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Liebevoll unterstützt Josie ihre Schwester und deren kleine Zwillinge. Als Dank bekommt sie Reitstunden geschenkt! Doch je mehr Zeit Josie mit dem sexy Rancher Declan verbringt, umso heftiger spürt sie, dass sie bei aller Hilfsbereitschaft ihre eigenen Sehnsüchte verdrängt hat …
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2025
Marie Ferrarella
Bitte bleib für immer!
IMPRESSUM
BIANCA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2022 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „More Than a Temporary Family“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 120 – 2023 by Harper Collins Deutschland GmbH, Hamburg Übersetzung: Anna-Pia Kerber
Umschlagsmotive: gpointstudio / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2025 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751537018
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Josie Whitaker schlich sich auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer.
Eigentlich war das gar nicht notwendig, denn die winzige Zwillingsschwester weinte so ohrenbetäubend, dass es an ein Wunder grenzte, wie ihr Brüderchen dabei friedlich weiterschlafen konnte.
Allerdings galt Josies Sorge in diesem Augenblick weder dem sechs Monate alten Lucas noch der kleinen Lilly. Vielmehr sorgte sie sich um die erschöpfte Mutter. Josies Schwägerin Rebekah wirkte seit einigen Tagen wie ein Zombie. Die Art ausgezehrter, schlafloser, augenringtragender Zombie, der jeden Moment zusammenklappen könnte.
Die junge Mutter saß im Kinderzimmer in dem Schaukelstuhl, den Josies jüngerer Bruder Grant ihr geschenkt hatte. Geistesabwesend wiegte sie ihre kleine Tochter, die sich trotz der liebevollen Fürsorge langsam in einen Schreikrampf hineinsteigerte. Bald würde sie damit auch noch ihren Bruder aufwecken.
Lautlos wie eine Katze näherte sich Josie dem Schaukelstuhl und legte sanft die Hände auf Rebekahs Schultern. Rebekah zuckte zusammen, nur um gleich darauf wieder müde in sich zusammenzusinken.
Erst vor wenigen Tagen hatte Josie gehört, wie Rebekah mit Grant über Josie gesprochen hatte. Sie hatte sie mit einem rettenden Engel verglichen, der gerade noch rechtzeitig in ihr Leben getreten war, bevor dieser Haushalt unrettbar im Chaos versank.
„Josie“, flüsterte Rebekah erschöpft, und irgendwie gelang es ihr, sämtliche Hoffnung und Erschöpfung in diese beiden Silben zu legen.
„Lass mich übernehmen“, sagte Josie sanft. Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern schob behutsam Rebekahs Arm zur Seite und griff mit einer erfahrenen Geste unter den Po des Babys.
„Du hast sie weinen gehört“, stellte Rebekah unnötig fest und wehrte sich nicht, als ihr die Ältere das schreiende kleine Bündel aus den Armen nahm.
„Der gesamte Staat North Carolina hat Lilly weinen gehört“, entgegnete Josie mit einem Lächeln.
Seit sie von Florida hierher nach Spring Forest gezogen war, einer kleinen Stadt in North Carolina, hatte sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um den jungen Eltern unter die Arme zu greifen. Und nicht nur das: Obendrein vertrat sie Rebekah bei ihrem Job im Tierheim. Grant und Rebekah hatten Josie dafür das Apartment über der Garage eingerichtet, und Josie war froh, den frisch gebackenen Eltern eine Hilfe zu sein.
Josie spähte über ihre Schulter zu Lucas Bettchen. Der Junge schlief noch immer friedlich, seine Brust hob und senkte sich regelmäßig. Der Kleine hatte wirklich einen gesegneten Schlaf.
„Lucas scheint wirklich der Einzige zu sein, der sie nicht gehört hat“, sagte Josie leise lächelnd.
Rebekahs erschöpfte Gesichtszüge wandelten sich in Besorgnis. „Aber warum eigentlich nicht? Glaubst du, es stimmt etwas nicht mit seinem Gehör?“
Josie musste unwillkürlich daran denken, wie Lucas gestern Abend reagiert hatte, als sie ihm ein Schlaflied vorsang. Er hatte vor Vergnügen gequietscht, als sie trällerte und tirilierte und ihre Stimme mit Absicht höher klingen ließ. Wenn er imstande war, diese Töne zu unterscheiden, konnte er definitiv hören.
