Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod - Hajo Heider - E-Book

Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod E-Book

Hajo Heider

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Klappentext zu >Blutiges Automatengeld< Göppingen in den Neunzigern. Die Sprengung von Geldautomaten hält Stadt und Land in Atem. Was mit einer Einzeltat begann, wird bald zu einer Anschlagsserie zweier Gruppierungen. Dies wird der erste Fall für die neu gebildete Ermittlergruppe um KHK Elisabeth Schnürle mit KK Bramerthal und KK Schroth. Beim ersten Automaten wird eine Tätergruppe von bulgarischen Roma vermutet. Die zweiten Täter sind vermutlich Einheimische, bei denen Insiderwissen erkannt wird. Die erste Gruppe gehört zu einer europaweit operierenden Organisation, die vom LKA überwacht wird. Diese Gruppe war bisher nur im Bereich Kleinkriminalität tätig. KHK Schnürle erkennt das Potenzial für Nachahmer. Sie denkt sich eine Möglichkeit aus, um Trittbrettfahrer am Modus Operandi zu erkennen. Die erste Tätergruppe wird PROPAN genannt und die zweite BUTAN, entsprechend dem verwendeten Sprenggas. Das LKA schickt KHK Messinger, der die Bande kennt, und dem es in Freiburg gelungen ist, an einem Pkw der Bande einen Sender anzubringen. Messinger fordert Bramerthal auf, beim LKA gegen PROPAN zu ermitteln. Die Entscheidung fürs LKA bedeutet einen schmerzlichen Einschnitt in seinem Privatleben. Messinger wird sein Mentor. PROPAN verlagert die Aktivitäten in den Kreis Reutlingen. Es verdichtet sich die Vermutung, dass die Einkaufsnacht in der Outlet-Stadt Metzingen für einen sehr lohnenden Schlag genutzt werden soll. Dadurch bietet sich den Ermittlern eine Chance zu proaktivem Handeln.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Klappentext

Der erste Automat

Fluchtstrategie

Falscher Tag

Versöhnungstag

Der kleine Unterschied

Alte Liebe …

Gefunden

Geislingen

Sonne und mehr

Bodybuilding

Eine Verfolgungsfahrt

Grober Stoff

Hab Sonne im Herzen

Größenunterschied

Suche nach der Smith

Der Campingwagen

Pfullingen und Mutlangen

Schiefers Befragung

Hotelfrühstück

Bad Urach

Bald ist Einkaufsnacht

Bankdirektoren

Eine falsche Detonation

Sündenbock

Der schwere Gang

Wieder in Göppingen

Sonderbarer Auftritt

Der Weg des Geldes

Die Stereoanlage

Analyse einer Jagd

Romanische Beisetzung

Eine Geschichte

War es Mord?

Mithilfe des LKA

Heiningen und zurück

Durchsuchung

Campingwochenende

Kein Heimkino

Befragung und Verhör

Wie ein Schuss aus dem Ofen

Hausbesuch

Königliches Frühstück

Keine Party

Weitere Veröffentlichungen des Autors

Blutiges Automatengeld

oder

Neid, Gier, Tod

Kriminalroman

von

Hajo Heider

Copyright: © 2020 Hajo Heiderpublished by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de

ISBN:

UmschlaggestaltungI. Heider

Vorbemerkung:

Dieser Roman ist ein Roman, und wie bei jedem Kriminalroman zeigt sich der Schluss erst am Ende.

Klappentext

Göppingen in den Neunzigern. Die Sprengung von Geldautomaten hält Stadt und Land in Atem. Was mit einer Einzeltat begann, wird bald zu einer Anschlagsserie zweier Gruppierungen. Dies wird der erste Fall für die neu gebildete Ermittlergruppe um KHK Elisabeth Schnürle mit KK Bramerthal und KK Schroth.

Beim ersten Automaten wird eine Tätergruppe von bulgarischen Roma vermutet. Die zweiten Täter sind vermutlich Einheimische, bei denen Insiderwissen erkannt wird.

Die erste Gruppe gehört zu einer europaweit operierenden Organisation, die vom LKA überwacht wird. Diese Gruppe war bisher nur im Bereich Kleinkriminalität tätig.

KHK Schnürle erkennt das Potenzial für Nachahmer. Sie denkt sich eine Möglichkeit aus, um Trittbrettfahrer am Modus Operandi zu erkennen. Die erste Tätergruppe wird PROPAN genannt und die zweite BUTAN, entsprechend dem verwendeten Sprenggas.

Das LKA schickt KHK Messinger, der die Bande kennt, und dem es in Freiburg gelungen ist, an einem PKW der Bande einen Sender anzubringen.

Messinger fordert Bramerthal auf, beim LKA gegen PROPAN zu ermitteln. Die Entscheidung fürs LKA bedeutet einen schmerzlichen Einschnitt in seinem Privatleben. Messinger wird sein Mentor.

PROPAN verlagert die Aktivitäten in den Kreis Reutlingen. Es verdichtet sich die Vermutung, dass die Einkaufsnacht in der Outlet-Stadt Metzingen für einen lohnenden Schlag genutzt werden soll. Dadurch bietet sich den Ermittlern eine Chance zu proaktivem Handeln

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Der erste Automat

KK Bramerthal trat vorsichtig an den glitzernden Glasteppich, sofern die Schuhgröße 48 vorsichtiges Auftreten erlaubt. Die Glasperlen waren in der Form eines aufgeklappten Fächers verstreut, der sich vom Automatenraum bis zum gegenüberliegenden Bürgersteig öffnete. Er betrachtete den Riss in der Hauswand, von der Türöffnung zum Fenstersims im ersten Stock. Die Führungsschienen der doppelten Schiebetür ragten aus der Wand, zu gewaltigen Haken verbogen. Mitten auf der Straße lag die gekrümmte Vorderfront eines Geldautomaten, daneben fünf leere Geldschubladen.

Die Stirn des Kommissars kräuselten Zornfalten. Jetzt bemerkte er KHK Schnürle, seine Chefin. Eine grüne Seidenbluse hing bis zur Hüfte über zerknitterte Jeans. Entweder zeigte sie die neueste Mode, oder eine Nacht der besonderen Art war vor dem lustvollen Finale unterbrochen worden. Ihren Kopf schmückte eine dunkelrote Strickmütze mit der Form einer Bettpfanne, unter der ihr Haar irgendwie verteilt war. Sie hoben gleichzeitig die Hände zum Gruß. In gleicher Weise grüßte er die Kollegen der SpuSi, weiße faserarme Anzüge. Er machte einen Rundblick, weil er seinen Kollegen Axel Schroth begrüßen wollte.

