Black Blood - Wes Moriarty - E-Book

Black Blood E-Book

Wes Moriarty

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Beschreibung

------------- Das Buch ------------- Black Blood - Dark Stories from Hell beinhaltet eine der blutigsten Anthologien unserer modernen Neuzeit, welche die spannungsgeladenen Elemente des Horror, Suspense, Slasher und Triller in atemberaubenden zehn Kurzgeschichten auslotet und seine Leser:innen an dessen persönliche Grenzen führt. Dabei kann jede Geschichte in sich abgeschlossen oder als Teil eines großem Ganzem verstanden werden. Fiebern Sie mit. Leben und Sterben Sie mit den Figuren und werden Zeuge von grausamen Schicksalen und Wendungen, welche Ihren Verstand an die Schwellen des Unvorstellbaren heranführen. Tauchen Sie ein, in das furchteinflößende Mindset von grausamen Mördern und verzweifelten Opfern, welche in einem tödlichen Katz- und Mausspiel erbarmungslos um ihr Überleben wetteifern. Denn eines ist klar, jeder muss irgendwann sterben. ------------- Season 1 ------------- Die Ereignisse einer einzigen Nacht fordern ihren blutigen Tribut. Eine Gruppe Unbekannter schließt online einen mörderischen Pakt, infolgedessen unschuldige Menschen einer Kleinstadt in ein perfides Spiel, geprägt von Gewalt und bestialischen Morden, hineingezogen werden. Ihre Motive sind dabei nicht weniger grausam. Denn in Anlehnung an längst vergangenen Verbrechen bekannter Serienkiller der jüngsten Kriminalgeschichte, lassen sie deren Taten und Gräueltaten neu aufleben. Jeder Einzelne darin bestrebt, das Werk des jeweils anderen übertreffen zu müssen und um seine eigene Geschichte zu erweitern. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht, ohne Rücksicht auf Verluste auf beiden Seiten.

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Moriarty-Self-Publishing

Weitere gesundheitliche und rechtliche Hinweise:

Die Inhalte dieses literarischen Werkes dienen weder der Glorifizierung, Befürwortung noch Motivation zur Verübung von physischen oder psychischen Gewalttaten, Diskriminierung, Diffamierung oder Diskreditierung gegenüber Lebewesen und/oder Objekten bzw. Institutionen. Sowohl die Darstellung der Handlungen, Standorte als auch die darin agierenden Personen sind rein fiktiv. Etwaige Bezüge oder Parallelen zu noch lebenden Personen wären somit rein zufällig. Sofern Sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung oder vergleichbaren Erkrankung leiden sollten, empfehlen wir zugunsten keiner Gefährdung Ihrer psychischen Gesundheit vom Lesen oder Hören dieses Werkes abzusehen. Sollten Sie während der Informationsaufnahme eine negative Verhaltensveränderung oder Beeinträchtigung Ihres Gesundheitszustandes erkennen, deren Ursprung Sie unmittelbar aus den Inhalten dieses Werkes ableiten, empfehlen wir ebenfalls von einer Fortführung des Konsums abzusehen und sich sofort um ärztliche Hilfe in Ihrer Region zu bemühen und diese in Anspruch zu nehmen. Leiten Sie bitte für sich oder andere keine Handlungsempfehlungen aus den Inhalten dieses Werkes ab.

Inhalte und Ausprägung:

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Werkspezifische Anmerkungen und Appell:

Dieses Buch nimmt an gewissen Stellen Bezug auf reale Verbrechen der jüngeren Kriminalgeschichte. Diese Ereignisse stellen verächtliche Taten gegenüber verstorbenen und noch lebenden Opfern sowie das Werteverständnis für das Leben an sich dar. Es besteht keine Absicht, sich an diesem Leid zu bereichern oder diese mittels dieser künstlerischen Aufbereitung zu verhöhnen.

Inhaltsverzeichnis

SERIES

Widmung

Zum Buch

Zum Autor

The Profile

The Clown

The Injured

The Pact

The Blind

The Insane

The Sign

The Page

The Name

The Family

Abschied

Abschluss & Werbung

Widmung

Ich widme dieses Buch jenen Menschen, die an mich und meine Arbeit geglaubt und in meinen Bestrebungen unterstützt haben

Ein besonderer Dank gilt meiner/meinen

Frau, Kindern & Familie

Freund:innen & Kolleg:innen

Mitwirkenden & Korrekturlesern

Und natürlich möchte ich erneut den interessierten Leser:innen danken. Sie machen dies alles erst möglich.

Vielen Dank und gute Unterhaltung wünscht

Zum Buch

„Black Blood – Dark Stories from Hell“ beinhaltet eine der blutigsten Anthologien unserer modernen Neuzeit, welche die spannungsgeladenen Elemente des Horror, Suspense, Slasher und Triller in atemberaubenden zehn Kurzgeschichten auslotet und seine Leser an dessen persönliche Grenzen führt. Dabei kann jede Geschichte in sich abgeschlossen oder als Teil eines großem Ganzem verstanden werden. Fiebern Sie mit. Leben und Sterben Sie mit den Figuren und werden Zeuge von grausamen Schicksalen und Wendungen, welche Ihren Verstand an die Schwellen des Unvorstellbaren heranführen. Tauchen Sie ein, in das furchteinflößende Mindset von grausamen Mördern und verzweifelten Opfern, welche in einem tödlichen Katz- und Mausspiel erbarmungslos um ihr Überleben wetteifern. Denn eines ist klar, jeder muss irgendwann sterben.

SERIES 1

Die Ereignisse einer einzigen Nacht fordern ihren blutigen Tribut. Eine Gruppe Unbekannter schließt online einen mörderischen Pakt, infolgedessen unschuldige Menschen einer Kleinstadt in ein perfides Spiel, geprägt von Gewalt und bestialischen Morden, hineingezogen werden. Ihre Motive sind dabei nicht weniger grausam. Denn in Anlehnung an längst vergangenen Verbrechen bekannter Serienkiller der jüngsten Kriminalgeschichte, lassen sie deren Taten und Gräueltaten neu aufleben. Jeder Einzelne darin bestrebt, das Werk des jeweils anderen übertreffen zu müssen und um seine eigene Geschichte zu erweitern. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht, ohne Rücksicht auf Verluste auf beiden Seiten.

Zum Autor

Wes Moriarty, 1984 in Remagen, Deutschland, geboren, schloss 2015 seine akademische Laufbahn als M.Sc. an der University of Applied Science in Koblenz ab und veröffentlicht seit 2006 verschiedene Kurzfilm- und Literaturprojekte. Seinem Debüt-Roman „Natural Instincts“ (2014) folgten die Werke „Four Letters“ (2017) und „Evil Jokes“ (2019) in den internationalen Buchhandel.

»Ich sehe „Black Blood“ primär als meine persönliche Ideensammlung aus vergangenen Tagen an. Ich hatte immer wieder Ausschau gehalten, nach spannenden, großangelegten Geschichten, die sich als neues, eigenständiges Buchprojekt eignen würden. Irgendwann musste ich allerdings erkennen, dass es zu viele verrückte Ideen geworden sind und ich diese niemals alle als separate Werke realisieren könne. Genügend Zeit zu haben ist elementar beim Schreiben. Als ich allerdings vereinzelte Elemente meiner Notizen durchblätterte, erkannte ich möglicherweise das Potential einzelner Kurzgeschichten, die es einem erlauben, verschiedene Handlungen schnell und in sich selbst vollständig abzuschließen und dennoch auch Teil etwas Größerem zu sein. Voilà: Black Blood.«

Wes Moriarty, Autor

The Profile

Lindsay Drive 01:11 Uhr

Der Alkohol macht es nicht leichter, aber erträglicher. Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verschwimmen. Denk nicht an einen Elefanten! Konzentrier dich! Was siehst du? Erinnere dich an die erlernten Memotechniken. Auch nicht, wenn sie dir sagen, du sollst dir ein großes, graues Tier mit riesigen Ohren und Rüssel vorstellen. Schwierig. Konzentrier dich! Noch ein Schluck, dann geht es vielleicht. Denk nicht an einen Elefanten! Es war damals die Einstiegsaufgabe im persönlichen Einstellungstest, du Idiot. Vor dem Gremium im großen Hörsaal. Du musst dich erinnern! Irgendwann später folgten weitere, unscheinbar nebensächliche Fragen. Ob man schon einmal gelogen hätte oder ob man jemals manipuliert wurde. Sie meinten so richtig, ohne, dass man es überhaupt gemerkt hat. Dass jemand Fremdes einem gegen seinen Willen fremde Ziele aufgezwungen hat und es einem selbst eventuell erst im Nachgang auffiel. So wie der Alkohol. Scheiße, ich spüre kaum noch meinen Rachen. Lautete die überzeugte Antwort des Anwärters damals „nein“ hieß es seitens des Gremiums sofort Kofferpacken. Das wirkte damals hart, doch heute ergibt es durchaus Sinn. Wir dachten, das FBI suche nur die Besten der Besten. Vorbilder ohne Schwächen. Ich habe Schwächen. Und das war auch damals so. Natürlich werden wir ständig manipuliert. Jeder von uns ist täglich Opfer oder Täter solcher kleinen Spielereien. Die meisten sind allerdings harmlos. Doch viele wollen es nur nicht zugeben, fühlen sich überlegen oder empfinden Scham darüber, dass man sie soeben bei einer Lüge ertappt hat. Für eben diese Menschen gab es beim FBI natürlich keinen Platz. Perfekt ist keiner von uns. Am wenigsten ich selbst.

