Birkengreith - Bernhard Valta - E-Book

Birkengreith E-Book

Bernhard Valta

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Beschreibung

Birkengreith ist der neue Nabel der Welt. Im jüngsten Buch von Bernhard Valta steht ein Ortsteil seiner Heimatgemeinde als Synonym für die Alltagserlebnisse, die sich überall in unserem Kulturkreis zutragen könnten. In drei Dutzend Kurzgeschichten lässt der Autor in das Leben von Protagonisten blicken, bei denen sich der Leser vielleicht selbst wiederfindet oder zumindest Persönlichkeiten kennt, auf die das zutreffen würde. Es ist alles frei erfunden und doch steckt in seinen humorvollen Geschichten ein Körnchen Wahrheit, verpackt in wortakrobatischer Satire.

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Seitenzahl: 185

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Hinweis:

Der Text verwendet aus Lesevereinfachungsgründen manchmal – oder öfters – ok, fast immer - die männliche Ausdrucksweise. Der Autor wendet sich aber auch selbstverständlich mit besonders zärtlicher Zuneigung an alle Damen in Birkengreith und weit darüber hinaus!

Inhalt

Birkengreith

Einsen und Nullen

Ablaufdatum

Teil 1,

2,

3

Einschub eins

Der Reinbacher Ferdl und die Politik

Casting

Das große Fundstück

Birkengreith wählt seinen neuen Häuptling

Blassroter Schilcher

Einschub zwei

Jedem das Seine

Der Computer

Buttoncowboy

Eine wichtige Rolle

Laurel ohne Hardy

Local Heroes

Ace of spades

Eine Dose kommt herum

Tante Waltraud

Armee der Einmachgläser

Solides Handwerk

Railjet 654

Einschub drei

Das Buch über die Mutter

Daheim beim Pepi-Onkel

Die italienische Famiglia

Armer reicher Mann

Einschub vier

Wer liebt, hat recht

Günthers Schrebergarten-Blog

Gelbe Zitronen

Plasma

Hugo Bohrfrisch berichtet live

Der Kulturattaché und der Literat

Oh du stille Zeit

Josef denkt nach

Die Kuppel

BIRKENGREITH

Im Titel dieses Büchleins steht zentral die Ortsbezeichnung Birkengreith. Es gibt eine Ortschaft ähnlichen Namens zwar real in der südöstlich von Graz gelegenen Marktgemeinde Vasoldsberg, doch haben sämtliche Beiträge mit dieser noch eher wenig besiedelten Gegend keinen ausdrücklichen Bezug, sie könnten genauso gut irgendwo anders entstanden sein. Das soll aber nicht heißen, dass die Geschichten nicht doch irgendeine Verbindung zu dieser Gegend haben, ganz im Gegenteil. Wenn Forscher in einigen Jahren eine Technik erfunden haben werden, um aus den menschlichen Gedanken verschiedenste Essenzen herausfiltern zu können, wird man mit Sicherheit auf den diesbezüglichen Laborberichten lesen können, dass hier Spuren von Umwelteinflüssen nachweisbar sein werden, die nur hier in der Gegend um Birkengreith lokalisierbar sind, CSI Birkengreith sozusagen.

Beschäftigen wir uns doch pseudowissenschaftlich einmal mit dem sogenannten „gemeinen Birkengreither“, dem Homo Birkengreithensis. Entdeckt wurde er etwa um die Zeit vor der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Weil im damaligen Jahr einer der wärmsten Winter seit Menschengedenken gemessen wurde, war auch der Gletscher auf dem Schemerlberg, dem Hausberg der Birkengreither, geschmolzen und legte so manches bis dahin im ewigen Eis Eingefrorenes frei. Ein hiesiger Bauer war nach einer ausgiebig gefeierten Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr um die Mittagszeit, auf einer kleinen Gesteinsgruppe liegend, erwacht. Aufgrund eines augenblicklichen Hustanfalls drehte er sich mehrmals hin und her, dabei blinzelte ihm plötzlich etwas metallen Blinkendes aus einer Ritze zwischen den Steinen entgegen. Nach einigen Versuchen gelang es dem Bauern Steinklinger, dieses Etwas herauszufischen. Und noch etwas kam dahinter zum Vorschein, eine kleine blaue Figur mit einem weißen Mützchen!

