Blutiger andalusischer Sommer - Jutta Judy Bonstedt Kloehn - E-Book

Blutiger andalusischer Sommer E-Book

Jutta Judy Bonstedt Kloehn

5,0

Beschreibung

Sommer, Spanien 2009: Die Landgutbesitzerin Isabel Rodriguez Mauer wird von ihrem Sohn José Francísco in ihrem Schlafzimmer tot aufgefunden. Man geht von Selbstmord aus, aber weit gefehlt. Als José Francísco durch den Notar seiner Mutter die Nachricht erhält, dass das millionenschwere Landgut aus dem 18. Jahrhundert kurz vor ihrem Tode auf den Künstler und Bildhauer Fernando Jesús Expósito Mártinez umgeschrieben wurde, beginnt ein packende Suche nach dem wahren Mörder. Die Spuren gehen bis hin zum Kultusminister und seinem Stab. Weitere Morde geschehen. Der Hauptkommissar Phillippe Bourbon tappt im Dunkeln und versucht verzweifelt, das Rätsel zu lösen. Ist Fernando der Mörder? Eine Mischung aus Betrug, Korruption und Verrat sowie blutige Morde machen diesen Krimi zu einem einzigartigen Leseerlebnis.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 349

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.
Sortieren nach:
Djanna

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Ein Buch was durchweg spannend war, bis zum Schluß wurde ich bestens unterhalten. Die Charaktere sind gut kreiert, kein 08/15 Typen die es schon zu genüge gibt.
00


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

-1-

Nichts wies Jose Francisco an diesem Julitag darauf hin, dass sein Leben aus den Fugen geraten würde. Im Gegenteil: Der sanfte andalusische Wind wehte die Gardinen durch das geöffnete Fenster des andalusischen Landgutes seiner Mutter. Fast streichelnd zog er über sie hinweg. Diese tanzten in dem Windzug zum Fenster hinaus, und verfingen sich an der Fassade. Der Holzladen begann zu klappern, denn er wurde durch den Wind aus seiner Befestigung genommen. Das Klappern war völlig unrhythmisch, so wie der Wind auch keinen regelmäßigen Takt vorwies. So schlug klopfend Holz auf Stein. Und die überaus prächtigen Wedel der sattgrünen Dattelpalmen vor dem Fenster wogen sich fast schwebend hin und her. Hoch gewachsen waren sie, diese Palmen. Sie waren Zeugen des Wiederaufbaus des Landgutes gewesen. Was einst im 18. Jahrhundert erbaut worden war, um dann im spanischen Bürgerkrieg um 1936 zu verfallen, wurde liebevoll komplett saniert und dem 20. Jahrhundert angepasst, ohne aber einen Stilbruch zu begehen. So bot sich der Anblick eines einzigartigen Anwesens. Im weiten Umkreis konnte man kein Haus von solcher Schönheit erneut auffinden. Hier in den Bergen der Sierra de Alhamilla, in der Nähe des Dorfes Lucainena de las Torres, war das Cortijo Isabel so etwas wie eine Sehenswürdigkeit. Nachdem es neu aufgebaut wurde, diente es in den 80er Jahren als Ferienanlage. In absolut friedlicher Stille und im Einklang mit der umgebenden Natur liegend, zog es immer wieder die Menschen fast magisch an. Es war umrahmt von blühendem Oleander und großen Hibiskussträuchern. Auf den angrenzenden Koppeln sah man stolze Pferde, dessen Mähnen sich in dem sanften Wind leicht nach oben stellten. Zufrieden grasend zogen die Tiere über ihre Koppeln, und strahlten dabei eine unglaubliche Ruhe und Frieden aus. Oft jedoch ist der Friede die Ruhe vor dem Sturm. Und Stürme, die nicht auf das Wetter bezogen sind, können nicht leicht vorher gesagt werden. So auch an diesem Tag, - dem 15. Juli des Jahres 2009. José Francisco Rodriguez Mauer ging entspannt und voller Vorfreude dem Cortijo Isabel entgegen. Der 24 jährige, blonde Spanier, Sohn einer deutschstämmigen Mutter, war hoch gewachsen und sehr attraktiv. Er war stets freundlich und hilfsbereit, eine Eigenschaft, die ihm von seiner Mutter Isabel in die Wiege gelegt worden war. Heute, an jenem 15. Juli war er besonders glücklich, denn er wollte Isabel die frohe Botschaft mitteilen, dass sie bald Oma werden würde. Er dachte an seine Frau Guadalupe und musste bei dem Gedanken an sie lächeln. Sie hatte ein ausgesprochen sanftes Wesen. Dieses Wesen, gepaart mit ihrer Intelligenz hatte ihn vollkommen verzaubert. Nun waren sie schon 3 Jahre verheiratet und endlich war ihr Kinderwunsch in Erfüllung gegangen. Isabel würde aus dem Häuschen sein vor Freude, wenn er ihr diese Nachricht übermitteln würde. Im Tempo nun zulegend ging er auf die mächtige Holzeichenhaustüre zu, die mit Eisenbeschlägen besetzt war. Ein gewaltiger Türklopfer in Form eines Pferdekopfes zierte sie. Seine Mutter hatte schon immer ein Auge für Details gehabt. Ihr Sinn für das Schöne und ganz besondere schien ihm einzigartig. Er brachte den Pferdekopf zum Leben, indem er ihn heftig an die Türe klopfen ließ.

„Mutter!“, rief er.

Es kam keine Antwort, aber das war nicht sonderlich verwunderlich, denn das Landhaus war groß, es besaß mehr als 14 Schlafzimmer, 3 große Saloons, sowie mehrere Bäder und einen Innenhof, den so genannten Patio, der auch über eine Poolanlage verfügte. Man musste sich also schon lautstark bemerkbar machen, insofern war der riesige Türklopfer eine äußerst kluge Anschaffung gewesen. Isabel hielt nichts von den neumodischen Klingelanlagen, sie sagte immer diese würden die Romantik des Hauses zerstören, und damit hatte sie sicherlich auch Recht. José Francisco hatte bereits 5 weitere Male heftig geklopft, aber seine Mutter antwortete nicht, also vermutete er sie vertieft in irgendeiner Arbeit. Wenn Isabel sich künstlerisch betätigte, so wie beispielsweise bei ihrer heiß geliebten Töpferarbeit oder ihrer Malerei, dann war sie nur schwer davon weg zu bringen, und sie vergaß oftmals die Welt dabei um sich herum. Seufzend machte sich José Francisco also auf den Weg zur hohen Dattelpalme, dort war ein großer Stein, der völlig natürlich die Form eines Elefantenkopfes hatte, ein weiteres Zierdestück des Gartens. Unter diesem Stein lag wie gewöhnlich der große gusseiserne Hausschlüssel.

