Bindung macht stark - Tatje Bartig-Prang - E-Book

Bindung macht stark E-Book

Tatje Bartig-Prang

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  • Herausgeber: TRIAS
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Glückliche und geborgene Babys - entspannte Eltern Je geborgener und wahrgenommener Babys sich fühlen, desto besser können sie ihre Flügel entfalten. Denn Liebe und Bindung machen schlau, gesund und resilient. Das ist die Basis für bindungs- und bedürfnisorientiertes Elternsein. Attachment Parenting funktioniert nur in der Balance zwischen den Bedürfnissen von Eltern und Kind. Kuscheln, Schmusen, Tragen, Stillen sind zentrale Grundelemente. Unideologisch und entspannt können Sie sich hier mit Attachment Parenting vertraut machen: - Was AP ist: Die 3 zentralen Elemente für ein bindungsorientiertes Leben mit Ihrem Kind - Fallen Sie nicht drauf rein: Ammenmärchen über Attachment Parenting - Nähe ist das Allerschönste: Von Tragetuch bis Familienbett - Sie bestimmen: AP ist, was Sie daraus machen Attachment Parenting - so wie es zu Ihnen und Ihrem Baby passt.

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Seitenzahl: 262

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Bindung macht stark

Attachment Parenting ganz entspannt im Alltag leben

Tatje Bartig-Prang

1. Auflage 2018

20 Abbildungen

Liebe Mama,

vielen Dank, dass du meine Mutter bist! Du hast mich sechs Wochen lang teilgestillt und bist danach wieder arbeiten gegangen – Vollzeit. Weil du es wolltest, aber sicher auch, weil euch niemand gesagt hat, dass arbeiten gehen nicht abstillen bedeuten muss. Und dass frühes Abstillen riskant ist, wusstest du natürlich auch nicht. Auf meiner ersten Autofahrt haben du und Papa mich dann in einer Babytragetasche verpackt und locker auf dem Sitz des Taxis abgestellt, das uns aus der Klink nach Hause gebracht hat. Eine Klinik übrigens, in der ich dir gleich nach der Geburt weggenommen worden war, in ein Schaumbad getaucht und in einen Babyaufbewahrungsraum gebracht wurde, wo du mich nur alle paar Stunden und nachts gar nicht besuchen durftest. Ach so, und mit Wegwerfwindeln habt ihr mich gewickelt. Für 1978 eigentlich unerhört, denn damals wickelten die meisten mit Stoff. Dafür haben du und Papa beide am Wickeltisch gestanden. Mit drei Monaten habt ihr mich in damals empfohlener Weise mit Obstbrei aus dem Glas und Karottensaft aus der Flasche gefüttert. Tagsüber war ich bei meiner Oma und später dann im Kindergarten (huhu, Frau Braun, guck mal, ich schreib jetzt echte Bücher!) Und ich durfte immer bei euch schlafen, wurde mal geschoben und oft durch viele ferne Länder getragen. Dass ich vieles, aber nicht alles heute anders mache, hat dir noch nie einen Zacken aus der Krone gebrochen und du unterstützt mich immer in allem, was ich tue!

Ich weiß, dass in ein paar Jahrzehnten oder schon in ein paar Jahren – womöglich auch schon morgen – vielleicht wieder ganz andere Winde wehen. Etwas aber bleibt: Ich und du und alle Eltern da draußen, wir tun immer unser Möglichstes und ich wünsche mir, dass meine Kinder auf ihre eigene Kindheit genauso zurückblicken wie ich heute auf meine und dass sie sagen können: Das hat Mama gut gemacht! Wer braucht denn schon perfekte Mütter?