Sofort, also nachdem er zuerst nach Hause gewankt war, noch vier Stunden lang in seinem Laubbett geschnarcht hatte und damit ohne es zu wissen, eine achtköpfige Mäusefamilie zum emigrieren veranlasst hatte, die Geschichte seiner Frau erzählt hatte, währenddessen ein Einhornschnitzel schmausend, sich danach im Gasthaus Pfingstler bei mehreren Hörnern Met endlich beruhigt hatte, danach wieder eingeschlafen war - also sofort nach dem Aufstehen am nächsten Vormittag brachte er eilends dieses Ding zum Dorfschreiber Bertl Weberl.

Da war er genau an den Richtigen gekommen. Denn Weberl betätigte sich in den vielen Stunden, an denen sowieso nichts vorgefallen war, im Büro mit allem, was irgendwie mit Geschichte zu tun haben könnte. Im selben Moment der Ansichtigwerdung dieses Dinges ratterte es in seinem Kopf wie bei einer, allerdings erst Generationen später und übrigens von einem ausgewanderten Birkengreither erfundenen, Registrierkasse. Alles um ihn herum vergessend, betrachtete Weberl das metallene Stück. Er hielt es ans Ohr, roch daran, schüttelte es, klopfte mit dem Finger darauf, hielt es über ein offenes Feuer, kühlte es im kalten Bachwasser ab, ganz so wie es dem wissenschaftlichen Stand der Zeit entsprach. Tage vergingen, Wochen, Monate. Dann, der ersehnte Durchbruch!

Sein Enkelkind Pezi kam zu Besuch, sah zuerst die weißblaue Figur und dann dieses Ding. Pezi nahm seinen Rucksack ab, holte einen kleinen Kasten hervor und gab das Metallstück hinein. Es passte genau. Er nannte sein Gerät Dinocordus, drückte auf eine Stelle auf der Seite und eine heisere Stimme krächzte in die ruhige Blockbohlenstube.

„Griaß enk, i bin der Ull! Wenn ihr des einmol hörn werds, haßt des, i bin net mehr am Leben. Wir hobm jetzt schon des zweite Johr kan Sommer g´hobt, es ist kolt, es regnet und der Schnee follt ständig. I muaß enk olle warnen, dass mit eich net a so geht, wie mit uns do in der Eiszeit. Mir hobn des net wohrhobn wölln, dass mit unsan Verholten a Klimawandel eingetreten is. Mir hobm fir insare Häuser vüle Bam umgschnittn, hobm ohne nachdenken in die Flüsse einigludelt und no vüles mehr. Heite miass ma des bitter bereuen. Des Wetter hot sich geändert, es wochst nichts mehr, drum hobma a nichts mehr zum Essen. Sogor mei treues Alpaka mit seim liabn Gsichtl hob i miaßn schlochtn. I bin der letzte do von unserm Dorf, wohrscheinlich bin i a der letzte Mensch auf dera Wölt. Drum, wenn des überhaupt jemals wer entdecken sollte, huachts zua, wos i enk jetzt derzöhl, passt guat auf und mochts es besser als wir. Mocht´s die ...“

Für etwaige Leserinnen aus höher zivilisierten Gegenden wie Rostock, Salzburg oder Bern, hier die beglaubigte Übersetzung in die Schriftsprache:

„Grüß dich, ich bin der Ull! Wenn dies jemals jemand hören wird, heißt das, ich bin in die ewigen Jagdgründe gegangen. Schon das zweite Jahr in Folge gibt es keinen richtigen Sommer, es ist kalt, es regnet oder es schneit. Ich muss euch alle warnen, damit es euch nicht auch so ergeht wie uns mit dieser Eiszeit! Niemand wollte wahrhaben, dass unser Verhalten einen Klimawandel verursacht hat. Wir haben ganze Wälder abgesägt, ohne nachzudenken unsere menschlichen Auslassungen in Flüsse geleitet und vieles mehr. Heute bereuen wir dies bitter mit dem Wetterwandel! Nichts wächst mehr, darum haben wir nichts mehr zu essen. Sogar mein treues Alpaka-Lama musste ich aus Hungergründen verzehren. Aus unserem Dorf bin ich der letzte Überlebende, möglicherweise der letzte Mensch auf der Welt. Mein eindringlicher Appell an dich, der dies hören kann - hört meine Worte, passt gut auf und macht nicht unsere Fehler! Macht die...“

