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Dieser Wissenschaftsroman erzählt die Geschichte einer seltsamen Entdeckung des Schweizer Fotographen Antonio Piarelli. Nach unerklärbaren Begebenheiten beim Tod seiner Freundin, die landläufig als Ankünden bezeichnet werden und der sich langsam entwickelnden Fähigkeit, in den Augen anderer Gedanken zu lesen, wagte er einen Blick hinter den wissenschaftlichen Vorhang, nachdem er seit vielen Jahren das Leben nur noch phänomenologisch betrachtet hatte. Die Entdeckung, dass beiden Phänomenen dasselbe physikalische Prinzip zugrunde liegt und die Wissenschaft bisher nur an der Oberfläche dieser neuen Erkenntnis gekratzt hatte, hat ihn dazu bewogen, den Vorhang weiter zu öffnen. Er betrat ein surreales Panoptikum, welches nach einem Rundgang an den Grundfesten des modernen Weltbildes zu rütteln vermochte.
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Seitenzahl: 111
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Stay with me
All I want to do
is to look in your eyes
and sail on through the night
(Barclay James Harvest)
Dann begann Michelangelo damit, die Statue des David aus dem Stein zu hauen. Dafür brauchte er zwei ganze Jahre. Und zwei weitere Jahre dauerte es, bis er die Statue durch Schleifen und Polieren fertig stellte.
Als die Statue feierlich enthüllt wurde, waren viele Menschen gekommen, um die unvergleichliche Schönheit des David zu bewundern. Man fragte Michelangelo, wie es ihm denn möglich gewesen war, eine so wunderschöne Statue zu erschaffen.
Der Bildhauer sprach:
Der David war immer schon da gewesen. Ich musste lediglich den überflüssigen Marmor um ihn herum entfernen.
HEIDELBERG, DEUTSCHLAND AKADEMISCHER VERLAG
LUGANO, SCHWEIZ BESUCH BEI ANTONIO PIARELLI
LONDON, ENGLAND ARCHIV DER ROYAL SOCIETY
WIEN, ÖSTERREICH UNI-KLINIK FÜR NEUROLOGIE
NEUSS, DEUTSCHLAND INSTITUT FÜR BIOPHYSIK
NYON, SCHWEIZ HOTEL CLOS DE SADEX
DANTES TRAUM, PARADISO DIE GÖTTLICHE KOMÖDIE
STUTTGART, DEUTSCHLAND INSTITUT FÜR MASCHINELLE SPRACHVERARBEITUNG
VENEDIG, ITALIEN OUT OF AFRICA
LUGANO, SCHWEIZ LAGO DE ORIGLIO
HEIDELBERG, DEUTSCHLAND AKADEMISCHER VERLAG
EPILOG
LITERATURHINWEISE
James Croll oder William Karel? fragte der Chefredakteur den herbeigerufenen Fachbereichsleiter für Physik und Astronomie, Thomas Krüger, und schob ihm ein Manuskript über den Schreibtisch. Wissen sie, fuhr er fort, während Herr Krüger den Artikel etwas skeptisch durchblätterte, diese Abhandlung erinnert mich an die Geschichte von James Croll.
Hat James Croll nicht als erster die Vermutung geäußert, dass die zyklischen Veränderungen der Erdumlaufbahn von einer Ellipse zu einer fast kreisförmigen Bahn eine Erklärung für den Anfang und das Ende der Eiszeiten darstellten könnte? fragte Herr Krüger vorsichtig.
Der Chefredakteur nickte zustimmend. Vor über 150 Jahren reichte eben dieser James Croll von der Anderson’s University in Glasgow unter anderem einen Aufsatz, der die Frage, ob die Abweichungen in der Umlaufbahn der Erde die Eiszeiten ausgelöst haben könnten, beim renommierten Philosophical Magazine ein, welches die Abhandlung sofort als bahnbrechende Entdeckung erkannte und umgehend veröffentlichte. Als sich die Wissenschaftselite jedoch auf die Suche nach dem Autor machte, war sie peinlich berührt, als sich herausstellte, dass James Croll nicht als Wissenschaftler an der Universität tätig war, sondern als Portier. Croll wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, besuchte nur die Grundschule und arbeitete dann vom Kellner bis zum Versicherungsvertreter in verschiedenen Berufen bis ihm die Stelle als Pförtner in der Universität angeboten wurde. In der Universitätsbibliothek eignete er sich an vielen Abenden autodidaktisch das erforderliche Wissen an und entwickelte dann die erwähnte These.
