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Eine Schriftstellerin sitzt am späten Abend bei geöffneter Terrassentür in ihrem Schreibzimmer, als plötzlich eine Wolke den Mond verhüllt, ein kühler Wind durchs Zimmer weht und sich eine wie aus dem Nichts erschienene, in schwarz gekleidete Silhouette lässig gegen die Türbrüstung lehnt. Diese sonderbare Erscheinung kommt der Autorin auf seltsame Weise vertraut vor. Weil Martin ausgerechnet Martin heißt, kamen die Dorfdeppen in seiner Jugend auf keine blödere Idee, ihn zu hänseln und, abgeleitet vom Martinshorn der Rettungsdienste und der Polizei, ausgerechnet Tatütata zu nennen. Was aber hat das damit auf sich, dass vierzig Jahre später die Besatzung eines Einsatzfahrzeuges der Feuerwehr immer wieder das Echo ihres eigenen Signalhorns zu hören glaubt. Die Angestellte einer Bank kommt aus dem erschrockenen Staunen nicht mehr heraus, als vor ihr ein Kunde auftaucht und Geld von seinem Konto abheben möchte, obwohl er eigentlich tot sein müsste. Diese und andere kuriosen, seltsamen, erstaunlichen, spannungsgeladenen aber immer sehr unterhaltsamen Geschichten locken den Leser in einen kunterbunten Literaturkosmos, den einige Autoren aus dem Peiner Land im vorliegenden Buch entstehen ließen. Die Autoren dieses Buches verzichten auf sämtlich Einnahmen, um den Erlös dem Verein Lila Hoffnung CED und Darmkrebshilfe e.V. zu spenden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die Handlungsorte in den nachfolgenden Kurzgeschichten sind zum großen Teil reine Fiktion. Auch die Personen wurden frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten oder tatsächliche Übereinstimmungen mit lebenden oder bereits verstorbenen Menschen wären rein zufällig und waren zu keiner Zeit beabsichtigt.
Franziska Koblitz
Vorwort
Sternenklare Nacht
Gerhard A. Spiller
Nächstenliebe
Entschuldigen Sie, Sind sie nicht Tot?
Heike Rissel
Interview mit einem Vampir
Sabrina Michalek
Zorn des Meeres
Petra Armgart
Schönheitswahn
Stephanie Schmid
Der blaue Wäscheberg
Antje Koller
Was uns verbindet
Mehr als ein Traum (Gedicht)
Jürgen
Tiger und Willi
Schwarzer Peter
Tatütata
Thomas Märtens
Der Pfarrer
Autorenportraits
Lila Hoffnung
Liebe Leserinnen und Leser!
Herzlichen Glückwunsch! In Ihren Händen halten Sie das erste gemeinsame Buchprojekt des Literaturzirkels Peine. Wir sind eine Gemeinschaft von Autoren/-innen, die sich einmal im Monat in der schönen Fuhsestadt Peine zum Austausch, zur Vernetzung und Planung von Lesungen sowie Erzählungen über persönliche Erfahrungen rund um das Schreiben trifft. Die Umsetzung und Veröffentlichung eines eigenen Buches war für uns wichtig, um Ihnen zu zeigen, was unsere Autoren/-innen aus dem Peiner Land für ein weitgefächertes Genre bedienen: von Krimi- über Vampirgeschichten, von Biografischem über lustige Geschichten bis hin zu Gedichten und Lyrik.
Als die Überlegung aufkam, welchem Verein wir den Erlös unseres Buches zu Gute kommen lassen wollen, schlug ich „Lila Hoffnung – CED und Darmkrebshilfe e.V.“ in Peine vor. Stellt sich die Frage, warum?
Da bei mir vor Jahren eine chronische, entzündliche Darmerkrankung diagnostiziert wurde und ich mich aufgrund dessen viel damit beschäftigt habe. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema „Darmerkrankungen“ aus der Tabuzone zu holen und Herzenswünsche von Kindern und Erwachsenen mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa sowie Patienten mit einer Darmkrebserkrankung zu berücksichtigen. An dieser Stelle vielen lieben Dank an den 1. Vorsitzenden, Herrn Holger Busse.
