Bing 兵 - Josef Mondl - E-Book

Bing 兵 E-Book

Josef Mondl

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieses Buch erforscht Ursprünge und Grundlagen der historischen Entwicklung, kulturellen Identität, Diplomatie, Überzeugungsarbeit und militärischen Strategien Chinas von der Xià-, über die Shāng- bis zum Ende der Zhōu-Dynastie, also des Zeitraums von etwa 2070 – 221 v. Chr. In diese Periode fällt die Entstehungszeit der großen chinesischen Philosophien wie Konfuzianismus und Daoismus.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 525

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-735-9

ISBN e-book: 978-3-99146-736-6

Lektorat: Mag. Eva-Maria Peidelstein

Umschlagabbildung: Wikimedia Commons, Yan Li

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: siehe Bildquellennachweis am Ende des Werkes

www.novumverlag.com

Inhalt

Kapitel I – Einführung:

A. Überblick, Zweck, Umfang;B. Historischer Kontext der chinesischen Vor-Qín-Periode;C. Bedeutung von kultureller Identität, Diplomatie, Überzeugungskraft und militärischen Strategien im alten China.

Kapitel II – Historische Entwicklung Chinas während der Vor-Qín-Zeit:

A. Überblick;B. Wǔshì 五氏 [Fünf Clans] (Yǒucháo-Clan 有巢氏 [Volk der Nestbauer], Suìrén-Clan 燧人氏 [Volk der Feuermacher], Fúxī-Clan 伏羲氏, Shénnóng-Clan 神农氏) – Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne] – Wǔfāng Shàngdì 五方上帝 [die höchsten Gottheiten der fünf Richtungen];C. Xià-Dynastie 夏朝;D. Shāng-Dynastie 商朝 (Liste der Herrscher der Frühzeit der Shāng-Dynastie (1600–1300 v. Chr.) – vor der Verlegung der Hauptstadt nach Yīn 殷, Chronologie der Herrscher der Spätzeit der Shāng-Dynastie (1300–1251 v. Chr.) – nach der Verlegung der Hauptstadt nach Yīn 殷, Territorial- und Verwaltungskonzept der Shāng-Dynastie: Wángjī 王畿 und Wǔfú 五服);E. Zhōu-Dynastie 周朝 (Westliche Zhōu-Dynastie 西周: Chronologie der Westlichen Zhōu-Dynastie; Politische Fundamente der Zhōu: Tiānmìng 天命 [Mandat des Himmels] – Fēnfēng 分封 [Feudalsystem] – Zōngfǎ 宗法 [Lineagesystem] – Jǐngtián 井田 [Brunnenfeldsystem] – Lǐyuè 礼乐 [System der Riten und der Musik]. Östliche Zhou-Dynastie 东周: Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期; Zeit der Streitenden Reiche 战国时期).

Kapitel III – Kulturelle Identität im alten China:

A. Definition der kulturellen Identität und ihre Entwicklung in China;B. Grundlagen der kulturellen Identität im alten China (Schrift und Sprache, Glaube und Religion, Überzeugungen und Werte, Sitten und Gebräuche, Geografie und territoriale Identität, Entstehung des Begriffes Zhōngguó 中国 [Land der Mitte], geschichtliche Hintergründe, Die Nicht-Zhōu-Völker);C. Entstehung und Festigung charakteristischer Eigenschaften der kulturellen Identität (Gāngjiàn 刚健 [Stärke und Unerschütterlichkeit des Charakters], Héxié 和谐 [Harmonie] und Zhōngyōng 中庸 [Mitte und Maß], Zhèngdé 正德 [aufrechte Moral und tugendhaftes Verhalten], Lìyòng 利用 [Gewichtung der (eigenen) Vorteile] und Hòushēng 厚生 [Pflege von Körper und Geist für ein langes Leben], Tiānshí 天时 [die Zeit des Himmels – die natürliche Ordnung] – Dìlì 地利 [die Vorteile der Erde – vorteilhafte Bedingungen] – Rénhé 人和 [die Harmonie des Menschen – Unterstützung durch die Menschen], Tiānrén-Héyī 天人合一 [Einheit von Himmel (dem Universum) und Menschheit], Kollektivistische Kultur, Nicht-religiöse Kultur);D. Bedeutung der kulturellen Identität für die Gestaltung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Landschaft Chinas in der Vor-Qín-Zeit;E. Wichtige chinesische Kulturdimensionen und Rationalitäten im heutigen Kontext (Miànzi 面子 [Gesicht, Ruf, Reputation, Leumund], Guānxì 关系 [Verbindung oder Beziehung zwischen Personen], Rénqíng 人情 [menschliche und wechselseitige Gefühle und Emotionen], Kèqì 客气 [Bescheidenheit, Höflichkeit, Zuvorkommenheit]);F. Bedeutende kulturelle Errungenschaften und Artefakte aus der Vor-Qín-Zeit.

Abschluss und Vorausschau

Vorwort: Prof. Dr. Dr. Harro von Senger

Von der wissenschaftlichen Arbeit von Josef Mondl habe ich auf einer Zürcher China-Tagung am 25.10.2018, auf der er einen Vortrag über das Thema «Gesellschaftspolitik als Herausforderung: Historischer Hintergrund und spezifische Charakteristika von ‚öffentlichem Raum‘ im Kontext Chinas“ hielt, erstmals Kenntnis erhalten. In Einsiedeln haben wir uns dann am 18. 01. 2019 im Café Schefer zu einem vertiefenden Fachgespräch getroffen. So ist mir Josef Mondl als ein Wissenschaftler bekannt, der in mancherlei Hinsicht China in einer anderen Weise als ich betrachtet. Nun hat mir Herr Mondl das Inhaltsverzeichnis seines Werks ‘Bīng 兵 – Band I: Ursprünge, Grundlagen und Entstehung der chinesischen Identität in der Vor-Qín-Zeit’ vorgelegt und um ein Vorwort gebeten. Seiner Bitte leiste ich hiermit Folge, denn als Anhänger und Fortentwickler von Fritz Zwickys (1898-1974), des Glarner Astrophysikers, «Morphologie» – näher erläutert im Buch von Peter Wiesendanger und anderen «Die anderen 68er», Münster Verlag, Basel 2018, S. 237 ff. – begrüsse ich eine möglichst breit gespannte Fülle an Gesichtspunkten, unter denen China, dieses unendlich viele Facetten aufweisende Land, wahrgenommen und dargestellt wird.

In der Frühlings-und Herbstzeit (770–476 v.Chr.) und im Zeitalter der Streitenden Reiche (475–222 v.Chr.) – dieses Zeitalter steht im Mittelpunkt des vorliegenden Werks von Josef Mondl – gab es eine Vielzahl von Lehrrichtungen. Diesem Umstand entsprechend wurde seit der Qin- und Han-Zeit (221 v.Chr.–220 n.Chr.) der Ausdruck „hundert Schulen“ verwendet (Yang Honglie: Zhongguo Falü Sixiang Shi [Geschichte des chinesischen Rechtsdenkens], Band 1, Taipeh 1964, S. 47). Die den Gedanken einer maximalen Menge zum Ausdruck bringende Zahl 100 sollte die blühende Vielfalt der Schulen umschreiben. Und so ist es zu begrüssen, wenn es in unserer Zeit und in unserer Weltgegend „hundert Schulen“ gibt, die die vielerlei Aspekte des Reichs der Mitte auf unterschiedliche Art und Weise beleuchten. Möge dem wissenschaftlichen Werk von Josef Mondl beschieden sein, sich zu einer der zeitgenössischen über China orientierenden „hundert Schulen“ zu entwickeln.

Willerzell 20. 08. 2023

Prof. Dr. Dr. Harro von Senger,

Vorwort: Prof. Dr. Kuno Schedler

Wie stark hat es Sie überrascht, dass sich das Freihandelsabkommen der Schweiz mit China nicht ganz so harmonisch entwickelte, wie die Schweizer Politik sich das vorgestellt hatte? Was denken Sie, weshalb Schweizer KMU das grosse Versprechen des chinesischen Marktes, mit seiner schier unbeschränkten Kaufkraft für die Schweizerische, einzigartige Technologie, nicht in langfristige Gewinne ummünzen können? Oder noch obskurer: Wie kommt es, dass ein hochrangiger Schweizer Diplomat in China auf einer Landkarte Taiwan und Hainan nicht auseinanderhalten kann?

Ich bin kein Experte für China, aber nach 10 Jahren Projektarbeit in China nehme ich solche Erlebnisse, die ich selbst erfahren durfte, nur noch mit einem gewissen Fatalismus zur Kenntnis. Unsere Unkenntnis und Naivität im Umgang mit China sind bisweilen erschütternd – noch irritierender ist hingegen die Selbstverständlichkeit, mit der die Chinesen erwarten, dass wir weder in der Lage noch willens sind, sie zu verstehen. Plakativ formuliert: Wer nicht mit Stäbchen essen kann, verliert deswegen sein Gesicht nicht, denn solche Fähigkeiten werden von Westlern schon gar nicht erwartet. Wer hingegen die chinesische Verhandlungstaktik wirklich versteht, wer sich ernsthaft für die Kultur und Gesellschaft Chinas interessiert, der verdient und bekommt Respekt.

Seine mehrtausendjährige Geschichte verleiht dem Chinesischen Reich eine tiefsitzende Stärke und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, mit einer kleinen Delle von zwei- bis dreihundert Jahren, in denen westliche Mächte das Land dominierten. Die Wurzeln der chinesischen Kultur liegen in einer Zeit, in der wir den europäischen Kontinent kaum historisch zur Kenntnis nehmen. Schon damals gab es ein Machtzentrum beim Kaiser, mit Vasallenstaaten um sich herum, und Barbaren, die nicht zu China gehörten. Heute ist China ein wirtschaftlicher und geopolitischer Gigant, dem wir Respekt zollen müssen. Deswegen müssen wir uns nicht als Barbaren fühlen, und wir tun gut daran, uns nicht wie Vasallen zu gebärden. Aber wir müssen China kennen und verstehen, wenn wir nicht die ewig Zweiten sein möchten.

