Bloomsday Therapie - Leopold es Vedra - E-Book

Bloomsday Therapie E-Book

Leopold es Vedra

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Beschreibung

Was unterscheidet den Einen vom Anderen? Warum gibt es sexuelle Vorlieben und warum gelingt es selten, heraus zu finden, warum es diese eine Sache gibt, die einen so richtig in Fahrt bringt? Wie bei allem, was Mensch so ausmacht, finden wir auch die Gründe für sexuelle Präferenzen in der Kindheit, in den Erlebnissen, die ein Kind geprägt haben, in den Ereignissen, die die Erwachsenen gar nicht als prägend empfanden und an die sie sich nicht erinnern werden, wenn wir sie fragen. Bei unserem LEOPOLD sind es Träume, die ihn seit seiner Kindheit begleitet haben und die er präpubertär ebenso geträumt hat, wie später. Nach einem Burnout fallen sie ihm wieder auf und seine Therapeutin sieht genau in diesen Träumen einen Schlüssel - ihm zu helfen - sagt sie. Doch sie will an eine Erinnerung, die vierzig Jahre alt ist und die die Klerikalen im fernen Rom derart interessiert, dass sie die Therapeutin königlich für ihren Einsatz bezahlen. Der Einsatz findet am 16.06.2005 statt, in Rom hat ein neuer Papst den Thron bestiegen, der einen Text wieder finden will, der 1965 nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Sicherheit gebracht worden war - doch die einzige Person, die wusste, wo der Text zu finden ist, kam unglücklicherweise bei dem Versuch ums Leben, ihr die Information zu entlocken. Unser Leopold hatte sich eigentlich vorgenommen, den hundertersten Bloomsday in irgendeiner Weise angemessen, also im Sinne von James Joyce zu begehen, ohne sich zuvor Gedanken darüber gemacht zu haben, wie. Wir haben es mit einem seltenen Fall zu tun, dass der Protagonist sich gut an die einzelnen Stationen seiner Sexualisation erinnern kann und dass seine Psychotherapeutin vor keiner Maßnahme zurück schreckt, seine Erinnerungen aus den tiefsten Tiefen seines Unterbewusstseins ans Tageslicht zu befördern. Sie nutzt dabei seine Träume und Erinnerungen, um ihn am Bloomsday endgültig an die Erinnerung heran zu führen, die der Schlüssel ist. Sie spielt mit ihm ein Rollenspiel, um ihn mittels eines sich immer weiter intensivierenden Zustands sexueller Natur, der nach Erlösung schreit, zu führen, bis... Unser Protagonist hat mittlerweile mindestens fünf Versuche gestartet, Ulysses zu lesen. Bei 1015 Seiten ist es auch kaum möglich, die Szenen zu finden, bei den es um ausschweifenden Sex geht, auch wenn behauptet wird, dieser Sex habe 1904 am Strand statt gefunden. Wahrscheinlich wird er aber das Buch einfach in seinem Regal stehen lassen, zwischen der Bhagavad Gita und Stille Tage in Clichy

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 197

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sexualisation in den Fünfziger Jahren

Wenn man in den Fünfziger Jahren geboren ist, in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und des radioaktiven Fallout, in der Zeit in der den Erwachsenen immer noch Begriffe wie VERGASEN und ARBEITSLAGER mit erschreckender Leichtigkeit über die Lippen kamen, lebte man mit einer unausgesprochenen Bedrohung, die nicht zu fassen und nicht zu erklären war, aber alle Menschen dieser Zeit im Deutschland nach dem verlorenen Krieg gleichermaßen betraf – wobei sich die meisten dieser Bedrohung in keiner Weise bewusst waren.

Neben dieser Bedrohung, die alle betraf, gab es, wie wahrscheinlich seit Jahrtausenden unverändert, die Bedrohung, mit der Kinder zu leben hatten, weil die Erwachsenenwelt sie ihre Macht spüren ließ, die in körperlicher Überlegenheit und einem unbegreiflichen Wissensvorsprung begründet war – es waren die letzten Jahre vor 1968.

