Blue Hell - Daniela Menth - E-Book

Blue Hell E-Book

Daniela Menth

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Beschreibung

Ein junger Mann, durch eine Kopfverletzung ohne Erinnerungen, findet sich in einem "Bed and Breakfast" im nördlichen Kalifornien wieder. Er möchte herausfinden, woher er kommt und wer er ist. Doch mit Entsetzen stellt er fest, dass er in seiner Vergangenheit kriminell war. Er versucht seine Fehler wieder gutzumachen und erfährt wie schmal der Grat zwischen Schuldigen und Opfer ist.

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Seitenzahl: 472

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Daniela Menth

Blue Hell

© 2016 Daniela Menth

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-3418-8

Hardcover:

978-3-7345-3419-5

e-Book:

978-3-7345-3420-1

Cover: Daniela und Marco Menth, Elk California

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Dean Avery

Mein Kopf schmerzt und ich öffne langsam die Augen. Ich sehe mich um. Ich bin in einem kleinen Zimmer und liege in einem gemütlichen Bett. In einem Schaukelstuhl neben mir sitzt ein älterer Mann. Er hat graue Haare und eine Brille. „Hallo, mein Sohn…“, sagt er freundlich. Doch ich erkenne ihn nicht. Ich schrecke ein wenig zurück, denn ich kann mich nicht an diesen Mann erinnern. Und warum nennt er mich Sohn? Er sieht mich verwundert an. Ich sehe an mir herunter. Doch was ich da sehe, erkenne ich auch nicht. Meine Hände, ich sehe sie an als wäre es das erste Mal in meinem Leben. Am rechten Unterarm habe ich einen Verband. Was ist da drunter? Habe ich eine Verletzung? Ich berühre mein Gesicht. Wer bin ich? Ich erinnere mich an nichts. Ich möchte gern wissen was mit mir los ist. Doch dieser fremde Mann neben mir kann mir diese Frage bestimmt nicht beantworten. Er steht auf und kommt zu mir rüber. „Wie geht es dir?“, fragt er. Ich hebe bloss die Schultern, denn ich weiss es einfach nicht. Der Mann geht zur Tür. „Kylee, komm mal“, ruft er. Eine Minute später steht eine junge Frau im Zimmer. Sie hat dunkle lange Haare, braune Augen und ein bildhübsches Gesicht. „Wie heisst du?“, fragt sie. Ich sehe sie nur an, denn auch sie ist mir fremd. Sie holt eine kleine Lampe aus der Hosentasche und leuchtet mir in die Augen. Ich stosse sie zurück. Das ist eine gute Frage ich habe keine Ahnung wie ich heisse. „Weisst du deinen Namen nicht?“, fragt sie nochmals. „Nein“, sage ich. „Ich bin Kylee und das ist Vincent“, stellt sie sich und den älteren Mann vor. Ich setze mich hin. Ich sehe mich im Zimmer um, doch ich erkenne gar nichts. Alles ist mir fremd. „Wo bin ich?“, frage ich. „In Elk“, sagt Vincent knapp. Ich habe noch nie von diesem Ort gehört. „Weisst du welcher Tag heute ist, oder welches Jahr wir haben?“, fragt Kylee. „Nein“, sage ich nachdem ich kurz überlegt habe. „Du hast ein Schädelhirntrauma. Darum kannst du dich an nichts erinnern. Normalerweise kommt die Erinnerung mit der Zeit wieder“, sagt Kylee. „Bist du Ärztin?“, frage ich. „Ja“, sagt sie knapp. Ich fasse mir an den Kopf und bemerke dabei auf der linken Seite ein grosses Pflaster. „Hast du Durst?“, fragt Vincent. Ich nicke stumm. Er holt mir ein Glas Wasser und ich trinke es. Vincent und Kylee verlassen kurz das Zimmer. Eine Minute später kommt Vincent zurück. „Kylee kocht dir eine Suppe und ich kann dir ein paar Fragen beantworten“, meint Vincent und setzt sich wie selbstverständlich neben mich. „Wie ist mein Name und wo zum Geier liegt Elk?“, frage ich sogleich. Vincent sieht mich lange an. „Dein Name ist… Dean. Dean Avery und du bist hier Zuhause“, sagt er, anfangs etwas zögerlich. „Du bist mein Vater?“, frage ich. Er nickt. Ich habe ein seltsames Gefühl, doch irgendwie fühle ich mich geborgen. „Was ist passiert, dass ich mich an nichts erinnern kann?“, frage ich. Vincent überlegt kurz. Ich frage mich, warum er nicht spontan antwortet. „Du bist von der Klippe gestürzt“, antwortet er kurz. Ich nicke bloss. Ich schlage die Decke zurück und sehe, dass ich nur in Unterwäsche bekleidet bin. Doch nicht das erschreckt mich, sondern mein ganzer Körper. Ich erkenne meinen eigenen Körper nicht. Vincent öffnet eine Schublade und holt eine Landkarte hervor. Er zeigt mir, wo Elk liegt. Es liegt im Norden von Kalifornien, 25 Kilometer südlich von Mendocino. Ich stehe langsam auf. Meine Beine sind ziemlich schwach, trotzdem laufe ich zum Fenster und sehe hinaus. Ich erkenne das Meer. „Das ist dein Zimmer“, sagt Vincent. Wenig später verlässt er das Zimmer und ich sehe mich genauer um. Das ist merkwürdig, das soll mein Zimmer sein und ich erinnere mich an gar nichts? Hoffentlich kommt die Erinnerung wieder zurück. Das Zimmer ist klein aber gemütlich eingerichtet. Ein typisches Jugendzimmer, schätze ich. Ich setze mich an den Schreibtisch. Ich sehe ein Foto auf dem Tisch und sehe es mir genauer an. Auf dem Foto sehe ich Vincent, eine Frau und ein Junge von etwa zehn Jahren. Bin ich das etwa? Ich lege das Bild wieder hin. Gerade als ich das Bild hinlege fällt mein Blick auf meinen Oberschenkel. Dort habe ich eine grosse Narbe. Sie ist verblasst, musste also schon eine Weile her sein. Überall an meinem Körper habe ich Blutergüsse. Ich möchte einen Spiegel suchen um mich anzusehen. Vielleicht kann ich mich dann erinnern. Im Zimmer hat es keinen. Ich gehe zur Tür und sehe mich um. Ich laufe durch das Haus, auf der Suche nach einem Spiegel. Kylee kommt mir entgegen. „Du solltest noch etwas liegen bleiben“, meint sie. „Ich möchte mich zuerst in einem Spiegel sehen“, sage ich. „Na gut“, sagt sie und führt mich ins Badezimmer. Ich betrachte mich im Spiegel. Ich habe das Gefühl, dass ein Fremder vor mir steht. Ich habe braune kurze Haare und braune Augen. Meine Haut ist hell und ich habe einen Dreitagebart. Ich fahre mit meiner Hand über die Wange. „Wie lange war ich bewusstlos?“, frage ich. „Ich weiss es nicht genau“, sagt sie. Ich entdecke am linken Oberarm eine alte Narbe. Was das wohl war? „Sieh mal dein rechtes Schulterblatt an“, meint Kylee. Ich sehe nach und entdecke ein kleines Tattoo. Es ist der Buchstabe „J“. Und gleich daneben ist eine weitere 15cm grosse Narbe. Sieht aus wie eine alte Schnittverletzung. Auch diese ist bereits verblasst. „Wie alt bin ich?“, frage ich. „Ich denke etwa 27“, meint Kylee. Ich bin verwirrt, denn das klingt eher nach einer Schätzung. „Komm, deine Suppe ist fertig. Du kannst jetzt was essen“, meint sie und fordert mich auf in die Küche zu kommen. Ich setze mich an den Tisch und esse hastig die leckere Suppe, denn ich bin sehr hungrig. „Ist dir dein Name eingefallen?“, fragt sie. „Vincent hat gesagt ich heisse Dean“, erzähle ich. „Hat er das?“, fragt sie und schüttelt den Kopf. „Ja, warum?“, frage ich. „Das bringt nichts, du solltest dich selbst erinnern“, sagt sie. „Was habe ich am Arm?“, frage ich und zeige auf den Verband. „Eine Schnittwunde, ich habe sie genäht“, sagt Kylee. „Und hier?“, frage ich und zeige auf meinen Kopf. „Als Vincent dich gefunden hat, warst du schon so gut wie tot. Ich musste dir ein Loch in den Schädelknochen bohren um dein Leben zu retten. Es hätte nicht mehr gereicht bis ins nächste Krankenhaus“, erzählt sie. Ich bin schockiert. „Keine Sorge, du bist über den Berg. Du solltest dich noch einige Tage schonen und das Loch wächst von alleine wieder zu“, sagt sie. Ich bringe keinen Ton mehr heraus. Der Appetit ist mir auch vergangen. Ich stehe auf und gehe zurück ins Zimmer. Ich setze mich an den Schreibtisch und sehe das Bild der glücklichen Familie an. Ich bin müde und kurz darauf fallen mir die Augen zu. Doch nach kurzer Zeit kommt Kylee ins Zimmer. „Dean, du solltest dich doch hinlegen“, sagt sie streng. Im Halbschlaf gehe ich zum Bett rüber und lege mich hin. Mir ist das irgendwie peinlich, denn ich habe das Gefühl, dass ich nichts mehr selber entscheiden kann.