In den zehn Jahren meiner Projekttätigkeit in China (2004–2014) war Josef Mondl mein Lehrer, der mir mit einer bewundernswerten Geduld das Land und die Kultur Chinas eröffnete. Er hat mir gezeigt, dass man China lieben kann, ohne sich ihm zu unterwerfen. Sein Sinn für die Geschichte und sein pragmatischer Zugang zur Gegenwart Chinas hat mir viele Fehltritte erspart – auch wenn mir dennoch etliche unterlaufen sind. Das heute vorliegende Buch damals zu lesen, hätte mir geholfen. Es ist mit seinen Zitaten und Originalquellen nicht ganz einfach zu lesen und es macht deutlich, dass auch die chinesische Geschichtsschreibung – wie unsere eigene in der Schweiz – voller faktischer Unklarheiten ist, die aus der Perspektive der Historikerin zu interpretieren sind. Dennoch schafft es so viel Klares, wenn wir es richtig in den Kontext setzen. Vor allem aber zeigt es, wie das kollektive Bewusstsein der chinesischen Zivilisation geprägt wurde. Letztlich sind es weniger die Fakten als die Geschichten aus der Vergangenheit, die eine Kultur ausmachen. Und davon gibt es in China viele, die wir Europäer kennen müssen, um China verstehen zu können.

St. Gallen, im September 2023

Prof. Dr. Kuno Schedler, Universität St. Gallen

Einleitung

Begriffserklärung: Bīng 兵 [Soldat, Truppen, Armee, Waffe, militärische Angelegenheiten, Krieg; Taktik, Strategie]

Das Zeichen Bīng 兵 [Soldat, Truppen, Armee, Waffe, militärische Angelegenheiten, Krieg; Taktik, Strategie] findet sich erstmals auf den Orakelknochen der Shāng-Dynastie 商朝 (1600–1046 v. Chr.). Die Shāng-Zeit ist für das Verständnis der kulturellen Identität Chinas von zentraler Bedeutung, da sie eine entscheidende Periode in der Geschichte des Landes darstellt, in der die grundlegenden Elemente der chinesischen Kultur, einschließlich Schrift, Religion, Kunst und Staatsführung, Gestalt annahmen. Das Erbe der Shāng-Dynastie wirkt im modernen China weiter und dient als Quelle des kulturellen Stolzes und als Symbol der historischen Kontinuität.

Abb. 02 Bīng 兵 – Orakelknocheninschrift aus der späten Shāng-Periode

Die alte Form des Zeichens Bīng 兵 sieht aus wie zwei Hände, die einen Gegenstand bzw. ein ‘Gerät’ (Xiè 械) halten. Das Zeichen Bīng 兵der Orakelknocheninschrift besteht in seiner Form aus einem oberen und einem unteren Teil: den oberen Teil bildet das Radikal1 bzw. Klassifikationszeichen Jīn 斤, bestehend aus 4 Strichen, welches wie bereits in der Antike ‘Axt’ bzw. eine sehr scharfe Waffe bedeutet; den unteren Teil bildet das Radikal Nr. 55, Gǒng 廾, mit der Bedeutung ‘vereinende Hände, zusammen, gemeinsam’, stellt also die beiden Hände eines Menschen dar. In Kombination ergeben diese beiden Radikale das Zeichen Bīng 兵 mit der Bedeutung, dass eine scharfe Waffe mit beiden Händen gehalten wird.

Die Urform des Zeichens Bīng 兵 kann also verstanden werden wie zwei Hände, die eine Axt zum Holzhacken schwingen; oder ein ‘Kampf-Gerät’ (Wǔqì 武器), wie etwa eine Axt, eine Hellebarde, oder ein Speer, das durch eine Person im Nahkampf oder Kampf auf engstem Raum eingesetzt wurde. Jemand mit einer Waffe in der Hand war an einem Kampf beteiligt, daher wurde die Bedeutung des Zeichens Bīng 兵 auf Kämpfer, Krieger, Soldat, bzw. Truppen oder Armee erweitert.

Die meisten Gelehrten scheinen sich heute darin einig, dass die ursprüngliche Bedeutung von Bīng 兵 als ‘Waffe’ zu verstehen ist. So berichtet etwa Xúnzi 荀子 [Meister Xún]2 im Kapitel Yìbīng 议兵 [Debatte über die Grundsätze der Kriegsführung] darüber, dass ‘an den Klingen der Waffen (Bīng 兵) noch kein Blut zu sehen war’3, als die mystischen Kaiser 4 Shùn 舜5, Dàyǔ 大禹6 und Chéng Tāng 成汤7 sowie die beiden Könige Wén von Zhōu 周文王8 und Wǔ von Zhōu 周武王9 entscheidende Kriege gegen fremde Völker führten.

Das Verständnis des Schriftzeichens Bīng 兵 ist für die Analyse verschiedener Aspekte der historischen Entwicklung Chinas, der kulturellen Identität, der Diplomatie, der Überzeugungskunst, der Kriegsführung und der Verhandlungsstrategien von entscheidender Bedeutung. So spiegelt es die Wichtigkeit von militärischer Macht und Kriegsführung in der historischen Entwicklung Chinas wider: Die Fähigkeit, militärische Kräfte einzusetzen und zu kontrollieren, spielte eine entscheidende Rolle für den Aufstieg und Fall verschiedener Staaten und Dynastien in Chinas Vor-Qín-Periode先秦10; da Bīng 兵 nicht nur für die materiellen Kriegsgeräte, sondern auch für das Konzept eines stehenden Heeres stand, welches ein Kennzeichen der zentralisierten Autorität und Regierung im alten China war, kann das Zeichen auch als Ausdruck der militärischen Fähigkeiten bei der Gestaltung der kulturellen Identität Chinas verstanden werden: es unterstreicht die Vorstellung, dass ein starkes Militär für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Durchsetzung von Autorität unerlässlich war; in der Vor-Qín-Zeit umfasste die Diplomatie effektive Kriegs- und Verhandlungsstrategien, sowie die implizite oder explizite Androhung von militärischer Gewalt: Staaten und Herrscher mussten sowohl militärische Gewalt als auch diplomatisches Geschick einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Bīng 兵 steht somit als Symbol für Stärke und Abschreckung in diplomatischen Beziehungen, und ein Verständnis des Konzepts leistet deshalb bei der Analyse der subtilen Machtdynamik, die bei diplomatischen Interaktionen bis heute im Spiel ist, wertvolle Unterstützung.

‘孙子曰:兵者,国之大事,死生之地,存亡之道,不可不察也。’

[Sūnzi sagt: Jede militärische Auseinandersetzung ist eine Frage von überlebenswichtiger Bedeutung für einen Staat, eine Frage von Leben und Tod, der Weg zu Existenz oder Untergang, und bedarf somit stets einer sehr sorgfältigen Prüfung.]11

Dieser Ausdruck steht am Anfang des bekanntesten und wohl berühmtesten chinesischen Militärklassikers Sūnzǐ Bīngfǎ 孙子兵法, allgemein bekannt als ‘Die Kunst des Krieges’ von Sun Tzu, ein umfassender Leitfaden für Kriegsführung und Strategie, der sich nicht nur auf militärische Taktiken, sondern auch auf die psychologischen und politischen Aspekte unterschiedlicher Arten von Konflikten konzentriert. Mit dieser Aussage betont Sūnzǐ, dass das fundamentalste und oberste Prinzip eines umsichtigen Anführers und guter Staatsführung darin liegt, stets vorsichtig zu sein, umsichtig zu handeln, und nicht ohne vorherige umfassende Prüfung und Abwägung aller Faktoren sich auf eine (militärische) Auseinandersetzung einzulassen. Gleichzeitig unterstreicht dieses Zitat die entscheidende Rolle von Strategie und militärischer Stärke für das allgemeine Wohlergehen und Überleben einer Nation.

Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen und künftigen Entwicklung Chinas bietet dieser Ausdruck wertvolle Einblicke in die langfristige strategische Entwicklungsrichtung des Landes:

Im Falle von Chinas wachsendem globalem Einfluss und seinen komplexen geopolitischen Beziehungen hat die Gewährleistung seiner nationalen Sicherheit und Stabilität höchste Priorität, und nur ein starkes und fähiges Militär kann seine Interessen und Souveränität gewährleisten.Chinas außenpolitische Entscheidungen werden von seiner Militärstrategie beeinflusst. Das Verständnis dieses bereits in der Vor-Qín-Zeitgeprägten Ausdrucks, welcher das Land über die Jahrtausende seiner weiteren Entwicklung bis heute bestimmt, erinnert Chinas Führung an die Notwendigkeit, seine internationalen Interaktionen sorgfältig zu bewerten und zu planen, da diese Entscheidungen tiefgreifende Folgen für das Überleben und den Wohlstand der Nation haben können.Chinas Fähigkeit, Wirtschaftswachstum und Wohlstand aufrechtzuerhalten, hängt von seiner Sicherheit ab, da wirtschaftliche Entwicklung und militärische Stärke eng miteinander verknüpft sind. Somit ist sich die chinesische Regierung bewusst, dass Investitionen in Militärtechnologie, Verteidigungskapazitäten und Cybersicherheit für den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Landes unerlässlich sind.China strebt zunehmend nach einer bedeutenderen Rolle auf der Weltbühne und sieht sich dabei den Herausforderungen und dem Wettbewerb mit anderen Großmächten ausgesetzt. Chinas moderne Geschichte, einschließlich seiner Erfahrungen mit Imperialismus, Kolonialismus und den Opiumkriegen, vor allem das sogenannte Jahrhundert der Schande 百年国耻, welches die Zeit der Intervention und Unterwerfung der Qing-Dynastie 清朝 (1616–1912) und der Republik China 中华民国 (1912-1949) durch westliche Mächte und Japan von 1839 bis 1949 bezeichnet, hat seine Weltsicht und seine Einstellung zu globalen Angelegenheiten geprägt. Das Verständnis dieser Geschichte ist entscheidend, um Chinas Sensibilität für Fragen der Souveränität, der territorialen Integrität und des Nationalstolzes zu verstehen. Dabei ist sich die chinesische Führung stets bewusst, dass Wettbewerb und Konflikte in den internationalen Beziehungen unvermeidlich sind und China darauf vorbereitet sein muss, diese Herausforderungen klug zu meistern.

Das Zeichen Bīng 兵 verkörpert Chinas historisches Vertrauen in militärische Stärke, strategisches Denken und territoriale Verteidigung, unterstreicht aber auch die Bedeutung der Diplomatie und friedlicher Mittel zur Erreichung seiner außenpolitischen Ziele. Es dient als Symbol für das komplexe Zusammenspiel zwischen militärischen und diplomatischen Elementen in Chinas Ansatz für internationale Beziehungen im Laufe seiner Geschichte sowie dessen Relevanz für die Gesamtentwicklung und das Überleben einer Nation. Es erinnert die chinesische Führung daran, sich der Komplexität und der Herausforderungen in der sich verändernden globalen Landschaft bewusst zu sein und einen strategischen Ansatz zu verfolgen, der das weitere Wachstum und die Sicherheit des Landes gewährleistet.