Ich möchte mich ganz herzlich bei allen Autoren/-innen, die an diesem Buch mitgewirkt haben, bedanken. Dazu gehört das Schreiben der Geschichten sowie der wunderbare Austausch mit euch, um unser Projekt realisieren zu können.
Ein besonders herzliches Dankeschön für die traumhafte Covergestaltung geht an die Künstlerin Britta Ahrens aus Peine, die uns in kürzester Zeit ein, wie wir finden, wunderbares Cover mit Sehenswürdigkeiten aus dem Peiner Land auf einer Acrylleinwand gemalt hat. Zu sehen sind die St. Briccius Kirche in Adenstedt, das Förderrad im Bergbaupark in Lengede, der Bismarkturm in Oberg, das Alte Rathaus in Peine sowie der Kugelwasserturm der Ilseder Hütte in Gross Ilsede. Vielen lieben Dank für diese kreative Zusammenarbeit und Umsetzung.
Zu guter Letzt bedanke ich mich ebenso herzlich bei den Autoren Antje Koller, Thomas Märtens und Gerhard A. Spiller, die mich tatkräftig bei all meinen verrückten Ideen und deren Umsetzung unterstützen.
Lassen Sie sich nun entführen in das literarische Kaleidoskop der Autoren/-innen aus dem Peiner Land!
Herzlichst
Franziska Koblitz
Es war gegen sechs Uhr morgens, als Hauptkommissar Ritter seinen Wagen in der Nähe der Alten Brücke in Heidelberg parkte. Wegen der Alarmierung zu dieser frühen Stunde und das auch noch ausgerechnet an einem Sonntag, war er ziemlich brummig. Verdrossen machte er sich auf den Weg hinunter zum Brückenpfeiler am Leinpfad. Schon von Weitem sah er die uniformierten Kollegen sowie die Leute von der Spurensicherung, deren weiße Ganzkörperanzüge sich deutlich von der Landschaft abhoben. Auch seinen Kollegen Winter konnte er sehen.
»War ja klar, dass er wieder vor mir am Tatort ist«, murmelte Ritter grimmig vor sich hin.
In Momenten wie diesem beneidete er seinen jüngeren Kollegen um dessen Singledasein. Mit leichtem Schaudern dachte er an das genervte Gesicht seiner Frau, als der KDA wegen des Leichenfundes anrief. Zwar hatte sie sich nicht über die frühe Störung beklagt, aber besonders glücklich hatte sie auch nicht ausgesehen. Das sagte ihm alles!
Ritter verdrängte den Gedanken an seine Frau und begab sich an den Tatort. Als er schließlich die Gruppe erreicht hatte, wurde er von seinem Kollegen Winter über den bisherigen Sachstand unterrichtet:
»Wir haben eine weibliche Leiche, die von einem Spaziergänger gegen fünf Uhr dreißig gefunden wurde. Der Mann nimmt diesen Weg jeden Tag mit seinem Hund. Die Leiche hat halb im Neckar gelegen und deshalb kann es gut sein, dass sie angespült wurde.«
»Könnte sein. Was ist mit der Todesursache?«
»Keine Ahnung. Da müssen wir auf die Auskunft des Doc warten.«
Wie aufs Stichwort trat in diesem Augenblick ein kleiner, untersetzter Mann zu den beiden Kommissaren. Ritter wusste, dass Doktor Fleischer einer der besten Gerichtsmediziner im Land, aber leider auch ein Freund von langen und dabei zudem höchst langweiligen Ausführungen war.
»Also, meine Herren«, begann Dr. Fleischer, »folgende Informationen kann ich ihnen bereits jetzt geben: Die Leiche ist weiblich, Mitte dreißig und vollständig bekleidet. Wenn es ein Sexualdelikt sein sollte, hätte sich der Täter viel Mühe gegeben, sein Opfer wieder anzuziehen. Es sei denn, er hat es…«
»Schon gut«, unterbrach ihn Ritter ziemlich rüde, »es ist mitten in der Nacht und ich habe weder gefrühstückt noch einen Kaffee gehabt. Schlimm genug, dass ich mir in so einem Zustand eine Leiche ansehen muss, aber für lange Reden habe ich nicht auch noch Nerven. Also geben sie uns einfach die Fakten in Kurzform, okay?«
»Morgenmuffel, was?«
Dr. Fleischer war wegen der Unterbrechung seiner Rede sichtlich pikiert.