Zwei Stunden später erwache ich wieder. Ich bin alleine im Zimmer. Ich gehe zum Kleiderschrank und nehme mir eine Hose und ein T-Shirt raus. Die Kleider passen mir wie angegossen. Trotzdem bin ich nicht sicher ob es wirklich meine sind. Ich gehe zur Tür und höre wie Vincent und Kylee heftig diskutieren. „Das darfst du nicht tun“, sagt Kylee. „Es ist besser für ihn“, sagt Vincent. „Das kannst du nicht wissen…“, antwortet Kylee. Ich schliesse die Tür wieder. Ich muss irgendwie hier raus, darum gehe ich zum Fenster öffne es und steige hinaus. Die Sonne blendet mich und ich sehe mich um. Einige Schritte vor mir fällt die Klippe bis zum Meer hinab. Ich spüre den Wind in meinem Gesicht, es ist ein befreiendes Gefühl. Ich setze mich an die Hausmauer und geniesse die Aussicht. Ich gehe meinen Gedanken nach. Bin ich wirklich Dean Avery oder bin ich jemand anders? Wie soll ich Vincents und Kylees Diskussion deuten? Ich sitze bestimmt eine halbe Stunde dort, als ich plötzlich Kylees Stimme rufen höre: „Dean!“ Die Stimme kommt aus dem Zimmer. „Ich bin hier!“, rufe ich zurück. Kylee schaut erschrocken aus dem Fenster. „Was tust du hier? Ich dachte schon du bist weg“, sagt sie erleichtert als sie mich sieht. „Warum sollte ich weg? Ich weiss doch nicht, wohin!“, sage ich und klettere zurück ins Zimmer. „Hast du die Klippen gesehen?“, fragt Kylee. „Ja, wunderschön“, sage ich. Kylee sieht mich lachend an. „Bitte schone dich noch etwas. Du darfst dich nicht zu sehr anstrengen. Du hast dann noch genug Zeit um alles zu erkunden“, meint sie. „Okay, ich gebe mir Mühe. Ich fühle mich gut“, sage ich. Bis auf leichte Kopfschmerzen und die paar Prellungen geht es mir soweit gut. Ich lege mich wieder hin.

Einige Tage verbringe ich meistens im Bett. Kylee weicht mir kaum von der Seite. Vincent erzählt mir viel von Dean. Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass ich nicht Dean Avery bin. Und umso mehr er von ihm erzählt, desto stärker wird dieses Gefühl. Der Junge auf den Fotos hat ganz deutlich blaue Augen. Das kann nicht ich sein. Langsam begreife ich aber, dass in dieser Familie etwas Schreckliches passiert war. Doch Vincent weicht solchen Fragen geschickt aus. Kylee erzählt mir nichts, was mich beeinflussen könnte. Doch die Erinnerung ist noch nicht zurückgekommen.

Eines Morgens gehe ich durchs Haus. Zwischen meinem Zimmer und Vincents Zimmer liegt das Bad. Wenn man dem breiten Flur folgt, erreicht man das Wohnzimmer und die Küche mit einem kleinen Tisch in der Mitte. Gleich neben der Küche hat es noch eine Tür. Ich öffne sie und sehe, dass es ein grosser Raum ist, mit vielen Tischen und Stühlen. Sieht aus, wie ein Frühstücksaal für eine Menge Leute. Am anderen ende des Flures ist die Eingangstür und ein Büro daneben, welches auch noch eine separate Eingangstür hat. Ich bin alleine. In einer Schublade in der Küche finde ich eine Pistole. Ich nehme sie und setze mich damit an den Tisch. Ich sehe sie genau an und dann passiert etwas Seltsames. Meine Hände nehmen die Waffe blitzartig auseinander. Ich bin schockiert und überrascht, denn damit habe ich nicht gerechnet. Warum kann ich das? Was habe ich mit dieser Waffe zu tun? Auch das Zusammensetzen geht sehr schnell. Wenig später kommt Kylee zurück. Sie sieht mich mit der Waffe am Tisch. „Was tust du da?“, fragt sie und setzt sich neben mich. „Ich habe keine Ahnung… das ist eine 9 Millimeter…“ sage ich. Sie bemerkt, wie entsetzt ich bin. Ich nehme die Waffe nochmals auseinander und setze sie gleich wieder zusammen. Kylee sieht mir zu und ist überrascht. „Hast du das geübt?“, fragt sie. „Nein, ich kann es einfach. Das habe ich nicht gewusst“, sage ich. „Das ist ein Stück aus deinem Leben…“, meint Kylee. Ich sehe sie geschockt an. Ich möchte mich ja sehr gerne erinnern, doch ich weiss nicht ob ich mich über dieses Stück Erinnerung aus meinem bisherigen Leben freuen soll. „Leg die Waffe wieder zurück. Die gehört Vincent. Nicht dass er dich damit sieht“, meint Kylee. Ich nicke und lege sie wieder in die Schublade zurück. Nachdenklich gehe ich umher. Vincent führt alleine ein „Bed and Breakfast“ mit vierzehn Zimmern und einigen Gästehäusern. Er macht alles alleine. Er kocht, putzt, unterhält die Zimmer und empfängt die Gäste. Die Zimmer sind immer gut ausgebucht. Meistens von Gästen, welche auf der Durchreise auf dem Highway sind und solche, die die Ruhe suchen. Als er am Abend nach Hause kommt, wage ich ihm nicht zu erzählen, was ich heute gemacht habe. Ich bin ruhig und nachdenklich.

An diesem Abend entfernt Kylee den Verband am Arm. „Sieht gut aus“, meint sie. Ich erschrecke etwas, als ich die Narbe sehe. So gross habe ich sie mir nicht vorgestellt. „Was war das bloss?“ frage ich. „Keine Ahnung“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Darf ich morgen in Elk herumgehen und mir alles anschauen?“, frage ich. „Na klar, soll ich mitkommen?“, fragt Kylee. „Ja, sehr gerne“, sage ich.