José Francisco zog ihn unter dem Stein hervor und begab sich wieder zur Haustüre. Die Zikaden hörten plötzlich auf zu zirpen. Sobald irgendwelche Bewegungen wahrgenommen wurden, hatten diese Tiere es generell so an sich, ihr ohrenbetäubendes und schrilles Zirpen einzustellen. Der Wind ließ den Blütenduft des neben der Haustür gepflanzten Jasminstrauches zu ihm hinüber wehen. Er sog ihn kurz tief ein, und sah im Geiste die Hände seiner Mutter vor sich, als sie jenen Jasmin gepflanzt hatte. Das Öffnen der Tür war etwas schwierig, sie neigte zu klemmen, bei extremer Wärme oder Kälte verzog sich das Eichenholz nur allzu gerne. Und heute war ein ganz besonders heißer Tag und auch die Tage zuvor waren besonders heiß gewesen. Mit einem kräftigen Ruck nach vorne gelang es ihm schließlich, sie zu öffnen. Es ließ sich ein lautes Knarren und Ächzen vernehmen. Geschafft, sie war offen. Er trat ins Haus und auch hier nahm er tief den ganz typischen Geruch dieses alten Gebäudes in sich auf. Hier war er groß geworden, er fühlte sich sofort geborgen.

„Mutter“, rief er erneut.

Da er sie im Obergeschoss vermutete, wo sie gewöhnlich ihre Malerei und Töpferarbeit durchführte, ging er die alte Wendeltreppe hinauf. Die Handläufe waren mit eigenartigen Schnitzereien verziert, Vogelfedern gleichend. Als er ihr Arbeitszimmer öffnete, kam ihm ein Windzug entgegen und im selben Moment schlug die Schlafzimmertüre, die gegenüber dem Arbeitszimmer lag, mit einem lauten Knall zu. José Fransisco erschrak sich heftig, denn der Knall war ohrenbetäubend und zerstörte die Ruhe und den Frieden dieses Hauses für einige Sekunden. Er wurde plötzlich unruhig. Seine Intuition ließ ihn fühlen, dass irgendetwas nicht so war wie sonst. Das Arbeitszimmer hatte er ohne seine Mutter vorgefunden, und als würde er dem Zeichen des Windes folgen, ging er auf die Schlafzimmertüre seiner Mutter zu. Leise knarrten die Holzbohlen unter seinen vorsichtigen Schritten. Er wollte die Tür öffnen, doch irgendeine unsichtbare Macht schien ihn erstarren zu lassen, ihm sagen zu wollen: Öffne sie nicht. Aber José Francisco versuchte diese unsichtbare Macht zu besiegen. Er atmete einmal tief durch und öffnete die Tür. Im Zimmer eingetreten, ließ er den Blick vorsichtig durch den Raum schweifen. Als sein Blick auf das Bett seiner Mutter fiel, bemerkte er die verzogene Bettdecke. Das war nicht typisch für die Ordnungsliebe seiner Mutter. Fast mechanisch ging er auf das Bett zu und wollte die Decke wieder ordentlich herrichten. Da bemerkte er an ihr einen roten Streifen, der aussah wie Blut. Seine Stirn wurde eiskalt, durch seinen ganzen Körper fuhr ein heftiger Schreck, genauso wie man es sich immer vorstellt, wenn man hört, das einem das Blut in den Adern gefriert. Vorsichtig ging er auf die Seite des Bettes zu, die er beim Eintreten in den Raum nicht hatte einsehen können. Es packte ihn das nackte Entsetzten.

„Nein!“, schrie er, und einer Ohnmacht nahend sank er verzweifelt zu Boden.

-2-

Rámon Carlos López Casasola saß auf seinem weißen Ledersofa in seiner Villa in Almerimar und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. Das Meer lag vor ihm, Salzgeruch stieg in sein Wohnzimmer, aber er nahm all dies nicht wahr. Wenngleich auch der Sonnenuntergang heute außergewöhnlich schön war, all das ließ ihn vollkommen kalt. Er befand sich in jener Phase des Lebens, an der man begann Resümee zu ziehen: Was habe ich erreicht in meinem Leben, was nicht? Was erwarte ich von meinem Leben und welche Werte zählen wirklich? Muss ich mich für irgendetwas schuldig fühlen, so schuldig, dass ich um Verzeihung bitten muss? Seinen Brandy in der Hand hin und herschwenkend, befand er sich gerade in der Selbsterkennungsphase seiner Überlegungen, als eine nasale Stimme ihn rief:

„Rámoncito, wir müssen los, bist du umgezogen“, fragte seine Frau Dolores.

Er hatte es so Leid, ihr ewiges Genörgel und Befehlen. Wenn er nur noch einen Wunsch frei hätte in seinem Leben, wäre es jener, der seine Frau in Luft auflösen lassen würde.

Seufzend warf er einen Blick in sein Brandyglas.

„Nun gut, mein lieber Freund, ich trink dich aus und dann muss ich los.“ Resigniert nahm er den letzten Schluck und erhob sich. Er war ein recht kleinwüchsiger Mann, mit einem leichten Bauchansatz, doch trotz seiner 54 Jahre hatte er sich gut gehalten, er war immer noch attraktiv, mit leicht ergrautem Haar, aber die meisten Frauen fanden das sexy. Er war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. An Frauengeschichten mangelte es ihm nie, er hatte Geld wie Heu, geerbt nach dem Tode seiner Eltern. Mit dem Vermögen hatte er eine neue Firma gegründet, die sich hauptsächliche mit geräuchertem Trockenfisch beschäftigte. Weltweit hatte er mittlerweile bedeutende Fabriken bauen lassen in diesen Sektor. Der Markt war gesund, die Nachfrage groß, er lieferte seine Produkte in die ganze Welt, Hauptmarkt war jedoch Europa. Somit war er ein erfolgreicher Geschäftsmann mit exzellentem Einkommen. Seine Schwarzgelder wusste er geschickt zu vertuschen. Ebenso wie seine Liebhaberinnen. In jeder Provinz Spaniens gab es mindestens eine für ihn, und da er geschäftlich viel unterwegs war, brauchte er seine Liebhaberinnen, um sich zwischen schweren Verhandlungen, Tagungen und Versammlungen entspannen zu können.

„Nun komm schon, ich will die Erste beim Büfett sein, das weißt du doch.“ Sie warf einen Blick auf ihn und fuhr fort:

„Herrgott, du bist ja noch nicht mal umgezogen. „Magdalena, Magdalena“, schrie sie lauthals durchs Haus.„Bring sofort den Smoking von Don López her.“ Wütend herrschte sie die Hausbedienstete an, die am allerwenigsten die Schuld an dem nicht angekleidet sein ihres Mannes trug.

