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Blutige Weihnacht: Ein Fest der Dunkelheit und der Rache Der Schnee fällt sanft, aber in der Kälte lauern die finsteren Geheimnisse, die das Weihnachtsfest zu einem blutigen Albtraum machen. In Blutige Weihnacht erwarten Sie fünf packende Thriller, in denen die festliche Stimmung einem mörderischen Bösen weicht – und das Fest der Liebe zu einem Fest der Rache wird. Erleben Sie Geschichten, in denen der festliche Glanz der Feiertage auf dunkle Geheimnisse trifft. Erleben Sie, wie der Weihnachtsmann statt Geschenke Rache bringt, Krampus in einem verschneiten Dorf Chaos stiftet und ein gedemütigter Ehemann sich in einem mörderischen Racheakt verliert. In einer anderen Geschichte führt ein mysteriöser Mord innerhalb einer Familie zu erschreckenden Enthüllungen. Tauchen Sie ein in eine Welt, in der nichts ist, wie es scheint – und jeder Moment zur letzten Stunde werden könnte.
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Inhaltsverzeichnis
Schatten in der Weihnachtsnacht
Die Nacht schläft nie
Das letzte Geschenk
Das Flüstern des Weihnachtsmanns
Der verlorene Wunschzettel
Inhalt
Blutige Weihnacht
Schaurig - Blutig - Tödlich
Nora-Ann Grimm
Copyright 2024 by Nora-Ann Grimm
Cover: Bild von Freepik
c/o Nora-Ann Grimm Autorenservice 10115 Berlin
Alle in diesem Buch beschriebenen Personen sind rein fiktiv – jegliche Ähnlichkeit ist rein zufällig
Schatten in der Weihnachtsnacht
Die Nacht schläft nie
Das letzte Geschenk
Das Flüstern des Weihnachtsmanns
Der verlorene Wunschzettel
Inhalt
1
Es war ein grauer Nachmittag, als wir endlich das Ziel erreichten. Der Wind fegte den Schnee vor uns her, und die Kälte schien mit jeder gefahrenen Meile stärker zu werden. Das Auto wankte auf der vereisten Landstraße, als meine Familie sich der abgelegenen Kneipe näherte. Ich hatte mich irgendwie auf diese Reise gefreut – das versprach eine abenteuerliche Weihnacht zu werden, fernab von den üblichen Festlichkeiten. Kein hektisches Einkaufen, keine Familienfeiern, keine Menschenmengen – nur wir, die schneebedeckten Berge und die düsteren Geschichten über den Krampus, die uns das ganze Jahr über erzählt worden waren.
„Ich hoffe, du hast die Geschichten nicht zu ernst genommen, Emily“, sagte mein Vater mit einem Lächeln, das nicht ganz seine Augen erreichte. Ich wusste, dass er ebenfalls ein ungutes Gefühl hatte, doch wir waren schon so lange unterwegs. Außerdem hatte meine Mutter den Plan gemacht, und wie immer war sie entschlossen, sich nicht von einem kleinen Gruselauftritt aus der Ruhe bringen zu lassen.
„Das wird schon“, erwiderte meine Mutter und versuchte, mit einem Lächeln die Stimmung zu heben, „Eine gute Geschichte für den Weihnachtsabend, das war’s.“ Aber auch sie konnte die Unsicherheit in ihrer Stimme nicht verbergen, als wir endlich die letzte Abzweigung nahmen.
Das Gasthaus „Zum Krampus“ lag nun vor uns, der Schnee wirbelte in dicken Flocken über die verlassene Straße. Die düsteren Umrisse des Gebäudes wirkten fast wie eine Fata Morgana in der Ferne – ein verwittertes Holzhaus, das seine einstige Pracht längst verloren hatte. Über der Eingangstür hing ein handgemaltes Schild, auf dem in krakeliger Schrift „Gasthof zum Krampus“ stand. Der Wind ließ das Schild knarren, und es schien fast so, als würde es in der Dunkelheit um uns herum flüstern. Es war, als ob der Krampus sich bereits auf uns vorbereitete, in den Schatten lauerte, um uns mit seiner unheimlichen Präsenz zu begrüßen.
