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Ich bin Terri, also eigentlich heiße ich Theresa Emmanuelle Rosa Rohrbach-Ibrahim, und das ist nicht mein einziges Problem. Denn seit überall Liebesblitze einschlagen, Aszendenten zueinanderpassen und die Chemie stimmt, spielen alle verrückt. Alle - außer mir! Nina liebt Berki und meine Mama Michael. Das dachte ich zumindest, bis ich herausgefunden habe, dass Michael noch ein A hinter dem Namen hat. Da war das Chaos komplett. Doch am Ende war alles gut, nein, es war besser als gut! Denn Liebesblitze sind zwar unberechenbar und bringen das Leben ganz schön durcheinander. Aber man überlebt sie und manchmal treffen sie doch genau ihr Ziel. Christine Werners Jugendbuchdebüt ist wie eine spannende Reportage über Liebe, moderne Familie und Pubertät – immer nah an den Menschen und gut recherchiert. Ein mitfühlender, kenntnisreicher, zeitgemäßer Liebesroman, jenseits aller Gendergrenzen.
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Seitenzahl: 167
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Eins
Hallo, Leute, habt ihr schon mal von Liebesblitzen gehört? Nein? Echt nicht? Dann müsst ihr das jetzt unbedingt lesen. Denn um mich herum sind in den letzten Monaten überall welche eingeschlagen und ihr glaubt ja nicht, was die alles anrichten können. Wenn Liebesblitze in einen reinfahren, verändert das die ganze Persönlichkeit. Meine beste Freundin Nina war total neben der Spur. Sie hat ihr geliebtes Pferde-T-Shirt in den Müll gestopft, als wäre es verseucht. Und bei Mama haben die Synapsen im Gehirn so verrücktgespielt, dass sie ihren Lippenstift nicht in die Handtasche, sondern in die Mikrowelle gepackt hat. Der ist geschmolzen wie Eiscreme in der Sahara oder wie – ach, dazu später mehr. Also: Liebesblitze sind unberechenbar! Sie können jeden treffen, jederzeit …
»›Drama Queen‹? ›Chocolate Cakes‹? ›Sunday funday‹ oder doch ›Wilde Kirsche‹? ›Wilde Kirsche‹ ist nicht schlecht! Was meinst du, chérie?«
Mama sitzt im Bademantel auf dem Boden vor unserem Couchtisch. Sie hebt eine Farbe nach der anderen hoch, stellt sie einfach irgendwo wieder hin und bringt damit meine aufgereihten Nagellackflaschen total durcheinander.
»›Champagner‹ könnte ich auch mal wieder nehmen. Der Ton passt so gut zu meinem neuen Kostüm!«
Ich sitze an der anderen Tischseite und lackiere meinen linken kleinen Finger grün. Gemeinsam die Nägel lackieren – das haben wir seit Millionen Jahren nicht mehr gemacht. Also, ich war acht oder vielleicht auch erst sieben? Jedenfalls hat Papa noch bei uns gewohnt.
Aber als mich Mama heute bei Papa abgeholt hat, hat sie ihren Arm unter meinen gehakt und lachend gesagt: »Heute Abend machen wir uns so einen richtig gemütlichen Frauenabend!« Wir haben wie immer bei Toni Karton-Pizza bestellt, uns die Bademäntel übergeworfen und wirklich alle Nagellackflaschen von dem Badezimmerregal …
»Wow!« Mama beugt sich über den Tisch und begutachtet meinen kleinen grünen Nagel. »Nicht schlecht. Mach die anderen Nägel pink!«
»Mamaaa, wackel doch nicht so am Tisch! Und außerdem: Ich mag immer noch kein Pink.«
Mama lacht, ihre Hand kreist über den Flakons und – ZACK – zieht sie »Wilde Kirsche« raus. Darauf hätte ich wetten können. Einfach nur Rot ist nicht bei Mama. Nicht wenn man Paulette heißt und seine Tochter mit dem Namen Theresa Emmanuelle Rosa in die Welt geschickt hat. Theresa Emmanuelle Rosa. Das bin ich.
