Die dunkle Spur des Blutes - Stuart MacBride - E-Book

Die dunkle Spur des Blutes E-Book

Stuart MacBride

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Beschreibung

»Stuart MacBride ist ein Lektüre-Muss für mich ... immer schnell, hart, authentisch – und anders.« Lee Child

Eine dunkle Nacht in einer abgelegenen Gegend Schottlands. Professor Nicholas Wilson, ein so prominenter wie lautstarker Verfechter streitbarer politischer Thesen, verlässt wie jeden Abend mit seinem Hund das Haus. Doch dieses Mal kommt er nicht zurück. Und die zahlreichen Blutspuren auf seinem Küchentisch lassen das Schlimmste befürchten. Inspector Logan McRae würde diesen brisanten Fall gerne anderen überlassen, doch dann verschwindet ein zweiter Mann unter ähnlichen Umständen. Und als bei der BBC Scotland ein Paket eingeht mit zwei grausam abgetrennten, wie zum Gebet gefalteten Händen, gerät die Situation außer Kontrolle. Irgendjemand da draußen will eine Botschaft loswerden. Eine Botschaft aus Blut ...

»Was für ein großartiger Autor. Sein Ermittler Logan McRae ist für jeden Spannungsfan eine wahre Freude.« The Times

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Buch

Eine dunkle Nacht in einer abgelegenen Gegend Schottlands. Professor Nicholas Wilson, prominenter wie lautstarker Verfechter strittiger politischer Thesen, verlässt wie jeden Abend mit seinem Hund das Haus. Doch dieses Mal kommt er nicht zurück. Und die zahlreichen Blutspuren auf seinem Küchentisch lassen das Schlimmste befürchten. Inspector Logan McRae würde diesen brisanten Fall gerne anderen überlassen, doch dann verschwindet ein zweiter Mann unter ähnlichen Umständen. Und als bei der BBC Scotland ein Paket eingeht mit zwei grausam abgetrennten, wie zum Gebet gefalteten Händen, gerät die Situation außer Kontrolle. Irgendjemand da draußen will eine Botschaft loswerden. Eine Botschaft aus Blut …

Weitere Informationen zu Stuart MacBride sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

Stuart MacBride

Die dunkle Spur des Blutes

Der zwölfte Fall für Logan McRae

Thriller

Aus dem Englischen von Andreas Jäger

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »All That’s Dead« bei HarperCollinsPublishers, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe Oktober 2022

Copyright © der Originalausgabe

2019 by Stuart MacBride

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022

by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Coverfoto: Elisabeth Ansley/Arcangel

Redaktion: Eva Wagner

AB · Herstellung: ik

Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-29407-6V002www.goldmann-verlag.de

Für Grendel (wieder mal)

Ich will, dass du so tust, als ob dir nichts Schlimmes passieren könnte …

1

Das Arbeitszimmer hüllte ihn ein wie eine schützende Hand, die sich um eine Streichholzflamme legt, bis die Lunte richtig brennt. Ein dunkles Zimmer, erfüllt von Led-Zeppelin-Klängen, erhellt von einer einzelnen Architektenlampe und drei riesigen Monitoren, die über seinem alten Holzschreibtisch hingen und auf seine nächsten Worte warteten. Hungrige Mäuler, die es zu stopfen galt.

Nicholas streckte zwei leberfleckige Zeigefinger aus und fütterte sie: »Das ist ein Phänomen, das jeder vernünftige Mensch mühelos als ›Referendum-Demenz‹ diagnostizieren kann.« Er lehnte sich zurück und sah lächelnd durch den Zigarettenqualm auf den Bildschirm. Referendum-Demenz. Doch, damit konnte er arbeiten. Die Metapher ausbauen, um etwas mehr –

Ein Klümpchen Asche kullerte über die Brust seines alten Rolling-Stones-T-Shirts, das er unter dem blutroten Kapuzenpulli trug.

»Verdammt noch mal …« Beim Versuch, es wegzuwischen, rieb er das grauweiße Pulver nur noch tiefer in den Stoff.

Abigail wäre gar nicht begeistert. War schon schlimm genug, dass er herumlief wie ein mürrischer Teenager, geschweige denn wie ein Penner.

Ein elektronisches Ping durchbrach die Gitarrenriffs von »Communication Breakdown«, als ein neuer Tweet auf dem rechten Monitor auftauchte.

Nicholas rückte seine Brille zurecht und kniff die Augen zusammen. Räusperte sich und las den Text laut ab. »›Halt die Klappe, du englischer Upperclass-Arsch.‹« Drei Ausrufezeichen. »›Du kannst deine schnöseligen Verräterparolen so laut rausposaunen, wie du willst, aber du hast keinen blassen Schimmer. Verpiss dich und verrecke.‹ Hashtag ›IndeRef F.T.W.‹«

Wirklich entzückend.

Ein Lächeln zerrte an seinen Wangen, während seine zwei Finger über die Tastatur galoppierten.

»So gerne ich mit Ihnen über Verfassungsgesetzgebung diskutieren würde, ich fürchte, dass es Ihnen zur Beurteilung der Feinheiten an der notwendigen Anzahl Gehirnzellen fehlt. Und ›schnöselig‹ schreibt sich übrigens ohne ›h‹. Hashtag ›zu wenig Gehirnzellen‹. Hashtag ›Rechtschreibung mangelhaft‹. Hashtag ›Unabhängigkeit von Tatsachen‹ … Senden.« Ein Mausklick, und ab ging der Post zu dem radikalnationalistischen Primitivling, der sich hinter dem Benutzernamen »@WeAll8TheEnglish« versteckte.

Nun ja, es war doch wichtig, die kleinen Freuden zu genießen, die das Leben von Zeit zu Zeit bot.

So, wo waren wir? Ja – Referendum-Demenz.

Seine Finger verharrten über der Tastatur.

Also, was wir brauchen, ist etwas –

Ein asthmatisches Kläffen ertönte draußen auf dem Flur, dann kam Stalin hechelnd und winselnd ins Arbeitszimmer gehumpelt. Ergrauende braune Flecken, die Beine steif von Arthritis. Ein greiser Jack Russell, dessen Lebensuhr langsam ablief.

»Ich weiß, ich weiß. Lass mich das nur rasch fertig machen, Stalin.«

Stalin hoppelte auf Nicholas zu, scharrte mit einer Pfote an seinem Hosenbein und starrte mit seinen trüben Triefaugen zu ihm auf. Der manipulative kleine Scheißer.

»Ja, ist ja schon gut.« Nicholas hievte sich vom Stuhl hoch und griff sich mit einer Hand ins Kreuz, als seine Wirbelsäule sich mit einem Geräusch wie knirschender Kies gerade bog. »Uhh …«

Stalin wedelte mit seinem lächerlich kurzen Schwänzchen, drehte sich um und hoppelte davon.

»Komm ja schon, alte Nervensäge …« Nicholas humpelte hinter ihm her.

Sollte vielleicht mal sauber machen hier im Flur. Die ganzen Bücherregale, vollgestopft mit verstaubten Schwarten. Die Bilderrahmen alle von einem dunkelgrauen Pelz gekrönt.

Er hob die Hand und fuhr mit den Fingern über den von Abigails Foto, spürte die Vertiefung, wo das Holz im Lauf der Jahre abgewetzt worden war. Vorbei an der Treppe, immer hinter Stalins weißem Hintern her, der im Halbdunkel leuchtete.

»Ganz ehrlich, es ist ein Wunder, dass ich überhaupt noch was erledigt kriege – wenn’s mal nicht deine morsche alte Blase ist, dann ist es meine …«

In der Küche war es dunkel, was immerhin den Vorteil hatte, dass von den ganzen schmutzigen Tellern, Töpfen und Pfannen bloß verschwommene Konturen zu sehen waren. Auch hier stapelten sich Bücher und Zeitungen, auf dem Küchentisch standen die einsamen Reste eines Single-Fertiggerichts.

Abigail wäre alles andere als begeistert.

Stalin kratzte an der Hintertür.

»Ich komm ja schon! Mach nicht so einen Terror!« Nicholas drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür, um Stalin in die Dunkelheit hinaushoppeln zu lassen. »Und beeil dich ein bisschen!«

Er schaltete die Außenbeleuchtung ein, und ein schwacher orangefarbener Schimmer drang aus dem Plastikgehäuse. Verdammte Energiesparlampen. Was hatte man davon, den Planeten zu retten, wenn man sich den Hals brach, während man darauf wartete, dass die Scheißdinger endlich hell wurden?

Der Wind peitschte die Bäume und ließ sie vor dem zinnoberroten Himmel erzittern. Die Sonne färbte die Wipfel rötlich und golden, ehe sie ihren Abschied vom Land der Sterblichen nahm. Nur die armselige Außenbeleuchtung erhellte noch das lange Gras, in dem Ampfer, Brennnesseln und Disteln wucherten. Und den windschiefen Hühnerstall, der in seinem Drahtkäfig vor sich hin gammelte.

Pfff … Sehr erbaulich.

Vielleicht würden ein oder drei Gläser Wein die Stimmung etwas heben?

Stalin wackelte über ein Rechteck aus blassorangem Licht, knurrend und mit aufgestellten Nackenhaaren, und verschwand durchs Unterholz in Richtung Wald.

»Herrgott noch mal.« Blödes Viech.

Nicholas trat hinaus und schlurfte in seinen Schlappen durch das windgepeitschte Gras. »Josef Wissarionowitsch Stalin, beweg sofort dein stinkiges altes Hinterteil hierher!«

Was er natürlich nicht tat. Denn wann hätte ein Jack Russell jemals getan, was man ihm sagte?

»STALIN! KOMMHER, DUKLEINERSCHEISSER, HERRCHENHATZUARBEITEN!«

Immer noch keine Spur von ihm.