Und dann war da noch meine eigene persönliche Bedrohung, die nur mich betraf, diese Bedrohung, deren wechselnde Szenarien immer wieder von meinen Eltern und anderen Erwachsenen beschworen wurden; der Schwarze Mann, die Hand, die aus dem Wasser kam, der Nikolaus und sein Knecht Ruprecht mit der Rute und die ganz persönlichen Bedrohungsszenarien, die mit dem Tod meiner Mutter zu tun hatten, weil sie mich nicht wollte und den daraus folgenden Handlungen meines Vaters, der mich auch nie gewollt hatte.

Meine Mutter konnte sich nie damit abfinden, mich mit vierzig Jahren bekommen zu haben, zu einem Zeitpunkt, als meine Eltern sich bereits kurz zuvor damit abgefunden hatten, das Haus, in dem wir wohnten, durch die Geschwister meines Vaters unter dem Hintern weg verkauft bekommen zu haben.

Na ja...

Und irgendwann weiß man, dass es da Männer und Frauen gibt.

Mit dieser Bedrohung oder diesen Bedrohungen beschäftigt dauerte es lange, bis man sich auf den Unterschied konzentrieren konnte, diesen Unterschied, der sich darin manifestierte, dass es da Menschen gab, die lieber mit Puppen spielten, als mit Autos.

Und irgendwann realisiert man, dass auch Mädchen Frauen werden und dass man selbst irgendwann ein Mann sein wird.

Interessant.

Nur was sollte das alles für einen Sinn haben?

Warum gab es diese beiden höchst unterschiedlichen Arten von Menschen?

Was sollte es für einen Vorteil haben, Frau zu sein?

Alle Fragen wurden wie üblich beantwortet.

Du bist zu jung!

Du wirst es schon erfahren!

Das musst du nicht wissen!

Warum willst du das wissen?

Besonders die Gegenfragen waren geeignet, einem das Gefühl zu vermitteln, sich auf vermintes Terrain begeben zu haben.

Vermintes Terrain bedeutete immer, es mit unberechenbaren Erwachsenen zu tun zu haben, die, wenn sie auf Fragen keine Antworten wussten, zu Gewaltausbrüchen neigten.

Wen wundert es da, bezüglich dieser Neugier, dann nur noch Leute zu fragen, die vielleicht etwas mehr wussten, oder aufgrund ihrer zu erwartenden Anatomie zum anderen Geschlecht gehörten und daher zwangsläufig über andere Informationen verfügen mussten.

Also gab es zum Informationsaustausch nur meine Cousine Irene, die in meinem Alter war. Fataler Weise waren alle anderen Vettern und Cousinen so viel älter als wir, dass sie ebenso erwachsen wie unsere Eltern als Informanten nicht mehr in Frage kamen.

Wenn ich jemals erwachsen sein sollte, würde ich sicher nicht zu diesen Leuten gehören, die gegenüber Jüngeren etwas verheimlichten.

Meine Cousine Christa, auch sie gehörte zu den Erwachsenen, arbeitete in einem Geschäft für Tafeln, Griffel, Schulhefte, Füller, wie wir damals Füllfederhalter nannten und andere Schreibwaren.

Dieses Geschäft wurde von einem Herrn Schulte betrieben und dieser Herr Schulte war für einen erwachsenen Mann erstaunlich klein. Ich stellte mir vor, wie klein, nämlich kleiner als er, seine Frau, also Frau Schulte sein musste, denn Frauen waren aus irgend welchen Gründen kleiner als Männer.

Zur Zeit meiner Kindheit waren Frauen immer kleiner, als Männer; oder besser ausgedrückt, Männer waren immer größer als die dazu gehörenden Frauen.

An diesem Punkt der Überlegung ist zu erkennen, dass ich realisiert hatte, Männer und Frauen lebten zusammen, wie meine Eltern, alle Tanten und Onkel und die Eltern der Kinder, die ich bis dahin getroffen hatte. Daher war es für mich undenkbar, dass das bei Herrn Schulte anders sein sollte.