Inzwischen 13 und mit Nachnamen: Rohrbach-Ibrahim. Komplett also: Theresa Emmanuelle Rosa Rohrbach-Ibrahim. Unauffällig ist anders. Und deshalb kann ich auf Pink echt gut verzichten. Weil Theresa Emmanuelle Rosa aber auch so lang ist, dass dabei selbst Papa an den Rand einer lebensbedrohlichen Atemnot kommt, nennen mich alle einfach: TERRI.
»Ach, Mist. Verrutscht. Terri, kannst du mir bitte ein Kosmetiktuch rausziehen!«
»Geht nicht«, murmele ich, während ich mich auf den anderen kleinen Finger konzentriere. »Das Grün ist noch nicht trocken.«
»Warum dauert das so lange?« Mama guckt verwundert hoch.
»Ich lackiere extra dreimal. Für Padmé Amidala.«
»Für wen?«
»Für Padmé Amidala, friedliebende Senatorin von Naboo. Star Wars, Mama.«
»Aha, du willst wohl den Marsmännchen Konkurrenz machen!«
Marsmännchen und Star Wars … hab ich schon erwähnt, dass Paulette von manchen Sachen echt keine Ahnung hat!? Aber manchmal muss man nachsichtig sein, gerade mit Müttern.
Mama grinst mich an und – »Pssst« – legt geheimnisvoll ihren »Wilde Kirsche«-Zeigefinger auf ihre Lippen. »Ich hab es genau gehört. Sie sind gerade auf dem Dach gelandet.« Mama sieht mein Gesicht, prustet los, dass der Wohnzimmertisch nur so wackelt und mir das Grün verrutscht.
»Paulette!«, rufe ich laut, wie immer, wenn sie Quatsch macht. Und das kommt in letzter Zeit ganz schön oft vor. Sie lacht weiter, beugt sich über all die Flakons mit »Light it up«, »Stop, drop & shop«, »Fame fatal«, »Red my fortune cookie« und wie die Farben sonst noch heißen – und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ich wische mit dem Ärmel meines Bademantels drüber – und wir müssen lachen.
Zwei Stunden später bin ich im Bett. Meine frisch lackierten Fingernägel liegen auf der blauen Bettdecke wie kleine grüne Inseln in einem Ozean. Regen trommelt auf das schräge Dachfenster und ab und zu blitzt es sogar. Im Fernsehen haben sie gesagt: Sturmtief Susanna zieht über Deutschland. Susanna. Ob das Sommer-Sturmtief seinen Namen gut findet? Ich höre dem heulenden Wind zu, wackle unter der Bettdecke mit meinen Knien und lasse die kleinen grünen Inseln im Ozean hin und her schaukeln.
Ab und zu scheppert es. Das ist Paulette. Sie räumt in der Küche auf, zerkleinert die Pizza-Kartons und summt dabei leise vor sich hin. Sie ist ganz schön gut gelaunt. Trotz Sturmtief. Auch das ist extrem selten, denn eigentlich ist Paulette wetterfühlig. Wetterfühlig klingt gut, oder!? So verständnisvoll. So als ob sie das Innerste des Wetters verstehen würde. Ist aber Quatsch. Denn für Regenwetter hat sie überhaupt kein Verständnis, sie kriegt dann immer richtig schlechte Laune und schimpft: »Mon dieu! Das ist ja selbst einem französischen Wasserhund zu nass, bei dem Wetter gehen die Haare kaputt, die Stöckelschuhe sowieso, die Papiere lösen sich auf …« So Zeugs eben. Vielleicht lag es ja am Wetter, dass sie und Papa sich entliebt haben. Vielleicht hat es einfach zu oft gestürmt und gewittert. Heute dagegen – nicht ein schlechtes Wort über Susanna.