In einer Welt, in der die Strömungen der Globalisierung und des kulturellen Austauschs so stark sind wie nie zuvor, kann die Bedeutung des Verständnisses der Fundamente unserer Geschichte nicht hoch genug eingeschätzt werden. Um das komplizierte Geflecht der menschlichen Zivilisation zu erfassen, muss man seinen Blick auf die Wiege der alten Weisheit und Kultur richten, wo die Wurzeln einer großen Nation zuerst gepflanzt wurden. In dem dreiteiligen Werk Bīng 兵 begeben wir uns auf eine Reise in das rätselhafte Reich der Vor-Qín-Zeit, wo die Grundlagen der chinesischen Identität geschmiedet wurden.

In diesem ersten Band wird tief in das Herz der chinesischen Vergangenheit eingetaucht und versucht, die verschlungenen Fäden von Geschichte und Kultur zu entwirren, die Chinas Identität geformt und ständig auf die Probe gestellt haben. Er bildet somit ein Zeugnis für das bleibende Erbe einer Zivilisation, deren Ursprünge sich bis in diese prägende Zeit zurückverfolgen lassen.

Dieses Grundlagenwissen ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung Chinas im globalen Kontext. In einer Zeit zunehmender kultureller und politischer Divergenzen versucht dieses Buch, die Kluft zwischen Ost und West zu überbrücken, indem es das gegenseitige Verständnis fördert. Da die Welt an einem Scheideweg steht, an dem die Zukunft der Menschheit von Zusammenarbeit und nachhaltiger Entwicklung abhängt, werden sich die in diesem Band gewonnenen Erkenntnisse als unschätzbar wertvoll erweisen, um einen Weg zu einer gemeinsamen nachhaltigen Zukunft zu finden.

Auf dieser intellektuellen Odyssee laden wir die interessierte Leserschaft ein, mit uns gemeinsam die Geheimnisse des Chinas der Vor-Qín-Zeit und damit die Grundlagen dessen historischer und kultureller DNA zu lüften und zu erkunden, und damit zu erkennen, wie dessen Erbe unsere Welt bis heute prägt. Wir hoffen, mit den Seiten dieses Buches einen Beitrag zur Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses zu leisten und dadurch eine harmonische und nachhaltige globale Zukunft für alle zu fördern.

1 Ein Bùshǒu 部首 [chinesisches Radikal (wörtlich: ‘Abschnittskopf’) oder eine Indexierungskomponente, von denen heute 214 in Verwendung sind, ist eine grafische Komponente eines chinesischen Zeichens, unter der das Zeichen traditionell in einem chinesischen Wörterbuch aufgeführt wird. Bei dieser Komponente handelt es sich häufig um einen semantischen Indikator, ähnlich einem Morphem, manchmal aber auch um eine phonetische Komponente oder sogar um einen künstlich extrahierten Teil des Zeichens. In einigen Fällen ist die ursprüngliche semantische oder phonologische Verbindung aufgrund von Veränderungen der Bedeutung oder der Aussprache des Zeichens im Laufe der Zeit unklar geworden.

2 Xúnzi 荀子[Meister Xún], ca. 313 – 238 v. Chr.), geboren als Xún Kuàng 荀況, war ein chinesischer Philosoph des Konfuzianismus während der späten Zeit der Streitenden Reiche 战国时代 (476-221 v. Chr.)

3«Xúnzi 荀子 [Meister Xún] – Yìbīng 议兵 [Debatte über die Grundsätze der Kriegsführung]»: ‘Die Menschen in der Nähe gewannen sie durch ihre Gutherzigkeit, jene in der Ferne sehnten sich nach ihrer Tugend und Güte; an den Klingen der Waffen war noch kein Blut zu sehen, und Menschen aus nah und fern kamen, um sich ihnen anzuschließen. So groß war die Fülle ihrer Tugend, und sie wirkte bis in die entferntesten Regionen aller Richtungen’. (故近者亲其善,远方慕其德,兵不血刃,远迩来服,德盛于此,施及四极。)

4 Kaiser Yáo 帝尧, auch bekannt als Táng Yáo 唐堯, soll von 2333-2234 v. Chr. regiert haben

5 Shùn 帝舜, soll irgendwann zwischen 2294 und 2184 v. Chr. gelebt haben

6 Dàyǔ大禹 (ca. 2123-2025 v. Chr.), Nachname Sì 姒, Vorname Wén Mìng 文命, Xiàhòu-Clan 夏后氏, gebürtig aus Ānyì 安邑 (im heutigen Kreis Xià 夏县, Provinz Shānxī山西省省), Gründungskönig der Xià-Dynastie 夏朝 (2070-1600 v. Chr.)

7 Chéng Tāng 成汤, genannt Zi Lǚ 子履, auf Orakelknochen als Dàyǐ大乙 verzeichnet, war der erste König der Shāng-Dynastie

8 Wén von Zhōu周文王 (1152-1050 v. Chr.), Geburtsname Jī Chāng 姬昌, war der Herzog von Zhōu während der späten Shāng-Dynastie; nach dem Tod seines Vaters wurde er der ‘Herr des Westens’ (Xī-Bó 西伯), weshalb er Xī-Bó Chāng 西伯昌 genannt wurde

9 König Wǔ von Zhōu Jī Fā 周武王姬发 (1076-1043 v. Chr.), in den Bronzeinschriften der Westlichen Zhōu-Dynastie oft König Wǔ珷王 genannt, Gründungsmonarch der Westlichen Zhōu-Dynastie

10 Die Vor-Qín-Periode, auch als Prä-Qín-Zeit bekannt, bezieht sich im weitesten Sinne auf die historische Ära vom Paläolithikum bis zur Gründung der Qín-Dynastie 秦朝 221 v. Chr., und umfasst nach dieser Definition die antike Ära (historische Periode vor dem Erscheinen schriftlicher Aufzeichnungen, im Allgemeinen also auf die Ära vor der Xià-Dynastie 夏朝, d. h. vor etwa 4.000 Jahren), die drei antiken chinesischen Dynastien Xià 夏 (2070-1600 v. Chr.), Shāng 商 (1600-1046 v. Chr.) und Zhōu 周 (1046-256 v. Chr.); oder, enger gefasst, ausschließlich auf den historischen Zeitraum der sogenannten Westliche Zhōu-Periode 西周 (1045-771 v. Chr.), der Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770-476 v. Chr.), sowie auf die Zeit der Streitenden Reiche 战国时期 (475-221 v. Chr.)

11 ‘Sūnzi Bīngfǎ孙子兵法 [Die Kunst des Krieges] – Kapitel 1: Shǐjì 始计 [Planung und Vorbereitung]’: Sūnzi sagt: Krieg ist eine Frage von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, eine Frage von Leben und Tod, der Weg zum Überleben oder zum Ruin. Krieg ist also ein Thema, das einer sehr sorgfältigen Prüfung bedarf.’ (孙子曰:兵者,国之大事,死生之地,存亡之道,不可不察也)

KAPITEL I: EINFÜHRUNG

A. Überblick, Zweck und Umfang

Ziel dieses Buches ist es, die historischen Grundlagen und Ursprünge der kulturellen Identität, der historischen Entwicklung, der Diplomatie, der Überzeugungsarbeit und der militärischen Strategien in Chinas Vor-Qín-Periode先秦12 zu untersuchen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Periode der Westlichen Zhōu-Dynastie 西周 (1045–771 v. Chr.), der Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770–476 v. Chr.) und der Zeit der Streitenden Reiche 战国时期 (475–221 v. Chr.). Struktur, Aufbau und Inhalt dieses Buchs sollen ein umfassendes Verständnis für die spezifischen Merkmale und die Einzigartigkeit des ‚Chinesentums‘ ermöglichen, der chinesischen ‚Identität‘, die sich in diesem langen historischen Zeitraum herausgebildet hat.

Dieses Buch weist in zwei Richtungen. Erstens geht es um eine eingehende Analyse der kulturellen Identität, der historischen Entwicklung, der Diplomatie, der Überzeugungsarbeit und der militärischen Strategien im alten China. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung des Zeitraums der Zhōu-Dynastie 周朝 (1045–221 v. Chr.). Dazu gehört eine Untersuchung der wichtigsten Ereignisse und Persönlichkeiten, die die Geschichte Chinas während dieses entscheidenden Zeitraums geprägt haben, die Bedeutung der kulturellen Identität für die Gestaltung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Landschaft Chinas, die Rolle der Diplomatie und der Überzeugungsarbeit für die politische Formung und die historische Entwicklung militärischer Strategien im alten China, die maßgeblich für die Entstehung des strategischen Denkens Chinas verantwortlich waren und bis heute ihre charakteristischen Züge in der interkulturellen Kommunikation, Verhandlungsweise, Diplomatie und Strategiekunst bewahrt haben. Zweitens zielen die Darlegungen und Analysen in diesem Buch darauf ab, praktische Einsichten für einen Brückenschlag zwischen Chinesen und anderen Kulturen zu vermitteln, indem es interkulturelle Kompetenz in der alltäglichen Kommunikation entwickelt und stärkt. Das Buch will zeigen, wie ein besseres Verständnis der spezifischen Merkmale und der Einzigartigkeit der chinesischen Identität das gegenseitige Verständnis und Lernen zwischen dem chinesischen Kulturkreis und anderen Kulturlandschaften erleichtern kann.