Deine Tatje

Inhaltsverzeichnis

Liebe Mama,

Teil I Das Fundament

1 Bindung und Nähe

1.1 Sicher gebunden

1.2 Nah am Herzen

2 Kommunikation und Bedürfnisse

2.1 Wir verstehen uns auch ohne Worte

2.1.1 Kommunikation – eine kleine Wanderkarte

2.2 Was wir wirklich brauchen

2.2.1 Der edle Wilde und seine Nachkommen

Teil II Grundelemente

3 Stillen

3.1 Entspannt stillen

3.1.1 Die ersten Tage

3.2 Ihr persönlicher Stillkompass

3.2.1 Das Wochenbett

3.2.2 2 bis 6 Monate

3.2.3 Nach dem 6. Monat

3.3 Ammenmärchen zum Stillen

3.4 Andere Wege

4 Tragen

4.1 Entspannt tragen

4.1.1 Raus hier!

4.2 Ihr persönlicher Tragekompass

4.2.1 Tragehilfen

4.3 Ammenmärchen zum Tragen

4.4 Andere Wege

5 Gemeinsam schlafen

5.1 Entspannt schlafen

5.2 Ihr persönlicher Schlafkompass

5.3 Ich. Bin. Müde.

5.4 Ammenmärchen zum Schlafen

5.5 Andere Wege

Teil III Ergänzungssets

6 Geburt

6.1 Entspannt gebären

6.1.1 Verlauf der Geburt

6.1.2 Gebären, aber wie und wo?

6.2 Ihr persönlicher Geburtskompass

6.2.1 Schwanger werden, schwanger sein

6.2.2 Ihr Team

6.2.3 Körperübungen

6.2.4 Geburt planen

6.2.5 Babymooning

6.3 Ammenmärchen zur Geburt

6.4 Andere Wege

7 Breifreie Beikost

7.1 Entspannt breifrei

7.2 Ihr persönlicher Breifrei-Kompass

7.2.1 Das »Richtige« essen?

7.2.2 Endlich abstillen?

7.3 Ammenmärchen zu Breifrei

7.4 Andere Wege

8 Babypflege

8.1 Entspannt pflegen

8.1.1 Wickeln und Waschen

8.1.2 Wärmen und Kleiden

8.2 Ihr persönlicher Babypflegekompass

8.2.1 Welche Größe und wie viel?

8.2.2 Woher?

8.2.3 Auf keinen Fall besorgen

8.3 Ammenmärchen zur Babypflege

8.4 Andere Wege

9 Reisen

9.1 Entspannt reisen

9.1.1 Reiseapotheke/Impfungen

9.1.2 Pausen

9.2 Ihr persönlicher Reisekompass

9.2.1 Autositz

9.2.2 Flugreisen

9.2.3 Fahrrad

9.3 Ammenmärchen zum Reisen

9.4 Andere Wege

10 Betreuung

10.1 Entspannt betreut

10.1.1 Der beste Zeitpunkt?

10.1.2 Kindergartenfrei

10.1.3 Gute Betreuung erkennen

10.1.4 Eingewöhnen

10.2 Ihr persönlicher Betreuungskompass

10.2.1 Eine gute Kindertagesstätte

10.3 Ammenmärchen zur Betreuung

10.4 Andere Wege

10.4.1 Spickzettel »Betreuung«

11 Attachment Parenting

Autorenvorstellung

Sachverzeichnis

Impressum

Teil I Das Fundament

1 Bindung und Nähe

2 Kommunikation und Bedürfnisse

Ihr Baby zieht Sie magnetisch an und Sie ziehen Ihr Baby an – das muss genauso so sein. Lassen Sie sich einfach ziehen!

1 Bindung und Nähe

Satt? Frisch gewickelt? Super! Weil Ihr Baby aber mehr ist als ein Verdauungssystem, sorgen Sie genauso gut für seine kleine Seele wie für seinen Körper.

Bindungsorientiert mit Ihrem Baby umgehen – ist das nicht furchtbar anstrengend? Nein, denn die Bedürfnisse Ihres Babys zumindest zeitweise vor Ihre eigenen zu stellen erfordert den geringsten Kraftaufwand. Sie und Ihr wunderbares Baby ziehen sich magnetisch an. Sie können Ihr Baby stundenlang ansehen, an ihm riechen, mit ihm kuscheln. Und Ihr Baby? Das strebt genauso zu Ihnen. Direkt nach der Geburt wird es von Form, Geruch und Beschaffenheit Ihrer Brust angezogen – und zwar so sehr, dass es sich im Alter von weniger als einer Stunde selbstständig dorthin bewegen und mit dem Stillen beginnen kann (mehr dazu im ▶ Kapitel »Sicher gebunden«). Nach wenigen Tagen erkennt es Ihren Geruch und zieht ihn dem Geruch anderer Menschen vor. Wenn es dann im Laufe des ersten Lebensjahres beginnt, sich vor Fremden zu fürchten, kann nur Ihre Schulter wirklich Schutz bieten vor unbekannten Personen. Sie sind der sichere Hafen; nicht Superman, Arnie Schwarzenegger oder die amtierende Kickboxweltmeisterin – sondern nur Sie. Sie ziehen Ihr Baby an, Ihr Baby zieht Sie an. Sie beide bilden eine Einheit. Wie zwei Magnete, die, voneinander angezogen, mit einem satten »Flupp« zusammenschnalzen. Und wie bei den beiden Magneten ist für Sie und Ihr Baby bei enger Verbindung kein besonderer Kraftaufwand mehr erforderlich, um diese Verbindung aufrechtzuerhalten: Zusammen sein, verbunden sein – das ist der Zustand, nach dem Sie beide streben. Kräftezehrend wird es erst, wenn Sie versuchen, diese Verbindung zu lösen. Die Magnetkräfte wirken weiter; die Kräfte versuchen, Sie beide zusammenzuhalten. Ein kleines Stück, denken Sie sich vielleicht. Ein klein wenig Abstand, etwas weniger nah. Das gehört doch so. Das sagen alle. Nur ein winziges Stückchen. Ha, die Rechnung haben Sie aber nicht mit den Eltern-Baby-Super- Magneten gemacht! Versuchen Sie doch mal, zwei starke Magnete auf geringe Entfernung auseinander zu halten. Das kostet am meisten Kraft. Das hält keiner lange durch. Das Baby soll im eigenen Bettchen schlafen, hat man Ihnen vielleicht gesagt (mehr dazu im ▶ Kapitel »Das Wochenbett«). Deshalb sitzen Sie abends gefühlte Ewigkeiten reglos mit Ihrem Baby am Bettrand, damit es endlich so tief schläft, dass Sie es unbemerkt ablegen können – nur um dann wieder und wieder am Transfer zu scheitern: Jedes Mal, wenn Sie das friedlich und vermeintlich tief schlafende Baby vorsichtig wie bei einer Bombenentschärfung in sein Bettchen legen, wacht es schlagartig auf und – das Spiel beginnt von vorn. Je nach Ihrer individuellen Leidensfähigkeit und je nachdem, wie viel Unterstützung Sie von Ihrer Umgebung erhalten, halten Sie diese Tortur eine längere oder kürzere Zeitspanne aus. Sicher ist: Entspannung sieht ganz anders aus. Und obwohl Sie normalerweise über Familien die Nase gerümpft haben, die ihre Babys einfach schreien lassen, bis sie irgendwann von allein damit aufhören, schleichen sich insgeheim vielleicht doch hin und wieder dunkle Gedanken bei Ihnen ein; die Vorstellung, Ihr Baby im Nebenraum zum Schlafen zu legen, scheint plötzlich weniger erschreckend als verlockend. Stopp! Denken Sie zuerst an die Magnete. Ein bisschen Abstand zu halten ist am anstrengendsten. Die ersten Monate wird Ihr Baby auf Ihnen leben wollen. Erlauben Sie das. Nicht nur Ihrem Baby. Erlauben Sie sich selbst diese Einfachheit. Ihr Kleines wird tagsüber entweder von Ihnen getragen werden wollen oder auf Ihrem Schoß liegen. Nachts möchte es eng an Sie gekuschelt schlafen. Hat ein Baby diese spleenigen Ideen, weil es als unverschämt freches Gör auf die Welt kommt, das seine Eltern drangsalieren will und dem man diese Allüren schnellstens abgewöhnen muss? Nein, natürlich nicht. Ein Baby hat das angeborene Grundbedürfnis nach engem menschlichen Kontakt zu einer oder mehreren verlässlichen Bezugspersonen, weil diese Art der Bindung ihm eine gesunde seelische und körperliche Entwicklung ermöglicht. Punkt.