»Hätte mir ’ne Katze zulegen sollen.« Nicholas ließ die Schultern hängen, seufzte und zog den Reißverschluss seines Hoodies hoch. Er griff mit einer Hand durch die offene Küchentür, um die Taschenlampe vom Haken und seinen Stock aus der Ecke zu nehmen.

Dieser Hund war eine echte Landplage.

Der Strahl der Taschenlampe strich über das wogende Gras, über die schwankenden Distelhalme und das Meer von Brennnesseln auf den Waldrand zu.

Tief Luft geholt. »STAAAAAAAAAAAALIN!«

Der Wind zerrte an seiner Kapuze, ließ sie gegen seine Glatze schlagen.

»Blöder Hund.« Nicholas schwang seinen Stock wie eine Machete und bahnte sich einen Weg in den Wald hinein. Im Schein der Taschenlampe leuchteten die Stämme und Äste der Bäume wie alte Knochen.

»STAAAAAAAAAAAAAAAAAAALIN!« Er senkte die Stimme zu einem verärgerten Grummeln. »Hätte dich verscharren sollen, als wir Abigail begraben haben, du schreckliches kleines Stinkmonster.«

Noch mal Luft geholt: »STAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAALIN!«

Kracks – das Geräusch kam von irgendwo tiefer im Wald, und Nicholas erstarrte …

»Wenn du nicht sofort herkommst, junger Mann, dann geh ich rein, und du kannst dir den Rest der Nacht im Dunkeln den Arsch abfrieren. Ist es das, was du willst? Hm?«

Er schwenkte die Taschenlampe herum über die skelettdürren Äste und fahlen Stämme.

Ein Augenpaar funkelte ihm entgegen – zu weit weg, um irgendetwas zu erkennen außer ihrem reflektierten Leuchten.

Er blieb, wo er war. »Stalin? Stalin, bist du das?«

Kein Bellen kam zur Antwort. Gar keine Antwort. Wer oder was es auch sein mochte, blieb dort und starrte ihn aus der Dunkelheit an.

»Hmmm.« Nicholas reckte das Kinn. »Was bist du denn für einer – ein Fuchs oder ein Dachs?«

Und da spürt er es plötzlich. Er ist nicht allein – da steht jemand hinter ihm!

Die rauchige Schärfe von Whisky steigt ihm in die Nase, als der Jemand näher kommt. Er spürt den warmen Atem an seiner Wange.

O Gott …

Sein Mund ist ganz trocken, das Herz schlägt ihm bis zum Hals.

Ein papiernes Rascheln. Dann ein kaltes, metallisches Geräusch, als ein gespenstisch weißer Arm vor Nicholas auftaucht, blendend hell im Schein der Taschenlampe. Die Hand hält eine Axt, die Klinge schartig und braun vor Rost.

»Ein Fuchs oder ein Dachs?« Die Stimme lacht kurz auf. »Oh, ich bin etwas viel, viel Schlimmeres …«

– und dann waren Schreie zu hören –

2

»Boah, guck dir das an – so idyllisch, dass einem schlecht wird.«

Una bog mit ihrem Fiat in die gekieste Einfahrt ein und verzog das Gesicht, als sie durch die Frontscheibe spähte.

Ein heruntergekommenes Bauernhaus mit einem Wäldchen dahinter, umgeben von Hecken und Sträuchern und Blumen und Bäumen und Zeugs. Ringsherum meilenweit nichts als Hügel und Felder und Schafe und Bäume und was auch immer das für Viecher waren, die da am blauen Himmel herumschwirrten. Wie Fledermäuse, nur eben bei Tag. Tagfledermäuse.

Etwas abseits befanden sich eine Handvoll Nebengebäude, Scheunen und dergleichen in unterschiedlichen Stadien der Renovierung – eines davon war in einem Spinnennetz von Gerüsten gefangen, die Dachschindeln abgetragen und durch blaue Planen ersetzt.

Puh …

Joes Stimme tönte aus den Autolautsprechern. »Und, ist er da?«

Sie stellte den Motor ab, pflückte ihr Handy aus der Halterung und stieg aus in die … Du liebe Zeit, das war, als ob man in einen Ofen stieg. Einen Ofen, erfüllt vom zufriedenen Gesumme der dämlichen Hummeln, die durch die brütend heiße Luft taumelten, um sich irgendwo ein Plätzchen zum Aussterben zu suchen. Kaum dreißig Sekunden aus dem Auto, und schon klebte ihr die schicke, luftige Paisley-Bluse am Rücken.

»Hallo, Una? Hal-lo?«

»Sekunde.« Sie tauchte noch einmal ins Auto ab, um ihren Frappuccino und ihre Sonnenbrille herauszufischen, dann klemmte sie sich das Handy zwischen Ohr und Schulter, um das Auto mit der Fernbedienung abschließen zu können. Sie setzte die Brille auf.

»Also, ist der alte Sack jetzt da oder nicht?«

»Ja, woher soll ich das denn wissen?« Der Kies knirschte unter ihren Sohlen, als sie auf die Haustür zumarschierte. »Wenn wir Glück haben, liegt er tot in einem Schrank mit einem Schal um den Hals, einer Orange im Mund und seinem Schwanz in der Hand.«

»Oh, vielen herzlichen Dank für dieses Bild! Ich esse gerade eine Banane!«

Una drückte den Daumen auf den Klingelknopf, und tief drinnen im Haus läutete etwas wie ein ferner Big Ben. »Ach, komm schon – der Mann ist doch der geborene Würgwichser.«

Keine Antwort.

»Jetzt werde ich auch noch Albträume haben.«

Noch ein Versuch.

Una sah auf die Uhr – schon kurz vor zehn. »Herrgott noch mal.« Denn es war ja nicht so, als ob sie heute noch ein Dutzend Fakultätssitzungen zu absolvieren hätte, oder?

Sie drückte die Klinke – abgeschlossen.

Dann drehte sie sich um und blickte über die Einfahrt hinweg auf einen versifften alten Volvo-Kombi von der Farbe gebrauchter Windeln. »Professor Würgwichsers Auto steht vor dem Haus.«

Weit konnte er also nicht sein.

Sie schlug mit der flachen Hand an die Haustür, dass es nur so schepperte. »NICHOLAS, SINDSIEDADRIN?« Pause. »NALOS, TRÖDELNSIENICHTSORUM, DAFÜRISTESZUHEISSHIERDRAUSSEN!« Ein kitzliger Schweißtropfen rann ihr an den Rippen herab.

»Wenn es wirklich ein Stranglewank ist, wette ich fünf Pfund, dass er Frauenunterwäsche trägt.«

»Warte, ich probier’s mal von hinten.«

Sie schlängelte sich an den Abfalltonnen vorbei und stakste über ein mit kleinen grauen Hundehaufen vermintes Stück Rasen. Sie bog um die Ecke und erblickte einen Garten – nun ja, falls man von »Garten« sprechen konnte bei diesem Meer von Unkraut. Überall wucherte das Zeug, zum Teil hüfthoch. Mittendrin ein winziger, baufälliger Schuppen in einem Käfig aus Hasendraht. Ein richtiger Schandfleck, das Ganze.

Sie nahm einen Schluck sahnig-kalten Kaffee, klemmte sich das Handy wieder auf die Schulter und hämmerte mit der Faust an die Hintertür.

Bumm! Bumm! Bumm!

Joe seufzte ihr ins Ohr. »Ob sie mir wohl seinen Parkplatz geben würden?«

»Träum weiter.« Wieder drei dröhnende Faustschläge.

Immer noch keine Antwort.

Also, jedenfalls konnte man nicht behaupten, sie hätte es nicht versucht.

»O Mann, stell dir mal die Presseerklärung vor!«

Sie grinste. »Die Aberdeen University gibt mit Vergnügen das Ableben ihres unbeliebtesten Professors infolge eines sexuellen Missgeschicks bekannt.«

»Er starb, wie er gelebt hat – als Wichser.«

Okay, ein letzter Versuch. Una drückte die Klinke … und die Tür schwang auf.

Sie trat über die Schwelle in eine versiffte Küche. Berge von schmutzigem Geschirr in der Spüle und auf den Arbeitsflächen. Stapel über Stapel von verstaubten Büchern. Eine halb leere Flasche Weißwein stand auf dem verdreckten Küchentisch, angestrahlt von der Sonne. In der Luft hing ein abgestandener Geruch nach heißen Kupfermünzen und schimmligen Lebensmitteln.

Kein Zweifel, der Mann hauste wie ein Schwein.

»Nicholas?«

Sie stand da, den Kopf zur Seite geneigt, und lauschte.

Ein leises Winseln kam von der anderen Seite der inneren Küchentür, begleitet vom Scharren und Kratzen von Pfoten. Urgh … Das war wohl sein widerlicher kleiner Köter, Satan, oder wie auch immer er hieß. Von dem die ganzen Tretminen im Rasen stammten.

»NICHOLAS? ICHBIN’S, DR. LONGMIRE! NICHOLAS?«

»Wo wir es gerade von Lobreden haben – Margaret feiert am Donnerstag ihre Pensionierung. Willst du eine Rede halten?«

»Bin ich blöd, oder was?«

Sie ging auf die Tür mit den Kratzgeräuschen zu … und hielt inne. Starrte auf den Küchentisch mit der einsamen Flasche Chardonnay hinunter, mit dem einen unberührten Glas daneben. Von der Tür aus hatte der Tisch dreckig ausgesehen, vielleicht mit Schlamm bespritzt, aber aus der Nähe betrachtet war es eindeutig kein Schlamm. Es war Blut. Und zwar sehr, sehr viel davon.

Hinter der Tür winselte Satan.

»Na ja, mich sollten sie besser nicht bitten, die Abschiedsrede für die alte Schachtel zu halten. Du kennst doch ihre ›Meinung‹ zu Schwulenrechten. Ehrlich, diese Frau kann –«

»Joe …« Una schluckte und setzte erneut an, doch ihre Stimme hörte sich an, als ob sie auf einer Waschmaschine säße, die gerade in den Schleudergang schaltete. »Ruf die Polizei, Joe. Ruf sofort die Polizei!«

3

Verdammte Treppen.