Magdalena eilte durchs Haus und war in Windeseile wieder zurück, den Smoking in der Hand tragend und sie überreichte ihn Don López mit einem Knicks, mit welchem sie ihm ihren Respekt zollen wollte.Ramón riss ihr den Anzug aus der Hand, ohne auch nur ein Wort des Dankes zu verschwenden. Aber seine Augen blickten sie gierig an. Noch vor drei Nächten war er mit ihr im Bett gewesen. Sie war eine eifrige Liebhaberin, immer darauf bedacht, ihm alles recht zu machen. An sich selber dachte er dabei nie. Er mochte solch unterwürfige Frauen sehr, man konnte sie leicht kaufen, auch für Geldwäschereien und andere nicht ganz gesetzmäßig laufende Dinge. Sie waren meist zu dumm, um die Tragweite des ihnen aufgetragenen Handelns zu verstehen, und zu süß, um sie nicht zu vernaschen. Magdalena schaute ihn dankbar an und wünschte ihm einen schönen Abend mit seiner Frau. Rámon begab sich ins Bad, um sich umzukleiden, er vernahm das leichte, aber ständige Fluchen seiner unzufriedenen Frau. Er liebte sie nicht, hatte sie nie geliebt. Nur aus reiner Berechnung hatte er sie geehelicht. Noch dazu war sie nicht gerade eine attraktive Erscheinung. Sie war dick geworden mit den Jahren. Aber sie hatte Geld, und seine Firma konnte immer Geld brauchen. Er hätte es zwar nicht direkt nötig gehabt, aber schlecht war es fürs Geschäft auch nicht, eine Ehefrau an seiner Seite zu haben und so der Gesellschaft gegenüber seriös zu erscheinen, konservativ eben.Abende wie der heutige hielten es für absolut erforderlich, eine Frau an seiner Seite zu haben. Das alte Kulturmuseum von Almería war renoviert und saniert worden, neue Kulturschätze würden nun der Öffentlichkeit vorgestellt werden, und der Bürgermeister Juan Antonio Navarro Garcia hatte Rámon natürlich mit seiner Gattin zur Wiedereröffnung eingeladen. Rámon pflegte einen engen Kontakt zu dem Bürgermeister der aufwärtsstrebenden, andalusischen Stadt Almería. Es war immer gut mit den höchstgestellten Personen einer Stadt zu verkehren. In vielerlei Hinsicht hatte Ramon so schon einige Vorteile für sich und seine Firma verbuchen können. Man schiebe dem Bürgermeister ein bisschen Schwarzgeld unter dem Schreibtisch zu, und schon kommt man um lästige Behördeninspektionen herum, wenn es darum ging, eine neue Fabrik auf die Beine zu stellen. So einfach war das. Und so kam man auch noch in den ständigen Genuss von Kaviar und Trüffel, das war ja auch nicht zu verachten. Man lernte neue wichtige Persönlichkeiten kennen, die einem wiederum den Weg zur High Society ermöglichten. Ab und zu schob man dem Bürgermeister mal ein nettes Mädchen zu, das man selber für diesen Dienst bezahlte, und schon wurde das ganz Geschäftsleben mit einem Schlag einfach. Rámon kannte die Schwäche des Bürgermeisters für vollbusige, brünette junge Frauen. Und so pflegte er daheim eine Kartei zu verstecken, die ihm jederzeit verfügbare Damen dieser Charakteristik lieferte. Rámon war derzeit rundherum zufrieden. Er hoffte an diesem Abend auch seinen langjährigen Freund Fernando wiederzusehen. Mit ihm hatte er ein sehr wichtiges Geschäft abzuschließen, und er war sich ziemlich sicher, dass Fernando all die Bedingungen für dieses Geschäft erfüllen würde. Rámon würde steinreich werden und Fernando käme auch gut bei dieser Geschichte weg. Beide waren ein gerissenes Team. Dolores drängelte und ließ ihm keine Zeit mehr, über diese Sache weiter nachzudenken. Seufzend machte er sich los auf den Weg zu seinem Wagen. Es war ein exquisiter Jaguar. Der 4,8 Liter V8 Motor hatte mehr als 400 PS unter der Haube und war Ramons ganzer Stolz. Das glänzende Silber funkelte ihm entgegen, als er die Tiefgarage öffnete. Selbstgefällig und zufrieden ließ er sich in den Ledersitz sinken. Er machte keine Anstalten seiner Frau den Wagenschlag zu öffnen, als sie zum Auto kam. Hilfsbereitschaft war seit eh und je ein Fremdwort für ihn gewesen. Seine Frau zu verwöhnen, ihr Komplimente zu machen, lag ihm mehr als fern.

Warum auch? , dachte er sich. Soll diese Tonne doch sehen wie sie klar kommt, es fehlt ihr schließlich an nichts.

Dolores stieg umständlich in den Wagen ein, der ächzte unter ihrem Schwergewicht. Rámon warf ihr einen geringschätzigen Blick zu und sagte:

„Du könntest dich ruhig mal um deine Figur kümmern, in letzter Zeit hast du doch deutlich zugelegt.“

Er warf einen schiefen, abfälligen Blick auf ihr teures Chiffonkleid, das ihr so gar nicht stand. Fast schon geschmacklos fand er ihren Kleidungsstil, in Anbetracht ihrer unvorteilhaften Figur. Der Bauch rollte sich in drei Schichten und das Kleid spannte an jeder Ecke. Ihr Haar war künstlich blondiert und die Frisur die sie trug, passte eher zu einer jungen Frau, als zu einer solch älteren Ausgabe von einer in die Jahre gekommenen Möchte gern - Dame. Ihre große Nase und ihre harten Gesichtszüge stießen ihn ab.

Verletzt schaute ihn Dolores an. Sie öffnete den Mund und wollte etwas erwidern, aber der eisige Blick ihres Mannes wies ihren Wunsch zurück, sich zu äußern.