»Es geht nicht um mich, sondern um die Leiche. Was ist die Todesursache?«, knurrte Ritter.
»Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Gegenstand gegen den Kopf. Dadurch…«
»Ja, ja, von vorne oder von hinten?«
»Von hinten, einmal auf den oberen Bereich der Schädeldecke und mehrfach gegen den Hinterkopf. Mehr kann ich erst nach der Obduktion sagen. Wenn sie mich jetzt bitte entschuldigen würden: Ich habe zu tun!« Dr. Fleischer drehte sich um und wollte beleidigt gehen.
»Eins noch«, rief ihm Ritter hinterher.
»Wann ist es ungefähr passiert?« Als er merkte, wie Dr. Fleischer wieder zu einer längeren Rede ansetzen wollte, fügte er hastig hinzu:
»Nur so ungefähr, den genauen Zeitpunkt entnehmen wir dann ja ihrem Bericht.«
»Na ja, unter Berücksichtigung der Temperatur der Luft, des Wassers…«
Als er Ritters genervten Blick bemerkte, brach er ab und erwiderte einsilbig:
»Ungefähr gegen Mitternacht.«
Dann machte er sich grummelnd auf den Weg in die Pathologie, um die Obduktion vorzubereiten. Er machte sich nicht einmal die Mühe, seine sichtbare Verärgerung über Ritter zu verbergen.
Dieser sah sich suchend um, bis er den Chef der Spurensicherung entdeckt hatte.
»Hallo Ewald, hast du schon etwas für uns?«
Der Angesprochene kam auf die beiden Kommissare zu.
»Bislang nicht viel. Es scheint so, als ob der Fundort auch der Tatort wäre. Die Leiche hat zwar halb im Wasser gelegen, aber wir haben ein paar Meter von hier an einem Stein eine rote Substanz gefunden. Auf den ersten Blick könnte es Blut sein, aber ob das stimmt und es dann auch von der Toten stammt, können wir erst im Labor feststellen. Ihr müsst euch also noch etwas gedulden.«
Er wollte sich schon zum Gehen wenden, drehte sich jedoch zu Ritter um und meinte: »Ja, ich weiß Bescheid: Die Ergebnisse so schnell wie möglich! Du brauchst nichts zu sagen, ich kenne dich inzwischen!«
Ritter warf einen letzten Blick auf den Fundort und die Leiche. Er prägte sich alles so gut wie möglich ein. Dann wandte er sich an seinen Kollegen:
»Ich glaube nicht, dass wir hier noch etwas ausrichten können. Lass uns ins Büro fahren, vielleicht können wir anhand der Vermisstenmeldungen die Tote identifizieren!«
Gegen sieben Uhr dreißig kamen sie in der Römerstraße an. Während sich Winter gleich die Meldungen über die vermissten Personen der letzten 24 Stunden durchgeben ließ, besorgte sich Ritter einen Kaffee.
»Kaffee ist für mich, was Benzin für ein Auto ist: Kraftstoff. Ohne den funktioniere ich nicht«, pflegte er immer zu sagen.
Bereits um acht Uhr hatten sie die Liste mit den vermissten Personen durchgesehen. Sie war recht kurz und keine der Gesuchten wies Ähnlichkeit mit ihrer Toten auf.
Gegen dreizehn Uhr kam der Obduktionsbericht. Darin bestätigte Dr. Fleischer die Todesursache: Mindestens drei Schläge mit einem stumpfen Gegenstand gegen den Kopf, die von hinten gegen den Kopf geführt wurden. Von den Aufschlagstellen leitete er ab, dass der Täter größer als sein Opfer sein müsse, also größer als einen Meter fünfundsechzig. Außerdem stellte er fest, dass die Tote nicht vergewaltigt worden sei, weil sich keine Spuren von Gewalt oder einem Abwehrversuch fanden. Zudem war die Leiche beim Auffinden vollständig bekleidet. Allerdings hatte die Tote einige Stunden vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr gehabt. Als letzte Mahlzeit konstatierte er ein Nudelgericht, zu dem sie Rotwein getrunken hatte. Aufgrund der identifizierten Zutaten und unter Berücksichtigung ihrer Seltenheit im Handel schloss der Bericht auf einen Restaurantbesuch.