Logan schleppte sich die Stufen hinauf, die Schirmmütze unter den einen Arm geklemmt, im anderen den Pappkarton mit seinem Krempel, aus dessen offenem Deckel die Blätter einer Grünlilie hervorschauten.

Die Plakate mit motivierenden Sprüchen im Treppenhaus waren immer noch die gleichen wie vor seiner Zwangspause. Gut, es waren ein paar neue Memos, Vorschriften und Richtlinien dazugekommen, auch das eine oder andere Fahndungsplakat, aber es gab kein Entkommen vor »Unsere Werte«, »Respekt« und diesem bärtigen Typen, der mit Warnweste und Mütze vor der Forth Bridge stand und in etwa so entspannt wirkte wie eine Salatgurke im Sandwichladen eines Perversen: »Integrität«.

Zwei Türen gingen vom Flur ab, auf jeder Seite eine.

Logan blieb vor der mit der Aufschrift »Interne Ermittlung« stehen, rückte seine Schulterklappen zurecht, holte tief Luft und –

Die Tür flog auf, ein bulliger Typ mit Sergeants-Streifen platzte heraus und bremste ungefähr zwei Handbreit vor Logan jäh ab. Ein Goldzahn blitzte auf, als er übers ganze Gesicht grinste, dann hielt er Logan eine siegelberingte Hand hin, während er mit der anderen siegelberingten Hand die Tür hinter sich aufhielt. »Der verlorene Inspector kehrt zurück! Was machen die …« Er stach mit einem imaginären Messer auf Logan ein. »Sie wissen schon …?«

Logan schüttelte die dargebotene Hand und gab sich alle Mühe zu lächeln. »Leonard. Wie geht’s den Kindern?«

»Tollwütige Wiesel würden weniger Chaos veranstalten.« Ein Schniefen. »Darf ich Ihnen das abnehmen?« Er schnappte sich Logans Pappkarton und deutete damit auf die offene Tür. »Freuen Sie sich schon auf Ihren ersten Tag zurück in der Spaßfabrik?«

Kein bisschen.

»Doch … irgendwie schon.«

Wieder ein Grinsen. »Tief durchatmen.«

Logan tat genau das, dann betrat er das lichtdurchflutete Großraumbüro. Besprechungszimmer und Schränke auf der einen Seite, der Rest wurde von abgetrennten Arbeitsplätzen eingenommen. Ein quietschender Laserdrucker, noch mehr von diesen Plakaten mit motivierenden Sprüchen, nur leicht »modifiziert« mit sarkastischen Kommentaren in aufgeklebten Post-it-Sprechblasen.

Alle Schreibtische waren besetzt, weitere Beamte liefen hin und her, die Luft war erfüllt vom gedämpften Gemurmel etlicher Telefonate.

Wow. »Okay …«

Ballantines Mundwinkel bogen sich nach unten, und er senkte die Stimme. »Ich weiß, ich weiß. Wir helfen unserem hochverehrten Police Investigations and Review Commissioner bei der Aufklärung der jüngsten hochkarätigen Desaster unserer Kollegen von Strathclyde. Und obendrein haben wir auch noch einen hausgemachten Fall – eine vermasselte Razzia in Ellon, die für einen Geografielehrer mit einem Herzinfarkt endete, und dazu noch einen tödlichen Verkehrsunfall in Tillydrone letzte Nacht.« Er verzog das Gesicht. »Wilde Verfolgungsjagd zwischen einem zivilen Einsatzwagen und einem Drogendealer auf einem Mop. Der Typ trug keinen Helm, da können Sie sich vorstellen, was von seinem Kopf übrig war.« Und dann rief Ballantine mit dröhnender Stimme durch den Raum: »Leute, seht mal, wer da ist!«

Alles drehte sich um und starrte Logan an. Lächelnde Gesichter und eine Kakofonie von Begrüßungen: »Chef!«, »Logan!«, »Unser Heeeeld!«, »McRae!«, »Willkommen zurück!« und »Du schuldest mir noch fünf Pfund.«

Logan winkte kurz in die Runde. »Morgen.«

Eine matronenhafte Frau kam aus einem Nebenbüro auf ihn zumarschiert. Die Sterne auf ihren Schulterklappen, die sie als Superintendent auswiesen, funkelten im Sonnenlicht. Ihre kinnlange graue Bobfrisur war nicht ganz lang genug, um ihre Handschellen-Ohrringe zu verdecken. Freundliches Lächeln, lebhaft funkelnde Augen hinter einer Brille mit dickem Rahmen. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Okay, Leute.« Ihr Kiwi-Akzent tranchierte das Stimmengewirr wie eine Kettensäge. »Das ist jetzt aber genug Krawall für einen Tag. Alles wieder an die Arbeit, los.«

Das Lächeln wurde noch breiter, und sie hob eine Hand. »Inspector McRae, kann ich Sie kurz in meinem Büro sprechen?«

Na toll. Ließ ihn nicht mal seinen Karton auspacken.

Logan folgte ihr und betrat das Büro mit dem kleinen Messingschild an der Tür, auf dem »Supt. JULIEBEVAN« stand.

Es war erstaunlich wohnlich eingerichtet, mit gerahmten Fotos einer roten Tigerkatze und von Bevan mit ihren Kindern – nach der Ähnlichkeit zu schließen – vor diversen Sehenswürdigkeiten in London und Sydney. Aber den Ehrenplatz hatte ein verblichenes Foto von einem uralten grün-weißen Auto und einem Wisch, der verdächtig nach einem Knöllchen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung aussah. Die übliche Ansammlung von beigefarbenen Aktenschränken diente als Abstellfläche für verschiedene Topfpflanzen sowie einen schmuddeligen Häkelelefanten mit baumelnden Knopfaugen.

Bevan nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. Sie versuchte vermutlich, aufmunternd zu klingen, konnte aber die Enttäuschung in ihrer Stimme schlecht verbergen. »Inspector McRae, ich kann ja nachvollziehen, dass es ein ziemlicher Schock für den Organismus sein muss, wenn man nach einem Jahr Rekonvaleszenz zu Hause wieder morgens früh raus muss, aber ich bin wirklich darauf angewiesen, dass alle meine Mitarbeiter zu Beginn des Arbeitstages hier im Büro sind.«

Ach ja?

Logan ließ sich vorsichtig auf einen der zwei Besucherstühle sinken. »Sie haben mir gestern in einer E-Mail geschrieben, dass ich nicht vor zwölf kommen soll. Jetzt ist es elf Uhr fünfzehn, ich bin also sogar fünfundvierzig Minuten zu früh.«

Bevan zog die Augenbrauen hoch. »Habe ich das? Oh …« Wieder ein Lächeln, dann schüttelte sie ihren grauen Bob. »Ja nun, also, dann wollen wir mal den Mantel des Schweigens darüberbreiten.« Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn. »Ich weiß, wir haben noch nicht miteinander gearbeitet, Logan, aber ich bin mir sicher, dass wir hervorragend miteinander auskommen werden. Superintendent Doig hat sich in seinem Übergabeprotokoll sehr lobend über Sie geäußert.«

»Das ist nett von ihm.«

»So ein reizender Mann.« Sie spitzte die Lippen und gab sich noch ein wenig der Logan-Betrachtung hin. »Wie Sie sehen, haben wir gerade sehr viel zu tun. Ich musste Unterstützung von der N-Division anfordern, weshalb Ihr Schreibtisch momentan leider nicht zur Verfügung steht. Tut mir leid.«

Es fiel schwer, das nicht mit einem Seufzer zu quittieren.

Ihr Lächeln war wieder da. »Aber keine Sorge! Ich habe da einen schön einfachen und übersichtlichen Fall, um Ihnen den Wiedereinstieg zu erleichtern.« Bevan griff in ihren Ablagekorb und zog eine Akte heraus. »Wenn ich richtig informiert bin, war Sergeant Rennie Ihr Assistent bis zu Ihrer … Verletzung?«

»Nur wenn ich mich nicht schnell genug weggeduckt habe, um –«

»Ein guter Polizist. Macht dem Team Ehre. Ich kann Rennie im Moment nicht von seinen laufenden Fällen abziehen, deshalb müssen Sie das hier im Alleingang bewerkstelligen.« Sie schob ihm die Akte über den Schreibtisch zu. »Ich bin sicher, dass Sie keine Probleme haben werden. Sie haben ja schließlich die Queen’s Medal nicht bekommen, weil Sie die Bürokatze sind, oder?«

Nein, die hatte er bekommen, weil er ein Idiot war.

Logan nahm die Akte und nickte. »Danke, … Chefin?«

»Julie. Bitte.«

Na toll – sie war also eine von der Sorte.

»Okay.«

»Eine Sache noch.« Bevan griff noch einmal in ihren Ablagekorb, aber diesmal fischte sie einen Kugelschreiber und eine Geburtstagskarte mit dem Bild eines Teddybären heraus. »Shona hat morgen Geburtstag, wenn Sie also etwas Nettes hier reinschreiben könnten, und vergessen Sie nicht, einen Teller mitzubringen.«

Logan klappte die Karte auf. Die Innenseiten waren kreuz und quer mit diversen Glückwünschen und unleserlichen Unterschriften bekritzelt. »Einen Teller?«

»Ich mache meinen berühmten Zitronenkuchen; Karl bringt seine Thai-Fischfrikadellen mit, die sind superlecker; Rennie bringt Donuts, und Marlon macht, glaube ich, gefüllte Eier. Was ist Ihre Spezialität?«

»Ähm …« Beim Lieferservice anrufen zählte wahrscheinlich nicht. »Ich lasse beim Grillen immer die Würstchen anbrennen?«

»Hervorragend. Dann können Sie einen Teller davon mitbringen.«

»Okay …« Auf dem Kuli stand »Boffa Miskell«, was sich wie irgendeine obszöne Sexualpraktik anhörte. Er klickte die Mine heraus, schrieb »Eines Tages zeigt du diesem Drucker noch, was eine Harke ist!« und setzte seinen Namen darunter.