Schweigend fuhr das Ehepaar in Richtung Guardia Civil Parkplatz des nationalen Polizeikörpers Spaniens. Dort durften alle höher gestellten Personen in den Genuss einer exklusiven und schattenspendenden Abgestellgelegenheit für ihre PKWs kommen. Die teuersten Limousinen konnte man dort bestaunen. Rámon und Dolores begrüßten weitere geladene Gäste und stiegen um in eine schwere amerikanische Limousine, die sie gemeinsam mit anderen Gästen direkt zur Eingangspforte des Kulturmuseums bringen würden. Der Chauffeur eilte sich, denn die Sonne ging bereits unter, die Presse brauchte aber noch etwas Licht, um vernünftige Fotos für die morgendliche Ausgabe der Zeitung „La voz de Almeria“ zu veröffentlichen. Der abendliche Stadtverkehr war nervig für den Chauffeur und als er kurz vor dem Museum ankam, bildete sich eine lange Autoschlange und massenweise standen die Menschen auf dem Bürgersteig der Haupteinkaufsstrasse von Almeria, in welcher auch das Kulturmuseum seinen Standort hatte. Der Chauffeur avisierte die Guardia Civil per Funk Geleitschutz zu geben, umso besser und schneller an den Eingang des prachtvollen Museumsgebäudes zu gelangen. So dauerte es keine 5 Minuten und Dolores und Rámon konnten aussteigen. Die Pressefotografen ließen ihre Kameras aufblitzen, schossen Fotos von allen geladenen Gästen. Charmant lächelte Rámon in die Kameras. Dolores, immer noch verletzt durch seine vorherige Äußerung, bemühte sich ebenso, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Trotz der Vielzahl der Leute in der anwesenden Menschenmenge konnte Rámon seinen Freund Fernando entdecken. Er grinste ihm zu. Fernando erwiderte sein Grinsen und hob den Daumen hoch. Damit war alles gesagt. Rámon konnte es nicht glauben, das Geschäft war gelungen, er war nun hundertprozentig davon überzeugt, denn sonst hätte sein Freund ihm diese Geste nicht zukommen lassen. Nun musste er sich nur noch seine Frau vom Hals schaffen, dann hätte er das schönste Leben auf Erden. Als Witwer wäre er sicher noch genauso angesehen wie bisher, wenn nicht sogar noch mehr. Rasch übergab er seine Frau an die weiteren Damen der hohen Gesellschaft und verschwand in Richtung Herrentoilette. Fernando erwartete ihn schon dort. Rámon vergewisserte sich, dass keine anderen Toilettenbesucher anwesend waren. Dann beugte er sich zu Fernando hinüber und flüsterte ihm ins Ohr:

„Du hast es tatsächlich geschafft, ich es glaube es nicht. Gut gemacht, alter Junge.“ Er klopfte dem Freund bestätigend auf die Schultern.

„Was heißt da alter Junge? Ich bin immerhin 10 Jahre jünger als du“, erwiderte Fernando. Er war sich dem Vorteil gegenüber seines Freundes bezüglich seines jüngeren Alters durchaus bewusst. Fernando war eine sehr attraktive Erscheinung. Jeder hätte ihn wohl als schönen und anziehenden Mann bezeichnet. Er hatte schwarzes, sanft gewelltes Haar, und dunkle Augen, die sehr tiefgründig blicken konnten. Kräftige, dicht behaarte, schwarze Augenbrauen und dunkle dichte Wimpern machten das Bild eines richtigen Mannes perfekt. Die Nase war fein, gerade und elegant angesetzt, das Kinn leicht vorstehend, was ihm eine markante Note verlieh. Er war etwa 1,75 Meter groß und durchtrainiert, seine Brust war behaart, und er war immer tiefbraun gebrannt. Er ähnelte dem spanischen Schauspieler Antonio Banderas. Außer seinem blendenden Äußeren hatte er auch intellektuell einiges zu bieten: Er war belesen und kultiviert und sprach 4 Sprachen fließend. Beruflich bewegte er sich offiziell auf dem Boden des freischaffenden Künstlers, als Maler und Bildhauer. Inoffiziell machte er aber noch ganz andere Sachen, die sich fernab des Gesetzes bewegten.

„Es war einiges an Überzeugungsarbeit nötig, aber die Monate meines Einsatzes für dieses Projekt haben sich gelohnt“, sagte Fernando „Ich werde jetzt noch eine Weile bei der Dame bleiben müssen, aber spätestens in drei Monaten, wenn wir alles weitere geregelt haben werden, kann ich mich von ihr distanzieren.

„Du bist ein fantastischer Schauspieler, weißt du das, mein Freund“, sagte Rámon bewundernd. „Ich hätte das nie hin gekriegt.“

„Du siehst ja auch nicht so gut aus wie ich“, erwiderte Fernando grinsend.

„Mag sein, “ sagte Rámon „Bald wird alles bereinigt sein und dann lassen wir es uns nur gut gehen. Allerdings müssen wir mir noch Dolores vom Hals schaffen, hast du dazu eine Idee?“, fragte er den Freund. Aber dann, sich wohl eines Besseren besinnend, fuhr er fort, als Fernando gerade etwas erwidern wollte:

„Nicht heute, lass gut sein, stürzen wir uns auf den Trüffel und suchen Juan Antonio, um ihm die frohe Botschaft mitzuteilen. Lass uns feiern.“ Und mit diesen Worten griff er dem Freund unter den Arm und beide gingen zur Empfangslobby, wo das Büfett bereits aufgestellt war.

-3-

José Francisco weinte. Er weinte hemmungslos, sein Schmerz musste aus seinem Körper raus. Unfähig sich zu bewegen saß er neben seiner Mutter Isabel, die tot auf dem Bettläufer lag. Ihre Augen waren weit aufgerissen, es stand der Blick des Entsetzens in ihnen. Ihr weizenblondes Haar war durchtränkt von dem Blut, das aus ihren Pulsadern heraus gelaufen war. Sie waren aufgeschnitten. José Francisco konnte sich das Warum dieses anscheinenden Selbstmordes nicht erklären. Eine Frau wie Isabel, finanziell abgesichert, scheinbar absolut glücklich und zufrieden mit ihrem Leben, wohlhabend, ausgeglichen, ohne irgendwelche Sorgen. Es war unvorstellbar. Er hatte in den letzten Jahren nicht mal den Hauch von irgendwelchen Depressionen erkennen können, die eventuell das Motiv für diesen Suizid hätten sein können. Sicher, sein Vater, Isabels Mann, war früh verstorben und die kleine Familie war so recht früh aus dem Gleichgewicht geraten. Als er 5 Jahre jung war starb sein Vater an Lungenkrebs. Aber Isabel hatte versucht, das Beste aus dieser Situation zu machen, hatte ihn gestützt und geleitet in seinen jungen Jahren, und es ganz alleine geschafft einen anständigen Sohn groß zuziehen. Sie selber trug ihren verstorbenen Mann immer tief in ihrem Herzen und in ihrer Seele mit sich. Er war ihre große Liebe gewesen. Innerhalb seiner Jugendjahre konnte sich José Fransisco nicht daran erinnern, dass seine Mutter je einen anderen Mann in ihrem Haus empfangen hätte. Entweder hatte sie ihm eventuell amouröse Erlebnisse verschwiegen, was er allerdings nicht glaubte, oder aber sie war selbst noch nach dem Tod hinaus dem ihr angetrauten Mann ewig treu. In letzter Zeit war sie jedoch mit einem Künstler befreundet gewesen, aber er konnte sich nicht so recht an seinen Namen erinnern. Er wusste, dass dieser öfters mal im Haus ein- und ausgegangen war, weil seine Mutter von ihm einige Kunstobjekte für den Ziergarten geordert hatte. Soweit er sich erinnern konnte, mochte seine Mutter ihn wohl sehr gerne, sie hatte ihn ab und dann mal wie zufällig in ihren Gesprächen mit ihm erwähnt. Zu Gesicht bekommen hatte José Francisco diesen Mann jedoch nie. Das lag aber hauptsächlich daran, dass er selber beruflich so eingespannt war, so dass er selbst die regelmäßigen Wochenendbesuche bei seiner Mutter seit einer Weile eingestellt hatte. Es wäre ihm sonst keine Zeit geblieben für seine Frau und seine Hobbys. Seine Mutter hatte ihm das nicht übel genommen, sie war immer eine sehr selbstlose und mitfühlende Person gewesen, immer darauf bedacht, dass es allen anderen gut ging. Nie dachte sie an sich selbst.