Können Sie also bindungsorientiert leben, wenn Sie nicht stillen, nicht tragen und nicht im Familienbett schlafen? Ja, es ist nur anstrengender. Entscheidend ist letztlich die innere Haltung: Begleite ich die Bindungsbedürfnisse meines Babys gleichwertig zu seinen Bedürfnissen nach Nahrung und Luft zum Atmen? Dann kann ich grundsätzlich in jeder Konstellation bindungsorientiert leben.

1.1 Sicher gebunden

»Bindung« – dieser Begriff klingt so abstrakt. Was soll man sich darunter vorstellen? Etwas, das zusammenhält: die Bratensoße. Das Molekül. Den Schuh auf dem Ski. Und eben auch: die Beziehungen von Menschen. Ein Leben lang. Bindung ist nicht auf die Kindheit begrenzt.

In der Entstehungsphase dieses Buches schlug mir ein wohlwollender, aber zu diesem speziellen Thema weitreichend ahnungsloser Kollege »Jedes Kind braucht Bindung« vor und war leicht pikiert, als ich diesen Vorschlag natürlich sofort ablehnen musste. Einerseits kannte er wohl nicht die einschlägigen Ratgeber, die oft mit »Jedes Kind« beginnen und fragwürdige Kinder-Dressur-Strategien verkaufen. Andererseits war ihm eben gar nicht klar, was »Bindung« überhaupt bedeutet. Von bindungsorientierter Elternschaft – auch als Attachment Parenting bekannt – ja, davon hatte er wohl gehört. Wer bindungsorientiert mit seinen Kindern umgeht, der stellt das Thema Bindung in den Mittelpunkt seiner elterlichen Entscheidungen. Und wer keine bindungsorientierte Elternschaft lebt? Dessen Kinder binden sich natürlich trotzdem. Jedes Kind bindet sich. Jedes Kind hat also von vornherein irgendeine Art von Bindung. Bindung ist ein Grundbedürfnis, wie Schlafen, Atmen oder Essen. Wird Bindung allerdings ein hoher Stellenwert eingeräumt, sind Kinder häufiger sicher gebunden: Sicher gebundene Kinder haben Vertrauen in die Welt. Sie haben die tiefe und unauslöschliche Erfahrung verinnerlicht: Die Welt und die Menschen in ihr sind grundsätzlich gut. Diese Erfahrung kann zwar auch im späteren Leben noch nachgeholt werden, allerdings ist der späte Weg der steinigere. Das Urvertrauen bauen unsere Babys mühelos auf, wenn wir sie feinfühlig begleiten – mit genau dem Verhalten, das uns ganz automatisch in den allermeisten Fällen richtig und passend erscheint:

Wir stehen dem Baby körperlich und mit unserer Aufmerksamkeit zur Verfügung. Wir tragen es bei uns, haben mindestens Sichtkontakt oder horchen hin.

Wir kommunizieren mit dem Baby und versuchen zu erspüren, wo seine Bedürfnisse gerade ganz genau liegen. Möchte es getröstet, getragen, gestillt oder abgehalten werden? Braucht es Ruhe oder Spiel?

Wir schaffen es in der Regel, unser Baby zu verstehen und seine Signale richtig zu deuten, und können mit ein wenig Übung seine Bedürfnisse unterscheiden.

