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Die 1852 in Hamburg geborene Schriftstellerin Ilse Frapan, eigentlich Ilse Lévien, war Zeit ihres Leben eine eifrige Novellenschreiberin, von denen sie immer wieder einige in Sammelbänden veröffentlichte - unter anderem auch in dem 1891 erstmals erschienenen "Bittersüß", das von ihrer Münchner Zeit geprächt ist. Die enthaltenen Novellen "Frauenliebe", "Monika" und "Klärchen's Frühlingsfahrt" wurden insofern überarbeitet, dass die wichtigsten Begriffe und Worte der heute aktuellen Rechtschreibung entsprechen.
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Seitenzahl: 237
Veröffentlichungsjahr: 2021
Bittersüß
ILSE FRAPAN
Bittersüß, I. Frapan
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849661403
Der Originaltext dieses Werkes, der so überarbeitet wurde, dass die wichtigsten Wörter und Begriffe der aktuellen Rechtschreibung entsprechen, entstammt dem Deutschen Textarchiv DTA (Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891>, abgerufen am 19.11.2021). Das zur Erstellung dieses Buches verwendete Dokument steht unter einer Lizenz CC-BY-SA 4.0. Gleiches gilt für den überarbeiteten Text des vorliegenden Werkes. Näheres zur Lizenz und den Möglichkeiten einer Weiterverwendung finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de.
www.jazzybee-verlag.de
Frauenliebe.1
Monika.83
Klärchen's Frühlingsfahrt.104
Es lag noch Schnee auf den schwerer zugänglichen Plätzen, in den Winkeln, welche die Sperrketten und Prellsteine vor den Seiten der Kirchen und der Museen bilden, aber der Schnee war staubig und mürb, und auf den Sperrketten saßen die kleinen Mädchen und hatten beim Schaukeln die Winterjacken ausgezogen. In der Mitte der Straße floss das Schneewasser wie ein Bächlein bergab und rauschte ordentlich, und um die leeren Baumkronen lag ein verheißungsvoller Schein, wie der Schatten künftiger Belaubung.
Ein junger Mann, ein schlanker, hübscher Mensch mit einer Mappe unter dem Arm, schlenderte die Straße hinab, mit jener wohligen Lässigkeit, die uns so gern im Frühling überfällt, und streifte mit träumerischen Augen die sonnenbeschienenen Häuser mit den halboffenen Fenstern, dann wieder die Amseln auf den Bäumen, die es mit Hüpfen und Flöten höchst eifrig hatten, endlich die schaukelnden Mädchen auf den Sperrketten, die nicht minder als jene kicherten und lärmten.
Endlich wandte er sein ganz in Freude getauchtes Gesicht zu einer der Kleinen nieder und fragte nach einem Hause und einem Namen, die er hier in der Adalbertstraße zu suchen gekommen. Die kleine Münchnerin verstand nicht sogleich, denn er kam aus dem Norden, war erst am vorigen Abend in der schönen Isarstadt angekommen, und das Kind lachte verlegen, statt zu antworten. Ein größeres Mädchen trat dienstfertig herzu und gab ihm die gewünschte Auskunft.
"Die Frau Brückner wohnt da, aber 's wird Alles besetzt sein; sie hat sieben Zimmerherren, lauter Maler und Studenten."
"Du weißt ja gut Bescheid," sagte er lächelnd, "ist sonst kein Zimmer in der Nähe zu vermieten?"
"Es gibt schon, wenn der Herr mitgehen will," sagte die Kleine geschmeichelt.
Sie führte ihn in ein Haus, das bescheiden und schmucklos mit seinen kleinen karierten Scheiben zwischen den neuen hohen erkerreichen Gebäuden stand. Unten war eine geringe Wirtschaft.
"Über eine Stiege, da wohnt meine Bas', die hat Platz."
Eine muntere Bürgersfrau begrüßte die Ankömmlinge, aus der Küche tretend, die wie eine appetitlich duftende Nebelhöhle aussah. Sie riss sich die nasse Schürze ab und schleuderte sie hinter sich; dann ging sie mit einladendem Rückwärtsblicken den etwas dunklen Gang hinab und öffnete die letzte Tür. Mit einem gewissen Stolz wies sie ihm das hochgetürmte Bett mit dem bunten Zitzüberwurf, den breiten blau und weißen Kachelofen, das Haartuchsofa neben dem Fenster und den verhängten Rahmen in der Ecke, der statt eines Kleiderschranks diente.
"Und a Stiefelknecht kommt au no doher; schaug'ns, 's is a Fräulen dogewesen, die hat koa braucht, — und a Kerzen; und dös Waschschüsserl, was do herein g'hört, is in der Kuchel; 's Fräulen hat a eigenes gehabt, wissens; Emerenz, bring' doch g'schwind 'm seligen Herrn Panther sein Waschschüsserl her, dass der Herre siecht, dass alles in der Ordnung is."