Um dem westlichen Leser die einzigartigen Charakteristika der chinesischen Schrift und Sprache bei der Wiedergabe und Darlegung des historischen Kontextes der Vielfalt an aufgegriffenen Themen näherzubringen, werden chinesische Ausdrücke (Namen, Orte, Ereignisse etc.) bzw. Übersetzungen insbesondere aus Primärquellen möglichst wie folgt wiedergegeben:

Zuerst wird der Ausdruck in Pīnyīn 拼音 geschrieben; dies ist die offizielle phonetische Umschrift des Hochchinesischen13 (auch Mandarin genannt) in der Volksrepublik China, basierend auf dem lateinischen Alphabet, das 1957 vom Chinesischen Staatsrat genehmigt wurde.Da das Hochchinesische eine Tonalsprache ist, bei der jedes Zeichen bzw. jede Silbe mit einem bestimmten Tonhöhenverlauf gesprochen wird, geht eine Änderung der Tonhöhe in der Regel auch mit einer Änderung der Bedeutung der entsprechenden Spracheinheit einher. Dies ist in der geschriebenen Sprache nicht von Relevanz, da aus dem geschriebenen Zeichen dessen Bedeutung (vor allem im Kontext mit den weiteren Zeichen eines Ausdrucks oder Satzes) klar erkennbar ist. Hochchinesisch unterscheidet in betonten Silben zwischen vier Tönen; ein weiterer findet sich nur in unbetonten Silben, die einen leichten bzw. neutralen Ton aufweisen. Um jedoch ein Gefühl und Verständnis für die sprachliche Bedeutung zu erhalten, wird in diesem Buch jeder Pīnyīn-Ausdruck auch mit dem zugehörigen Tonzeichen versehen: (1) gleichbleibend hoch gesprochen, z. B. Mā 妈 [Mutter]; (2) ansteigend von einer mittleren Tonhöhe, ähnlich dem Ende eines Frageausdrucks, z. B. Má 麻 [Hanf]; (3) zuerst leicht abfallend, dann wieder ansteigend, z. B. Mǎ 马 [Pferd]; (4) abrupt von einem hohen Niveau abfallend, z. B. Mà 骂 [schimpfen]; (5) Tonhöhe nicht entschieden, z. B. Ma 吗 [steht als Fragepartikel am Ende eines Satzes]. Dies mag für den ungeübten Leser zu Beginn eine Herausforderung darstellen, ermöglicht jedoch ein Eindringen in die Besonderheiten der chinesischen Sprache.Neben dem Pīnyīn-Ausdruck findet sich das chinesische Zeichen bzw. die Zeichengruppe als sogenanntes ‚Kurzzeichen‘. Diese vereinfachten Schriftzeichen (im Gegensatz zu den ‚Langzeichen‘, also den traditionellen, nicht vereinfachten Schriftzeichen) wurden 1950 in der Volksrepublik China eingeführt und zum offiziellen Standard erklärt.Schließlich findet sich in [Klammer] der ins Deutsche übersetzte Ausdruck, so eine Übersetzung nötig und sinnvoll ist.

B. Historischer Kontext der chinesischen Vor-Qín-Periode (21. Jhdt. – 221 v. Chr.)

Die traditionelle chinesische Geschichte beginnt in der Vor-Qín-Zeit (21. Jahrhundert v. Chr. (2100–2001 v. Chr.) – 221 v. Chr.). Diese bezieht sich auf den Zeitraum vor der Gründung der Qín-Dynastie 秦朝im Jahr 221 v. Chr. und umfasst die historischen Etappen der legendären Wǔshì 五氏 [Fünf Clans]14, Yǒucháo-Shì 有巢氏15, Suìrén-Shì 燧人氏16, Fúxī-Shì 伏羲氏, Shénnóng-Shì 神农氏 [oder Yándì 炎帝 – Flammenkaiser] und Xuānyuán-Shì 轩辕氏 [oder Huángdì 黄帝 – Gelber Kaiser]), der mythologischen Herrscher17, der Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne]18, der Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser]19, gefolgt von den Drei Dynastien20. Im engeren Sinne kann die Vor-Qín-Zeit als der Zeitraum von Chinas Eintritt in die Zivilisation bis zur Gründung der Qín Dynastie 221 v. Chr. verstanden werden, bezieht sich also hauptsächlich auf die Geschichte der Xià 夏朝 (2070–1600 v. Chr.), Shāng 商朝 (1600–1046 v. Chr.), Westlichen Zhōu 西周 (1046–771 v. Chr.), Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770–476 v. Chr.) sowie auf die Zeit der Streitenden Reiche 战国时代 (475-221 v. Chr.) und repräsentiert Ursprung und Gründungszeit der alten chinesischen Zivilisation.

Die chinesische Vor-Qín-Periode war für die chinesische Zivilisation eine Zeit immenser Veränderungen und Entwicklungen. In dieser Zeit kam es zum Aufstieg und Fall mehrerer Dynastien, zur Entstehung philosophischer Schulen und zu jahrhundertelangen erbitterten kriegerischen Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft zwischen den vielen Regionalstaaten jener Zeit, die einen tiefgreifenden Einfluss auf die chinesische Kultur und Gesellschaft hatten.

Die Xià-Dynastie, von der man annimmt, dass sie von etwa 2070 bis 1600 v. Chr. bestanden hat, wird von vielen Historikern als die erste Dynastie der chinesischen Geschichte angesehen. Obwohl unter Gelehrten umstritten ist, ob sie tatsächlich existierte, gibt es doch verschiedene archäologische Beweise, die darauf hindeuten, dass in China während dieser Zeit eine Zivilisation mit einer hoch entwickelten Kultur und Sozialstruktur existierte. Die Xià-Dynastie soll von Dàyǔ 大禹 [Yǔ der Große] gegründet worden sein, der die Überschwemmungen des Gelben Flusses unter Kontrolle gebracht, damit erst die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht und eine Periode der Stabilität und des Wohlstands herbeigeführt habe.

Die Shāng-Dynastie, die von ca. 1600 bis 1046 v. Chr. dauerte, war die erste Dynastie in China, für die es zuverlässige historische Aufzeichnungen gibt. Sie wurde von Chéng Tāng 成汤21 gegründet, der den letzten Herrscher der Xià-Dynastie, König Jié von Xià 夏桀22, stürzte. Die Shāng-Dynastie zeichnete sich durch eine zentralisierte Regierung und eine hoch entwickelte Sozialstruktur aus, mit dem König an der Spitze und einem Netzwerk von Adelsfamilien und Vasallen unter ihm.

Während der Shāng-Dynastie kam es in China zu bedeutenden technologischen Fortschritten, insbesondere im Bereich der Bronzemetallurgie. Auch ist die Shāng-Dynastie bekannt für ihre hochdekorativen Bronzegefäße, die für zeremonielle Zwecke verwendet wurden und Symbole für Macht und Status waren. In der Shāng-Dynastie wurde zudem ein Schriftsystem, die sogenannte Jiǎgǔwén 甲骨文 [Knochenpanzerschrift]23, weiterentwickelt, welches seine Ursprünge in der Xià-Dynastie gehabt haben dürfte und vor allem der Wahrsagerei und der Kommunikation mit den Ahnen diente.

Abb. 04 König Chéng Tāng 商汤王, dargestellt von Mǎ Lín 马麟, chinesischer Hofmaler der Südlichen Sòng-Dynastie (1127–1279)

Die Shāng-Dynastie war durch eine stark hierarchische Sozialstruktur gekennzeichnet, mit dem König an der Spitze und dem einfachen Volk an der Basis. Der König galt als Vermittler zwischen den Göttern und dem Volk und war für die Durchführung aufwendiger religiöser Zeremonien verantwortlich, um den Wohlstand und das Wohlergehen seines Volkes zu gewährleisten. Die adligen Familien und Vasallen waren für die militärische Unterstützung des Königs und die Verwaltung ihrer jeweiligen Territorien zuständig. Die rigide Sozialstruktur war auch durch ein System von Menschenopfern gekennzeichnet, bei dem Sklaven und Kriegsgefangene geopfert wurden, um die Götter zu besänftigen. Dieses Opfersystem wurde als Mittel zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und zur Verhinderung von Rebellion angesehen.

Die Xià- und die Shāng-Dynastie bilden zwei der wichtigsten Epochen der chinesischen Geschichte und markieren den Beginn der chinesischen Vor-Qín-Periode. Die Xià-Dynastie ist zwar von Mythen und Legenden umwoben, zeichnet sich aber durch bedeutende kulturelle und technologische Errungenschaften aus. Die Shāng-Dynastie hingegen war die erste Dynastie, für die es verlässliche historische Aufzeichnungen gibt, und sie weist eine hoch entwickelte Sozialstruktur sowie ein System der Bronzemetallurgie und Schrift auf. Obwohl beide Dynastien auch ihre Schwächen und Mängel hatten, waren sie wichtige Meilensteine in der Entwicklung der chinesischen Zivilisation und Kultur.

Abb. 05 Tiānmìng 天命 im Kapitel ‚Tiān-Lùn’ 天论[Abhandlung über den Himmel] bei,Xúnzi’ 荀子 [Meister Xún]

Die Westliche Zhōu-Dynastie, die von 1046 bis 771 v. Chr. dauerte, markierte einen bedeutenden Meilenstein der Vor-Qín-Periode. Sie wurde von König Wǔ von Zhōu 周武王24, der die Shāng-Dynastie stürzte, und seinem Bruder, Herzog Wén von Zhōu 周文公旦25, gegründet. Als wichtigstes Instrument für die Legitimation ihrer Machtübernahme führten sie Tiānmìng 天命 [Mandat des Himmels] ein, das göttliche Recht zu herrschen. Die Zhōu-Dynastie war durch eine zentralisierte Regierung und die Entwicklung des Fēnfēng- 分封制oder Fēngjiàn-Systems 封建制度 [Feudalsystem]26, eine auf Blutlinien aufgebaute hierarchische Struktur, gekennzeichnet. Dabei herrschte der Zhōu Tiānzǐ 周天子 [Sohn des Himmels von Zhōu; Zhōu-König] über ein Netz von Vasallen oder Herzögen, die verschiedene Gebiete innerhalb des Königreichs kontrollierten. Die Vasallenherrscher wiederum waren für die Verwaltung ihrer Territorien und die militärische Unterstützung des Königs verantwortlich. Während der Westlichen Zhōu-Dynastie erlebte China bedeutende technologische Fortschritte, insbesondere in der Landwirtschaft. Es wurden eiserne Werkzeuge und Pflüge entwickelt, die die Effizienz der Landwirtschaft erhöhten und zu einer Steigerung der Nahrungsmittelproduktion führten. Dies wiederum führte zu einem Bevölkerungswachstum und zur Gründung neuer Siedlungen, Ortschaften und Städte.

Die Östliche Zhōu-Dynastie, die sich in die Frühlings- und Herbstperiode sowie die Periode der Streitenden Staaten gliedert, dauerte von 771 bis 221 v. Chr. und markierte das Ende der Prä-Qín-Periode. Die Frühlings- und Herbstperiode, von 771 bis 476 v. Chr., war eine Zeit der politischen Unruhen und Umwälzungen und des sozialen Wandels in China, gekennzeichnet durch die Zersplitterung der Fundamente der Zhōu-Dynastie, da die Macht des Königs schwand und die Feudalherren zunehmend Autonomie erhielten. Die Herrscher der verschiedenen Vasallenstaaten begannen, sich in territoriale Streitigkeiten und militärische Konflikte zu verwickeln, was zu einer Zeit politischer Instabilität und kriegerischer Auseinandersetzungen führte. Trotz der politischen Unruhen brachte die Frühlings- und Herbstperiode bedeutende kulturelle und geistige Entwicklungen. Der Aufstieg des Konfuzianismus, des Daoismus und des Legalismus in dieser Zeit hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die chinesische Philosophie und Kultur und prägte die chinesische Identität. Auch die chinesischen Klassiker wie das Shījīng 诗经 [Buch der Lieder]27 und das Shàngshū 尚书 [oder Shūjīng 书经, Buch der Urkunden]28 wurden in dieser Zeit geschrieben.