Wir reagieren auf diese Bedürfnisse möglichst unmittelbar. Wir zögern unsere Reaktionen nicht hinaus oder vermeiden es auf andere Weise, schnell für unser Baby abrufbar zu sein.

Super: Tragen im Tragetuch, Schieben im Wagen mit Sichtkontakt, gemeinsames Schlafen im Elternbett oder mithilfe eines Babybalkons, Stillen nach Bedarf, nicht nach der Uhr, Abhalten oder nach jedem Geschäft die Windel prompt wechseln.

Auch okay, je nach Ausgangssituation: (Feder-)Wiege, Babyhängematte, Pucken mit Sichtkontakt und/oder in sicherer Hörweite, Schlafen im Elternschlafzimmer im eigenen Bett, künstliche Säuglingsmilch aus der Flasche nach Bedarf und zugewandt füttern, häufiges Windelwechseln.

Bloß nicht: ins Bettchen oder in den Kinderwagen legen und nicht mehr für das Baby erreichbar sein, dem Baby Brust oder Flasche länger vorenthalten, sich an Zeitplänen ausrichten statt am Baby, Windel erst wechseln, wenn sie »voll genug« ist.

Die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth und der Kinderarzt John Bowlby kreierten ein bis heute wegweisendes Experiment, um das Bindungsverhalten von Kindern zu untersuchen. Ein- bis eineinhalbjährige Kinder werden einer Situation ausgesetzt, in der beobachtet wird, wie die Kinder sich gegenüber ihrer Bezugsperson und gegenüber fremden Personen in Gegenwart und in Abwesenheit ihrer Bezugsperson verhalten. Sicher gebundene Kinder zeichnen sich dadurch aus, dass sie offen ihre Gefühle von Angst, Traurigkeit und Stress zeigen, sich aber auch schnell trösten lassen, wenn die bekannte Person – im ursprünglichen Experiment die Mutter – wieder da ist. Die sichere Bindung zeigt sich zum Beispiel darin, dass das Kind in Anwesenheit der Mutter zu spielen und die in diesem Experiment unbekannte Umgebung zu erkunden beginnt. Und was passiert, wenn Kinder nicht sicher gebunden sind? Unsicher gebundene Kinder zeigen ihre Gefühle nicht offen oder im Gegenteil in einer übersteigerten Art und Weise. Sie reagieren entweder gar nicht darauf, dass die Mutter den Raum verlässt, oder sie reagieren mit einem überwältigenden Trennungsschmerz, der sogar durch die Rückkehr der Mutter schwer abgemildert werden kann.

Aktuelle Wiederholungen des Ainsworth-Experiments zeigen vor allem eins: Sie können ganz beruhigt sein, es ist schwieriger, ein nicht sicher gebundenes Kind großzuziehen, als ein sicher gebundenes: Von ungefähr 20 Kindern sind nämlich 14 sicher gebunden und nur 5 weisen Züge einer unsicheren Bindung auf.

Ein einziges von 20 zeigt ein krankhaftes Bindungsverhalten. Um eine solche Art der Bindung zu entwickeln, muss die Bezugsperson gleichzeitig als schützende Person und Person, vor der das Kind Schutz suchen muss, wahrgenommen werden. Diese Art von Bindungsverhalten zeigen zum Beispiel Kinder, die von ihren Bezugspersonen misshandelt werden. Am schrecklichen Beispiel misshandelter Kinder sehen wir überdeutlich, dass ein Baby keine Wahl hat, ob es sich bindet oder nicht. Es bindet sich auf jeden Fall. Der Titel »Jedes Kind hat Bindung« wäre also treffender gewesen. Bindung kann man einem Baby nämlich nicht vorenthalten. Selbst wenn keine Bezugsperson da ist, die die kindlichen Bedürfnisse zuverlässig, zeitnah und in für das Baby passender Art und Weise erfüllt, bindet es sich. Nur sind seine Bindungsmuster nicht dazu geeignet, stabile Beziehungen zu tragen. Es macht nicht die Erfahrung, dass es wichtige Bedürfnisse hat, dass es liebenswert ist – und zwar völlig unabhängig davon, welche Leistung es erbringt. Die Angst davor, ein Baby zu sehr zu verwöhnen, lässt Eltern manchmal gegen die eigene Intuition handeln. Verlangt ein Baby in kurzen Abständen nach der Brust, was gerade zu bestimmten Tageszeiten natürlich völlig normal und wichtig für eine gute Versorgung ist, versuchen Eltern häufig, das Stillen hinauszuzögern, statt das Baby sofort anzulegen. Vielleicht in der Annahme, dass ein Kind lernen müsse, Frustrationen zu ertragen. Klar, das muss es auch. Ein Körnchen Wahrheit steckt also darin: Nur ein Erwachsener, der auch mit Frustrationen umgehen kann, wird ein glückliches und zufriedenes Leben führen und nicht von jedem kleinen Gegenwind sofort aus der Bahn geworfen werden. Aber – und hier kommt ein sehr großes Aber – Frustrationstoleranz erlernt man eben nicht, indem man früh sehr hohen Frustrationen ausgesetzt wird, sondern durch die grundsätzliche Erfahrung, dass das eigene Handeln einen Unterschied macht. Wenn nicht oder selten auf die Signale des Babys reagiert wird, verankert sich die Erfahrung: Es ist egal, was ich tue. Ich habe keinen Einfluss auf meine Umwelt. Das Baby und später das Kind vermeidet Gefühlsäußerungen und Aktionen. Im Erwachsenenalter kann sich diese Erfahrung oft als Unfähigkeit, nach Hilfe zu fragen oder angebotene Hilfe anzunehmen, niederschlagen. In ungesunden Partnerschaften oder Arbeitsverhältnissen verweilen diese Kinder im späteren Leben oft übermäßig lang, statt aktiv auf eine Änderung der Verhältnisse hinzuwirken. Oder umgekehrt: Wenn jemand vielleicht nie dauerhafte Bindungsstrukturen über wechselseitige Kommunikation in seiner Kindheit erlebt hat, wirft er beim ersten Problem, das er nicht auf Anhieb lösen kann, sofort alles hin.