„Nun, hier sind wir“, sagte mein Vater mit einem tiefen Atemzug, als er das Auto parkte. Ich stieg aus und spürte sofort die beißende Kälte, die mir durch die Kleidung kroch, während ich den verschneiten Gehweg hinaufging. Das Gebäude war noch düsterer, als ich es mir vorgestellt hatte. Mit jeder Stufe, die ich zur Tür hinaufging, kam mir der Gedanke, dass wir uns in ein anderes, viel älteres Zeitalter begaben – ein Zeitalter, in dem alte Bräuche und dunkle Geschichten noch lebendig waren.
Der Gasthof war von außen kaum zu erkennen, in der Dunkelheit verschwand er fast im Schneetreiben. Es war, als ob die Berge und der Wald die Kneipe verschluckt hätten. In dieser abgelegenen Gegend musste der Gasthof für diejenigen, die sich trauten, herzukommen, ein letzter Rückzugsort gewesen sein. Doch wir waren nicht die einzigen. Als wir die Tür öffneten, schlich sich ein Schwall warmer Luft an uns vorbei, und ich konnte sofort den Geruch von altem Bier, verrauchten Holzböden und abgestandener Luft wahrnehmen.
Die Luft war dicker als erwartet, als hätten die Geschichten über den Krampus ihren Weg in diesen Raum gefunden. Es war nicht nur der Geruch oder die Atmosphäre. Es war der Blick der Menschen, die sich an den Tischen versammelt hatten, und der verstummte Raum, in dem jeder den Anschein erweckte, als würde er genau beobachten, wer da hereinkam.
„Willkommen“, sagte ein tiefer, kratziger Mann mit einer massiven Statur, der hinter der Theke stand. Klaus. So hatte mein Vater ihn im Vorfeld genannt, als er die Reservierung gemacht hatte. „Ich nehme an, ihr wollt die Krampus-Geschichten hören?“
Ich nickte, obwohl mir nicht ganz wohl bei der Sache war. Die Geschichten, die hier in der Region erzählt wurden, hatten mehr als nur eine Bedeutung. Der Krampus, so hieß es, sei nicht nur ein mythologisches Wesen, das Kinder erschreckte, sondern er sei auch ein Wahrzeichen der Gegend, etwas, das wirklich lebendig war. Und ich hatte das Gefühl, dass ich in diesem Gasthof auf mehr stoßen würde, als nur auf Geschichten.
„Setzt euch“, sagte Klaus und nickte zu einem Tisch in der Ecke. Ich konnte sehen, dass er uns mit einer Mischung aus Neugier und Verachtung betrachtete. Als wir uns setzten, bemerkte ich, dass die Blicke der Gäste auf uns hafteten. Kein Wort wurde gesagt. Nur ständige, wortlose Blicke, die mehr sagten als jede Begrüßung.
Es dauerte nicht lange, bis der alte Mann an einem Tisch in der Ecke sich zu uns umdrehte. Er trug einen grauen Mantel und hatte ein markantes, faltiges Gesicht. „Ihr seid also gekommen, um mehr über den Krampus zu erfahren?“, fragte er mit einer kratzigen Stimme, die sich wie ein Rauschen in der Luft verlor.