»Ah, das trifft sich gut, dass die Queen bei diesem Wetter im Schloss nächtigt und nicht auf ihrem Landsitz weilt.«
Mama kommt lachend in mein Zimmer. Ihr Spruch hängt mit meiner Fahne am Türrahmen zusammen. Seit der Trennung bin ich ein Pendelkind – eine Woche bei Mama, eine Woche bei Papa. Jeden Freitag wechsele ich und wo ich auch ankomme – ich stecke immer zuerst meine selbst gebastelte Fahne mit der grünen Krone an die Zimmertür: Mein TerriTorium! Wie bei der Queen. Wenn die in ihrem Schloss ist, weht auch ihre Fahne auf dem Dach.
»So! Zeit für unser Ritual.« Mama setzt sich aufs Bett und lächelt mich an. Mit diesem Lächeln, das sagt: »Ausreden gibt es nicht.« Sie will wissen, wie die Woche bei Papa und Sema war. Es beruhigt sie, wenn sie Bescheid weiß, ist so ein Mutterding.
Sema ist Papas Freundin, er hat sie nach der Trennung kennengelernt und wohnt schon länger mit ihr und ihrem Sohn Gregor zusammen. Paulette hat niemanden kennengelernt. Sie hat mich. Das kann allerdings manchmal etwas anstrengend sein. So wie jetzt, wo sie nach meinem Wochenbericht noch mal den Kopf zu Tür reinstreckt, während ich eigentlich gerade in Ruhe …
»Kann die Queen das nächste Mal vielleicht ihre Sachen im Bad aufräumen? Das Hauspersonal hat leider gekündigt.«
Also, wo ich gerade in Ruhe …
»Und Terri, hast du meine große Einkaufstasche gesehen? Die war doch zuletzt im Regal auf dem Flur …«
Ist klar, was ich meine, oder? Manchmal wäre es einfach gut, da wäre noch jemand anderes.
Zwei
Es ist ja normal, dass man seine Eltern nicht immer versteht. Das wäre auch echt zu viel verlangt. Aber in dieser Zeit habe ich überhaupt nicht mehr durchgeblickt. Ich dachte oft: Das hat jetzt aber nicht Paulette gesagt oder getan!? Es war, als wäre sie eine komplett andere Person. Bei Nina war es dann auf einmal genauso. Und an alldem waren die Liebesblitze schuld. Wenn es zu heftig wurde, habe ich mich auf meine Backrezepte konzentriert. Ich sage euch: Wenn sich um euch herum alles ändert, haltet euch an Backrezepte. Da weiß man, woran man ist.
Heute Nachmittag bin ich mit Nina verabredet und backe davor noch ein paar Muffins. Das entspannt mich immer sofort. Heute verziere ich sie mit Sternen. Grüne Sterne, wie auf meinem neuen Rock, und ein paar pinkfarbene für Nina.
»Mama, wie viele Muffins soll ich dir da lassen?«
Keine Antwort.
»Paulette! Es gibt Muffins!«
»Theresa, chérie. Das ist gerade ein ganz schlechter Zeitpunkt. Ich bin im Bad.«
Sie lackiert sich garantiert die Nägel mit ihrem neuen Nagellack. Wir waren vorhin in der Stadt shoppen. Ich habe den neuen Rock gekriegt, sie den Nagellack. Wobei ich mich viel schneller entscheiden konnte. Sie hat endlos lang die Farbpalette am Nagellackregal studiert, ihren Finger unter x Musternägel geschoben, ich wollte mir in der Bettenabteilung gerade ein Kissen für die Nacht holen, da hat sie dann endlich einen aus dem Regal genommen – einen schimmernden knallroten Lack. Farbe: »Rocking Love«. Der Verschluss der Flasche ist in Herzform!
»Die neue Farbe sieht gut aus«, ruft sie aus dem Bad.
