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Stuart MacBride

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Beschreibung

Im Auge des Bösen

Die Angst geht um unter den polnischen Einwanderern in Aberdeen. Keiner weiß, wer von ihnen als nächstes mit ausgestochenen Augen und mehr tot als lebendig irgendwo in der Stadt gefunden wird. Die Briefe, die der Täter an die Polizei schickt, lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, dass er auf der Jagd nach immer neuen Opfern ist. Von denen kann oder will keiner den Ermittlern weiterhelfen, und der einzige Zeuge ist ein Pädophiler auf der Flucht. DS Logan McRae und seine Kollegen stehen unter gewaltigem Druck, der noch verstärkt wird durch den Verdacht der Korruption in den eigenen Reihen. Zu allem Überfluss ist McRae auch noch ins Visier von Aberdeens mächtigster Unterweltgröße geraten – der Sommer in der Stadt aus Granit verspricht heiß zu werden …

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Stuart MacBride

Blinde Zeugen

Thriller

Aus dem Englischenvon Andreas Jäger

MANHATTAN

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel

»Blind Eye«

bei HarperCollinsPublishers, London

Manhattan Bücher erscheinen imWilhelm Goldmann Verlag, München,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung August 2010

Copyright © der Originalausgabe

2009 by Stuart MacBride

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Redaktion: Eva Wagner

ISBN 978-3-641-05073-3

www.manhattan-verlag.de

Machen bald die Äuglein zu …

1

Die Warterei war das Schlimmste: Dicht an die Hauswand gekauert, blinzelten sie in die untergehende Sonne und lauerten auf das Zeichen. Ein leer stehendes Firmengebäude in Torry – nicht gerade das wohlhabendste Viertel von Aberdeen –, in Windrichtung von einer Fischfabrik, umgeben von riesigen gelben Tonnen voller Köpfe, Gräten und Innereien, die in der warmen Luft des Juniabends vor sich hin faulten.

Ein halbes Dutzend bewaffnete Polizisten, drei Zweierteams von speziell ausgebildeten Authorised Firearms Officers, alle ganz in Schwarz. Schwitzend und bemüht, nicht durch die Nase zu atmen, horchten sie auf verdächtige Geräusche, was ziemlich schwierig war bei dem Jurassic-Park-Soundtrack, den die Möwen veranstalteten.

Nichts.

Ein Mann mit einem schwarzen Schal über Mund und Nase hob eine Hand. Bei den AFOs stieg die Anspannung.

Und drei, zwei, eins …

RUMMS – die Ein-Mann-Türramme krachte gegen das Schloss, und in einem Regen von Holzsplittern flog die Tür nach innen.

»GO! GO! GO!«

Rein in den düsteren Hausflur – graue Wände, schmutzig blaue Teppichfliesen.

Team 1 übernahm die Werkstatt am Ende des Flurs, Team 2 die vorderen Büroräume, und die beiden Beamten von Team 3 stampften die Treppe hinauf. Oben bremste Detective Sergeant Logan McRae schlitternd ab – ein staubbedeckter Schreibtisch stand hochkant im Flur, in der Ecke eine tote Zimmerpflanze; dunkle Rechtecke an den Wänden, wo einmal Bilder gehangen hatten; vier offene Türen. »Gesichert!«

PC Guthrie – die andere Hälfte von Team 3 – schlich sich an die erste Tür heran, die MP5-Maschinenpistole im Anschlag, und spähte hinein. »Gesichert!« Er kam rückwärts wieder heraus und überprüfte den nächsten Raum. »Das ist reine Zeitverschwendung. Wie viele von den Nummern haben wir diese Woche schon durchgezogen?«

»Halt einfach die Augen offen.«

»Hier ist keine alte Sau«, meinte er, während er über die Schwelle trat. »Das ist vollkommen –«

Sein Kopf flog nach hinten, und ein Schwall Blut spritzte ihm aus der Nase. Guthrie kippte hinterrücks um und krachte mit dem Helm auf die verdreckten Teppichfliesen. Mit einem trockenen Knall ging seine Heckler & Koch los und riss in Bauchhöhe ein Loch in die Gipskartonwand.

Und dann ging das Geschrei los. Schrill und durchdringend, und es kam aus dem Zimmer: »Prosze, nie zabijai mnie!«

Logan entsicherte seine Waffe und stürmte durch die offene Tür. Ein Büro: kaputter Schreibtischstuhl, rostiger Aktenschrank, Telefonbuch … Frau. Sie lehnte zusammengesackt an der Wand, eine Hand auf das Loch in ihrer Seite gepresst, um das sich schon ein tiefroter Fleck gebildet hatte. Die andere Hand umschloss einen schweren Tacker, den sie wie eine Keule hielt. Er war mit Blut bespritzt.

Logan zielte mit der Maschinenpistole auf ihren Kopf. »Hinlegen, los!«

»Prosze˛, nie zabijai mnie!« Die Frau starrte vor Dreck, die langen dunklen Haare klebten ihr am Kopf. Sie schluchzte und zitterte. »Prosze˛, nie zabijai mnie!«

Irgendwas mit »bitte« und »nicht wehtun«?

»Policja«, sagte Logan und gab sich große Mühe, das Wort korrekt auszusprechen. »Ich bin policja. Verstanden? Policja? Polizist?« Verdammter Mist – das hatte er nun davon, dass er im Polnischkurs drüben im Präsidium nicht besser aufgepasst hatte.

»Prosze˛ …« Sie rutschte noch weiter an der Wand herunter, wobei sie einen breiten roten Schmierfleck auf der Tapete zurückließ, und wiederholte ein ums andere Mal: »Prosze˛, prosze˛ …«

Logan hörte polternde Schritte auf der Treppe. Dann einen Fluch, als der Kollege den oberen Flur erreichte. »Hallo Leitstelle, hier Null-drei-eins-eins: Wir haben einen Verletzten; wiederhole: Wir haben einen Verletzten! Schickt einen Krankenwagen, aber sofort!«

»Prosze˛ …« Der Tacker glitt ihr aus den Fingern.

Ein AFO stürmte ins Zimmer und schwenkte wild seine MP. Er erstarrte, als er die Frau entdeckte, die zusammengesunken an der Wand hockte, die Kleider blutgetränkt.

»Mein Gott, Sarge, was hast du mit ihr gemacht?«

»Ich hab gar nichts gemacht, das war Guthrie. Und es war ein Unfall.«

»Mist, verdammter.« Der Neuankömmling griff nach seinem Airwave-Funkgerät und rief noch einmal die Leitstelle, um wegen des Krankenwagens Dampf zu machen, während Logan mit seinen paar Brocken Polnisch unter Einsatz von Händen und Füßen die Frau zu beruhigen versuchte.

Ohne Erfolg.

Die andere Hälfte von Team 2 steckte den Kopf zur Tür herein und sagte: »Wir haben schon wieder einen.«

Logan hob den Blick von den blutunterlaufenen Augen der Frau. »Was soll das heißen – schon wieder einen?«

»Komm am besten gleich mit.«

Es war ein etwas größeres Büro mit schräger Decke. Durch das staubige Dachfenster drang das goldene Licht der untergehenden Sonne. Das einzige Möbelstück war ein ramponierter Schreibtisch mit nur drei Beinen. Die stickige Luft roch nach verbranntem Fleisch und menschlichen Exkrementen.

Die Quelle des Gestanks lag hinter dem kaputten Schreibtisch auf dem Boden. Ein Mann, in Embryonalhaltung zusammengekrümmt. Er rührte sich nicht.

»Ach du Scheiße …« Logan sah den Constable an. »Ist er …?«

»Ja. Genau wie all die anderen.«

Logan ging in die Hocke und tastete nach einem Puls, um ganz sicherzugehen.

Der Mann lebte noch.

Er fasste ihn an der Schulter und drehte ihn auf den Rücken.

Der Mann stöhnte. Und Logans Magen versuchte die Käsemakkaroni wieder loszuwerden, die es zum Mittagessen gegeben hatte.

Irgendjemand hatte den Typ windelweich geprügelt – ihm die Nase gebrochen und ein paar Zähne ausgeschlagen, aber das war rein gar nichts. Das war allenfalls ein Heftpflaster wert, verglichen mit dem, was mit seinen Augen passiert war.

Genau wie all die anderen.