Und Herr Schulte, der ein sehr netter Mensch war, das bestätigte sogar meine Cousine Christa, die immerhin bei ihm arbeitete, hatte da etwas am Rücken. Wenn er sich drehte, sah es so aus, als habe er einen Rucksack unter der Anzugjacke.

Hatte ich erwähnt, dass Männer Anzüge trugen und Frauen Kleider?

Dieser Umstand war, neben der Länge der Haare, beziehungsweise der Frisur und der Höhe der Stimme, ein wichtiges Merkmal, um Frauen von Männern zu unterscheiden.

Ja und Dank Herrn Schulte, man hatte mir erzählt, er habe einen Buckel auf dem Rücken, über den man aber nicht rede, das heißt, man sollte immer so tun, als habe er diesen Buckel nicht, oder man würde ihn nicht sehen, wusste ich dann, dass Frauen einen Buckel vorne hatten.

Und man sollte so tun, als hätten sie diesen Buckel nicht und ich würde ihn nicht sehen, diesen Buckel.

Jahrelang gab ich mich mit dieser Überlegung zufrieden.

Als ich eines Tages mit Irene zum Klo ging, heute wundert es mich, dass uns da niemand dran gehindert hat, tauschten wir uns, wie so oft, bezüglich des Vorteils unterschiedlicher Anatomie aus.

Also fragte ich Irene, ob sie mittlerweile herausbekommen habe, was da für ein Buckel bei unseren Müttern vorne unter dem Pullover wäre.

Sie sagte, das wäre wohl total geheim und ich dürfte da mit keinem drüber reden, aber sie habe mit bekommen, dass es eigentlich zwei Buckel wären und dass der Pullover dazwischen gespannt werde, so dass man meinen könne, es wäre nur einer. Ich sollte doch 'mal im Quelle Katalog nachsehen, weiter vorne, nicht beim Spielzeug. Sie habe sich da auch informiert.

Raffiniert!

Es war nicht das erste Mal, dass ich mit Verwunderung feststellen musste, dass Irene einen Wissensvorsprung hatte.

Einen Quelle Katalog hatten wir auch.

Es war völlig unverfänglich, wenn ich mir die Seiten mit den Spielsachen ansah, denn immer wenn Weihnachten oder mein Geburtstag nahten, wurde ich anhand des Kataloges befragt, was ich denn haben wolle.

Unauffällig blätterte ich weiter nach vorne.

Unauffällig und vorsichtig.

Mir war klar, dass es eine Menge Ärger geben würde, wenn meine Mutter mein Interesse bemerkte, denn es war ja genau so ein Tabu, wie der Buckel des Herrn Schulte.

Wahrscheinlich hätte man mich dann in ein Heim gegeben oder den Zigeunern geschenkt.

Immer wenn Zigeuner in der Stadt waren, hatte ich Angst denen mitgegeben zu werden, in die Ungewissheit...

Ja, die Angst war eigentlich nur die Angst vor dem Unbekannten. Sie war diffus und unterschied sich daher wahrscheinlich nicht sehr von der Angst, die ich sowieso hatte, diese Angst, die eine ständig im Hintergrund lauernde Bedrohung war, gegen die man nichts tun konnte, als irrationalen ständig wechselnden Maßstäben gerecht zu werden, wie sie die Erwachsenen immer wieder neu definierten.

Im Katalog gab es tatsächlich zwei Buckel.

Die Frauen trugen natürlich Unterwäsche.

Erwachsene waren nie nackt, vielleicht diesen kurzen Moment wenn sie Unterwäsche gegen Badebekleidung tauschten, aber sonst waren sie immer und zu jeder Zeit angezogen.

Ich blätterte zur Badebekleidung.

Tatsächlich gab es da auch Badeanzüge, bei denen man erkennen konnte, dass es da zwei Buckel geben musste.

Interessant!

Hatten manche Frauen einen Buckel und andere zwei?

Bei den Kamelen gab es ja auch Dromedare mit nur einem und Trampeltiere mit zwei Höckern.

Irgendwann im Freibad entdeckte ich, dass es da tatsächlich Frauen gab, bei denen man, wenn man heimlich genau hinsah, zwei Buckel identifizieren konnte.