Jetzt verstehe ich, was sie meinen - diese Abhandlung wurde von einem in der Schweiz lebenden Fotografen - Antonio Piarelli - also von keinem Wissenschaftler verfasst. Aber worum geht es in diesem Artikel eigentlich?
Piarelli behauptet, dass er eines der größten Rätsel der Menschheit gelöst habe. Er habe einen Algorithmus zur Entschlüsselung des neuronalen Codes entwickelt und könne weiters plausibel das Phänomen der psychischen Synchronisation erklären, womit er das Zusammentreffen von zwar nicht kausal, aber durch einen gemeinsamen Sinn verbundenen Geschehnissen meint. Ich glaube nicht, dass es dafür derzeit schon eine physikalische Erklärung gibt, aber das heißt ja nicht, dass es keine zu geben braucht.
Es ist nämlich eine ganz alltägliche Sache. Zwei Menschen können gleichzeitig, aber an verschiedenen Orten, identische Träume haben. In meinem wie im Leben aller Menschen gibt es wahrscheinlich immer wieder solche Vorfälle, doch wir neigen dazu, sie irgendwie weg zu deuten oder sie ganz unbeachtet zu lassen, auch wenn wir uns alle vom Eingeständnis, dass derlei Phänomene existieren, intellektuell gedemütigt fühlen, weil wir keine Erklärung dafür haben.
Normalerweise verschwende ich keine Zeit mit parawissenschaftlichen Abhandlungen, aber Antonio Piarellis These hat mich in ihrer unkonventionellen Art, diese Problemstellung anzugehen, so fasziniert, dass ich sein Manuskript durchgelesen habe.
Aber was meinten Sie vorher mit James Croll oder William Karel?
William Karel ist ein bekannter französischer Regisseur, der vor einigen Jahren einen Film mit dem Titel Kubrick, Nixon und der Mann im Mond gedreht hat, vielleicht haben Sie ihn auch schon gesehen?
Es handelte sich um eine sogenannte Mockumentary, also um eine Art gefälschter Dokumentarfilm. Dabei werden oft scheinbar reale Vorgänge inszeniert oder tatsächliche Dokumentarteile in einen fiktiven beziehungsweise erfundenen Zusammenhang gestellt. Die vermeintliche Dokumentation von Karel beweist sozusagen mit geschickt zusammen geschnittenen Informationsfetzen aus Filmen, realen Interviews und Spielszenen, dass die erste Landung auf dem Mond vorgetäuscht wurde. Als ich diesen Film das erste Mal sah, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Manipulation und Irreführung waren so perfekt inszeniert, dass trotz Auflösung im Nachspann des Films die Möglichkeit, dass alles so geschehen sein könnte, bei mir bis heute eine gewisse Unsicherheit wie bei den Verschwörungstheoretikern hinterlassen hat. Beim Lesen dieses Manuskripts hatte ich auch stellenweise genau dieses Gefühl wie bei William Karels Film.
Und deshalb habe ich sie zu mir gebeten. Finden sie heraus, ob es sich bei Antonio Piarelli um einen James Croll oder einen William Karel handelt, schloss der Chefredakteur das kurze Gespräch und fügte noch hinzu: In einem Monat sehen wir uns wieder – Croll oder Karel?
Es war schon ziemlich spät am Abend und so konnte Thomas Krüger nicht genau erkennen, ob sich der Zug nach dem gemächlichen Aufstieg seit Bellinzona schon im letzten Tunnel vor Lugano befand. Kaum, dass er das Manuskript in der Reisetasche verstaut hatte, bremste der Zug schon ab und blieb abrupt im Bahnhof stehen.
Thomas Krüger war noch nie in der Nacht in Lugano angekommen und bewunderte daher während der Fahrt zum Hotel die fantastische Aussicht auf den Luganersee, der von tausenden Lichtern eingefasst schien, welche sich allmählich in den Höhen in vereinzelte Lichtpunkte auflösten, um sich dann schleichend mit den Sternen zu verschmelzen. Am Horizont konnte man gerade noch die Silhouetten des Monte San Salvatore und des Monte Bre erkennen.
Am nächsten Morgen machte sich Thomas Krüger schon früh auf den Weg, um Antonio Piarelli zu besuchen. Piarelli wohnte in einer kleinen toskanisch anmutenden Villa einige Kilometer nördlich über Lugano. Nach einer kurvenreichen kurzen Bergfahrt erreichte er das Anwesen. Während Thomas Krüger läutete, dachte er sich noch, dass man von außen nichts Besonderes erkennen könne und er konnte sich zu diesem Zeitpunkt auch nicht vorstellen, dass in diesem Haus jemand an den Grundfesten des modernen Weltbildes gerüttelt haben sollte. Als sich dann nach einiger Zeit die Haustüre öffnete, glaubte er sich in seiner Annahme bestätigt, denn vor ihm stand ein sehr krank wirkender Mann, der in keiner Weise den Eindruck erweckte, irgendetwas Außergewöhnliches entdeckt zu haben.