»Danke.« Bevan nahm die Karte und den Stift wieder an sich und legte beides in ihren Ablagekorb zurück. »So, wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe noch Prüfungsausschüsse zu organisieren.« Sie zog ihre Tastatur heran und begann zu tippen, den Blick konzentriert auf den Monitor geheftet.

»Gut.« Logan stand auf. Nahm die Akte. »Dann gehe ich mal und …« Er wies über seine Schulter, aber sie blickte nicht auf. »Okay.«

Audienz beendet.

Verdammte Treppen. Schon wieder.

Logan humpelte die Stufen hinunter, das Handy am Ohr, und versuchte sich von der Aussicht aus den Treppenhausfenstern nicht überwältigen zu lassen. Man musste schon ein harter Hund sein, um von der schäbigen Rückfront des Reviers Bucksburn und dem dahinter versteckten Parkplatz nicht gerührt zu sein. Ein leichtes Hitzeflimmern stieg von den Autos auf, die langsam von der Sonne gar gekocht wurden.

Es läutete und läutete, und dann ging endlich jemand dran: »Operation Overcharge?«

Overcharge? Wer auch immer den Zufallsgenerator für die Benennung von Ermittlungen bediente, hatte einen Tritt in den Hintern verdient.

»Hallo, kann ich bitte DI King sprechen?«

Eine Pause, und dann: »Darf ich fragen, wer dran ist?« Die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor – ein »Yorrrkshire«-Akzent, der unter dem Druck täglicher Gespräche mit Aberdonians allmählich einknickte.

»Logan McRae.«

»Oh.« Wieder eine Pause. Dann schlich sich eine Prise Panik in die Akzentmischung ein. »Ähm … Inspector, wusste gar nicht, dass Sie wieder im Dienst sind. Geht’s Ihnen besser?«

»Detective Constable Way?« Logan stapfte weiter die Treppe hinunter.

»Wir haben uns alle Sorgen um Sie gemacht, nach der Messerattacke, wissen Sie?«

»Wo ist er, Milky?« Logan schob sich durch die Doppeltür am unteren Treppenabsatz in einen schmucklosen Flur mit einer Reihe von Büros und noch mehr Motivationspostern.

»Wo ist wer?«

»DI King!«

»Ach so, ja. Also, ähm … Das ist jetzt irgendwie blöd, aber er ist gerade eben zur Tür rausgerannt, weil er etwas Dringendes erledigen muss.«

Na so was aber auch. »Und wann ist er zurück?«

Logan trat ins Freie. Der Parkplatz brütete in der Hitze eines viel zu sonnigen Tages – der Belag klebrig unter den Sohlen, die Luft zäh und vom Geruch nach heißem Teer und glühendem Staub erfüllt. Er blinzelte, als die Sonne rot glühende Nägel in seine Augäpfel trieb. O Mann, das hier war eher Death Valley als Bucksburn. »Milky?«

»Ähm …«

Typisch – sobald jemand von der Internen Ermittlung Fragen zu stellen begann, litten plötzlich alle an Amnesie.

»Okay, wo wollte DI King denn hin?«

»Ähm …«

»Und vergessen Sie nicht, dass ich einfach die Leitstelle anrufen und fragen kann. Und anschließend Ihnen einen Besuch abstatten.«

»Oh, derDI King! Ja, natürlich, ich habe die Adresse hier vor mir. Haben Sie was zum Schreiben?«

Stechginster und Besenginster säumten die Straße, die gelben Blüten loderten wie Flammen über den hoch aufragenden Zweigen. Jenseits der Feuersbrunst lagen breite Streifen von Grün, von Trockensteinmauern in einen unregelmäßigen Flickenteppich aufgeteilt. Die Hügel zu beiden Seiten waren dicht mit Kiefern, Buchen und Tannen bewachsen.

All das glitt an den Fenstern von Logans Audi vorbei, während eine aufreizend muntere Stimme aus dem Radio plärrte und über die letzten Takte eines Lieds hinwegtrampelte. »Na, wenn das nicht der optimale Soundtrack zu diesem sonnigen Dienstag ist! Toller Song. So, um zwölf erwartet Sie hier Saucy Suzy, aber vorher haben wir noch eine Verkehrsmeldung: Nach einem Brand im Kipperie-Burn-Gartencenter ist die B999 von Pitmedden nach Tarves bis auf Weiteres gesperrt. Umleitungen sind ausgeschildert.«

Im Hintergrund begannen Gitarren zu jaulen, begleitet von Schlagzeuggepolter.

»Und das sind Savage Season mit ihrer neuen Nummer ›The Wrecker‹. Lasst es fetzen, Jungs!«

Die Straße machte eine scharfe Rechtskurve, und dahinter kam eine Ansammlung schäbiger Nebengebäude zum Vorschein, die gerade renoviert wurden, sowie ein schäbiges Bauernhaus, das gerade als Tatort behandelt wurde.

Eine raue Stimme legte sich über die Instrumentalbegleitung:

»Darkness deep and thoughts so wild, it’s –«

Logan schaltete das Radio aus und bog in eine breite, gekieste Einfahrt ein.

Der schmutzig weiße Transit der Spurensicherung stand direkt vor dem Haus, neben einem grauen Vauxhall-Poolwagen ohne Markierung, einem Volvo in Rost- und Gastroenteritis-Brauntönen und einem flotten kleinen roten Fiat.

Logan parkte daneben, griff sich seine Schirmmütze und stieg aus in die … Heiliger Jutebeutel!

Die glühend heiße Luft brannte in seiner Kehle, legte sich um seine Police-Scotland-Uniform und versuchte, ihn in den Boden zu stampfen.

Bienen torkelten über das blühende Unkraut hinweg, das die Einfahrt säumte, Schwebfliegen schwirrten zwischen üppigen roten Fetthennenblüten umher, Schwalben spielten mit Sturzflügen und jähen Ausweichmanövern die Luftschlacht um England nach, während ein Grüppchen Dohlen vom Dach des Bauernhauses aus dem Treiben zuschaute.

Logan setzte seine Mütze auf und humpelte zur Haustür.

Sie war nicht abgeschlossen. Und im Übrigen auch nicht bewacht.

Was schon ein bisschen nachlässig war.

Er trat in einen staubigen Hausflur – die Wände mit staubigen Fotos in staubigen Rahmen behängt, zwischen staubigen Bücherregalen voller staubiger Bücher. Ein halbes Dutzend Türen gingen vom Flur ab, die meisten standen offen. Eine Treppe führte nach oben, mit staubigen Bücherstapeln am äußeren Rand jeder Stufe.

Hinter einer der Türen war das Klicken von Kameras zu hören, und Lichtblitze flackerten in den Flur hinaus. Logan blieb auf der Schwelle stehen und spähte hinein.

Es war eine Küche, ebenfalls vollgestopft mit Büchern. Und Zeitungen. Stapel über Stapel. Und ein muffiger Geruch wie von Müllsäcken, die zu lange in der Sonne gestanden haben. Zwei Gestalten, die eine klein und schwanger, die andere groß und kräftig, beide in voller Tatort-Montur, waren am Küchentisch zugange, fotografierten und nahmen Abstriche. Fast alle anderen Flächen waren grau von Fingerabdruckpulver.

Sie hatten eine halbherzige Absperrung vorgenommen, mit einem gelb-schwarzen »TATORT – BETRETENVERBOTEN«-Band, das quer über die Türöffnung gespannt war.

Logan winkte ihnen zu. »Hallo?«

Die Schwangere blickte von ihren DNA-Proben auf, die Gesichtszüge hinter Atemmaske und Schutzbrille verborgen. »Sind Sie wieder im Dienst?«

»Sieht so aus. Ist DI King in der Nähe?«

Das Lächeln schwand aus ihrer Stimme. »Seine Majestät scharwenzeln hier irgendwo herum. Wenn Sie ihn finden, sagen Sie ihm, wir machen uns in zwanzig Minuten vom Acker. Müssen uns noch um andere, wichtigere Tatorte kümmern.«

»Danke, Shirley.« Logan ging weiter den Flur entlang, vorbei an der Treppe, vorbei an den Bücherregalen mit ihren Pelzüberzügen aus Staub. Schätzungsweise neunzig Prozent davon waren schottische Geschichte, dazwischen der eine oder andere Liebesroman.

Eine Männerstimme kam aus einem der Zimmer, der Ton abgehackt und verbissen, als ob jedes Wort gewürgt würde, um es am Schreien zu hindern, was den Highland-Akzent noch verstärkte. »Nein, Gwen, das habe ich nicht. Und es wird nicht wahrer dadurch, dass du es ständig wiederholst.«

Logan trat in die Tür eines engen, vollgestopften Arbeitszimmers. Noch mehr überquellende Bücherregale an den Wänden, bis auf eine, die mit gerahmten Fotos behängt war – alles großformatige Porträtaufnahmen, von denen jede einen anderen Jack-Russell-Terrier mit grauer Schnauze zeigte. Und in den Zwischenräumen Zeitungsausschnitte, mit Reißnägeln an die Tapete geheftet. Vor dem einzigen Fenster stand ein Schreibtisch, beladen mit Stapeln von Papieren, darüber drei Bildschirme an Schwenkarmen. Ein Aschenbecher, so vollgestopft mit Kippen wie die Regale mit Büchern.

Und inmitten des ganzen Plunders stand ein Mann in Hemdsärmeln. Leicht übergewichtig, die zurückgekämmten blonden Haare auf der Stirn ein Stückchen nach oben gerückt, das Grübchen in seinem Kinn ein wenig zusammengequetscht von dem Fett, das sich dort abgesetzt hatte. Die Arme waren allerdings muskulös, was ihn wie einen Preisboxer aussehen ließ, der sich hatte gehen lassen, nachdem er viele Kopftreffer eingesteckt hatte. Seine Seidenkrawatte hing auf Halbmast, das knallblaue Hemd hatte dunkle Flecken unter den Armen.