KHK Schnürle winkte ihn zu sich. Sie sprach mit einem älteren Mann im grünen Bademantel. Er zeigte zur Wand seines Hauses. Bramerthal schaute zum ersten Stock hoch. Licht strahlte aus faustgroßen Löchern im Rollladen. Schnürle machte Fotos.

„Sieht brutal aus“, sagte Bramerthal. „Wer kommt auf die Idee, einen Geldautomaten auszurauben?“

„Das waren Zigeuner!“, sagte eine aggressive Stimme in seinem Rücken.

Bramerthal betrachtete den blonden Stiernacken und fragte: „Sind Sie ein Augenzeuge und Kenner von Ethnien?“

„So viel habe ich erkannt.“

Schnürle sprach weiter mit dem Mann im grünen Bademantel, aber ein Ohr war bei ihrem Mitarbeiter, der den jungen Mann befragte.

Bramerthal klang bemüht: „Wo standen Sie, als Sie den Vorfall bemerkten?“

Der Zeuge zeigte dort hin, wo Bramerthals Wagen stand.

„Ich rauchte meine Abendzigarette, da sah ich den dunklen Mercedes, aus dem zwei dunkle Gestalten stiegen.“

„Können Sie uns helfen, Phantombilder zu erstellen?“

„Die trugen schwarze Strümpfe über dem Kopf.“

„Unter Strumpfmasken erkennen Sie …?“ Bramerthal rang um Fassung. „Ich kann auf die kurze Distanz nicht erkennen, welcher Ethnie Sie angehören.“

Der Zeuge stolperte zurück, wie vor die Brust gestoßen.

„Ich werde Ihre Personendaten aufnehmen.“

Der Zeuge reichte einen Ausweis.

„Deutsches Reich?“, las Bramerthal. „Sie sind kein Bürger der Bundesrepublik? Zeigen Sie Ihre Aufenthaltserlaubnis.“

„Wollen Sie mich verarschen?“

„Ich vermute, sie sind illegal eingereist. Ich nehme Sie fest, zur Feststellung ihrer Identität.“

Der Mann hatte keine Chance. Sein rechter Arm war mit dem Vorfahrtsschild mittels einer stählernen Handfessel verbunden.

„Fluchtgefahr“, erklärte Bramerthal und ging zum Automatenraum.

Einige Minuten später fragte Schnürle nach den Personalien des Stiernackens. Sie ließ sich den Führerschein zeigen. Bramerthal näherte sich auf ein paar Meter.

„Sie wissen, unter den gegebenen Umständen könnte ich einen Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung erwirken? Sie wissen hoffentlich auch, wie unangemessen Ihr Ton war.“

Der Mann knurrte mürrisch.

Sie öffnete die Handfessel.

„Wie kommen Sie auf die Vermutung, es handle sich um Roma?“

„Der Mercedes, mit bulgarischem Kennzeichen, fuhr an meinem Haus vorbei, als ich am Briefkasten stand.“

Der Mann verschwand in dem von ihm gezeigten Haus.

Bramerthal betrachtete sie erwartungsvoll.

„Ein sogenannter Reichsbürger, eine neue Spezies der Unzufriedenen“, sagte sie. „Die wollen unseren Schutz, sei es durch Polizei, Feuerwehr oder Gesundheitswesen, aber …“

„Auf der Straße liegt ein neues Geschäftsmodell“, unterbrach er sie.

„Was hat Sie so erbost?“, wollte sie wissen.

„Er sagte Zigeuner, er ist ein Rassist, und ich mag keine Rassisten.“

„Glauben Sie, er wäre weniger Rassist, wenn er Roma gesagt hätte? Das Wort Zigeuner ist keine Beleidigung. Andererseits bedeutet Rom Mensch. Wäre die Täterbeschreibung, das waren Menschen, für Sie akzeptabler? Wir sind Menschen, also sind wir Roma.“

Sie lachte über sein entsetztes Gesicht.

„Es war der widerliche Ton.“

„Unabhängig vom Ton frage ich Sie: Erkennt man einen maskierten Zigeuner am Kfz-Kennzeichen? Die Zeugenaussage ist unbrauchbar.“

Bramerthal wandte sich nachdenklich ab.

„Ich rechne in nächster Zeit mit Nachahmern. Kollege, Sie müssen gelassener werden.“

Auf der anderen Seite des Glasteppichs rief eine ältere Frau: „Über dem Automatenraum ist die Wohnung von Frau Tschech. Der Riss geht durch ihr Schlafzimmer. Ich habe die Feuerwehr alarmiert.“

„Gut gemacht“, lobte Schnürle.

Der Kollege im Automatenraum zeigte zum handbreiten Riss über seinem Kopf. Eine alte verängstigte Frauenstimme rief um Hilfe.

„Frau Tschech“, rief Bramerthal nach oben. „Rettungsdienst und Feuerwehr sind alarmiert. Ich höre bereits das Martinshorn. Können Sie den Rettungskräften die Tür öffnen?“

„Ich versuch‘s“, sagte sie.

Bramerthal sah zur bewegten Decke.

„Raus“, rief er und sprang mit einem Satz aus dem Automatenraum.

„Bleiben Sie im Bett, der Rettungsdienst wird das machen.“

Er rannte zur Feuerwehr, um die kritische Situation zu melden.

Abseitige Glasperlen knarrten unter Bramerthals Ledersohlen. Um die Geldschubladen war die Strahlenordnung der Perlen gestört, mehr konnte er nicht feststellen. Er ging zu Schnürle, die dem Mann am Gartentor lauschte.

„Gewöhnlich gehe ich um Mitternacht ins Bett.“ Er schnappte nach Luft und sprach weiter. „Ich putzte meine Zähne, da erschreckte mich der Knall, zwei Schläge. Die Straße funkelte durch ein Loch im Rollladen. Ein Mann hockte im Glas und sammelte etwas ein, das er in einen Rucksack stopfte. Geld war‘s. Eine zweite Person half ihm. Sie rannten an der Sparkasse vorbei nach hinten.“ Er zeigte die Fluchtrichtung. „Ich rief sofort die Polizei an.“

„Fiel Ihnen noch etwas auf? Erkannten sie die Gesichter? Können sie die Kleidung beschreiben?“

„Die hatten gar keine Gesichter“, sagte er. Er schüttelte den Kopf, als zweifle er an seiner Beobachtung. „Es ging sehr schnell!“ Der Mann überlegte weiter. „Entweder war der eine Mann sehr klein, oder der andere sehr groß. Der Größere nahm den Rucksack.“

Sie schauten zum Fenster hoch. Der Rollladen wurde bis zur Hälfte hochgezogen. Die Lamellen verhakten sich krachend. Eine ältere Frau beugte sich aus dem Fenster, wirres Haar, blasses Gesicht.