„Ja“, antwortete mein Vater höflich, „wir haben gehört, dass diese Gegend besonders reich an Legenden über den Krampus ist.“
Der Mann schüttelte den Kopf, als würde er die Frage als naiv abtun. „Legenden“, murmelte er. „Ja, das ist es, was sie alle denken. Aber der Krampus ist kein Mythos. Er ist real. Er hat uns schon viele Male in diesem Tal heimgesucht.“ Seine Stimme wurde leiser, als er fortfuhr. „Vor zehn Jahren... da hat der Krampus zugeschlagen. Ein Tourist, er war einer von denen, die alles für einen Spaß hielten, wurde mitten im Wald gefunden. Tot. Niemand wusste, was geschehen war, aber wir alle hier wissen, was wirklich passiert ist. Der Krampus hat ihn geholt.“
Der Raum schien plötzlich kälter zu werden, als der alte Mann seine Worte sprach. Ich konnte den Blick auf Klaus spüren, der hinter der Theke stand und uns aufmerksam beobachtete. Der Wirt schien nicht zu wissen, wie er sich verhalten sollte. Es war klar, dass die Geschichte des alten Mannes niemanden kalt ließ.
„Und der Mord“, fragte ich, als mein Herz schneller zu schlagen begann. „Was ist mit dem Mord?“
Der alte Mann nahm einen Schluck aus seinem Krug und starrte uns dann an. „Die Polizei hat nie viel herausgefunden. Aber ich sage euch, es war der Krampus. Vielleicht hat der Mann es verdient. Vielleicht nicht. Aber der Krampus nimmt, was er will. Und was er will, wird nicht zurückgegeben.“
„Das ist Wahnsinn“, murmelte meine Mutter, die die Augen abwandte. „Wir sollten nicht mehr über solche Dinge reden.“
„Oh, aber es ist nicht nur eine Geschichte“, sagte der alte Mann und blickte direkt in meine Augen. „Es gibt auch heute noch Menschen, die glauben. Sie rufen ihn an. Der Krampus kommt jedes Jahr, und wenn er zu Weihnachten kommt... wird er nehmen, was ihm gehört.“
Ich konnte nicht anders, als unruhig auf meinem Stuhl hin und her zu rutschen. Die unheimlichen Geschichten über den Krampus, die uns in der Stadt erzählt worden waren, kamen mir plötzlich viel realer vor. Warum hatte dieser Mann, der in dieser abgelegenen Kneipe lebte, so sehr davon gesprochen? Und warum hatte Klaus, der Wirt, sich nicht einmal zu den Geschichten geäußert, sondern einfach nur seine Arbeit gemacht?
Es war, als würde die Kneipe selbst aufatmen, als ob sie die dunklen Geheimnisse, die sie verbarg, mit jeder weiteren Geschichte auf ihren Gästen lastete. Klaus verschwand hinter der Theke, und für einen Moment blieb der Raum still. Kein Gespräch, nur das Rauschen des Feuers im Kamin und das Knistern von Holz.
„Ich werde mal nachsehen, was draußen los ist“, sagte mein Vater plötzlich, als er bemerkte, dass die Stille zu lang wurde. „Vielleicht können wir ja noch einen Spaziergang im Schnee machen.“ Doch in dem Moment, als er aufstand, hörte ich ein Geräusch – ein Knacken, das nicht zum Wind passte. Etwas, das sich bewegte, als ob jemand draußen lauerte.
Ich blickte zu Klaus, der sich zu mir umdrehte, als hätte er genau gewusst, was ich dachte. „Seid vorsichtig“, sagte er mit einem Lächeln, das keinen Spaß hatte. „Der Krampus ist nicht weit.“
Der Krampus. Ich wusste, dass es in dieser Nacht kein Zurück mehr gab.
***
Es war fast, als ob die Atmosphäre im Gasthof „Zum Krampus“ plötzlich noch dichter und unheimlicher wurde. Mein Herz pochte schneller, als ich die Blicke der Gäste bemerkte, die uns weiterhin aufmerksam verfolgten. Jeder von ihnen schien etwas zu wissen, was uns verborgen blieb. Und der alte Mann in der Ecke, der uns von der Legende erzählt hatte, war plötzlich still geworden. Nur noch der stetige Klang des Kaminfeuers und das gelegentliche Klirren von Glas waren zu hören.