Was sie uns beibrachten war, dass es darauf ankommt, nach welchem Motiv gehandelt wird und welche Konsequenzen sich daraus für uns und andere ergeben. Der graue Elefant diente nur als Gefäß und Metapher für weitaus komplexere Gedankenspiele. Denk nicht an einen Elefanten! Und stell dir dabei auch nicht vor, wie das friedliebende Jungtier daneben gerade von einem Rudel aggressiver Löwen angegriffen wird. Wie sich deren scharfe Krallen in dessen rissige Hautfalten bohren, ihre Zähne blutgetränkte Fleischstücke brutal aus dessen Leib herausausreißen, das wimmernde Wesen erlegen und damit beginnen es zu verspeisen. Alles während seine Mutter hilflos danebensteht. Was sehe ich also, wenn ich die Augen schließe? Die Version einer Wahrheit, vor dem der Rest der Welt gerne die Augen verschließt oder wegsieht. Man muss es ertragen können, möchte man es verstehen.

Die Flasche ist leer. Genauso wie mein Kopf. Doch das „Was“ rückt vor dem größeren Rätsel des „Warum“ mehr und mehr in den Hintergrund. Unsere Gedanken formen einen bestimmten Typen, einen Charakter und sind ausschlaggebend für jede unserer alltäglichen Handlungen unseres Lebens. Manchmal reicht nur ein einziger Moment oder eine Entscheidung die ganze Welt ins Wanken zu bringen. Gestern waren wir noch dieser und morgen irgendwer anders. Alles in den Tiefen unseres Verstandes begründet. Sich gegenseitig bedingende Größen in einem zueinanderstehenden, komplementären Verhältnis. Zumindest glauben das die meisten Menschen, weil es so beinahe in jedem Lehrbuch steht. Größen, die den Löwen von dem Elefanten, neben ihrer Erscheinungsform, grundsätzlich voneinander unterscheiden. Man kann nicht beides sein. Es verursacht nämlich kognitive Dissonanzen, wenn jemand ein Wesen in einem Atemzug zugleich als sanftmütig wie auch aggressiv beschreiben würde. Genauso ist es für uns unvereinbar als dumm und gleichzeitig intelligent bezeichnet zu werden. Dabei beweisen wir uns beinahe jeden Tag selbst das Gegenteil. Die Welt um uns herum ist ein einziger Widerspruch. Wir beurteilen zum Beispiel Menschen nach ihrem Auftreten, dem Tonfall ihrer Stimme und ihren offenkundigen Handlungen. Dinge, die ein Interaktionspartner aktiv beeinflussen kann, um uns zu einem beliebigen Zeitpunkt X seine Version einer Persönlichkeit und Wahrheit zu präsentieren. Ein intelligenter Mensch spielt mit diesen Elementen, was sie nicht mehr oder weniger gefährlich zu dummen Menschen macht. Der eine kalkuliert seine Optionen, der andere nimmt es wie es kommt. Aber nicht jeder Mensch verfolgt deswegen gleich böse Absichten. Zumindest nicht die meisten. Die Kopfschmerzen machen mich fertig. Vielleicht ist noch eine Flasche von gestern unter dem Schreibtisch.

Es liegt in unserer Natur uns täglich selbst und gegenseitig zu belügen, damit unsere Schwächen nicht die Oberhand über unsere Handlungen erlangen. Was sich wirklich hinter unserer Fassade verbirgt, dass bekommen nur die Wenigstens zu sehen. Nicht einmal die engsten Vertrauten. Im schlimmsten Fall nur diejenigen, die darüber nicht mehr berichten können. Ich habe es gesehen. Dinge, für die es keine Definition oder richtige Worte gab. So viele Male. Sie waren der Grund, warum ich irgendwann vergaß, wie ein Elefant aussehen müsste und ich, selbst bei der bloßen Erwähnung des Wortes, seither ständig nur noch das Bild eines Löwen in meinem Kopf hatte. Ich wurde blind und weigerte mich irgendwann zu akzeptieren, dass der komplexe Verstand eines Organismus, wie der des Menschen, mit Hilfe hochtrabender Worte auf ein paar wenige Seiten reduziert und beschrieben werden kann.

Handlungen von Menschen, die ihrer Gattung gegenüber überdrüssig wurden. Also jagten wir sie wie Tiere durch Straßen, Wälder und Flüsse. Vertrieben sie aus ihren Kellern, Häusern oder wo auch immer sie gerade ein Revier für sich beanspruchten. Uns war jedes Mittel recht, um ihnen auch nur einen winzigen Schritt voraus sein zu können. Für manche reichte es, um sie für Jahrzehnte wegzusperren. Nicht Wenige erlegten wir einfach wie tollwütige Hunde. Bestien, das waren sie allesamt. Bestien. Manche glauben heute, wir seien Hellseher, Zauberer oder nur bessere Seelenklempner. Zurückzuführen sind dieser Irrglaube und Mythos auf die vielen schlechten Filme, Serien und das Internet, die unseren Berufsstand in Verruf gebracht haben. Vor 16 Jahren war das alles noch anders. Da gab es dieses morbide Interesse außerhalb von Ermittlungsbehörden nicht. Damals zählte nur das Ergebnis, die Unversehrtheit eines Menschenleben zu Zeiten, als diese Monster zahlreich wie Unkraut aus dem Boden sprießten. Immer mit dem Fokus auf den Modus Operandi und ihre Signatur. Ich habe es geliebt, so wie sie es vermutlich getan haben. Das Spiel auf Zeit. Das Rätseln. Die Jagd. Der Gedanke an einen Elefanten. Einfach alles. Die Sauferei kam erst später, aber früh genug.

Meine nächtlichen Kontrollgänge beschränken sich heute nur noch auf wenige Quadratmeter und noch weniger Zimmer. Immer wenn ich nicht schlafen kann gehe ich im Haus auf und ab, vergewissere mich, dass die Fenster und Türen verschlossen sind. Seit meinem Ausstieg aus Quantico ist es zu einer fest eingefahrenen Routine für mich geworden. Die Schlaflosigkeit, nicht die Sparziergänge. Und das Saufen natürlich. 16 Jahre ist es nun her, seit ich auf den Deal einging. Ich zum Erstaunen meiner Kollegen meine Jagd einstellen musste, um so vermutlich mehr Leben retten zu können, die ich einst vor Gott und Vaterland schwor zu beschützen. Jedenfalls tröste ich mich damit. Der Ehe tat dieser Schritt nicht gut. Früher war ich ein Löwe, der nun in seinem Gehege festsaß, langsam ermüdete und nach und nach einging. Seit der Geburt meiner Kinder erwartet meine Frau von mir, dass ich im Garten mit ihnen Ball spiele. Ich, der in genau diesem Garten einst den berüchtigten Townsend-Würger mit zwei Kopfschüssen niederstreckte, seine Eier und sein Gehirn auf den Petunien verteilte, weil irgend so ein Streifen-Cop einen Liebesbrief dieses Idioten an mich persönlich überstellen musste. Dummes Arschloch. Ich kam damit klar, meine Frau ärgerte es um die Blumen. Wir zogen natürlich nicht weg, weil es das Haus ihrer Mutter ist. Ein Heiligtum und Schrein zu ihrem Gedenken. Ich klammere mich nicht an materielle Dinge. Nein. Meine Gedanken kreisen dennoch, wie ihre, um die Vergangenheit und all die unerledigten Dinge. Sie lassen einfach nicht los von mir. Dabei versprach ich, nie wieder zurückzublicken. Aber das geht nicht. Ich bereue den damaligen Schritt mit jedem einzelnen Tag und ihre Gesichter an der Wand erinnern mich jedes Mal erneut an ihn. Den einen, der zu einer Obsession wurde. Jede Nacht betrete ich das Zimmer im Keller immer erst mit verschlossenen Augen. Damit ihre Gesichter mir nicht ins Gewissen reden, bevor ich versoffenes Stück Elend die Fallakten nicht alle nochmals durchgesehen habe. Ich mich vergewissert habe, dass ich nichts übersehen habe und mir damals einfach keine andere Wahl blieb, als alle Zelte abzubrechen und so das Spiel endlich enden zu lassen. Oft blicke ich hinauf über meinen Schreibtisch. Dort, wo die alte Axt aus einem vergangenen Fall an zwei wackeligen Nägeln hängt. Sie erinnert mich daran, wie es für manch einen endete. Doch es endet nie. Das weiß ich heute.