Am nächsten Morgen bin ich schon früh wach. Ich kann es kaum erwarten. Ich ziehe mich an und hole mir etwas zum Frühstück aus der Küche. Ich gehe zur Tür hinaus. Nun sehe ich das Haus mal von einer anderen Seite. „Greenwood Pier Inn“ steht gross auf einem Schild über der Tür. Kylee kommt mir entgegen. „Dean, du bist früh dran“, meint sie lachend. „Ja, ich möchte alles sehen. Wo wohnst du?“, frage ich. Sie zeigt auf ein Haus in der Nachbarschaft. Ich nicke. „Komm, ich zeige dir den Ort“, sagt sie. Wir gehen miteinander die Strasse entlang. Wir laufen an einer Kirche vorbei, einer Autogarage, einer Poststelle und einem kleinen Lebensmittelladen. „Darf ich dich mal was fragen?“, frage ich zögerlich. „Ja klar, was denn?“, meint sie. „Die Frau auf dem Foto, wo ist sie?“, frage ich. Kylee sieht mich lange an. „Sie ist tot. Ein Unfall…“, antwortet sie schliesslich. Ich habe bemerkt, wie sie nach einer Antwort gesucht hat. Ich denke kaum, dass sie der Wahrheit entspricht. Warum wurde mir alles so verheimlicht? Kylee führt mich zur Bucht hinab. Ein schmaler Weg führt steil den Hang hinab und dann stehen wir an einem Strand. Er ist auf beiden Seiten mit Felsklippen begrenzt. Auch zwischen dem gräulichen groben Sand ragen einige raue Felsen heraus. Ausserdem liegt hier sehr viel Treibholz herum. Wir setzen uns auf einen Felsen und schauen aufs Meer hinaus. Vor der Küste ragen hohe Felsen aus dem Wasser, woran sich die Wellen brechen. Der Wind bläst mir entgegen. Hier gefällt es mir. Wir verbringen eine ganze Stunde in der Bucht. Dann gehen wir wieder den Weg entlang hoch. Im Osten des kleinen Ortes, mit gerade mal 250 Einwohnern, gibt es bewaldete Hügel mit gewaltigen Redwood Bäumen. Auf dem Weg zurück gleich auf der anderen Seite des Highways, gegenüber dem Greenwood Pier Inn, steht die kleine Kirche. Sie ist wie die meisten Häuser hier, mit weissem Holz verkleidet. Ich bleibe davor stehen. Eine ältere Frau kommt heraus und beginnt mit Kylee ein Gespräch. Ich stehe nur daneben. „Wer ist denn deine Begleitung?“, fragt sie. „Das ist … äh“, stottert Kylee verlegen. „Dean Avery“, sage ich spontan. Die Frau sieht mich überrascht an. Sie mustert mich von oben bis unten und wird plötzlich ganz blass. „Ich muss gehen. Ich habe einen Kuchen im Backofen…“, sagt sie und läuft hastig davon. Ich sehe Kylee verwirrt an. Sie nimmt mich am Arm und zerrt mich weg von der Kirche, wieder nach Hause. „Ich habe noch gar nicht alles gesehen“, sage ich. „Wir machen später weiter. Ich muss kurz zu einem Patienten“, sagt sie. Sie geht und lässt mich einfach im Flur stehen. Ihr Verhalten ist sehr merkwürdig. Auch die Frau vor der Kirche hat sich merkwürdig verhalten. Warum nur? Ich sehe zur Tür hinaus. Kylee ist nicht mehr zu sehen. Ich gehe zurück zur Kirche. Es ist niemand dort. Ich öffne das weisse Gartentor neben der Kirche. Dann stehe ich auf einem Friedhof. Langsam laufe ich zwischen den Gräbern hindurch und lese die Namen. Wenn Vincents Frau tot war, würde ich hier auf ihren Namen stossen. In der letzten Reihe stosse ich dann tatsächlich auf den Namen Avery. „Susan Avery“ steht drauf. Doch da steht noch ein zweiter Name drauf: „Dean Avery“. Ich bin schockiert. Steht da mein Name? Wie ist das möglich? Ich setze mich davor auf den Boden. Bei Susan steht das Todesdatum drauf. Das war vor fünf Jahren. Doch bei Dean steht nur das Geburtsdatum drauf. Das ist ja merkwürdig. Laut diesem Datum müsste er heute 27 Jahre alt sein. Das könnte mit mir übereinstimmen.

Ich sitze eine ganze Stunde an diesem Ort. Dann kommt Kylee rennend zu mir. „Dean, ich habe mir Sorgen gemacht…“, sagt sie. „Ich bin in Ordnung. Kannst du mir das erklären?“, frage ich und zeige auf das Grab vor mir. Sie setzt sich neben mich. „Ich dachte ich hätte noch mehr Zeit. Ich möchte nicht deine Erinnerungen beeinflussen. Ich möchte dass du dich selbst erinnerst“, sagt sie. „Ich kann mich aber nicht erinnern. Ich möchte jetzt wissen was das soll“, sage ich. „Na gut, Dean ist vor zehn Jahren verschwunden. Er ging nach Los Angeles um zu studieren. Er wohnte dort bei einer Tante. Doch schon nach einer Woche kam er nicht mehr nach Hause. Die Polizei hat lange nach ihm gesucht, aber nichts gefunden. Susan und Vincent hat das sehr mitgenommen. So ging Susan vor fünf Jahren selbst nach Los Angeles um nach einer Spur zu suchen. Doch sie wurde erschossen. Wir wissen nicht ob sie eine Spur zu Dean gefunden hat“, erzählt sie. Ich nicke nachdenklich. „Was hattest du für eine Beziehung zu Dean?“, frage ich. „Wir waren Nachbarn. Wir haben die gesamte Freizeit zusammen verbracht, wir sind sozusagen wie Geschwister aufgewachsen“, erzählt sie weiter. „Aber ich bin nicht Dean, du weisst das“, sage ich. „Ja, ich weiss, dass du nicht Dean bist. Aber Vincent will das nicht wahrhaben“, meint sie. Er hat wohl das Verschwinden seines Sohnes noch immer nicht verkraftet. „Was soll ich jetzt tun?“, frage ich. Kylee überlegt eine Weile. „Ich möchte, dass du dir Zeit nimmst. Denn ich denke, dass deine Erinnerungen schon bald zurückkommen. Kannst du in dieser Zeit doch noch Dean sein? Vincent wird bestimmt einen Weg finden dich hier im Ort zu integrieren, ohne das gleich alle davonlaufen. Du könntest ihm etwas helfen, bei seiner Arbeit“, sagt sie. Ich nicke, denn etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig. Noch eine Weile sitzen wir stumm nebeneinander. „Kannst du meiner Erinnerung auf die Sprünge helfen?“, frage ich. „Wir können ein paar Sachen ausprobieren…“, meint sie. „Und was?“, frage ich. „Indem du dich gewissen Situationen aussetzt. Da kommen vielleicht Erinnerungen hoch“, meint sie. „Na gut, wo fangen wir an?“, frage ich. „Gehen wir schwimmen…“, meint Kylee. Ich stehe auf. „Okay, wer zuerst in der Bucht ist“, sage ich auffordernd. Kylee lacht. Wir holen die Badehosen und Kylee holt noch zwei Neoprenanzüge aus ihrer Garage. Unten in der Bucht zwängen wir uns in die Anzüge und springen dann in die Wellen. Wir schwimmen eine Weile miteinander im eiskalten Wasser, doch nichts passiert. Es kommt keine Erinnerung hoch. Ich bin enttäuscht. Kylee nimmt mich tröstend in den Arm. „Vielleicht ist es noch zu früh“, meint sie.