Seine Gesichtszüge verkrampften sich, als ob die Person am anderen Ende der Leitung ihn gerade ins Ohr gestochen hätte. »Nein. … Weil ich bei der Arbeit bin, Gwen. Das kennst du vielleicht noch von früher. … Ja.« Dann eine längere Pause. »Ja.« Ein Seufzer, der von knapp unterhalb der Fußsohlen aufzusteigen schien. »Keine Ahnung – wird spät. Okay. Tschüss.«

Er legte auf und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

»DI King?« Logan klopfte an den Türrahmen. »Ich störe doch nicht, oder?«

King strich sein Hemd glatt, steckte das Handy ein und rang sich ein Lächeln ab. »Inspector McRae. Ich dachte, Sie wären noch krankgeschrieben.«

»Das bekomme ich oft zu hören. Also … ein verschwundener Verfassungsrechtler, wie?«

»Können wir bitte das Vorspiel weglassen? Sie sind nicht wegen Professor Wilson hier – der Anruf ist erst vor einer Stunde reingekommen, die Zeit reicht gar nicht, um irgendwas zu verbocken.« King steckte sich ein extra starkes Pfefferminzbonbon in den Mund und redete weiter, während er knirschend darauf herumkaute. »Also raus mit der Sprache, Mr Interne Ermittlung: Was wirft man mir vor?«

Logan schlenderte ins Zimmer, die Hände hinter dem Rücken, und inspizierte die Zeitungsartikel an der Wand. Die Überschriften hatten alle den gleichen Tenor: »Schottland kann nur verlieren«, »Erhebt euch und fallt wieder auf die Nase«, »Warum die Schotten das Vereinigte Königreich mehr brauchen als umgekehrt«.

Er wies mit einem Nicken auf die Zeitungswand. »Der Professor hatte wohl ziemlich festgefügte Ansichten.«

»Der Mann ist ein britisch-nationalistisches Arschloch. Wenn er Schottland so scheiße findet, wieso geht er dann nicht zurück nach Shropshire?«

»Interessant, dass Sie das sagen …«

King stand da und duftete nach Aftershave.

Logan ließ den Blick über eines der Bücherregale schweifen. Alles voll mit Fachliteratur zu Wirtschaftstheorie und Politikwissenschaft. »Es wirkt ein bisschen überzogen, nicht wahr? Es ist ein simpler Vermisstenfall, da sollte man doch meinen, dass es dafür keinen ausgewachsenen Detective Inspector braucht. Zumal keinen so hochgeschätzten Kollegen wie Sie.«

King verschränkte die Arme und wölbte die Brust. »Okay, worum geht es hier in Wirklichkeit?«

»Ich frage mich lediglich, warum man Sie geschickt hat.«

»Als Professor Wilsons Kollegin ihn heute Morgen um elf Uhr zwei als vermisst meldete, sagte sie der Leitstelle, dass in der Küche alles voller Blut sei. Wir dachten, es könnte etwas Ernstes sein.«

»Ah. Das erklärt einiges.«

Ein Seufzer. »Und es ist auch politisch. Er hat uns öffentlich angegriffen wegen unseres Umgangs mit diesen Brandanschlägen auf Häuser von Engländern. Er kritisierte unsere angebliche Laissez-faire-Haltung. Sagt, es würde uns nicht kümmern, wenn Alt-Nats englische Geschäfte niederbrennen. Die Order von oben ist, dass niemand auf die Idee kommen kann, wir nähmen sein Verschwinden nicht ernst.« Noch ein extra starkes Pfefferminz verschwand zwischen Kings malmenden Zähnen. »Und Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet.«

»Alt-Nats?«

»Sie kennen doch Alt-Right – ein Sammelbecken für weißes Überlegenheitsdenken, Waffennarren, Rassisten und Neonazis? Also, die Alt-Nats sind unsere hausgemachte schottische Version davon. Nur ohne die Waffen und ohne die Nazis. Und es sind die Engländer, die sie hassen.«

Seltsam, was man so alles verpasste, wenn man ein Jahr lang krankgeschrieben war.

Logan schüttelte den Kopf. »Da ist man doch richtig stolz, Schotte zu sein, nicht wahr?«

»Wenn man heutzutage irgendwas liest, wo ›Alt‹ davorsteht, weiß man gleich, womit man es zu tun hat: Arschlöcher, Lumpen und Trottel.« Das alles ohne den Anflug eines Lächelns.

»Ich will ja nicht besserwisserisch klingen, aber haben Sie es schon bei den Krankenhäusern versucht? Vielleicht hat Professor Wilson sich geschnitten und ist Hals über Kopf in die Notaufnahme gefahren?«

»Seien Sie nicht albern, das haben wir natürlich überprüft. Außerdem ist das da draußen sein schrottiger Volvo, wie soll er also dorthin gekommen sein – mit dem Flugtaxi?«

Gut beobachtet.

»Hmmm …« Logan ging auf die Hundewand zu. Neun Fotos, jedes mit seinem eigenen kleinen Schildchen. »›Wladimir Iljitsch Uljanow – 1966 bis 1984‹. Und der hier ist ›Lew Dawidowitsch Bronstein – 1985 bis 1999‹. Ganz schöne Zungenbrecher, wenn man die zum Fressen reinrufen will. Was ist so verkehrt an ›Bello‹ oder ›Stinker‹?«

Die Muskeln an Kings Kiefer spannten sich an, seine Miene war verschlossen und unglücklich. »Bringen sie einem das in der Ausbildung zum Internen Ermittler bei? Wie man es vermeidet, Fragen zu beantworten, und seinem Gegenüber so richtig tierisch auf die Nerven geht?«

Wenn er bloß wüsste, wie dicht er an der Wahrheit war.

Logan schenkte ihm sein sonnigstes Lächeln. »Die Scottish Daily Post hat uns ihre morgige Titelseite gemailt und um einen Kommentar gebeten.« Ein paarmal übers Display gewischt, und die Titelseite erschien auf Logans Handy: das Foto eines mürrisch dreinschauenden DI King unter der Schlagzeile »TOP-MORDERMITTLERWARINSCHOTTISCH-NATIONALISTISCHERTERRORGRUPPE«.

Er drehte das Telefon so, dass King das Display sehen konnte.

Es war, als sähe man einem Gletscher beim Kalben zu. Kings Kinnlade klappte herunter, er riss die Augen auf und starrte Logan mit einer Miene äußersten Entsetzens an. »O Gott …«

Logan nickte und steckte sein Handy ein. »Vielleicht sollten wir zwei uns mal ein bisschen unterhalten?«

4

Das Wohnzimmer war kaum besser. Bücher, Bücher, Staub und noch mehr Bücher – aufgetürmt auf dem Fußboden um ein schäbiges Ledersofa herum. Eine riesige Stereoanlage mit Regalen voller Schallplatten nahm den Platz ein, wo man den Fernseher erwartet hätte. Die Lautsprecher waren groß genug, um als Sarkophage durchzugehen. Oder hieß es Sarkophagen?

King machte den Eindruck, als würde er sich am liebsten in einem davon begraben lassen. Er ließ sich auf das Sofa fallen, wobei eine gewaltige Staubwolke unter dem Möbel hervorquoll. Die Körnchen schimmerten im Sonnenlicht, als er den Kopf in den Händen vergrub. »Die werden mich feuern, nicht wahr?«

Logan zuckte mit den Schultern. »Na ja, Sie können sich ja vorstellen, wie das aussieht: Sie ermitteln hier wegen des Verschwindens eines Professors, der als Verfechter des britischen Nationalismus bekannt ist, und das als Mitglied der …« Nee, keine Chance. Logan zog sein Notizbuch hervor und sah nach. »Der ›People’s Army for Scottish Liberation‹. Sobald die Medien Wind davon bekommen, wird es sein, als ob man ein verletztes Ferkel in eine Badewanne voller Piranhas schmeißt.«

»Ich war sechzehn! Sechzehn und ein Idiot. Und sie war hübsch und Waliserin.« King sackte noch weiter zusammen. »Ich wollte ihr bloß imponieren.«

»Waliserin?«

»Und ich bin nur zu ein paar Treffen gegangen! Bis ich dahinterkam, dass Cerys hinter meinem Rücken mit Connor O’ Brien vögelte.« Er rieb sich das Gesicht. »Sie sagte, es ginge darum, ›die keltischen Nationen zu einen, um die englischen Unterdrücker zu verjagen und die letzten Fesseln der imperialistischen Knechtschaft zu sprengen‹.«

Was vermutlich eine verschlüsselte Einladung zu einem flotten Dreier war. »Die scheint ja gut drauf gewesen zu sein.«

»Indien hatte schließlich auch seine Unabhängigkeit erkämpft, warum sollte uns das nicht gelingen?«

»Nur dass die PASL es meiner Erinnerung nach nicht so mit gewaltlosem Widerstand hatte, nicht wahr? Sondern eher mit dem Sprengen von Statuen und dem Entführen von Politikern. Nicht sehr gandhihaft.«

King machte eine wegwerfende Geste. »Das war nicht die People’s Army for Scottish Liberation, das war die Scottish Freedom Fighters’ Resistance Front.«

Nicht grinsen! »Immer diese Spalter.«

»Ich habe nichts getan!«

»Die Post sagt, sie hat Beweise.«

»Ich hasse die Engländer nicht – meine Frau ist Engländerin, meine Kinder sind Halbengländer. Verdammt, Josie ist in Newcastle geboren!« Er kippte nach vorn, bis er mit der Brust auf den Knien lag, schlang die Arme um den Kopf und stieß einen erstickten Schrei aus.

Was unter den Umständen nur verständlich war.