»Komm endlich wieder ins Bett. Ich will nicht wieder den Qualm deiner Zigaretten im Haus riechen müssen. Du hast gesagt, du hättest endlich damit aufgehört.« Ich mag den Geruch. Er erinnert mich an unser Büro auf dem 57 Bureau Parkway, von wo aus wir immer runter auf „Stew’s Diner“ mit Looney-Stew als Ein-Mann-Armee blicken konnten. Der Laden hatte 24/7 geöffnet und wann immer ihn irgendwer betrat, Stew stand mit herauspurzelnder Plauze breit grinsend hinter der Theke. Keine Ahnung wie er das damals gemacht hat. Bei ihm war eine Falsche „Jack“ der Inbegriff einer erfüllenden Mahlzeit. Bei mir ist es Gin. Heute steht da ein Subway, glaubt man das? »Ich muss das Buch fertig schreiben, Sarah. Wir haben darüber gesprochen. Ich hätte damals mehr tun müssen und tat es nicht. Heute kann ich wenigstens dafür sorgen, dass man sich noch an sie erinnert. Es war ein Fehler zu glauben, ich könnte das alles einfach abschütteln. Sie verfolgen mich in meinen Träumen, Sarah. Die Opfer und dieser stumme Schatten, der über ihnen seine Hand ausstreckt und mich ansieht und auslacht.

Verstehst du das nicht? Er ist entkommen, weil ich es zugelassen habe.« »Du hast dich für uns entschieden. Tu bitte nicht so, als sei das nichts wert«, entgegnet sie mir, »…oder bereust du etwa deine Entscheidung von damals?« »Manchmal…«, hätte ich ihr am liebsten geantwortet. Es wäre wenigstens die Wahrheit gewesen. »Wenn ich dieses Buch nicht beende, dann… 16 Jahre, Sarah. Ich habe zu lange damit gewartet und nun stehe ich kurz davor, dass Zepter an jemand anderes weitergeben zu können. Irgendwer wird reagieren… die Dinge sehen und korrigieren, für die ich blind geworden bin.« Genauso wie für die sechs verpassten Anrufe im Telefon auf dem Schreibtisch. Sarah würde ausrasten, hätte ich auch nur einen von ihnen die letzten Wochen entgegengenommen. Auf dem Display steht viermal der Name Mendez. Direkt neben dem roten Blinklicht. Alle von heute Abend. Gott, wann hatte ich das letzte Mal seine Stimme gehört? »Wie wäre es, wenn du mal zur Abwechslung nach deinem Sohn oder deiner Tochter siehst, Franklin… oder gelegentlich auch mal nach mir.

Denn dafür bist du inzwischen auch blind geworden.« Gott, ich muss lernen, die Tür per Notverriegelung abzuschließen. Es ist 00:30 Uhr in der Nacht. Würden die Plagegeister nicht sowieso längst schlafen? »Nein, die Plagegeister schlafen nicht. Und das wüsstest du, wenn du etwas aufmerksamer wärst.« Verdammt. Ich hatte wieder in meinem Delirium etwas laut ausgesprochen, von dem ich annahm, ich hätte es nur gedacht. Dieser ständige Wechsel zwischen beiden Welten, die so nichts miteinander gemein haben, ist anstrengend.

Auf unserem Flur war es nachts still wie auf einem Friedhof. Dennoch war mir klar, dass hinter all den Außenwänden womöglich überall sonst, selbst zu dieser Stunde, noch der Bär steppte. Überall, nur nicht hier. Unsere Kleinstadt, zwischen Raccoon Falls und Wallaces Corner, nahe des Rappahannock River beherbergte zu guten Zeiten schätzungsweise 800 Seelen. Klein, aber fein, würde Sarah sagen. Doch je kleiner eine Gruppe aus Individuen ausgeprägt war desto mehr stachen die individuellen Eigenarten Einzelner heraus. Charlie durchlebte zum Beispiel gerade ausgiebig seine Black-Metal-Phase. Das wusste hier jeder. Sehr zum Bedauern seiner Mutter, die am anderen Ende des Flures noch immer sicherstellte, dass ich meinen Kontrollgang ja richtig absolvierte. Sie wusste nicht, dass ich mir für diese Nacht etwas mehr Mut als sonst angetrunken hatte. Gespräche mit echten Menschen fielen mir zunehmend schwerer. Also klopfte ich sanft an seine Tür, obwohl ich wusste, dass er es vermutlich ohnehin nicht hören würde. Und wie zu erwarten hockte er im Schneidersitz auf dem Bett, gebeugt über seinen Laptop und die Ohren hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt, zwischen seinem Headset verpackt. Denk nicht an einen Elefanten! Er ist voll und ganz auf den Monitor vor ihm fixiert. »Hey, Mr. C. Was siehst du dir da wieder hippes an?«, fragte ich gerade heraus und unterdrückte den Drang, laut aufzurülpsen. Mir fiel einfach nichts besseres ein. Vermutlich würde er mir als Antwort irgendein neumodisches Jugendwort entgegenwerfen, mit dem ich trotz zweier Doktortitel nichts anfangen könnte. »Wissenschaftliche Experimente.«, grummelte er desinteressiert. Oh nein, und seine Hände bewegten sich dabei auch noch so verdächtig auf und ab. »Hände sofort dahin, wo ich sie sehen kann, junger Mann!«, stieß es entsetzt aus mir heraus und riss auf der Suche nach Halt versehentlich die Tür etwas weiter auf. »Wenn deine Mutter das sieht, dann…« Er sah mich nur abwertend von unten herauf an und hob langsam ein Buch hoch, dass er womöglich vorher auf der Tastatur zum besseren Lesen abgelegt hatte. „Die Ethologien von Rudeltieren – Band 1“. Keine wirklich ansprechende Wichsvorlage. Seine Teenager-Zeit ist wohl eine gänzlich andere als jene zu meiner Zeit. »…dann, äh… wäre sie sicher ganz stolz auf dich«, versuchte ich die Situation scherzhaft zu retten. Natürlich zeigte er sich davon völlig unbeeindruckt. Er wartete überhaupt nur darauf, dass ich endlich auf den Punkt kommen würde. So, wie man es bei einem indischen Pornofilm erwartete. Das eine unangenehme Situation endlich ihr Ende findet. »…hast du wieder was getrunken, Dad?« Ich sah mich um, versuchte das Thema zu wechseln, auch wenn es gar kein Thema gab. Den Blick schweifen lassen. Vorbei an den dreckigen Schuhen, dem vollgestopften Rucksack und über die nasse Jacke hinweg. Das Regal mit den Büchern. In der Kriminologie ein wahrer Goldschatz für Profiler. Also versuchte ich es damit. Dem Offensichtlichsten. »…wie läuft es denn in der Schule?« Oh klasse. Damit werde ich garantiert Vater des Jahres. »Gut. Und wie kommst du mit deinem Buch voran?«, stellte er direkt als Gegenfrage und nahm die Kopfhörer ab, wodurch der Klang des alten Mayhem-Albums sich im ganzen Raum verteilte. »Bescheiden, wenn ich ehrlich bin. Ich finde irgendwie nicht die richtigen Worte für das Erlebte. Worte werden der Realität nicht immer wirklich gerecht, weißt du?! Mit ihnen klingt alles oft zu theoretisch.« Er schlug das Buch zu, legte es zur Seite und sah mich direkt an.

»…vielleicht machst du lieber einen Blog oder postest deine Ideen in einem Forum. Das Internet hört zu, wenn man mal in seinen Gedanken feststeckt. Vielleicht teilst du ein paar deiner Ideen mit anderen und schaust, was sich daraus entwickelt?« Ich fragte mich ernsthaft, wer von uns beiden zu diesem Zeitpunkt mehr intus hatte. Das wäre undenkbar. Unvollständige Indizien oder gar Beweismittel zu realen Fällen mit Amateuren zu teilen, die daraus krude Theorien entwickeln und am Ende ein Yeti als Täter überführt werden soll? Nein, danke. »Das klingt gut… nein, sehr gut sogar. Ich denke… ja… ich werde mal darüber nachdenken. Danke für den Tipp.« Man sah es direkt in seinen Augen. Die Enttäuschung darüber, dass ich seinen Rat wohl nicht wirklich ernst genug nahm. Kinder spüren ab einem gewissen Alter, wann man sie belog. Dabei war das Lügen einst eines meiner Kerngeschäfte in Gesprächen mit Serienmördern, Vergewaltigern und Geiselnehmern. Ich war einmal sehr, sehr gut darin, wenn es denn darum ging, dass gerade niemand verbrannt, zerstückelt oder aufgehangen wurde. Ich bin wohl etwas aus der Übung oder mein Unterbewusstsein erlaubt mir mehr Spielräume für Fehler. Ich weiß es nicht. Früher wäre mir das allerdings nicht passiert. »Gibt es sonst noch etwas?«, fragte Charlie bestimmt und mit deutlichem Hinweis darauf, dass ich von nun an wieder unerwünscht sei. Und ja, das gab es in der Tat. Meine geschulten Sinne waren scheinbar doch noch nicht alle eingerostet. Zwischen „Das Leben und ich“, „Räuber Rappelzahn“ und „Four Letters“ erkannte ich jenes Werk, dessen Buchrücken eindeutiger nicht sein konnte. »Das darf doch nicht wahr sein. Wie bist du darangekommen?« Ich ging schnurstracks auf das Regel zu und zog das Buch mit dem schwarz-roten Rücken heraus. Dieser kleine Mistkerl. »Es ist euch doch verboten, den Raum im Keller zu betreten! Wie bist du in mein Zimmer gekommen?«, fuhr ich ihn an. Charlie sprang sofort vom Bett auf und baute sich trotzig direkt vor mir auf. »So wie du in meins. Durch die offene Tür. Wir leben hier doch alle zusammen in einem Haus, oder? Und wir haben doch keine Geheimnisse voreinander.« Die Worte seiner Mutter. Sie muss ihn dazu inspiriert haben. »Dieses Buch dient nicht der Unterhaltung, Charlie. Es ist ein Beweismittel. Derjenige, der es geschrieben hat, ist ein eiskalter Mörder und Vergewaltiger, der noch immer auf freiem Fuß ist.