Von Irene, die ja fast täglich in diesem Freibad war, einen Badeanzug trug, obwohl sie sich oben herum in keiner Weise von mir unterschied, der ich eine Badehose trug, erfuhr ich, dass es erstrebenswert war, so viel Haut wie möglich in der Sonne braun werden zu lassen.

Mein Vorschlag, doch ebenso wie ich, eine Badehose zu tragen kam bei ihr nicht gut an.

Ihre Mutter bestehe darauf, dass sie einen Badeanzug anziehe, sie habe auch schon den Vorschlag gemacht, denn oben herum gäbe es ja wohl wirklich keinen Unterschied.

Wir überlegten dann natürlich noch, was denn unten rum so dringend bedeckt werden müsse.

Mein Zipfel konnte es ja wohl nicht sein, denn dann hätte Irene ja zumindest unten ohne gehen können.

Also konnte es nur der Hintern sein, aber der sah bei allen Menschen gleich aus, so hatte ich gehört und immer dann, wenn ein Lehrer jemandem den nackten Hintern verprügelte war es auch so gewesen, also schied der Hintern doch wohl aus.

Außerdem hätte da ja wohl keiner drauf herum geprügelt, wenn er so eine Tabuzone wäre.

Blieb der Zipfel.

Irene hatte keinen.

Aber das war mir ja bekannt.

Vielleicht war es anderen nicht bekannt, vielleicht gehörte ich zu den wenigen Eingeweihten, die wussten, dass es Menschen mit Zipfel gab und welche ohne.

Irene meinte, dass sie sich das nicht vorstellen könne, weil ja die meisten Leute Brüder und Schwestern hätten und so erfahren könnten, dass Schwestern keinen Zipfel hatten.

Das klang logisch.

Aber warum hatten dann Frauen nicht einfach nur oben ’rum Badekleidung an, wenn es doch so erstrebenswert war, fast überall braun zu werden und die Hose nur wegen des Zipfels nötig war?

Komisch!

Wen sollte man da fragen?

Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn alle Männer mit Hosen im Freibad wären und alle Frauen mit irgendwas oben herum, um die Buckel zu bedecken.

Immerhin war das logisch.

Bei uns war oben rum nichts, also brauchte man nur eine Badehose, weil unten herum der Zipfel war und bei Frauen war unten rum nichts und nur oben rum die Buckel.

Aber warum hatte das noch Niemand bemerkt?

Leopold es Vedra

Mit Gewalt riss ich mich aus dieser Stimmung, aus diesem Gefühl, aus diesem Zustand der Agonie.

Ich lag.

So konnte ich nicht weiter verharren!

Ich hatte einen Termin einzuhalten, zu dem ich mit klaren Gedanken erscheinen musste.

Klare Gedanken.

Meinen ersten Traum der letzten Nacht hatte ich schon einige Male zuvor geträumt, immer mit geringfügigen Änderungen aber immer mit dem selben Outfit meinerseits. Ich hatte keine Hose an und befand mich irgendwo außerhalb meiner gewohnten Umgebung.

Mal saß ich so in einer Eisdiele, mal war ich so zu Besuch bei Bekannten und mal fuhr ich so mit meinem Wagen und es fiel mir erst auf, als ich aussteigen wollte.

Scheinbar war ich der Einzige, dem dieser Umstand auffiel und genau so einen Traum hatte ich nun seit einigen Monaten in jeder Nacht.

Schon in meiner Kindheit hatte es immer wieder solche Träume gegeben, ja sogar vor meiner Pubertät, denn die Gewissheit, dass spätestens eine beginnende Erektion andere aufmerksam machen würde, kam erst allmählich danach dazu.

Klare Gedanken.

Klare Gedanken hatte ich über Jahrzehnte gehabt, sie hatten mich förmlich ausgezeichnet, doch nun, traumatisiert wie ich war, musste ich mich erst einmal sammeln.