Und ja, es gibt auch Kinder, die zu sehr »verwöhnt« werden, je nachdem, wie man Verwöhnen definieren möchte. »Verwöhnen« kann ich jedenfalls nie durch die Erfüllung von Bedürfnissen. Ein Baby also am Körper zu tragen und nach Bedarf zu stillen, mit dem Baby gemeinsam zu schlafen und ihm keine Nahrung aufzudrängen bedeuten kein Verwöhnen. Es bedeutet schlicht Beziehungsaufbau und gesunde Bindung. Schädliches »Verwöhnen« bedeutet, dass ich meinem Kind keinen Freiraum für seine gesunde Entwicklung ermögliche. Ich schnalle es zum Beispiel im Buggy fest, obwohl es laufen möchte. Ich dränge es dazu, in meinem Arm zu schlafen, obwohl es den Wunsch äußert, allein zu schlafen. Ich verweigere ihm die Möglichkeit, mit anderen Kindern zu spielen, obwohl es Freude daran hat, weil ich es immer bei mir haben möchte. Wenn ich mein Kind also in enger, künstlicher Abhängigkeit von mir halte, obwohl es das natürliche Bedürfnis hat, unabhängiger zu werden, dann verwehre ich ihm eine gesunde Bindung. Denn dann richte ich mich nicht am Kind aus, sondern an meinen eigenen, unerfüllten Bedürfnissen nach Nähe und Fürsorge. Sie dürfen und sollen Ihrem Baby also im wahrsten Sinn des Wortes jeden Wunsch von den Augen ablesen, sich auf das kleine Wesen einlassen, es behüten, beschützen und seine Bedürfnisse achten. So entsteht Bindung, die ein Leben lang trägt. Kein Verwöhnen möglich!

1.2 Nah am Herzen

Feinfühligkeit zum Erspüren von Babys Bedürfnissen können Sie am besten erlernen, indem Sie sich ganz nach Gefühl in Ihr Baby vertiefen. In unserem gewohnten Alltagsleben funktioniert viel mithilfe unserer Augen. Fernseher, Handy, Computer, Bücher, Briefe: Wir kommunizieren in allererster Linie über Schrift und über Bilder. Sie und ich sind mit der festen Überzeugung unseres Kulturkreises aufgewachsen, dass zum Beispiel dem gelesenen Wort mehr Bedeutung beizumessen ist als dem gesprochenen. Das ist längst nicht überall auf der Welt so! Nehmen wir dieses Buch hier: Es ist durch sehr viele Hände und über viele Schreibtische gegangen, bevor Sie es jetzt lesen. Meine Buchidee wurde einer Programmplanerin des Verlags unterbreitet; dann entschied eine Runde aus mehreren Fachleuten, ob diese Idee in das Programm passen könnte; anschließend erarbeitete ich ein Konzept, das wiederum die Zustimmung von weiteren Menschen finden musste. Ich verfasste ein Manuskript, das von wieder jemand anderem noch einmal mit einem feinzinkigen Kamm durchgegangen wurde, um möglichst alle Fehler, die sich dort eingeschlichen hatten, zu finden und auszumerzen. Dann wurde das Buch von weiteren spezialisierten Experten in eine druckbare Form gebracht, wieder andere Spezialisten überlegten sich Anordnung und Layout und schließlich lag das Buch so vor, wie Sie es nun in der Hand halten (oder an Ihrem E-Book-Reader lesen). Neben mir als Autorin durchlief es also viele weitere Qualitätskontrollen und hoch spezialisierte Instanzen mit Experten und Fachkräften. Ich selbst schenke einer Meinung, die zwischen zwei Buchdeckeln eines renommierten Verlags steht, auch mehr Beachtung als der Meinung des Mannes mit Bart, der von einem Pappkarton im Park »Das Ende ist nah!« ruft. Diese Vorgehensweise hat für mich in meinem Leben bisher meistens ganz gut funktioniert: mich im Großen und Ganzen auf meine Augen und vor allem auf meinen analytischen Verstand verlassen, bei Problemen Quellen suchen und nach Aussagekraft und Seriosität einstufen und im Zweifel Expertenrat suchen. Beim Bindungsaufbau funktioniert dieses Schema leider nicht oder kaum. Das kann sich anfangs belastend anfühlen, weil es so unbekannt ist. Geben Sie dem Unbekannten eine Chance und erschließen Sie sich ganz neue Kanäle der Erkenntnis. Falls Ihnen dieser Ratgeber also nicht zusagt: Weg damit! Egal, wer ihn sonst gut findet. Mit der Geburt Ihres Babys sind SIE zum Experten geworden. Niemand anders ist so eng mit Ihrem Baby verbunden und deshalb kann auch niemand anders so zuverlässig die Bedürfnisse Ihres Babys erkennen wie Sie selbst. Diese Fähigkeit heißt »Abstimmung« aufeinander und resultiert in »Bindung« zueinander.