Mein Vater und Max standen auf, um nach draußen zu gehen, aber als sie die Tür öffneten, strömte nur eisige Kälte herein, und das unheimliche Geräusch, das ich vorher gehört hatte, hallte noch immer in meinen Ohren. Ich konnte es nicht ganz einordnen – es war wie das Knacken von Holz, aber auch etwas anderes. Etwas Fremdes, das nicht zu dieser stillen, verschneiten Nacht passen wollte.
„Vielleicht ist es besser, wenn wir drin bleiben“, sagte mein Vater und schloss die Tür wieder. Max nickte, auch wenn er sich sichtlich unwohl fühlte. Ich bemerkte die Nervosität in seinem Gesicht. Es war nicht nur die Kälte draußen – es war etwas anderes. Irgendetwas an diesem Ort machte uns alle nervös.
Klaus, der Wirt, stand immer noch hinter der Theke, seine dunklen Augen auf uns gerichtet. Es war, als ob er uns genau beobachtete. Doch anstatt weiter zu reden, nickte er nur kurz und wandte sich dann wieder seinen Gästen zu, die mittlerweile die Unterhaltung wieder aufgenommen hatten. Es war eine seltsame, flüsternde Unterhaltung, als ob sie sich bewusst zu sehr in den Hintergrund drängten, um nicht mehr als notwendig aufzufallen.
„Setz dich, Emily“, sagte meine Mutter, deren Stimme zwar ruhig, aber dennoch beunruhigt klang. Sie versuchte, mich zu beruhigen, doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass wir hier nicht willkommen waren. Ich setzte mich, doch ich konnte den Blick des alten Mannes immer noch spüren. Er starrte mich nicht direkt an, aber ich konnte seine Augen in meinem Rücken spüren, als er in die Dunkelheit hinausschaute.
Das Gespräch der anderen Gäste im Raum hatte sich wieder aufgenommen, aber es war anders. Jedes Wort klang wie ein Rätsel, das nie vollständig aufgelöst werden konnte. Manchmal ging es um den Krampus – der Dämon, der nach den Bösen suchte. Manchmal war es ein Flüstern über einen Mord, der vor zehn Jahren begangen wurde. Und manchmal klang es, als ob sie von etwas sprachen, das ich nicht verstand. Ich wusste nur, dass die Atmosphäre hier in der Kneipe dicht und schwer war, als ob sie von dunklen Geheimnissen durchzogen war.
Der alte Mann hatte mir etwas über den Mord erzählt, der vor zehn Jahren geschehen war, und ich konnte mich nicht davon abwenden. War der Krampus wirklich der Täter? Oder war es jemand anders? Ich fühlte, dass irgendetwas Dunkles in dieser Kneipe lauerte, und ich wusste, dass ich mehr darüber erfahren musste.
„Ich will mehr über den Mord wissen“, flüsterte ich plötzlich, als ich die unruhigen Blicke meines Vaters und Max spürte. Ich hatte es kaum ausgesprochen, da brach die Stille wieder über uns herein. Die Gäste schauten nun nicht mehr flüsternd, sondern mit offenem Blick in unsere Richtung. Es war, als ob meine Worte einen unsichtbaren Schleier durch den Raum gezogen hätten.
„Der Mord?“, fragte der alte Mann mit einem schiefen Grinsen. „Der Mord war nicht das, was du denkst. Es war der Krampus, der ihn geholt hat. Er hat immer seine Gründe, aber niemand kennt sie. Sie sagen, er war ein Böser. Ein Betrüger. Und der Krampus holt die, die sich nicht ändern wollen.“
Ich konnte die Intensität in seiner Stimme hören. Es war kein bloßer Glaube mehr, den er vertrat – es war eine tiefe Überzeugung. „Aber was ist, wenn er nicht einfach gekommen ist, um den Mann zu holen?“, fragte ich, ohne wirklich nachzudenken. „Was, wenn jemand anderes dahintersteckt?“
Der alte Mann schien in diesem Moment etwas zu überdenken, und für einen Augenblick war er still. „Manchmal“, sagte er schließlich, „verwandeln sich die Geschichten in etwas anderes. Und das, was du dir vorstellst, könnte näher an der Wahrheit sein, als du denkst.“
Ich fröstelte. Es war ein seltsames Gefühl, als würde die Luft um mich herum plötzlich schwerer werden. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob der Raum sich verengte, als ob ich keine Luft mehr bekäme. Der Kamin flackerte, und die Flammen züngelten in die Höhe, als würde auch er etwas verbergen wollen.