Alles in MEINEM Raum dient dazu, Bestien wie ihn dingfest zu machen. Verstehst du das? Wie soll ich einem Gericht erklären, wie die Fingerabdrücke eines 16jährigen, die meines Sohnes, darauf gelangt sind?« Er sah mich an, als hätte die Antwort offensichtlich sein müssen. »Wie wäre es, wenn du ihnen erstmal erklärst, warum es sich überhaupt in diesem Haus statt in einem Beweismittelraum einer Polizeistation befindet. Du bist kein Cop mehr, Dad. Und dieses Haus ist auch kein Polizeirevier. Es gibt auch keinen Fall mehr, den du lösen musst. Mom sagt, wir leben immer mehr wie Gefangene in diesem Haus. Ich habe mir also nur etwas aus unserer Gefängnisbücherei geliehen. Und einbrechen musste ich dafür auch nicht.« Mein Blick wollte sich einfach nicht von dem Cover losreißen. Der Hals wurde trocken wie die Steppe einer Wüste und in mir wuchs dieses Verlangen. Nach etwas, das den Schmerz betäuben würde, den ich in diesem Moment aufs Neue empfand.

Ich blätterte sofort durch die Seiten, um zu prüfen, dass die Notizen vollständig waren. »Ja, Dad. Keine Angst, es ist alles da wo es ein muss. Tu, was auch immer damit. Nur nicht das, was du vielleicht tun solltest. Willst du mir keine Ohrfeige geben? Oder mir Stubenarrest verpassen? Etwas, woran ich merken könnte, dass du überhaupt Interesse an mir als Sohn hast?« Erleichterung. Es ist alles da. Und keine der Seiten ist beschädigt. Die Notizen auf den Post-It scheinen auch alle komplett. Was hatte er gerade gesagt? Egal. Die Ansage für die Zukunft muss nun gehörig sitzen, damit sich das nicht wiederholen würde. »Der Raum ist tabu, junger Mann. Erwische ich einen von euch nochmal darin oder erfahre, dass ihr irgendwas dort herausgenommen habt, dann kracht es gehörig, verstanden? Ihr habt in dieser Welt nichts verloren. Und ich werde es nicht zulassen, wie sie euren Verstand vergiftet oder das Andenken ihrer Opfer beschmutzt wird. Ihr seid noch so jung. Das Leben hält weitaus Besseres als sowas für euch bereit. Hast du mich verstanden? Ich will es aus deinem Mund hören!« Ich klappte das Buch zu und presste es fest an mich. Er sah mich an, nickte nur enttäuscht mit dem Kopf und das reichte mir. Er konnte froh sein, dass es nur bei dieser sanften Standpauke blieb und dem Versprechen, dass ich ihm abverlangte. Doch da war noch etwas anderes. Irgendeine Stimme in mir versuchte mir noch etwas zu sagen. Irgendwas fehlte. Hoffentlich nur nichts aus diesem Buch.

Natürlich blieb Sarah das Anheben meiner Stimme nicht verborgen. Als ich mich nach einem letzten Drink im Schlafzimmer zu ihr ins Bett legte, brauchte sie keine zwei Sekunden für das Verhör. »Worüber haben Charlie und du nun wieder gestritten, Franklin?« »Mit diesem Buch werde ich es endlich schaffen, Sarah. Das spüre ich.« Daran bestand kein Zweifel. Nicht für ihn. Nicht für mich. »Der Streit, Frank!?« Ich sah hinüber zum Nachttisch, wo mich der Buchrücken neben den Haustürschlüsseln ein weiteres Mal anlächelte. »Es ging um ihn«, antwortete ich leise. »Um Charlie!?«

»Nein. Um ihn und die vielen anderen, denen ich damals den Rücken gekehrt habe. Charlie hat zufällig ein Buch aus dem Zimmer entwendet und es gelesen. Es heißt „The Page“. Ich habe seinen Autor über viele Jahre gejagt, konnte ihm allerdings nie die sadistischen Morde an all den Frauen nachweisen. Dabei kennen wir seinen Namen, sein Schema, das Motiv und wo er sich jetzt, in diesem Moment, aufhält. Aber all das zu wissen ist einfach nicht genug. Es nur zu wissen zählt in dieser Welt nicht mehr. Du musst es beweisen, damit es zu einer Verurteilung kommen kann. Und wir haben es weiß Gott versucht, Sarah. Dinge getan, auf die ich heute nicht stolz bin und die in meinen Notizen in diesem Buch festgehalten sind. Notizen, die Charlie womöglich gelesen hat, sie aber hoffentlich nicht richtig einzuordnen weiß. Ich will nicht, dass meine Kinder schlecht von mir denken, Sarah. Ich will sie nicht mit einer Welt konfrontieren, aus der sie vielleicht keinen Weg zurückfinden.« »Die Kinder lieben dich, Frank! Du musst nur langsam lernen, ihnen zu zeigen, wie sehr auch du sie liebst. Sie vermissen dich und Charlie steckt ohnehin in einem sehr komplizierten Alter gerade. Er braucht etwas mehr Aufmerksamkeit. Besonders die von seinem Vater…« Etwas mehr Aufmerksamkeit. Noch so eine Trivialität, der ich nichts abgewinnen kann. Ich bin tagtäglich zu Hause.

Sie sehen mich 24 Stunden, sieben Tage die Woche, wann immer sie wollen. Wann ist etwas mehr irgendwann genug? Wann hätte ich ihrer Ansicht nach den Status „Familienvater des Jahres“ eventuell annähernd erreicht oder gar verdient? Die ehrliche Antwort lautet: Niemals. Egal was ich tun würde. Es ist nie genug. Es wird immer ein nächstes Mal geben. Die eigenen oder fremdbestimmten Erwartungen müssen immer erfüllt werden. Ich musste insgeheim lachen. Nur auf dieser Grundlage basierend war es uns damals überhaupt möglich, diese Bestien zu fassen. In dem Wissen, dass sie niemals aufhören konnten, auch wenn sie es wollten. Getrieben von ihren Gedanken, ihren perversen Vorstellungen und Gelüsten. Wo das Spiel erst damit endete, dass jemand entweder eine Kugel durch den Kopf gejagt bekam oder wenigstens in einem engen Raum weggesperrt wurde und dort verrottete. Dort, wo die Stimmen ihnen nichts mehr anhaben konnten und die Außenwelt vor ihnen sicher war. Wenn ich es mir recht überlege, liegen meine beiden Welten gar nicht mehr so weit auseinander. Doch nur in einer von ihnen würde ich schlussendlich überleben können. »Gute Nacht, Schatz. Liebe dich…«

»Mama, da steht wieder dieser unheimliche Kerl unter meinem Fenster… der mit dem Bart und dem Kartoffelsack…« Es war wieder einer dieser Nächte. Sarah hatte sich längst an sie gewöhnt. Ich nicht. »Ich sagte dir doch, dass das Kinderbuch nichts für eine Fünfjährige ist. Ständig sieht sie diesen Mann. Heute bist du dran…« Selbst im Halbschlaf wusste Sarah, wie sie unmissverständliche Befehle erteilen konnte. Sie störte damit gerne das natürliche Raum-Streit-Gefüge. Also stieg ich völlig kaputt aus dem Bett und nahm unsere Prinzessin an die Hand. »Na dann komm… sehen wir nach, ob der schwarze Mann sich wirklich mit Daddy anlegen möchte…« Ich hob sie hoch, denn der Boden war wie immer zu eisig kalt für diese kleinen Füßchen. Sie verlor selbst mit fünf Jahren noch ständig ihre Socken beim Schlafen, was an für sich ein gutes Zeichen war. Denn gab es somit wenigstens eine Person in diesem Haus, die noch so etwas wie gesunden Schlaf fand. Ich stellte mich demonstrativ an das Doppelfenster ihres Zimmers und sah hinunter zur Straße mit den Mülltonnen davor.