Am nächsten Tag beginne ich Vincent mit den Gästezimmern zu helfen. Er zeigt mir wie ich die Zimmer herrichten und putzen muss. So bin ich wenigstens den ganzen Morgen beschäftigt. Am Nachmittag treffe ich mich meistens mit Kylee. Einige Tage später verabreden wir uns in der Bucht, um wieder zu schwimmen. Diesmal ohne Neoprenanzüge. Kylee ist schon ein Stück vor mir. Ich renne in die eiskalten Wellen. In dem Moment, als ich keinen Boden mehr unter den Füssen habe, trifft mich die Erinnerung wie ein Blitz.

Gemini

Ich hatte Panik. Vor mir sah ich ein oranges, grosses Schiff, so hoch wie eine Felsklippe. Ich ruderte wie verrückt mit den Armen. Immer wieder ging ich in den Wellen unter, doch jedes Mal schaffte ich es wieder an die Oberfläche. Wellen schlugen mir über den Kopf und ich schluckte eine Menge Wasser. Das Angstgefühl war überwältigend. Ich hatte Todesangst. „Lasst mich nicht allein!“ schrie ich aus Leibeskräften. Dann sah ich wie das grosse Schiff am Horizont verschwand. Panisch sah ich mich um. Was sollte ich tun? Ich sah, wie das Wasser um mich herum, sich rot färbte. Das war mein Blut. Meine Verzweiflung wurde noch grösser. Mir wurde klar, dass ich keine Chance hatte. „Nein!“ schrie ich.

In dem Moment packt mich Kylee am Arm und hilft mir zum Strand zurück zu schwimmen. Meine Beine zittern so fest, dass ich kaum gehen kann. Ich lege mich hin und sehe in den wolkenlosen Himmel. Ich bekomme kaum genug Luft zum Atmen, ich bin immer noch in Panik. Mein Puls rast wie verrückt. „Beruhige dich Dean“, sagt Kylee. Ich sehe in ihr Gesicht und langsam verschwindet die Panik. „Was hast du gesehen?“, fragt Kylee. Ich halte die Hände vors Gesicht. „Ein grosses Schiff. Ich denke es war ein Containerschiff. Es ist orange. Ich bin im Wasser und sehe hoch. Es ist so hoch wie diese Klippen. Ich bin wohl über Board gegangen. Es fährt davon und lässt mich alleine zurück. Da ist Blut im Wasser und ich habe Todesangst…“, erzähle ich. Kylee hält mich fest. Ich berühre meinen Unterarm, an dem mich Kylee genäht hat. Kam das Blut von dort? Mir ist ziemlich übel. „Hast du den Namen des Schiffes gesehen?“, fragt Kylee. Ich schüttle nur den Kopf. Sie hilft mir aufzustehen. Wir laufen langsam zurück nach Hause. Kylee lässt mich nicht los. Als ich gerade ins Zimmer gehen will, bemerke ich, dass ich mich übergeben muss. Ich renne zum Badezimmer und komme gerade noch rechtzeitig zur Toilette. Kylee folgt mir kurz darauf. Danach fühle ich mich etwas besser. Ich lege mich erschöpft auf den kühlen Boden des Badezimmers. Kylee misst meinen Blutdruck. Sie holt eine Spritze aus ihrer Tasche. Ohne etwas zu sagen spritzt sie mir etwas in die Vene. Irgendwie ist es mir egal denn ich vertraue Kylee. Vincent kommt hereingestürmt. „Was ist passiert?“, fragt er geschockt, als er mich am Boden sieht. „Keine Sorge, ich habe alles im Griff“, sagt Kylee. Er kniet neben mich. „Kannst du mir helfen. Ich möchte ihn ins Bett bringen“, sagt sie. Vincent packt mit an und zusammen bringen sie mich ins Zimmer. „Dean, geht’s langsam wieder?“, fragt sie und ich nicke nur. Sie zieht mir die nasse Badehose aus und deckt mich zu. „Ich habe dir was zur Beruhigung gegeben. Es ist möglich, dass du etwas müde wirst“, sagt sie. Kurz darauf schlafe ich tatsächlich ein. Kylee bleibt bei mir. Vincent hält meine Hand. „Was ist passiert?“, fragt er. „Ein Stück Erinnerung ist zurückgekommen. Er ist von einem Containerschiff gefallen“, erzählt sie. Vincent ist schockiert. „Der Arme“, meint er. Etwas später muss Vincent wieder gehen, denn neue Gäste treffen ein.

Nach einer halben Stunde erwache ich wieder. Ich setze mich hin. Kylee sieht mich an. „Alles okay?“, fragt sie. „Naja, okay ist anders. So heftig habe ich mir das nicht vorgestellt…“, sage ich. Sie nickt verständnisvoll. Wir haben nun einen Anhaltspunkt, wo wir nach dir suchen sollen“ meint sie. „Lass mich nie alleine. Ich weiss nicht was passiert wäre wenn du nicht dabei gewesen wärst…“, sage ich. „Ich bleibe bei dir“, sagt sie. Ich bin etwas erleichtert. „Ich bin nicht die Klippe hinunter gestürzt. Die Verletzungen kommen vom Sturz von einem Schiff“, sage ich. „Ja, sieht so aus“, meint Kylee. „Wie kam ich hier hin?“, frage ich. „Vincent hat dich gefunden, als er mit dem Boot eines Freundes draussen war. Du hast dich an einem treibenden Baumstamm festgehalten. Du warst nicht bei Bewusstsein. Auch warst du schon sehr unterkühlt. Vincent hat mich angerufen und brachte dich in die Bucht. Ich musste dich dann noch in der Bucht behandeln. Du warst sehr nah am Tod. Ich dachte schon, du schaffst es nicht“. erzählt sie. „Was hatte ich für Kleider an? Steht irgendwas drauf?“ frage ich. „Möchtest du wirklich sehen, was ich von dir habe? Du weisst, dass es Erinnerungen auslösen kann“ meint sie. Ich nicke bloss. „Also, komm mit“, meint sie und wir gehen in ihr Haus rüber. Sie holt einen Plastiksack aus dem Schrank. Sie legt die Kleider auf den Tisch. Sie sind voller Sand aus der Bucht. Ein schwarzes T-Shirt ohne Aufdruck, völlig zerrissen. Und eine lange schwarze Hose, welche Kylee aufgeschnitten hat um mir die Hose auszuziehen. Nichts davon erinnerte mich an etwas. Ich setze mich auf den Stuhl. Ich berühre die Kleider. „Hatte ich keine Schuhe?“, frage ich. Kylee schüttelt den Kopf.

Panik stieg in mir hoch. Ich sah das Heck des Schiffes mit einer grossen Aufschrift. Ich strecke meine Hand danach aus. An meinem rechten Handgelenk trug ich ein schmales Lederband.