Erst durch Abstimmung und Bindung werden wir zu einer menschlichen ENIGMA – einer einzigartigen Decodiermaschine der Extraklasse, nur zugeschnitten auf uns und unser Baby. Schließen Sie die Augen, schalten Sie ihren Verstand aus und tragen Sie Ihr Baby ganz nah am Herzen. Körperkontakt, Nähe und Kuscheln aktivieren die Rezeptoren in Ihnen, die es Ihnen ermöglichen zu erspüren, ob Ihr Kind Pipi machen muss oder stillen möchte, ob ihm kalt oder warm ist, ob es Action oder Entspannung sucht. Oder ob sich vielleicht gerade eine Krankheit anschleicht. Sie funktionieren wie ein Seismograf für die Bedürfnisse Ihres Babys, dessen Genauigkeit von Nähe gesteuert wird. Je winziger Ihr Baby, desto wichtiger ist der ungestörte und dauerhafte Körperkontakt zu Ihnen. Direkt nach der Geburt sprechen wir auch von der »Goldenen Stunde«. Die Zeit, in der die erste Bindung außerhalb des Mutterleibs eingegangen wird. Immer mehr Kliniken ermöglichen den Babys, wenn nicht schwerwiegende medizinische Gründe dagegensprechen, die erste Stunde ununterbrochen nackt auf der Brust der Mutter zu kuscheln – auch alle notwendigen Untersuchungen können im Normalfall dort durchgeführt werden. Ein acht Monate altes Baby möchte die Welt erkunden, nicht so ein drei Wochen altes Baby. Wichtig ist, dass Sie als sichere Basis zur Verfügung stehen, zu der Ihr Baby sich zurückziehen kann.

Was passiert aber, wenn wir Fehler machen? Wenn wir oft einfach nicht erkennen, warum unser Baby weint. Oder wenn wir erkennen, warum, aber die Ursache gerade nicht abstellen können? Das ist kein Problem, das ist völlig normal! Man geht nach aktuellem Forschungsstand davon aus, dass im Mittel nur etwa die Hälfte aller Kommunikationsversuche von den Bezugspersonen sofort und richtig interpretiert und beantwortet wird. Wichtig ist: Sie fühlen sich unwohl, wenn Ihr Baby weint. Sie haben den starken Drang, ihm immer bestmöglich zu helfen, und geben Ihr Bestes, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Eltern von sicher gebundenen Babys zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie nie Fehler machen, sondern dadurch, dass sie die Kommunikationsfehler direkt angehen, bewältigen und möglichst reparieren.

Wie bei den Magneten wird das Bindungssystem nur merklich aktiviert, wenn eine Situation auftritt, in der die Bindung in irgendeiner Form belastet wird. Wenn Ihr Baby stillen möchte, können Sie sich durch ständigen engen Körperkontakt und indem Sie sich voll auf Ihr Baby einlassen so synchronisieren, dass Außenstehende durch reines Beobachten nicht feststellen können, dass Sie gerade auf ein Signal Ihres Babys reagieren. Leider wird immer noch vielerorts weitergegeben, das Baby müsse erst sichtbare Hungerzeichen zeigen, bevor es angelegt wird. Vielleicht liegt in dieser fast unsichtbaren Abstimmung auch der Vorwurf begründet, dass manche Mütter zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse stillen würden. Wenn Fremde keine Bedürfnisäußerung des Babys wahrnehmen können, sieht es so aus, als würde die Mutter dem satten Baby die Brust aufnötigen. Seien Sie aber versichert, dass es unmöglich ist, ein Baby zu stillen, das nicht stillen möchte. Sie könnten auch keine zwei Steine aneinanderlegen und ihnen befehlen, einander anzuziehen, auch wenn sie mit einem Filzstift Plus und Minus draufmalen.

Als Faustregel gilt: Je jünger Ihr Baby, desto mehr braucht es den ununterbrochenen physischen Kontakt zu Ihnen. Während der Zeit des Wochenbettes, also etwa der ersten zwei Lebensmonate Ihres Babys, haben Sie Zeit, einander in Ruhe kennenzulernen. Auch Mütter, die bereits mehrere Kinder geboren haben, berichten immer wieder, dass jedes Wochenbett und jede Babykennenlernzeit absolut einzigartig ist. »Kennst du eines, kennst du alle« trifft auf Babys genauso wenig zu wie auf andere soziale Beziehungen. Falls Sie bereits mehrere romantische Beziehungen hatten, werden Sie wissen, wie unterschiedlich gerade die ersten Wochen und Monate einer Partnerschaft ablaufen. Überall dort, wo sich zwei Menschen kennenlernen und sich aufeinander einstimmen und abstimmen, existiert eine unglaubliche und wunderbare Bandbreite. Zum Glück! In diesen ersten Wochen kommunizieren Sie natürlich auf vielfältigste Art und Weise mit Ihrem Baby, aber auch Ihr Baby beginnt schon zu kommunizieren, Sie direkt anzulächeln, vor sich hin zu brabbeln oder auch zu weinen, um die Bindung zu Ihnen zu verstärken. Diese Bindungsbooster sind nicht für Sie reserviert: Ob Tante Uschi, Nachbarin oder Postbote – jeder wird vom Baby mit diesen Signalen bedacht. Es lässt sich keinen potenziellen Versorger durch die Lappen gehen und macht noch wenig Unterschiede. Sicher ist sicher.