Die Zeit der Streitenden Reiche, die von 476 bis 221 v. Chr. dauerte, war eine Zeit intensiver Kriege und Konflikte in China. Die Zersplitterung der Zhōu-Dynastie setzte sich fort, und die sogenannten Zhànguó-Qīxióng 战国七雄 [Sieben mächtige Fürstentümer der Streitenden Reiche]29 lieferten sich eine Reihe erbitterter Kriege und Kämpfe um die Vorherrschaft. Trotz der ständigen Kriege gab es auch bedeutende kulturelle und intellektuelle Entwicklungen. Die Zhūzǐ-Bǎijiā 诸子百家 [Hundert Denkschulen]30, zu denen Konfuzianismus, Daoismus, Legalismus, Mohismus und andere gehörten, entstanden in dieser Zeit. Gleichzeitig sah diese Periode das Wirken herausragender Meister der Diplomatie, der Überredungskunst und der Kriegsstrategie wie Sūnzi 孙子 [Meister Sūn]31 und Wú Qǐ 吴起32 und sogenannter Meister des Yóushuì 游说 [Lobbying und Überredungskunst]33 wie des legendären Guǐgǔzi 鬼谷子 [Meister aus dem Dämonental]34. Hier finden sich auch die Ursprünge der chinesischen Militärklassiker der Vor-Qín-Zeit wie Sūnzi Bīngfǎ 孙子兵法 [Sūnzis Kunst des Krieges]35 und Wúzi 吴子 [Meister Wú]36. In der Zeit der Streitenden Reiche wurden aber auch einzigartige literarische Werke wie das Chūnqiū-Zuǒzhuàn 春秋左传 [Überlieferungen des Zuǒ zur Zeit der Frühlings- und Herbstperiode]37 oder das Guóyǔ 国语 [Gespräche über die Staaten]38 geschaffen.

Es war eine Zeit intensiver philosophischer Debatten und intellektueller Untersuchungen, die einen tiefgreifenden Einfluss auf die chinesische Kultur und Gesellschaft hatten, eine Zeit immenser Veränderungen und Entwicklungen für die chinesische Zivilisation. Die Westliche Zhōu-Dynastie, die Frühlings- und Herbstperiode und die Zeit der Streitenden Reiche hatten jeweils ihre eigenen Merkmale und Entwicklungen, aber sie waren alle von politischen, sozialen und intellektuellen Veränderungen geprägt, die einen nachhaltigen Einfluss auf die chinesische Geschichte und Kultur hatten.

C. Bedeutung von kultureller Identität, Diplomatie, Überzeugungskraft und militärischen Strategien im alten China

Im alten China spielten kulturelle Identität, Diplomatie, Überzeugungsarbeit und militärische Strategien eine entscheidende Rolle für die Entwicklung und Stabilität verschiedener Dynastien und Epochen, also der Xià- 夏 (2070–1600 v. Chr.), der Shāng- 商 (1600–1046 v. Chr.), der Westlichen Zhōu-Dynastie 西周 (1045–771 v. Chr.), der Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770–476 v. Chr.) und der Zeit der Streitenden Reiche 战国时期 (475–221 v. Chr.). Diese Faktoren beeinflussten nicht nur die Art und Weise, wie die Menschen lebten und miteinander umgingen, sondern prägten auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten und letztlich das Schicksal der gesamten Nation.

Kulturelle Identität war ein zentraler Aspekt der alten chinesischen Gesellschaft, vermittelte sie doch ein Gefühl der Einheit und Gemeinsamkeit unter den Menschen. Die Xià-, die Shāng- und die Westliche Zhōu-Dynastie leisteten alle einen bedeutenden Beitrag zur chinesischen Kultur, etwa durch die Schaffung von Bronzegefäßen, Orakelknocheninschriften und die Einführung einer Schriftsprache.39 Diese kulturellen Fortschritte trugen dazu bei, die Identitäten und das Erbe der Dynastien zu festigen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

Diplomatie stellte auch im alten China einen entscheidenden Faktor dar, insbesondere während der Zeit der Streitenden Reiche, als die Zhànguó-Qīxióng 战国七雄 [Sieben Mächte der Streitenden Reiche] um Macht und Vorherrschaft unter allen Vasallenstaaten rangen. Diplomatische Missionen wie der Austausch von Geschenken, die Verheiratung von Prinzessinnen und das Aushandeln von Friedensverträgen waren gängige Mittel, um Beziehungen zwischen Staaten herzustellen und aufrechtzuerhalten. Vor allem während der Westlichen Zhōu-Dynastie und in der Frühlings- und Herbstperiode trugen diese diplomatischen Bemühungen dazu bei, Spannungen abzubauen und Konflikte zu vermeiden, sodass in dieser Zeit eine relative Stabilität herrschte.

Neben der Diplomatie stellten in der Vor-Qín-Periode auch eloquente Rhetorik, Überzeugungsarbeit und Lobbying sowie die Kunst des strategischen Denkens mächtige Instrumente dar. Eines der berühmtesten Beispiele dafür sind die Reden des Philosophen und Staatsmannes Konfuzius, der seine Weisheit und Beredsamkeit nutzte, um andere von seinen Werten und Ansichten zu überzeugen. Die Lehren des Konfuzius wurden weit verbreitet und beeinflussen die chinesische Gesellschaft bis heute.

Schließlich waren im alten China jener Zeit auch militärische Strategien von entscheidender Bedeutung, da die verschiedenen Staaten ständig bemüht waren, sich einen Vorteil gegenüber anderen Staaten zu verschaffen, diese zu unterwerfen oder zu vernichten. In der Frühlings- und Herbstperiode wurden neue militärische Taktiken und Innovationen entwickelt, wie z. B. der Einsatz von Streitwagen in der Schlacht und die Bildung großer, organisierter Armeen. Diese Fortschritte ermöglichten eine effektivere und effizientere Kriegsführung, die letztlich über den Ausgang von Schlachten und das Schicksal der beteiligten Staaten mitbestimmte und entschied.

Kulturelle Identität, Diplomatie, Überzeugungsarbeit und militärische Strategien waren in der Vor-Qín-Periode allesamt entscheidende Faktoren, die das Leben der Menschen und ihren Umgang miteinander prägten und letztlich das Schicksal ganzer Nationen bestimmten. Diese Elemente sind auch heute noch von Bedeutung, da sie zeigen, wie wichtig das kulturelle Erbe, die Diplomatie, die Kommunikation und die militärische Macht für die Gestaltung der Zukunft sind. Die Untersuchung der historischen Grundlagen und Ursprünge von Rhetorik, Diplomatie, Überzeugungsarbeit und militärischen Strategien in Chinas Vor-Qín-Periode ermöglicht somit ein umfassendes Verständnis der spezifischen Merkmale und der Einzigartigkeit chinesischer Kommunikations- und Konfliktlösungspraktiken, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben. Sie zeigt den Einfluss dieser Praktiken auf die Entwicklung der chinesischen Zivilisation und bietet wertvolle Einblicke in die interkulturelle Kompetenz in unserer modernen Welt.

12 Die Vor-Qín-Periode, auch als Prä-Qín-Zeit bekannt, bezieht sich im weitesten Sinne auf die historische Ära vom Paläolithikum bis zur Gründung der Qín-Dynastie 秦朝 221 v. Chr., und umfasst nach dieser Definition die antike Ära (historische Periode vor dem Erscheinen schriftlicher Aufzeichnungen, im Allgemeinen also auf die Ära vor der Xià-Dynastie夏朝, d. h. vor etwa 4.000 Jahren), die drei antiken chinesischen Dynastien Xià 夏 (2070–1600 v. Chr.), Shāng 商 (1600–1046 v. Chr.) und Zhōu 周 (1046–256 v. Chr.) oder, enger gefasst, ausschließlich den historischen Zeitraum der Westlichen Zhōu-Dynastie 西周 (1045–771 v. Chr.), der Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770–476 v. Chr.) sowie die Zeit der Streitenden Reiche 战国时期 (475–221 v. Chr.).

13 Hochchinesisch ist die offizielle Amtssprache bzw. Standardsprache der Volksrepublik China, die in ihrer Form auf dem Peking-Dialekt des Mandarin, der sprecherreichsten unter den chinesischen Sprachen bzw. Dialektgruppen, basiert.

14 Wǔshì 五氏 [Fünf Clans] bezieht sich auf fünf große Persönlichkeiten bzw. Clans in Chinas prähistorischer Zivilisationsperiode. Gemäß der ‚Tabelle der Chinesischen Geschichte‘ (中国历史大系表) sind dies: Yǒucháo-Shì 有巢氏, Suìrén-Shì 燧人氏, Fúxī-Shì 伏羲氏, Shénnóng-Shì 神农氏, und Xuānyuán-Shì 轩辕氏.

15 Yǒucháo 有巢, auch bekannt als Dàcháo 大巢, Erfinder von Häusern und Gebäuden in der alten chinesischen Mythologie

16 Suìrén-Clan 燧人氏: Laut historischen Quellen war das erste Jahr des Herrschers Suì 4464 v. Chr., und die Herrschaft des Suìrén-Clans dauerte 110 Jahre, deren Herrschaft demnach von 4464 bis 4354 v. Chr., also etwa 6.482 bis 6.372 Jahre vor der heutigen Zeit.

17 Mythologische Herrscher: Yáo 尧 (c. 2188–2089 v. Chr.), Shùn 舜 (c. 2187–2067 v. Chr.) und Dàyǔ大禹 (c. 2123–2025 v. Chr., gilt als Gründer der Xià-Dynastie).

18 Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne]: Tiānhuáng 天皇 oder Fúxī伏羲 [Himmelssouverän], Dìhuáng 地皇 oder Nǚwā女媧 [Erdsouverän], Tàihuáng 泰皇 oder Shénnóng 神農 [Menschensouverän].