2

»Okay, Leute, das reicht.« Detective Chief Inspector Finnie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und warf den versammelten Beamten böse Blicke zu, während er darauf wartete, dass endlich Ruhe einkehrte. Mit seiner Schmachtlocke, den Hängebacken und dem breiten Mund mit den wulstigen Lippen sah er aus wie ein Frosch, der gerade dabei war, sich in einen nicht besonders attraktiven Prinzen zu verwandeln.

»Dank der erstklassigen Arbeit von Team 3 gestern Abend«, sagte er, »hat sich bei der Presse irgendwie der Eindruck festgesetzt, dass wir ein einziger Haufen von Vollidioten sind.« Er hielt den Aberdeen Examiner von diesem Morgen hoch, auf dessen Titelseite die Schlagzeile prangte: »VERPFUSCHTE RAZZIA: POLIZEI SCHIESST UNBEWAFFNETE FRAU AN.«

Logan rutschte nervös auf seinem Stuhl in der hintersten Reihe herum. Die erste Operation seit sechs Monaten, an der er beteiligt war, und sie war »verpfuscht«. Verbockt. Ein Fiasko. Ein Desaster auf der ganzen Linie. Dass es gar nicht seine Schuld war – er war nicht einmal der Leiter des AFO-Teams gewesen –, spielte keine Rolle.

Er ließ den Blick zur Uhr an der Wand des kleinen Besprechungsraums wandern. Zwanzig vor acht. Die halbe Nacht hatte er im Krankenhaus verbracht und die andere Hälfte mit dem Ausfüllen von Papierkram – irgendwie musste er erklären, wie sie es geschafft hatten, aus Versehen eine Zivilistin anzuschießen. Im Moment bewahrten ihn nur zwei Stunden Schlaf und drei Tassen Kaffee vor dem Kollaps.

Finnie knallte die Zeitung auf den Tisch. »Ich habe heute Morgen schon zwei Stunden mit dem Chief Constable telefoniert – er wollte gerne wissen, warum meine ach so professionellen Beamten es nicht fertigbringen, eine simple Razzia durchzuziehen, ohne dass es Verletzte gibt.« Er machte eine Kunstpause und lächelte fies. »Habe ich mich bei der Einsatzbesprechung vielleicht nicht klar genug ausgedrückt? Habe ich etwa einen Anflug von Alzheimer gehabt und Ihnen gesagt, Sie könnten einfach jeden umballern, der Ihnen vor den Lauf kommt? Na? Denn die einzige andere Möglichkeit, die ich sehe, ist, dass Sie alle ein Haufen unfähiger Trottel sind, und das kann doch wohl nicht sein, oder?«

Niemand antwortete.

Finnie nickte. »Dachte ich mir’s doch. Nun, Sie werden alle hocherfreut sein, zu hören, dass die Interne Dienstaufsicht sich des Vorfalls annehmen will. Die Ermittlung beginnt, sobald wir hier fertig sind.«

Die Reaktion war ein kollektives Aufstöhnen aller zwölf Anwesenden.

»Ach, nun stellen Sie sich nicht so an. Sie denken, Sie hätten Grund zur Klage? Und was ist mit der armen Frau, die jetzt mit einer Kugel im Bauch auf der Intensivstation liegt?« Er sah in Logans Richtung. »DS McRae: Superintendent Napier möchte mit Ihnen anfangen. Bitte, seien Sie so gut und tun Sie wenigstens dieses eine Mal so, als wären Sie ein Polizist. Okay? Können Sie mir den Gefallen tun? Bitte, bitte?«

Es war einen Moment lang still, während alles in die andere Richtung schaute. Logan merkte, wie er rot wurde. »Ja, Sir.«

»Und wenn Sie da oben fertig sind, schieben Sie Chauffeurdienst. Auf die Weise werden Sie vielleicht mal eine Zeitlang keinen Mist bauen. Nächstes Dia.« Finnie nickte seinem Assistenten zu – einem spindeldürren Sergeant, dessen roter Haarschopf an rostige Stahlwolle erinnerte –, und das Bild auf der Leinwand wechselte. Ein Mann mit einem Allerweltsgesicht, vielleicht Mitte zwanzig, grinste in irgendeinem Pub in die Kamera. »Das ist Opfer Nummer fünf: Lubomir Podwoiski.«

Wieder ein Nicken, und ein neues Foto erschien. Fast alle im Raum fluchten. Das fröhliche Gesicht war verschwunden, ersetzt durch den blutigen Alptraum, den Logan letzte Nacht gesehen hatte. Die Augen nur noch zwei zerfetzte Höhlen, umringt von verbranntem Gewebe.

Irgendjemand murmelte: »Du Scheiße …«

Finnie tippte auf die Leinwand. »Sehen Sie sich das in aller Ruhe an, meine Herrschaften – denn es wird wieder passieren, und immer wieder, so lange, bis wir das Schwein erwischen, das dafür verantwortlich ist.« Er ließ das entstellte Gesicht des Mannes eine volle Minute lang stehen. »Nächstes Dia.«

Das Foto von Podwoiski verschwand, und stattdessen sahen sie einen Brief, zusammengesetzt aus den unterschiedlichsten Schrifttypen in verschiedenen Farben. »Das ist heute Morgen gekommen.«

Finnie hielt eine Kollektion transparenter Beweismittelbeutel hoch, jeder mit einer kleinen lasergedruckten Hassbotschaft darin. »Fünf Opfer; fünf Telefonanrufe; acht Briefe. Ich will, dass Sie alle das Profil noch einmal lesen. Ich habe mit Dr. Goulding vereinbart, dass er um drei vorbeischaut, um es im Hinblick auf das neue Opfer zu ergänzen, und es wäre vielleicht ganz nett, wenn wir ihm ein paar Fakten liefern könnten, damit wir uns wenigstens so anhören, als hätten wir einen blassen Schimmer von dem, was wir tun. Finden Sie nicht?«

Ein Termin bei der Internen Dienstaufsicht war in etwa so spaßig wie Zähneziehen ohne Narkose. Superintendent Napier – der Mann, dessen Job es war, seine Kollegen in den Senkel zu stellen, sobald irgendetwas schiefging – hielt Logan einen schier endlosen Vortrag, in dem er ihm haarklein auseinandersetzte, wie stümperhaft und unprofessionell Team 3 sich bei der gestrigen Razzia angestellt hatte. Und irgendwie war alles Logans Schuld … einfach nur, weil er Detective Sergeant war und Guthrie bloß ein Constable mit einer Heftklammer in seiner frisch gebrochenen Nase.

Nachdem er zwei Stunden damit zugebracht hatte, jeden Fehler zu erklären, den er in den vergangenen sieben Monaten gemacht hatte, durfte Logan endlich gehen. Grummelnd und fluchend stapfte er die Treppe hinunter und durch den Hinterausgang hinaus in die frische Morgenluft. Er musste ja schließlich einen Wagen besorgen, damit er das Privileg genießen konnte, DCI Finnie in der Gegend herumzukutschieren.

Auf dem Parkplatz hinter dem Präsidium wimmelte es von verbannten Rauchern, die die Morgensonne genossen, während sie ihre Lungen für die nächste halbe Stunde mit Nikotin auftankten. Logan bahnte sich seinen Weg durch die Menge zu der Flotte von CID-Einsatzwagen.

Dieser blöde Finnie.

Dieser blöde Finnie und dieser blöde Superintendent Napier.

Und diese saublöde, gottverdammte Grampian Police.

Vielleicht hatte Napier ja recht. Vielleicht war es an der Zeit, dass er sich Gedanken über »berufliche Alternativen« machte. Was auch immer, besser als das hier wäre es allemal.

»He, Laz, wohin des Wegs?«

Verdammt.