Kylee berührt mich sanft an der Schulter. Das holt mich sofort wieder zurück. „Gemini“, sage ich. „Was ist mit Gemini?“, fragt Kylee. „Der Name des Schiffes ist Gemini“, sage ich aufgeregt. Sie schreibt den Namen gleich auf einen Zettel. Ich berühre mein Handgelenk. „Da ist noch was. Ein ledernes Armband…“, sage ich. Kylee nickt und holt aus dem Kleidersack das Armband hervor und gibt es mir. „Das ist super“, meint sie. Ich sehe es genau an. Doch ich habe keine Ahnung was dies zu bedeuten hat oder woher ich es habe. „Kann man nicht zur Polizei gehen mit all den Sachen. Vielleicht werde ich vermisst“, sage ich. „Das muss man sich gut überlegen. Vielleicht hast du in der Vergangenheit Mist gebaut… Dann ist es besser man hält sich von der Polizei fern“, meint Kylee. Vielleicht hat sie Recht. Ich habe ja keine Ahnung, was ich bisher alles angestellt habe. Ich atme tief durch. „Aber mit dem Namen des Schiffes kann man etwas machen?“, frage ich. Kylee setzt sich an den Computer. „Ja ich denke schon“, meint sie. Ich sitze da und sehe auf die Kleider. Nach einer Weile ruft Kylee mich zu sich: „Sieh dir das an“. Sie zeigt mir Bilder des Schiffes. Ich erkenne es sofort. „Ja, das ist es“, sage ich. Mein Herz pocht wie verrückt. „Dieses Schiff fährt von Los Angeles aus nach Vancouver, Alaska und Japan“ sagt sie. „Los Angeles“, sage ich. Das war wohl der Ort, wo ich auf das Schiff gegangen bin. „Ich muss dort hin…“, sage ich entschlossen. Kylee sieht mich besorgt an. „Jetzt mal langsam…“, bremst sie mich. „Warum?“, frage ich. „Warte doch erst mal ab. Vielleicht kommen noch mehr Erinnerungen“, sagt sie. Ich bleibe bei ihr, auch nachts. Denn ich möchte auf keinen Fall alleine sein. Ich bin beruhigt, sie neben mir zu haben.

Es war dunkel. So dunkel, dass ich total blind war. Ich tastete mich mit den Händen umher. Ich hatte das Gefühl, dass der Boden leicht schwankte. Ich suchte den Ausgang, doch ich konnte ihn nicht finden. Aus Verzweiflung und Angst rann mir eine Träne die Wange hinab. Ich hatte unglaublichen Durst. Lange hielt ich das nicht mehr aus. Ich klopfte an die metallenen Wände, in der Hoffnung, dass mich jemand hörte. Die Stunden vergingen und nichts passierte. Dann sah ich einen kleinen Lichtstrahl. Endlich konnte ich was sehen. Es sah so aus, als wäre ich in einem Container. Ich musste versuchen, da raus zu kommen, sonst verdurstete ich. Nun sah ich auch, wo die Tür des Containers war. Ich ging hin und zog wie ein Verrückter an der Stange, welche die Tür verriegelte. Ruckartig löste sie sich und die Tür ging auf. Ich erschrak und machte einen Schritt rückwärts. Vor mir ging es weit hinab. So weit, dass ich den Boden nicht sehen konnte. Die Container waren aufeinander gestapelt worden und ich war mitten drin. Etwa drei Meter vor mir sah ich eine Reling. Wenn ich dort rüber kann, war ich gerettet. Doch ich war mir nicht sicher ob ich den Sprung schaffen konnte. Ich war so durstig, dass sich bereits alles drehte. Mir war klar, wenn ich den Sprung nicht schaffte, würde ich in den sicheren Tod stürzen. Ich zog die Schuhe aus und warf sie hinüber. Dann machte ich mich bereit zum Sprung. Ich ging einige Schritte zurück und sprang los. Nur eine Sekunde später hielt ich mich an der Reling fest. Ich hatte es geschafft, kletterte sofort über die Reling und rannte gleich los. Ich wusste nicht ob jemand in der Nähe war. Es gab bestimmt so etwas, wie ein Sicherheitsdienst. Ich rannte die Treppe hoch bis ich oben an Deck ankam. Ich sah mich um. Ich befand mich etwa in der Mitte des Schiffes. Wir waren mitten auf dem Meer. Ich konnte kein Land sehen. Der Fahrtwind blies mir entgegen. Ich lief ein Stück nach hinten in Richtung Brücke. Dort hatte es bestimmt irgendwo Wasser. Ich sah eine Tür vor mir, mit einem Bild einer Toilette. Ich ging sofort dort rein. Am Waschbecken trank ich endlich Wasser. Es schmeckte grausam, doch es tat so gut. Leider konnte ich hier nicht bleiben, ich musste mich irgendwo verstecken. Ich rannte wieder zurück und setzte mich in eine Ecke welche etwas geschützt war. Ich sah auf das Meer hinaus und nahm das Taschenmesser hervor. Ich hielt es an die Innenseite des Unterarms. Dort steht „Blue“. Ich schnitt in das Tattoo. Ich schrie zwar vor Schmerz, aber ich möchte es loswerden und zwar sofort. Blut rann über den Unterarm. In dem Moment schreckte ich hoch, als ich ein Geräusch hörte. Ich schaute um die Ecke und sah einen Mann, der in meine Richtung kam. Ich musste sofort weg von hier, sonst würde er mich finden. Ich liess das Messer fallen und rannte davon. Doch ich hatte nicht nach vorn gesehen und stolperte über etwas am Boden. Ich konnte nicht sehen was es war. Ich fiel hin und schlug meinen Kopf an der Reling an. Ich konnte es nicht mehr verhindern, ich fiel…

Ich schrecke hoch und möchte davonrennen und da es dunkel ist kann ich nicht sehen wohin. Ich renne direkt mit voller Wucht in Kylees Schrank. Der Aufprall ist so heftig, dass es mich gleich rückwärts auf den Boden wirft. Ein heftiger Schmerz durchfährt meine Schulter und ich schreie panisch auf. Kylee stellt sofort das Licht an und kommt gleich zu mir. „Dean, was tust du da?“, fragt sie. Ich liege am Boden und halte meine Schulter. Mein Herz rast wie verrückt, mir ist übel und ich bin kreideweiss im Gesicht. „Hast du geträumt?“, fragt sie. Ich nicke bloss. Sie hilft mir mich hinzusetzen und hält mich fest. Das beruhigt mich etwas. Ich sehe auf meinen rechten Unterarm. „Da war was, ich wollte es raus schneiden“, sage ich und zeige auf die Narbe. Kylee nickt. „Warum wolltest du es herausschneiden?“, fragt sie. „Ich wollte einfach, dass es weg ist. Keine Ahnung warum“, erzähle ich. „Okay, was hast du geträumt?“, fragt sie. „Vielleicht war ich nicht freiwillig auf diesem Schiff. Ich war in einem Container eingeschlossen. Ich konnte mich befreien. Der Container, in dem ich war, steht offen. Meine Schuhe sind auf dem Schiff und auch mein Messer mit meinem Blut, sind dort zu finden. Ich habe mir in den Arm geschnitten. Ich musste flüchten, weil ich sonst vom Sicherheitsdienst entdeckt worden wäre. Ich bin gestolpert, habe meinen Kopf an der Reling aufgeschlagen und bin vom Schiff gefallen…“, erzähle ich. „Ist ja schrecklich“, sagt Kylee entsetzt. Die Übelkeit vergeht langsam. Sie hilft mir aufzustehen. Wir legen uns wieder ins Bett. Nun bin ich hellwach und irgendwie möchte ich auch nicht wieder einschlafen. „Sie haben bestimmt meine Spuren auf dem Schiff gefunden. Vielleicht weiss die Polizei wer ich bin“, sage ich nachdenklich. Kylee schüttelt den Kopf. „Warum nicht?“, frage ich verwirrt. „Ich kann dir das nicht sagen…“, sagt sie. „Du weisst etwas, stimmts?“, frage ich. Kylee antwortet nicht. Ich stehe auf und gehe raus. Ich laufe in der Dunkelheit hinab zur Bucht. Ich setze mich auf den Felsen und denke nach. Warum verheimlichte mir Kylee alles? War meine Vergangenheit so schlecht?

