond, fast weiß. Als hätte man einen Caffè Latte vor sich und die aufgeschäumte Milch noch nicht verrührt.
Die Haare trägt sie seit Neuestem als extrem kurzen Pixie. Nicht dass ich mich mit Frauenfrisuren auskenne, aber Marlene hängt meistens mit Tan und mir ab, also mussten wir uns alles über ihre Entscheidung anhören, sich einen frischen Look zu verpassen. Sie hat uns sozusagen haarklein davon berichtet. Wie es sich für die Tochter des verantwortlichen Lehrers des AK Fairtrade unserer Schule gehört, hat sie die Ausbeute des Kahlschlags gespendet. Kaum zu glauben, aber irgendwo läuft gerade ein krebskrankes Kind mit Marlenes ehemals langen Haaren herum.
Marlene war auch die Erste in unserem Jahrgang mit einem Piercing. Zuerst hat sie sich einen Helix stechen lassen, zwei Monate später tauchte sie mit einem Tragus auf, einem goldenen Stecker durch den Knubbel im Ohr. Ich habe mir daraufhin Gedanken über einen Nasenring gemacht, aber Mama ist ausgeflippt, als ich das nur angedeutet habe. Mein Körper ist heilig. Also für sie.
»Ist das Lennox?«, erkenne ich endlich, als wir näher an der Traube sind.
Tan verzichtet auf den künstlichen Akzent. »Ist seit einer Woche wieder da. War so abgesprochen, dass er die ersten beiden noch verpasst. Hast du das nicht mitbekommen?«
Sollte ich? Ich folge Lennox auf Insta, glaube ich, aber ich habe Besseres zu tun, als stundenlang zu liken und zu kommentieren, wie andere das tun. Gute Noten schreiben sich nicht von allein. Ich will den Schnitt vom letzten Jahr halten. Da heißt es, von Anfang an dranbleiben.
Ich schaue genauer, kriege das Bild vom Lennox, an den ich mich erinnere, und dem vor mir aber nicht zusammen. Als hätte man sein Gesicht auf einen anderen Menschen genäht. Ausgetauscht wie bei Nicolas Cage und John Travolta in Face/Off – Im Körper des Feindes, Regie: John Woo, 1997.
Ja, erwischt, ich bin ein Nerd. Aber in den Neunzigern wussten sie noch, wie man gute Filme dreht. Action, Komödien, Dramen – ich habe in jedem Genre meine Favoriten. Dummerweise kenne ich auch die weniger Gelungenen. Was mich dann irgendwie zum Obernerd macht.
Auf jeden Fall steht der Typ, der ein bisschen wie Lennox aussieht, breitbeinig in der Menge wie der Türsteher vor der Tanzstelle, in die Tan, Marlene und ich mal wollten. Marlene hat getobt, als der Kerl uns wegschickte. Allein hätte er sie bestimmt durchgelassen. Aber mit einem Strich auf der einen und einem grinsenden Asiaten auf der anderen Seite hatte sie keine Chance.
»Das nenn ich mal ein Glow-up«, holt sie mich zurück auf den Pausenhof.
»Mund zu, du sabberst«, kommentiert Tan ihren Blick, mit dem sie Lennox von oben bis unten abcheckt. Sie ist nicht die Einzige, die ihn mustert. Fast alle Mädchen aus den Zehnten stehen im Kreis um ihn herum und gucken sich die Augen raus. Jetzt finden sie wohl sogar sein Lispeln sexy, für das sie ihn früher ausgelacht haben. Seine Eltern konnten es ja nicht wissen, aber mit seinem Vornamen haben sie ihm keinen Gefallen getan. Stell dich mal als Lennox Schuster vor, wenn deine Zunge nicht weiß, dass sie hinter den Zähnen stoppen soll.
Ein Mädchen fehlt. Ich muss bis zur dritten Stunde warten, um den von den Sommerferien noch fast leeren Elif-Akku aufzuladen. Gemeinsamer Ethikunterricht der Zehnten bei Döpfel. Elif, ich – und siebenundzwanzig andere. Klar, dass der Strich da untergeht. Lennox würde das nicht mehr passieren. Er ist ja nicht zu übersehen.
Lennox bemerkt Tan und mich. Er hebt die Hand und verwandelt die Geste in der nächsten Sekunde in die Pose eines Bodybuilders, der seinen Bizeps präsentiert. Ich weiß, dass ich es mir nur einbilde, aber weit hergeholt ist der Gedanke nicht, dass die Mädchen aufseufzen. Ein paar fahren sich tatsächlich durch die Haare wie in einem billigen Teeniefilm. Wenn sich gleich eine verführerisch auf die Unterlippe beißt, wundert mich gar nichts mehr. Aber selbst, wenn sie wirklich seufzen würden, ginge das im Johlen der Jungs unter. Wieder schießen bewundernde Kommentare über den Pausenhof. Als wären wir in einer Psychorunde zum Thema Mobbing und sollten einen von uns probeweise mit Komplimenten überschütten, um mal zu sehen, ob das nicht cooler ist, als ihn zu beleidigen.
Tan und ich kennen Lennox aus dem Kindergarten. Raupengruppe. Jetzt sieht Lennox aus, als stünden die auf seiner Speisekarte. Sollen ja viel Eiweiß enthalten, solche Insekten. Scheinbar habe ich doch in Bio aufgepasst.