Und an diesem Tag war eigentlich einer meiner wichtigsten persönlichen Feiertage, der 16.06., Bloomsday. Ich musste noch etwas tun, um diesem Tage gerecht zu werden, obwohl ich leider nicht in Dublin war.

Und dann, in einem zweiten Traum, genauer, in meinem letzten Traum in der letzten Nacht, an den ich mich erinnern konnte, habe ich zu meiner Verwunderung meine alte Freundin Yvonne getroffen, die ich, im Wachzustand nun wissend, seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Ich war in ein Haus getreten und ihr direkt in die Arme gelaufen.

Sie begrüßte mich, als würden wir uns täglich sehen, als hätte es in den letzten zwanzig Jahren tägliche Begegnungen gegeben oder als wäre überhaupt keine Zeit vergangen.

Sie redete pausenlos, aber ich verstand die Worte nicht. Sie löste meinen Gürtel, knöpfte meine Hose auf und innerhalb von Minuten stand ich unten ohne vor ihr.

Sie nahm meinen Schwanz und brachte ihn so nebenbei in Stellung, als würde sie das jeden Tag so machen.

Klar hatten wir eine Beziehung gehabt und klar hatten wir seinerzeit regelmäßig gebumst, aber hatte sie sich je manuell an meinem Schwanz zu schaffen gemacht?

Nachdem sie meine Vorhaut zurück geschoben hatte, umfasste sie die blanke Eichel und rieb sie vorsichtig mit einem Daumen.

Während sie das, nun kommentarlos, tat, griff sie hinter sich und brachte eine röhrenartige Konstruktion zum Vorschein, die außen herum über Noppen verfügte.

Ohne den Vorgang richtig wahrgenommen zu haben, drapierte sie diese Röhre über meinen stehenden Schwanz und befestigte noch zwei Kabel daran.

Sofort baute sich dieses Gefühl sexueller Stimulation auf und nahm immer stärker zu. Ich lehnte mich unweigerlich an einen Schrank, denn ich stand immer noch.

Die Szene wechselte.

Yvonne hatte das Gerät in der Hand, das sie zuvor an meinem Schwanz befestigt hatte und reichte es einem Typen.

„Der kann es dir auch gut dran machen!“

Und ich war wach gewesen.

Ein Blick auf die Uhr an der Wand, die mein Großvater vor über hundert Jahren gekauft hatte.

Ich musste los.

Auch wenn ich nicht von der Wirksamkeit dieser Termine überzeugt war, Frau Northeim war zumindest jemand, die mir immer strukturiert zuhörte, mich störte noch nicht einmal, dass sie es für Geld tat.

Es kostete mich einige Mühe auf zu stehen, denn ich hatte auf dem Bett gelegen, einfach so, angezogen und eigentlich für den Tag gerüstet...

Als ich erst einmal auf meinen Füßen stand, ging es.

Ich fuhr mit meinem Subaru, dessen Boxermotor wenn man ihn hoch drehte, wie ein VW-Bus aus den Siebzigern klang, die paar Kilometer zum Haus der Frau Northeim.

Auf der Straße vor einer niedrigen Bruchsteinmauer waren erstmals alle Parklücken besetzt und so fuhr ich den Subaru rückwärts durch das schmiedeeiserne doppelflügelige Tor, unter die hohen Kastanienbäume, deren Geäst weit herunter ragte und die Dachreling des Subaru berührte. Ich ging etwa fünf Meter über den Kiesweg zum Nebeneingang des Hauses, in dem Frau Northeim ihre Praxis betrieb.

Ihre Räumlichkeiten betrat man durch einen Seiteneingang.

Ein Schild kündete von der Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie und von der Betreiberin dieser Praxis, Dr. Ulrike Northeim.

Zumindest war das bei meinem ersten Besuch so gewesen – das Schild fehlte schon lange, aber ich wusste ja wo ich hin wollte.

Bei einer unserer letzten Sitzungen hatte Frau Northeim die Absicht geäußert, aufgrund meiner Träume, die weit in die Kindheit zurück reichten, eine Art Konfrontationstherapie mit mir zu machen. Dazu sollte ich ihre Praxis ohne Hose betreten, aber ansonsten alles machen, wie bisher. Sie meinte, wenn ich sie ohne Hose aufsuchen würde, könnte sie vielleicht besser an meinen verborgenen Erinnerungen kratzen.