Als am Morgen die Sonne aufgeht steht plötzlich Kylee neben mir. Ich habe erst gar nicht bemerkt, dass sie kommt. „Was tust du hier?“, frage ich. „Dean, es tut mir leid. Ich möchte es dir sagen, doch ich möchte dich nicht in Gefahr bringen. Ich mag dich sehr und möchte nicht, dass dir etwas passiert. Ich kann dir sagen, das Tattoo am Unterarm gehört zu einer Gang in Los Angeles. Einbruch, Diebstahl und sogar Morde gehen auf diese Gang zurück. Ich glaube aber, dass du ein Mensch bist, welcher nicht dort hinein gehört. Du hast vielleicht noch keine Chance bekommen, Gutes zu tun. Die Tatsache, dass du versucht hast das Tattoo loszuwerden bedeutet wohl, dass du damit abschliessen wolltest. Ich denke, du bist ein guter Mensch. Ich weiss nicht, was du alles getan hast, aber ich bin mir sicher, heute würdest du solche Taten verabscheuen. Nehme deine Chance wahr, mit deinem Leben als Dean neu zu beginnen und dein Altes hinter dir zu lassen“, sagt sie. Ich bin schockiert. Ich habe eine kriminelle Vergangenheit? Den Verdacht hatte ich damals schon, als ich Vincents Waffe gekonnt auseinander genommen habe. Ich denke nach. Vielleicht hat Kylee Recht. Ich sollte die Vergangenheit hinter mir lassen. Doch vielleicht ging das gar nicht, wie der Traum von heute Nacht gezeigt hat. „Darf ich deine Schulter ansehen?“, fragt sie vorsichtig. Ich nicke bloss. „Du hast eine Prellung“, meint sie schliesslich. Ich sage nichts. Wir gehen zurück und ich gehe normal arbeiten. Ich bin sehr nachdenklich. Ich brauche etwas Zeit, um mich mit den Gedanken anzufreunden.

Am Abend gehe ich zu Kylee rüber. „Wie geht’s?“, fragt sie. „Ja, es geht. Kannst du mir helfen? Ich möchte nicht wieder diese Träume“, sage ich. „Hm, Träume kann man kaum verhindern. Aber ich kann dir etwas geben zum schlafen“ sagt sie. „Ich möchte keine Medikamente“, sage ich. „Na gut“, sagt sie. Wir gehen ins Bett. Kylee schläft kurz darauf ein. Doch ich bleibe wach. Ich möchte nicht einschlafen. Doch nach einigen Stunden bin ich trotzdem kurz davor. Als ich das bemerke, setze ich mich hin. Doch ich bin so müde, dass ich trotzdem einnicke. Ich stehe auf und gehe raus. Die frische Luft weckt mich wieder auf. Ich laufe im Ort umher, die ganze Nacht.

Als die Sonne aufgeht setze ich mich unten in der Bucht an meinen Lieblingsplatz auf dem Felsen und sehe den Wellen zu. „Dean!“, ruft Kylee oberhalb der Klippen. Ich laufe zu ihr hoch.

„Hey, warst du die ganze Nacht hier?“, fragt sie. „Nein, etwas überall“, sage ich. „Komm, wir Frühstücken zusammen“, sagt sie. Ich folge ihr. Wir essen zusammen. „Du bist so ruhig. Ist alles in Ordnung?“, fragt Kylee. „Ja“, sage ich knapp. Ich gehe später zu Vincent rüber und mache meine Arbeit. Ich bin zwar hundemüde, aber solange ich etwas tue, schlafe ich nicht ein. Als ich mit meiner Arbeit fertig bin, setze ich mich an Deans Schreibtisch. Ich durchsuche seine Schubladen. Ich habe keine Ahnung was ich suche. Aber vielleicht finde ich eine Spur zu Dean. Ich finde ein Adressbüchlein und blättere es durch. Genau eine einzige Adresse ist aus Los Angeles. Das war bestimmt die Tante von Dean, dort wo er vor dem Verschwinden gewohnt hat. Irgendwann muss ich mal dort hin. Ich versorge das Adressbuch wieder in der Schublade. Wenig später schlafe ich sitzend ein. Ich erwache wieder, als etwas später Vincent durch die Tür kommt. „Dean, ich habe dich schon gesucht. Möchtest du etwas dazulernen?“ fragt er. Ich nicke bloss und stehe auf. Er zeigt mir sein Büro. „Sieh mal, das ist mein Gästebuch“, sagt er und zeigt mir ein riesengrosses Buch. Ich blättere darin herum und bin fasziniert. Die meisten Gäste haben tolle Sachen geschrieben und haben mit Vincent Fotos gemacht. Vincent holt nochmals zwei solche dicke Bücher hervor. „Da sind alle Gäste von den 30 Jahren drin“, erklärt er stolz. „Wow, ist ja Wahnsinn“ sage ich beeindruckt. Er zeigt mir noch einige Arbeiten, welche im Büro zu erledigen sind. Die gehen ganz einfach und schnell. Vincent erzählt viel von den vergangenen Jahren. Er hatte wirklich eine schöne Zeit und ich finde es schön, dass er mich daran teilhaben lässt. So fällt es mir leichter, meine Situation zu akzeptieren. Später kocht Vincent ein leckeres Abendessen. Kylee kommt auch noch dazu. Wir sitzen noch bis spät in der Nacht zusammen und unterhalten uns ausgelassen.

Später gehe ich dann mit Kylee rüber und wir gehen ins Bett. Sie schläft schon bald ein. Aber ich habe keine Lust zu schlafen. Als ich sicher bin, dass Kylee wirklich tief schläft, stehe ich auf. Ich sehe in der Küche einen Schlüssel. Das ist Kylees Autoschlüssel. Ich nehme ihn, denn ich will wissen ob ich Autofahren kann. Ich gehe raus zum Auto und setze mich hinein. Ich starte den Motor und fahre los in Richtung Mendocino. So als hätte ich noch nie etwas anderes gemacht. Ich fühle mich irgendwie befreit und darum drücke ich etwas aufs Gas. Das ist ein tolles Gefühl. Ich fahre eine Weile auf der kurvigen Strasse, doch dann plötzlich entdecke ich im Rückspiegel ein Polizeiauto. Panik steigt in mir hoch. „Mist, nicht die Polizei“, sage ich und gebe noch mehr Gas. Es entwickelt sich zu einer Verfolgungsfahrt. Doch ich weiss, dass ich in diesem Auto nicht die geringste Chance habe. Trotzdem fahre ich in Panik weiter. Nach wenigen Minuten blinkt dann auch noch die Tankanzeige. „Nein!“, schreie ich. Was soll ich jetzt tun? Mir bleibt nichts anderes übrig als anzuhalten. Ich fahre an den Strassenrand. Schon einige Sekunden später steht ein Polizist neben dem Auto mit einer Waffe auf mich gerichtet. Ich nehme die Hände hoch. Ein zweiter Polizist öffnet die Autotür und zerrt mich hinaus. Etwas grob drückt er mich auf die Motorhaube und die Handschellen klicken. Ich habe keine Ahnung was ich tun soll. „Ah, ein Autodieb“, sagt ein Polizist. „Ich hab das Auto nicht gestohlen“, sage ich. Der andere Polizist tastet mich ab. „Wer bist du?“, fragt er. „Dean Avery“, sage ich. Der Polizist hält kurz inne. Grob zerrt er mich mit und leuchtet mir mit der Taschenlampe ins Gesicht. „Erzähl keinen Mist“, meint er. Er stösst mich auf den Rücksitz des Polizeiautos. Der andere Polizist geht in Kylees Auto und zieht den Zündschlüssel aus. Er zeigt ihn dem zweiten Polizist. Ohne weiter Fragen zu stellen, fahren sie nach Mendocino. Mir wird bewusst, dass ich wirklich Mist gebaut habe. Mir wird niemand glauben, dass ich nicht mal meinen wirklichen Namen kenne. Wie ein Schwerverbrecher führen sie mich in die Polizeiwache. Sie bringen mich in einen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen. Ich stolpere und falle zu Boden und da meine Hände noch immer hinter dem Rücken in den Handschellen stecken, schlage ich mit dem Kopf am Boden auf. Mir wird übel und alles dreht sich. Ein Polizist hilft mir wieder aufzustehen und löst die Handschellen. Er führt mich zum Stuhl. Ich setze mich hin. „Wem gehört das Auto?“, fragt der Polizist streng. „Kylee“, sage ich knapp. „Warum denkst du, du wärst Dean Avery?“, fragt er weiter. Ich kann darauf nicht antworten. Ich möchte nicht, dass sie erfahren wer ich wirklich bin, denn sonst wurde mir mein altes Leben vielleicht zu meinem Verhängnis. „Wer bist du?“, fragt er mich nochmals. Ich schüttle den Kopf. Er verlässt genervt den Raum. Ich habe Mühe meine Panik zu unterdrücken. Ich atme tief durch. Dann kurze Zeit später kommt der Polizist zurück, aber nicht alleine. „Wir brauchen deine Fingerabdrücke“, sagt der Eine. Ich stehe auf und gehe einige Schritte rückwärts. „Nein, ich habe nichts getan“, rufe ich. Meine Stimme hallt im Raum wieder. Doch zu zweit überwältigen sie mich schliesslich. Während einer auf mir sitzt und mich festhält, nimmt der Andere meine Fingerabdrücke. „Kylee!“, rufe ich in den Raum. Doch vergeblich, sie wird mich nicht hören. Ich bekomme kaum Luft zum Atmen. Nachdem sie alle Abdrücke genommen haben, lassen sie mich einfach am Boden liegen und verlassen den Raum. Ich friere und Tränen der Verzweiflung rinnen über meine Wangen. Habe ich das wirklich verdient, dass man so mit mir umgeht? Eine ganze Stunde liege ich auf dem Boden und niemand nimmt Notiz von mir. Schliesslich schlafe ich genau so am Boden ein.