Ein bisschen später, mit ungefähr zwei Monaten bis zu einem halben Jahr, unterscheidet Ihr Baby immer mehr zwischen Personen, zu denen bereits ein komplexerer Bindungsaufbau stattgefunden hat, und dahergelaufenen Fremden. Ihr Baby wird auch zusehends mobiler und klammert sich bewusster und aktiver an Sie oder folgt Ihnen sogar, um die Bindung weiter zu verstärken und voranzutreiben. Von nun an bis etwa zum zweiten Geburtstag entwickeln Kinder immer vielfältigere Kommunikationsstrategien, der ununterbrochene Körperkontakt beginnt abzunehmen, obwohl er immer noch wichtig ist. Das Kind kann körperliche Nähe jetzt zum Teil aktiv selbst aufrechterhalten. Bei viel getragenen Kindern sieht man nun häufig, dass sie ganz oder teilweise ohne Hilfsmittel getragen werden können, indem sie sich auf der Hüfte oder auf dem Rücken des Erwachsenen selbstständig festhalten und auch aufsteigen. Die Funktion der Eltern wird vom unmittelbar überlebensnotwendigen Netzstromstecker, zu dem der Kontakt niemals unterbrochen werden darf, zu einem immer leistungsfähigeren Akku – zu einer sicheren Basis, von der aus immer größere und längere Ausflüge unternommen werden, um die Welt zu erkunden. Auf die letzten Rudimente dieses Verhaltens werden Sie vielleicht irgendwann mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken, wenn Ihr Liebling am Wochenende aus der WG nach Hause kommt, um bei Ihnen eine Ladung Schmutzwäsche abzukippen und Ihren Kühlschrank leer zu essen. Dann können Sie sich auf die Schulter klopfen: Denn wenn Ihr Kind immer noch zu Ihnen kommt, haben Sie eigentlich alles richtig gemacht. So weit sind wir aber noch nicht (ganz). Nach dem dritten Geburtstag hat sich Ihr Kind so weit entwickelt, dass es Sie als eine von ihm unabhängige Person wahrnehmen kann. Ihre Beziehung wird vielschichtiger, indem Ihr Kind Handlungen und Ziele immer besser vorausplanen und sich bis zu einem gewissen Grad auch anpassen kann. Statt einfach nur zu schreien, wenn es Sie braucht, vermag es zum Beispiel je nach Situation zu reagieren. Es kann laut oder leise schreien oder rufen, es kann Sie suchen oder Ihnen nachfolgen und es kann seine Bemühungen bewusst verstärken, damit ihm und seinen Bedürfnissen Gehör geschenkt wird.

Besonders in den ersten zwei Jahren, wenn unmittelbare körperliche Nähe oder eine sichere, jederzeit erreichbare Basis enorm wichtig sind, gibt es aber heikle Situationen, die schwer zu umschiffen sind, weil wir eben im 21. Jahrhundert leben, wo wir in Häusern wohnen, in Autos herumfahren und oft zu festen Zeiten irgendwo zur Stelle sein müssen. Wie soll Ihr Baby bei Ihnen im Bett schlafen, ohne herauszufallen, wenn Sie im Bett vom Möbelschweden nächtigen und nicht auf einem bodennahen Lager aus Riedgras und Rindshäuten? Und wie sollen Sie ununterbrochenen Körperkontakt zu Ihrem Baby haben, wenn Sie die Geschwisterkinder ständig in die Kita, zum Flötenunterricht oder zum Fußballtraining kutschieren müssen? Wie sollen Sie nach Bedarf stillen, wenn Sie spätestens nach zwölf Monaten zurück an Ihren Arbeitsplatz müssen, weil Sie eben nicht vom Jagen und Sammeln leben, sondern von Ihrem Monatsnetto? Kreative und vor allem bindungsorientierte Lösungsmöglichkeiten finden Sie in den thematisch gegliederten Grundelementen und den Ergänzungssets in diesem Buch. Aber denken Sie daran: Die Bindungsqualität zu Ihrem Baby ist zwar ein wichtiger Baustein für ein glückliches Leben, aber sie wird durch die Befriedigung der Grundbedürfnisse bestimmt. Und ob diese Befriedigung funktioniert, wird durch die Qualität der Kommunikation bestimmt – nicht durch die Tatsache, ob Sie ein Tragetuch besitzen, mit Stoffwindeln wickeln und sehr oft das Wort »Natur« verwenden.