Dort wo Obdachlose der naheliegenden Großstadt manchmal die Tonnen durchwühlten, auf der Suche nach etwas zu essen oder Verwertbarem. »Siehst du Kleines… Keiner da. Weit und breit kein Waschbär, Drache oder komischer Mann mit Bart. Vielleicht war es nur der Wind. Sieh mal, wie es da draußen stürmt und regnet. Da kann es auch mal laut werden.« »Aber der Mann war genau da. Er hat gewunken und ich dann auch. Und dann hat er mit dem Finger auf mich gezeigt und dann auf die Tonnen.« Erstaunlich, wie lebhaft die Fantasie eines Kinders sein konnte. Aber wer konnte es ihr in so einer Nacht verübeln. Sie musste fürchterliche Angst gehabt haben. Also nahm ich sie Huckepack, kitzelte sie noch etwas durch, ehe ich sie wieder zurück in ihr Bettchen hievte. »So, Prinzessin. Es ist nun wirklich Zeit zu schlafen. Mama und Papa sind auch schon gaaanz müde. Ich verspreche dir, dir passiert nichts. Das ist nur der blöde Wind oder vielleicht das verrückte Kitzelmonster, dass ab und zu an der Scheibe klopft, um dich so richtig durchzukitzeln. Aber das darf nur der Papi, verstanden? Alle Fenster und Türen sind zu. Es kann also nicht zu uns reinkommen. OK?« Sie lächelt so süß, dass ich mich jedes Mal am liebsten zu ihr statt zu Sarah legen möchte. Aber das Bett war schon einmal unter der Last meines Gewichtes zusammengebrochen. Das dürfte sich kein zweites Mal wiederholen. Sarah hätte mich ansonsten… Moment, was war das? Dieses krachende Geräusch. Als wäre ein Metallgegenstand gegen eine unserer Mülltonnen geschlagen worden. Oder hatte vor dem Haus etwa nur ein Blitz eingeschlagen?

»Siehst du Papa, da ist er wieder.« Ich strich ihr über den Kopf, sagte ihr, dass alles gut sei und bewegte mich sofort zurück zum Fenster hin. Und tatsächlich. Da war etwas. Normal kennt man das aus Horrorfilmen anders. Wenn da das erschrockene, potentielle Opfer nach einem Geräusch an das Fenster kommt, dann ist die Quelle des Aufruhrs urplötzlich verschwunden. Irgendwo in den Schatten oder hinter einem Baum. Das hätte mir tatsächlich besser gefallen, als das, was ich wirklich sehen sollte. Denn da stand tatsächlich dieser Mann. Mitten im strömenden Regen, in zerlumpten Kleidern, einem schmierigen Bart und einem Metallrohr in der Hand. Ein Penner, der direkt zu mir hinaufsah und teilnahmslos mit seiner Stange ein weiteres Mal auf die Tonnen einschlug. Und direkt neben ihm der abgenutzte Sack, so wie es unsere Tochter korrekt beschrieben hatte. »OK, Kleines… du bleibst bitte genau da, wo du bist! Papa geht kurz runter und schaut mal, was da so Geräusche macht. Und du stehst nicht auf, egal was passiert, verstanden?« Sie wusste was da so Geräusche machte. Aber ich wusste, welche Geräusche ich gleich machen würde. Ich schoss hinunter in den Kellerraum, dort wo die alte 45er im oberen Schubfach in einer Box eingeschlossen war. Doch warum war der Boden im Treppenaufgang plötzlich so nass? Überall dieser Matsch. Charlie. Ich hatte es ihm schon tausend Mal gesagt, das er das Haus nachts nicht zu verlassen hat. Dieser jugendliche Leichtsinn brachte uns jedes Mal alle in Teufels Küche. Wie oft vergas er den Alarm wieder einzuschalten oder die Hintertür abzusperren. Aber eins nach dem anderen. Bleib bei der Sache. Munition. Hoffentlich hatte ich noch genug Munition und hoffentlich war sie auch nach all den Jahren und dem Wasserschaden vergangenen Herbst überhaupt noch zu gebrauchen. Und wo waren die verfluchten Handschellen? Sicherlich nicht im Schlafzimmer.

Mein Schädel brummte. Am nächsten Morgen würde ich einen gehörigen Kater erwarten können. Ich lud die Waffe, wie ich es gelernt hatte. Ich stieß die Treppen hinauf, so wie wir es trainiert hatten. Ich öffnete die vordere Eingangstür, so wie ich es für richtig hielt. Mit der Waffe im Anschlag, trotz des nebulösen Dämmerzustand, der mich beschlich. Dennoch bereit für den großen Überraschungsmoment. Und das war er dann auch. Der berühmte Horrorfilm-Effekt. Die Person war natürlich verschwunden und keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Kein Rohr, kein Sack, nur das tosende Gewitter über meinem Kopf. Gott, wie ich Filme hasse. »OK, Arschloch… du hast dir die falsche Nacht und das falsche Haus ausgesucht, verstanden? Zeig dich und wir bringen das ganz schnell hinter uns!« Ich trat weiter in den Regen und sah mich um. Doch die Straße schien verlassen. Nur der pfeifende Wind und etwas Geäst verstreut am Boden. Dazu diese grellen Blitze, die sich in meine Gedanken einbrannten. »Wenn du mich hören kannst… Arschloch… dann rate ich dir, halt dich fern von mir, meiner Familie und diesem Haus! Ich fackele nicht lange und ich bin ein verflucht guter Schütze…« Ich war ein verflucht guter Schütze. Ob ich es noch bin, das hätten wir eventuell herausfinden können. Doch die Gelegenheit verstrich, als ich enttäuscht ins Haus zurückkehrte, die Tür wieder hinter mir schloss und brav die Alarmanlage reaktivierte. Völlig durchnässt und zitternd vor Kälte und dem pulsierenden Adrenalin in meinen Adern. Wie ich an mir hinuntersah, fragte ich mich erneut, ob das alte Ding in meiner Hand überhaupt noch hätte feuern können. Mit einem letzten Blick nach draußen wandte ich mich nachdenklich Richtung Küche zu. Dort wo die Treppen hinunter in mein Reich, dem Arbeitszimmer, führten. Der Raum, der nach dem Überfall des Townsend-Würgers als Panic Room eingerichtet worden war und nun verstaubten Akten und Bildern Schutz vor dem weiteren Verfall bot. Ich sah auf meinen Weg hinüber ständig nach oben. Sollte ich sie vielleicht doch lieber alle wecken und hierher in Sicherheit bringen bis der nächste Morgen anbrechen würde? Sah ich womöglich aufgrund meines Schlafmangels vielleicht nur das, was meine Tochter ständig in ihren Träumen heimsuchte? Einen Elefanten. Vielleicht wollte mein Verstand, dass da draußen jemand stand. Dass ich dem inneren Drang nach ein wenig realer Action endlich mal nachgeben würde. Und sei es nur das Vertreiben irgendeines Obdachlosen. Das alles war schließlich so lange her. Keiner dürfte ein ernsthaftes Interesse mehr an mir haben. Überhaupt noch wissen wer ich bin und einmal war. Diese Müdigkeit. Die dumpfen Kopfschmerzen und dieser Druck. Verdammt. Dieser Druck. Der ganze Boden ist pitschnass und rutschig. Sarah wird mich noch vor dem Frühstück umbringen. Die einzig echte, erkennbare Gefahr hier.

Ich nahm erstmal einen kräftigen Schluck aus der Pulle vom Küchentisch und entschied mich bereits dagegen als ich wieder torkelnd die Treppen hinabstieg. Im Haus war es zwar still, doch ich wusste, dass ein kleines Mädchen noch immer verängstigt auf ihrem Bettchen saß und darauf wartete, dass Papa ihr sagte, dass alles gut sei. Doch dafür musste zunächst die Waffe aus meiner Hand verschwinden und ein Pfefferminz den Gestank meines Atems überdecken. Als ich den Kellerraum mit viel Mühe endlich erreicht hatte, schritt ich schnurstracks auf das Regal mit der Box zu. Ich wusch mir den Regen aus dem Gesicht und stellte sicher, dass die Waffe trocken und gesichert ihren Platz zurückfinden würde. Doch irgendwas fühlte sich wieder komisch an. Irgendwas löste in mir das Verlagen aus, sie noch etwas länger in der Hand zu halten.

»Ich konnte dich von hier drinnen sehr gut hören, Frank.« Blitzartig drehte ich mich um und zielte mit der Waffe in Richtung meines Schreibtischs, der sich unmittelbar neben der Tür befand. Es war mir beim Betreten des Raumes und den bescheidenen Licht- und Schlafverhältnissen nicht direkt aufgefallen. Dieser Schatten. Ich hatte ihn und alles um ihn herum ohne die eingeschaltete Nachttischlampe einfach übersehen. »FUCK, was für eine abgedrehte Scheiße läuft den hier ab? Wer sind sie und wie kommen sie überhaupt hier rein?« Die Stimme, deren Quelle sich noch im Dunkeln verbarg, gab zunächst keinen weiteren Laut von sich. OK, ganz ruhig. Du hast gesoffen. Dein Umfeld analysieren und die Situation bewerten. Was siehst du? Konzentrier dich! Ist es vielleicht nur Sarah? Nein. Ein Mann im gehobenen Alter. Durchschnittliches Erscheinungsbild, Standard BMI und womöglich Rechtshänder. Ein Vollbart, der über einer ausgeprägten Kinnpartie ragt. Kleine leuchtende Augen, Farbe womöglich braun. Nein halt, blau. Man erkennt den leichten Versatz der Kontaktlinsen. Schlussfolgerung: Begegnung ist planmäßig vorbereitet worden und stellt somit keine spontane Handlung dar. Haltung auf dem Stuhl: Gerade Sitzposition, ruhige, übereinandergelegte Handflächen. Gepflegte Fingernägel und Zähne. Beide Beine stehen fest auf dem Boden. Kein Anzeichen von Nervosität oder Angstzuständen. Selbst mit der verfluchten Knarre direkt vor seiner Fresse. Schlussfolgerung: Person der höheren Mittelschicht mit hohem Bildungsgrad und narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Also alles andere als das, was er dem Rest der Welt mit seinem Erscheinungsbild glauben machen will.