José Francisco schüttelte verzweifelt mit dem Kopf. Ihr Suizid war so unglaublich unwirklich. Er warf erneut den Blick auf die Leiche seiner Mutter, versuchte sich zu zwingen, standhaft zu bleiben, um mehr Details erkennen zu können. Er schluckte einmal fest, der Anblick war nur schwer zu ertragen.

Reiß dich zusammen, Junge, das bist du ihr schuldig, schau sie dir in Ruhe an, befahl er sich selbst.

Und so begann er, ihren Gesichtsausdruck zu studieren. Er schien verkrampft, verzerrt und der Blick ihre Augen wirkte wie der eines zu Tode erschreckten Menschen. In José Franciscos Kopf machten sich Kopfschmerzen breit, sein Schädel begann zu dröhnen, und es stieg eine leichte Übelkeit in ihm hoch. Als sein Blick auf ihre aufgeschnittenen Handgelenke fiel, war es um seine Fassung geschehen. Sein Magen rebellierte und völlig überraschend musste er sich übergeben. Er krampfte sich neben seiner Mutter zusammen und weinte verzweifelt. In diesem Moment klingelte sein Mobiltelefon. Mechanisch griff er danach und ging ran. Es war seine Frau. Aber er war unfähig auch nur einen Ton hervor zu bringen.

„Liebster, was ist los, antworte mir doch, hörst du mich nicht?“ Guadalupe dachte an ein Empfangsproblem, denn das Anwesen seiner Mutter lag hoch zwischen den Bergen versteckt und der Empfang dort war oftmals äußerst zweifelhaft.

„Lupina“, erwiderte Jóse Francisco schwach. „Lupina – sie ist tot, meine Mutter ist tot“, flüsterte er leise ins Telefon.

Nun war es Guadalupe, die zunächst sprachlos war. Dann fasste sie sich wieder.

„Ich komme sofort“, sagte sie bestimmt.

José Francisco dachte fieberhaft nach bevor er antwortete:

„Ja, das ist gut, aber rufe vorher bitte die Guardia Civil an, sie sollen eine Streife herschicken und einen Leichenwagen organisieren. Ich fühle mich nicht in der Lage all dies in die Wege zu leiten.“ Er musste einmal tief Luft holen bevor er fortfuhr:„Fahr vorsichtig, bitte“, danach unterbrach er die Verbindung, ehe Guadalupe antworten konnte.

Gudalupe leitete alles Weitere in die Wege und rannte dann zu ihrem Wagen, um so schnell wie möglich an der Seite ihres Mannes sein zu können. Der Tod ihrer Schwiegermutter war einfach unfassbar. Ihre Hände begannen zu zittern und sie hatte Mühe das Lenkrad vernünftig zu kontrollieren. Nach 2 km Fahrt musste sie rechts an den Randstreifen der Nationalstraße fahren und anhalten. Isabel war immer wie eine eigene Mutter zu ihr gewesen. In ihrer Erinnerung blitzten all die schönen Momente wieder auf, die sie mit Isabel erlebt hatte. Der Tag ihres ersten Kennenlernens, die gemeinsamen Shoppingtouren kurz vor ihrer Hochzeit, die Wochenenden, die sie zusammen verbrachten hatten, wenn José Francisco auf Geschäftsreise in Deutschland war. Sie erinnerte sich an die Tipps, die Isabel ihr immer zu ihrem Sohn gegeben hatte, damit sie ihn bestens verstehen konnte. Isabel war eine einzigartige Frau gewesen. Ihre Willensstärke und Leistungsfähigkeit waren so unerschöpflich, wie die Tiefen des Ozeans. Nie hatte sie eine hilfsbereitere und aufopferungsvollere Person gekannt, wie sie es gewesen war. Sanftmut, Güte, Kraft und Schönheit waren bis zur Vollkommenheit vereint. Eine Frau die 52 Jahre lang in ihrem Leben gekämpft hatte, erfolgreich gekämpft. Als Innenarchitektin hatte sie ihren Studiumabschluss gemacht. Den Großgrundbesitzer Ignácio Fernandez Rodriguez Sanchez geheiratet, aus purer Liebe ohne Wert auf sein Vermögen zu legen, denn als sie sich kennen gelernt hatten, wusste sie nicht, dass er so wohlhabend war. In mühsamer Arbeit hatte sie sich ihr eigenes kleines Vermögen angehäuft, insbesondere um ihren Sohn José Francisco später einmal ein leichteres Leben ermöglichen zu können. Obgleich sie dann auch wusste, dass ihr Ehemann sehr gut situiert war, hatte sie sich nie auf dieses Vermögen verlassen, sondern ihrem Sohn zusätzlich ein dickes Sparbuch angelegt. Da José Francisco aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie seine Mutter, war er von je her ein Arbeitstier gewesen. Er liebte seinen Beruf als staatlich anerkannter Dolmetscher und er übersetzte bis in Diplomatenkreisen hinein. Innerhalb seines Berufszweiges war er eine gefragte und bevorzugte Persönlichkeit. Seine rhetorischen Fähigkeiten waren ebenso einzigartig, wie all die Eigenschaften seiner Mutter. Die Wurzeln seiner Mutter lagen in Deutschland, dort war sie geboren worden. Sie wanderte mit 24 Jahren nach Spanien aus, und nahm dort dann nach 10 Jahren die spanische Staatsbürgerschaft an. Ihr Spanisch sprach sie fließend und mit ländlichem Akzent. Niemand wäre je darauf gekommen, dass ihr Mutterland Deutschland war. Guadalupe versuchte sich zu sammeln, wischte sich die mit Wimperntusche verschmierten Augen wieder halbwegs sauber, holte einmal tief Luft, und fuhr dann hinauf nach Lucainena de las Torres. In der Auffahrt des Cortijos Isabel sah sie bereits den Streifenwagen der Guardia Civil, sowie den von ihr georderten Leichenwagen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Gruselig schien ihr der Moment, als der Fahrer des Wagens die Heckklappe öffnete, umden Sarg heraus zu holen. Mittlerweile hatten sich die Bediensteten des Cortijos auf dem großen Vorplatz des alten Natursteinhauses unter den Dattelpalmen versammelt. Sie konnten sich noch keinen Reim darauf machen, warum die Guardia Civil dort stand und der Leichenwagen. Allerdings befürchteten sie das Schlimmste. Sie hatten Isabel den ganzen Tag nicht draußen gesehen, dabei liebte sie es doch, morgens durch die Gartenanlage zu laufen und nach dem Rechten zu sehen, ein Schwätzchen mit ihren Gärtnern und Gehilfinnen zu halten. Meist lud sie ihre Angestellten auch auf einen Kaffee auf der Veranda ein. All das hatte an diesem Morgen nicht stattgefunden. Guadalupe vernahm verunsichertes Gemurmel. Ich muss sie informieren, dachte sie sich, als sie in die ratlosen Gesichter schaute. Sie erkannte den alten Gärtner Juan José. Er stand da, völlig geknickt, mit tiefen Furchen und Kummerfalten in seinem von der Sonne braun gebrannten und gekennzeichneten Gesicht. Sie ging auf Juan José zu und nahm seine Hände auf.