„Was ist los?“, fragte sie.

„Meine Frau ist wach geworden.“ Der Mann winkte. „Ich komme gleich. Der Geldautomat wurde ausgeraubt. Keine Angst, es war nicht unser Geld.“

Der Zeuge im Bademantel rieb sein Kinn und sagte nachdenklich: „Vor der Explosion fuhr ein Wagen mit dunklem Motorbrummen weg.“

Ein jüngerer Mann mit blauer Arbeitskleidung, auf der anderen Seite des Absperrbands, sagte: „Ich kam vom Schichtwechsel nach Hause. Nach der Detonation eilte ich aus der Garage und sah zwei Personen um die Ecke verschwinden.“

„Bemerkten Sie ein Fluchtfahrzeug?“

Er zeigte eine Richtung, mitten durch Häuser.

„Ein Benziner, vermutlich ein Sechszylinder.“

Die Feuerwehr hatte die Hausecke mit einer stählernen Stütze stabilisiert. Frau Tschech kam zwischen zwei Rettungssanitätern und wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Der ältere Kollege arbeitete im Automatenraum, der jüngere wickelte das Vorderteil des Automaten in eine Plastikfolie.

„Ich bin hier fertig“, rief der Ältere.

Bramerthal betrachtete die Stahlstütze, bevor er den Raum betrat.

„Können Sie etwas Hilfreiches sagen?“

Der Kollege zeigte ein Stück elektrische Leitung in der Beweismitteltüte. Isolierband hielt die blanken Enden auf Distanz, am anderen Leitungsende war geschmolzenes Lot.

„Der Automat wurde mit Gas gesprengt.“

Der Kombi der SpuSi fuhr rückwärts an den Perlenteppich. Zu zweit wuchteten sie das größere Teil in den Wagen. Bramerthal reichte Schnürle die Beweismitteltüte. Mit Orkanstärke sog sie verbrannte Restluft durch ihre Nase. Bramerthal studierte die Rückwand des Automaten, die krumm, nach hinten geneigt, in der Wand hing. Er rüttelte, bis das Gehäuse aus der Wand kippte. Der blecherne Aufschlag war ein Lockruf für die Kollegen. Durch das Loch hätte er mühelos in den Kassenraum steigen können. Zur Demonstration setzte Bramerthal ein Knie auf die Öffnung. Die SpuSi wickelte auch dieses Teil in Noppenfolie und verstaute es. Die Heckklappe schlug zu.

Der junge Kollege bot an, den Ermittlern den Fluchtweg zu zeigen. Schnürle und Bramerthal folgten am Gebäude vorbei über einen gewässerten Rasen. Ein kompletter Schuhabdruck neben dem Rasenansatz war Beweismittel Nummer 10.

„Schuhgröße 36 - könnte von einem Kinder- oder Frauenschuh stammen.“

Eine niedere Buchsbaumhecke markierte die Grundstücksgrenze, direkt davor die Nummer 11, eine Glasperle. Auf der anderen Seite der Hecke steckte die Nummer 12, ein profilierter Schuhabdruck von beeindruckter Größe.

„Wir gehen von der Schuhgröße 49 aus, was einem Mann von mindestens zwei Metern entspricht.“

Der Kollege beobachtete, wie Bramerthal seinen rechten Schuh über dem Abdruck schweben ließ.

„Sonderanfertigung“, sagte er respektvoll.

Drüben, am Straßenrand funkelte eine Glasperle mit der Nummer 13. Sie gingen hinüber. Schroth trat aus dem Zweifamilienhaus und sagte, was er erfahren hatte.

„Nach der Explosion schaute Herr …“, er las den Namen aus seinem Notizbuch. „Schaute Herr Grumbowski auf die Straße, seine Frau war im Bad beschäftigt. Von links glitt ein Mercedes vors Haus und blieb stehen. Zwei dunkel gekleidete Personen eilten zum Wagen, stiegen ein, der Wagen fuhr sofort davon.“

„Farbe des Wagens?“, fragte die Chefin.

Schroth sagte enttäuscht: „Dunkel, könnte blau gewesen sein.“

Bramerthal schaute hoch. Zwei Fenster standen offen.

„Ein sehr großer Mann und eine kleinere Person, vermutlich eine Frau.“

„Kennzeichen?“, fragte Schnürle.

„Ein ausländisches Kennzeichen. Beide Personen trugen schwarze Skimasken. Das Gesicht des Fahrers blieb im Dunkel.“

Auf dem Rückweg sammelte der Kollege die Nummernschilder ein.

Der Filialleiter, dunkler Anzug, dunkles gescheiteltes Haar, wartete vor dem Tatortband, das den Eingang zum Automatenraum absperrte. Er starrte entsetzt. Das Loch zum Kassenraum wurde von der Feuerwehr mit einer Blechtafel verschlossen. Die SpuSi verabschiedete sich. Der Glasteppich war zu einem glitzernden Haufen zusammengekehrt. Schnürle riss das Tatortband ab. Sie zeigte dem gescheitelten Mann ihren Ausweis. „Geben Sie uns die Überwachungsvideos.“

Er verschwand in der Filiale, kam nach kurzer Zeit mit zwei Datenträgern.

„Rufen Sie uns an, wenn Ihnen oder ihrem Personal etwas zu dieser Tat einfällt. Wir müssen auch wissen, wie viel Geld fehlt.“

Es war kurz vor vier Uhr.

„Gehen wir eine Runde schlafen?“, fragte die Chefin.

Sie erhielt keine Antwort.

Fluchtstrategie

Draußen war Nacht, das Büro unfreundlich kühl. Ihre Jacken hingen auf Bügeln. Bramerthals Pistole steckte im Schulterhalfter. Rot kariertes Kurzarmhemd, er strich sich über die Arme, um die gelben Härchen zu glätten.