Kurz nach dem Obduktionsbericht traf der Bericht des Labors ein. Darin wurde bestätigt, dass die an dem Stein gefundene Substanz Blut war und die Blutgruppe mit der der Toten übereinstimmte.
»Also ist der Fundort auch der Tatort«, resümierte Ritter.
»Kein Sexualdelikt, Tatwaffe ein zufällig herumliegender Stein. Die Todesart klingt nach einem männlichen Täter, was durch den Winkel der Schläge und der daraus abgeleiteten Größe des Täters unterstrichen wird. Die Umstände deuten nicht auf einen geplanten Mord hin, sondern eher auf eine Tat im Affekt. Was meinst du?«
»Es könnte auch ein Überfall gewesen sein: Sie hat zu fliehen versucht, aber der Täter hat sie eingeholt. Als sie zu schreien anfing, hat er mit dem Stein zugeschlagen.«
»Wäre denkbar, aber hätte sie sich bei deinem Szenario nicht gewehrt?«
»Ja, das wäre anzunehmen«, räumte Winter ein.
»Laut dem Obduktionsbericht gibt es aber keine Hinweise auf einen Kampf, also muss der Angriff für sie vollkommen überraschend erfolgt sein. Aber welcher Räuber schlägt sofort zu. Vor allem mehrmals, wenn er nur die Brieftasche haben will?«
Sie diskutierten noch eine ganze Weile hin und her, bis sie von einem uniformierten Kollegen unterbrochen wurden, der einen Mann zu ihnen ins Büro schob.
»Der Mann möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Es scheint Ähnlichkeiten mit eurer Person zu geben, deshalb solltet ihr vielleicht mit ihm sprechen.«
Ritter stellte sich und seinen Kollegen vor und bot dem Mann einen Platz an. Er war etwa einen Meter achtzig groß und Anfang vierzig. Den beiden Beamten stellte er sich als Joachim Heise vor, der seine Mitarbeiterin als vermisst melden wollte.
Winter schob ihm ein Foto der unbekannten Toten zu. Heise warf einen Blick darauf und erblasste:
»Das ist sie, das ist meine Mitarbeiterin Sandra Krämer! Sie ist heute nicht zur Arbeit erschienen, was bei ihr ohne wichtigen Grund undenkbar wäre!«
»Na ja, einen wichtigen Grund hat sie ja«, entgegnete Ritter trocken.
»Ist sie…?«
»Ja, leider. Was machen sie denn beruflich und für was war Frau Krämer zuständig?«
»Wir sind die Initiative Wasser statt Sand oder kurz WasSa – ein Wortspiel, sie verstehen?«
»Nein, tue ich nicht. Was genau machen sie denn?«
»Das kann ich nicht mit zwei Sätzen erklären, aber ich will trotzdem versuchen, mich kurzzufassen. Also: Es gibt immer mehr Menschen auf der Erde, die alle Wasser brauchen: Zum Kochen, Waschen und so weiter. Die weltweit verfügbaren Ressourcen sind begrenzt und leider leben immer mehr Menschen in Gegenden, in denen es kaum Wasser gibt. Wir sammeln Spenden, um diesen Menschen zu helfen. Konkret verwenden wir die Spendengelder, um Pumpen zu kaufen. Die schenken wir den Menschen in besonders trockenen Gegenden, damit sie ihre Felder bewässern und halbwegs gut leben können.«
»Das muss ja irre viel Geld kosten«, ließ sich Winters Stimme vernehmen.