Der junge Mann war ans Fenster getreten und hatte eine der Scheiben geöffnet, die bei jedem Schritt auf dem schwächlichen Fußboden und bei jedem Wagengerassel draußen surrend erzitterten. Ein voller Strahl der Märzsonne kam herein und dem Fremden in die Augen, dass er sie blinzelnd wegdrehen musste.
Dieser warme Gruß überzeugte ihn vollends, dass er's hier sehr gut getroffen habe, und über der Waschschüssel, die Emerenz wie ein Opfergefäß zwischen sie beide hielt, ward er mit der Wirtin einig. Er gab ihr seine Karte, von der sie ihm seinen Namen "Alfred Heuvels, Bildhauer," stotternd vorlas, und die dienstfertige Emerenz schickte ihm ihren Bruder, den Buben heraus, dass er für seinen Handkoffer doch keinen Fiaker zu nehmen brauche.
Sonderbar angeheimelt, obgleich ihm doch hier Alles fremd war, und berauscht von dem immerwährenden Bewusstsein: das ist nun München, nach dem ich mich so gesehnt habe, sah sich Alfred bald wieder in der prächtigen Bahnhofshalle und las mit lächelnden Blicken die Aufschriften an den großen Tafeln: "Nach Starnberg;" "nach Salzburg;" "nach Innsbruck," — Da geh ich überall hin, sagte er sich heimlich, und es schien ihm, als lache Italien ganz nahe zu ihm herüber, und er dürfe nur die Hand ausstrecken und sich hineinschwingen. Freilich einstweilen noch nicht, — erst wollte er hierbleiben, genießen, sehen, lernen, arbeiten. Aber er fühlte, dass er das Sehen am nötigsten habe.
Vielleicht öffnete ihm ein bedeutender Künstler sein Atelier. Ihm klopfte das Herz vor Freude und Bangen, wenn er an seine eigenen geringen Entwürfe und an die überschwängliche Fülle des Schönen dachte, die ihn hier erwartete. Eine dankbare Regung überkam ihn gegen den unfreundlichen, geizigen Onkel, der ihm nun doch in seinem Testament dreitausend Taler vermacht hatte. Solch einen Schatz in der Tasche, und dazu fünfundzwanzig Jahre, Gesundheit, leichtes Herz und Augen, die nach Schönheit dürsteten und weit offen waren für die Lieblichkeit der Welt — er genoss sein Glück mit gerührter Seele. Übermut war ihm fremd.
Er war hart auferzogen worden, hatte früh ums Brot arbeiten müssen, seinem Vater, der Steinmetz und schwach auf der Brust war, früh beispringen müssen. Und wenn der Vater ein Grabkreuz zu meißeln bekam, da war allemal Jemand gestorben, den der kleine Alfred auch gekannt hatte, und zugleich mit der Freude über den Auftrag kam eine weinende Nachbarin in die Tür, und der Kleine sah lieber frohe Gesichter. So ging ihm der Ernst des Lebens frühzeitig auf. — Nun lebten die Eltern wohlversorgt bei seiner älteren Schwester, die einen vermögenden Holzhändler geheiratet hatte, und ihm war durch das Vermächtnis des Onkels der heißeste Lebenswunsch erfüllt. Was hatte er denn bis jetzt gelernt? Er war der beste Schüler gewesen in der Gewerbeschule, zu der er zwei Stunden weit täglich hatte marschieren müssen. Pah, eine Gewerbeschule, die 's ja schon durch ihren Namen ansagt, dass sie nichts mit der Kunst zu schaffen habe. Danach freilich hatte er bei einem tüchtigen Bildhauer in Hamburg arbeiten dürfen, fünf Jahre lang. Aber hatte nicht auch dieser wackere Lehrer ihm vertraut, er sei "dort oben" wie im Exil und könnte gar nimmer fortmachen, wenn er nicht so oft als tunlich im künstlerischen Süden neue Anregung und Erfrischung hole? Und wie hatte ihm die teilnehmende Freude vom Gesicht geleuchtet, als ihm Alfred den Glückszufall mit der Erbschaft erzählt.
"Gut, gut, da machen Sie geschwind, dass Sie fortkommen, es ist hohe Zeit für Sie. Dreitausend Taler? Das muss für acht, für zehn Jahre reichen, wenn Sie solid bleiben. Und nur nicht gleich heiraten! dann ist's verspielt," hatte er seufzend hinzugefügt. Und als der Schüler kopfschüttelnd gelacht: "Ja, jetzt hat's Lachen keinen Wert, lachen Sie, wann Sie verliebt sind! Eh glaub' ich's nicht. Ein Hitzkopf sind Sie auch." Und dann noch einmal beim Abschied: "Also Briefe, Berichte willkommen, aber — Verlobungsanzeig' verbitt' ich, vor Ihrem fünfzigsten Geburtstag."