Die Chefin erklärte: „Der Leitende Direktor rief mich nach dem Alarm an und gab mir die Anweisung, Sie bei diesem Fall möglichst selbstständig arbeiten zu lassen.“

Schroth und Bramerthal wuchsen unter der Last von Verantwortung.

„Ich fürchte, der LD täuscht sich, hinsichtlich der Einfachheit des Falls“, schränkte die Chefin ein und sprach weiter, mit süffisantem Lächeln. „Der LD vermutet anscheinend, wir können die Täter aus dem Ärmel schütteln.“

KHK Elisabeth Schnürle hatte die Absolventen Johannes Bramerthal und Axel Schroth nach Göppingen geholt. Bramerthal erinnerte sich in diesem Augenblick an das Lampenfieber, das er beim ersten Eintritt ins Büro gespürt hatte. Mit einem Scherz wollte er sich locker machen.

„Das ist keine Normtür“, hatte er sich empört.

Die Chefin hatte trocken erwiderte: „Herr Bramerthal, sie sollten keine Pumps tragen.“

Seine flache Hand passte noch zwischen Türrahmen und Haar.

„Der LD ging vom einmaligen Fall eines Einzeltäters aus, aber wir haben die Handschrift einer Tätergruppe erkannt, die mindestens aus drei Personen besteht, sodass wir eine Spontantat ausschließen können.“

„Heißt Tätergruppe gleich Organisiertes Verbrechen?“, fragte Schroth gereizt. Er wartete auf keine Antwort, sondern fuhr fort: „Weshalb sollen wir den Fall behalten, wenn uns das LKA in einer Woche die Lorbeeren stielt?“

Schnürle zupfte an ihrem Blusenkragen. Sie wollte Schroths Abneigung gegen das LKA abschwächen und fragte: „Weshalb fürchten sie sich vor dieser Truppe?“

„Der Gedanke, wir nähern uns dem Ziel bis ein paar Klugscheißer kommen die nur Schaden anrichten, widert mich an“, sagte Schroth.

„Herr Schroth, wie sich so ein Fall entwickelt, können wir selten voraussehen. Sollte die Tätergruppe über den Bereich unseres zuständigen Präsidiums hinaus aktiv werden, käme das LKA automatisch ins Spiel und sollte die Gruppe im Bundesgebiet aktiv werden, müsste das BKA koordinieren. Letztlich verwendet die Polizei weltweit die gleiche Methodik, die sich nur durch Gründlichkeit unterscheidet. Wer persönlichen Erfolg sucht, arbeitet mit dem falschen Ansatz.“

Schroth knurrte mürrische Laute.

„Wir gehen an jede Tat mit der Überzeugung, dass wir sie aufklären werden. Der Blick nach hinten verbraucht kostbare Energie. Bisher spekulieren wir nur.“

„Ist mir schon klar“, sagte Schroth.

„Wir müssen uns außerdem auf Varianten durch Trittbrettfahrer vorbereiten. Die Entscheidung, ob das LKA zuständig ist, hängt nicht vom Wort organisiert ab.“

Sie wartete das zögerliche Zeichen des Verstehens ab.

„Wie gehen wir vor?“

Sie nickte zu Bramerthal.

„Ablaufanalyse wäre wohl das richtige Stichwort.“

Sie ging zur Flipchart, aber weder Bramerthal noch Schroth waren innerlich auf den Fall vorbereitet.

Die Chefin sagte: „Da es sich um den ersten bekannten Fall von Automatensprengung handelt, dürfen wir ein Übungsstück der Täter vermuten. Das Tatmotiv ist Geldbeschaffung, das Wozu klammern wir bei der ersten Betrachtung aus.“

Bramerthal erhob sich und ging von Wand zu Wand, vorbei an den zwei Fenstern. Er starrte dem Morgen wütend ins sonnige Gesicht.

„Müssen wir geduldig warten bis der nächste Automat explodiert?“, fragte er.

„Wir werden ein genaues Bild des Ablaufs erarbeiten, um den Modus Operandi zu erkennen. Mit diesem Wissen versuchen wir, Trittbrettfahrer zu lenken. Der Modus Operandi wird idealerweise eine Prognose zu weiteren Sprengungen ermöglichen.“

„Ähnlich einer Wettervorhersage.“

Bramerthals zynischer Kommentar wurde mit zustimmendem Kopfnicken honoriert.

Axel Schroth fragte: „Was hilft’s, wenn wir Trittbrettfahrer erkennen?“

„Wir müssen die Täter bis in die Details von Vorbereitung, Ausführung und Fluchtstrategie kennenlernen.“ Sie wandte sich an beide Mitarbeiter. „Haben wir einen Grund, uns vor dem LKA zu verstecken? Wir werden in jedem Fall eine Menge lernen. Ob das unser Fall bleibt, ist bedeutungslos.“

Sie zog das >Handbuch des Ermittlers von E. Schnürle< aus dem Bücherregal.

„Ich muss nachlesen, was ich geschrieben habe und notfalls korrigieren. Sie können mein Exemplar benützen, aber danach zurückstellen, weil ich Randnotizen für die nächste Ausgabe mache.“

Sie schob das Buch ins Regal zurück.

„Ab jetzt befinden Sie sich im Alltag des Ermittlers.“

Sie schrieb auf die Flipchart: >gesicherte Informationen<, >Vermutungen<, >Folgerungen<.

Aus Bramerthal sprudelten Stichworte, ihr Schreiber flog übers Papier. Nebenbei erklärte sie die Begriffe, die, in der Mühle der Ermittlung zu Beweisen gemahlen werden sollten. Nach dem Versiegen der Ideen betrachteten sie Tatortfotos auf Schnürles Bildschirm. Das Überwachungsfoto aus dem Automatenraum war in Schwarz-Weiß. Die Skimaske beulte sich stark aus. Der Mann war sehr groß, seine Augen fehlten auf dem Foto. Er überschritt die von Bramerthal definierte Normalgröße, seine Schulterbreite überforderte die Kamera ebenfalls.

Bramerthal zählte seine Beobachtungen auf und schloss: „Der Mann ist extrem groß und hat eine gewaltige Nase.“

Schnürle schob die zweite Kassette ins Gerät. Eine Strecke, längs der linken Hauswand, wurde von der Videokamera erfasst.