Man klingelte...

Frau Northeim, so hatte ich vor meinem ersten Termin von einem Freund erfahren, der sie ebenfalls besucht hatte, legte größten Wert auf Pünktlichkeit.

Er erzählte mir, einmal zwei Minuten zu früh den Knopf der Klingel gedrückt zu haben, woraufhin Frau Northeim ihn auf den Umstand hinwies, zwischen den Terminen Pausen zu brauchen.

Ungewöhnlicher Weise war nun die Tür zu ihren Praxisräumen erstmals geöffnet; obwohl ich diese Bezeichnung nicht zutreffend fand, handelte es sich ohne Zweifel um Praxisräume, das hatte ich so noch nie erlebt. Meine Hand verharrte vor dem Knopf der Klingel.

Tür geöffnet, Klingel nicht nötig!

Mit dem Ellbogen schob ich die Tür weiter auf und gelangte in den kurzen Flur vor dem Wartezimmer. Die Tür des Wartezimmers stand wie immer so weit offen, dass man sie eben so gut aushängen konnte.

Irgendwo in meinem Bewusstsein war ich erleichtert, meine Hose am Körper gelassen zu haben. Auch, wenn ich kurz nachgedacht hatte, Frau Northeims Idee direkt in die Tat um zu setzen.

Eine lebensgroße nackte männliche Gipsskulptur stand seit einigen Wochen mitten im Raum und wie immer konnte ich die Figur, die an einen griechischen Gott erinnerte, nur von hinten sehen. Dieses Wartezimmer wurde naturgemäß nicht gebraucht; Frau Northeim betrieb diese Praxis alleine, musste somit auch selber die Tür öffnen. Ich hatte seit Monaten geplant, mir diesen nackten Griechen 'mal von vorne an zu sehen.

Auch die Tür zum Sprechzimmer stand einen Spalt weit offen.

Diese Tür öffnete sich immer dann, wenn Frau Northeim bereit für unser Gespräch war.

Spätestens als ich die zweite Tür in einem ungewöhnlichen Zustand vorfand, war mir der Grieche egal.

Dann sah ich Frau Northeim durch den Türspalt vor einem Bücherregal stehen, scheinbar in Freizeitkleidung, denn normalerweise kleidete sie sich für ihre Praxis, als würde sie in der Führungsetage eines Großkonzerns oder in einer führenden Anwaltskanzlei arbeiten. Nun hatte sie, an Stelle ihres Buiseness-Kostüms eine enge Jeans an, die ihre Form von hinten betrachtet gut betonte; so hatte ich sie noch nie gesehen und war angenehm überrascht. Warum hatte sie nicht immer solche Klamotten an? Außerdem hatte sie nicht mehr die Frisur von Seven of Nine, sondern trug ihre langen Haare offen und keine Brille.

„Frau Northeim!“

Sie drehte sich um, und ich war mir sicher, dass sie bereits zuvor meine Schritte gehört haben musste.

„Sie sind gar nicht...“

„Nein, ich bin ihre Schwester!“

Sie kam mir lächelnd entgegen und schwang die Tür ganz auf.

„Meine Schwester ist nicht da, aber kommen sie doch herein, setzten sie sich!“

„Ich habe einen Termin...“

„Ich weiß! Ich habe es in Ulrikes Terminkalender gesehen. Ich hätte sie angerufen aber dann habe ich eine Idee gehabt, als ich zugegebener Weise unberechtigter Weise in Ihrer Akte geblättert habe!“

„Ach!“

Sie hatte das mit so einer Beiläufigkeit gesagt, als...

Na gut, ich beschloss, es ihr nicht übel nehmen zu wollen, irgendwie genoss sie von der ersten Sekunde unserer Begegnung an Narrenfreiheit bei mir. Wenn ich die Praxis ohne Hose betreten hätte, wäre sie vermutlich sehr irritiert gewesen, so aber konnten wir von der ersten Sekunde an miteinander umgehen, wie wir es taten.