Damit brach aber die Stimme leider ab. Was Weberl und Pezi auch versuchten, das Ding blieb still. Erst viele Jahre später nahm eine Physikerin, deren Name so ähnlich wie Curry lautet, dieses eigenartige Ding unter ihre Briefmarkenlupe. Und wirklich, mit Hilfe ihrer zwölfjährigen Tochter konnten die Aufnahmedaten am sogenannten Dinocordus rekonstruiert werden! Dabei kamen aufsehenerregende prähistorische Internetdaten zutage, mit großer Wahrscheinlichkeit auch persönliche Angaben! So soll dieser Ull den Beinamen - der Fasold - getragen haben, der Mann war mit etwa 155 Zentimeter für damalige Verhältnisse relativ groß. Die Experten schickten eine Suchmannschaft an den Fundort, die mit größter Vorsicht tatsächlich noch einen Lederbeutel mit Pfeilspitzen und Nahrungsresten bergen konnte. Nachdem der Streit, auf welchem Hoheitsgebiet dieser Ull gefunden worden war, mit einer astronomisch hohen Ablösesumme beigelegt werden konnte, wurde für ihn auf der Burg Birkengreith ein eigenes Museum eingerichtet!

Heutzutage sind typische Birkengreither Frauen und Männer von durchschnittlicher Gestalt, zwischen einsfünfzig und einsachtundneunzig Zentimeter groß, das sind umgerechnet dreiundsechzig Zoll und kann gehen bis etwa fünfundsiebzig Zoll. Durchschnittliches Gewicht variiert, kann statistisch gesehen von etwa 132 Pfund bis fast 150 Kilo reichen. Er - sie - sieht gerne fern – Fußball, Autorennen und Adelsbegräbnisse und ist in durchschnittlich drei Internetgruppen aktiv.

Ist sehr religiös. Betet nämlich alles nach, was ihm Influencer und sonstige Experten vorsagen. Der höchste Feiertag ist der mindestens einmal wöchentliche Waschtag für das Auto! Diesen Gottesdienst zelebriert man ausgiebig, man ist dabei gleichzeitig Lektor, Pfarrer und Dechant. Der Klingelbeutel wird dabei ordentlich gefüllt. Beliebt sind ebenfalls lange Sitzungen zum Stechen von Tattoos, meist in Form von Hirschgeweihen, Rollingstones-Zungen oder angeblich chinesischer Zeichen.

Man trinkt Bier oder süßen Sekt, hört Musik von Helene Fischer oder Rammstein.

Nun haben Sie also einen ungefähren Einblick in die Lebensweise des modernen Birkengreithers. Dazu muss man aber auch ehrlicherweise zugeben, dass Sie zwischen einem Birkengreither und einem Grammbachler, einem Haustettner oder gar einem Hallikreizwasler keinen großen Unterschied feststellen werden.

Was erwartet Sie also hier im Weiteren? Alles, was Sie sowieso kennen. Es werden besondere Menschen vorgestellt, Musikerleben verewigt, Fernseh- und Kulturfans kommen auf ihre Rechnung, Vorkommnisse an Feiertagen, in der Natur, zu Wahlzeiten, unterwegs, mit einer Dose und so manch häusliches Kleindrama werden erörtert bis hin zum stillen Betrachten der Weihnachtskrippe – also viel gut Bekanntes, was Ihnen aber dennoch verlässlich viele neue Erkenntnisse bringen wird.

Vielleicht sind sogar Sie selbst darinnen beschrieben?

Sie dachten, in dem Auto, das sie eine Zeit lang begleitet hatte, säßen Leute, die die Straßen für diese amerikanische Internetfirma auf der ganzen Welt abfahren und dass sie mit der auf dem Dach montierten Kamera sämtliche Straßen filmen hätten sollen. Gut, das haben sie schon getan! Doch gleichzeitig haben sie unbemerkt mit winzigen Kameras auch alle Menschen aufgezeichnet! Die Filme wurden anschließend in Labors analysiert, Spezialisten erstellten umfangreiche Analysen und die besten Wissenschaftler in den unterschiedlichsten Fachbereichen des Landes schrieben dicke Fachbücher über ihre Ergebnisse.