Im Flur hing ein Foto einer attraktiven Frau von schätzungsweise Ende vierzig. Feuerrote Haare, aus der hohen Stirn nach hinten gekämmt, grüne Augen und ein Zug um die Mundwinkel, der sie aussehen ließ, als würde sie jeden Moment lauthals loslachen. Der Holzrahmen war ganz abgewetzt, fast bis auf das Glas am unteren Rand.

Logan fuhr mit dem Finger darüber. Ganz glatt.

Kings genervte Stimme drang durch die offene Wohnzimmertür. »Herrgott noch mal, Gwen, kannst du mich vielleicht einMal in deinem Leben unterstützen? … Nein. Und ehrlich gesagt, ich finde, das ist das Mindeste, was du tun könntest!«

War wahrscheinlich besser, ihm ein wenig Privatsphäre zu gönnen. Logan zog die Tür behutsam zu und öffnete die einzige, hinter die er noch keinen Blick geworfen hatte.

Ein Bad. Nicht besonders groß, und es wirkte noch kleiner durch die ganzen Handtücher, die auf dem Boden herumlagen, den überquellenden Abfalleimer, die skelettierten Überreste längst verstorbener Klopapierrollen, die leeren Schachteln und Tablettenverpackungen und die beeindruckende Sammlung von Putzmittel- und Kloreinigerflaschen um die Schüssel herum. Alles von prähistorischen Sedimentschichten aus Staub bedeckt. Ein Archäologe hätte seine helle Freude daran gehabt.

War das gerade ein Scharren?

Logan blieb stehen, den Kopf zur Seite geneigt, und lauschte angestrengt, um –

Doch, da war es wieder. Allerdings nicht hier drin.

Er ging zurück in den Flur, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der größere, breitere und weniger schwangere der beiden Spurensicherer in seinem raschelnden Schutzanzug aus der Küche gewankt kam, beladen mit einer blauen Kiste, in der ein paar Beweismittelbeutel aus braunem Papier lagen. Er hatte seine Schutzmaske heruntergezogen, unter der ein Streifen rot glänzende Haut, korallenroter Lippenstift und ein wenig zu viel Rouge für einen natürlichen Look zum Vorschein kamen. Schweißtropfen rannen über seine Wangen, und er verzog das Gesicht. »Puh … Gehen Sie nie zur Spurensicherung, Inspector. Sie finden es schlimm, bei dieser Hitze Schwarz tragen zu müssen? Dann probieren Sie’s mal mit so einem Scheiß-Tyvekanzug. Es ist der reinste Schweiß-Wasserfall, von meinen Eiern bis ganz runter zu den Socken.«

»Klingt richtig romantisch, wenn Sie das so sagen, Charlie.«

»Es quatscht beim Gehen.« Und wie zum Beweis quatschte er den Flur entlang und zur Haustür hinaus.

Da war wieder das scharrende Geräusch.

Und war das ein Winseln?

Logan trat an die Treppe und sah hinauf.

Ja, es kam eindeutig von dort oben.

Er stieg hinauf zu einem winzigen Treppenabsatz, wo noch mehr Bücher herumlagen und den Raum, der durch die Dachschräge ohnehin schon beengt war, noch klaustrophobischer machten. Zwei Türen gingen davon ab, von denen eine ein wenig klapperte, als irgendjemand von der anderen Seite winselnd daran kratzte.

Die Geräusche brachen ab, als Logan auf die Klinke drückte.

Er stieß die Tür auf, hinter der ein Schlafzimmer zum Vorschein kam, übersät mit noch mehr Büchern. In der einen Ecke ein Korbsessel, auf dem sich abgelegte Kleidungsstücke häuften, in der anderen ein überquellender Wäschekorb. Ein Berg Zigarettenkippen, ausgedrückt in einer Untertasse. Das ganze Zimmer roch nach muffiger Wäsche, abgestandenem Rauch und dieser speziellen Duftmischung aus Schweiß und dreckigen Socken, der normalerweise für picklige Teenager reserviert ist.

Kein Zweifel – Kings verschwundener Professor war ein ziemlicher Messie.

Aber in dem ganzen Durcheinander war von dem Verursacher der Kratz- und Winselgeräusche nichts zu sehen.

»Hallo? Ist da jemand?«

Wieder ein Winseln.

Logan ließ sich in die Hocke fallen und senkte die Stimme zu einem sanften Gurren. »Wen haben wir denn da?«

Ein zerzauster alter Jack-Russell-Terrier kam unter dem Bett hervorgewackelt – Spinnweben in den Ohren und Staubmäuse an den Flanken. Er schwankte auf seinen kurzen Beinchen, sein Schwanz ging wie ein wild gewordener Scheibenwischer, als er mit trüben Augen zu Logan aufblickte und winselte.

Logan hielt ihm eine Hand zum Beschnuppern hin. »Hallo, kleiner Mann, hat man dich aus Versehen hier eingesperrt?«

Der Terrier trippelte fiepend und jaulend um Logan herum.

»Du musst Pipi, hab ich recht? Ich kenne diesen Tanz – Sergeant Rennie führt den auch immer auf.« Er richtete sich auf und schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel. »Na, dann komm.«

Er machte sich wieder auf den Weg nach unten. Der Hund humpel-di-pumpelte hinterdrein und wuselte um seine Füße herum, als sie den Flur entlang zur Haustür gingen.

Charlie quatschte von draußen herein, ehe sie dort ankamen, die leere Beweismittelkiste in einer Hand schwingend. Als der greise Terrier ihn erblickte, drehte er völlig durch, stellte die Nackenhaare auf, bellte und knurrte und vollführte kleine Scheinangriffe.

»AAAAAAAAAHH!« Charlie prallte zurück und drückte sich an die Wand, die Augen weit aufgerissen, die Kiste vor den Körper gehalten wie den Stuhl eines Löwendompteurs. »Was fällt Ihnen ein, den Köter aus dem Zimmer zu lassen?«

Der Terrier kläffte und bleckte die kleinen braunen Zähne.

»Er muss nur –«

»LASSMICHINRUHE, DUKLEINESMONSTER!«

Logan hob den armen kleinen Kerl hoch und drückte ihn sich an die Brust. Der Hund zitterte in seinen Armen und knurrte Charlie weiter an. »Er muss bloß mal.«

»Er muss einen verdammten Maulkorb verpasst kriegen! Schaffen Sie ihn hier raus!«

»Ja doch, ist ja schon gut. Machen Sie sich mal nicht in Ihre verschwitzte Hose.«

Logan trug Professor Wilsons Hund zur Haustür hinaus und in den Sonnenschein. Er setzte ihn auf dem Kies ab, worauf der Kleine sich sofort zum Haus umdrehte und es anbellte. Charlie stieß einen spitzen Schrei aus und knallte die Tür zu. Der Terrier starrte sie einen Moment lang an, dann scharrte er mit den Hinterpfoten, wie um zu demonstrieren, dass er in dem Streit die Oberhand behalten hatte, trottete davon und verschwand um die Hausecke.

Logan folgte ihm, vorbei an den Mülltonnen, durch ein Stück Rasen, das offenbar regelmäßig als Hundeklo benutzt, aber nie gesäubert wurde, durch ein Gebüsch von fast kniehohem Ampfer zu einer Grünfläche, die vielleicht irgendwann einmal ein Garten gewesen war. Jetzt war es nur noch eine riesige Ansammlung von Unkraut und ungemähtem Gras mit der Leiche eines Hühnerstalls, die in ihrem Käfig aus Hasendraht vor sich hin gammelte. Schmetterlinge tanzten wirbelnde Polkas in der heißen Luft und flatterten von einem dichten Büschel Unkraut zum nächsten, begleitet vom Tock-tock-tock eines eifrigen Spechts.

Shirley und Charlie hatten diesen Bereich offenbar schon bearbeitet – die Hintertür war mit einer dicken Schicht Fingerabdruckpulver überzogen, und im Gras waren dornenartige weiße Gipsreste zurückgeblieben, wo sie Abgüsse von Schuhabdrücken genommen hatten.

Schade nur, dass sie die wandelnde Katastrophe in einem zerknitterten Leinenanzug nicht auch eingetütet und mitgenommen hatten: graue Haare, gestylt mit Blitzableiter und Ohrenschmalz, Eigelbflecken auf der neongrünen Bluse, die so weit aufgeknöpft war, dass viel zu viel von dem ledrigen Dekolleté zu sehen war, das faltige Gesicht zur Sonne gewendet, wie eine Kreuzung aus Leguan und Waldschrat. Das Handy mit der einen Hand ans Ohr gepresst, ein Monstrum von E-Zigarette in der anderen, blies sie Dampfwolken mit Erdbeeraroma in die Luft. Die Stimme ein heiseres Grollen. »Ich sag’s dir, mein Arsch brennt heute wie Feuer. Es ist wie die Schlacht an der Somme da unten, bloß mit weniger Soldaten und mehr Explosionen. Ich bin …« Sie erstarrte einen Moment, dann schlug sie ein Auge auf und fixierte Logan. »Ruf dich gleich zurück.«

Logan schniefte. »Sieh mal an, wenn das nicht Detective Sergeant Roberta Steel ist.«

Sie steckte ihr Handy ein, während der kleine Hund um ihre Füße herumschnüffelte. »Ach, du bist’s. Diese verdammten Würstchen rumoren in meinen Eingeweiden wie –«

»Die Schlacht an der Somme. Ja, ich hab’s gehört. Und meine Würstchen gestern waren übrigens vollkommen in Ordnung. Ganz normale, einwandfreie Grillwürstchen.«

»Und warum wollen meine Eingeweide dann unbedingt Ausgeweide werden?«

Der Terrier wackelte zum Hühnerkäfig hinüber und hob ein arthritisches Bein.