„Nein, das glaube ich nicht“, sagte sie mit Überzeugung und wiegte Lilly sanft weiter. „Ich glaube, du solltest einfach dankbar sein für diese willkommene Pause. Und jetzt geh schlafen, Mama, bevor er doch noch auf die Idee kommt, in das Geschrei mit einzufallen. Husch, husch“, fügte sie hinzu und wedelte mit der freien Hand.
Rebekahs Miene entspannte sich. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“
„Indem du ins Bett gehst“, bestand Josie und nickte in Richtung Tür.
Rebekah war bereits zurückgewichen, aber sie schien es völlig unbewusst getan zu haben. Die arme war wirklich am Ende mit ihren Kräften, dachte Josie. Ihre Schwägerin brauchte dringend ein wenig Schlaf.
„Geh schon“, formte sie lautlos mit den Lippen. Sie ahnte, dass es mit dem halben Frieden bald vorbei sein und Lucas gleich aufwachen würde.
Josie seufzte leise, nachdem Rebekah gegangen war. „Jetzt sind wir allein“, murmelte sie dem Bündel in ihren Armen zu. Lilly schien sich langsam zu beruhigen. Sie war schrecklich süß, wenn sie sich nicht gerade die Lunge aus dem Leib schrie.
Rebekah und Grant bedankten sich jeden Tag überschwänglich bei Josie dafür, dass sie ihr Leben in Florida aufgegeben hatte, um ihnen zu helfen. Aber in Wahrheit war es Josie, die für diese Gelegenheit dankbar war. Sie kümmerte sich gerne um die Zwillinge. Und es erfüllte sie, anderen eine Stütze zu sein.
Ihr Leben lang hatte sie versucht, ihren Lieben zu helfen. Mit vollem Einsatz hatte sie ihren Ehemann unterstützt, damit er seine Ausbildung als Arzt machen konnte. Selbst nachdem ihre Tochter Hannah geboren wurde, hatte sie weitergearbeitet und alles daran gesetzt, dass er sein Ziel erreichen würde.
Vor vier Jahren dann hatte sich alles schlagartig geändert.
Ihr Mann hatte tatsächlich seinen Traum verwirklicht. Er war Arzt geworden und hatte seine eigene Praxis eröffnet. Und dann war es, als wäre er einem schlechten Klischee gefolgt. Ihr mehr als undankbarer Ehemann hatte eine Affäre mit seiner Krankenschwester begonnen. Nicht nur das: Am Ende hatte er die Jüngere vorgezogen und Josie und ihre Tochter im Stich gelassen.
Seltsamerweise hatte Hannah später denselben Weg eingeschlagen. Sie wollte Ärztin werden – womöglich, um ihren Vater wieder für sich zu gewinnen. Um das zu erreichen, war sie zum Studieren in einen anderen Staat gezogen. Und um schneller voranzukommen, hatte sie beschlossen, sich in diesem Semester in doppelt so viele Kurse einzuschreiben.
Josie hatte ihre Tochter nicht aufgehalten. Aber Josies eigenes, einst extrem betriebsames Leben war von einem Tag auf den anderen extrem leer geworden.
Sicher, in Florida hatte sie noch ihren Catering Service gehabt. Aber vor allem mochte Josie es, gebraucht zu werden.
Als sie gehört hatte, wie überfordert sich ihr Bruder und seine Frau mit den Zwillingen fühlten, hatte sie sofort angeboten, den frischgebackenen Eltern zu helfen. Schließlich wusste sie aus eigener Erfahrung, wie schwer es war, ein Baby großzuziehen und gleichzeitig seinen Job zu behalten.
In gewisser Weise fühlte sich das hier wie ein Déjà-vu an. Nur mit dem Unterschied, dass sie dieses Mal die Babys in den Armen halten durfte. Denn Josie selbst hatte damals weiterarbeiten müssen, und sie war auf die Hilfe verschiedener Freunde angewiesen gewesen, die abwechselnd auf Hannah aufpassten.
Eigentlich konnte sie nun nachholen, was sie damals so schmerzlich vermisst hatte. Bei ihrem Ehemann hatte sie sich nie beschwert, aber in Wahrheit wäre sie lieber eine Vollzeitmama gewesen als weiterhin arbeiten zu gehen.
„Du bist meine zweite Chance“, flüsterte sie Lilly zu.
Lillys Antwort bestand darin, dass ihr endlich die Augen zufielen.