Auf streng geheimen Wegen sind diese Abhandlungen in meine Hände geraten! Ich tat dann etwas, was alle anderen erfolgreichen Autoren auch tun. Wie diese Experten destillierte ich die vorliegende riesige Informationsmenge in einem langen Prozess immer mehr und mehr. Herausgekommen ist eine, man könnte sagen - homöopathische Version der Aktenfülle - vergleichbar den Globulikügelchen zur ursprünglichen Ausgangslage. Mit diesem vorliegenden Werk ersparen Sie sich also das Wälzen vieler schwerer, dicker Bücherschwarten, Sie bekommen genau die Informationen, die für Sie wichtig sind! Trotz dieser Datenmenge, die auf kleinstem Platze vorliegt, werden Sie sich also nicht nur viel Geld ersparen, sondern auch enorm viel Lesezeit, das wiederum istgleich wertvolle Lebenszeit!

Einen letzten Tipp noch zum Schluss des Anfangs: Bevor Sie zu lesen beginnen, öffnen Sie Ihren bemalten Bauernschrank, ziehen Sie sich Ihre Trachtenlederhose an oder schlüpfen Sie in ihr Dirndlkleid. Richten Sie sich ein Glas mit naturtrüben Apfel- oder Marillensaft, setzen sie sich damit in ihren Bauerngarten und genießen Sie dieses Buch! Sie werden mir und dem weisen Spruch zustimmen, den schon die berühmte Romanfigur Baltus Powenz sagte:

„Alles verstehen, heißt alles begreifen!“, denn

„Wer nichts weiß, muss alles glauben!“

(Marie von Ebner-Eschenbach, bzw. Sciencebusters)

Birkengreith, im Jahre Corona

EINSEN UND NULLEN

Fragen Sie mich nicht, wie das exakt funktioniert!

Mir wurde erklärt, dass die digitale Welt, also die Programmiersprache für den Computer, alleine aus der Kombination von Eins und Null bestehen soll.

Stellen Sie sich ein Bild vor: von links oben bis rechts unten - Einsen und Nullen in verschiedensten Anordnungen.

Ich bin etwas irritiert:

Verhält es sich denn bei uns Menschen nicht auch genauso?

ABLAUFDATUM

Teil 1

Ist Ihnen das auch schon einmal passiert?

Sie sitzen gemütlich im Sofa daheim im Ortsteil Kühlenbach. Kurt und Gustl haben es sich ebenfalls in den tiefen Ledersesseln bequem gemacht. Die mitgebrachten Chips und der ansehnliche Biervorrat hatten die Freunde schon in Stimmung gebracht und sie genießen gemeinsam das Viertelfinale der Fußball-Champions League. Achtzehn Minuten sind gespielt seit dem Anpfiff. Die Spanier rennen unter Führung des – wie sich jeder Reporter befleißigt fühlt zu sagen – kleinen Messi wie aufgezogen in Richtung der Engländer, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich durch das runde Leder deren Tornetz bauschen wird. Einen Schluck aus der Flasche zwischendurch mit einem Prost-Grinser zu den Freunden, der routinierte Griff in das Sackerl mit Chips. Die Stimme des Fernsehkommentators wird hektisch, alle schauen gebannt zur Mattscheibe, und: mit einem kleinen Zischer wird der Bildschirm schwarz!

Verzweifeltes Drücken an der Fernbedienung, sind die Batterien leer? Gustl stürzt hin zum Gerät, zieht an den Kabeln, aber alles ist in Ordnung. Hat sich irgendwas am Fernseher verstellt? Obwohl alle drei im Umgang mit technischen Geräten gewiefte Experten sind, bleibt der Bildschirm schwarz. Kurt sieht verzweifelt im Garantieschein nach. „Nein!“, stöhnt er resignierend, aus und vorbei, genau zwei Jahre und 18 Tage sind seit dem Kauf verstrichen, die unwiderruflich geplante Obsoleszenz ist soeben eingetreten!

Teil 2

Heute ist der 16. Oktober 2013. Egon freut sich schon auf das Nachhausekommen, er hatte ganze drei Monate auf einer Baustelle in Uruguay verbracht. Im Auftrag einer Anlagenfirma überwachte er da die Montage der elektrischen Anlage eines Kraftwerkes. Viele tausende Meter von Kabelsträngen waren in die richtige Position zu verlegen und natürlich anzuschließen. Einen Streik der einheimischen Arbeiter musste er händeringend abwarten, immer wieder musste er zittern, ob das Material rechtzeitig eintrifft, und die schwierige Konversation mit den Leuten hatte die Leitung des Projektes auch nicht gerade leichtgemacht. Doch trotz aller widrigen Umstände war es ihm gelungen, die Sache erfolgreich zu beenden, sein Chef hatte ihm dafür eine Prämie zugesagt.