„Doña Isabel ist tot, es tut mir leid. Für heute haben Sie alle frei. Alles Weitere werden wir nächste Woche besprechen. Sie werden weiterhin Ihren Lohn erhalten, als hätten Sie gearbeitet. Teilen Sie das bitte auch den anderen Angestellten mit“, sagte sie ihm leise. Sie strich noch einmal sanft über seine Hände, die begonnen hatten zu zittern. In seinem Gesicht war Entsetzen und Verzweiflung zu erkennen. Aufgeregt kamen die anderen Angestellten auf ihn zu gelaufen, als sich Guadalupe von ihmentfernte und in das Haupthaus hinein ging. Sie suchte nach JoséFrancisco, und ein Instinkt schickte sie in die obere Etage, zum Schlafzimmer Isabels. Sie trat leise ein, doch ihr Mann erwartete sie schon. Er wollte ihr den Anblick seiner toten Mutter, die dort in ihrem eigenen Blut lag, ersparen. Sehr wohl wusste er, wie sensibel seine Lupina, wie er sie immer zärtlich nannte, war. Und Blut konnte sie nicht sehen, sie würde sofort in Ohnmacht fallen. So ging er rasch auf sie zu, zog sie fest an sich. Guadalupe konnte die erneuten Tränen so nicht mehr zurückhalten. Sie schluchzte hemmungslos und durchweichte das Seidenhemd ihres Mannes. José Francisco ließ sich ebenso gehen. Energische Schritte, die auf das Schlafzimmer Isabels zukamen, ließen sie erschrocken auseinander fahren. Die Kriminalbeamten waren eingetroffen.

„Wo ist sie?“, fragte der Hauptkommissar Mendez Mártinez.

José Francisco deutet mit einer Kopfbewegung die Richtung an.

„Sie haben sie hoffentlich nicht berührt oder hier irgendetwas verändert?“, fragte der Kommissar kritisch blickend.

José Francisco mochte den rauen Tonfall des Kommissars ganz und gar nicht, und antwortete so leicht gereizt zurück:

„Und selbst wenn, es war doch wohl offensichtlich Selbstmord, da werden Sie sicher keine Spuren sichern müssen.“

Gudalupe warf ihn einen mahnenden Blick zu. Der Kommissar war schließlich nicht schuldig an dem Suizid seiner Mutter. José Francisco fing den Blick auf und schaute leicht beschämt zu Boden.

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein“, antwortete der Kommissar, warf aber dann noch ein, nachdem er den verzweifelten Blick des jungen Mannes wahrnahm:

„Mein Beileid, es muss schwer für Sie zu tragen sein. Ich kannte Ihre Mutter gut. Wir sind selber alle sehr geschockt, das können Sie uns glauben.“

„Danke“, murmelte José Francisco zurück.

Guadalupe nahm ihm beim Arm und zog ihn Richtung Tür.

„Komm, lass unsraus gehen, wir stören wohl eher“, sagte sie sanft zu ihm.

„Du hast wohl Recht, lass uns zum Teich gehen, dort war sie immer so gerne“, erwiderte er.

José Francisco nahm ihre Hand in seine und gemeinsam gingen sie aus dem Haus.

-4-

Irgendetwas schien dem Kommissar Mendez Mártinez eigenartig vorzukommen. Der Gesichtsausdruck der verstorbenen Isabel Rodriguez Mauer ließ ihn nicht mehr los. Für eine Person, die angeblich Selbstmord begangen hatte, sah sie zu entsetzt aus. Unruhig lief er am darauffolgenden Tag in seinem Büro auf und ab, wie ein Löwe, der hinter Gittern eingesperrt war und nicht wusste, wo der Ausgang war. Er dachte zuerst, dass Isabel Rodriguez tatsächlich Selbstmord begangen hatte. Aber die Obduktion hatte andere Vermutungen zu Tage gelegt. Er griff zumTelefon, nachdem er in seinem Adressbuch die Nummer von Isabels Sohn gesucht hatte. Ungeduldig klopfte er, während er auf das Annehmen des Gespräches wartete, mit den Fingern auf sein abgenutztes Schreibpult. Es sprang nach kurzer Zeit die Mailbox des Teilnehmers an.

„Verdammt, verdammt“, fluchte Mendez.

Nervös blätterte er weiter in seinem Adressbuch herum und fand die Nummer der Ehegattin. Sofort wählte er auch diese an, und er hatte Glück. Guadalupe nahm ab.

Señora Rodriguez Blanca?“, fragte er.

„Ja, die bin ich, mit wem spreche ich?“

Mendez räusperte sich kurz.