Josie wiegte das Baby sanft weiter. Es war ein wundervolles Gefühl, etwas so Zartes in den Armen zu halten.
Deswegen blieb sie noch lange so sitzen, nachdem Lilly bereits fest eingeschlafen war.
Declan Hoyt hatte sich nie großartigen Fantasien hingegeben. Er wollte weder berühmt werden noch besonders reich. Alles, was er je wollte, war, ein erfolgreicher Pferdezüchter zu sein. Davon hatte er schon seit frühester Kindheit geträumt. Und eigentlich hatte er nie geglaubt, dass das zu viel verlangt war.
Aber dann musste er lernen, dass selbst ein einfacher Plan schiefgehen konnte. Oder eine seltsame Eigendynamik entwickeln, die die Dinge am Ende doch kompliziert machte.
Jedenfalls hatte er bald festgestellt, dass man als kleiner Pferdezüchter kaum genug verdiente, um davon leben zu können. Also hatte er damit begonnen, Pensionspferde in seinem Stall aufzunehmen. Und als das immer noch nicht ausreichte, um die Rechnungen zu bezahlen, hatte er angefangen, Reitstunden zu geben.
Declan war ein bescheidener Mann. Womöglich hätte sein Einkommen nun ausgereicht, um sich selbst, Haus und Hof über Wasser zu halten, doch dann hatte das Schicksal zum ersten Mal zugeschlagen. Vor einem Jahr war sein Vater unerwartet verstorben. Seine Mutter Ruth war damit nur schwer zurechtgekommen. Die Trauer hatte sie völlig überwältigt, und Declan hatte beschlossen, sie zu sich in sein Haus zu holen.
Ab diesem Zeitpunkt hatte sie sich wieder in der Gewalt. Es war, als würde sie langsam aus diesem endlosen Meer der Trauer und Einsamkeit auftauchen. Um ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, und auch, um von Nutzen zu sein, hatte sie angefangen, für Declan zu kochen und den Hausputz zu übernehmen.
Nach und nach hatten sich beide an die neue Lebenssituation gewöhnt.
Und dann hatte das Schicksal ein zweites Mal zugeschlagen.
Dieses Mal in Form von Declans jüngerer Schwester.
Um es vorsichtig auszudrücken, war Peggy noch nie besonders emotional ausgeglichen gewesen. Unglücklicherweise hatte sie dann auch noch einen Mann geheiratet, der ebenfalls mehr als instabil war.
Die Situation war eskaliert, als Peggy damit begonnen hatte, ihre Depressionen und Angstzustände eigenmächtig zu behandeln – mit einem wilden Mix aus Tabletten und Alkohol.
Zwei Jahre und ein Baby später hatte Peggys Mann die Nase voll, sowohl von ihrem Trinken als auch von ihrem Tablettenmissbrauch. Er hatte sich aus dem Staub gemacht.
Leider hatte das Peggy erst recht aus der Bahn geworfen.
Ihre Familie hatte Hilfe angeboten, aber Peggy hatte sich weiterhin mit Alkohol und Drogen betäubt.
Hin und wieder hatte es Phasen gegeben, in denen sie sich besser im Griff hatte. Dann hatte sie geschworen, eine bessere Mutter zu sein und sich zusammenzunehmen. Mehrere Male hatte sie sich selbst in eine Entzugsklinik eingewiesen, und während dieser Zeit war die kleine Shannon bei ihren Großeltern geblieben.
Solange Declans Vater noch am Leben war, hatte das funktioniert.
Aber nun hatten sich die Dinge geändert. Ruth musste den Tod ihres Mannes verarbeiten. Sie war nicht mehr die Jüngste. Und Shannon war kein kleines Mädchen mehr, sondern ein vierzehn Jahre alter, ziemlich verzweifelter Teenager.
Und da Ruth nicht länger ein eigenes Zuhause hatte, sondern bei Declan wohnte, zog nun auch noch Shannon zu ihm ins Farmhaus.
Von einem Tag auf den anderen verwandelte sich Declans einfaches, geordnetes und arbeitsreiches Leben in ein unglaubliches Durcheinander.
Zwischen Hofarbeit, Zucht und Reitstunden versuchte er sich um seine Mutter und einen missgelaunten Teenager zu kümmern.
Keine leichte Aufgabe. Nicht einmal für einen achtunddreißigjährigen, gestandenen Cowboy mit einer Größe von einem Meter neunzig.