Einige Gründe also gaben Egon Anlass, sich auf das Wiedersehen mit seiner Frau und den Kindern zu freuen. Einen Blumenstrauß hatte er am Flughafen besorgt, um ihr eine Freude zu bereiten. Ganz wohl war ihm aber nicht gerade bei dem Gedanken an die Zeit vor seiner Abreise. Es hatte schon lange Zeit Spannungen gegeben und er hoffte, dass die Zeit diese geglättet haben mochte. Er war aus dem Bus ausgestiegen und ging, seine große Tasche und die Blumen tragend, die letzten 200 Meter mit gemischten Gefühlen auf sein mit viel Eigenleistung gebautes Haus zu.

Es kam ihm vor, als wäre es schon viele Jahre her, seitdem er das Haus zum letzten Mal verlassen hatte, er rechnete im Kopf schnell nach, doch es waren nicht mehr als drei Monate vergangen. Ein fremdes Auto stand in der Einfahrt, nirgends waren die Fahrräder der Kinder zu sehen, die sonst in der Gegend verstreut herumlagen.

Verwirrt versuchte Egon die Haustüre mit seinem Schlüssel aufzusperren, doch der passte nicht ins Schloss! Er läutete. Nach einiger Zeit wurde von innen ein Schlüssel umgedreht und langsam die Türe für einen Spalt geöffnet. Ein ihm völlig unbekannter älterer Mann fragte, was er hier wolle. Egon rief aufgebracht zurück, er selbst würde ja hier wohnen, was machte der Mann in seinem Haus? Der Mann sagte etwas versöhnlicher:

„Ach, sie sind der Vorbesitzer, aber ich habe das Haus vor zwei Monaten rechtsgültig gekauft!“,

und er zeige ihm gerne den Kaufvertrag. Die Verkäuferin habe es eilig gehabt, mit den Kindern wegzuziehen. Wie versteinert stand Egon da. Er begann nervös an seinem Ehering zu drehen. Die Gedanken schossen ihm durch den Kopf und plötzlich fiel der Ring mit einem feinen Klingeln auf den betonierten Boden. Mit Mühe den Blumenstrauß haltend, klaubte er den Ring wieder auf. Sinnierend betrachtete er die Gravur auf der Innenseite: E + H für Egon und Helene. Doch verwundert las er etwas, was ihm vorher noch nie aufgefallen war, da stand: Ablaufdatum, haltbar bis 12. August 2013!

Teil 3

Die Wettervorhersage für heute ist ausgezeichnet. Bei prächtigem Sommerwetter haben sich hier im privaten Bereich des Grinzinger Nobelwirten Karl Schwindsackl mehrere Menschen zu einem geheimen Treffen zusammengefunden. Es sind dies drei Herren und eine Frau. Es handelt sich dabei auch nicht um irgendwelche Personen, die es sich schon jetzt am Morgen, wo sich die Sonne noch mit der zu erwartenden schwülen Tageshitze zurückhält, auf den massiven Bänken unter dem großen Kastanienbaum bequem machen. Keine Geringeren als die großen politischen Führer der Gegenwart sind hier unter starkem Personenschutz versammelt: der Russe Wladimir Putin, der Amerikaner Barack Obama, Chinas Xi Jinping und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie alle waren der Einladung gefolgt, um hier ungestört von Medien die zukünftige Weltgeschichte zu planen.

Die Vernetzung der Welt erfolgte in den letzten Jahren auf derart rasante Weise, dass es für den Einzelnen oder kleine Gruppierungen mittlerweile unmöglich gemacht wurde, lokale und schnelle Entscheidungen zu treffen. Für jedes noch so kleine Problem hatte man die verschiedensten Gremien zu befragen, Kommissionen einzurichten, Volksbefragungen durchzuführen. All diese Prozesse benötigten selbstverständlich viel Zeit. Zeit, die die großen Wirtschaftsbetriebe nicht länger geben wollten. Die zehn größten über alle Kontinente verteilten Kapitalgesellschaften der Welt machten Druck auf die jeweiligen Regierungen, denn sie wüssten besser, was getan werden sollte. Ihre Größe mache es erforderlich, dass, um sichere Arbeitsplätze weiterhin garantieren zu können, sie das Tempo und die Ziele vorgeben müssten. Der Einzelne wäre ein Hindernis beim Durchzug der Befehlskette von oben nach unten.