»Rocking Love«!?
»Sie leuchtet schön.«
In Herzform!? So ein kitschiger Verschluss wäre ihr bisher nicht ins Bad gekommen. Kann mir jemand erklären, wie die Gehirne von Müttern funktionieren? Wer programmiert das von Paulette gerade um?
»Es gibt keinen schlechten Zeitpunkt für Muffins!«, rufe ich zurück und packe fast alle in eine Schachtel. »Ich lass dir zwei hier und gehe zu Nina.«
»Okay, bis später! Heute Abend kochen wir dann was Schönes.«
»Für mich eine ›Vier Jahreszeiten‹.«
»Oh, Terri, du bist gemein. Viel Spaß bei Nina.«
»Tschüss!« ZACK – bin ich zur Tür draußen. Sie meint es wirklich gut, aber Paulette und was Schönes kochen – das hat so viel miteinander zu tun wie Star Wars und Marsmännchen. Wir bestellen doch wieder Pizza bei Toni. Wetten!
In meinem neuen Rock spaziere ich zu Nina. Nina heißt wirklich einfach nur Nina. Mit Nachnamen Schmidt. Nina Schmidt. Punkt. Aus. Fertig. Keine drei Vornamen, kein Bindestrich-Nachname. Hey, das Leben kann so einfach sein! Mein deutsch-französisch-algerisches Kuddelmuddel muss ich dagegen immer erklären. Ich hole dann jedes Mal tief Luft und lege los: Mama stammt aus Südfrankreich, Emmanuelle heißt meine französische Oma, Rosa meine deutsche, das Rohrbach im Nachnamen kommt von Papa, Ibrahim von Mama, weil ihr Vater, also mein Opa, in Algerien geboren wurde. Kuddelmuddel würde Paulette das natürlich nie nennen. Sie ist stolz auf die verschiedenen Kulturen und so. Manchmal sagt sie: »Theresa Emmanuelle Rosa, du kannst auf der ganzen Welt zu Hause sein!« Dabei reichen mir zwei Zuhause vollkommen.
Nur noch um die Kurve rum: 71, 73, 75 – 77! Ich drücke auf den Klingelknopf unter dem Namensschild: Nina, Anton, Sabine und Thomas Schmidt steht da in bunten Buchstaben. Neben den Namen sitzt Otto, der allerbeste Hund der Welt, mit seinem Wuschelschwanz. Ninas Name ist verschnörkelt und lila. Sie durfte sich die Farbe aussuchen. Sabine, ihre Mama, hat das Familienschild selbst getöpfert. Paulette macht sich manchmal lustig über die Schmidts. Sie sagt dann: »Die Schmidts sind eine richtige Bilderbuchfamilie.« Irgendwie finde ich den Spruch doof.
»Hallo, Terri. Komm rein.« Sabine macht auf, Otto kommt aus der Küche und springt an mir hoch. Ich wuschele durch sein weiches Fell.
»Oh, das duftet aber!«, ruft Sabine.
»Willst du einen?«
»Natürlich! Die sehen toll aus, Terri.«
Sie strahlt mich an und nimmt einen Muffin mit grünem Stern aus der Schachtel.
»Terri, komm hoch!«, ruft Nina von oben.
Ich renne die Treppe hoch in ihr Zimmer.
»Cool, zeig mal, dreh dich!« Nina bewundert meinen Rock. Ich stelle die Muffins-Schachtel auf ihren Schreibtisch, springe auf ihr Bett und drehe mich. Drehe mich vor all den Pferden. Braune, schwarze, gefleckte Pferde und Schimmel. Pferde in Ställen, auf Koppeln, am Strand und in Reithallen. Pferde im Galopp, im Sprung über Hindernisse, bei Dressurübungen und an der Longe. Ninas Zimmer ist volltapeziert mit Pferdebildern. Sie voltigiert. Turnen an Geräten hat zu wenig Glamour-Faktor, sagt sie. »Oh, Terri, die Sterne auf deinem neuen Rock sind total süß!«
Ich stoppe und Nina fährt mit ihren Fingern über die grünen Samtsterne. Ihre Nägel glitzern lila.