Er drehte sich um und erblickte Detective Inspector Steel, die lässig am nagelneuen Audi des Polizeipräsidenten lehnte. In ihrem Mundwinkel klemmte eine Kippe, und sie hatte einen großen Pappbecher Kaffee auf der Motorhaube des Präsidentengefährts abgestellt. Ihre Haare sahen aus, als hätte ein besoffener Gorilla sie frisiert – immerhin ein Fortschritt gegenüber gestern. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und badete ihre Falten im Licht des herrlichen Sommermorgens. »Hab gehört, Sie hätten gestern Abend ein bisschen Stress gehabt …?«

»Falsches Thema, okay? Mir reicht schon, was ich mir heute Morgen von Napier anhören musste.«

»Und was hört man so von unserem allseits beliebten unermüdlichen Streiter für die Einhaltung der Dienstvorschriften?«

»Dieses rothaarige Arschloch.« Logan starrte den funkelnden blauen Audi an. »Der Chief bringt Sie um, wenn er rausfindet, dass Sie sein bestes Stück als Kaffeetisch missbraucht haben.«

»Lenken Sie nicht ab! Was hat Napier gesagt?«

»Das Übliche. Ich bin Scheiße. Meine Arbeit ist Scheiße. Und alles, was ich anfasse, verwandelt sich in Scheiße.«

DI Steel zog ausgiebig an ihrer Zigarette und produzierte ihren ganz persönlichen Rauchvorhang. »Ich muss zugeben, was das Alles-in-Scheiße-Verwandeln angeht, hat er nicht ganz unrecht. Nichts für ungut, ja?«

»Danke. Vielen Dank. Wirklich sehr freundlich.«

»Ach, nun seien Sie doch nicht so empfindlich. Sie haben eben eine Pechsträhne, so was kommt vor. Ist doch kein Weltuntergang, oder?«

»Sieben Monate sind keine ›Pechsträhne‹, das ist eine –«

»Wie auch immer«, unterbrach sie ihn, »heute ist Ihr Glückstag: Sie dürfen mich auf einer Tour zu unseren örtlichen Grundschulen begleiten. Da ist dieser versaute alte Sack, der die Kleinen in sein Auto zu locken versucht, indem er ihnen Hündchen und diverse Süßigkeiten verspricht.«

»Kann heute nicht«, erwiderte Logan und wich vorsichtig zurück. »Ich muss ins Krankenhaus, um unser neuestes Ödipus-Opfer zu vernehmen, und diese Frau, die wir –«

»Angeschossen haben?«

»Es war ein Unfall, okay?«

»Aye, aye, Mr. Mimose-vom-Dienst. Wie wär’s, wenn ich mitkomme? Ich zeig’ Ihnen, wie eine richtige Polizeibeamtin Zeugen befragt.«

»Von mir aus – Sie können hinten bei Finnie mitfahren.«

Steel klappte den Mund zu, und eine kleine Aschelawine ergoss sich über ihre Bluse. »Lieber hol’ ich mir ’ne Blasenentzündung.«

»Früher oder später werden Sie mit ihm zusammenarbeiten müssen.«

»Müssen muss ich gar nix.« Sie nahm die letzten zwei Zentimeter ihrer Zigarette und drückte sie auf dem Rückspiegel der Präsidentenkutsche aus. »Amüsieren Sie sich ruhig mit DCI Froschmaul – dann kommt eben jemand anders in den Genuss meiner Genialität. Wo ist Rennie?«

»Kommt erst am Freitag wieder.«

»Ach, leck mich doch … Na schön, ich nehme Beattie mit – sind Sie jetzt zufrieden?« Sie machte kehrt, marschierte unter fortgesetztem Gefluche auf die Hintertür zu und verschwand im Gebäude.

Das Aberdeen Royal Infirmary war keine Augenweide. Eine Ansammlung grabsteinähnlicher Granitklötze, verbunden durch Korridore, Gehwege und überfüllte Parkplätze – das Ganze war ungefähr so reizvoll wie ein Tritt zwischen die Beine.

DCI Finnie hatte während der ganzen Fahrt schweigend auf dem Rücksitz gesessen und auf seinem BlackBerry herumgetippt. Wahrscheinlich boshafte E-Mails an den leitenden Detective Chief Superintendent des CID.

»Darf ich Sie mal was fragen?«, sagte Logan, während er auf der Suche nach einer Abstellmöglichkeit für den glänzenden neuen Vauxhall schon die zweite Runde über den Parkplatz fuhr. »Wieso haben Sie eigentlich nicht DS Pirie mitgenommen?«

»Glauben Sie mir, Sie waren nicht meine erste Wahl. Pirie hat heute Morgen einen Gerichtstermin; sobald er frei ist, übergeben Sie an ihn, verstanden? Auf die Weise bekommen wir vielleicht tatsächlich greifbare Ergebnisse.« Finnie sah zu, wie die nächste Reihe schlecht geparkter Autos draußen vorbeizog. »Also, so sehr ich Ihre kleine Sightseeing-Tour auch genieße, ich habe leider nicht die Zeit dafür. Lassen Sie mich am Haupteingang raus, Sie können dann später nachkommen. Denken Sie, dass Sie das ohne Pannen hinkriegen?«

Logan hielt den Mund und tat, wie ihm geheißen.

Fünfzehn Minuten später schlurfte er den Flur zur Intensivstation entlang, im Schlepptau einer übergewichtigen Krankenschwester mit Fesseln wie Baumstämme.

»Versteh’n Sie mich nicht falsch«, sagte sie, »die Leute können nichts dafür, aber trotzdem – wenn ich mich schon in einem fremden Land niederlasse, dann kann ich doch wenigstens die Sprache lernen, oder?« Sie bog nach rechts ab, immer den farbigen Linien im Linoleumboden nach. »Kaum haben sie was getrunken, schon können sie kein Wort Englisch mehr. Na schön, bei meinem Mann ist’s ganz genauso, aber der ist aus Ellon, was wollen Sie da groß erwarten? … Da wären wir.«

Sie deutete auf ein Krankenzimmer am Ende des Flurs. Vor der Tür saß ein uniformierter Constable und las in einem reißerischen Klatschmagazin, auf dessen Titelseite die Worte »PROMIS MIT CELLULITE!« prangten.

»Also schön«, sagte die Krankenschwester, »wenn Sie mich dann entschuldigen würden. Ich muss zu einem zweistündigen Referat über die Wichtigkeit des Händewaschens. Was diese verdammten Politiker uns so alles einbrocken …«

Logan sah ihr nach, als sie grummelnd und mit quietschenden Sohlen davonwatschelte, und schlenderte dann auf den Constable zu, um ihm über die Schulter zu linsen. »Wer ist das denn?«, fragte er und deutete auf das Foto einer Frau im Bikini mit Dellen in den Oberschenkeln.

Der Constable zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Aber die Titten sind nicht übel.«

»Ist Finnie da drin?«

»Aye – und er sieht aus, als hätte ihm jemand in die Schuhe geschissen.«

Logan räusperte sich. »Muss ich Sie daran erinnern, Constable, dass Sie über unseren Vorgesetzten sprechen?«

»Deswegen ist er trotzdem ein sarkastisches Arschloch.«

Da hatte er allerdings recht.

Logan stieß die Tür auf und betrat das hell erleuchtete Krankenzimmer. Lubomir Podwoiski lag reglos im Bett, die Augenpartie mit weißem Verbandmull bedeckt. In seinem linken Handrücken steckte ein Morphiumtropf. Finnie und eine Polizeidolmetscherin hatten ihre Stühle links und rechts an das Bett herangerückt, und der DCI saß mit verschränkten Armen da, während die Dolmetscherin gerade etwas ins Polnische übersetzte.

Nach einer langen Pause murmelte Podwoiski eine Antwort. Die Dolmetscherin beugte sich weit vor und hielt ihr Ohr einen Zentimeter vor die Lippen des blinden Mannes. Und dann runzelte sie die Stirn. »Er sagt, er kann sich nicht erinnern.«

Finnie presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Fragen – Sie – ihn – noch – mal.«

Die Dolmetscherin seufzte. »Ich frage ihn doch schon seit –«

»Ich sagte: Fragen Sie ihn noch mal.«

»Na schön. Wie Sie wollen.« Sie sprach auf Polnisch weiter.

Der DCI blickte auf und sah Logan in der Tür stehen. »Wo sind Sie gewesen?«

»Ich musste meilenweit vom Eingang parken. Soll ich –«

»Nein. Gehen Sie zu der Frau, und reden Sie mit ihr. Sie erinnern sich doch? Ich meine die, die dank Ihnen eine Kugel im Bauch hat. Wäre ganz gut, zu wissen, warum sie dort war und was sie genau gesehen hat.«

»Aber –«

»Heute noch, Sergeant.«

»Ja, Sir.«

Sie sah aus, als wäre sie aus Porzellan, die bleiche Haut von violetten Blutergüssen verunstaltet. Trotzdem konnte man noch erkennen, dass sie einmal hübsch gewesen war, bevor das alles passiert war …

Über ein Gewirr von Drähten und Schläuchen war sie mit einer Batterie von Apparaten verbunden. Nur das leichte Heben und Senken ihres Brustkorbs – das Werk des Respirators neben ihrem Bett – störte die Stille.