2 Kommunikation und Bedürfnisse

»I’ll tell you what I want, what I really, really want!So tell me what you want, what you really, really want!«

Bei bindungsorientierter Elternschaft gibt es leider einen ziemlich großen Pferdefuß, den ich Ihnen bisher verschwiegen habe. Eltern, die selbst eine Bindungsstörung haben, begegnen häufig größeren Schwierigkeiten, ihre eigenen Kinder in eine sichere Bindung hineinwachsen zu lassen. Ob Sie selbst eine behandlungsbedürftige Bindungsstörung haben, erkennen Sie vielleicht am ehesten daran, dass Sie einen Leidensdruck verspüren, weil es Ihnen nicht in ausreichendem Maße möglich ist, Bindungen einzugehen oder aufrechtzuerhalten. Ich kann Ihnen aber sehr sicher sagen, woran Sie eine Bindungsstörung bei Ihnen selbst nicht erkennen: Nämlich indem Sie »Symptome + Bindungsstörung + Erwachsene« in die Google-Suche eingeben und dann schauen, ob etwas davon auf Sie zutrifft. Auf so gut wie jeden von uns treffen kleine oder große Teile solcher Listen mit Risikofaktoren für unsichere Bindungen zu: Mama war zu Hause und manchmal ungeduldig, Papa oft weg bei der Arbeit. Zack, Bindungsstörung. Mama war arbeiten. Dann erst recht Bindungsstörung. Eltern geschieden? Klar, Bindungsstörung! Sie sind sehr ängstlich oder sehr risikofreudig? Bindungsstörung! Sie sind schüchtern oder sehr einnehmend? Sie ahnen es schon. Das Netz sagt: Bindungsstörung. So einfach ist das natürlich nicht – auch in unserer Generation, die wir das Licht der Welt in den 70er-, 80er-, 90er-Jahren erblickten, ist die Mehrheit der Menschen eben sicher gebunden. Forschungen weisen im Gegenteil darauf hin, dass die Zahl der Menschen mit Bindungsstörungen auch generationenübergreifend ziemlich stabil bleibt. Die meisten von uns sind also völlig gesund und absolut in der Lage, unseren eigenen Kindern eine sichere Bindung zu ermöglichen. Falls Sie aber ernsthafte Zweifel haben, ob Sie in der Lage sein werden, angemessen auf die Bedürfnisse Ihres Kindes einzugehen, zögern Sie nicht, sich Hilfe zu holen. Und hier beginnt der ungünstige Kreislauf – wenn Sie bis hierher aufmerksam gelesen haben, erkennen Sie wahrscheinlich schon das fast unlösbare Problem. Denn Menschen mit einer Bindungsstörung können eben überdurchschnittlich oft gerade nicht zu einem angemessenen Zeitpunkt um Hilfe bitten.

Es gibt da ein sagenumwobenes, grausames Experiment, das Friedrich dem Großen (wahrscheinlich fälschlicherweise) zugeschrieben wird. Darin will der Kaiser herausfinden, welche Ursprache ein Mensch in sich trägt, wenn alle störenden und schädlichen Einflüsse von ihm ferngehalten werden. Ist es Hebräisch? Oder doch Griechisch? Vielleicht Latein? Oder gar die Sprache der Eltern? Dazu wurden nur die körperlichen Bedürfnisse der Babys befriedigt, aber die Ammen und Säuglingspflegerinnen durften nicht mit den Kindern sprechen, nicht mit ihnen spielen oder sie drücken und küssen. Wenig überraschend kam das Experiment zu keinem Ergebnis, denn ein Mensch, dessen seelische Bedürfnisse nach Liebe und Zuneigung nicht beachtet werden, stirbt nach einer gewissen Zeit genauso zuverlässig wie jemand, der aufhört zu essen und zu trinken. Der Überlieferung nach starben alle Babys, noch bevor sie in das Alter kamen, in dem wir Menschen normalerweise erste Worte formen.

Jedes Bedürfnis hat also seine unbedingte Berechtigung, auch wenn es nicht rein körperlicher Art ist.

2.1 Wir verstehen uns auch ohne Worte

Ein zentraler Bestandteil bindungsorientierter Elternschaft ist Kommunikation. Ohne Signale, die ständig von den Eltern zum Baby und zurückgesendet werden, können wir gleich einpacken. Überall dort, wo Patentrezepte angepriesen werden, dürfen Sie also den berechtigten Verdacht hegen, dass nicht bindungsorientiert gehandelt wird, sondern nach 08/15-eine-Größe-passt-allen-Prinzipien. Ein gutes Beispiel für so eine 08/15-Strategie ist zum Beispiel der Beikostplan. Obwohl natürlich jedes Kind ganz eigene Vorlieben und Bedürfnisse hat, jedes Kind abhängig von einer Reihe unterschiedlicher Faktoren einen anderen Kalorienbedarf hat und auch die Esskultur der Eltern sich nicht nur von Land zu Land unterscheidet, sondern sogar von Haus zu Haus, soll Beikost nach Plan gefüttert werden. Das Baby soll »lernen«, dass Essen satt macht. Es soll »lernen«, sich an Mahlzeiten zu gewöhnen. Eine Sichtweise, die weder bindungs- noch bedürfnisorientiert ist und nicht auf Kommunikation setzt. Oder nehmen Sie Schlaflernprogramme