Auch die Gewerkschaften waren schon seit längerer Zeit in alle Entscheidungen eingebunden und stolz darauf, hoch dotierte Posten in den Führungsebenen der Konzerne innezuhaben. Das Ziel schien erreicht, nicht mehr Befehlsempfänger zu sein, sondern gleichberechtigt mit den Bossen an einem Tisch zu sitzen, den Kuchen gemeinsam aufzuteilen und bei den Unternehmensstrategien mitentscheiden zu können. Ein Erfolg war nun errungen worden, von dem die Arbeiterführer zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nur träumen konnten, man hielt argwöhnisch, aber gemeinsam mit den Bonzen, das Seil der Macht in den Händen.

Sogar die früher komplizierte Verständigung untereinander war kein Problem mehr. Wie bei den letzten Olympischen Winterspielen in Russland zu hören war, sprechen mittlerweile fast alle Menschen – ob von China, Polen, Italien oder Norwegen, und sogar die meisten Russen – neuerdings die englische Sprache. Es sei nur die Frage gestellt, ob jeder einzelne wirklich versteht, was der andere gesagt hat.

Die großen Politführer genießen die Sonne, dazu den vorzüglichen Sauvignon Blanc sowie die dick bestrichenen Bratlfettbrote, die die emsigen Wirtsleute auf den länglich ovalen Holzscheiben-Tabletts servieren. Der Prominentenwirt, der sich selbst als einfachen Bauern bezeichnet, eilt derweil dienstbeflissen mit dem sogenannten Schnapshobel herbei, einem Brett, das aussieht wie ein in die Länge gezogener Hobel, worauf bis zum Rand gefüllte Schnapsgläser in kleinen ausgefrästen Rundungen sicher stehen. Mit überdrehter Fröhlichkeit nötigt er alle Anwesenden, ein Glas zu nehmen, und unter dem launigen Spruch „Prost, dass die Gurgel net rost´!“, es auf einmal auszutrinken. Geschäftig beeilt er sich daraufhin wieder in den Gastraum zu kommen, um die Gläser neu aufzufüllen. Der Wirt denkt sich, so eine Chance kommt mit Sicherheit so schnell nicht wieder! Er freut sich schon auf das Ausstellen der Rechnungen an die jeweiligen Regierungsstellen.

Die Laune der mächtigen Staatsführer könnte besser nicht sein. Was könnte schöner sein, als hier unter Gleichgesinnten auf angenehme Art und Weise den Tag zu verbringen und gleichzeitig das Gefühl zu haben, für das Wohl der ihnen anvertrauten einfachen Menschen zu sorgen, deren Dankbarkeit sie sich im Vorhinein vergewissern dürfen. Ein Wohlgefühl erfasst die vier Leute, fast könnte man denken, hier ginge es um ein Familientreffen. Unter auffälligem Augenzwinkern bietet Obama Herrn Putin eine selbstgedrehte Zigarette an, dieser lacht auf Russisch, macht ein paar Züge und beginnt, sich das Hemd auszuziehen.

Frau Merkel kann sich vor Lachen nicht halten und möchte ebenfalls ein paar Lungenzüge machen. Putin läuft in das Innere des Gasthauses. Nach einigem Hin und Her hat er ein Gewehr entdeckt. Vom Wirt verlangt er feixend die dazugehörenden Patronen und stürzt damit ins Freie. Er fackelt nicht lange und nimmt die Gastgartenlampen ins Visier. Triumphierend schießt er eine nach der anderen kaputt. Angela Merkel läuft wie ein Hündchen neben ihm her und jubelt überschwänglich bei jedem Treffer, wobei ihr die Lachtränen aus den Augen fließen. Putin beginnt nun, die abgestellten Autos in die Höhe zu stemmen. Unter glucksendem Lachen verschiebt er tatsächlich alle Fahrzeuge zu einem Haufen. Danach erklimmt er das Dach eines Fünfer-BMW´s und trommelt sich wie Tarzan auf die Brust.