Warum kamen ihm diese ganz überflüssigen Worte jetzt wieder in den Sinn, während er sie beim Anhören nicht groß beachtet hatte? War es nicht vielleicht schon ein Gefühl der Einsamkeit in all dem neuen Glück, die Empfindung: hätt' ich nur Jemand, dem ich's sagen dürfte, wie schön das alles hier ist? Er ertappte sich darauf, dass er einem jungen, eifrig plaudernden Paare mit langem Halse nachsah und errötete, denn er hatte an die Stelle des jungen Mannes, der so lebhaft auf das Mädchen an seinem Arm einredete, sich selbst gesetzt In der Beschämung darüber machte er auf einmal so weite Schritte wie um sich selbst zu entlaufen, dass der kleine Kofferträger kläglich zu schnaufen begann und sein Gepäck zuletzt ratlos und zornig auf den Boden stellte. Nun kam ihm der Gutmütige schnell zu Hilfe. Er griff selbst nach dem schwersten Stück, ja drückte dem Buben gar die schmierige Mütze, die ihm entfallen war, wieder auf die schwarzen Haare und scherzte so freundlich mit ihm, dass der breite Mund sich noch breiter zog, und die schiefen gelben Zähne hervorbleckten wie bei einem Teckel, den man streichelt. Es war ein garstiger Junge, aber heut' sollte keiner ein klägliches oder böses Gesicht machen seinetwegen. Er gab ihm ein so reiches Geldgeschenk, dass der kleine Träger ohne Dank davonrannte und gleich mit einer Hand "voll Münz" zurückkam; er hatte wechseln lassen, weil er nicht geglaubt, das Alles sei für ihn. Als er es zuletzt begriff, schoss ein warmer dankbarer Hundeblick aus seinen kleinen Augen; der war von Stund' an dem Fremden zugetan, das fühlten sie alle Beide.
Sobald er sich's etwas behaglich gemacht, schloss Alfred seinen Koffer auf, um an die Eltern zu schreiben.
Vielleicht war das ein Weg, sich die Brust zu erleichtern. Doch hatte er kaum die Feder angesetzt, als ihm einfiel, weder Vater noch Mutter würden recht begreifen, was er eigentlich meine, und so schrieb er nur eine flüchtige Karte, die meldete, dass er wohl angekommen sei. Er begann einen Brief an die Schwester; wie er sich aber vorstellte, dass grade sie am wenigsten Verständnis für seine Lust hinaus gehabt, wie sie ihm eifrig zugeredet, des Vaters "schönes Geschäft" zu übernehmen und die Schwester ihres Mannes zu heiraten, die wohlhabend und kaum zwei Jahre älter war als er, kamen ihm seine eignen Zeilen lächerlich vor, und er zerriss den Bogen mit einem drückenden Gefühl der Fremdheit gegen die erste Freundin und Gespielin seiner Kinderjahre. Nein, er wollte seinem Lehrer schreiben, dem guten Bildhauer, dem er Alles verdankte! Schreiben! Doch was? Hatte er denn schon etwas gesehen? Alles, was er sagen gewollt, zerfloss in Nebel, wenn er des humoristischen Graukopfs gedachte, wenn er sich des fatalen Lippenzuckens erinnerte, mit dem der solch' einen "blauen Dunst" von seinem ältesten Schüler aufnehmen würde. Nicht doch, dem schrieb man ernste Briefe, inhaltreiche Briefe über Studium und Arbeit.
Alfred legte sein Schreibgerät in die Schieblade zurück in eigentümlicher Enttäuschung. Dass er hier fremd sein musste, war natürlich, aber dass er in der Heimat im Grunde ebenso allein stand, war ihm nie so zum Bewusstsein gekommen. Aus dem Nebenzimmer drang der kratzende Ton einer Feder, die eilig und unermüdlich übers Papier glitt. Durch die breite Spalte der Tür sah er im Vorübergehen einen gesenkten dunklen Kopf und heiße Wangen. "Der schreibt gewiss an seinen Schatz," flog es ihm durch den Sinn.
Er nahm Rock und Hut und ging ins Gärtnertheater. Man gab ein oberbayrisches Volksstück, rührselig und derb komisch, aber er nahm es ohne Kritik hin und erfreute sich an dem echten Spiel, an Gestalten und Trachten und an der Mundart, obwohl er sie nur halb verstand. "Da geh ich auch überall hin," wiederholte er sich, wie am Mittag.