„Die Zeugen hatten gut beobachtet. Die kleine Person ist eindeutig eine Frau. Der Gang, die Hüften, ihre Kleidung könnte Schick vertragen“, sagte Schnürle. „Hinter dem Mann ist sie unscheinbar.“

Der Gang des Riesen war der hochbeinige Trab eines Gepards. Die Frau wirkte durch ihre kurzen Schritte kindlich. Ein Schritt des Riesen erforderte drei mädchenhafte Hüpfer.

„Ich vermute Kinderarbeit“, sagte Schroth.

Bramerthal setzte seine Tasse ab, weil er lachen musste.

Das Video lief drei Mal. Der Rucksack hing auf dem breiten Rücken wie ein Furunkel, obwohl er Geld und Werkzeug enthielt.

„Der Rucksack bietet Potenzial zur Spekulation, denn …“ Nach längerem Nachdenken sprach sie weiter. „Er ist für das Mädchen eingestellt. Im Auto braucht sie vermutlich keinen Rucksack.“ Sie wartete einige Sekunden und fragte: „Was jetzt?“

Sie schien über ihre eigene Feststellung erstaunt, reflektierte mit halb geschlossenen Augen, bevor sie weitersprach.

„Das Mädchen wird den Rucksack tragen. Sie könnte mit der Bahn fahren, zu Fuß gehen, wird sie …“ Sie schwieg wieder, um mit neuem Atem in Schroths Richtung zu sprechen. „Wir sind an dem Punkt angelangt, der bei der Fluchtbewegung besonders wichtig scheint. Das Mädchen übernimmt den Rucksack, um was zu tun?“

„Natürlich ist der Rucksack mit Vorsatz für die Frau eingestellt“, sagte Schroth, ohne einen Erklärungsversuch zu liefern.

Schnürle suchte einen neuen Ansatz.

„Die gesamte Tatausführung möchte ich klobig nennen. Es hat funktioniert, was wie der geglückte Anfang einer erfolgreichen Karriere wirkt.“

Die Mitarbeiter stimmten zu.

Sie fragte weiter: „Was würden wir verbessern?“

Die Ermittler machten sich über Auffälligkeiten Gedanken.

„Der gläserne Teppich auf der Straße war ein Anfängerfehler“, sagte Bramerthal.

„Was leiten Sie daraus ab?“, wandte sie sich an Schroth.

„Die Wucht der Explosion war zu groß“, sagte Schroth. „Die Glastür sollte geöffnet bleiben, denn die Splitter könnten Personenschäden verursachen. Ich kenne viele Automaten ohne Glastür, warum also?“

„Den großen Mann würde ich zu Hause lassen. Allen Zeugen fiel er auf. Er wird uns garantiert nie mehr begegnen“, vermutete Bramerthal.

Sie klebte ein Transparentblatt über den Stadtplan und zeichnete den Weg des Wagens, ausgehend vom Automaten, mit rotem Filzstift. Den Fußweg der Sprengmannschaft zeichnete sie blau, die Wege trafen sich in der Gottfried-Kinkel-Straße.

„Die Gruppe hat sich mit der Örtlichkeit beschäftigt und mindestens eine nächtliche Probefahrt unternommen, aber etwas fehlt in unserer Überlegung“, sagte Schnürle.

Bramerthal zeigte mit dem Laserpointer die Strecke zur B10 und schüttelte ablehnend den Kopf.

„Die Bande wird in keine vorhersehbare Falle stolpern. Wir sollten uns eine intelligente Fluchtstrategie überlegen.“

Er schwieg, die Chefin ermunterte ihn, weiterzusprechen.

„Das Mädchen steigt mit dem Rucksack aus. Der Wagen ist danach sauber.“

„Geht sie in die Jugendherberge?“ fragte Schroth.

„Nein und nein“, sagte Bramerthal empört. „Sie besteigt ein Motorrad.“

Er ging zu Schnürles Bildschirm, die anderen folgen. Plötzlich erkannten sie den derben Stoff und den Schnitt einer Motorradkleidung.

„Entweder geht sie zu einem versteckten Motorrad, oder der Fahrer wartet entlang der Fluchtstrecke.“ Schnürle zeigte Wegalternativen und setzte den begonnenen Gedanken fort. „Das Mädchen schätzen wir auf vierzehn oder fünfzehn. Sie wird nicht selbst Motorrad fahren, also ist sie Beifahrerin. Sie wird schnellstens zu dem Motorradfahrer gehen, der hinter Hecken oder Bäumen wartet.“

Ihr Laserpunkt kreiste um eine grüne Stelle, in der Nähe des Freibads.

„Das sieht aus, wie ein ideales Versteck?“

Der rote Punkt wanderte weiter.

„Sofern wir am Freibad nicht fündig werden, schauen wir hier. Die Übergabe an ein Motorrad ergibt einen konsistenten Ablauf. Wir prüfen unsere Überlegung, bevor die Spuren verwischt sind.

Schnürle und ihre Mitarbeiter fuhren zum Tatort. Sie suchten Einblick in das Täterverhalten. Die Tat wurde extrem schnell ausgeführt, weshalb die Zeugen keine entscheidende Beobachtung gemacht hatten. Nach viermaligem rechts Abbiegen gelangte ihr Wagen in die Boßlerstraße. Von hier sahen sie die Ecke der Sparkassenfiliale.

Der Wagen der Ermittler glitt zur Holzheimer Straße. Vier Augen prüften den Straßenrand. Schroth stoppte zehn Meter vor dem Zaun, der die Liegewiese des Freibads begrenzte. Sie stiegen aus. Mit gesenkten Blicken tasteten sie sich über den trockenen Rasen. Entlang des Radwegs boten Baumschatten Deckung und gleichzeitig freie Sicht. Sie gingen den Radweg mehrfach auf und ab, weil sie eine Schuhabdruckspur der Größe 36 finden wollten. Am Straßenrand erkannte Schnürle eine Stelle, wo ein grobstolliges Hinterrad Erde geschleudert hatte.

Falscher Tag

Bramerthal griff nach dem brummenden Handy und tauchte unter die Bettdecke. Er sog zuerst den erotischen Geruch der Nacht durch Mund und Nase. Seine linke Hand drückte das Handy ans Ohr, mit der rechten streichelte er Traudls glatten Bauch.

„Ich bin’s!“, meldete er sich.

„In der Lerchenberger Straße wurde ein Geldautomat gesprengt“, sagte die Chefin.

Traudl wälzte sich gegen seinen Körper, er grunzte lustvoll.