»Bekommen sie denn so viele Spenden?«
»Ja, wir sind ein gemeinnütziger Verein, der sich ausschließlich über Spenden finanziert. Von den eingenommenen Geldern verwenden wir den größten Teil zum Kauf der Pumpen, mit dem Rest finanzieren wir unser Büro und die Werbekampagnen.«
»Kaufen sie die Pumpen immer bei dem gleichen Händler?«
»Ja, die Firma Pumpen-Wiese gibt uns immer spezielle Sonderkonditionen. Das ist deren Beitrag zu unserem Projekt.«
»Und wohin bringen sie die Pumpen?«
»Wir engagieren uns seit einigen Jahren in Äthiopien, genauer gesagt, in der östlichen Ogadenregion. Dort leiden die Menschen nicht nur unter Wassermangel, sondern auch unter den ständigen Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen.«
»Könnten sie sich vorstellen, warum jemand Frau Krämer töten sollte?«
»Natürlich! Unser Projekt stößt nicht überall auf Verständnis, vor allem bei bestimmten politischen Kreisen. Vor allem dieser Johann Schneider macht uns seit Wochen das Leben schwer. Der reinste Fanatiker! Er wirft uns vor, uns nur selbst bereichern zu wollen und dem Großkapitalismus zu dienen. Schwachsinn, purer Schwachsinn! Der Kerl ist zu allem fähig.«
»Hat er sie in der Vergangenheit denn schon bedroht oder angegriffen?«
»Angegriffen nicht, aber bedroht hat er uns sogar mehr als nur einmal. Ihre Kollegen wissen das, wir haben regelmäßig Anzeige erstattet.«
Ritter warf einen Blick zu seinem Kollegen hinüber:
»Na, dann wollen wir uns den Herrn doch mal anschauen.«
Die beiden Beamten hatten schnell herausbekommen, dass Schneider eine kleine Wohnung in der Altstadt hatte. Auf ihr Klingeln hin öffnete ihnen ein schlaksiger Mann Mitte dreißig, der Winter mit seinen einhundertachtzig Zentimetern knapp überragte. Nachdem sich die Kommissare vorgestellt und den Grund ihres Besuches erläutert hatten, begannen sie mit ihren Fragen.
»Sie werfen der WasSa ja ganz schön viele Knüppel zwischen die Beine«, eröffnete Ritter die Befragung.
»Gibt es dafür einen Grund?«
»Natürlich gibt es den!«, erwiderte Schneider.
»Der Heise verkauft die Leute für dumm. Sogar die Sandra hat er auf seine Seite gezogen, dabei ist – war, muss ich wohl sagen – sie immer sehr faktenorientiert. Aber sobald es um die WasSa ging, war sie vollkommen blind!«
»Geht das auch ein bisschen genauer?«
»Na klar! Ich nehme an, dass ihnen der Heise von seinem Projekt erzählt hat und wie sozial das doch alles sei. Stimmt doch, oder?«
Als die beiden Kommissare nickten, fuhr Schneider fort:
»Leider ist die Sache nicht so einfach, wie Heise sie gerne schildert. Das Wasser, das die Bevölkerung mit seinen Pumpen fördert, ist Grundwasser. Das unterirdische Reservoir wird in seinem derzeitigen Projektgebiet nur während der Regenzeit aufgefüllt, ist also mengenmäßig begrenzt. Je mehr Wasser die Bevölkerung fördert, desto tiefer sinkt der Grundwasserspiegel, sodass eher früher als später das gesamte Wasser aufgebraucht sein wird. Danach können die Leute mit den tollen Pumpen nur noch Sand fördern, aber davon können sie nicht leben! Von den Folgen eines immer tiefer fallenden Grundwasserpegels auf das extrem labile Ökosystem in der Region einmal ganz zu schweigen. Daran denkt Heise natürlich nicht. Er verkauft sich lieber als Gutmensch und eine Menge Leute fallen darauf rein.«
»Sie meinen also, dass sein Akt der Nächstenliebe eher kontraproduktiv ist? Meinen sie nicht, dass er sich über die Folgen informiert haben wird?«
»Wer weiß, was er für Ziele hat. Für mich ist er nicht der, der er zu sein vorgibt. Das habe ich auch Sandra gesagt und langsam scheint es bei ihr auch gedämmert zu haben.«
»Wie gut kannten sie Frau Krämer?«
»Sehr gut. Wir haben uns vor zehn Jahren an der Uni kennengelernt und waren eine Zeit lang liiert. Das hat aber nicht wirklich funktioniert und so haben wir uns getrennt. Bevor sie auf falsche Gedanken kommen: Im Guten! Wir waren nach der Trennung immer noch Freunde. Deshalb haben wir auch miteinander geredet, obwohl wir in der Pumpensache unterschiedliche Ansichten vertraten.«
»Wann haben sie Frau Krämer zuletzt gesehen?«
»Gestern Abend. Wir waren beim Italiener um die Ecke. Ich habe ihr meinen Standpunkt nochmals im Detail erklärt und sie schien mich langsam zu verstehen. Hat ja auch lange genug gedauert. Aber wenn man mit seinem Chef ins Bett geht, kann man wahrscheinlich nicht akzeptieren, dass er ein falscher Fuffziger ist.«
»Moment«, unterbrach Ritter.