Er hätte auch gern geplaudert in den Zwischenakten, wie die Leute rechts und links um ihn. Seine Nachbarin war ein blühendes Mädchen mit muntern Augen, aber sie blickte immer nach der andern Seite. Da entfiel ihr der Theaterzettel. Alfred war hinterdrein, als sei es ein Kleinod, und erfasste ihn im Fluge. Aber sie nahm ihn gar nicht, dankte nur obenhin: "Ich brauch' ihn nimmer," und sprach wieder mit ihrem Begleiter. Wenn man ihm bei seiner Abreise in Hamburg gesagt hätte: "Du meinst wohl, in München stehe schon Alles auf den Zehen und warte, bis Du kommst?" so wäre er sicherlich beleidigt gewesen, dass man ihn für einen solchen Hans Narren halte, und doch war er ein bisschen enttäuscht, jetzt, dass man ihn so gar nicht nötig hatte und er die Andern, ach, so sehr.
Als er nach dem frühzeitigen Schluss des Spiels fröstelnd durch die raue Nacht heimging, zauderte er mehr als einmal vor einem hellen Fenster. Kann ich nicht hinein gehen zu denen, die da vertraut beisammen sitzen? Bitten, gönnt mir euer Wort, euer Licht und eure Herdflamme; ich bin auch ein Mensch und komme weit her und freue mich so, dass ich da bin? — Kopfschüttelnd schritt er weiter, solche Einfälle führt man nicht aus. Er hätte vielleicht in einem der zahlreichen Cafés oder Bierkeller noch gute Gesellschaft gefunden, aber war nicht gewohnt, ins Wirtshaus zu gehen. Das hatte in Hamburg wenig Verlockendes, außer, wenn man hungrig war, — von dem andern Lebenszuschnitt hier wusste er noch nicht recht.
In seinem Zimmer flackerte ein bescheidenes Feuerchen, der große weißblaue Ofen fühlte sich noch kühl an. Er entzündete das Licht, löschte es aber bald wieder, denn das dünne trübselige Flämmchen reichte nur eben hin, den warmen Ofenschein zu verjagen, nicht aber das Gemach zu erhellen. Wie er noch so brütend dasaß, drang aus der Nähe irgendwo, aber doch wie gedämpft durch die Nacht, eine reiche volle Stimme herein, die ein sanftes einfaches Lied sang.
Er horchte, verstand aber nur hie und da eine Zeile von Rosenzeit und Herzeleid und dann am Schluss ein langes, sehnsüchtiges "vergessen, vergessen". Was aber kümmerten ihn die Worte. Ein bestrickender Wohllaut lag in der Stimme, und der zarte seelenvolle Ausdruck griff ihm ans Herz. Ein Nixengesang, aber keiner, der unselig macht, einer der fromm macht und weich, aber auch das Heimweh weckt nach einer schöneren Welt, wo die Türen aufgetan sind und die Herzen keine Mauern kennen, wo die Menschen Brüder sind und mit den Sternen und den Blumen und allen Kreaturen um die Wette die Herrlichkeit des Daseins preisen. Der junge Träumer sah die Sängerin sitzen; sie trug einen Schilfkranz in den langen nassen Locken und eine Harfe im Arm, wie die Lorelei in der Hamburger Kunsthalle. Der Arme hatte sonst noch keine Nixe gesehen. Aber er meinte doch, etwas runder sei sie vorzustellen, als jenes Bildwerk, und gar die "Taille" würde er nimmermehr so schmächtig formen wie bei der Lorelei. Nun klang es wieder, aber wie anders, wie voll herzlichem Weinen: "Draußen vor der Pforte steht ein Leiermann," und gar weiter das: "Wunderlicher Alter, lass mich mit Dir gehen", dass ein Schmerzensschauer den einsamen Hörer überrieselte, als blicke er in alles stumme Leid und Elend der Menschheit. Nun war es keine Nixe mehr, die sang, nun trug sie Flügel und die Schale der Erquickung in den Händen; und sie war schön wie — nein, ihr glich keine der griechischen Göttinnen an trostverheißender Milde, an sinnender Güte! Auf ihrem Sockel stand — er sah es deutlich — "Ich bin das Mitleid." Ach, wenn er das bilden, das hinstellen könnte, wie er es sah! Sie stand ihm ja so klar, so greifbar nah vor Augen. Er wünschte nur, dass es erst morgen sei, um gleich anzufangen. Alle Einsamkeit war verschwunden, war belebt von bildreichen Träumen, über denen sich seine Wangen röteten, sein Herz hoffnungsvoll klopfte.
Da verstummte die Sängerin. Ihm war, als werde seiner Gestaltenwelt plötzlich das Licht entzogen. Es leuchtete wohl noch hie und da eine fließende Falte, ein schön gebogener Arm, aber das Ganze war seinen Blicken verhüllt. Eine unbeschreibliche Sehnsucht nach den verklungenen Tönen überkam ihn. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Aber nun waltete über dem Hause nächtliche Stille, oder — was man so nennt — das Zusammenhallen all der leisen Geräusche, die der Tag übertäubt.
Ohne das Licht zu entzünden, legte er sich in das hochgetürmte Bett und träumte mit geschlossenen Augen weiter, bis an den hellen Morgen.