„Tut mir leid, wenn ich Sie bei der Abendgymnastik gestört habe“, sagte die Chefin. „In einer halben Stunde am Tatort.“

Er legte das Handy zurück, drehte sich auf den Rücken, Traudl legte sich auf ihn.

„Nichts soll zwischen uns stehen“, flüsterte sie.

Das Licht des Displays verlosch.

„Du kennst meine Chefin“, sagte er.

„Sie ist einen Monat jünger.“

Er schaltete das Nachtlicht an, um in ihre Augen zu schauen.

„Ein Geldautomat wurde gesprengt.“

Damit war der Zauber gebrochen. Sie huschte aus dem Zimmer.

Er nahm die Schlüssel von seinem Kleiderbündel, alles lag geordnet und griffbereit. Er würde jedes Kleidungsstück bei absoluter Dunkelheit finden. Er holte die Pistole aus dem Stahlschrank, legte sie zwischen die Schuhe.

Traudl zerwühlte ihr Bett, um ihre Töchter zu täuschen. Er packte sein Kleiderbündel auf einen Küchenstuhl, die Pistole schob er darunter. Das Magazin legte er im Bad neben die Dose mit Rasierschaum. Unter der grellen Deckenlampe strahlte sein Haar wie ein brennender Heiligenschein.

„In einer halben Stunde.“

Ihre Füße tappten über die kalten Fliesen der Küche, als er sich aus der Duschkabine herauszwängte. Er beendete das Lied, das er gesummt hatte. Traudl goss Kaffee in seine Trinkschale, er schüttete heiße Milch dazu. Sie trank eine Tasse Kaffee, später frühstückte sie ausgiebig mit ihren Töchtern.

„Brama, die Mädchen mögen dich sehr“, sagte sie.

„Es könnte nicht schöner sein. Ich schätze dieses wunderbare Gefühl von familiärer Geborgenheit. Ich mag deine Töchter, ich liebe dich, aber du weißt…“

Den abgebrochenen Satz sprach er selten in voller Länge. Er hatte den Satz auch nie hinterfragt, aber seit seinem sechzehnten Jahr ständig wiederholt.

„Schon wieder ein Geldautomat“, beendete sie das Thema. „Hoffentlich nicht bei meiner Filiale?“

„Diesmal ist die Volksbank betroffen.“

Die Nacht von Freitag auf Samstag versprach den höchsten Ertrag, weil die Schubladen fürs Wochenende gefüllt waren. Mit einer Explosion am Mittwoch hatten sie nicht gerechnet. Kurz vor halb elf Uhr ging der Alarm los, die Ringfahndung stand wenige Minuten später.

Aus zwanzig Metern wirkte der Tatort ungewöhnlich. Nicht fehlendes Glas irritierte, sondern die Umgebung. Der Automat hing in einer Nische, in der sich eine Person bewegen konnte. Der seitliche Sichtschutz war gewährleistet, die Handhabungen am Automaten blieben verborgen. Ein Vordach aus Kupferblech diente als Regenschutz für Mensch und Material. Ein Kollege der SpuSi beschäftigte sich mit dem grauen Blechteil, das in der Gosse lag. Die Explosionswirkung war optimal dosiert. Schroth schüttelte entrüstet den Kopf über die nachlässige Leerung der Schubladen.

„Nein!“, war Schnürles erster Kommentar. Sie überlegte weiter. „Da liegen noch ein paar hundert Mark. Was sollen wir davon halten?“

Der ältere Kollege im weißen Anzug näherte sich, breit grinsend.

„Können Sie schon etwas sagen?“, fragte Schnürle.

„Der Täter verwendete Feuerzeuggas.“ Er hielt eine Beweismitteltüre hoch.

„Sie vermuten einen Einzeltäter?“

„Die leere Kartusche lag im Rinnstein.“

„Gas“, sagte Schnürle, mit bedächtigem Kopfnicken. „Können Sie grundsätzlich erkennen, um welches Gas es sich handelte?“

„Butan wird unter anderem als Feuerzeuggas verwendet. Campinggas wäre das einfachste Sprengmittel, also Butan oder Propan. Industriegase sind schwer zu handhaben.“

„Lassen sich die Gase beim Flammverhalten oder …“ Sie hob fragend die Schultern. „… auf schnelle Weise unterscheiden?“

Schroth und Bramerthal näherten sich wie wissbegierige Schüler. Sie suchten eine Erklärung für die Frage der Chefin.

„Butan und Propan sind ähnlich. Sie haben sogar ein gemeinsames Sicherheitsdatenblatt. Vermutlich lässt sich kein Unterscheidungsmerkmal finden.“

Der Kollege zeigte schwarze Flocken, in einer Ecke der Automatennische.

„Zwei Meter zusammengedrehtes Toilettenpapier war die Lunte.“

„So eine Zündschnur scheint extrem schnell brennend, was sie extrem gefährlich macht“, sagte Schnürle.

„Die Brenndauer schätze ich auf eine Sekunde. Der Täter befand sich außerhalb des Gefahrenbereichs.“

„Fingerabdrücke?“, fragte sie.

„Vermutlich jeder Finger beider Hände.“

„Hallo!“, rief eine Männerstimme von gegenüber.

Schroth und Bramerthal gingen hinüber. Der Mann saß auf der Gartenmauer, dunkle Hauskleidung, ein Mittvierziger.

„Mein Name ist Müller, ich habe die Polizei angerufen.“

Sie schüttelten die Hände.

„Beschreiben Sie, was Sie gesehen haben“, bat Bramerthal.

„Ich ging hinters Haus, um nach der Waschbärenfalle zu schauen. Das Viehzeug hat mir schon das halbe Dach abgedeckt.“

Der Mann wollte zuerst allgemeinen Ärger loswerden.

„War die Jagd erfolgreich?“, fragte Bramerthal.

Sein Kopfschütteln verriet fehlendes Waidglück.

„Bevor ich das Haus verlasse, schaue ich mich um. Auf der anderen Straßenseite näherte sich ein Mann. Er führte ein Selbstgespräch. Weil die Falle leer war, kam ich nach kurzer Zeit zurück. Eine Explosion krachte. Ich wunderte mich, wohin der Mann verschwunden war. Ich versuchte zu begreifen, was geschehen war.“

Er legte eine Schockpause ein. Schnürle kam dazu.