„Hier spricht Kommissar Mendez Mártinez. Wissen Sie, nach einiger Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich noch mal den Ort des Geschehens überprüfen muss. Auch der Obduktionsbericht erfordert eine erneute Prüfung. Würden Sie dafür sorgen, dass zwischenzeitlich niemand in das Zimmer der Verstorbenen geht?“, fragte er.

Guadalupe war überrascht. Sie konnte nicht verstehen warum eine erneute Überprüfung nötig sein sollte.

„Aber muss das denn sein, es war doch ein klarer Selbstmord, oder vermuten Sie etwas anderes?“, fragte sie unsicher zurück.

Mendez versuchte seine Vermutung vorsichtig weiter zu geben.

„Wissen Sie, die Obduktion hat einige Verdachte aufkommen lassen. Außerdem gefällt mir der Gesichtsausdruck der Toten ganz und gar nicht. Selbstmörder sehen nach ihrem Tod in der Regel nicht so aus, weisen nicht eine solch verschreckte Mimik vor. Insofern wäre es für alle Beteiligten die beste Lösung, das Ganze nochmals zu checken. Würden Sie das bitte an Señor Rodriguez Mauer weitergeben?“

Guadalupe dachte kurz nach. Sie hatte Isabel gar nicht im toten Zustand gesehen, konnte so auch nicht beurteilen, ob der Kommissar mit seiner Vermutung vielleicht Recht haben könnte. Insofern musste sie ihm volle Handlungsfreiheit lassen.

„Sie haben unsere Erlaubnis, tun Sie, was Sie für richtig halten und informieren Sie uns bitte so schnell wie möglich, wenn Sie zu irgendwelchen neuen Erkenntnissen gekommen sein sollten“, antwortete sie höflich und zuvorkommend.

„Wissen Sie, ich konnte Ihren Mann nicht erreichen, verzeihen Sie also, dass ich mich an Sie gewandt habe“, meinte Mendez entschuldigend.

„Mein Mann schläft schon, er war vollkommen geschockt, und ich musste ihm ein starkes Schlafmittel geben, um ihn zu beruhigen.“

„Ja, das kann ich verstehen, und nochmals mein Beileid zum Tode Ihrer Schwiegermutter. Sie war eine einzigartige Persönlichkeit. Ich will Sie nicht weiter stören, Gute Nacht“, verabschiedete sich Mendez. „Gute Nacht“, erwiderte Guadalupe fast tonlos und legte auf.

Nachdenklich ging sie auf die Terrasse und zündete sich eine Zigarette an. Trotz dass sie schwanger war, im vierten Monat, konnte sie das Rauchen einfach nicht lassen, wenngleich sie es auch dem Baby zuliebe stark reduziert hatte. Im Moment war sie allerdings so nervös, dass sie das Gefühl hatte, diese Zigarette zu brauchen. War Isabel etwa ermordet worden? Wenn ja, aus welchem Grunde? Wer konnte ihr so etwas antun? Während sie so ihren Überlegungen nachging, rumorte es einmal kurz in ihrem Unterleib und plötzlich wurde ihr übel. Angewidert starrte sie ihre Zigarette an und machte sie schleunigst aus. Das Baby beschwerte sich, und zu Recht. Jetzt, wo seine zukünftige Oma tot war, musste sie als werdende Mutter umso mehr darauf achten, dass alle in der Familie gesund blieben, und ganz besonders sie selber, denn sie trug die Verantwortung für das Kind in ihrem Bauch. Nachdenklich schaute sie auf ihren schlafenden Mann, der auf dem Sofa lag. Guadalupe konnte sich nur zu gut vorstellen, was er gerade durchmachte. Wenn ihre eigene Mutter sterben würde, nicht auszudenken, welch Trauma in ihrer Seele ausbrechen würde. Morgen würden sie sich um die Beerdigungsdetails kümmern müssen. Isabels Leiche sollte in etwa drei Tagen frei gegeben werden. Man hatte sie in das Tanatorio vom nahe gelegenen Dorf Tabernas gebracht, denn Lucainena de las Torres verfügte nicht über ein solches. Die Beisetzung würde auf dem kleinen Friedhof von Lucainena stattfinden. Inständig hoffte Guadalupe, das Kommissar Mendez keine Anzeichen finden würde, die für einen Mord sprechen würden. Denn dann wären viele Fragen offen und José Francisco würde schäumen vor Wut, und alles versuchen, um den eventuellen Mörder aufzufinden. Sie wusste, er hatte seine Mutter sehr geliebt. Nichts würde ihn abschrecken, den Mörder selbst zu ermorden, wenn er ihn finden würde. Seufzend legte sie sich auf das zweite Sofa, stellte den Fernseher an, und versuchte, sich mit einer ihrer Lieblingsserien abzulenken. Erst jetzt bemerkte sie wie erschöpft sie selber war. Sie legte beide Hände auf ihren Unterleib, um dem Baby das Gefühl zu geben, ihm nahe zu sein. Dann versank auch sie in einen tiefen Schlaf.

-5-

Der Notar und Rechtsanwalt Javier Móron Manchado war einigermaßen verwirrt. Er ging nochmals die Unterlagen von seiner verstorbenen Klientin Isabel Rodriguez Mauer durch und schüttelte immer wieder ungläubig mit dem Kopf. Er schaute auf die Uhr; halb zehn am Morgen. Es blieb noch Zeit um einen Café cortado in seiner Lieblingsbar zu trinken, welche nahe gelegen seines Büros war. So zog er, trotz der Sommerhitze, sein leichtes Jaket über, Stil musste bewahrt werden, und ging los in Richtung des Cafés. Die Unterlagen hatte er unter dem Arm geklemmt, er wollte sie nochmals studieren, um auf das Gespräch mit dem Sohn seiner verstorbenen Klientin vorbereitet zu sein. Vor wenigen Tagen hatte er Unterlagen zugesandt bekommen, von einem Notar aus Madrid. Das Schreiben durfte nur nach Tod der Klientin geöffnet werden. Insofern vermutete Don Javier Móron Manchado eine Änderung des Testaments. Umso merkwürdig schien ihm nun der Tod seiner Klientin. Noch dazu, weil sie eventuelle Änderungen nicht hatte von ihm aufsetzen lassen. Er kannte Isabel zu gut, um hier nicht etwas zu vermuten, was nicht ganz mit rechten Dingen zuging. Seinen Kaffee langsam rührend, las er abermals den Brief des Madrider Notars durch. Er war eigenartig formuliert- höflich – aber zwischen den Zeilen gelesen klang er bedrohlich. Javier Móron fühlte sich unwohl in seiner Haut. Sein Blick fiel zufällig auf die aktuelle Tageszeitung, und auf der Titelseite konnte er ein kleines Bild von Isabel Rodriguez Mauer erkennen. Und die Schlagzeile darunter:

Lucainenas extravaganteste Einwohnerin beging Selbstmord.