„Was meinst du damit?“, fragte ich, die Unruhe in meiner Stimme war nicht zu überhören. „Was genau meinst du mit –“
In diesem Moment wurde ich unterbrochen. Ein lautes Klirren ertönte von der Tür, die plötzlich mit einem dumpfen Schlag aufgerissen wurde. Wir alle sprangen auf, erschrocken von dem Geräusch. Der Wind stürmte in die Kneipe, und der Schnee wirbelte hinein, als ob er den Raum mit sich fortreißen wollte. Doch es war nicht der Wind, der uns erschütterte.
Es war eine Gestalt, die in den Raum trat. Dunkel und schwer, mit einem langen Mantel, der in der Kälte um ihn wehte. Die Tür schloss sich hinter ihm mit einem harten Ruck. Die Gestalt blieb stehen, und der Raum, der eben noch von unheilvollen Gesprächen durchzogen war, wurde plötzlich still. Alle Blicke richteten sich auf den Neuankömmling.
Ich konnte nicht sehen, wer es war. Der Mann war groß, mit einer Kapuze, die sein Gesicht verbarg. Doch als er sich umdrehte, konnte ich spüren, dass etwas an ihm anders war. Etwas, das sich in den Raum ausdehnte und die Luft verdichtete. Der alte Mann in der Ecke erstarrte, und selbst Klaus, der Wirt, der normalerweise ruhig und gelassen wirkte, wirkte plötzlich angespannt.
„Klaus“, sagte die fremde Stimme tief und rau. „Es wird bald Zeit sein.“
Die Worte ließen einen Schauer über meinen Rücken laufen. Ich hatte nicht verstanden, was er meinte. Aber in diesem Moment war mir klar, dass der Gasthof „Zum Krampus“ nicht einfach ein Ort war. Es war ein Versteck. Ein Versteck für etwas, das im Dunkeln lebte. Etwas, das sich in der Stille der Berge und des Waldes verbarg.
Klaus nickte nur und trat langsam aus der Theke hervor. „Ja, es wird bald Zeit sein“, wiederholte er leise. Und ich wusste, dass diese Worte mehr bedeuteten, als sie auf den ersten Blick sagten.
Ich spürte ein schreckliches Ziehen in meiner Brust. Die Kneipe schien sich weiter in sich selbst zu verschließen, als die Fremde, die den Raum betreten hatte, langsam näher kam. „Emily“, flüsterte mein Vater warnend, doch es war zu spät. Der Schatten des Mannes hatte sich längst über uns gelegt.
Plötzlich war es wieder so still, dass ich das Gefühl hatte, der Raum selbst würde atmen. Und als ich die Augen schloss, hörte ich das leise Rascheln von Ketten, das aus der Dunkelheit kam.
***
Ich konnte es nicht fassen. Mein Herz schlug wie verrückt, als ich versuchte, die Situation zu begreifen. Der Mann, der die Kneipe betreten hatte, war jetzt nur noch ein Schatten in der Ecke, eine unheimliche Präsenz, die den Raum zu erdrücken schien. Die Ketten, die leise in der Dunkelheit raschelten, schienen die einzige Bewegung in diesem erstarrten Moment zu sein. Klaus, der Wirt, hatte sich von der Theke entfernt und stand nun neben dem fremden Mann, der sich nach und nach näher an unseren Tisch bewegte.