»Ich möchte dir mein Kompliment aussprechen, Frank. Wie bedacht du bei der Mülltrennung vorgehst. Darauf achtest, was du über den Hausabfall bereit bist, mit der Öffentlichkeit zu teilen. Das verdient Anerkennung, Frank. Das tun wirklich nur die Wenigsten.« Was laberte der Typ da für einen Müll über meinen Müll? »Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich draußen gesagt, dass sie sich das falsche Haus ausgesucht haben. Und ich habe ihnen gerade eben eine Frage gestellt. Wer sind sie und was wollen sie hier?« Der Körper zeigte keine Regung. Seine Atmung blieb konstant flach und ausgeglichen. »Oh, Frank. Ich glaube, ich befinde mich durchaus im richtigen Haus. Und wer ich bin, dass weißt du sehr genau. Vermutlich besser als es dir lieb ist. Was irgendwie auch der Grund für diese unangenehme Unterhaltung ist, von der ich immer gehofft hatte, dass wir sie niemals von Angesicht zu Angesicht führen müssten. Du lebst dein Leben und ich lebe meins. So war es ursprünglich mal gedacht. Habe ich nicht recht, Frank?« Verfluchte Scheiße. Das ist unmöglich. Nicht er. Warum ausgerechnet er?

»Du wagst es, diese Worte in meinem Haus laut auszusprechen? Du verfluchter…« Ich biss mir auf die Lippen ehe ich noch etwas Unbedachtes von mir gab. Egal was da in mir brodelte, vor mir stand nicht irgendwer. »Oh, Frank… nach all diesen Jahren. Du hast dich tatsächlich kaum verändert. Vielleicht um die Hüften rum ein bisschen auseinandergegangen, leicht abgewandelte Gin-Note, aber ich sehe noch immer das Feuer, als sei es gestern gewesen. Ich gebe zu, ich habe dich schon ein wenig vermisst. Es wurde langweilig ohne dich.« Demonstrativ zog ich den Hahn zurück und streckte meinen Arm zielgerichteter nach ihm aus. Mir bot sich eine Gelegenheit, nach der es mich seit mehr als ein Jahrzehnt dürstete. Der Tag, an dem ich mein letztes Kapitel endlich abschließen könnte. »Es vergeht kein Tag, an dem ich meine Entscheidung von damals nicht bereue. Ich habe unser letztes Telefonat noch immer allzu gut in Erinnerung. Jedes Wort, jede verlogene Silbe von dir. Und ich kann mich nur wiederholen… du hast einen großen Fehler gemacht hierher zu kommen… bringen wir es also hinter uns!« Mein Zeigefinger war bereit. Mein Verstand und mein Gewissen waren es auch. Er wusste das. Er wusste, dass wenn er jemals wieder in mein Leben treten würde, ich ihm seines nehmen würde. Ich hätte nur niemals gedacht, dass er wirklich so dumm wäre und ich mir so viel Zeit lassen könnte. »Wenn du jetzt abdrückst, Frank… dann werden deine Frau und deine Kinder noch heute Nacht sterben! Das verspreche ich dir. Und das ist keine leere Drohung. Erinnere dich! Wenn du dich jemals auf etwas verlassen konntest, Frank, dann waren es meine Worte. Leider kann man das von den deinen nicht gerade behaupten.« Ich zögerte.

Verflucht nochmal, warum zögerte ich? 16 Jahre sehnte ich mich nach dieser Chance, schwor mir, den Fehler von damals zu korrigieren, sobald sich mir die Gelegenheit dafür bieten sollte. Nun stand er direkt vor mir. In meinem Haus, bedrohte meine Familie. Und dass, obwohl ich mich all die Jahre an den verfluchten Deal gehalten hatte. Noch ehe ich darüber nachdenken konnte, wie er seine Drohung überhaupt wahrmachen wollte, übernahm er wieder die Kontrolle über das Gespräch. Er erkannte mein Zögern, meine Schwäche. Und das nutze er trotz der eigentlich unterlegenen Position schamlos für sich aus. »Ich bin etwas enttäuscht darüber, was aus dir geworden ist, Frank. Es ist schmerzhaft mit anzusehen, wie sehr du dich von der Welt abgewandt hast. Glaube mir, das war nie meine Absicht. Wir hatten vereinbart, dass du die Jagd nach mir aufgibst und ich dafür das gleiche für dich tue. Ein faires Geschäft. Denken wir beide doch mal an all die Menschenleben, die dadurch gerettet werden konnten. Dass allerdings du dabei so tief fallen würdest… hier in diesem Haus… eine wahre Verschwendung von Talent. Du weißt ebenso gut wie ich, zu was wir beide einst im Stande waren. Wir waren Götter unter den Sterblichen. Jeder auf seine eigene, einzigartige Weise. Nicht wahr… Frank?«

»Halt’s Maul, halt dein verfluchtes Maul…«, giftete ich ihn angewidert an, »Du warst kein Gott. Du warst der Teufel, wenn nicht sogar schlimmeres. Und vielleicht habe ich mit meiner Entscheidung damals Leben gerettet, doch irgendwann hätten wir dich gekriegt. Der Preis war einfach zu hoch. Die Bilder in meinem Kopf, in so vielen, zahllosen, schlaflosen Nächten, die deine Taten mir und den Familien bereitet haben. Die Albträume und die ständigen Stimmen der Opfer, die nach Gerechtigkeit rufen. Warum bist du hier? Warum stehst du vor mir, wenn ich ihnen nicht endlich geben soll, wonach sie verlangen.« Er trat etwas mehr ins Licht. Gerade so viel, dass ich sein Mienenspiel besser betrachten und bewerten konnte. Noch immer zeigte er keine Regung oder ein Anzeichen emotionaler Beteiligung. Egal was ich sagen würde. Vor mir stand ein eiskalter Psychopath. Berechnend und ohne Skrupel. Genauso wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte. »Weil du unsere Vereinbarung gebrochen hast, Frank… Du magst zwar damals ausgestiegen sein und die Ermittlungen in eine andere Richtung gelenkt haben, aber du hast erneut zur Jagd geblasen. Die Jagd nach mir.

Und das kann ich nicht zulassen.« Bullshit. Seit meinem Ausstieg habe ich mit niemanden mehr über meine damaligen Fälle gesprochen oder irgendwelche Hinweise in der alten Truppe hinterlassen. Das ist doch alles absoluter Blödsinn. »…dein Buch, Frank. Jenes, dass wenn es jemals vollendet werden und einen Abnehmer finden sollte, die Jagd erneut eröffnen wird. Dir wäre doch nicht wohl dabei, wenn irgendein Azubi mir Handschellen anlegen würde, nur weil er ein paar Seiten eines Buches auf der Uni durchgeblättert hat? Genauso wie ich es vermutlich ungern sehen würde, dass du durch die Hand eines Mitstreiters statt durch die meine ein Ende finden würdest. In gewisser Weise haben wir uns dieses Vorkaufsrecht doch erarbeitet, Frank, oder wie siehst du das? Warum hast du es also nicht einfach gut sein lassen?« Mein Buch. Wie zum Teufel konnte er davon wissen? Aber, Moment… »…der DNA-Killer taucht darin mit keiner Silbe auf! Für die Polizei ist er tot und der Fall abgeschlossen. Schon vergessen? Dafür habe ich persönlich gesorgt, erinnerst du dich? Es war der Teil unseres Deals, der im Gegenzug das rechtzeitige Auffinden der dreizehnjährigen Sabrina Anderson in dem Ölfass ermöglichte. Du selbst hast mich zu ihr geführt, bevor du sie auf der Baustelle einbetonieren konntest. Übrigens nochmal ein verficktes Danke dafür von mir und meinen Kollegen. Keine Ahnung wie du an meinen Computer gekommen bist, aber du scheinst etwas falsch informiert zu sein. Ich behandle darin ganz andere Fälle, die in keinerlei Weise mit dir in Verbindung stehen.« »Und eben da liegt dein fataler Irrtum, Frank.« Verdammt. Ein erstes Zeichen einer emotionalen Beteiligung. Zugegeben, keine schöne, denn sein Ausdruck offenbarte Fragmente seines inneren Zorns, den er zu kontrollieren, aber nicht vor mir zu verbergen versuchte. Ich tat einen vorsichtigen Schritt näher auf ihn zu, nur um zu sehen wie er reagieren würde. Ich erhöhte den Druck und behielt seine Hände dabei ständig im Blick. »Schluss mit der Scheiße… Du brichst doch nicht in mein Haus ein, nur um mir zu sagen, dass ich aufhören soll, an einem beschissenen Buch weiterzuschreiben. Noch dazu, dass es nicht dazu führen könnte, dass der Fall je wieder neu aufgerollt wird. Die Hälfte der Fälle in meinem Buch begannen Jahre nach meiner und deiner aktiven Zeit, also was soll das alles?« Er hob seine rechte Hand, wie zu einem Schwur, was für mich gleichzeitig das Signal aussandte, besser stehenzubleiben. »Ich versprach dir einst, dass das Morden des DNA-Killers enden würde, Frank. Nicht aber das Spiel selbst. Nicht das davor und nicht das danach. Du warst der Einzige, den ich jemals als ebenbürtigen Gegner betrachtet und dem ich dieses Geschenk gemacht habe, Frank. Die Möglichkeit auf ein anderes, vollkommeneres Leben… für uns beide.« Verdammte scheiße. Was sagte er da? Entweder war ich mit meinen Recherchen einem seiner Kollegen sehr nahegekommen, ohne es zu wissen, oder… »…du hast in Wahrheit nie mit dem Morden aufgehört, richtig? Du hast dir eine neue Identität und Vorgehensweise zugelegt und dann einfach weitergemacht, habe ich recht? Verfluchte Scheiße. Du hast mich nur aus dem Spiel nehmen wollen.« »Es ist etwas komplizierter als das, Frank. Das vergewissere ich dir…«, erwiderte er ruhig und zugleich so bestimmt. »Und warum erzählst du mir das alles. Wäre es für jemanden wie dich nicht leichter, mich einfach aus dem Weg zu räumen? Soll ich etwa glauben, dir liegt etwas an mir und ich hätte wieder eine Wahl? So wie früher, als ich auf deine Lügen hereingefallen bin?«