Er hörte, wie sein Zimmernachbar sich herumwarf und brummte, der da habe ihn aufgeweckt.
Das beschämte ihn, denn er war voll Rücksicht, und ganz geräuschlos kleidete er sich an, um nicht noch weiter zu stören. Während er für den Tag Pläne entwarf, miaute es draußen zart und leise, auch ein bescheidenes Kratzen ließ sich vernehmen. Er öffnete, und herein spazierte ein graues Kätzchen von zierlichem Körperbau, sah sich mit einiger Verwunderung, wie es schien, im Zimmer um, und sprang dann auf das Bett, wo es sich behaglich in die noch warmen Kissen duckte. Alfred hatte seine Freude an dem niedlichen Gast, der hier so ganz wie zu Hause tat, sich willig streicheln ließ und gleich zu schnurren begann unter solchen Liebkosungen. "Woher kommst Du?" fragte er munter, "und was willst Du bei mir?" Aber das Kätzchen antwortete nur mit einem vielsagenden Zwinkern, legte sich auf den Rücken und reckte die Pfötchen mit den rosenroten Fußballen, als wolle es sagen: Da gefällt mir's. Er hatte in seinem freundlichen Gemüte schon beschlossen, das Waisenkind zu adoptieren, als die Wirtin mit dem Kaffeebrett hereintrat und sogleich ausrief: "Nein, Du bist amol a Naseweis! In dem Herrn sein Bett drin! Gelt, da ist's gut warm? Da möcht ich auch lieber liegen, als in aller Herrgottsfrüh an' Brunnen springen, weil die Wasserleitung wieder amol zugefroren is über Nacht. 's nimmt koa End' mit dem Winter, ich sag's ja."
Sie setzte das Frühstück nieder und hielt dem Kätzchen den Arm hin.
"Da hupf 'nauf, dass Dein Fräulein koa Angst kriegt; die Emerenz trägt Dich 'nüber."
"Ach, das Tierchen hat schon einen Herrn?" sagte Alfred.
"A guts, guts Fräulein; und singt sogar arg schön! Sie werden's auch noch hören. Sie hot ja in dem Stüberl do g'wohnt und wär' noch heut' do, aber schaug'ns, do is die Wirtschaft do herein, drunten, do hat's ihr nimmer passt. Jetzt das Peterl, das Lumperl verlauft sich als, weil's noch den Geschmack von der Wohnung in sein' Nos hot."
Nun hätte Alfred das Kätzchen doppelt gern geliebkost, aber die Frau hatte es mitgenommen. Er sah sich in dem bescheidenen Raum um, — früher also war die herrliche Stimme hier erklungen. War es nicht süß, nun danach ihr zu hausen? Hätte er doch nur die Frau ein bisschen ausgefragt! Aber es war ihm fast lieber so. Was hätte ihm die erzählen können? Ein gutes, gutes Fräulein, hatte sie gesagt? Ja, das war sie gewiss! Was brauchte er eigentlich noch von ihr zu wissen? Wusste er doch, dass ihm ihre Stimme wunderbar gefiel, und dass ihre ganze Person ihm wunderbar gefallen werde, wenn er sie einst erblicke. Sein Herz begann zu schlagen bei dem Gedanken an diesen künftigen Augenblick. Dann aber fragte er sich als der gewissenhafte Junge, der er war, ob er nicht seinem Lehrer Wort halten und solch eine verführerische Bekanntschaft von vornherein meiden solle; und er erkundigte sich nicht weiter, obwohl er beim Hinausgehen noch einen "Ständerling" mit der Wirtin hatte über allerlei notwendige und unverfängliche Dinge.
Mit dem gehobenen Bewusstsein, das der kleinste über sich selbst errungene Sieg verleiht, begab er sich auf seine erste Studienfahrt in die Glyptothek.
Wie aber ward dem Neuling hier! Wie ging seine Freude in bloßes Staunen, sein Staunen in Schrecken, sein Erschrecken in völlige Zerschmetterung über. Hier, ach, hier hatte erst recht Niemand auf ihn gewartet, — war nicht längst Alles versammelt und tausendmal schöner, als er es auch nur geträumt? Er stand wie betäubt vor dem barbarischen Faun, in Grauen und Entzückung vor der Medusa Rondanini. Wenn das hier Menschen gebildet hatten, Künstler, was war dann er? Er riss seine Karte aus der Tasche und zog einen dicken Bleistiftstrich durch das Wort "Bildhauer" unter seinem Namen, während es ihm heiß und stechend in die Augen stieg. — Seine Schwester hatte Recht gehabt: seines Vaters "schönes Geschäft", die Grabkreuze und abgebrochenen Säulen alle nach demselben Muster, das war das Richtige für ihn. Er musste sich Gewalt antun, um nicht zu schluchzen wie ein Knabe: "Alle gegen einen! Wenn Alle so gegen einen anstürmen!"