Logan winkte eine Schwester heran und fragte sie nach dem Befinden der Patientin.

»Nicht so toll.« Die Schwester warf einen Blick auf das Krankenblatt am Fußende des Betts. »Die Kugel hat Dickdarm und Dünndarm durchschlagen und die Unterseite der Milz gestreift … Erst die Wirbelsäule hat sie gestoppt. Die Ärzte wollen abwarten, ob sie sich noch ein bisschen stabilisiert, ehe sie versuchen, das Projektil zu entfernen. Sie hat eine Menge Blut verloren.«

»Haben Sie eine Ahnung, wer sie ist?«

»Sie hat das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt.« Die Schwester hängte das Krankenblatt wieder ans Bett. »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als dass sie Anfang zwanzig ist. Ansonsten ist sie für uns Patientin X.«

»Verdammt …« Logan deutete auf den Nachttisch, wo ein Plastikkrug mit Wasser stand. »Kann ich mir mal eins von den Gläsern ausleihen?«

»Wozu?«

»Ich habe kein Fingerabdruck-Set dabei.« Logan streifte sich ein Paar Latexhandschuhe über, nahm ein Glas und wischte es mit einem Zipfel der Bettdecke sauber. Dann griff er nach der rechten Hand der Frau, öffnete sie und rollte das Glas sorgfältig über ihre Fingerkuppen.

Er stand da und starrte ihr Handgelenk an. Eine purpurrote Verfärbung, ungefähr einen Zentimeter breit, zog sich rings um den Arm. Das andere Handgelenk sah genauso aus. »Verdammt …«

Logan stellte das Glas zurück. »Helfen Sie mir, das Bettlaken rauszuziehen. Ich will mir ihre Fußknöchel ansehen.«

»O nein, kommt nicht in Frage. Da muss ich bloß hinterher das Bett neu machen. Ich habe auch noch andere Patienten zu versorgen.«

Aber Logan hörte ihr gar nicht zu; er war schon dabei, das Laken herauszuzerren. Er schlug es zurück, und ein bleiches Beinpaar kam zum Vorschein. Die Knöchel wiesen die gleichen ringförmigen Blutergüsse auf. »Wurde ein Vaginalabstrich gemacht?«

»Was? Nein, wieso sollten wir –«

»Diese Blutergüsse an den Hand- und Fußgelenken. Sie ist gefesselt und verprügelt worden. So ein hübsches Mädchen – glauben Sie wirklich, die Täter hätten sich damit begnügt?«

»Ich hole einen Arzt.«

3

»Und was genau haben Sie sich dabei gedacht?« DCI Finnie stand im Krankenhausflur und durchbohrte Logan mit Blicken, während die Schwester den Vorhang um das Bett der Unbekannten zuzog. »Habe ich da etwas nicht mitbekommen? Sind Sie urplötzlich zum Leitenden Ermittlungsbeamten in diesem Fall befördert worden?«

»Ich dachte nur, dass es schneller ginge –«

Finnie bohrte Logan den Zeigefinger in die Brust. »Sie lassen alles von mir absegnen, bevor Sie loslegen. Verstanden?«

»Aber –«

»Haben Sie vielleicht den heimlichen Wunsch, den Rest Ihrer Dienstzeit damit zu verbringen, vor rotznasigen Schulkindern Vorträge zur Sicherheit im Straßenverkehr zu halten? Ist es das?«

»Nein, Sir. Ich wollte nur –«

»Ich weiß ja nicht, was das für Hopplahopp-Methoden sind, die Sie gewohnt sind, aber wenn Sie für mich arbeiten, dann halten Sie sich gefälligst an die Befehlskette, sonst schicke ich Sie gleich wieder dorthin zurück, wo ich Sie aufgelesen habe – das schwöre ich Ihnen.«

»Aber –«

»Nach allem, was Sie sich letztes Jahr geleistet haben, können Sie froh sein, überhaupt noch einen Job zu haben, von der Mitarbeit bei einer bedeutenden Ermittlung ganz zu schweigen. Was denn? – Glauben Sie vielleicht, die kleinen Karriere-Heinzelmännchen hätten Sie in die Operation Ödipus eingeschleust? Haben sie nämlich nicht.« Finnies Finger stach erneut zu. »Sie haben Erfahrung mit kranken Serientätern, und ich dachte – ja, ich habe tatsächlich geglaubt, Sie würden vielleicht diese Gelegenheit ergreifen, endlich den Arsch hochzukriegen und Ihr verkorkstes Leben wieder ins Gleis zu heben. Habe ich mich geirrt? Sind Sie wirklich so ein absolut hoffnungsloser Fall, wie alle sagen?«

Logan knirschte mit den Zähnen, atmete tief durch und sagte: »Nein, Sir. Danke, Sir.«

»Und?«

»Es wird nicht wieder vorkommen?«

»Das habe ich nicht gemeint – wann können wir mit den Ergebnissen von diesem Abstrich rechnen …« Er brach ab und betrachtete stirnrunzelnd den Beweismittelbeutel in Logans Hand. »Ist das ein Glas?« Finnie schnappte den Beutel und hielt ihn gegen das Licht. »Wieso haben Sie da ein Glas drin?«

»Wir haben das Opfer noch nicht identifiziert, und ich hatte kein Fingerabdruck-Set dabei, und da dachte ich –«

»Sehen Sie? Das ist genau die Art von Unsinn, die ich meine. Wir haben hier rund um die Uhr Beamte postiert – könnten Sie sich nicht denken, dass einer von denen vielleicht ein Fingerabdruck-Set dabeihaben könnte? Hmm? Was meinen Sie?« Er hielt inne und funkelte Logan an. »Na los, gehen Sie’s schon holen.« Er hielt ihm den Beweismittelbeutel hin. »Und nehmen Sie Ihren kleinen Detektiv-Baukasten mit.«

Als endlich die Ergebnisse der Fingerabdruckuntersuchung aus dem Labor kamen, war es fast halb drei. Logan saß wieder an seinem Schreibtisch im CID-Büro und kaute auf einer Magentablette herum. Das hatte er nun davon, dass er sich zum Mittagessen ein Gemüsecurry in der Mikrowelle aufgewärmt hatte. Und jetzt musste er Finnie beichten, dass sie immer noch keine Ahnung hatten, wer die Frau war. Der DCI würde begeistert sein.

Blöde Froschfresse.

Kein Wunder, dass es in Logans Magen rumorte.

Es dauerte eine Weile, bis er Finnie aufgespürt hatte, aber endlich fand er ihn in einem der kleinen SOKO-Büros, das gerade genug Platz bot für zwei überladene Schreibtische, drei Stühle und einen merkwürdigen Geruch nach faulen Eiern. Finnie saß auf der Kante eines der Schreibtische, ins Gespräch mit einem schlaksigen Verwaltungsbeamten vertieft.

Logan hielt sich im Hintergrund und wartete.

Finnie drehte sich nicht einmal um. »Wollten Sie was Bestimmtes, Sergeant, oder haben Sie nur Angst, die Wand könnte umfallen, wenn Sie sich nicht dagegenlehnen?«

»Wir konnten ihre Abdrücke in der Datenbank nicht finden.«

»Und?«

»Nichts weiter.«

»Haben Sie in der Pressestelle Bescheid gesagt wegen der Kennen-Sie-diese-Frau?-Plakate?«

»Also … nein.«

Jetzt endlich drehte Finnie sich um. »Warum nicht? Mein Gott, können Sie nicht mal ein bisschen Eigeninitiative zeigen?«

»Sie haben mir gesagt, ich soll nichts tun, ohne vorher Ihre Genehmigung einzuholen.«

»Wie alt sind Sie eigentlich – zwölf? Sie hören sich an wie meine Nichte.« Der DCI streckte die Hand aus. »Foto.«

Logan gab ihm den 20×25-Hochglanz-Abzug, der die unbekannte weibliche Person in ihrem Krankenhausbett zeigte, mitsamt all den Beatmungs- und Infusionsschläuchen. Es war nicht gerade die beste Porträtaufnahme der Welt.