„Wer... wer sind Sie?“, fragte mein Vater schließlich, seine Stimme so fest, wie er konnte. Aber ich konnte den Nervosität in seinen Worten hören. Der fremde Mann drehte sich langsam zu uns um, und als er die Kapuze zurückzog, konnte ich sein Gesicht sehen. Es war hager und von der Zeit gezeichnet, mit tiefen Falten und schmalen, eisgrauen Augen, die mich durchdrangen. Doch das war nicht das Erschreckende an seinem Gesicht. Es war die Leere in seinen Augen – als ob er nicht wirklich da war, als ob er bereits etwas anderes war.
„Ihr habt die Geschichten gehört, richtig?“, sagte er in einem fast gespenstischen Flüstern. Seine Stimme war so tief und hohl, dass ich einen Schauer über meinen Rücken spürte. „Der Krampus kommt nicht einfach, um Angst zu verbreiten. Er kommt, um das zu holen, was ihm gehört.“
Ich hatte das Gefühl, dass sich die Luft in der Kneipe verdichtete. Die anderen Gäste – diese stillen, beobachtenden Gesichter – rührten sich nicht. Kein Wort wurde gewechselt, kein Blick wurde geteilt. Nur der Fremde und Klaus, die sich langsam näherten.
„Aber was ist, wenn es nicht nur der Krampus ist?“, fragte ich plötzlich, obwohl ich genau wusste, dass ich wahrscheinlich mehr über die Antwort erfahren wollte, als gut für mich war. „Was, wenn es jemand anderes ist?“
Der fremde Mann lächelte, doch es war kein freundliches Lächeln. Es war ein Lächeln, das nur die Dunkelheit kannte. „Ihr seid schlau“, sagte er. „Ihr wisst schon, dass es etwas anderes ist, oder? Etwas, das die Legende übersteigt.“ Seine Worte hallten in meinem Kopf nach, und für einen Moment konnte ich nichts anderes hören, als das Schlagen meines eigenen Herzens.
Klaus trat einen Schritt zurück, als ob er versuchte, sich von der Spannung im Raum zu befreien. „Was ist hier los?“, fragte mein Vater. „Warum kommen Sie hierher?“
„Es wird immer eine Zeit geben, in der der Krampus kommt“, antwortete der Fremde. „Und es wird immer eine Zeit geben, in der er genau das nimmt, was er braucht. Aber nicht alle haben den Mut, es zuzugeben. Nicht alle haben die Stärke, die Wahrheit zu erkennen.“ Der Mann schaute auf Klaus, und für einen Moment sah es so aus, als ob ein stilles, unausgesprochenes Gespräch zwischen den beiden stattfand.
„Die Wahrheit?“ fragte ich leise. „Was für eine Wahrheit?“
„Die Wahrheit über das, was in diesem Gasthof geschieht“, flüsterte der Mann, und ich konnte spüren, wie sich der Raum um uns herum veränderte. „Der Krampus ist nicht der Einzige, der hier seine Spuren hinterlässt.“
Ich fühlte, wie mein Atem stockte, als ich endlich begriff, was er meinte. Die Geschichten, die uns erzählt worden waren, die über den Mord, über den Krampus und die unheimlichen Ereignisse, die sich in dieser abgelegenen Gegend abspielten, waren mehr als nur Geschichten. Sie waren Teile eines viel größeren, viel dunkleren Geheimnisses, das die Kneipe selbst trug.
„Es war nicht der Krampus, der vor zehn Jahren den Mann getötet hat“, sagte der Fremde, und ich konnte fühlen, wie die Worte in mir widerhallten. „Es war jemand, der hier war. Jemand, der von den Geschichten profitierte und etwas anderes suchte.“
Klaus starrte ihn an, und in seinen Augen flackerte etwas – vielleicht Scham, vielleicht Angst. Aber es war zu spät, um es zu verbergen.