19 Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser]: Huángdì 黄帝 [Gelber Kaiser] (c. 2674–2575 v. Chr.), Zhuānxū颛顼 (c. 2342–2245 v. Chr.), Dì Kù 帝喾 (c. 2245–2176 v. Chr.), Yáo 尧 (c. 2188–2089 v. Chr.) und Shùn 舜 (c. 2187–2067 v. Chr.).

20 Xià-Dynastie 夏朝 (2070–1600 v. Chr.), Shāng-Dynastie 商朝 (1600–1046 v. Chr.) und Zhōu-Dynastie 周朝 (1046–256 v. Chr.), unterteilt in Westliche Zhōu-Dynastie 西周 (1046–771 v. Chr.) und Östliche Zhōu-Dynastie 东周 (770–256 v. Chr.); die Östliche Zhōu wird wiederum in Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770–476 v. Chr.) und die Zeit der Streitenden Reiche 战国时期 (475–221 v. Chr.) unterteilt.

21 Chéng Tāng 成汤 (ca. 1670–1587 v. Chr.), auch Shāng Tāng 商汤 bzw. Tiān Yǐ天乙 genannt Zi Lǚ 子履, auf Orakelknochen als Dàyǐ大乙 verzeichnet, war der erste König der Shāng-Dynastie.

22 König Jié von Xià 夏桀, 17. und letzter Herrscher der Xià-Dynastie, genannt Lǚ Guǐ履癸, posthumer Name Jié 桀, galt als despotischer und tyrannischer Herrscher und wurde um 1600 v. Chr. von Chéng Tāng 成汤 besiegt, was das Ende der Xià-Dynastie bedeutete.

23 Jiǎgǔwén 甲骨文 [Knochenpanzerschrift], auch als Qìwén 契文 [geschnitzte Schrift], Jiǎgǔ-Bǔcí 甲骨卜辞 [Knochenpanzerorakelschrift], Yīnxū-Wénzì 殷墟文字 [Yīnxū-Schrift] oder Guījiǎshòugǔwén 龟甲兽骨文 [Schildkrötenpanzer- und Tierknochenschrift] bekannt, früheste Form der chinesischen Schriftsprache aus der Zeit der späten Shāng-Dynastie 商朝 (1600–1046 v. Chr.).

24 König Wǔ von Zhōu Jī Fā周武王姬发 (1076–1043 v. Chr.), in den Bronzeinschriften der Westlichen Zhōu-Dynastie oft König Wǔ珷王 genannt, Gründungsmonarch der Westlichen Zhōu-Dynastie.

25 Herzog Wén von Zhōu 周文公旦, gemeinhin bekannt als der Herzog von Zhōu周公 (regierte 1042–1035 v. Chr.)

26 Fēnfēng-Zhì 分封制 [Feudalismus; Belehnungssystem].

27 Shījīng 诗经 [Buch der Lieder] – älteste Sammlung von chinesischen Gedichten, entstanden zwischen dem 10.und dem 7. Jahrhundert v. Chr., die eine Sammlung von 305Liedern enthält, die in 160 Fēng 风 [Volkslieder], Xiǎoyǎ小雅 [kleinere Festlieder], Dàyǎ大雅 [größere Festlieder] und Sòng 颂 [Hymnen] unterteilt sind und das politische, soziale und kulturelle Leben der damaligen Zeit widerspiegeln.

28 Shàngshū尚书 [oder Shūjīng 书经, Buch der Urkunden] – zählt seit der Hàn-Dynastie 汉朝 (206 v. Chr. – 220 n.Chr.) zu den sogenannten Wǔ-Jīng 五经 [Fünf Klassiker – fünf klassische Werke der chinesischen Literatur] und diente mit seinen Texten, deren Entstehungszeit bereits 1.000 Jahre zurücklag, mehr als 2.000 Jahre lang der chinesischen politischen Philosophie als Basis.

29 Zhànguó-Qīxióng 战国七雄 [Sieben mächtige Fürstentümer der Streitenden Reiche] – Qín 秦, Qí 齐, Chǔ楚, Yàn 燕, Hán 韩, Zhào 赵, Wèy 魏.

30 Zhūzǐ-Bǎijiā诸子百家 [Hundert Denkschulen] – Philosophien und Schulen, die vom 6. Jahrhundert bis 221 v. Chr. während der Frühlings- und Herbstzeit und der Zeit der Streitenden Reiche blühten.

31 Sūn Wǔ孙武 (ca. 545 – ca. 470 v. Chr.), stammte aus Lè’ān 乐安 im Staat Qí 齐国 (nördlicher Teil der heutigen Provinz Shāndōng 山东省) am Ende der Frühlings- und Herbstperiode (770–476 v. Chr.); berühmter General, Militärexperte, Philosoph und Staatsmann, wurde er ehrerbietig als ‚Weiser des Krieges‘ oder Sūnzi 孙子 (Meister Sūn) bzw. Sūn Wǔzi 孙武子 sowie als ‚Weiser der Militärstrategen‘ tituliert und ist als ‚Lehrer von hundert Generationen von Militärstrategen‘ und ‚Begründer der fernöstlichen Militärwissenschaft‘ bekannt.

32 Wú Qǐ吴起 (440–381 v. Chr.), militärischer Führer, Politiker, Reformer und Vertreter der militärischen Schule in der frühen Zeit der Streitenden Reiche.

33 Yóushuì 游说 [Lobbying und Überredungskunst] – bezieht sich auf eine Person, die ihre eigenen Vorschläge und Ideen zum Ausdruck bringt und hofft, dass sie in ihrem Sinne angenommen und umgesetzt werden. Zur Zeit der Streitenden Reiche wurden mit diesem Begriff die Aktivitäten von Strategen beschrieben, die das Reich und die verschiedenen Vasallenstaaten bereisten, um die jeweiligen Monarchen von ihren politischen Ideen zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Ursprung: ‚Hán Fēizi 韩非子 [Meister Hán Fēi] – Wǔdù 五蠹 [Fünf Ungeziefer]‘: „Wenn ein Monarch auf Lobbying und Überredungskunst seiner Minister hörte, so erhielten sie hohe Titel und Gehälter, noch bevor eine Angelegenheit erfolgreich getan war, und sie wurden nicht für Versagen bestraft; wer von diesen Yóushuì-Meistern würde also nicht allzu gerne ständig eloquente Worte und Ausdrücke nutzen, um nach Ruhm und Profit zu jagen und dadurch seine opportunistischen Absichten voranzutreiben?“ (人主之于其听说也,于其臣,事未成则爵禄已尊矣;事败而弗诛,则游说之士,孰不为用矰缴之说而徼幸其后?)

34 Wáng Xǔ王诩 (?–? v. Chr.), bekannt unter dem Namen Guǐgǔzi 鬼谷子 [Meister aus dem Dämonental]; da er im Guǐgǔ 鬼谷 [Dämonental] in den Yúnmèng-Bergen 云梦山 (etwa 140 km nördlich von Peking) lebte, nannte er sich Guǐgǔzi 鬼谷子.

35 Sūnzi Bīngfǎ孙子兵法 [Sūnzis Kunst des Krieges], auch bekannt als Bīngcè 兵策 [Taktikplanung für den Krieg], Wú Sūnzi 吴孙子, Sūn Wǔ Bīngfǎ孙武兵法 [Sūn Wǔs Kunst des Krieges] oder Sūnzi Shísān Piān 孙子十三篇 [Die dreizehn Kapitel des Sūnzi], ist eine chinesische militärische Abhandlung, die im 6.Jahrhundert v. Chr. von Sūn Wǔ孙武, besser bekannt unter dem Namen Sūnzi 孙子 (ca. 545 – ca. 470 v. Chr.), einem hochrangigen Militärgeneral, Strategen und Taktiker, verfasst wurde und in dreizehn Kapiteln die wichtigsten Erfolgsgeheimnisse, den Einfallsreichtum, die Weisheit und Intelligenz des Einsatzes von Truppen für den Kampf beschreibt. Es ist eines der einflussreichsten Werke in der Geschichte der chinesischen Militärstrategie und wird auch heute noch häufig gelesen und studiert, nicht nur in China, sondern auch in anderen Ländern.

36 Wúzi 吴子 [Meister Wú], ein Meisterwerk der alten Militärkunst Chinas, auch bekannt als Wú Qǐ吴起, Wúzi Kunst des Krieges 吴子兵法 oder Wú Qǐ Kunst des Krieges 吴起兵法, wurde von Wú Qǐ吴起 (440–381 v. Chr.), einem berühmten General und Militärstrategen während der Zeit der Streitenden Reiche, verfasst und zählt zu den sogenannten Wǔjīng-Qīshū武经七书 [Sieben Militärklassiker des alten China].

37 Zuǒzhuàn 春秋左传 [Überlieferung des Zuǒ zur Zeit der Frühling-und-Herbstperiode], historisches literarisches Werk, soll geschrieben worden sein von Zuǒ Qiūmíng 左丘明 (502–422 v. Chr.) vom Staate Lǔ鲁国 am Ende der Frühlings- und Herbstperiode zur Erklärung von Konfuzius’ Werk Frühling und Herbst 春秋, wurde jedoch wohl zwischen den Streitenden Reichen oder den beiden Hàn-Dynastien geschrieben (202 v. Chr. – 220 n. Chr.); umfasst den Zeitraum von 722 bis 454 v. Chr.

38 Guóyǔ 国语 [Gespräche über die Staaten], auch bekannt als Chūnqiū Wàizhuàn春秋外传 oder Zuǒshì Wàizhuàn 左氏外传, alter chinesischer Text, der aus einer Sammlung von Reden besteht, die Herrschern und anderen Männern aus der Frühlings- und Herbstperiode (771–476 v. Chr.) zugeschrieben werden. Der Legende nach wurde es von Zuǒ Qiūmíng 左丘明 (502–422 v. Chr.) vom Staate Lǔ鲁国 am Ende der Frühlings- und Herbstperiode verfasst, aber einige moderne Gelehrte gehen aufgrund des Inhalts davon aus, dass es aus Originalmaterialien zusammengestellt wurde, die von Historikern verschiedener Länder während der Zeit der Streitenden Reiche oder der Nach-Hàn-Zeit aufgezeichnet wurden.

39 Jiǎgǔwén 甲骨文 [Knochenpanzerschrift], auch als Qìwén 契文 [geschnitzte Schrift], Jiǎgǔ-Bǔcí 甲骨卜辞 [Knochenpanzer-Orakelschrift], Yīnxū-Wénzì 殷墟文字 [Yīnxū-Schrift] oder Guījiǎshòugǔwén 龟甲兽骨文 [Schildkrötenpanzer- und Tierknochenschrift] bekannt, früheste Form der chinesischen Schriftsprache aus der Zeit der späten Shāng-Dynastie 商朝 (1600–1046 v. Chr.).