„Ich sah den Mann im Rinnstein, dachte er sei verletzt, wollte losrennen, erkannte aber rechtzeitig, was da ablief. Er raffte Geld zusammen. Jetzt trug er ein weißes Unterhemd, der Pullover war zum Geldsack umfunktioniert. Er verschnürte ihn mit den Ärmeln. Ich fragte, was er da mache, und er schaute mich blöd an. Ich sagte, ich rufe die Polizei, da rannte er weg. Nach ein paar Metern fiel er in gemächlichen Trott. Ich wollte sehen, wo er verschwindet.“ Sein Arm blieb ausgestreckt. „In der zweiten Seitenstraße. Man kennt sich in der Gegend, aber ...“ Er schüttelte den Kopf.

„Herr Bramerthal, suchen sie den Mann“, forderte die Chefin.

Er folgte der Spur des Geldes, sammelte vier Scheine aus dem Rinnstein, andere lagen auf dem Gehweg. Die Nacht war windstill. Er betrachtete die Häuserfronten, sah ein beleuchtetes Fenster. Das Gartentor stand offen. Er stieg vier Steinstufen zur Haustür hoch. Bei beiden Klingeln stand Pechbrenner. Er drückte die Klingel des ersten Stocks. Nach einigen Minuten hörte er leise Stimmen. Ein Mann im Morgenmantel stand in der Tür, die rechte Hand in der Tasche.

„Sie wünschen?“, fragte er schroff.

Er war absolut nüchtern. Bramerthal stellte sich mit Dienstausweis vor.

„Sollte hier ein Mann wohnen, der vor wenigen Minuten heimkam, so muss ich ihn vermutlich festnehmen.“

„Mein Sohn!“, sagte der Mann ohne Überraschung. „Sperren Sie den Nichtsnutz ein!“

Der ältere Pechbrenner ging voraus die Treppe hoch.

„Marika mach auf. Hier ist die Polizei.“

Eine junge Frau öffnete. Sie hielt den Morgenmantel beidhändig zusammen, unter dem dünnen Stoff fröstelte sie.

„Ist ihr Mann vor wenigen Minuten heimgekommen?“, fragte Bramerthal.

Sie öffnete die Wohnzimmertür, der Mann schnarchte auf der Couch, die linke Wange auf ein Kissen gedrückt, das Gesicht zeigte zur Rückenlehne. Auf dem Boden lag ein dunkelblaues, verknotetes Wollbündel. Die Hände der Frau sanken vom Morgenmantel. Er betrachtete zuerst die Frau und anschließend galt dem Schläfer sein Mitleid.

„Haben Sie eine Tüte, in die ich den Pullover stecken kann?“

Sie brachte die Kleidertüte eines Kaufhauses, hielt sie mit beiden Händen offen.

„Ist Ihnen nicht kalt?“, fragte Bramerthal.

Er versenkte den Beweis und schaute sich nach verlorenen Scheinen um.

„Auf mich wartet ein heißes Bett“, sagte sie.

Sie rannte ins Bad, putzte die Zähne, schwankte aus dem Bad, ihr Schwiegervater hielt sie mit beiden Armen fest. Bramerthal gab ihr eine Karte, notierte die Personendaten.

„Wie reagiert Ihr Gatte, wenn er nüchtern ist?“

„Wie ein Säugling.“

Bramerthal ärgerte sich über die Leichtigkeit, mit der ein Geldautomat seines Inhalts beraubt werden konnte. „Wenn jeder frustrierte Mann zum Trinker und Automatensprenger wird …“ Er beendete den Gedanken nicht, wiederholte das Bruchstück aber zwei Mal.

Schroth war heimgefahren, Schnürle wartete unter dem Kupferdach.

„Der erste Trittbrettfahrer, der mitsamt dem Brett abgestürzt ist“, sagte Bramerthal.

„Wie hat er den Sturz überlebt?“

„Er wird morgen auf die Direktion kommen.“

Er verzog seinen Mund zu einer Fratze, hielt die Einkaufstüte hoch.

„Müssen wir das Geld zählen, bevor wir die Tüte asservieren?“

„Zählen!“

Die Frau brachte ihren Mann zur Direktion. Der Fall war eindeutig. Die Einlassungen eines Anwalts hätten nur verzögernde Wirkung gehabt. Der junge Pechbrenner unterschrieb sein Geständnis. Die Frau brach in Tränen aus. Pechbrenner reichte ihr sein Taschentuch, das sie ihm wütend aus der Hand riss.

„Wie ein Säugling“, sagte sie zu Bramerthal, „aber ich bin keine Amme.“

Er schaute in den großzügigen Ausschnitt, öffnete den Mund zum Widerspruch und schwieg.

Versöhnungstag

Die Unruhe vor der Essenausgabe endete mit dem elektromotorischen Rasseln der Rollläden. Montags waren die Küchenfrauen makellos gekleidet, dunkelblaue Kittelschürzen, weiße Hauben. Ein Stich durch die knackende Panade, eine Kelle Pommes. Schnürle steuerte den Stammplatz an. Meist blieb der vierte Stuhl frei.

Montage nannte Bramerthal Versöhnungstage. In der Direktion arbeiteten drei Vegetarier und ein Muslim. Die Vegetarier lobten die Festigkeit des Imitats und der Muslim schwärmte vom Kalbsgeschmack. Man war von zwölf bis eins mit der Realität versöhnt, die Wahrheit war ein Staatsgeheimnis.

Staatsanwalt Wahran näherte sich. Beim Absetzen des Tellers, der mit Pommes frites überhäuft war, sagte er das obligate „Mahlzeit“. Er wandte sich an KHK Schnürle.

„Ist die Automatensprengung ein Übungsmatch für ihre Truppe, oder wird sich der Fall entwickeln?“

Schnürle hielt die Gabelhand vor den sprechenden Mund. „Wir erkennen bereits eine Entwicklung. Mittwochnacht hat sich ein Betrunkener erfolgreich mit der Sprengung versucht.“

Sie holte die Digitalkamera aus ihrer Jackentasche, suchte ein Foto und schob die Kamera neben Wahrans Teller. Er unterbrach den Kauprozess, um dem Anblick sprachlose Referenz zu zollen. Seine Brauen lagen wie der Strich eines schwarzen Textmarkers über den wasserhellen Augen. Er legte das Messer aus der behaarten Hand und strich das kurze Haupthaar nach hinten.