Sie sah ihrer Schwester auffällig ähnlich, auch wenn ihr Kleidungsstil mir besser gefiel, die Brille fehlte und auch ihre Frisur hob sie positiv von ihrer Schwester ab, aber vielleicht waren die Klamotten Ulrikes ihrem Job als Psychotherapeutin geschuldet, denn sie ging vielleicht davon aus, dass ihre Kundschaft bestimmte Erwartungen bezüglich ihrer Kleidung hatte.

Diese etwas andere Ausgabe, ihre Schwester, hatte also in meiner Akte geblättert, dieser Akte, die über Fortschritte meiner Traumatherapie informieren sollte, zugegebener Weise unberechtigter Weise, wie sie selbst gesagt hatte.

„Und? Ist es interessant, was da drin steht?!“

Sie sah mich etwas verständnislos an, als erkenne sie nicht die von mir hergestellten Zusammenhänge.

„Nein! Ja! Ich bin da in einer komischen Situation! Meine Schwester ist nicht da, ich will nicht sagen, sie ist verschwunden, aber sie ist nach dem Wochenende nicht zurück gekehrt...“

„Heute ist Donnerstag!“

„Ja, sie hatte vor Ihnen heute morgen nur einen einzigen Termin, sich mit anderen Worten bis Mittwoch einschließlich frei gemacht. Und das ist es, warum ich sie nicht angerufen habe. In ihrer Akte...“

Sie zögerte auffällig.

„Es stehen da nicht nur Fakten drin, ich habe auch mit meiner Schwester über einzelne Fälle geredet, natürlich anonymisiert, dann aber in den Unterlagen gefunden, dass sie der Typ sein müssen, der im Blaulichtmilieu gearbeitet hat!“

Ich musste lachen.

„Stimmt, ich stamme aus dem Blaulichtmilieu, um genauer zu sein, ich habe einige Jahre da verbracht und habe da den letzten Kick bekommen, ihre Schwester aufsuchen zu müssen, ich heiße Leopold.“

„Ich weiß!“

„So war das nicht gemeint!“

Sie lächelte.

„Sarah!“

„Und das am Bloomsday!“

Sie sah mich verständnislos an, ging aber nicht auf den Day ein.

„Wann hast du deine Schwester denn zuletzt kontaktiert?“

„Das war letzte Woche Freitag. Sie wollte das Wochenende mit...“

Sie zögerte. Ich wollte mir das, was jetzt kommen würde und es musste kommen, sonst hätte sie mich nicht kommen lassen dürfen, keinesfalls entgehen lassen, also sagte ich nichts.

„Sie wollte mit einem Patienten...“

Sie stoppte, als ich grinste. Ich hatte keine Möglichkeit gehabt, dieses Grinsen zu stoppen.

„Nach Ibiza fahren!“

„O, für so unprofessionell hätte ich sie nicht gehalten, sonst wäre ich sicher nicht zu ihr gegangen!“

„Du hältst sie also für professionell, du, der du jahrelang mit solchen Angelegenheiten zu tun hattest?“

„Und du als Schwester! Hast du sie auch für...“

„Klar, aber die Sache mit diesem Typen... Ich weiß es nicht, was sie da bewegt hat! Wann hast du sie zuletzt gesehen, wann warst du zuletzt hier?“

„Steht das nicht in meiner Akte?“

Sie schüttelte entschieden den Kopf.

„Deine Schwester habe ich letzte Woche Donnerstag aufgesucht, war aber gestern noch mal hier für einen völlig anderen Termin ohne sie.“

Mehr sagte ich nicht. Wusste sie, dass ihre Schwester auch unter vermietete?

„Was weißt du über den Typen?“

„Nichts, ich weiß nur, dass es ihn zu geben scheint!“

„Aber du hast doch sicher...“ wieder grinste ich, diesmal nicht süffisant, sondern provokativ, „in seiner Akte nachgesehen, wie, zugegebener Weise unberechtigter Weise, in meiner!“

„Das ist es ja gerade! Es gibt keine Akte, keine Aufzeichnungen, nichts und da kam mir der Gedanke, als ich sah, dass du heute kommen würdest, aufgrund der Akte über dich und dessen, was Ulrike erzählt hatte...“

Ihre geöffneten Handflächen zeigten nach oben.