»Hey, seit wann hast du Glitzerlack auf den Nägeln?«
Sie bürstet den Samt jetzt in die falsche Richtung.
»Du magst Glitzerlack doch gar nicht«, sage ich.
»Doch.«
»Nee, magst du nicht.«
»Den hier fand ich schon immer gut!«
»Quatsch. Fandest du nicht!«
»Doch, wohl.«
»Nein.«
»Doch.«
»Nina! Bei Jule fandest du den immer total angeberisch und doof.«
»Na und! Jetzt mag ich ihn aber«, sagt Nina trotzig, spreizt ihre Finger und bewundert ihre Glitzernägel. Ich hüpfe wieder vor den Pferden auf ihrem Bett herum. Ich hätte schwören können, dass sie keinen Glitzerlack mag.
»Wie findest du Berki?«, fragt sie plötzlich.
»Ist der neu in eurem Stall?«
»Terri!«
»Was denn? Ich kenn mich bei deinen Pferden halt nicht so aus!«
»Berki ist kein Pferd! Er ist in der Parallelklasse!«
»Ohhh.« Berki? Während ich weiter hüpfe, sausen Jungs aus der Parallelklasse durch meinen Kopf. Berki? In welcher Parallelklasse ist der? Und seit wann interessiert sich Nina für irgendetwas anderes als für Pferde? Vor meinem inneren Auge sehe ich einen Jungen mit blonden Haaren auf einem Schimmel über eine Wiese reiten.
»Der Blonde?«, frage ich, obwohl ich null Ahnung hab, welcher es sein könnte und ob es in den anderen Klassen überhaupt einen blonden Jungen gibt.
»Welcher Blonde?«, fragt Nina dann auch sofort. »Es ist der mit den braunen strubbeligen Haaren. Und wenn er lacht, sieht man seine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen. Das sieht so süüüüßßßß aus, Terri!«
»Echt, eine Zahnlücke? Warum hat er keine Spange?«
»Oh, du bist so gemein!« ZACK, landet ein Kissen in meinem Gesicht. Ich lasse mich aufs Bett fallen.
»Und deswegen magst du jetzt Glitzerlack?«
Nina verdreht die Augen, wirft sich neben mich aufs Bett und bewundert wieder ihre lila glitzernden Nägel.
»Wenigstens heißt er nicht ›Rocking Love‹«, sage ich.
»Wer? Berki?« Nina guckt mich groß an.
»Dein Nagellack. Paulette hat heute einen knallroten gekauft, die Farbe heißt ›Rocking Love‹!«
»›Rocking Love‹!« Nina kichert so, dass ich auch kichern muss.
»Vielleicht leiht sie ihn dir ja mal. Für Berki.«
Wir kichern weiter und futtern Muffins. Nina isst alle mit den pinkfarbenen Sternen. Sie erinnern sie an Hollywood, sagt sie. Das hat so richtig Glamour-Faktor.
Nina will dann noch kurz im Stall vorbei. Ich gehe heute nicht mit, Paulette wollte ja was Schönes kochen … Als ich die Wohnungstür aufschließe, ruft sie schon aus der Küche: »Für dich wie immer, oder!?« Wette gewonnen! Sie hat den Bestell-Zettel von Toni in der Hand.
»Ahh, wollten wir nicht …«
»Terri. Tut mir leid.«
Paulette zuckt mit den Schultern, als wäre es ihr Schicksal. »Wir kochen demnächst garantiert was zusammen. Aber Oma Emmanuelle hat angerufen und sie hat so viel erzählt und dann …«
Es kommt immer was dazwischen. Reine Vermeidungstaktik. Die unterstellt sie mir manchmal, wenn ich mein Zimmer nicht aufräumen will oder die Vokabeln noch nicht sitzen. Aber Mütter haben die mindestens genauso gut drauf.