„Das Haus auf der anderen Straßenseite ist dreißig Meter entfernt.“ Sie suchte das Foto mit dem zerschossenen Rollladen. „Wenn ein Wagen oder Zweirad vorbeigefahren wäre …“

Er ergänzte ihren angebrochenen Satz. „… könnte ich ein Körperdelikt vor die Schranke bringen.“

Er nutzte das Schweigen zu hastigem Schlingen, aber nachdem er Messer und Gabel in den blanken Teller gelegt hatte, sagte er: „Ich sollte gründlicher kauen.“

Seit einer Woche hing in der Kantine eine vielseitige Kaffeemaschine, die über die Personalnummer abbuchte. Wahran lud zum Espresso ein. Neben der Maschine standen vier Stehtische.

Er wandte sich an Bramerthal. „Wie bewerten Sie die Automatensprengungen?“

Wahran hatte ihn noch nie nach seiner Meinung gefragt. Zuerst ergründete der Kommissar den Subtext der harmlosen Frage.

„Wir vermuten beim ersten Fall einen Test, welcher zur Optimierung weiterer Sprengungen dient.“

Wahran sagte: „Optimierung von Verbrechen könnte ein neuer Fachbereich für Wirtschaftslehrstühle werden.“

Schnürle und Schroth gingen ins Büro zurück. Bramerthal verließ das Gebäude, um in den kleinen Park zu gehen. Die Ruhe war angenehm, leichter Honigduft würzte die Luft, die wie ein Netz zwischen den Zweigen hing. Wenn er sich von einem mitgebrachten Brot ernährte, setzte er sich auf eine Bank. Spaziergänge waren eine Wohltat für Verdauung und Gehirn. Eine Runde auf dem schattigen Weg genügte.

Die Chefin wartete auf seine Rückkehr, nahm ein braunes Kuvert aus dem Eingangskorb. Zum Brieföffnen besaß sie ein winziges Samuraischwert, das sie zeremoniell aus der winzigen Holzscheide zog. Ratsch führte sie den Schnitt aus und schaute wie ein Chirurg, auf der Suche nach dem Blinddarm.

„Von der SpuSi“, erklärte sie. „Bei der Gelegenheit möchte ich etwas zu unserem Fall sagen. Die Ausführung einer effizienten Sprengung ist verlockend einfach.“ Sie machte eine Pause, stellte Schroth eine Testfrage: „Können wir das Aufspringen von Trittbrettfahrern verhindern?“

„Verhindern können wir das sicher nicht.“

Sie nickte zustimmend und sagte: „Damit lautet die nächste Frage: Wie können wir Trittbrettfahrer erkennen?“

„Am Modus Operandi“, sagte Bramerthal.

Wieder nickte sie zustimmend und ergänzte kritisch: „Intelligente Trittbrettfahrer versuchen, die Ersttäter fehlerfrei zu kopieren, um den Verdacht auf diese zu lenken.“

Die jungen Kommissare beobachteten erwartungsvoll, wie sie ihren Zopf auf den Rücken schleuderte. Manchmal schien ihr Haar ein Eigenleben zu entwickeln, wenn es sich über den Busen legte und bei jedem Wort mit der Spitze zuckte.

„Ich lese den Bericht der SpuSi vor und wir überlegen, ob sich daraus ein Ansatz bietet. Sie erinnern sich, wie ich nach dem verwendeten Gas gefragt habe? Hier ist die Antwort der SpuSi.“

„Der Bericht soll Antworten zum verwendeten Gas geben. Am Zündort (Primärflamme) tritt die größte Wärmeentwicklung auf. Der Vorteil von den Campinggasen Propan bzw. Butan liegt darin, dass sie sich problemlos beschaffen lassen und in einem großen Mischungsspektrum (Sauerstoff/Gas) gezündet werden können. Versengungen des Lacks und Anschmelzen eines Kunststoffteils sind, bei der Verwendung von Propan, an der Einführöffnung für die EC-Karte erkennbar (siehe beiliegende Fotos).“

Ihre Stimme krächzte, sie reichte Schroth die Fotos. Bramerthal ging zur Kaffeemaschine, wo er ihre Tasse füllte. Sie trank einen großen Schluck.

„Den technischen Teil werde ich Ihnen ersparen. Wer sich dafür interessiert, kann die Einzelheiten nachlesen.“

Sie beobachtete die Gesichter über den Rand ihrer Tasse hinweg, womit sie absolute Aufmerksamkeit forderte, die sie durch langsames Absetzen der Tasse steigerte.

„Im Versuch mit Butan tritt am Zündort keine Verbrennung auf, wofür noch keine Erklärung existiert. Es sei angemerkt: Eine Explosion ist keine kontrollierte Verbrennung. Nachtrag: Butan ist für den Wintereinsatz ungeeignet.“

Schroth zerstörte die unfertige Pause mit einer ungeduldigen Frage. „Was machen wir daraus?“

„Erinnern Sie sich an meine Bemerkung zu Trittbrettfahrern? Mit Butan gehen wir an die Presse. Nur die SpuSi und wir wissen, welches Gas bei der ersten Explosion verwendet wurde. Wir können Propan mit dem beschriebenen Schnelltest identifizieren und daran das Original von der Kopie unterscheiden. Wegen der strengen Geheimhaltung war das Kuvert verschlossen.“

Bramerthal betrachtete die Fotos, während die Chefin weiterlas:

„Der Zündmechanismus basierte beim ersten Fall auf einem Elektroschocker. Um das Einführen in den Kartenschlitz zu ermöglichen, wurden die Leitungsenden dünner gehalten.“

Sie betrachtete ihre Mitarbeiter in Erwartung eines Aha-Effekts.

„Damit ist der Modus Operandi weitgehend definiert“, sagte sie abschließend.

Die Ermittler stießen mit den Kaffeetassen an. Die dunkelblauen Tassen unterschieden sich durch den Anfangsbuchstaben der Vornamen, E war die Tasse der Chefin, A war Schroths Tasse, J war Bramerthals Tasse.

Die Chefin schloss träumerisch die Augen. „In Göppingen gibt es zwischen 50 und 100 solcher Automaten, in Baden-Württemberg abertausende und im Bundesgebiet …“ Leise murmelnd zählte sie alle Geldautomaten. „Unvorstellbar viele!“, stöhnte sie.

Sie überließ ihren Mitarbeitern die gedankliche Weiterführung des Gesagten.

„Hilft uns die Frage, weshalb dieser Automat gesprengt wurde? Will sagen: Erkennen wir was einen Automaten besonders attraktiv macht?“, fragte Bramerthal. Ohne eine Antwort zu erwarten, sprach er weiter: „Wir könnten überlegen, …“