Es war ihm nicht leichtgefallen, Shannon bei sich aufzunehmen. Doch seine Mutter hatte darauf bestanden. Und sie hatte ihm verraten, dass Peggy vor der Wahl stand, für neunzig Tage in eine Entzugsklinik zu gehen – oder ins Gefängnis.
„Wenn wir Shannon nicht bei uns aufnehmen, muss sie ins Heim“, hatte Ruth mit einem Schauern gesagt. Ihr war anzusehen gewesen, dass es ihr das Herz brach, sich ihre Enkelin in einem staatlichen Heim vorzustellen. „Das willst du doch nicht, oder?“
„Nein“, hatte Declan schließlich eingeräumt. „Natürlich nicht.“
Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er seine Nichte durchbringen sollte. Weder emotional noch finanziell. Doch diese Sorgen behielt er lieber für sich. Seine Mutter hatte im vergangenen Jahr genug durchgemacht.
Und irgendwie würde er einen Weg finden.
Schon wenige Tage später begann Declan seine Entscheidung zu bereuen.
Wie sich herausstellte, war Shannon mehr als nur der typische, missgelaunte Teenager. Sie war ein echter Quälgeist.
„Was stimmt denn bloß nicht mit deinem Internet?“, fragte sie herausfordernd, als sie am Morgen das Wohnzimmer betrat. Sie sah ihn nicht einmal an. Ihr Blick war starr auf das Handydisplay gerichtet, und ihre Finger hämmerten ungeduldig darauf ein.
„Ich wünsche dir auch einen guten Morgen“, erwiderte Declan finster. Doch Shannon bemerkte es nicht einmal. „Das Internet ist hier ziemlich eigenwillig“, bemerkte er düster. „Du weißt ja, was das ist, oder?“
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, kannte sich Declan nicht besonders gut aus mit dem Internet. Er bezahlte jemanden in der Stadt, der ihm eine schlichte Website für die Pferdezucht gestaltete und unterhielt. Aber eigentlich hatte er sich fest vorgenommen, das irgendwann selbst zu übernehmen.
Shannon hob die Brauen. „Eigenwillig“, wiederholte sie. „Heißt das, ich muss erst all diese hohlen Aufgaben erledigen, die du mir gegeben hast?“ Damit meinte sie die Liste, die Declan ihr gestern Abend in die Hand gedrückt hatte.
„Nein, das heißt es nicht.“ Declan versuchte, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Seltsamerweise brachte Shannon ihn sogar noch schneller auf die Palme als Peggy in ihrem Alter.
Aber er hatte sich fest vorgenommen, sich nicht reizen zu lassen. Eine Woche lang hatte er nun schon Shannons miese Laune ertragen. Jetzt reichte es. Der Teenager brauchte eine Aufgabe. Dieses ewige Herumsitzen und Aufs-Handy-Starren tat ihr nicht gut.
„Wir wohnen zusammen. Jeder hat hier seine Pflichten“, erklärte er.
Shannon reckte trotzig das Kinn, sodass ihr rotes Haar über die Schultern fiel. „Vielleicht mag ich keine Pflichten.“
„Du magst Essen, oder?“, fragte Declan spitz.
„Jaa?“, bemerkte Shannon vorsichtig, als handele es sich um eine Fangfrage.
„Gut. Dann erledige deine Aufgaben. Und zwar bis ich wieder zu Hause bin“, sagte er schlicht.
Shannon sah ihn herausfordernd an. „Aber …“
„Ich verhandele nicht mit dir“, unterbrach Declan sie. Dann wandte er sich an seine Mutter. „Bis später, Mom.“ Er beugte sich zu der zunehmend gebrechlich wirkenden Frau und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Sei nicht so streng mit ihr“, flüsterte Ruth in sein Ohr.
„Aber genau das ist doch das Problem“, erwiderte er leise. „Bei ihrer Mutter durfte sie tun und lassen, was sie wollte. Peggy war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen Sorgen zu ertränken. Aber jetzt ist Schluss damit. Shannon muss lernen, Verantwortung zu übernehmen. Sie soll sehen, dass man mehr aus seinem Leben machen kann.“
„Schon“, bemerkte Ruth zögernd. „Aber nicht alles an einem Tag, Schatz.“
Doch Declan sah das anders. „Besser heute als morgen.“
Er nahm seine Baseballkappe vom Haken neben der Tür und verließ das Haus.