»Ich denke, es könnte etwas mit den Unmengen Long Island Iced Tea zu tun haben, die du den ganzen Nachmittag in dich reingeschüttet hast. Kein Wunder, dass deine Augäpfel aussehen wie zwei in Tabasco gewälzte Austern.«

»Pfff …« Sie zog eine Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Dann deutete sie mit einem Nicken zum Haus. »Also, bist du wegen mir hier oder wegen Seiner Königlichen Hoheit? Wegen mir kann’s ja kaum sein – ich bin schließlich eine Tugendboldin, wie sie im Buche steht.«

Ja, klar.

Logan steckte die Hände in die Hosentaschen. Tat ganz arglos und beiläufig. »Und, wie ist es so, für King zu arbeiten?«

»Pah … Du willst, dass ich meinen geliebten DI verpetze? Das kannst du dir gleich da reinschieben, wo die Sonne nie hinscheint.«

Kings Stimme dröhnte über den sogenannten Garten hinweg. »Das finde ich allerdings auch.« Er zog seinen linken Fuß ein paarmal durch das lange Gras und rümpfte angewidert die Nase. Über dem blauen Hemd trug er jetzt ein farblich passendes Jackett, sein Gesicht war gerötet und glänzte feucht in der Hitze. Er sah Steel fragend an. »Irgendwas –« Er blinzelte, dann sah er zu, wie der greise Terrier schnüffelnd an ihm vorbeiwackelte. »Ist das Professor Wilsons Hund?«

»Richtig.« Logan lächelte. »Er musste mal Pipi.«

»Okay …« Wieder an Steel gewandt: »Irgendwas erreicht?«

Sie nahm noch einen langen Zug aus ihrer Pseudozigarette. Es war ein riesiges Metallrohr mit Ringen und Wülsten, die sich über die ganze Länge verteilten – unmöglich zu sagen, ob der Typ, der das Ding entworfen hatte, eher einen Überschall-Schraubenzieher oder ein Steampunk-Sexspielzeug im Sinn gehabt hatte. Steel blies ihren Erdbeernebel in die Luft. »Die Spurensicherung hat nicht viel finden können. Die Täter sind reingekommen, ohne irgendwas kaputt zu machen, und haben alles abgewischt, bevor sie wieder abgezogen sind.«

Sie zog ihr Handy wieder aus der Tasche und tippte auf das Display. »Aber die Trolle von der Alt-Nat-Fraktion kriechen schon aus ihren Löchern. Ich zitiere: ›Ha-ha-ha! Hoffe, du schmorst in der Hölle, du Verräterschwein‹, schreibt Tartan Numpty Eins Drei Sechs. ›Hätte keinem sympathischeren Typen passieren können. Wo ist jetzt eure englische Überlegenheit?‹, fragt Willy Wallace Was Here.«

King sackte ein wenig zusammen und kniff die Augen zu. »Na toll. Es ist also jetzt schon in allen antisozialen Medien.«

»Oh, ich bin noch nicht fertig. ›Zu verkaufen: Prof. Wichser Wilsons Eier. Er braucht sie jetzt nicht mehr.‹ Hashtag ›Ein englischer Drecksack weniger. LOL.‹ Mit drei Ausrufezeichen. Cybernat Ninja Dreizehn Zwanzig.«

»Okay, wir haben schon verstanden.«

»›Was ist ein toter Verfassungsjurist? Ein verdammt guter Anfang. ROFL‹, laut We All Eight the English. Also ›eight‹ als Ziffer geschrieben, nicht …«

Kings Stimme wurde einen Tick schärfer. »Es reicht! Okay? Es reicht.« Er unterdrückte einen Rülpser und verzog das Gesicht. Schob sich noch ein Pfefferminz rein und rieb sich die Brust. »Wann taucht dieses Zeug in seiner Timeline auf?«

Steel sah nach. »Der erste Post war gestern Morgen, fast vierundzwanzig Stunden bevor er als vermisst gemeldet wurde.« Sie blickte nach links, dann nach rechts, dann senkte sie die Stimme zu einem Flüstern. »Was irgendwie dafür spricht, das irgendjemand da draußen die Finger im Spiel hatte, nicht wahr?«

Sie hatte recht. Logan lehnte sich an den Hasendrahtkäfig. »Also, was ist der Plan?«

King deutete auf Steel. »Na schön. Sobald der Hund sein Geschäft erledigt hat, gehen Sie los und machen sich ein bisschen nützlich. Befragen Sie die Nachbarn.«

Steel starrte ihn an, als ob er gerade einen lebendigen Tintenfisch aus seiner Hose gezogen hätte, dann drehte sie sich einmal um die eigene Achse und tat so, als ob sie das Unkraut und die Bäume und die ganzen Meilen von nichts ringsumher gründlich absuchte. »Was denn – die Eichhörnchen?«

»Egal wie weit draußen in der Pampa jemand wohnt, es gibt immer Nachbarn. Finden Sie sie, Sergeant.«

Damit erntete er einen finsteren Blick und ein sarkastisches »Jawohl, Boss«. Dann sah sie Logan an und verdrehte die Augen, klemmte sich den vierbeinigen Rentner unter den Arm und verwuschelte das Fell auf seinem Kopf, bis es Ähnlichkeit mit ihrer Frisur hatte. »Komm, kleiner Mann, ich bring dich weg von diesen bösen Polizisten, die stinken wie eine Pennerunterhose.« Sprach’s und verschwand um die Hausecke.

King schüttelte den Kopf. »Ich schwör’s bei Gott, irgendwann bring ich noch jemanden um. Wahrscheinlich diese Frau …«

»Ähm …« Logan winkte. »Hallo? Interne Ermittlung, schon vergessen?«

King fuhr ein wenig zusammen. »Erinnern Sie mich nicht daran.« Dann richtete er sich zu voller Größe auf, wieder ganz Herr der Lage. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe eine Ermittlung zu leiten.«

»Nun ja, eigentlich würde ich gerne noch ein bisschen bleiben und Ihnen dabei zusehen, falls Sie nichts dagegen haben.«

Ein gequälter Ausdruck schlich sich in Kings Züge. »Ich …«

»Sie werden kaum merken, dass ich hier bin. Versprochen.«

»Herrgott … Ich habe nichts getan! Ich habe Ihnen doch gesagt, ich habe da nur mitgemacht …«

»Um einem Mädchen zu imponieren Ich weiß. Aber …« Logan zuckte mit den Schultern. »Ich würde meine Arbeit nicht richtig machen, wenn ich nur für einen kurzen Plausch aufkreuzen und nach fünf Minuten wieder verschwinden würde, oder?«

Ein tiefer, bitterer Seufzer entrang sich King, er wirkte ausgelaugt und grau. »Na schön. Also, dann sollte ich wohl besser mal rausfinden, was mit Professor Wilson passiert ist.«

Scharen von Mehlschwalben flitzten auf der Jagd nach Insekten über die Nebengebäude hinweg, als Logan hinter King einen staubigen Weg entlangging, vorbei an Gerüsten und Stapeln von Dachschindeln, Holzbalken und Säcken mit Bausand. Und einem Zementmischer, dem jemand Zähne ums »Maul« herum gemalt hatte, wie bei einem Kampfflieger aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die meisten der Gebäude waren bis auf den blanken Granit komplett entkernt, aber das am nächsten zum Wohnhaus gelegene war schon viel weiter gediehen, mit einem nagelneuen Dach und frischem blassrosa Verputz. An den Doppelglasfenstern klebte noch die blaue Plastikfolie, aber die Trockenmauern im Inneren waren durch die Ritzen deutlich zu sehen. Wasserdicht, aber noch lange nicht fertig.

King ging voran, zwischen einer überquellenden Schuttmulde und den Überresten eines Kuhstalls hindurch zu einem Stoß Hohlblocksteine, auf dem eine Frau mittleren Alters in einer luftigen Paisley-Bluse saß. Offenbar hatte sie sich vor der Sonne hierhergeflüchtet. Sie blickte von ihrem Handy auf, als King sich räusperte.

»Dr. Longmire?«

Sie steckte das Handy ein. »Kann ich jetzt gehen? Ich habe nämlich um zwei eine Fakultätssitzung, und ich muss diesmal die Milch mitbringen …«

»Das ist schon in Ordnung.« King rang sich ein Lächeln ab. »Mein Kollege und ich haben nur noch ein paar Fragen an Sie. Hatte Professor Wilson irgendwelche Feinde?«

»Nicholas?« Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Hatte der Mann auch etwas anderes als Feinde?«

Das war nun eher ungewöhnlich. Normalweise überhäuften die Leute Vermisste und Verstorbene mit Lob. Selbst jemand, der sein Leben lang ein Arschloch gewesen war, verwandelte sich schlagartig in ein allseits beliebtes Vorbild, und dazu war nichts weiter nötig, als erstochen, erdrosselt, erschlagen oder entführt zu werden.

Dr. Longmire schniefte. »Ach, nun schauen Sie mich nicht so an. Nicholas Wilson würde behaupten, dass Wasser nicht nass ist, nur um sein Gegenüber zu provozieren. Ich kenne keinen Menschen, der sich so leidenschaftlich gerne streitet, und ich war immerhin zweimal verheiratet.«

Logan lehnte sich gegen die Wand des Kuhstalls. »Er scheint eine Menge Trolle auf Twitter zu haben.«

»Nicholas ist nicht der Typ, der seine Ansichten für sich behält. Dieser ganze Hass, der jeden Tag auf ihn einprasselt – jeder vernünftige Mensch hätte da längst seinen Account gelöscht und seinen Computer verbrannt, aber nicht Nicholas. Nicht, solange er Leute in zweihundertachtzig Zeichen als ›primitives, hirnloses Nationalistenpack‹ beschimpfen kann.«

King warf Logan einen Blick zu, mit dem er ihm nicht gerade sehr dezent zu verstehen gab: Halt die Klappe, das hier ist meine Ermittlung. »Wollen Sie damit sagen, dass Professor Wilson bei seinen Kollegen unbeliebt ist?«

»Er ist nirgendwo beliebt. Ich bin nur hier, weil ich den Kürzeren gezogen habe. Und das meine ich wörtlich: Wir haben Streichhölzer gezogen, und ich habe verloren.« Sie seufzte, stand auf und griff nach einem leeren Plastikbecher, der aussah, als ob er in glücklicheren Zeiten einen Eiskaffee enthalten haben könnte. »Hören Sie, ich sage nicht, dass ich ihm den Tod wünsche oder so – und bevor Sie fragen: Ja, ich habe ein Alibi –, aber wenn ihn jemand mal ein bisschen in die Mangel nehmen würde, dann würde ich nicht direkt protestieren, okay?«

5

In der Küche roch es noch immer wie in einer Metzgerei, die Luft war schwer und stickig. Unangenehm warm.