In der Grundschule hingen wir drei noch eng zusammen. Lennox mit dem Sprachfehler, Tan mit seinem Asthma und zur Krönung die ständig kränkelnde Frühgeburt. Beim Wechsel auf die Weiterführende haben Lennox’ Eltern ihn dann auf den sprachlichen Zweig geschickt. Keine Ahnung, woran Eltern festmachen, wo ihre Kinder am besten aufgehoben sind. Bei mir hat es zufällig gepasst, Lennox wäre vorletztes Schuljahr beinahe zum zweiten Mal sitzen geblieben. Ausgerechnet wegen Englisch und Spanisch. Deshalb sind die Schusters ja auf die Idee mit dem Auslandsjahr gekommen. Sie haben eine Organisation gefunden, die deutlich teurer ist als andere, aber weniger wert auf die Noten legt. Die hat Lennox irgendwo in der Nähe von Boston untergebracht. Dort hat er sich offensichtlich nicht nur um seine sprachlichen Fähigkeiten gekümmert.
Er posiert weiter. Sein Shirt spannt, als hätte der Designer es ihm auf den Leib geschnitten. Aus der kurzen Hose schauen Oberschenkel, die einzeln dicker sind als Tan und ich zusammen. Bei rund einem Meter neunzig wiegt Lennox sicher um die hundert Kilogramm. Er war früher nicht dünn, aber eindeutig unförmiger.
»Voll der Bär«, gibt Marlene ihr Urteil ab und zieht zum Eingang. Ihr Interesse scheint nur allgemeiner Natur gewesen zu sein. Man muss auf dem Laufenden bleiben, was an unserer Schule passiert, und Lennox’ Verwandlung zum Arnold Schwarzenegger eignet sich bestens als neuester Gossip.
»… den Arsch hoch und geht ins Gym!«, höre ich ihn da hinter uns und bleibe stehen. Seit wann klingt er wie ein voll aufgedrehter Subwoofer? Wieder nur Einbildung, aber mein Magen scheint bei jedem seiner Sätze zu vibrieren. »Ich hab mich gleich im twenty4you angemeldet. Super Laden, perfekte Ausstattung! Haben gerade ein Sonderangebot für Schüler am Laufen. Da müsst ihr zuschlagen!«
Twenty4you. Das Gym drüben auf dem Donnersberg? Das Gewerbegebiet ist vor drei Jahren in die Höhe geschossen, die Nähe zum Friedhof hat für einigen Wirbel gesorgt. Trotzdem haben sich dort ein Aldi niedergelassen, ein Rewe, Rossmann, Takko, Deichmann, ein Jeansladen, einer für Handys, zwei Friseure, zu denen man ohne Termin kann, ein Fressnapf und ein Döner. Das Kinopolis ist auch da. Und eben das Fitnessstudio.
Aus der Menge dringt Gemurmel. Erste Fragen werden gestellt.
»Wie oft muss man trainieren?«, will Carlo wissen. Bis man aussieht wie du, verkneift er sich. Es ist auch so deutlich zu hören. Fürchtet er um seine Stellung? Schmächtig ist er auch nicht gerade, aber mit seinem neuen Body steckt Lennox ihn locker in die Tasche.
Mich schon zehnmal.
Auch wenn die Erwachsenen immer meinen, man soll mit Humor und anderen inneren Vorzügen punkten: Ich hab’s versucht. Ich bin kein Außenseiter. Das nicht. Der Schüler ist gut in die Klassengemeinschaft integriert, stand früher in meinen Zeugnissen. Zumindest seit ich regelmäßig die Schule besuche. Aber es ist nicht so, dass heute alle Hurra schreien, wenn ich auf einer Party auftauche. Und mal ehrlich: Wer sagt, dass ihm das Aussehen bei der Partnerwahl egal ist, der lügt.
Meine Gedanken wandern in die dritte Stunde. Linke Reihe am Fenster, zweiter Platz von …
»Wenn du schnelle Ergebnisse willst, musst du schon fünf- oder sechsmal die Woche hin«, dröhnt Lennox. Und dann: »Time is too short to be small!«
Der Spruch gibt mir den Rest. Die teure Organisation hat ihn in eine amerikanische Klischeefamilie gesteckt! Du kannst alles erreichen, wenn du dich nur anstrengst. Hier hast du eine Infobroschüre. Komm am Sonntag in die Kirche. Halleluja!
Nein, kannst du nicht. Manchmal muss man mit dem zufrieden sein, was das Leben einem mitgibt. Ich habe mir die unausgereifte Lunge in meiner Kindheit nicht ausgesucht. Die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten. Dass ich beim Mannschaftssport öfter an der Seitenlinie saß, als aufs Feld gerufen zu werden. Die blöden Sprüche, die ich deshalb kassierte. Und immer noch von Typen wie Carlo reingedrückt kriege. Also halt die Klappe!
»Wir gehen«, sage ich und laufe an Tan und Marlene vorbei. Die textet noch schnell mit ihren Freundinnen, bevor sie das Handy drinnen wegstecken muss. Dass sie oft mit uns unterwegs ist, heißt nicht, dass sie keine hat. Wahrscheinlich tauschen sie sich darüber aus, was für ein Sahneschnittchen es jetzt an der Hölderlin zu begaffen gibt. Sogar ein paar Lehrer bleiben stehen, begrüßen den Heimgekehrten und beglückwünschen ihn zu dem, was er aus sich gemacht hat. Aber wieso drehe ich mich eigentlich noch mal um und schaue mir das an? Es kann mir doch egal sein.