Guten Morgen, sie müssen Herr Krüger sein! Also SIE hat man geschickt, um heraus zu finden, was an meinen Thesen dran ist? begrüßte Antonio Piarelli mit einem Schmunzeln Thomas Krüger. Doch eher ein William Karel … war der erste Eindruck und Thomas Krüger nickte zustimmend.
Von Ihrem Anwesen aus hat man einen fantastischen Ausblick über den Luganersee, versuchte Thomas Krüger ins Gespräch zu kommen.
Sehen Sie den steil aus dem Luganersee emporragenden Berg – den Monte San Salvatore und rechts davon den kleinen See – Lago di Muzzano? fragte Antonio Piarelli und zeigte auf den sich dazwischen erstreckenden, flacheren, grün bewaldeten Höhenzug. Dort liegt das ehemalige kleine Bergdorf Montagnola, in dem Hermann Hesse den Großteil seines Lebens verbracht und seine bedeutendsten Werke wie den Siddhartha geschrieben hatte.
Warten sie bitte einen Moment, ich hole noch meine Jacke. Heute ist ein schöner Sommermorgen – machen wir doch einen Spaziergang, denn ich möchte ihnen etwas zeigen, bevor wir über das Manuskript reden.
Während sie an einem See entlang gingen, begann Antonio Piarelli zu erzählen: Als kleiner Junge hatte ich jeden Abend eine unheimliche Angst, schlafen zu gehen, da ich an der Zimmerwand immer ein Bild sah, das auf dem Kopf stand und manchmal liefen sogar kleine Leute kopfüber über die Wand. Viele Jahre später erkannte ich, dass das Bild an der Wand von einem kleinen Loch im Fensterladen verursacht wurde, welches nur das Treiben auf der Straße an die Wand projizierte. Dieses Phänomen war schon im Mittelalter bekannt und wurde später als Camera obscura bezeichnet. Mit dieser denkbar einfachen Technik – einer dunklen Schachtel mit einem Loch auf der einen und einem lichtempfindlichen Film auf der gegenüberliegenden Seite, lassen sich auch heute noch fantastische Bilder machen.
Nachdem ich in der Schule dann das erste Foto aus dem frühen 19. Jahrhundert sah, welches von einem Franzosen geschossen wurde, wollte ich unbedingt Fotograf werden. Das Foto zeigt nur einen Blick aus dem Fenster seines Arbeitszimmers und wurde acht Stunden lang belichtet. Obwohl es durch seine Grobheit fast schon einen impressionistischen Eindruck macht und eher an ein Bild von Claude Monet erinnert, war es trotzdem das erste bekannte Foto überhaupt.
Aber war das wirklich die erste fotografische Darstellung? fragte Piarelli hinterlistig. Ich war nämlich von dem Gedanken fasziniert, dass sich Licht einfangen lässt und konnte kaum glauben, dass dies erst seit zweihundert Jahren möglich sein sollte.
Einige Wissenschaftler behaupten nämlich, dass das berühmte Grabtuch von Turin, die älteste Fotografie der Welt sein sollte. Nachdem alle Erklärungsversuche, wie das Bild auf das Tuch gekommen war, zu keinem befriedigenden Ergebnis führten, versuchte man mittels Ockhams Rassiermessertheorie, die besagt, dass, wenn man vor der Wahl mehrerer Erklärungen steht, die sich alle auf dasselbe Phänomen beziehen, man diejenige bevorzugen soll, die mit den einfachsten beziehungsweise der geringsten Anzahl an Annahmen auskommt, also je einfacher – desto besser, das Rätsel zu lösen. Das Grabtuch schaut wie ein Fotonegativ aus – warum sollte es dann nicht mit fotografischen Techniken erzeugt worden sein? Nach einer Radiokohlenstoffdatierung steht jedenfalls fest, dass das Tuch um das Jahr 1325 n.Ch. entstanden sein muss.
Aber wie sollte jemand im Mittelalter ein Fotonegativ herstellen können? fragte Thomas Krüger skeptisch.