Gern wäre er fortgelaufen, aber doch hielt es ihn wieder wie mit Zangen. Die Erfahrung von gestern, dass man ihn so gar nicht nötig habe und er die Andern so sehr, so sehr, kam wieder, aber heut mit einer qualvollen Schärfe, die ihn ganz durchbeizte. So kam er nach Hause. Alles Verlangen nach Speise und Trank war von ihm gewichen. Er schleppte sich die Treppe hinauf und warf sich todmüde aufs Sofa. So tief war er getroffen, dass er wie ein körperlich Verwundeter vor Ermattung einschlief und fest und traumlos schlummerte stundenlang.
Mit der unklaren Empfindung eines großen Glücks, einer um ihn verbreiteten Wonne kam ihm die Besinnung zurück. Sie sang wieder. Heut schien es noch ferner als in der Nacht, es legte sich so vieles Tagesgeräusch dazwischen. Doch selbst aus solcher Weite klang es wunderbar beruhigend, wie der Ausdruck der tiefen Übereinstimmung unter der scheinbar so verschiedenen, so widerstrebenden Wesenwelt. Es war kein deutsches Lied, irgendein alter italienischer Hymnus. Ein leidenschaftliches Flehen und Werben um Gnade, ein stammelndes Geloben der Hingebung, ein sich Auflösen und Zerfließen in der Gottheit. Ach, wie sie schön war! Er sah sie wieder, sie trug die Züge der Gestalt, die sich das Mitleid nannte, aber sie stand nicht mehr aufrecht, sie hatte sich auf die Kniee geworfen, drückte mit beiden Händen ein Schwert gegen ihre Brust und flehte mit verzücktem Antlitz: "Gib mir die Schmerzen der Welt, aber lass mich in allen Schmerzen Dein sein, o Gott."
Mit einem langen, befreienden Atemzuge stand er auf. Was in seiner Vernichtung Neid und Missgunst gewesen, fiel von ihm ab. Eine heiße Dankbarkeit wallte in ihm empor. O, die teure, die fromme, die Engelsstimme! — Ja, er war nur ein Nichts, verglichen mit Jenen, die der Menschheit ewige Schätze geschenkt hatten. Aber hatte es nicht auch eine Zeit gegeben, wo sie noch nicht waren? Ein redliches Versuchen, ein unermüdetes Ringen war noch keine Anmaßung. Es war nur eine Frage an seine eigne Natur, und die musste doch erlaubt sein. Er fühlte sich so erhoben, als habe er schon gefragt und die Antwort laute: ja. Mit der ganzen Spannkraft seiner fünfundzwanzig Jahre schwang er sich den Hut auf den Kopf und stürmte hinaus. Er wollte — ja, vor allen Dingen wollte er zu Mittag essen, denn was er noch von Unbehaglichkeit spürte, würde wohl Hunger sein. Er vertiefte sich mit einer Gründlichkeit in seinen Suppenteller, über die er selbst gelacht hätte, wäre ihm nicht trotz der wiedergekehrten Frische höchst feierlich zu Mute gewesen. Seine heiligen Entschlüsse und sein gesunder Durst wirkten zusammen, so dass er heut mehr trank, als er gewohnt war. Voll Mut redete er einen älteren Herrn an, der ihm einen künstlerischen Anstrich zu haben schien, fragte ihn, wann die Glyptothek geöffnet sei, obgleich er's gut wusste, geriet in ein erträgliches Gespräch mit ihm über die Frage: Büste oder ganze Figur bei Denkmälern für Dichter und Gelehrte? und kam mit der unklaren, aber beseligenden Empfindung, dass es ihm sehr gut gehe, nach Hause. Aus dem Fenster gegenüber hörte er Klavierspiel; da wohnte sie gewiss. Wie, wenn er hinaufging, ihr dankte für Alles, was sie unwissentlich schon an ihm getan hatte? Ein toller Gedanke! So keck war er doch sonst nicht! Um aber die Tollheit nicht auszuführen, wie es ihn mächtig lockte, lief er geschwind in seine eigene Haustür und die Treppe hinauf.
Wieder wie gestern der einsame Feuerschein aus dem Kachelofen, das Licht auf dem Betttischchen. Aber halt, war das nicht ein sanftes Miauen? Er leuchtete umher. Richtig, auf dem Kopfkissen seines Bettes saß es schon wieder, grau und klein und reckte die Pfötchen wie zum Willkommen. Das war zu viel für seine Standhaftigkeit. Er konnte doch das arme Fräulein nicht in der Unruhe lassen! Sie musste es ja vermissen und hätte gewiss die Nacht nicht geschlafen, ohne den Liebling in Sicherheit zu wissen. Er riss das weiche Klümpchen von der Bettdecke, auf der es sich zierlich angehäkelt hatte, in seinen schützenden Arm und rannte ohne Besinnen den heute früh so gewissenhaft verschworenen Weg entlang quer über die Straße. Über den hellen Hausflur, die Treppe hinauf und noch eine Treppe leitete ihn die Stimme, Ach, warum sang sie auch gerade ein neckendes Liebeslied! Es klang:
An blühender Hecke im roten Kleid,
Habe Gott zum Gruß, Du zierliche Maid!