»Der Tod eines ehemaligen Spitzen-Profilers des FBI, so wie du einer bist, würde auch heute nicht einfach sang- und klanglos von deinen Kollegen nur zur Kenntnis genommen werden. Auch nicht das Löschen deiner Dateien aus der zentralen Cloud, von denen wir beide wissen, dass sie mit entsprechenden Mitteln mühelos wiederhergestellt werden können. Und was das für einen Rattenschwanz mit sich bringen würde, nun… das magst du dir nicht mal ansatzweise vorstellen. Halte mich also bitte nicht für so dumm, Frank. Das Internet vergisst bekanntlich nie. Außerdem ist es, wie ich schon sagte, etwas komplizierter als das. Wir müssen es schließlich auch neuen Generation ermöglichen weiterhin Spaß am Spiel zu haben. Dafür sorgen, dass sich beide Seiten weiterentwickeln, findest du nicht auch?« Ich hatte langsam genug. Ich schritt direkt auf ihn zu und drückte ihm meinen Lauf ganz fest auf die Stirn. Er verzog trotzdem keine Miene, blieb einfach stehen und sah mich einfach nur an. »Du hast keine Macht über mich, Freak. Ich sehe genau, wenn mich jemand verarschen will. Da hilft auch kein falscher Bart oder diese Kontaktlinsen. Alles nur Fassade. Ich sehe da einfach hindurch und erkenne hinter all diesen leblosen Objekten die Wahrheit… das wahrhaftige Böse. Ich sehe dich also ganz genau. Kranke Bestien seid ihr allesamt. Tiere, die man wegsperren oder einfach einschläfern muss.« Wobei Wegsperren nach seinem Eindringen bestimmt keine Option mehr darstellte. »Denk an deine Familie, Frank. Die Familie, die wohlgemerkt ich dir geschenkt habe. Ich habe dir dieses Leben erst ermöglicht und ich kann es dir auch wieder nehmen. Jeden Einzelnen in jeder x-beliebigen Reihenfolge. Deinen Kindern den Vater, deiner Frau den Ehemann. Drückst du ab, wird mein Wille dennoch geschehen, das vergewissere ich dir. Was ich will, das habe ich schon längst. Die Frage, die heute Nacht nur noch zu beantworten ist, ist… was deine Familie möchte… und was ihr bisher verwehrt geblieben ist.« Kryptische Scheiße. Sie lieben es so zu reden. Damit fühlen sie sich überlegen und sie tun so, als könne nichts und niemands ihnen etwas anhaben. Sie nicht brechen, weil das Gesetz auch ihre Leben zu schützen weiß und die Hüter es uneingeschränkt befolgen mussten. Doch ich war längst kein Diener des Gesetzes mehr. Nur ein Familienvater, der sein Eigenheim und seine Unversehrtheit bis zum äußersten verteidigen würde und in das er rücksichtslos eingedrungen war. Eine Gefahr, die es nun zu beseitigen galt, weil ich natürlich um Leib und Leben meiner Liebsten fürchten musste. Die Waage von Justitia schlug also zu meinen Gunsten aus. Es mochte zwar die Seite in Richtung Abgrund gewesen sein, doch damit würde ich sehr gut leben und vor allem wieder schlafen können.

»Ist das die Waffe, mit der du auch den guten, alten Jakob aus dem Spiel genommen hast? Es war in deinem Garten, richtig? Ich frage mich, was ihn damals wohl dazu bewegt hat, hier einfach so aufzukreuzen. Was war das für ein Gefühl, Frank? War es so intensiv wie jetzt? Das kann ich mir irgendwie nur schwer vorstellen. Das zwischen uns ist doch etwas Besonderes. Hast du sie ihm auch ganz fest an den Kopf gehalten und dann abgedrückt? Hattest du denn wenigstens noch genug Zeit für etwas Smalltalk oder war es wirklich Notwehr… Gefahr in Verzug, wie es so schön heißt? Ich hoffe, du hast sie seitdem immer gut gepflegt. Eine schmutzige Waffe… das kann auch mal ganz schnell nach hinten losgehen. Wenn beispielsweise der Lauf verstopft ist und dann alles in tausend Teile zerspringt. Ich habe schon von Vorfällen gehört, wo die Kugel linear zurückgeschlagen ist und den eigenen Schützen am Kopf erwischt hat. Unschöner Tod und deine Frau müsste die ganze Schweinerei hinterher aufwischen. Bin ich das für dich wirklich wert?« Er überspannte den Bogen immens. Meine Hände zitterten und mein Herz raste, seit er seinem Namen nannte. Jakob. Einer der Namen der potentiellen Verdächtigen zum Würger-Fall, der nicht an die Öffentlichkeit drang. Seine Identität konnte auch hinterher nie abschließend geklärt werden. Woher hatte er also ausgerechnet diesen Namen? Den Namen, auf den nur ich allein all mein Geld gesetzt hätte. In der kurzen Zeit, wo er hier unten war, konnte er niemals all meine Notizen danach durchsucht haben. Unmöglich. Schlussfolgerung: Er war nicht das erste Mal hier unten. Er musste sich schon früher Zugang zu meinen Unterlagen verschafft haben. Aber wie? Und wenn es so war, dann hatte er auch Zugang zu meiner Waffe. Die Waffe, die er für sein Spiel präpariert haben könnte und weswegen er auch nicht in Unruhe geriet. Egal wie fest ich noch zudrücken würde. Er wusste, dass ich von selbst draufkommen würde. Er kannte mich genau.

»Finden wir es doch einfach gemeinsam heraus, Freak. Vorschlag: Ich nehme die Waffe, schieb sie dir ganz tief in den Mund und dann lassen wir deine Zähne tanzen. Egal was mit mir passiert, ich bin durchaus bereit draufzugehen, wenn ich weiß, dass ich dich dafür in die Hölle mitnehmen kann.« »Warum so selbstzerstörerisch und feindselig, Frank?«, fragte er verwundert nach. »Du Drecksschwein hast drei schwangeren Frauen mit einem Rasiermesser lebendig den Bauch aufgeschlitzt und deren Babys in Säure aufgelöst. Sie gezwungen dir dabei zuzusehen und die Aufnahmen ins Netz gestellt. Du hast jedes Recht auf Mitleid oder zu leben verwirkt.« »Halten wir uns nicht mit Nebensächlichkeiten und alten Geschichten auf, Frank. Denken wir doch an das hier uns jetzt. Wie viel Spaß wir noch gemeinsam haben könnten, wenn du dich endlich mal locker machst.« Die Sehne des Bogens riss. Ich schlug so hart zu, dass ich mir selbst dabei gefühlt den kleinen Finger brach. Dann ein weiteres Mal und nochmal. Mein Schmerz wurde als einziges zur Nebensächlichkeit. So lange, bis Blut aus seinem linken Ohr lief und er keuchend am Boden zusammenbrach. »Frank, du machst einen gewaltigen Fehler, wenn du nicht endlich bereit bist dich zu beherrschen und richtig zuzuhören.« Nein. Er machte den Fehler hierherzukommen. Ich ging zur Tür und betätigte den „Panik-Knopf“, was umgehend die hermetische Verriegelung aktivierte. Er wollte Spaß? Den konnte er nun bekommen. So wie seine Opfer. Aber anders, als er es sich vermutlich ausgemalt hatte. In gewisser Weise machte er mir ein Geschenk. Die Gelegenheit einige Dinge richtigzustellen. »Denkst du wirklich, Frank, es wäre in einer Nacht wie dieser eine gute Idee, dich zusammen mit jemanden wie mir einzusperren? Ich meine, du bist ein Profi.