„Ich verstehe! Gibt es Gründe, warum du keine offiziellen Profis einschalten willst?“

„Das liegt ja wohl auf der Hand! Sie ist mit einem Patienten über das Wochenende verreist, wie du schon sagtest, sehr unprofessionell und es gibt keine Aufzeichnungen!“

Ich nickte, während sie aufstand und zu dem Kaffeeautomaten auf einem Side-Board ging. Sie stellte eine Tasse unter die Ausgabe und schaltete das Gerät ein.

„Und du vertraust mir, dir bei deiner Suche zu helfen?“

„Ja, die Akte und das was Ulrike mir erzählt hat...“

Sie drehte sich um.

„Ich brauche deine Hilfe, Leopold! Ich weiß nicht, wer sonst noch in Frage käme, ich kenne keine Leute, die sich da auskennen und, na sagen wir, von meiner Schwester für in Ordnung gehalten werden!“

„Aber du brauchst doch nur...“

„Hab ich schon. Sie ist nicht nach Ibiza geflogen. Und weil ich mit meinem Latein am Ende bin, dachte ich, dass du der richtige Ermittler sein musst!“

Mein Gehirn hatte sich der Angelegenheit schon angenommen, ohne dass ich ihr meine Unterstützung zugesagt hatte.

„Und was hat deine Schwester Ulrike Northeim über diesen anscheinend sehr interessanten Menschen erzählt, der ihr Patient ist? Es sieht ja wohl so aus, dass wir im Moment auf dein Gedächtnis angewiesen sind.“

Sie sah mich an.

„Kaffee?!“

„Ja!“

Sie tastete an dem Automaten herum.

„Meine Schwester hat mir erzählt...“

„Stopp!“

Sie sah mich erstaunt an.

„Wenn du mir über den Kerl berichtest, solltest du vielleicht damit beginnen, was du über mich weißt, aus ihren Worten!“

„Nicht viel! Du hast Jahre lang über deine Verhältnisse gearbeitet, ohne Rücksicht auf deine Kräfte. Du hast alles Menschen Mögliche getan, weil du der Meinung warst, es würde sonst nichts zum Überleben der dir Anvertrauten geschehen. Und als es nicht mehr ging, kam das Burn Out Syndrom. Bis dahin warst du wohl ein unbelehrbarer Überzeugungstäter!“

Sie machte eine Pause und sah nach oben.

„Das Interessanteste meinte Ulrike wären deine Träume und sie meinte, dass das sicher der Schlüssel sein würde, dir zu helfen, als wir darüber redeten.“

Sie sah mich wieder an.

Hatte Frau Northeim ihr so ausführlich von meinen Träumen berichtet, wie ich ihr? Konnte ich es ertragen, wenn sie mein Vertrauen derart missbraucht hatte?

Sie redete weiter, ohne auf Einzelheiten ein zu gehen.

„Bei dem anderen Typen ist es so, dass er wegen einer völlig unbegründeten Angst zu ihr kam. Er hatte Angst vor einer Zahl, aber eben keine unbegründete Triskaidekaphobia. Wenn er sie sah, auf einer Buchseite, dem Zifferblatt der Digitaluhr, dem Tacho seines Wagens oder wenn jemand so alt war. Auch beim Datum konnte es Konflikte geben.“

„Eine ungewöhnliche Phobie!“

„Ulrike sagte das wäre einfach, man brauche nur die Ängste oder angstauslösenden Parameter in positive Muster um zu wandeln.“

„Und ist es ihr gelungen?“

„Er ist seit über zwei Jahren regelmäßig zu ihr gekommen, also scheint es ihr nicht so einfach gelungen zu sein, wie sie sich das vorgestellt hatte.“

Sarah kam und stellte mir den Kaffee und ein Glas Honig hin.

Ich stand auf.