KAPITEL II: HISTORISCHE ENTWICKLUNG CHINAS WÄHREND DER VOR-QÍN-ZEIT

A. Überblick

Die traditionelle chinesische Geschichte beginnt in der Vor-Qín-Zeit (21. Jahrhundert v. Chr. (2100–2001 v. Chr.) – 221 v. Chr.). Diese bezieht sich auf die Ära vor der Gründung der Qín-Dynastie im Jahr 221 v. Chr. und umfasst die historischen Etappen der legendären Wǔshì 五氏 [Fünf Clans]40, der Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne]41 und Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser]42, gefolgt von den drei Dynastien Xià 夏朝(2070–1600 v. Chr.), Shāng 商朝 (1600–1046 v. Chr.) und Zhōu 周朝 (1046–256 v. Chr.)43. Im engeren Sinne umfasst die Vor-Qín-Zeit die Periode von Chinas Eintritt in die Zivilisation bis zur Gründung der Qín-Dynastie 秦朝 221 v. Chr., hauptsächlich bezogen auf die Geschichte der Xià 夏朝 (2070–1600 v. Chr.), der Shāng 商朝(1600–1046 v. Chr.) und der Westlichen Zhōu 西周 (1046–771 v. Chr.) sowie der Frühlings- und Herbstperiode 春秋时期 (770–476 v. Chr.) und der Zeit der Streitenden Reiche 战国时期 (475–221 v. Chr.). Sie steht für den Ursprung und die Gründungszeit der alten chinesischen Zivilisation.

Die großen Denker dieser Zeit, vor allem jene aus der Frühlings- und Herbstperiode und der Zeit der Streitenden Reiche wie Konfuzius und andere Vertreter der sogenannten Zhūzǐ-Bǎijiā 诸子百家 [Hundert Denkschulen]44, leiteten den ersten kulturellen und akademischen Aufschwung in der chinesischen Geschichte ein. Das politische System, die wirtschaftlichen Muster, die Ideologie und die Kultur, die während der Vor-Qín-Ära entstanden, legten die Grundlagen der alten chinesischen Zivilisation. Xià, Shāng und Westliche Zhōu waren wichtige Etappen in der Geschichte Chinas von der primitiven Epoche hin zur zivilisierten Gesellschaft, in denen auch der Prototyp der Agrarwirtschaft entstand. In diesem Zeitraum wurde in China bereits Getreide angebaut, Brandrodung betrieben und Pflüge kamen zum Einsatz; während der Frühlings- und Herbstperiode und in der Zeit der Streitenden Reiche kam die Eisenzeit, das Pflügen mit Ochsen wurde allmählich vorangetrieben, Bewässerungsanlagen breiteten sich aus (siehe: Dūjiāngyàn 都江堰45), das sogenannte Jǐngtián 井田制 [Brunnenfeldsystem]46 der Westlichen Zhōu verschwand und Formen des privaten Landbesitzes entstanden.

Eine der größten Herausforderungen bei der Betrachtung der Vor-Qín-Periode Chinas stellt die Verfügbarkeit verlässlicher Datierungsangaben dar. Die Dynastien Xià, Shāng und Zhōu hatten jeweils ihren eigenen Kalender47, weshalb in diesem Buch im Zweifelsfall eine Orientierung am Xià-Shāng-Zhōu-Datierungsprojekt 夏商周断代工程48 erfolgte. Kritik an der Richtigkeit der Zeitangaben im Xià-Shāng-Zhōu-Datierungsprojekt brachten unter anderem die US-amerikanischen Sinologen Edward L. Shaughnessy49 und David S. Nivison50 vor.

B. Wǔshì 五氏 [Fünf Clans] – Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne] – Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser]

China hat eine lange Geschichte, die Tausende von Jahren zurückreicht. Ein großer Teil dieser Geschichte ist in Mythen und Legenden gehüllt. Die Genauigkeit vieler antiker Texte und Artefakte ist fragwürdig, und oft fehlt es an verlässlichen Beweisen bzw. vor allem verlässlichen Datierungsangaben, die gewisse Angaben untermauern könnten.

Die Zeit der sogenannten Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne] und Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser] stellt eine legendäre Periode in der chinesischen Geschichte und Mythologie dar, die vor über 5.000 Jahren begann. Sie wird von vielen als der Beginn der chinesischen Zivilisation angesehen, und den mythischen Herrschern und Gottheiten, die in dieser Zeit regierten, wird zugeschrieben, die Grundlagen für die chinesische Kultur, Gesellschaft und Regierung gelegt zu haben. Dem Mythos nach waren die Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne] und Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser] eine Reihe von herausragenden bzw. übernatürlichen Persönlichkeiten, die vor der Xià-Dynastie, der ersten historisch belegten Dynastie, das alte China regierten. Diesen Herrschern wurden außergewöhnliche Kräfte nachgesagt, darunter die Fähigkeit, das Wetter zu kontrollieren und mit den Göttern zu kommunizieren. Es wird auch angenommen, dass sie viele der grundlegenden Aspekte der chinesischen Zivilisation eingeführt haben, so etwa die Landwirtschaft, die Tierhaltung, die Erfindung des Feuers, die Musik und den chinesischen Kalender.

Obwohl es keine historischen Beweise für die Existenz der Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne] und Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser] gibt, wird ihr Erbe in der chinesischen Kultur weiterhin gefeiert, unter anderem durch traditionelle Feste und Rituale. Auch die mythologischen Geschichten und Legenden, die sich um diese Herrscher ranken, wurden von Generation zu Generation weitergegeben und trugen so zum reichen Bild der chinesischen Folklore und Geschichte bei.

Wǔshì 五氏 [Fünf Clans]

Die Wǔshì 五氏 [Fünf Clans] beziehen sich (je nach historischer Quelle) auf die Clans Yǒucháo-Clan 有巢氏, Suìrén-Clan 燧人氏, Fúxī-Clan 伏羲氏, Shénnóng-Clan 神农氏 und Xuānyuán-Clan 轩辕氏 und stehen für fünf große mythische Ursprungclans aus der prähistorischen Zivilisation Chinas, aus denen die mythischen Heroen mit übernatürlichen und außergewöhnlichen Fähigkeiten hervorgingen. Ihnen werden große Verdienste um die grundlegendsten Lebens- und Überlebensbedingungen der Menschheit zugeschrieben, wie die Errichtung von Behausungen, die Erfindung des Feuers, die Einführung der Stammesehe, den Getreideanbau, die Tierhaltung und den Ackerbau etc., was es den Menschen ermöglichte, zu überleben und sich fortzupflanzen, sodass das harte, primitive Leben in Höhlen, das Pflücken von Früchten von Bäumen und der Verzehr von Rohkost der Vergangenheit angehörten. Es heißt, nachdem diese mythologischen Herrscher und Gottheiten alle Vorbereitungen für die Menschen abgeschlossen hatten, ging die chinesische mythologische Ära zu Ende und die Periode der Xià-Dynastie 夏朝 begann.

Yǒucháo-Clan 有巢氏[Volk der Nestbauer]

Abb. 07 Yǒucháo-Clan

Das ‚Volk der Nestbauer‘ wird der Huáxià-Ethnie 华夏民族51 zugeordnet. Es steht an erster Stelle in der historischen Etappe der legendären Wǔshì 五氏 [Fünf Clans]52 und gilt als erster Vorfahre des Huáxià-Volkes. Sein Stammesführer gründete den alten Staat Cháo 巢国53 im Gebiet der heutigen Provinz Zhèjiāng 浙江省. Im daoistischen Werk Zhuāngzǐ 庄子54 findet sich dazu folgender Hinweis: „Außerdem habe ich gehört, dass in der Antike die Vögel und Tiere zahlreich waren und die Menschen nur wenige, sodass sie in Nestern lebten, um den Tieren aus dem Weg zu gehen. Tagsüber sammelten sie Eicheln und Kastanien, und in der Nacht schliefen sie auf den Bäumen; und deshalb werden sie das Volk der Nestbauer genannt.“55

Auch im Hánfēizi 韩非子 [Meister Hánfēi]56, dem philosophischen Klassiker aus der Zeit der Streitenden Reiche, findet sich zum Yǒucháo-Clan eine ähnliche Beschreibung: „In den ältesten Zeiten, als die Menschen wenige und die Kreaturen zahlreich waren, konnten die Menschen die Vögel, Tiere, Insekten und Reptilien nicht besiegen. Da erschien ein Weiser, der Nester aus Holz herstellte, um die Menschen vor Schaden zu bewahren. Die Menschen waren begeistert, machten ihn zum Herrscher der Welt und nannten ihn den Nestbauer.“57

Suìrén-Clan 燧人氏 [Volk der Feuermacher]

Abb. 08 Suìrén-Clan

Die Suìrén waren Ureinwohner des paläolithischen (Paläolithikum, vor einer Million Jahren) Staates Suìmíng 燧明国58. Ihr Stammvater wird als der erste der ‚Drei Souveräne‘ in der Auflistung der ‚Drei Souveräne und Fünf Kaiser‘ 三皇五帝 im Shàngshū Dàzhuàn 尚书大传 [Große Tradition des Buches der Dokumente]59 und in anderen alten Texten aufgeführt, als sogenannter Tiānhuáng 天皇 [Himmelskaiser] betitelt und als Kaiser der Suì 燧皇 verehrt. In der antiken Stadt Shāngqiū sollen die Suìrén das ‚Feuerbohren‘ erfunden haben und gelten deshalb als Erfinder des künstlichen Feuers im alten China. Es heißt, sie lehrten die Menschen, wie man kocht, und beendeten somit die Zeit, als die Menschen Vögel und Tiere roh verzehren mussten, wodurch sie sich von den Tieren zu unterscheiden begannen. Im Hánfēizi 韩非子 heißt es: „Dann erschien ein Weiser, der mit Stöcken bohrte und Feuer erzeugte, mit dem er die ranzigen und fauligen Speisen umwandeln konnte. Die Menschen waren begeistert und machten ihn zum Herrscher der Welt und nannten ihn den Feuerbohrer-Mann.“60 Die Suìrén schufen die Huáxià- (chinesische) Zivilisation und wurden von den nachfolgenden Generationen als ‚Ahnherren des Feuers‘ angesehen. Aus dem Suìrén-Clan gingen schließlich die Clans der Fúxī 伏羲氏 und der Nǚwā 女娲氏 hervor. Die geschriebene Geschichte der Huáxià-Zivilisation beginnt mit dem Suìrén-Clan, den ersten Vorfahren des chinesischen Volkes.