Du solltest es besser wissen.« Ich trat bei meinem Rückweg mit vollem Schwung zu. Direkt in seine Magengegend. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf. So wie er in der Vergangenheit. Und was tat er? Er lachte. Keine echte Lache. Sie war gespielt und kein Ausdruck einer emotionalen Reflexreaktion. Es war das, was er mich sehen lassen wollte. Das, was diese Bestien so verdammt gefährlich machte. »Findest du das witzig, Arschloch? Keine Ahnung, was du dir hiervon erhofft hast. Dachtest du, wir würden uns gemütlich hinsetzen und eine Tasse Kaffee oder ein Bier auf die gute alte Zeit heben? 17 Menschen hast du wahllos gefoltert und bestialisch abgeschlachtet. Nicht, weil du an ihr Geld wolltest. Nicht, weil sie dir irgendetwas getan hätten. Nein. Nur weil sie zu irgendeinem Zeitpunkt das Pech hatten, dir über den Weg zu laufen. Sie haben dir nichts bedeutet, im Gegensatz zu all den Menschen, die du mit deinen Taten mit in den Abgrund gerissen hast. Sie waren nur eine Befriedigung. Aus reinem Vergnügen. Deswegen hast du getötet. Deswegen bist du hier. Weil dein perverses Verlangen sich zu den Wurzeln zurücksehnt. Hierher. Zu mir. Damit ich dich endlich richte. Wozu in deiner kranken Vorstellungskraft kein anderer das Recht hat.« Er sah zu mir auf und für den Bruchteil einer Sekunde erkannte ich ein verräterisches Nicken. Sein lächerlicher Bart war inzwischen verrutscht und doch machte er keine Anstalten, ihn endlich abzunehmen. Als ich die Taschen seines Mantels durchsuchte fand ich ein schwarzes Tuch, ein Messer und Handschellen, die ich ihm sofort hinter seinem Rücken umlegte. »Danke dafür«, bedankte ich mich süffisant. Es waren sehr wahrscheinlich ohnehin meine. Ein weiteres Indiz dafür, dass er Zugang zu meinem Schrank hatte und der Quatsch mit der Waffe eventuell wahr sein konnte. Er leistete keinen Widerstand. Warum zum Teufel wehrte er sich nicht? Verflucht. Nach all den Jahren. Hier in meinem eigenen Keller. Das war zu einfach.

»Und? Wirst du sie anrufen, Frank? Oder wirst du es selbst zu Ende bringen, so wie bei Jakob? Vergiss nicht, dass ich freiwillig gekommen bin. Sozusagen auf Einladung«, lachte er laut los. Gott sei Dank war die Tür zu. Niemand würde ihn lachen hören. Aber was viel wichtiger war, dass ihn auch niemand schreien hören würde. »Wie wäre es - wenn wir gerade schon bei Namen sind - dass du mir deinen endlich verrätst? Wäre jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt. Deinem Akzent zu urteilen tippe ich auf Mitteleuropa. Gab es in Deutschland und Polen nicht auch paar ähnliche Fälle? Lange bevor es bei uns losging. Hast dir wohl zuerst etwas Inspiration geholt, häh? Wer bist du? Daniel Conahan, Pękalski, Dennis Bender… es waren am Ende so viele Namen, so viele Sackgassen…« Dann stockte mir der Atem erneut. Dieses Drecksschwein. Ich hielt den Lauf meiner Waffe direkt ins Licht und erkannte in seinem Inneren den bleiernen Klumpen, mit dem die Waffe tatsächlich versiegelt und somit präpariert worden war. Hätte ich mich früher meinem Gefühl hingegeben, ich hätte mir vermutlich selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Ein Unfall, der Mr. Unbekannt eventuell sehr gelegen gekommen wäre. »Wie hast du das gemacht? Wie bist du hier reingekommen?« Ich packte ihn am Hals und drückte ganz fest zu. Anschließend hievte ich ihn auf den Stuhl an meinem Schreibtisch und schlug ihm ein weiteres Mal auf sein blutendes Ohr. Der Gedanke, dass er unbemerkt zwischen meiner Familie umherwandelte, scheinbar nach Belieben ein- und ausging, machte mich rasend. Noch dazu mein Versagen darüber, sämtliche Hinweise seiner Anwesenheit schlicht übersehen zu haben. »Es ist nicht wichtig zu wissen, wie ich hier reingekommen bin. Wichtiger ist zu wissen, wie ich hier wieder rauskomme, Frank, oder? Du musst endlich lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Denk an deine Familie, Frank… dann ist die Antwort zum Greifen nah.« Mein Gesicht presste sich ganz fest an das seine. Ich wollte, dass er mir direkt in die Augen sah, damit er es ein für alle Mal kapierte. »Schluss mit dem „Frank“-Scheiß. Du wirst hier nicht mehr rauskommen. Heute wird die Jagd endlich ein Ende haben. Du wirst bezahlen, für all das Leid und Blutvergießen in so vielen Nächten. Heute. Nachdem endlich deines geflossen ist.«

»Oh, Frank, das liebe ich so an dir. Du denkst die Dinge immer zu Ende, noch ehe sie begonnen haben. Doch das Blut dieser Nächte klebt auch an deinen Händen, vergiss das bitte nicht. Wie viele hättest du retten können, hättest du dich für auch nur einen Weg richtig entschieden statt den Mittelweg zu wählen. Auch das ihre. Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Frank. Ich bin heute nicht zu dir gekommen, um zu sterben. Ich bin wegen der Familie hier. Unsere außergewöhnliche und besondere Familie, auf die wir beide sehr, sehr stolz sein können.« Ein weiteres Mal wollte ich ausholen. Ein weiteres Mal ihn für seine Provokationen die Vergeltung spüren lassen. Doch es waren keine Provokationen. Dafür war er zu intelligent. Für ihn ist weiterhin alles nur ein Teil seines großen Spiels. Er versuchte mir etwas zu sagen. Doch ich begriff es nicht. »Ok, Freak. Spielen wir. Aber die Regeln bestimme ich! Du willst dich unterhalten? Na dann los. Sag mir deinen Namen! Im Gegenzug gebe ich dir Antworten auf deine Fragen. So lange, bis ich genug habe. Aber wage es nie wieder von MEINER Familie zu sprechen.« Er lächelte erneut. »Du kennst meinen Namen doch längst, Frank. Warum sonst, glaubst du, bin ich überhaupt hier?

Du hast doch so viel Arbeit hineingesteckt, ihn herauszufinden. Wo bliebe denn da der Reiz, wenn ich ihn dir jetzt einfach so plump nennen würde?« Mein Gott. Es musste einer der Namen in meinem Buch sein. Ein alter oder ein neuer. Auf jeden Fall ein Name aus den früheren Akten. Wir mussten wohl sehr nah dran gewesen sein. »Das heißt, wir hatten dich schon so gut wie… wir hatten dich also bereits auf dem Schirm. Und mit meinem Rückzug habe ich Idiot die Spur kaltwerden lassen.« Ich verfluchter Idiot. Damals schien alles so unklar, so weit weg, dass das Ziel immer mehr außer Reichweite rückte. »Geh nicht zu hart mit dir ins Gericht, Frank. Woher hättest du es wissen sollen? Der Alkohol hat deine Sinne benebelt. Damals schon und auch heute. Dies ist auch nicht unsere erste Begegnung, Frank. Damals, in „Stew’s Diner“, hatte ich sogar einmal den Mut, dich anzusprechen. Ich wollte dich schon früher kennenlernen. Doch du warst so tief in deinen Akten versunken und ich brachte es nicht über mein Herz, dich bei deiner Arbeit zu stören. Ich habe dir und deinem Kollegen damals einen Kaffee ausgegeben, weißt du noch? Als eine Geste meiner Anerkennung für euren Dienst an die Gesellschaft. Damals erkannte ich direkt, dass du etwas ganz Besonderes warst, Frank. Es wäre zu leicht gewesen, dich einfach nur zu töten. Aber von uns existieren einfach zu wenige auf dieser Welt. Ohne Herausforderungen, was ist da das Leben schon wert? Aber niemand hintergeht mich, Frank. Niemand. Niemals.« Daher der Deal. Es war sein letzter Ausweg. Natürlich musste er etwas tun. Und ich sah den Elefanten im Porzellanladen nicht. Denk an nicht an einen Elefanten!

»Wann? Wann wusstest du, dass wir dir auf den Fersen waren? Nenn mir ein Datum oder ein Jahr! Sag mir, wann dir endlich die Düse ging!«, brach es aus mir heraus. Ich musste es eingrenzen. Mir schossen unzählige Fragen durch den Kopf, die nach einer Antwort verlangten. Eine Berufskrankheit, die mich nun wieder heimsuchte. Ich geriet in den Automatismus eines Verhörprozesses. Nur ohne Zeugen und Protokoll. Das dünne Deckenholz oberhalb von uns begann zu knirschen. Er ließ sich viel Zeit mit seiner