Ich bemerke nicht, wie Kylee aufgebracht in die Polizeiwache stürmt. „Collin, wo ist Dean?“, fragt sie den Polizisten. „Du meinst Ryan?“ fragt Collin. Kylee sieht ihn erschrocken an. „Wo ist er?“, fragt sie wütend. Collin führt Kylee zu einem Fenster. Von dort kann sie mich sehen, wie ich am Boden liege. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“, fragt sie erschrocken. „Er hat keinen Ausweis dabei. Er hat behauptet er sei Dean. Wir haben zuerst gedacht er hat dein Auto gestohlen“, erzählt Collin. „Collin, ich hoffe ihr habt ihn nicht schlecht behandelt. Er ist ein Amnesiepatient. Er weiss wirklich nicht wer er ist. Es ist sehr schwierig sich damit abzufinden. Es ist möglich, dass er sich nie wieder erinnert. Dies kann zur Folge haben, dass er sich pubertär verhalten kann oder auch depressiv. Sogar Selbstmordgedanken sind möglich, darum ist mit einem Amnesiepatienten Vorsicht geboten. Vincent hat ihn aus dem Meer gefischt, darum der Name Dean“, erklärt Kylee. Collin ist betroffen. „Tut mir leid, das wusste ich nicht. Was macht er mit deinem Auto, mitten in der Nacht?“, fragt Collin. „Er versucht doch nur, sich zu erinnern. Da gehören solche Sachen dazu. Hat er was kaputt gemacht?“, fragt Kylee. „Nein, er war nur etwas schnell unterwegs“, sagt Collin. „Ich muss zu ihm. Er sieht nicht gut aus“, sagt sie. Collin öffnet die Tür. Kylee rennt gleich zu mir. „Dean, ich bin da. Wach auf!“, sagt sie. Ich reagiere ziemlich verzögert. „Kylee?“ sage ich erleichtert. Sie kontrolliert meinen Puls. Sie hilft mir mich hinzusetzen. Erst jetzt bemerke ich wie übel mir ist. Sie hält mich fest im Arm. „Es tut mir Leid…“ sage ich. „Ist schon gut, ist ja nichts passiert“, sagt sie. „Mein Kopf“, sage ich, denn der brummt mir vom Sturz immer noch heftig. „Lass mal sehen“ meint sie und tastet meinen Kopf liebevoll ab. „Eine Beule“, meint sie. Sie sieht Collin mit einem bösen Blick an. Collin senkt den Blick zu Boden. „Ich nehme ihn mit“, sagt Kylee. Collin nickt bloss. Er hilft mir aufzustehen. Zusammen bringen sie mich ins Auto, mit welchem Kylee hergefahren ist. Es ist das Auto von Vincent. Sie fährt zurück nach Elk, ohne ein Wort zu sagen. Sie bringt mich ins Schlafzimmer. „Leg dich hin“, sagt sie. Ohne Widerworte lege ich mich hin. „Hast du dich an etwas erinnert?“, fragt sie. „Nein, aber ich bin ein routinierter Autofahrer“, sage ich. Kylee nickt. „Ich gebe dir erstmal etwas zum Schlafen. Wir reden morgen darüber“, meint sie und streckt mir eine Tablette entgegen. Ich nehme sie. Kurz darauf schlafe ich tief und fest. Kylee sitzt neben mir. Sie streicht mir sanft über meinen Kopf.

Eine Stunde später klopft Collin an Kylees Tür. Er hat einige Unterlagen dabei. Sie setzen sich an den Küchentisch. „Ich weiss nicht ob es sinnvoll ist, wenn ich weiss wer er ist. Ich darf ihm nichts sagen“, sagt Kylee. „Du solltest aber wissen, worauf du dich einlässt. Er hat ein sehr grosses Vorstrafenregister“, meint Collin. Kylee überlegt kurz. „Na gut, aber das ändert nicht die Meinung, welche ich von ihm habe. Er ist eigentlich ein guter Mensch und total liebenswert. Ich werde ihm nichts davon sagen und du lässt ihn auch in Ruhe. Er sollte eine Chance bekommen. Es ist nicht fair, ihn für etwas zu bestrafen, woran er sich nicht erinnern kann“, sagt Kylee. Collin nickt. „Na gut, sein Name ist Ryan Scott. Aktuell haben wir in Vancouver Fingerabdrücke auf einem Messer gefunden. Ich habe die Daten auch in der Vermisstendatenbank gefunden. Einmal in Los Angeles vor elf Jahren. Damals ist er aus dem Kinderheim abgehauen. Und wenig später wurde er nochmals gemeldet von einer Lana Scott aus Vancouver“, erzählt er. „Ist das seine Mutter?“, fragt Kylee. „Ja!“, meint Collin. „Warum ist er im Kinderheim aufgewachsen, wenn er eine Mutter hatte?“, fragt Kylee verwirrt. „Sie hat Ryan mit 17 Jahren zur Welt gebracht und hat das Sorgerecht an ihre Schwester abgegeben. Sie verstarb aber bei einem Unfall, als Ryan drei Jahre alt war. Darum kam er ins Kinderheim. Mit 16 ist er dann abgehauen, hat seine Schule abgebrochen und von da an gab es nichts Gutes mehr von ihm. Er gehörte zu der Gang „Blue Hells“. Diese haben eine Menge Einbrüche, Diebstähle und Morde welche auf ihr Konto gehen. Eine Waffe mit seinen Abdrücken drauf wurde sogar bei einem Mordopfer gefunden“, erzählt Collin weiter. Kylee ist schockiert. „Blue Hells? Haben die nicht was mit dem Verschwinden von Dean zu tun?“, fragt Kylee. Collin nickt nur. „Oh nein!“, sagt Kylee entsetzt. „Sei vorsichtig!“, ermahnt Collin. Kylee nickt und Collin verlässt das Haus wieder. Sie sitzt betroffen am Tisch und versinkt in ihren Gedanken.