Fúxī-Clan 伏羲氏

Abb. 09 Fúxī-Clan

Fúxī, ein mythologischer Kaiser im alten China, der von 2852 bis 2737 v. Chr. regiert haben soll, war der erste der sogenannten ‚Drei Souveräne‘, bekannt als der Gott der Schöpfung, der früheste dokumentierte Schöpfungsgott in China. Er war auch bekannt unter den Namen Mìxī 宓羲, Páoxī 庖牺, Bāoxī 包牺, Fúxì 伏戏, Xīhuáng 牺皇, und Huángxī 皇羲. Der Legende nach soll er zusammen mit Nǚwā 女媧 [chinesische mythologische Göttin der Schöpfung] als die Götter der Erde und des Getreides für die Menschen gesorgt haben. Im sogenannten Chǔbóshū 楚帛书 [Chǔ Seiden-Palimpsest]61 sind er und Nǚwā 女媧 als die beiden Schöpfergötter aufgezeichnet, die frühesten dokumentierten Schöpfergötter in China.62 Fúxī entstammte dem Suìrén-Clan, gilt als legendärer Begründer der chinesischen Kultur, ist der früheste in alten chinesischen Texten genannte König und wird als einer der Begründer der chinesischen Medizin angesehen. Der Legende nach heiratete Fúxī, ein Wesen mit einem menschlichen Kopf und einem Schlangenkörper, seine Schwester Nǚwā und zeugte Kinder mit ihr. Er soll entsprechend dem stetigen Wandel im Himmel und auf der Erde die Bāguà 八卦 [Acht Trigramme] des Yìjīng 易经 [Buch der Wandlungen] geschaffen, die Wortbildung (Schrift) entwickelt und so die Geschichte des Jiéshéng-Jìshì 结绳记事 [Knoten-in-Seile-Machen]63 beendet haben. Fúxī wird die Erschaffung der Menschheit, die Erfindung der Jagd, des Fischfangs, der Domestikation und des Kochens zugesagt.

Im Buch Báihǔtōngdélùn 白虎通德论 [Vortreffliche Diskussionen in der Halle des Weißen Tigers]64 ist folgende Beschreibung zu finden: „Wie können wir wissen, dass der Kaiser ein weiser Mensch ist? Das Yìjīng sagt: ‚In alten Zeiten, als der Fúxī Clan über alles unter dem Himmel herrschte, begann er, die Acht Trigramme zu verfassen‘. Und weiter heißt es: ‚Die Weisen machen das Yìjīng.‘ Auch heißt es: ‚Nach dem Tod von Fúxī [Bāoxī 包牺] erhob sich Shénnóng an seiner Stelle.‘“65

Shénnóng-Clan 神农氏

Abb. 10 Shénnóng-Clan

Yándì 炎帝 [Flammenkaiser] war der Ehrentitel von Shénnóng 神农, dem Anführer des Jiāng-Yán-Stammes 姜炎族66 im alten China, auch bekannt als Kuíkuí-Clan 魁隗氏, Liánshān-Clan 连山氏, Lièshān-Clan 列山氏 und Zhūxiāng 朱襄. Die Legende besagt, dass der Anführer des Jiāngyán-Stammes den Thron erhielt, weil er wusste, wie man mit Feuer umgeht; aus diesem Grund wurde er auch Kaiser Yán genannt [Yán 炎 bedeutet ‚Flamme‘].67 In der chinesischen Mythologie findet sich folgende Darstellung zu Shénnóng:

Einige Zeit nachdem Nǚwā den Himmel repariert hatte68, wurde in einer Steinhöhle auf dem Lièshan 烈山 [Anm.: in der heutigen Provinz Húběi 湖北省] ein Kind geboren69. Die Legende führt aus, dass bei seiner Geburt auf natürliche Weise neun Brunnen rund um die Steinhöhle entstanden. Das Wasser in diesen neun Brunnen war untereinander verbunden, und wenn das Wasser aus einem von ihnen entnommen wurde, schwankten alle anderen acht. Einmal beobachtete Yándì einen roten Vogel, der ein Bündel von etwas im Schnabel hielt, was wie Samen aussah, und als er sah, dass der Vogel es ausspuckte, hob er es auf, der Vogel flog dreimal um ihn herum, zwitscherte noch etwas und flog weg. Im Glauben, es seien Getreidesamen, die ihm der Himmlische Herrscher durch den roten Vogel geschickt hatte, vergrub Yándì die Samen in der Erde. Auch stellte Yándì Pflüge und Pflugscharen aus Holz 耒耜 (Lěisì) her und lehrte die Menschen, den Boden zu lockern und Brunnen zu graben, um die Setzlinge zu bewässern. Im Herbst desselben Jahres wuchs eine große Fläche Gras heran. Wie glücklich die Menschen doch waren! So nannten alle Menschen Kaiser Yándì in Erinnerung an seine Verdienste Shénnóng [göttlicher Landmann]. Deshalb bezeichneten auch die umliegenden Stämme den Yándì-Stamm als Shénnóng-Stamm und nannten ihn Shénnóng-Shì 神农氏, den Anführer des Stammes der Ackerbauern. [Anm.: Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Shì 氏 bezog sich auf eine Gottheit, die in primitiven Gesellschaften einen Stammeshäuptling repräsentierte.]

Die mystischen Umstände von Shénnóngs Geburt werden im Qiánfūlùn 潜夫论, einem politisch-metaphysischen Text des Philosophen Wáng Fú 王符 (ca. 82–167) aus der späteren Hàn-Dynastie (25–220), so wiedergegeben: „Ein göttlicher Drache kam vom Berg Chángyáng70, schwängerte Rèn Sì71, und der Rote Kaiser72 Kuí-Kuí war geboren. Er wird Yándì genannt, posthumer Titel Shénnóng, und ersetzt die Ära des Fúxī-Clans. Seine Tugend ist die Disziplin des Feuers, man erinnert sich an ihn als den Meister des Feuers und somit wird er nach dem Feuer benannt.“73

Xuānyuán-Clan 轩辕氏

Abb. 11 Xuānyuán-Clan

Das Shǐjì 史记 [Aufzeichnungen des Großen Historikers] gibt den Namen des Gelben Kaisers mit Xuānyuán 轩辕 an74. Xuānyuán bezieht sich also auf die Nachkommen des Gelben Kaisers, die aus dem Yǒuxióng-Clan 有熊氏75 stammten. Im Shǐjì 史记 wird dazu Folgendes angemerkt: „Von Huángdì bis Shùn und Yǔ trugen alle Herrscher denselben Nachnamen, aber unterschiedliche dynastische Bezeichnungen und stellten so ihre illustre Tugend zur Schau. So wurde Huángdì als Yǒuxióng [Besitzer der Bären], Kaiser Zhuānxū als Gāoyáng, Kaiser Kù als Gāoxīn, Kaiser Yáo als Táotáng, Kaiser Shùn als Yǒuyú [Besitzer der Forstleute] und Kaiser Yǔ als Xiàhòu [Fürst von Xià] bezeichnet; und er [Kaiser Yǔ] hatte auch den Namen Sì. Xiè ist der Urahn der Shāng und trägt den Nachnamen Zi [Sohn]. Qì ist der Urahn von Zhōu und sein Nachname ist Jī.“76

Es heißt, der Gelbe Kaiser hätte einst in den Xuānyuán-Hügeln 轩辕之丘77 gelebt, daher auch der Name Xuānyuán 轩辕, und die Nachkommen des Gelben Kaisers wurden zum Xuānyuán-Clan gezählt. Nachdem König Wǔ von Zhōu 周武王 den König Zhòu von Shāng 商纣王 (?–1046 v. Chr., auch bekannt als Dì Xīn 帝辛) im Kampf besiegt hatte, belehnte er die Nachkommen von Xuānyuán mit dem Königreich von Zhù 铸国78 und benannte sie in den Zhù-Clan 铸氏 um.

Sānhuáng 三皇[Drei Souveräne] und Wǔdì 五帝 [Fünf Kaiser]

Abb. 12 Drei Souveräne und Fünf Kaiser

Im ursprünglichen Sinne galten als die Sānhuáng 三皇 [Drei Souveräne] die drei Gott-Herrscher Tiānhuáng 天皇 [Kaiser des Himmels], Dìhuáng 地皇 [Kaiser der Erde] und Rénhuáng 人皇 [Kaiser der Menschen]79. Später wurden die mythischen drei herausragenden Stammesführer bzw. Führer von Stammesbündnissen während der prähistorischen Zeit Chinas, nämlich Suìrén 燧人 [Sui-Souverän 燧皇], Fúxī 伏羲 [Xī-Souverän 羲皇] und Shénnóng 神农 [Nóng-Souverän 农皇], als die ‚Drei Souveräne‘ bezeichnet. Dabei weichen in verschiedenen literarischen Werken die Namen teilweise voneinander ab: So werden sie etwa im Shàngshū-Dàzhuàn 尚书大传 [Große Biografie zum Shàngshū]80 als Suìrén 燧人, Fúxī 伏羲 und Shénnóng 神农 bezeichnet, im Fēngsú-Tōngyì 风俗通义 [Allgemeine Bedeutung der gesellschaftlichen Sitten und Gebräuche]81 als Fúxī 伏羲, Zhùróng 祝融 und Shénnóng 神农82, im Sānzìjīng 三字经 [Drei-Zeichen-Klassiker]83 als Fúxī 伏羲, Shénnóng 神农 und Huángdì 黄帝 und im Zhuāngzǐ庄子 [Meister Zhuāng]84 als Yǒucháo 有巢氏, Suìrén 燧人, und Zhī-Shēng 知生氏.

Je nach Quelle gibt es unterschiedliche Varianten, wer zu den Drei Souveränen gezählt wird:

QUELLE

Sānhuáng 三皇

Shàngshū-Dàzhuàn

尚书大传

Fúxī

伏羲

Shénnóng

神农

Suìrén

燧人

Fēngsú-Tōngyì

风俗通义

Fúxī

伏羲

Shénnóng

神农

Zhùróng

祝融

Sānzìjīng

三字经

Fúxī

伏羲

Shénnóng

神农

Huángdì

黄帝

Zhuāngzǐ

庄子

Yǒucháo

有巢氏

Suìrén

燧人氏

Zhīshēng

知生氏

Shǐjì

史记

Tiānhuáng

天皇 [Fúxī 伏羲]