Finnie warf ihm das Foto zurück. »Das können wir nicht gebrauchen. Bringen Sie’s ins Fotolabor, und sagen Sie den Jungs, sie sollen die ganzen Schläuche und Drähte wegretuschieren, ihrer Haut ein bisschen Farbe geben und ihr diese Panda-Augen wegmachen … Irgendwie so, dass man auch eine Chance hat, sie wiederzuerkennen.«

»Ja, Sir.«

»Wäre nett, wenn Sie’s heute noch hinkriegen würden, Sergeant. Das heißt, falls Sie nicht zu beschäftigt sind.«

Die Laborantin mit dem Barney-the-Dinosaur-for-President-T-Shirt machte ein paar abfällige Bemerkungen über die Qualität des Fotos und meinte dann, sie werde sehen, was sich machen ließe. Versprechen könne sie allerdings nichts.

Logan überließ sie ihrem Schicksal und ging wieder nach unten ins CID-Büro, um sich eine Tasse Tee zu genehmigen und sich ein bisschen vor der Arbeit zu drücken. Aber auch da kam er nicht zur Ruhe – sein Eingangskorb quoll über von neuen Anweisungen, Memos, Ermahnungen wegen ausstehender Berichte und ganz obenauf – versehen mit einem kleinen roten Ausrufezeichen – die Aufforderung, erneut bei der Internen Dienstaufsicht vorstellig zu werden. Offenbar gab es da gewisse Diskrepanzen zwischen seiner Version der Ereignisse und der von PC Guthrie – ob es ihm genehm sei, die Angelegenheit morgen um halb elf in einem Gespräch zu klären?

Nein, das war ihm nicht genehm. Aber hatte er denn eine Wahl?

In der Ecke des CID-Büros stand ein kleiner Kühlschrank. Logan bediente sich aus einem Karton mit der Aufschrift »Duncans Milch – FINGER WEG, IHR SCHNORRER!« und machte sich eine Tasse Tee, mit der er zu seinem Schreibtisch zurückging. Dort setzte er sich hin, starrte zum Fenster hinaus und beobachtete, wie zwei Möwen die Wischerblätter eines Porsche abrissen, der unten auf der Straße parkte. Wenn er jetzt bloß noch irgendwo ein paar Kekse auftreiben könnte …

»… vom Labor zurück?«

»Hmm?« Logan drehte seinen Stuhl herum, um zu sehen, wer da störte – Detective Sergeant Pirie, offenbar zurück von seinem Gerichtstermin, kam mit federndem Schritt auf ihn zu.

»Ich sagte: Hast du dieses Foto schon vom Labor zurück?«

»Was grinst du denn so selbstzufrieden?«

»Richard Banks hat acht Jahre gekriegt. Der Mistkerl hat noch zu handeln versucht, aber der Staatsanwalt ist nicht drauf eingegangen, und sie haben ihm die Höchststrafe aufgebrummt.«

»Gratuliere.«

»Das Foto?«

»Sie arbeiten noch dran.«

»Der Vaginalabstrich?«

»Dito.«

»Ah …« Pirie fuhr mit der Hand durch seine rotblonden Stahlwolle-Haare. »Das wird dem Chef gar nicht gefallen.«

»Ach nee? Das wäre ja mal ganz was Neues.«

»Tja, also … mail mir doch einfach alles, was du über unsere Unbekannte hast, und dann kannst du meinetwegen wieder dieser wandelnden Katastrophe mit Falten nachlaufen, die sich DI Steel schimpft.«

Logan starrte ihn an. »Wollen wir uns hier wirklich darum schlagen, wessen Chef das größere Arschloch ist?«

»Hast ja recht.« Pirie hockte sich auf die Kante von Logans Schreibtisch. »Finnie sagt, du hättest versucht, die Fingerabdrücke des Opfers mit einem Wasserglas abzunehmen …« Sein Blick wanderte über die Berge von Papieren und blieb an dem Plastikbeutel mit dem Glas darin hängen. »Und da ist es tatsächlich! Ich dachte, er verarscht mich bloß.« Er nahm den Beutel und grinste. »Liest wohl zu viel Drei-Fragezeichen-Geschichten?«

»Ha, ha, sehr witzig.« Logan riss ihm den Beutel aus der Hand, stopfte ihn in seine unterste Schublade unter einen Stapel Police-Review-Magazine und knallte die Schublade wieder zu.

»Ich versteh’s nicht – wieso hat er mich so auf dem Kieker? Andauernd mäkelt er an mir rum.«

»Das ist schnell erklärt.« Pirie stand auf, machte kehrt und schlenderte zur Tür. »… Er kann dich nicht leiden.«

Das Telefon auf Logans Schreibtisch begann zu klingeln, und so kam er nicht mehr dazu, DS Pirie zu sagen, was er gefälligst mit seiner Vorhaut und einer Käsereibe machen könne.

»McRae?«

»Arbeiten Sie immer noch für Finnie das Froschgesicht?« Es war DI Steel, und sie klang außer Atem.

»Nicht mehr. Pirie hat wieder übernommen –«

»Dann sehen Sie zu, dass Sie runterkommen. Wir haben da einen handfesten Krawall am Hals!«

Das Turf ’n Track gehörte nicht zu den Orten, die man in einen Stadtplan für Touristen aufnehmen würde – und wenn, dann nur mit einem fetten Vermerk: »Meiden wie die Pest!« Es gehörte zu einer kleinen Reihe von vier schäbigen Geschäften im Herzen von Sandilands, umgeben von Sozialwohnungen, die aussahen wie zu Stein gewordene Depressionen. Vor der Mini-Ladenzeile gammelte ein schlaglochübersäter Parkplatz vor sich hin, garniert mit einem ausgebrannten Abfallbehälter, von dem sich eine Spur aus geschmolzenem und erstarrtem Plastik über den grauen Asphalt zog. Das Wettbüro lag zwischen einem Lebensmittelgeschäft und der verstaubten Leiche einer Videothek mit Sperrholzplatten vor den Fenstern. Eine Dönerbude schloss die Reihe ab. Alle Ladenfronten waren mit mehreren Schichten Graffiti bedeckt, nur die des Turf ’n Track nicht. Seine verdunkelten Fenster und der grün-gelbe Schriftzug waren wie neu. Niemand legte sich mit den McLeods an. Und wenn, dann nur ein Mal.

Die ganze Gegend wirkte heruntergekommen und verwahrlost, einschließlich der kleinen Schar von Rotznasen, die sich am Rand des Parkplatzes versammelt hatte, um die Schlägerei zu beobachten.

Logan fuhr mit quietschenden Reifen auf den Bordstein, sprang in die warme Nachmittagsluft hinaus und rief: »POLIZEI!«

Niemand schenkte ihm auch nur die geringste Beachtung.

DI Steel schälte sich aus dem Beifahrersitz und steckte sich eine Zigarette an. Sie blies eine lange Rauchfahne aus, während sie den Blick über die Szene schweifen ließ. Sechs Männer waren damit beschäftigt, sich gegenseitig zu Brei zu schlagen. »Kennen Sie einen von denen?«, fragte sie.

Alle trugen Jeans und T-Shirts, und alle verteilten hemmungslos Schläge und Tritte. Immer wieder stürzte sich einer ins Getümmel, rammte irgendwem die Faust ins Gesicht und trat dann rasch den Rückzug an. Amateure.

Steel deutete auf einen der Beteiligten, einen aknegesichtigen Lümmel mit blutiger Unterlippe, der gerade ausholte, um einem fetten Kerl mit Topffrisur einen Haken zu verpassen. »Der da, das Pickelgesicht. Ich bin sicher, dass ich den schon mal wegen Dealerei einkassiert hab.«

Logan machte noch einen Versuch: »POLIZEI! AUSEINANDER!«

Irgendwer landete einen Volltreffer, was die Zuschauer mit vereinzelten Bravorufen kommentierten.