»Okay, ich nehme ›wie immer‹.«
Mama drückt mir einen Kuss auf die Wange und ruft Toni an.
Kurz darauf sehe ich ihn vom Fenster aus mit seinem Pizza-Blitz-Roller um die Ecke kurven. Ich drücke ihm die Tür auf, er sprintet die Stufen hoch, zwei Pizza-Kartons im Arm.
Als wir am großen Tisch sitzen, an den auch noch Ninas ganze Familie passen würde, erzähle ich Paulette von Ninas neuem Nagellack.
»Lila. Mit Glitzer.«
»Steht Nina bestimmt gut«, sagt Paulette.
»Aber Glitzerlack fand Nina bisher total bescheuert.«
»Ein bisschen Glitzer kann nicht schaden!«
Da ist er wieder. Der Moment, an dem ich denke, das hat jetzt nicht Paulette gesagt!?
Drei
Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, wie euer Leben mit einem anderen Namen wäre? Oder wenn ihr in eine andere Familie hineingeboren wärt? Wenn ich Nina wäre und Nina ich. Hätte ich mich als Nina auch in Berki verliebt? Was wäre, wenn das Universum anders entschieden hätte? Sema meint ja, es mischt da mit. Oder hat das Universum da überhaupt nix zu melden und es ist alles Chemie, wie Papa immer sagt? Alles nur eine Formel wie: a² + b²= c²? Also, ich finde ja: Das Leben ist so schon voller Fragen. Die wollen doch auch beantwortet werden.
Die Woche vergeht wie in Lichtgeschwindigkeit, schon ist wieder Freitag und Mama setzt mich gegen Abend bei Papa unten ab. Sie steigt kurz aus – »Tschüss, ma chérie!« – und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Rubinrot. Während sie sich zum Auto dreht, wische ich unauffällig mit den Fingern drüber. Sie sieht es und grinst. »Viel Spaß mit Papa und Sema, wir telefonieren.«
»Ja, klar!« Ich nehme meine Fahne vom Rücksitz, werfe mir meinen Rucksack über und die Autotür zu. Mama zieht ihren Rock glatt und platziert ihre Stöckelschuhe unter dem Lenkrad.
»Ich hab dich lieb«, ruft sie noch durchs halb offene Fenster, kurbelt am Lenkrad, düst los.
Ich winke ihr kurz hinterher und sprinte die Treppe zu Papa hoch. Papa ist Chemiker. Er kennt sicher eine Formel für Ninas Zustand und er kann mir bestimmt auch erklären, was gerade in Paulettes Gehirn passiert. Denn Papa ist davon überzeugt, dass sich alles, vom Bauchkribbeln am ersten Ferientag über Heißhunger auf Schoko-Muffins bis hin zu Wetterfühligkeit und Geschmacksverirrungen bei Nagellack, dass sich also das ganze Leben mit chemischen Reaktionen und Formeln erklären lässt.
Kaum stehe ich im Flur, schleichen zwei blaue Katzenköpfe mit neongelben Augen auf mich zu. »Grrrchh«, fauche ich sie an. Die Katzenköpfe stocken, wippen kurz, tapsen zwei Schritte weiter Richtung Küche.