Es war erschütternd, Javier Morón fühlte sich immer unwohler. Er beschloss, schnell aus dem Cáfe zu verschwinden. Ein Blick auf seine Uhr bestätigte ihn in seiner Entscheidung, der Sohn Isabels würde gleich bei ihm sein. Er warf einen Euro auf die Theke, grüßte kurz und leicht muffig zur Kellnerin hin, die ihn ebenso muffig zurück grüßte, und verschwand. Kurz vor seinem Büro atmete er noch einmal tief durch und schloss dann die Türe auf. Seine Sekretärin gab ihm zu verstehen, dass José Francisco Rodriguez Mauer schon in seinem persönlichen Büro auf ihn wartete. Javier Morón trat dezent ein, warf dem Sohn seiner ehemaligen Klientin einen bedauernden Blick zu und forderte ihn wieder auf, sich zu setzen, da dieser sich bei seinem Eintreten erhoben hatte.

„Don José Francisco, es freut mich, Sie zu sehen, wenngleich auch unter diesen bedauerlichen Umständen“, sagte Javier Morón, und obwohl dieser Satz wohl der Standartsatz bei Zusammenkünften dieser Art war, meinte er es dennoch sehr ehrlich und aufrichtig, und José Fransisco erkannte es auch in dem Ton, wie dieser Satz gesagt wurde. Javier Móron war mit Sicherheit der beste Notar und Anwalt, den man sich hätte nur denken können. Er wusste, dass dieser Mann seine Mutter sehr geliebt hatte, er hatte aber nie diese Liebe seitens seiner Mutter erwidert bekommen. Das lag aber mitunter auch daran, dass Javier Móron selbst ein verheirateter Mann war, und seine Mutter hätte sich nie auf eine Liebesgeschichte dieser Art eingelassen.

„Ich danke Ihnen, Don Javier“, antwortete José Francisco. „Gehe ich richtig davon aus, dass Sie mir das Testament meiner Mutter eröffnen wollen?“

Javier Móron rückte sich leicht unruhig in seinem Stuhl zurecht. Jetzt kam der schwierige Teil dieser Zusammenkunft.

„Das ist in der Tat richtig, und ich habe hier eine merkwürdige Sache vorliegen“, antwortete er und holte den braunen Umschlag, der versiegelt war von dem Madrider Notar, hervor.

„Wie meinen Sie das, welche merkwürdige Sache?“, fragte José Francisco beunruhigt.

Nicht dass er sich Gedanken gemacht hätte, weil er auch nur in irgendeiner Form gierig war auf sein Erbe. Aber der Selbstmord seiner Mutter, und noch die Vermutung des Hauptkommissars, dass es eventuell doch eher ein Mord gewesen sein könnte, verbunden mit der nun geäußerten, merkwürdigen Sache seitens des Notars seiner Mutter, ließen ihn unruhig werden.

„Wissen Sie, Ihre Frau Mutter pflegte jahrelang immer nur mit mir ihre persönlichen Sachen notariell zu regeln. Umso erstaunlicher ist es, dass sie nun anscheinend eine Testamentsänderung hat durchführen lassen, etwa 3 Wochen vor ihrem Tode, durch einen anderen Notar aus Madrid. Können Sie sich einen Reim darauf machen?“

Erstaunt blickte ihn José Francisco an. Er brauchte einen Moment um sich zu fassen, dann sagte er zu dem Notar:

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung was hier vorgeht. Aber ich denke wir sollten uns das mal anschauen, vielleicht kommt mir dann eine Erkenntnis. Meine Mutter hatte mir nichts davon gesagt, dass sie ihr Testament ändern wollte. Warum sollte sie dies auch tun? Ich war ihr einziger Sohn, es gab da eigentlich nicht viel darüber zu reden. Und Sie wissen, dass ich sowieso nicht darauf aus bin, ihr großes Vermögen zu bekommen. Mir wäre lieber, sie wäre noch am leben.“

„Das weiß ich Don José Francisco, Sie sind ein einzigartiger Sohn. Ihre Mutter war sehr vermögend, das steht außer Frage. Aber wollen wir mal sehen, was sich in diesem Umschlag verbirgt, ich habe ihn bis dato selber nicht geöffnet, denn ich wurde angewiesen, dies erst vor ihrem rechtmäßigen Erbe zu tun, im Falle ihres Todes. Eigenartiger Umstand, dass der Tod nun so plötzlich eingetreten ist. Also, dann, ich werde ihn mal öffnen“, erwiderte der Notar.

Er zückte seinen Messingbrieföffner, holte die Papiere aus dem Umschlag, setzte sich ein wenig in seinem Bürostuhl zurück und las erst mal lautlos. Mit jeder Zeile wurden seine Augen größer und sein Gesichtsausdruck immer erstaunter. José Francisco beobachtete seine Miene beunruhigt.

„Was ist los, Don Javier?“

Don Javier konnte es nicht fassen. Es wusste gar nicht was er dazu sagen sollte. Er war mehr als geschockt.

„Schauen Sie, Don José Francisco, hier steht folgendes geschrieben:

Er legte die Unterlagen so vor dem Sohn der verstorbenen Isabel, dass dieser auch mit einlesen konnte.

„Das blablabla können wir überlesen, aber sehen Sie, jetzt kommt die Stelle.“ Der Notar deutet mit dem Brieföffner auf sie und las vor:

Mein Sohn José Fransisco Rodriguez Mauer erhält sein Banksparbuch, dass derzeit einen Betrag von 850.000 Euro vorweist.

„Aber das ist doch in Ordnung, das ist sehr, sehr viel Geld“, meinte Jóse Fransisco.

„Das ist wohl war, aber hier liegt noch etwas bei, ein Grundbuchauszug des Cortijos Isabel. Weder der Name ihrer Mutter noch der Ihrige ist hier verzeichnet.“

„Was bedeutet das konkret?“, fragte JoséFrancisco. „Ein Fehler beim Katasteramt oder ähnliches?“

„Keineswegs, mein Sohn“, erwiderte der Notar. „Ich habe hier den Namen des rechtmäßigen Eigentümers, ein gewisser Don Fernando Jesús Expósito Bastian ist der offizielle Besitzer des Anwesens.“

Jóse Fransisco stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er konnte nicht begreifen, wollte nicht begreifen, was er da eben gehört hatte.

„Aber, aber – ich verstehe nicht. Wer ist dieser Mensch? Und was soll das alles? Niemals hatte meine Mutter diesen Mann auch nur erwähnt“, erwiderte er verzweifelt.