Die Lichtempfindlichkeit einiger Stoffe, etwa des Farbstoffes Purpur war seit Jahrtausenden bekannt, erklärte Antonio Piarelli. Im frühen Mittelalter entdeckten dann die Araber die Herstellung von Silbernitrat aus Silber und Salpetersäure – sie nannten das Gemisch damals jedoch Höllenstein und verwendeten es unter anderem zur Behandlung von Hautkrankheiten. Ebenfalls seit der Antike bekannt war der Einsatz von Hohlspiegeln aus Silber zur Bündelung des Lichts und wie bereits erwähnt das Prinzip der Camera obscura.
Und mit diesen Utensilien lässt sich tatsächlich ein Fotonegativ auf Leinen erzeugen?
Ja, aber da muss ich etwas weiter ausholen.
Die Echtheit des Tuches wurde gleich nach der ersten Erwähnung Mitte des 14. Jahrhunderts bezweifelt. Etwas später wurde der Universalgelehrte Leonardo da Vinci verdächtigt, hinter der größten Reliquienfälschung des Spätmittelalters zu stecken. Aber da gab es ein Problem – Leonardo da Vinci lebte fast einhundert Jahre zu spät.
Was die meisten jedoch übersehen hatten, war, dass die Radiokohlenstoffdatierung nur die Entstehungszeit des Tuches auf das Jahr 1325 n.Ch. feststellen konnte, nicht jedoch, wann das Bild auf das Tuch gekommen war - das könnte auch Jahrzehnte später geschehen sein und das Tuch könnte in dieser Zeit eine Wanderung um die halbe Welt gemacht haben. Es ist auch naheliegend, dass zur Fälschung ein Leinentuch verwendet wurde, welches im Spätmittelalter beziehungsweise der Frührenaissance auch schon alt war und womöglich aus der Region des Nahen Ostens stammte. Warum das Grabtuch jedoch schon lange vorher erstmals historisch erwähnt werden konnte, ist leicht erklärt. Einerseits existierten nämlich mehrere solcher Tücher und Abbildungen des Angesichts Christi im Mittelalter. Welches dieser Tücher gemeint war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Andererseits dürfen Jahreszahlen aus dem Mittelalter nicht zu ernst genommen werden, da gerade in der Zeit, als die christliche Kirche im frühen Mittelalter gegründet wurde, selbst produzierte Urkunden zurückdatiert wurden, um eine lange Vorgeschichte mit vielen Legenden vorzugaukeln.
Ein Winzer aus der Toskana, bei dem ich früher öfters Urlaub machte, erzählte mir in diesem Zusammenhang eine Legende, die in den Dörfern zwischen Florenz und Siena seit Jahrhunderten weitergetragen wird. Demnach soll das Grabtuch von Turin auf einem Weingut in der Chiantiregion im Jahre 1504 entstanden sein. Zu dieser Zeit waren sowohl Leonardo da Vinci als auch Michelangelo in Florenz. Leonardo da Vinci bekam auf Initiative von Machiavelli und Piero Soderini den Auftrag, ein großes Schlachtengemälde für eine der Wände des neuen Ratssaals im Palazzo della Signoria zu schaffen. Der jüngere Michelangelo, der gerade seinen David vollendet hatte, wurde mit einem weiteren Schlachtengemälde auf einer anderen Wand des gleichen Saals betraut. Nachdem Leonardo da Vinci eine neue Technik der Farbauftragung ausprobierte, die schief ging, da die Farben verliefen und von der Wand schuppten, schmiedete er einen genialen Plan, um seinen Ruf wiederherzustellen.
Eines Abends schlenderte er noch spät durch die Ausstellungsräume, in welchen seine und Michelangelos Entwürfe für die Schlachtenfresken aufbewahrt wurden, und erwischte dabei den jungen Raffael, wie er wieder einmal die Ideen der alten Meister stehlen wollte. So hatte er einen Anlass, um mit Michelangelo, der zwar bekanntermaßen nicht zu seinen besten Freunden zählte, zu sprechen und ihn in seinen Plan einzuweihen, denn er brauchte seine exzellenten Fähigkeiten als Bildhauer, um sein Vorhaben rasch umsetzen zu können.
Beiden war außerdem gemeinsam, dass sie nach dem Tod des Brogia Papstes Alexander VI. ein Jahr zuvor, verhindern wollten, dass das zügellose Leben im Vatikan weitergeführt wird. Alexander VI. bestieg vor elf Jahren nach einer gekauften Wahl den Stuhl Petri. Bei seiner Wahl bekannte er sich zu zumindest sieben Kindern und der Lebemann unterhielt auch als Pontifex ein offenes Liebensverhältnis mit einer über 40 Jahren jüngeren Mätresse und weiteren Konkubinen. Michelangelo hatte darüber hinaus noch ein weiteres Motiv, den Kirchenvätern ein Schnippchen zu schlagen. So erfuhr er