»AUSEINANDER, HAB ICH GESAGT!«

Steel legte Logan die Hand auf den Arm. »Bringt’s irgendwie nicht, die Schreierei, oder?«

Logan ging zwei Schritte auf das Tohuwabohu aus fliegenden Fäusten und Turnschuhen zu, aber Steel zog ihn energisch zurück. »Machen Sie keinen Quatsch – mag sein, dass das alles feige Waschlappen sind, aber aus Ihnen machen die allemal Hackfleisch.«

»Wir können doch nicht einfach seelenruhig dasitzen und –«

»Doch, können wir.« Steel hievte sich auf die Motorhaube des Einsatzwagens und ließ die Füße baumeln. »Kommen Sie – keiner von denen hat eine Waffe. Also hocken Sie sich schon auf Ihren Hintern und genießen Sie die Vorstellung. Unsere uniformierten Freunde werden schon früh genug mit ihren phallischen Schlagstöcken hier aufkreuzen und die ganze Bagage zusammenknüppeln.« Sie schnippte zwei Zentimeter Asche auf den rissigen Asphalt. »Haben Sie das Curry schon gegessen?«

»Ja, hab ich … zum Mittagessen.«

»Und?«

»Sagen Sie Susan, es war sehr lecker. Bisschen scharf, aber gut.«

»Sie sind mir vielleicht ein Weichei. Das nächste Mal soll sie Ihnen ein schönes Softie-Korma machen.«

Wieder fand eine Faust ihr Ziel, und diesmal stimmte DI Steel in den Jubel ein, klatschte in die Hände und rief: »Nicht schlecht! Saubere Arbeit, Mann! Und jetzt tritt ihm in die Eier!« Sie sah auf die Uhr. »Wo bleiben bloß die Streifenhörnchen? Diese faulen Säcke –«

Wie aufs Stichwort begann in der Ferne eine Sirene zu heulen. Das Geräusch kam näher.

»Ach, sieh mal einer an.« Steel wies über den Parkplatz auf den Eingang des Turf ’n Track. Ein kräftig gebauter Mann stand auf der Schwelle, halb im Schatten: Mitte dreißig, ein Gesicht wie eine Schüssel Porridge, ein halb abgerissenes Ohr, gewaltige Schultern, jede Menge Muskeln mit leichter Tendenz zur Verfettung. »Der Chef ist zu Hause. Sollen wir mal eben Hallo sagen? Vielleicht kredenzt er uns ja ein Tässchen Tee und ein paar Jaffa-Kekse?«

»Sie sind ja optimistisch. Das Letzte, was Simon McLeod mir angeboten hat, war ein Tritt in den Hintern.«

»Passen Sie gut auf, da können Sie noch was lernen …« Sie rutschte von der Motorhaube herunter, schlenderte fröhlich pfeifend um das Schlachtfeld herum und steuerte auf die Tür des Wettbüros zu. »Tag, Simon, wie geht’s, wie hängt’s?«

Er rümpfte die Nase. »Rieche ich da etwa Bullenfleisch?«

»Nee, das ist Chanel N°5.« Steel lächelte süß. »Und du riechst am liebsten Hamburger, wie’s aussieht.« Sie blieb vor ihm stehen und bohrte ihm den Finger in den Bauch. »Berge von Hamburgern.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Keilerei hinter sich. »Sind das da deine Verehrer? Schlagen sich wohl drum, wer dich zum Tanz ausführen darf, hm?«

»Leck mich.«

»Verlockendes Angebot«, meinte sie und hielt die linke Hand mit dem funkelnden Ehering am Finger hoch, »aber meine Frau mag es nicht, wenn ich mit pummeligen Gangstern rummache.«

Der erste Streifenwagen schoss um die Ecke und kam schlitternd auf dem heißen Asphalt zum Stehen. Simon McLeod ließ die mächtigen Arme sinken, die er vor der Brust verschränkt hatte, trat ein paar Schritte vor und schrie: »Verschwindet, ihr blöden Säcke, die Bullen sind da!«

Das Pickelgesicht verwandelte gerade die Nase eines Kontrahenten in einen blutigen Fleischbrei. Der Mann landete hart auf dem Allerwertesten und kassierte zu allem Überfluss auch noch einen Tritt gegen den Kopf. Aber kaum war die erste Uniformierte aus dem Wagen gesprungen und hatte mit einer raschen Bewegung aus dem Handgelenk ihren Teleskopschlagstock ausfahren lassen, da begann die Schlägerei sich aufzulösen.

Die Schlaueren nahmen gleich Reißaus: Die Topffrisur und der humpelnde Hippie rannten auf die Sozialsiedlung zu, der tätowierte Sexsklave sprintete zurück in Richtung Kreisverkehr. Und der, der wie ein billiger Pornostar aussah, hetzte die Straße hinunter, verfolgt von einem uniformierten Beamten, der ihm nachrief: »Komm sofort zurück!«

Breinase lag derweil auf dem Boden, zusammengerollt und die Arme schützend über den Kopf gehalten, während Pickelgesicht sich redlich Mühe gab, ihn mit Fußtritten ins Jenseits zu befördern. Die weibliche Hälfte der Besatzung von Alpha Eins-Vier rückte mit ihrem Schlagstock an.

Logan sah zu, wie Pickelgesicht sich anfangs noch zur Wehr setzte, aber nach ein paar gezielten Schlägen klein beigab. Steel hatte recht: Die Uniformierten wussten sich schon zu helfen.

Er wandte sich wieder zum Eingang um, in der Annahme, dass Simon McLeod und Steel sich dort immer noch kabbelten – aber nein, von den beiden war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich verarbeitete McLeod Logans Vorgesetzte gerade zu Hackfleisch mit Nikotingeschmack. Logan fluchte, kramte sein Pfefferspray aus der Tasche und rannte zur Tür.

Raus aus dem Sonnenschein und rein ins Herz der Finsternis.

Drinnen war das Turf ’n Track wesentlich schäbiger, als es vom Parkplatz aus wirkte. Das einzige Tageslicht drang durch die Eingangstür, und selbst das traute sich nicht weiter als ein, zwei Schritte über die Schwelle. Das Gebälk war schwarz wie eine Raucherlunge, überzogen mit dem über Jahre angesammelten Teer aus zahllosen Zigaretten. Die zwei Fernsehapparate, die an beiden Enden des Tresens an der Wand hingen, flimmerten stumm und unbeachtet vor sich hin – die Übertragung eines Rennens aus Perthshire. Die Tür zum Büro hinter dem Laden stand offen.

Vielleicht hatte Simon McLeod Steel ja dort hineingezerrt und die Welt von ihr erlöst.

Das klebrige Linoleum ratschte unter Logans Sohlen, als er um die Theke herumlief und – WAS ZUM TEUFEL WAR DAS?

Er erstarrte.

Ein tiefes, dumpfes Grollen kam von irgendwo zu seiner Linken. Die Art von Grollen, die man mit scharfen Zähnen, zerrissenen Hosen und panikartigen Fluchtversuchen in Verbindung brachte. Logan drehte sich ganz langsam um, bis ein steinalter Schäferhund in seinem Blickfeld auftauchte, der auf einer Hundedecke mit Schottenkaro lag. »Braves Hundchen …« Logan runzelte die Stirn. »Moment mal, ist das …?«

Simons Stimme dröhnte aus dem Büro: »Winchester, halt endlich die Schnauze!«

Winchester – du liebe Zeit, das Viech musste doch längst tot sein! Er war ja schon uralt gewesen, als er Desperate Doug McDuff gehört hatte. Der Hund linste mit seinen weißen Triefaugen in die ungefähre Richtung der Stimme seines neuen Herrn. Und dann gähnte Winchester, wobei er eine Menge großer, brauner Zähne sehen ließ, und bettete die graue Schnauze wieder auf seine Pfoten.

Im Büro bot sich Logan nicht ganz die blutrünstige Szene, die er erwartet hatte. Gegenüber der Tür stand ein großer Schreibtisch unter dem ausgestopften Kopf eines zwei Tonnen schweren Rottweilers namens Killer, der letzten bekannten Ruhestätte des fehlenden Stücks von Simon McLeods Ohr. Die Wände zierte eine Sammlung von Nackedei-Kalendern, die bis ins Jahr 1987 zurückreichten. DI Steel blätterte sie durch, während Simon McLeod zwei Becher Tee machte.