»Theresa, willkommen«, ruft es etwa 1,60 Meter weiter oben. »Hallo, Sema! Schick, die neuen Haustiere an deinen Füßen.«
»Ja, ich mag sie auch. Und sie vertragen sich mit den anderen im Schrank.« Sema lacht mich an. Sie liebt bunte Tiersocken. Einen ganzen Zoo hat sie in der Schublade in ihrem Schrank: Socken mit Pferden, Katzen, Giraffen, Tigern, Pinguinen – alle ordentlich nebeneinander, ohne Gitter dazwischen. Das sind alles kleine Persönlichkeiten, sagt Sema immer. Und sie müssen sich miteinander vertragen, damit im Schrank keine schlechte Stimmung herrscht. Gegen schlechte Stimmung hat Sema was. So oder so. Und sie hat Mittel dagegen. Räucherstäbchen für die Luft, ein magisches Auge gegen den bösen Blick und an jedem Fenster Kristalle, damit gute Energie durch die Wohnung fließt. Wenn es trotzdem mal hakt, nimmt Sema Kontakt zum Universum auf. Da hat sie einen besonderen Draht hin, sagt sie. Jetzt steht sie gerade in der Küche und schnippelt Gemüse.
»Dirk kommt etwas später. Er hängt mal wieder in einer Formel fest.«
Papa und seine Formeln. Manchmal glaube ich, er mag Formeln lieber als Menschen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde ich wahrscheinlich auch wie ein chemisches Element heißen: Chrom, Zink oder Bor. Bor Ibrahim … wie wäre ich als Bor Ibrahim? Bor Ibrahim klingt total nach Forscherin! Ich würde neue Gebiete entdecken, mich mit einer Machete durch dichten Urwald kämpfen und die gefährlichsten Tiere der Welt in die Flucht schlagen. Ich wäre eine große Entdeckerin und vielleicht wirklich gern in der ganzen Welt zu Hause! Haben Entdeckerinnen eigentlich eine Familie? Vielleicht sollte ich morgen beim Amt eine Namensänderung beantragen und ein ganz anderes Leben führen.
»Komm, hilf mir mal!« Sema drückt mir ein Schälmesser und eine Karotte in die Hand. Kennt jemand eine berühmte Entdeckerin, die Karotten schälen muss? Wann macht das Bürgeramt auf?
»Wie war es mit Nina im Stall?«, fragt sie.
»Wir waren heute nicht im Stall«, sage ich und schäle die Karotte, »Nina hat gerade ein neues Hobby.«
»Ach, was macht sie?« Sema guckt mich gespannt an.
»Berki beeindrucken.«
»Oh, das klingt nach einem aufregenden Hobby«, lacht Sema.
Ich schäle die Karotte weiter. Streifen für Streifen.
»Nina hat auf einmal Glitzerlack auf den Fingernägeln!«
»Na, das macht auf jeden Fall Eindruck.«
»Und wie ist Berki so?«, fragt sie noch.
»Keine Ahnung«, sage ich und lege ihr die geschälte Karotte hin.
»Ah, die Queen ist da!« Papa steht im Flur, stellt seine Tasche ab, drückt mich kurz und fest an sich. In seiner linken Hemdtasche, da, wo das Herz sitzt, spüre ich den Laborschlüssel. Wenn er ihn nicht bei sich hat, wird er nervös. Sonst bringt ihn aber nichts so schnell aus der Ruhe. Auch der Wochenwechsel läuft bei ihm ziemlich unspektakulär ab. Ganz ohne Ritual. Er setzt auf Reaktionsketten, die ihn erreichen. Jetzt entdeckt er den Rest Grün auf meinen Fingernägeln und zieht eine Augenbraue hoch.
»Trägt man das jetzt so?«
Ich grinse. Bei Frauensachen kommen seine Formeln an ihre Grenzen.
»Das ist ein Zeichen. Für Padmé Amidala, friedliebende Senatorin von Naboo.«
Papa zieht jetzt beide Augenbrauen hoch. »Das ist wohl eher was für die Kollegen von der Astrophysik.«
»Oh ja, die müssten sich dringend mal ums Universum kümmern«, ruft Sema aus der Küche. »Die Sternekonstellationen bringen gerade einiges durcheinander.«
Ich muss an Nina und ihre glitzernden Fingernägel denken.
»Wie durcheinander?«, frage ich und gucke um den Türrahmen.