»Joachim Heise und Sandra Krämer haben zusammen gearbeitet und waren zudem ein Paar?«
»Ja. Hat ihnen das der Heise nicht erzählt?«
»Nein, hat er nicht«, entgegnete Ritter säuerlich.
»Dafür schuldet er mir eine Erklärung.«
Das weitere Gespräch mit Johann Schneider verlief recht seicht und brachte für die beiden Kommissare kaum neue Erkenntnisse. Nachdem sie sich schließlich von Schneider verabschiedet hatten, verabredeten sie sich für den nächsten Morgen vor der Firma Pumpen-Wiese. Von den Auskünften des Fachmannes erhofften sie sich Aufschluss über die Frage, ob man wirklich ein Grundwasserreservoir mit Pumpen von der Art, wie sie der Verein WasSa lieferte, auspumpen konnte.
Am anderen Morgen trafen die beiden Kommissare pünktlich um zehn Uhr in der Pumpenfirma ein. Nachdem sie sich ausgewiesen und den Grund ihres Besuches erklärt hatten, wurden sie an den Chef persönlich weitergereicht. Manfred Wiese empfing die beiden in seinem Büro.
»Nun, meine Herren, womit kann ich ihnen dienen?«
»Wie ihnen Ihre Sekretärin sicher schon erklärt haben dürfte, ermitteln wir im Mordfall Sandra Krämer«, begann Ritter.
»In diesem Zusammenhang interessiert uns ihre Zusammenarbeit mit dem Verein WasSa.«
»Oh, die Zusammenarbeit, wie sie es nennen, ist eigentlich keine Zusammenarbeit im herkömmlichen Sinne. Heise versucht, mit seinem Verein etwas Gutes in Nordafrika zu tun, und meine Firma hilft ihm dabei. Er will Wasserpumpen da runter liefern, wir geben sie ihm zum Selbstkostenpreis. Das ist schon alles.«
»Von wie vielen Pumpen reden wir eigentlich?«
»Die genaue Zahl habe ich nicht im Kopf, aber so um die zweihundert Geräte werden es in den letzten beiden Jahren wohl gewesen sein. Bevor sie jetzt nach dem Preis fragen: Circa fünfundzwanzigtausend Euro pro Stück.«
»Das ist aber ganz schön teuer!«, warf Winter ein.
»Dafür können sie mit den Geräten das Wasser aber auch aus jeder Tiefe fördern! Außerdem sind die Geräte für das afrikanische Klima bestens geeignet! Das ist wichtig, denn wenn ein Gerät nicht dem Klima des Einsatzgebietes angepasst ist, haben sie schneller einen Haufen Schrott, als ihnen lieb sein würde. Außerdem müssen sie wissen, aus welchen Schichten sie das Wasser pumpen wollen. Wenn sie beispielsweise aus einem Wasserträger mit einem hohen Anteil an Feinsand fördern wollen, brauchen sie entsprechende Filter, weil ihnen sonst das geförderte Wasser nichts nutzen würde: Sie würden die Felder schlicht versanden. Unsere Geräte sind auf alle Eventualitäten in dem von Heise ausgesuchten Einsatzgebiet vorbereitet, was natürlich die Selbstkosten nach oben treibt.«
»Welches Ziel verfolgen sie eigentlich mit Ihrem Engagement? In einer Marktwirtschaft macht doch keine Firma etwas ohne einen Nutzen für sich selber«, zweifelte Winter.
»Na, na, sind sie etwa ein Linker?«, scherzte Wiese lachend mit erhobenem Zeigefinger. Dann wurde er plötzlich ernst.
»Also meine Herren. Was ich ihnen jetzt sagen werde, muss absolut vertraulich bleiben! Es ist eine Art Firmengeheimnis, aber ich habe die Sandra Krämer sehr gemocht, sie war so eine verdammt lebenslustige Frau.«