Es machte ihn definitiv nicht glücklich, die Rolle eines strengen Vorbilds zu übernehmen. Aber wer sollte es sonst tun? Shannon sollte auf keinen Fall dem schlechten Beispiel ihrer Mutter folgen. Das Mädchen brauchte eine sinnvolle Aufgabe. Etwas, das sie mehr erfüllte, als den ganzen Tag herumzuhängen. Auch wenn sie das im Augenblick noch nicht wahrhaben wollte.
Mit finsterer Miene stapfte er auf seinen zehn Jahre alten Jeep zu.
Seiner Meinung nach hätten seine Eltern der aufmüpfigen Shannon längst etwas Respekt beibringen sollen. Aber das hatten sie nicht.
Für Peggy war es vielleicht zu spät, aber er würde nicht zulassen, dass Shannon auch noch vom Weg abkam. Auch wenn sie ihn für seine Strenge gerade nicht mochte, am Ende würde sie einsehen, dass er nur ihr Bestes wollte.
Zumindest hoffte er das.
Doch zunächst musste er sich um seine eigene Arbeit kümmern.
Heute erwartete er eine neue Reitschülerin. Zu allem Überfluss auch noch eine blutige Anfängerin. Wahrscheinlich hatte sie sehr überzogene, romantische Vorstellungen vom Reiten. Seufzend lenkte er den Jeep in Richtung der Ställe. Er konnte nur hoffen, dass sie zumindest anständig angezogen war. Und ihm nicht die Ohren abquatschte.
Um wen es sich bei seiner neuen Reitschülerin handelte, wusste er nicht. Der Name hatte ihm nichts gesagt. Außerdem hatte sie nicht selbst angerufen, sondern ihre Schwägerin. Die Reitstunden waren ein Geschenk, offensichtlich als kleines Dankeschön.
Und Declan musste sich jetzt mit diesem Greenhorn herumschlagen.
Andererseits spielte das gar keine Rolle, solange die Reitstunden bezahlt wurden.
Declan stieg aus dem Jeep, betrat den Stall und überlegte einen Moment, welches Pferd er für die Anfängerin wählen sollte. Er entschied sich für Marigold, eine sanfte, ausgeglichene Stute, die jedes Kind reiten könnte.
Er sattelte die Stute rasch und holte dann seinen eigenen Hengst. Midnight war ein schwarzes, starkes Tier mit einem ausgeprägten Charakter. Außer Declan duldete er niemandem auf seinem Rücken.
Vor vier Jahren hatte Declan eigenhändig geholfen, den Hengst zur Welt zu bringen, und später hatte er selbst sein Training übernommen. Seither war Midnight sein ganzer Stolz. Declan hätte sich kein besseres Pferd wünschen können.
„Na komm, Junge“, sagte er zum Hengst. „Heute müssen wir uns ein bisschen zusammennehmen. Wir haben es mit einer blutigen Anfängerin zu tun. Also nicht ungeduldig werden“, ermahnte er das Tier sanft.
Der Hengst scharrte mit dem Vorderhuf. Ganz so, als würde er die Worte verstehen und seine Zustimmung kundtun. Manchmal hatte Declan das Gefühl, dass er bei den Tieren mehr Verständnis fand als bei den Menschen. Definitiv fiel es Declan an vielen Tagen leichter, mit seinen Pferden umzugehen.
Er führte Midnight und Marigold in den nächstgelegenen Paddock.
Hoffentlich würde die neue Schülerin nicht unablässig reden. Er hatte weder Interesse an ihr noch an ihrer Lebensgeschichte.
Seine Mutter redete mitunter auch eine Menge. Und sie brauchte jemanden zum Zuhören. Sein Vater hatte das Talent gehabt, einfach all das auszublenden, was er nicht hören wollte. Aber diese Gabe hatte Declan leider nicht geerbt, dachte er mit einem leisen Lächeln.
Und nun gab es da auch noch Shannon. Zwei weitere Stimmen, die zu dem unablässigen Lärm in seinem Kopf beitrugen, der ohnehin schon gefüllt war mit Sorgen, Erinnerungen und To-do-Listen.
Er vermisste die Tage, die er einfach stundenlang auf dem Pferderücken verbracht hatte, um seine Herde zu beaufsichtigen.
Plötzlich hielt er abrupt inne.
Am gegenüberliegenden Zaun des Paddocks stand eine Frau.