Logan stand am Küchenfenster und winkte Dr. Longmire zu, als sie mit ihrem Fiat über den Feldweg davonfuhr.

King sah ihr nach. »Die soll bloß nicht glauben, dass wir ihr Alibi nicht überprüfen.«

Braver Junge.

Shirley und Charlie packten derweil ihre Ausrüstung in weitere blaue Plastikkisten. Sie hatten die oberen Hälften ihrer Schutzanzüge heruntergelassen und die Ärmel um die Hüften verknotet. Verschwitzte, gerötete Gesichter und schweißnasse Polohemden Marke »Scottish Police Authority« kamen darunter zum Vorschein.

Charlies Rouge war von der Hitze ganz verschmiert, sein Lippenstift sah auch nicht besser aus. Und er mochte sich vielleicht am Morgen mit Lidschatten und Eyeliner perfekte Smokey Eyes geschminkt haben, aber jetzt erinnerte sein Look eher an eine Mischung aus Heath Ledgers Joker und einem betrunkenen Panda.

Shirley nahm ihren Haarreif ab und kratzte sich ausgiebig in den langen blonden Haaren. »Puh … Sobald wir zurück sind, stell ich mich unter die kalte Dusche und bleib da, bis mir Kiemen wachsen.«

Logan schenkte ihr ein Lächeln. »Und, was sagt der Tatort?«

Sie deutete auf den Tisch. »Also, unter uns gesagt: Das ist eine Menge Blut. Vielleicht nicht tödlich, aber man würde schon merken, dass es einem fehlt. Wollen Sie wissen, was sonst noch fehlt?« Shirley machte eine dramatische Pause. »Fingerabdrücke. Und damit meine ich nicht, dass der Täter Handschuhe getragen hat – nein, sämtliche Flächen, die nicht mit Büchern oder Kram bedeckt sind, wurden abgewischt. Nageln Sie mich nicht fest, aber nach dem zitronenfrischen Duft zu urteilen, würde ich auf diese antibakteriellen Einwegtücher tippen.«

King verschränkte die Arme. »Haben Sie im Mülleimer nachgesehen?«

»Nein, weil ich so was ja noch nie gemacht habe.« Sie wandte sich wieder Logan zu. »Wer immer es war, es war keine von den üblichen Dumpfbacken. Die zwei Fußabdrücke, die wir im Garten gesichert haben, sind so flache, knittrige Dinger. Kein Profil.«

»Heißt was …?«

»Sie nehmen ein Stück Pappkarton, schneiden es in der Form Ihrer Schuhsohlen zurecht und stecken es dann in so einen kleinen blauen Plastiküberschuh.« Sie hob ein Bein und zeigte auf den, in dem ihr Fuß steckte. »So hinterlassen sie nichts als einen groben Umriss und ein paar Falten von der Plastikfolie.«

Na super.

Sie nickte. »Im Arbeitszimmer haben wir ein paar ganz brauchbare Fingerabdrücke sichern können, nur für alle Fälle, wissen Sie – zu Ausschlusszwecken. Aber hier ist weit und breit nichts, womit man sie abgleichen könnte.« Ein Seufzer. »Vielleicht bekommen wir DNA, aber ich bezweifle es. Der Bursche kennt sich mit Kriminaltechnik aus.«

Das war alles die Schuld dieser schottischen Krimischreiber.

King versuchte wieder, auf seine Autorität zu pochen. »Was ist mit Faserspuren?«

Aber es funktionierte nicht, denn Shirley hielt den Blick auf Logan gerichtet. »Das sieht alles nach sehr sorgfältiger Planung aus. Wir tun natürlich, was wir können, aber mein Bauchgefühl sagt, der Täter ist ein Geist.«

Charlie wischte sich mit einer Hand über die glänzende Stirn und verschmierte den kleinen Rest Foundation, der dort noch verblieben war. »Aye, und solange er ein Geist bleiben will, werden wir niemals nix finden.«

King reckte die Nase. »Das ist eine doppelte Verneinung.«

»Deine Mutter auch.« Dann stapfte Charlie mit seiner Kiste zur Küchentür hinaus.

Ging doch nichts über ein angenehmes Betriebsklima.

Logan gab sich wirklich große Mühe, nicht zu seufzen. »Was ist mit Fotos?«

»Streng genommen dürfte ich Ihnen gar nichts geben, solange Sie es nicht offiziell beantragt haben, in dreifacher Ausfertigung. Aber hier …« Sie fischte ein billiges iPad-Imitat aus ihrer Kiste, tippte aufs Display und reichte es Logan. »Sie haben Zeit, bis wir mit Aufräumen fertig sind. Danach werden Sie warten müssen, bis der Bericht fertig ist und die Götter des sinnlosen Papierkrams und der halbgaren Dienstvorschriften besänftigt sind.« Sie stand da und bedachte Logan mit einem Blick, der Weihwasser gerinnen lassen konnte, ehe sie sich umdrehte und mit ihrer Kiste davonmarschierte. Logan blieb mit King in der Küche zurück.

Er sah King eine Weile beim Schäumen zu. »Das war wirklich eine einwandfreie Vorstellung, die Sie da abgeliefert haben. Die mögen Sie, das sehe ich.«

»Sie haben mir das Desaster bei dieser Martin-Shanks-Geschichte immer noch nicht vergeben.« Er streckte eine Hand nach dem Nicht-iPad aus. »Mein Tatort, schon vergessen?«

Ja, es war sein Tatort, aber er führte sich so arschig auf, dass er es nicht besser verdient hatte.

Logan legte das Nicht-iPad auf die Arbeitsfläche zwischen ihnen und wischte sich durch die Fotos, bis er zu denen von der Küche kam. Und hielt bei einer Aufnahme der blutverschmierten Tischplatte inne, mit der halb vollen Weinflasche und dem Glas …

Also, das war ja interessant.

Er drehte sich um und starrte den Tisch an. Ein massives Eichenmöbel mit zerkratzten Beinen – wahrscheinlich das Werk von Generationen nach russischen Revolutionären benannter Jack Russels. Logan ging in die Hocke und nahm die blutbespritzte Oberfläche noch einmal ganz genau unter die Lupe. Drei eingetrocknete Kreise zeichneten sich in den rotbraunen Flecken ab, zwei davon vollkommen gleichmäßig, der dritte jedoch mit unterbrochenem Rand. Der stammte wohl von dem geriffelten Flaschenboden.

Logan zog sein Handy hervor und machte ein halbes Dutzend Fotos von der Tischplatte und den Blutflecken. »Haben Sie das gesehen?«

King schnaubte. »Wenn Sie mit Ihrer Sherlock-Holmes-Nummer Eindruck schinden wollen, lassen Sie’s lieber bleiben. Offensichtlich hat Professor Wilson seinen Angreifer gekannt. Man öffnet nicht eine Flasche Jacob’s Creek, um sie mit einem Wildfremden zu leeren.«

»Hmmm …« Drei Kreise, eingedrückt in das Blut.

»Wir müssen uns seine Kollegen an der Universität der Reihe nach vornehmen – Sie haben Dr. Longmire gehört: Alle haben ihn gehasst. Aber das hier muss jemand gewesen sein, mit dem er sich wohlgefühlt hat. Jemand, der es verbergen konnte. Der sich als sein Freund ausgab. Jemand, den er zu sich nach Hause einladen und für den er eine Flasche Wein aufmachen würde.«

Logan blieb, wo er war. »Schauen Sie sich den Tisch noch mal genau an und sagen Sie mir, was Sie sehen.«

»Es ist ein Tisch.« Er sah Logans Miene und seufzte. »Okay, okay. Es ist ein Eichentisch. Alt. Ein bisschen schäbig. Jede Menge Blutspritzer.«

»Was ist mit dem Weinglas?«

Er klang jetzt gelangweilt. »Das haben sie mitgenommen, um es zu untersuchen.«

»Das weiß ich auch. Ich frage mich, was passiert, wenn man ein Glas auf den Tisch stellt und anschließend jemand etwas macht, wobei eine Menge Blut verspritzt wird.«

Wieder ein Seufzer. »Müssen wir dieses Spielchen jetzt –«

»Tun Sie mir den Gefallen.«

King kam herbeigeschlappt und inspizierte die Tischplatte. »Na ja, da wären …« Und dann endlich fiel der Groschen. »Ach du dreimal gequirlte Scheiße.«

»Genau das habe ich mir auch gedacht.«

»Das Glas würde wie eine Art Abdeckung wirken – es wäre eine saubere Stelle auf dem Tisch, wo kein Blut hingekommen ist. Und mit der Flasche ist es genauso.« King drehte sich zur Tür um. »Unser Täter kommt also rein, greift Professor Wilson an, sodass der ganze Tisch voller Blut ist, und dann schenkt er sich ein Glas Wein ein? Na, das ist ja einfach nur perfekt – wir haben es mit einem Irren zu tun.«

»Sieht aus, als ob die Menge Wein, die fehlt, für zwei oder sogar drei Gläser gereicht hätte.«

King kniff die Augen zusammen, dann marschierte er zu der abgestoßenen, schmutzig weißen Spülmaschine, zog sich einen blauen Nitrilhandschuh über und riss die Tür auf.

Die Maschine war leer, bis auf ein einzelnes Weinglas.