»Meine Fresse«, sagte sie und betrachtete eingehend das Girl des Monats März 1996, »die hier hat ja Nippel wie Sektkorken. Könnte man glatt seine Jacke dran aufhängen.«

Simon reichte ihr einen Becher. »Milch und zwei Stück Zucker.«

»Oh, danke.« Sie nippte vorsichtig daran. »Also, Simon … wie kommt es, dass ein Haufen Drogendealer sich vor deinem Laden eine Keilerei liefert?«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

»Nein?« Steel kratzte sich am Kopf. »Was für ein merkwürdiger Zufall. Du musst nämlich wissen, dass mir ein kleines Vöglein gezwitschert hat, eine Bande von Osteuropäern würde versuchen, sich in dein Revier zu drängen.«

»Ich habe kein ›Revier‹. Ich bin ein seriöser Geschäftsmann.«

»Aye, schon klar, und Miss Supernippel hier hat Gehirnchirurgie studiert. Ich dulde keine Revierkriege in meiner Stadt, Simon.«

»Sie haben mir nicht richtig zugehört, Inspector. Ich weiß nichts von der Sache.«

Steel nickte. »Also gut, mal angenommen – rein theoretisch –, du oder dein Bruder wüsstet tatsächlich etwas darüber – sagen wir, weil ihr beide in Schutzgelderpressung, Kreditwucher, Prostitution und den Handel mit harten Drogen verwickelt seid … nur mal angenommen: Würdest du deiner Tante Roberta dann vielleicht verraten, wer diese Osteuropäer sind?«

Es folgte eine Pause.

»Wie ich schon sagte, Inspector, ich bin ein seriöser Geschäftsmann. Also, wenn Sie Ihren Tee ausgetrunken haben, können Sie sich gefälligst verpissen. Ich habe noch zu tun.«

4

»Das ist ja gut gelaufen«, meinte Steel, während sie wieder hinaus in den Sonnenschein schlenderte. »Aber keine Plätzchen … Man sollte doch meinen, dass ein ›seriöser Geschäftsmann‹ in der Lage wäre, ein paar Schokokekse aufzutreiben, finden Sie nicht?«

Logan drehte sich um und spähte durch die Eingangstür des Turf ’n Track zurück ins Dunkel. »Wie zum Teufel haben Sie das hingekriegt? Ich dachte, er hasst die Polizei?«

»Die Brüder McLeod halten sich für Gangster der alten Schule … Na ja, zumindest Simon – Colin ist nur ein mieser Schläger. Haben Sie die Mama von den beiden mal kennengelernt? Die würde den beiden den Arsch versohlen, wenn sie dahinterkäme, dass sie eine Frau geschlagen haben.«

»Haben Sie vergessen, was mit Gabrielle Christie passiert ist? Kieferbruch, Rippenbrüche, Beinbruch –«

»Okay, aber das war ja auch keine Frau, oder? Das war ’ne Nutte.« Schon hatte sie die nächste Kippe zwischen den Lippen, und die Rauchkringel stiegen in den strahlend blauen Himmel auf. »Das ist für diese Leute nicht dasselbe. Prostituierte sind keine Frauen, sie sind nur Ware. Und bevor Sie etwas sagen: Ich weiß, okay? Aber so denken die nun mal.«

Vor dem Wettbüro hatte der präpubertäre Mob sich inzwischen zerstreut. Jetzt stand da nur noch ein einsames schmuddeliges Kind und sah zu, wie Breinase auf den Rücksitz von Alpha Eins-Vier verfrachtet wurde.

Inzwischen waren zwei weitere Streifenwagen eingetroffen, deren weißer Lack im Sonnenlicht glänzte. Im Fond des einen hockte Pickelgesicht, mit verpeiltem Blick und schwer gezeichnet von seinem heroischen Widerstand gegen die Festnahme.

Der andere Constable von Alpha Eins-Vier kam die Straße heraufgehumpelt; seine schwarze Uniformhose war am Knie zerrissen. Offensichtlich war ihm Mr. Pornostar durch die Lappen gegangen.

»Zwei von sechs«, meinte Steel und lehnte sich ans Dach des leeren Streifenwagens. »Nicht gerade eine glänzende Festnahmequote.« Sie rauchte eine Weile stumm vor sich hin und starrte das verschwollene Pickelgesicht an. »Na schön«, sagte sie schließlich und schnippte ihre Kippe weg, »dann wollen wir mal hören, was Clearasil-Kid zu seiner Verteidigung vorzubringen hat.«

Logan zog schon sein Handy aus der Tasche. »Ich lasse schon mal einen Vernehmungsraum fertigmachen, dann können wir –«

»Seien Sie nicht so ein Waschlappen. Hier –« Sie kramte in ihrer Hosentasche und förderte ein paar Münzen zutage, »holen Sie uns ein paar Eis am Stiel.«

Als Logan aus dem kleinen Laden zurückkam, hatte Steel es sich schon neben Pickelgesicht auf dem Rücksitz von Alpha Eins-Sechs bequem gemacht. Logan stieg auf der anderen Seite ein, sodass der Mann zwischen ihnen eingeklemmt war.

Steel lehnte sich über den Gefangenen und sah Logan fragend an. »Was haben Sie mitgebracht?«

»Frubetto Erdbeer, Flutschfinger Orange und Cornetto Schoko.«

Sie streckte die Hand aus. »Das Cornetto her zu mir.« Sie wickelte es aus und biss herzhaft hinein, um mit vollem Mund weiterzureden. »Und du, Derek? Lust auf Orange? Nee, lieber nicht, das beißt sich doch total mit deinen roten Haaren. Also, ein Frubetto Erdbeer für unseren Derek hier, Laz.«

Logan hielt es ihm hin, doch Pickelgesicht alias Derek nahm es nicht. Was nicht weiter verwunderlich war, da seine Hände hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt waren.

»Geben Sie her«, sagte Steel. Sie nahm das Eis und hielt es Derek an die Wange. »So, das ist gut gegen die Schwellung.«

Dereks Stimme war ein schrilles Krächzen. »Das ist kalt …«

»Tja, das hast du nun von deiner Blödheit. Wenn jemand ›Polizei!‹ schreit, dann musst du dich entweder brav ergeben oder rennen wie ein geölter Blitz.« Sie biss noch einmal in ihr Cornetto. »Mmmh wmmh hffth dmpfh dgbrmpf?«

»Ich glaub, die verdammte Bulette hat mir den Kiefer gebrochen …«

»Dann könntest du gar nicht mehr reden, du Trottel. Ich hab gefragt: ›Mit wem hast du dich da geprügelt?‹«

»Ich hab Schmerzen!«

»Du wirst noch viel mehr Schmerzen haben, wenn du nicht bald redest.« Sie warf Logan das Eis zurück. »Mein Sergeant hier klemmt gerne den Leuten die Hand in der Autotür ein. Ist ein Hobby von ihm. Soll ich mal einen kleinen Spaziergang machen und schauen, ob deine Finger alle noch dran sind, wenn ich zurückkomme?«

»Es war … ein …« Pickelgesicht leckte sich die Oberlippe. »Das waren Rangers-Fans; sie haben gesagt, die Dons wären Scheiße. Das konnten wir denen doch nicht durchgehen lassen …«

»Blödsinn.« Steel öffnete die Tür einen Spaltbreit. »Fangen Sie mit seiner Wichshand an, Laz, ich dreh mal eben ’ne Runde.«

Derek schielte zu Logan herüber. »Sie können doch nicht –«

»Darf ich ihm auch die Daumen brechen?«

Steel nickte. »Von mir aus.«

»Es war bloß ’ne Schlägerei! Weiter nichts. Es ging um Fußball. Sie wissen doch, wie das –«

»Die Zehen können Sie ihm auch brechen.« Steel wuchtete sich hinaus in den Sonnenschein, leckte sich noch einen verirrten Klecks Schokoeis vom Handrücken und schlug die Autotür zu.

Derek zuckte zusammen.

»NEIN, WARTEN SIE! Ich hab nichts … Ich …« Er schloss die Augen und schüttelte sich, während Steel wieder einstieg.