Als ihre Blicke sich begegneten, wirkte sie für einen winzigen Moment ein wenig unbehaglich. Ihre Augen waren leuchtend blau wie der Himmel.
Declan ertappte sich dabei, wie er von diesen Augen gefangen genommen wurde.
Seiner Erfahrung nach waren erwachsene Reitanfänger meistens matronenhafte, wenig sportliche Frauen in teuren Designer-Jeans und einem Shirt, das mindestens eine Größe zu klein war.
Aber diese Frau war nicht so gekleidet, als wollte sie jemanden beeindrucken. Sie trug legere Kleidung und hatte das lange, blonde Haar zu einem losen Knoten zusammengesteckt, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten und um ihr Gesicht fielen.
Declan verkniff sich ein Grinsen. Das letzte, was er gebraucht hätte, war eine weitere Primadonna, die sich gerne bewundern ließ. Überhaupt konnte er mit eitlen Menschen wenig anfangen. Für Eitelkeiten hatte er weder die Zeit noch die Geduld.
Zugegeben: Diese Frau war ziemlich attraktiv. Nicht, dass es für Declan eine Rolle gespielt hätte.
„Sind Sie Declan Hoyt?“, fragte Josie den großen, breitschultrigen und muskulösen Mann, der sie schweigend und unverwandt ansah.
„Ja.“ Offensichtlich war er nicht gewillt, mehr zu sagen.
„Ich bin Josie Whitaker. Ich glaube, meine Schwägerin hat sich bei Ihnen wegen Reitstunden gemeldet.“
„Hat sie“, bemerkte er knapp.
„Es ist ein … verfrühtes Geburtstagsgeschenk“, fühlte sich Josie bemüßigt hinzuzufügen. „Von ihr und meinem Bruder.“
„Aha.“
Schön. Dieser Mann würde ihr gewiss nicht mit seiner Redseligkeit auf die Nerven gehen.
„Nun, da bin ich“, sagte sie betont fröhlich. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob dieser wortkarge Cowboy überhaupt vorhatte, ihr Reitstunden zu geben.
„Das sehe ich“, entgegnete er.
Eine unangenehme Stille folgte. Josie überlegte verzweifelt, wie sie die Pause beenden sollte. Sie kam vorsichtig näher und richtete ihren Blick auf den schwarzen Hengst. „Du bist aber eine Schönheit“, sagte sie und streckte die Hand aus, um seine Nase zu berühren.
„Midnight ist mein Pferd“, sagte Declan und zog den Hengst am Halfter zurück.
Verwirrt sah sie ihn an. „Ich hatte nicht vor, ihn Ihnen wegzunehmen“, erklärte sie. „Ich wollte ihn nur streicheln.“ Sie sah wieder den Hengst an. „Dagegen hast du doch nichts, oder, Junge?“ Mit diesen Worten hob sie langsam die Hand und gab Midnight die Gelegenheit, daran zu schnuppern, bevor sie ihn berührte.
Declan wollte sie gerade zurechtweisen und erklären, dass dieser Hengst nur auf ihn trainiert war, als ihm auffiel, dass Midnight sich nicht im Geringsten gestört fühlte. Im Gegenteil: Diese Frau, die laut ihrer Schwägerin angeblich überhaupt keine Erfahrung mit Pferden hatte, schien eine beruhigende Wirkung auf den Hengst zu haben.
Midnight wandte den Kopf und mustertes sie von der Seite, als ob er nicht genau wüsste, was er mit ihr anfangen sollte.
Damit sind wir schon zwei, Junge, dachte Declan im Stillen.
„Hier. Marigold ist Ihre Stute“, sagte er und hielt der Frau die Zügel hin.
„Hallo Marigold“, sagte sie und lächelte. „Schön, dich kennenzulernen.“
Sie war wirklich komisch, dachte Declan. Aber zumindest benahm sie sich nicht herrisch oder eingebildet. Es hätte noch schlimmer kommen können.
„Haben Sie schon einmal auf einem Pferd gesessen?“, wollte er jetzt wissen, obwohl er die Antwort erahnte.
„Zählt auch ein Karussellpferd?“, fragte sie mit einem freundlichen Lächeln.
Wer in aller Welt würde ein Holzpferd als Reittier bezeichnen? „Nein“, erwiderte er unbarmherzig.
„Dann nicht.“ Ihr Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. „Heute ist mein erstes Mal.“