Inzwischen hat sich Frau Merkel zu Obama gesellt. Karl, der Wirt sitzt auch schon bei ihm und spielt mit seiner Zither das Lied vom „Dritten Mann“. Dann singen sie gemeinsam das Bob-Dylan-Lied And the times they are a changing!

Niemand hat derweil auf den Chinesen aufgepasst, was sich möglicherweise noch als Fehler herausstellen könnte. Denn ganz unauffällig hatte dieser einige kurze Anrufe von seinem Mobiltelefon aus getätigt, mit dem Ergebnis, dass schon am nächsten Tag das urige Heurigengasthaus in seinen Besitz übergehen wird. Die Besitzer werden selbstverständlich ordentlich ausbezahlt und sollten bis morgen Früh das Haus verlassen haben. Die bisherigen Angestellten werden natürlich entlassen, tibetische Mindestlohnarbeiter sind schon mit dem Flugzeug hierher unterwegs. Den Namen des Lokals wird Herr Jinping zur Ehre Chinas umbenennen und ihm den Namen geben „Heuligel zum singenden Mandalin“!

Melancholie hat sich inzwischen eingestellt, der fleißig nachgeschenkte Alkohol tut seine Wirkung. Die Sonne hat sich unbemerkt verabschiedet, ein kühler Wind weht durch den ruhig gewordenen Hof. Die vier Staatsführer setzen sich alle an einen Tisch zusammen, die Stimmung ist plötzlich gedrückt. Der Wind wird heftiger. Einige Flaschen fallen um, zerbrechen am Boden. Servietten und Blätter wirbeln durch die Luft, die Werbetafeln wackeln bedenklich in ihrer Verankerung. Ein Tablett wird vom Wind aufgehoben und segelt im stürmischen Wellenflug genau in die Türe eines der abgestellten Autos, eine ordentliche Delle hineinzeichnend.

Die Staatsleute frösteln in ihrer Sommerkleidung, Putin hat das Hemd von einem Strauch abgenommen und angezogen. Noch einmal wird der Sturm stärker.

Auf einmal ist es still. Kein Laut regt sich. Die vier Kollegen starren sich erschreckt an, sie rücken noch enger zusammen. Über ihren Köpfen erscheint eine feurige Wolke, aus der es heftig blitzt. Eine donnernde Stimme ertönt:

„Genug gespielt! Es macht mich müde! Ich habe euch eine große Chance gegeben! Aber was ihr daraus gemacht habt, ist ungenügend. Ich habe euch alles mitgegeben, was nötig war! Ihr aber habt alles nur für eure egoistischen Geschäfte verbraucht, habt die Gebrauchsanleitung nicht studiert und die Warnhinweise nicht beachtet!“

Aus der Wolke blitzt und zischt es immer mehr, das Brodeln geht über in gleißendes Licht und verschlingt die vor kurzem noch so selbstbewussten Staatsoberhäupter. Kurz darauf ist es 256 Punkte – also absolut – schwarz.

EINSCHUB EINS

Hm, eigentlich sollte nun das Buch hier an dieser Stelle beendet sein, wenn nichts mehr da ist, kann es nicht mehr weitergehen. Kein A, kein F, kein Beistrich, Rufzeichen, nichts! Gar nichts. Der zweite, nun abschließende Urknall hätte ja alles Leben, für sagen wir einmal, 23 Millionen Jahre ausgelöscht. Einen Vorteil hätte es zwar gehabt: die ausstehenden Kreditraten für das Auto oder das Haus wären damit auch hinfällig geworden.

Die Erde könnte sich erholen.

Nach und nach hätte es dann wieder riesige Saurier und Flugechsen gegeben, die sich aus dem sich langsam zurückziehenden Meer herausentwickeln würden, viele Arten von Lebewesen wären entstanden. Es wäre wieder der Mensch entstanden, man würde wieder diskutieren, ob er vom Affen abstammt. Der Mensch würde sich vom Wesen, das sich auf allen Vieren fortbewegt, weiterentwickeln, sich langsam aufrichten und kultivierter und zivilisierter werden bis hin zur höchstmöglichen Krönung des Menschen, des zeitweilig ausgerotteten, nun wieder in steigender Population befindlich, dem österreichischen, pragmatisierten Beamten!