Du schaust so schelmisch und lächelst süß,
Wie heißt Du? Sprach sie: Bittersüß, Herr, Bittersüß.
Ei, rief ich lachend, die Bitterkeit,
Von solchen Lippen schafft wenig Leid.
Komm, grüße wieder, wie ich Dich grüß:
Möchte wohl! Sprach Bittersüß, Schön Bittersüß.
Nun stand er an der obersten Treppenstufe und suchte mit den Augen die Tür, aus der die Töne quollen. Das Kätzchen murrte leise, so drückte er es an sich. Horch, weiter:
Und dreimal hab ich sie heiß geküsst,
Und sie, sie hat es leiden gemüsst,
Rot war ihr Mieder, und weiß die Füß'. —
Wohl bekomm's! Sprach Bittersüß, Schön Bittersüß.
Eine heimliche Drohung, verführerischer als eine Zusage, lockte aus der Stimme der Singenden, dass es ihn überlief.
Doch wie ich weiter gewandert bin,
Da ward mir bange und krank zu Sinn;
"Wer weiß auch, ob ich Dich wieder grüß?"
Nimmermehr! Sprach Bittersüß, Ach Bittersüß.
O arge Maid! o täuschender Nam'!
O weh mir, dass ich des Weges kam!
Nun wird mir bitter, was erst so süß.
Wie es kommt! Sprach Bittersüß, Ach Bittersüß.
Das war wieder Nixengesang! Spottend hallte es hinter dem Verlockten drein:
Dein Unglück trage nur fein gemach.
Die Bitterkeit kommt zuvor oder nach.
Ein süßes Bitter, ein bitt'res Süß
Ist die Lieb! Sprach Bittersüß, Ach Bittersüß.
Das Lied verhallte so, mit einem Seufzer, und Alfred stand noch immer an derselben Stelle. "Ja — ja —" murmelte er vor sich hin, "aber nun hilft es doch nicht, nun muss ich doch hineingehen. Ich glaube, ich bin im Schlaf, ich glaube, mir träumt das nur so hier, — ich glaube, ich muss anklopfen, sonst werde ich verrückt, oder ich erwache, oder —
Er ging langsam die drei fehlenden Schritte und klopfte mit zitternden Fingern. "Herein!" sagte die volle weiche Alt-Stimme. Er griff nach seinem Hut, um ihn abzuziehen, aber er fand ihn nicht, er hatte ihn in der Hast vergessen. Wie er sich besann, ob er denn nicht lieber erst zurücklaufen, den Hut holen solle, ward das "Herein" wiederholt. Halb gegen seinen Willen öffnete er nun die Tür, seine Blicke flogen ihm voraus, doch ward er geblendet, weil er so lang im Halbdunkeln gestanden hatte, und sagte mit unsicherer Stimme in das Gemach hinein: "Ich bitte um Verzeihung, ich glaube, dieses Kätzchen —"
"Ach Peterl, Peterl, Du machst mir argen Kummer!" sagte die Dame, die da auf ihn zutrat und die Hände nach dem Tierchen ausstreckte. Es sprang auch gleich auf ihre Schulter und drückte sich zärtlich an ihren Kopf, das ungetreue Geschöpfchen. Alfreds Augen hatten sich inzwischen erholt und flogen suchend über die Stühle, die um den runden Tisch her standen. Sie waren aber leer, und ebenso alle Ecken, in die das Licht der über dem Tisch hängenden Lampe fiel. Leer war auch der Platz am Klavier; es war Niemand im Zimmer als die Dame, die jetzt freundlich sagte:
"Wollen Sie nicht sitzen? Daher?"
Das ist doch nun gewiss ein Traum, dachte er bei sich und erwiderte mit einem gewissen prüfenden Ton:
"Ich hörte hier Gesang und wollte nicht stören — "
"Ich habe gesungen wie immer am Abend und bin froh, wenn ich nicht Andere störe," war die einfache Antwort.
"Sie sind die Sängerin?" stotterte er und blickte mit der peinvollen Gewissheit, dass dies Alles ein böser Traum sei, der ihn aber doch herzlich quäle, in das grotesk-hässliche Gesicht vor ihm, über das unter seinem erschrockenen Anstarren ein leises wehmütiges Zucken ging. Sie wandte sich nun ab: "Haben Sie das Singen gern?"