Ich erwache wieder. Draussen ist es bereits hell. Ich sehe auf die Uhr und erschrecke, als ich sehe, wie spät es schon ist. Ich stehe auf und möchte gleich zu Vincent rüber laufen, da fängt mich Kylee ab. „Dean, was tust du?“, fragt sie. „Ich bin spät dran. Vincent wartet bestimmt schon. Ich muss zur Arbeit“, sage ich. „Na gut“, sagt sie und lässt mich gehen. Ich mache meine Arbeit heute schnell, denn ich fühle mich gut, weil ich endlich wieder geschlafen habe. Nachdem ich meine Arbeit gemacht habe, gehe ich zur Bucht hinab. Ich denke nach, was letzte Nacht passiert war. Wie hatte Kylee es geschafft mich da raus zu holen? Eine Stunde später kommt Kylee zur Bucht hinab. „Hallo Dean“, sagt sie. „Hey“, antworte ich. Sie setzt sich neben mich. „Es tut mir leid, Kylee“, sage ich nach einer kurzen Pause. „Warum fragst du mich nicht?“, fragt sie. „Du hast geschlafen und du gibst dir so viel Mühe mit mir“, versuche ich zu erklären. „Das tue ich gerne für dich“, sagt sie und umarmt mich. „Danke“, sage ich.

Ich mache weiter mit meiner Arbeit bei Vincent und schlafe bei Kylee. Ich bekomme jeden Abend etwas damit ich ruhig schlafen kann und so bleiben die Träume fern. Zwischen Kylee und mir entwickelt sich eine tolle Freundschaft. Aber ich spüre wie sie das Bedürfnis nach mehr bekommt. Auch ich spüre dass da etwas mehr ist, doch ich kann mich noch nicht darauf einlassen. Da gibt es noch zuviel was ich über mich erfahren muss.

Als wir nach einigen Wochen zusammen mit Vincent zu Abend essen, beschliesse ich fort zu gehen. „Ich muss nach Los Angeles“, sage ich. Vincent und Kylee sehen mich schockiert an. „Warum willst du weg?“, fragt Vincent. „Ich möchte einfach mehr wissen von mir, auch wenn es vielleicht nichts Gutes ist“, sage ich. Kylee senkt den Blick. Ich weiss, dass ich es gut habe hier in Elk. Trotzdem möchte ich wissen wie mein Leben davor war. „Kommst du zurück?“, fragt Kylee. Ich sehe in ihre angsterfüllten Augen. „Ja“, sage ich mit bestimmter Stimme, um sie zu beruhigen. Vincent und Kylee verstummen. Nach einer längeren Pause meint Vincent: „Na gut, ich besorge dir ein paar Dinge. Du hast auch schon viel für mich getan“. Ich bedanke mich.

Am nächsten Morgen, als ich gerade die Gästezimmer putze, kommt Vincent zu mir. „Dean, ich habe eine Mitfahrgelegenheit für dich. Ein Freund von mir kommt für eine Nacht vorbei. Er fährt dann morgen früh nach Los Angeles“, erklärt er. „Danke Vincent“ sage ich. Einige Stunden später stellt er mir Andrew vor. Er ist mit einem grossen Lastwagen unterwegs. Am Abend sitzen wir alle zusammen. Kylee, Vincent, Andrew und ich. Wir verbringen einen schönen Abend. Dann hilft mir Kylee noch beim Packen. Ich nehme nur einen Rucksack mit. Vincent steckt mir noch Geld zu. „Danke“, sage ich. „Das hast du dir verdient“, meint er lachend. Ich bin ziemlich nervös. Ich habe keine Ahnung was mich in Los Angeles erwartet. In dieser Nacht schlafe ich kaum. Auch Kylee wirkt nervös.

Als dann am nächsten Morgen der Zeitpunkt kommt, Abschied zu nehmen, laufen bei Kylee die Tränen. Ich nehme sie in die Arme und tröste sie. „Ich komme wieder“, sage ich. Kylee nickt bloss. Ich verabschiede mich auch noch von Vincent und steige dann in den Lastwagen von Andrew. Ich winke ihnen zu, während Andrew den Lastwagen startet. Wir fahren nach Süden. Andrew redet nicht viel. „Ich bin es nicht gewohnt, dass ich Mitfahrer habe“, meint er. „Ist schon gut, du musst mich nicht unterhalten“, sage ich. Während der ganzen Fahrt bin ich sehr nachdenklich.

Noch am gleichen Abend kommen wir in Los Angeles an. „Wenn du mit mir wieder zurückfahren möchtest, ich fahre in genau zwei Wochen wieder den gleichen Weg zurück. Wenn du um die Mittagszeit bei dem Platz bist wo ich dich auslade, nehme ich dich mit“, sagt Andrew. „Danke, das ist wirklich nett“, sage ich. Er fährt mich zu einem Hotel und wir verabschieden uns. Ich sehe mich um. Ich bin fasziniert von dieser Stadt. Ich möchte nicht in das Hotel. Ich laufe die Strasse entlang. Ich erhoffe mir, dass ich mich an etwas erinnere. Vielleicht finde ich den Ort, wo ich gelebt habe. Doch auch nach zwei Stunden auf den Strassen erkenne ich nichts. Ich bin enttäuscht. Ich gehe zur Strandpromenade von Venice. Ich setze mich in den Sand. So kann ich gerade noch einen wunderschönen Sonnenuntergang beobachten. Als es dunkel wird, muss ich los, um nach einer Schlafgelegenheit zu suchen. Gleich in der Nähe finde ich ein Hotel. Ich bekomme ein kleines Zimmer für eine Nacht und bin froh, dass ich duschen kann. Ich geniesse das kühle Wasser auf meiner Haut. Doch plötzlich trifft mich wieder ein Stück Erinnerung.

Los Angeles

Ich spürte das Wasser auf meiner Haut. Doch plötzlich liess mich ein Geräusch hinter mir zusammenfahren. Ich sah nach hinten und sah die Klinge eines Küchenmessers, welche gerade über mir war. Ich versuchte dem Messerhieb auszuweichen. Doch er traf mich auf dem Schulterblatt. Ich sah das Gesicht eines Mannes. Seine Augen waren so böse. Ich sprang aus der Dusche und versuchte zu flüchten. Dabei rutschte ich auf den Boden aus und fiel hin. Doch ich stand schnell wieder auf und rannte aus dem Badezimmer.

Ich sitze auf dem Boden, noch immer nass. Das Wasser in der Dusche läuft noch. Panik hat mich ergriffen. Bin ich wirklich alleine? Ich stehe auf und sehe mich im Zimmer um. Ich bin erleichtert und gehe zurück ins Badezimmer. Ich taste nach meinem Schulterblatt. Neben dem kleinen Tattoo ist eine Narbe. Das muss von diesem Messer gewesen sein. Aber warum versuchte mich jemand niederzustechen? Es läuft mir gerade eiskalt den Rücken hinab. Langsam beruhige ich mich wieder. Ich stelle die Dusche ab und trockne mich. Ich setze mich auf das Bett und sehe fern um mich etwas abzulenken. Kylee fehlt mir schrecklich.