»Mach hin, Derek, mein Cornetto schmilzt.«

»Sie wollten, dass wir … für sie Stoff verkaufen. Also … anstatt für … die Leute, für die wir ihn normalerweise verkaufen.«

»Aha, und wer wäre das?«

»Kann mich nicht erinnern.« Derek schoss grimmige Blicke durchs Fenster auf den Mann auf dem Rücksitz von Alpha Eins-Vier: Breinase. »Scheißpolenpack. Kommen hierher, nehmen uns die Jobs weg, vögeln unsere Frauen …«

Logan tippte ihm auf die Schulter. »Schon mal einen anonymen Brief verschickt, Derek? Sie wissen schon, mit lauter verschiedenen Schrifttypen und jeder Menge Ausrufezeichen?«

»Hä?«

»Wo waren Sie gestern Abend?«

»Wir haben uns bei Harry Jordan getroffen und uns die Kante gegeben. Fragen Sie ihn. Wir hatten eine Party mit seinen … Wir hatten eine Party.«

»Tz-tz«, machte Steel. »Ich hoffe, du hast dich geschützt, Derek – du kannst dir alle möglichen fiesen Krankheiten fangen, wenn du mit Harry Jordans Mädels Partys feierst.« Sie klatschte ihm wieder das Erdbeereis an die Wange. »Also, willst du uns jetzt verraten, für wen du verkaufst? Ist ja nicht so, als könnte ich mir’s nicht denken.« Sie deutete auf das grün-gelbe Ladenschild des Turf ’n Track. »Komm schon, Derek, sei zur Abwechslung mal ein kluges Bürschchen.«

Aber Derek hatte nicht die Absicht, mit einer lebenslangen Angewohnheit zu brechen.

Breinase saß auf der anderen Seite des Tischs im Vernehmungsraum und wiederholte zum x-ten Mal: »Nie mówie˛ po angielsku.«

Das war alles, was ihm über die Lippen kam, immer und immer wieder: Ich spreche kein Englisch.

Verdammter Lügner.

Steel gähnte, sah auf ihre Uhr und wies Logan an, die Aufnahmegeräte auszuschalten. »Ach, scheiß drauf.« Sie stand auf, lehnte sich an den Tisch und tat ihr Bestes, sich drohend vor dem Gefangenen aufzubauen. »Jetzt hör mir mal zu, Freundchen: Ich weiß ganz genau, dass du Englisch sprichst – ich habe Zeugen, die es gehört haben. Aber wenn du unbedingt dieses alberne Spielchen spielen willst, dann holen wir eben einen Dolmetscher her, und dann verknacken wir dich wegen Behinderung der Justiz. Und wegen Unruhestiftung. Und wegen allem, was mir sonst noch einfällt. Wir haben einen ganzen Haufen unaufgeklärter Einbrüche in den Akten – wie würde es dir gefallen, wenn wir dir ein paar davon anhängen würden?«

»Nie mówie˛ po angielsku.«

»Bla, bla, bla.« Sie ging zur Tür. »Stecken Sie ihn wieder in seine Zelle, Laz. Morgen versuchen wir’s noch mal mit einem Dolmetscher. Und wir zwei, wir machen heute früher Feierabend und suchen uns irgendeine nette Kneipe mit Biergarten.«

Es war das Beste, was Logan den ganzen Tag gehört hatte.

Um halb acht am Mittwochmorgen war der Vernehmungsraum 3 wie eine Sauna. Der verbeulte Radiator in der Ecke tickte und klonkte ungerührt vor sich hin, obwohl draußen schon die Sonne vom Himmel knallte. Logan und Steel saßen an dem ramponierten Tisch, beide mit einem leichten Sonnenbrand im Gesicht, nachdem sie am Tag zuvor drei Stunden bei Lager und Weißwein an einem Biertisch vor dem Triple Kirks gesessen hatten.

Die Dolmetscherin hockte zusammengesunken auf der anderen Seite des Tischs, dunkle Schweißflecken unter den Ärmeln ihrer Bluse, und wiederholte noch einmal einen Satz, den Logan allmählich nicht mehr hören konnte.

»Er sagt, er weiß nichts.«

Steel ließ die Faust auf die zerkratzte Resopalplatte krachen. »Schluss jetzt mit dem Affentheater – ich will wissen, für wen er arbeitet!«

Die Dolmetscherin seufzte und machte einen neuen Versuch: »Zapytac´a: dła kogo pracujesz?«

Der untersetzte Mann mit der plattgedrückten Nase zuckte mit den Achseln und antwortete in verschnupft klingendem Polnisch. Heute Morgen war sein Gesicht ein einziger großer Bluterguss, kreuz und quer mit Heftpflastern beklebt. Kein schöner Anblick.

»Er arbeitet für niemanden. Er ist zu Besuch bei seinem Cousin hier in Aberdeen.«

»Und wieso haben wir ihn dann bei einer Schlägerei vor einem bekannten Treffpunkt für kriminelles Gesocks der untersten Kategorie erwischt? Wieso haben wir unten im Zellentrakt einen Drogendealer, der mir erzählt, dass unsere Knollennase hier versucht hätte, ihn anzuwerben? Für – wen – arbeitet – er?«

»Welche Frage soll ich ihm zuerst stellen?«

»Himmelherrgott noch mal! Wir wissen ganz genau, dass der Kerl Englisch kann –«

Es klopfte an der Tür.

DCI Finnie platzte unaufgefordert herein. »Inspector, auf ein Wort.«

Die Dolmetscherin wartete, bis Steel den Raum verlassen hatte, und fragte dann Logan, ob sie immer so schlimm sei. »Hat sie etwas gegen Polen?«

»Eigentlich nicht, solange sie sie nicht anlügen.«

»Sie müssen es mal aus der Sicht dieser Leute sehen.« Die Dolmetscherin deutete mit dem Kopf auf den Gefangenen. »Unter dem Kommunismus war die polnische Polizei ein Alptraum. Das waren die Handlanger des Regimes, sie ließen Leute verschwinden. Und nach der Wende war sie auch nicht viel besser: korrupt und faul. Deshalb traut dort niemand mehr der Polizei, und das kann man den Leuten ja wirklich nicht zum Vorwurf machen, oder?«

»Kann ich schon, wenn sie …« Logan verstummte und lauschte auf die erhobenen Stimmen, die durch die Tür drangen.

Die Dolmetscherin sah ihn verwirrt an. »Was ist?«

»Schsch!« Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Es waren Steel und DCI Finnie, die sich draußen auf dem Flur ein Wortgefecht lieferten.

Steel: »Nix da! Ich werde nicht –«

Finnie: »Das war keine Bitte, Inspector, das war ein Befehl!«

Steel: »Ich bin gerade mitten in einer –«

Finnie: »Sie behindern eine laufende Ermittlung.«

Steel: »Ich mach nur meinen verdammten Job!«

Finnie: »Es ist nicht mehr Ihr Job. Und wenn Sie damit ein Problem haben, beschweren Sie sich doch beim DCS.«

Wütendes Schweigen.

Steel: »Na schön. Dann gehört der Wonneproppen da drin jetzt ganz Ihnen.« Sie riss die Tür auf und starrte Logan finster an. »Pack zusammen. Man hat uns den Fall entzogen.«

Zwei Tage später

5

Logan rutschte auf dem Fahrersitz vor, tippte auf den Aberdeen Examiner auf seinem Schoß und sagte: »Vier waagerecht: ›Ist meist Chefsache, der Schütze tut’s auf Befehl.‹ Sechs Buchstaben, fängt mit FE an, und der vorletzte ist ein R.«

Steel, die gerade ihr Dekolletee einer eingehenden Inspektion unterzog, blickte auf. »Weißt du was«, sagte sie und schnipste eine kleine Aschelawine von ihrer Zigarette aus dem Fenster, »ich glaube, ich habe endlich eins von den verdammten Dingern gefunden, das richtig sitzt.« Sie zuppelte an ihrem BH-Träger, dass der Inhalt nur so wippte.

Logan wandte sich wieder seiner Zeitung zu – er hatte nicht die Absicht, sich schon wieder in ein Gespräch über DI Steels Unterwäsche verwickeln zu lassen. Es war fünf vor elf am Freitagmorgen, und die Sonne schickte ihre Strahlen durch das Laub der Bäume, sodass kleine Lichtkleckse über die Fahrbahnschwellen vor der Sunnybank-Grundschule tanzten. »Wie lange müssen wir das hier noch machen?«

»So lange, bis wir das Schwein geschnappt haben.« Steel ließ von ihren Brüsten ab und lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück. »Was jammerst du eigentlich? Drei Tage faul in der Sonne rumsitzen, Zeitung lesen und Eis am Stiel lutschen. Würdest du lieber mit DCI Froschmaul durch die Gegend kurven?«

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