"Ja — das heißt — nein," stammelte er wieder und sah angstvoll auf die große reizlose Gestalt, die knochigen Hände und das stumpfe chinesische Profil. Dabei dachte er fortwährend: Ich muss dem hier doch ein Ende machen, ich muss doch das Wort sagen, dass aus der hässlichen Haut die Nixe hervorspringt, die Huldin, die Göttin.
"So dank' ich Ihnen eben recht, dass Sie mir mein Peterl wiedergebracht haben und bitt' um Entschuldigung wegen der Belästigung," sagte die Sängerin ruhig, "und wenn die Musik Sie abends geniert, so kann ich zu andrer Zeit singen —"
"O nein — nicht doch — es war ja nur — weil — sein Sie mir nicht böse —"
"Weil Ihnen mein Gesicht nicht gefällt?" sagte sie leise, — "da sein Sie nur ruhig, mir gefällt's auch nicht; nein, ich bin nicht böse, es sind schon mehr an mir verschrocken. — Nicht dorthin, bitte, da geht's hinaus. Warten Sie, die Treppen möchten schon dunkel sein."
Sie nahm einen Leuchter vom Klavier und begleitete ihn hinaus. "Sie haben keinen Hut, Sie wohnen im Haus hier?" fragte sie. Als sie hörte, er habe ihn vergessen, bat sie ihn, mit umzukehren. "Es möcht' kalt sein, so über die Straß'; 's ist noch ein Hut da vom verstorbenen Bruder, warten Sie."
Er saß in Beklemmung und wagte kaum, sich in dem bücherreichen, behaglichen Zimmer umzusehen. Ach, diese schlichte, unbefangene Freundlichkeit überzeugte ihn, dass er leider nicht geträumt habe. Die süße Märchenstimme war körperlos, und die Bilder alle, die er geschaut, waren trügende Luftspiegelungen gewesen, die er nimmermehr würde festhalten können. Eine Art Erbitterung gegen die Sängerin ergriff ihn. Verlocken und dann enttäuschen! So enttäuschen! Und diese philisterhafte Erkältungsfurcht! Warum sollte er nicht ohne Hut nach Hause gehen? Er war schon im Begriff, fortzulaufen, als sie mit einem großen grauen Filzhut in der Hand eintrat.
"Nun kommen Sie, mein Mädchen ist schlafen gegangen, und die Haustür wird geschlossen sein."
Als sie die Treppen zusammen hinabgingen, schlug es halb zwölf; ein Zugwind blies das Licht aus. Ihr Kleid rauschte neben ihm auf der Stufe, und er fühlte ihre warme Nähe. Wieder ergriff es ihn wunderlich. Vielleicht war sie nachts wieder, was sie eigentlich war, flog es ihm durch den Kopf. Er tastete leise nach ihr, umfing sie plötzlich und küsste die Ahnungslose auf die Lippen. "Für all' die süßen Lieder," hauchte er, "leide es nur! Muss ich nicht auch all die Träume leiden?"
Sie hatte ihn schnell zurückgedrängt und das Licht wieder entzündet.
"Gehen Sie," sagte sie traurig, ohne die Augen zu erheben, "das war nicht recht, wir werden uns nicht wiedersehen." — Sie betonte die letzten Worte, so dass sie einem Befehl gleichkamen, reichte ihm auch nicht mehr die Hand, wie verlangend er die seine ausstreckte, sondern schloss hastig die Tür hinter ihm. Dann aber stand sie noch eine Weile, auf den Schritt horchend, der drüben verklang. Als sie hinaufging, fiel eine große Träne mitten in die Kerzenflamme hinein, dass sie ausknisterte und fast verlöscht wäre. Peterl stand an der halboffenen Stubentür. Sie nahm es und presste das runde Köpfchen an ihre nasse Wange, die langsam errötete.
"Du gutes dummes Tier, was hast auch angestellt," seufzte sie, "kannst denn gar nicht bei mir bleiben?" Sie wiederholte die Frage noch ein paarmal, während sie Bücher und Noten zusammenlegte und sich zum Schlafengehen anschickte. Draußen tobte der Frühlingssturm und riss an den Fenstern. —
Der Schlaf nimmt nicht immer das Bewusstsein; oft bleibt uns nach heftiger Gemütsbewegung die frohe oder trübe Empfindung alle Nachtstunden hindurch, und am Morgen bedarf es keines Besinnens — noch eh' die Augen offen sind, wissen wir, was uns freut oder fehlt, was gewonnen oder verloren ist. Alfred erwachte mit dem Gefühl, dass sein Tag öde, sein Leben von heut ab trübe und schwer sei, und er war so ungeübt in dieser Empfindung, dass sie ihn auch körperlich niederhielt. "Wenn es so hergeht, wenn nichts ist, was es scheint," seufzte er, "dann ist ja alle Freude Trug! Solch eine Stimme und — solch ein Gesicht! O, es muss ein Teufel dahinter stecken, dass man die Augen weiter auftut, als nötig ist, und nachher ist Alles hin."