Allerlei Kurzgeschichten - Hajo Heider - E-Book

Allerlei Kurzgeschichten E-Book

Hajo Heider

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Beschreibung

Hier sind einige Kurzgeschichten des Autors versammelt, die er seit 2007 für Anthologien oder Wettbewerbe eingereicht hat. Dabei hat er auch den Charakter von Kommissar Bramert entwickelt. Das Spektrum reicht von Grusel, Erotik, Liebe über Fantasie zum Krimi. Bei den meisten Geschichten hat er, gegenüber der Druckversion, kleinere oder größere Änderungen vorgenommen.

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Inhaltsverzeichnis

Limburg Süd

Die Umkehrung des Spiegels

Der Interferenzspiegel

Zartbitterträume

Boskop in Stücken

Das Spiegelkabinett

Frisch gewürzt

Franklin

Hochspannung

Entführt

Profilsuche

Der ferne Tod

Remote Death

Ritterspiele

Tod im Weinkeller

Al Khozama – die Wüstenblume

Der Flug des Geiers

Weitere Veröffentlichungen des Autors:

Umschlaggestaltung

© Hajo Heider 2015

Nach Fotografien von Isolde Heider

Allerlei Kurzgeschichten von Hajo Heider

Copyright: © 2015 Hajo Heider

Über dieses Buch:

Hier sind einige meiner Kurzgeschichten versammelt, die ich seit 2007 für Anthologien oder Wettbewerbe eingereicht habe. Dabei habe ich auch den Charakter von Kommissar Bramert entwickelt. Das Spektrum reicht von Grusel, Erotik, Liebe über Fantasie zum Krimi. Die meisten Geschichten haben kleinere oder größere Änderungen erfahren.

Limburg Süd

Diese Liebes-Kurzgeschichte habe ich 2007 für die Kurzgeschichten-Plattform des Dr. Ronald Henss Verlags geschrieben. (Dort stehen weitere meiner Kurzgeschichten.) Vorgabe war der erste Abschnitt zwischen > und <.

>Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.

Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.<

„Herr Professor, Sie sollten sich fertigmachen“, flüsterte Veronika von der offenen Bürotür.

Karl Beutler rief seine Sekretärin zu sich und zeigte auf den Alten Turm. „Spüren Sie die Ruhe des alten Gemäuers?“

Abendrot färbte die linke Seite des Turms. Sie trat näher, wobei sie den Kopf schüttelte, bis das kurz geschnittene Haar um die Ohren federte.

„Ohne Dach und dann noch blutrot gefärbt, denke ich an einen kaputten Zahn, was mich nicht wirklich beruhigen kann. Altes muss gepflegt werden, wenn es sich nicht selbst pflegen kann.“

Karl grinste sie spöttisch an und zupfte an seiner roten Seidenkrawatte. Dann nickte er. „Nach meiner Rückkehr werde ich mit dem Bürgermeister sprechen.“

„Fahrkarte und Flugticket stecken außen in der Tasche mit den Projektunterlagen. Ihre Kleider befinden sich im Rollkoffer. Herr Professor, ich fahre Sie zum Bahnhof.“

Geräuschlos fraß sich der ICE durch die Landschaft. Sie hatte den Platz am Gang gewählt. Über der anderen Sitzreihe des Erste-Klasse-Abteils steckte eine Platzreservierung. Sie saß allein in den blauen Polstern, auf dem Tischchen stand der aufgeklappte Laptop, ein Kopfhörer bedeckte ihre Ohren. Sie lauschte der eigenen Stimme und verfolgte die automatisch ablaufende Präsentation. Das Projekt war eine Herausforderung für das junge Team.

Vor einer Woche schien der explosive Dampf aus der Arbeitsstimmung zu entweichen. Sheryll hatte gespürt, dass unterschwellige Strömung an ihren Beinen zerrte, so, als solle sie fallen. Vor zwei Tagen folgte die Hiobsbotschaft: „Der Chef liegt mit Grippe im Bett.“

Alles wirkte inszeniert. Sheryll erkannte, dass sie als Bauernopfer ausersehen war. Sie protestierte. „Mein Deutsch ist nicht so, dass ich in jeder Situation souverän wirken könnte. Es sollte noch jemand mitfahren. Das Thema ist für eine Person zu komplex.“

„Du wirst das Kind schon schaukeln“, war die lapidare Antwort.

Sheryll hatte die Kleidung sorgfältig ausgesucht. Sie trug ein graues Seidenkostüm mit einer dunkelroten Bluse, die einen tiefen Einblick erlaubte, sofern sie den Oberkörper vorbeugte. Das dunkle Rot verlieh ihren weiblichen Schwellungen königliche Blässe. Ihre Schuhe waren erhöht, aber nur so, dass ihre schlanken Beine unendlich lang wirkten. Der Frisur hatte sie Strenge gegeben. Sie betrachtete das hochgesteckte braune Haar vor dem Band der vorbeigleitenden Landschaft. Die Lippen hatten nichts von ihrer fruchtigen Farbe eingebüßt. Zu dem Kostüm passte die schlichte Titanuhr.

>Eine Nacht im Hotel bekommt mir sicher gut<, dachte sie. >Ich gehe die Präsentation noch einmal durch. Dann lege ich mich früh ins Bett und frühstücke ausgiebig.< Der letzte Gedanke zauberte ein Lächeln um ihren kirschroten Mund.

Unerwartet drängte sich der männliche Schatten auf, der ihr Leben wie ein römischer Wagenlenker vorangepeitscht hatte. Seit Sherylls sechzehntem Geburtstag hatte dieser Schatten einen Namen, einen deutschen Namen. „Er ist Architekt und heißt Karl Beutler“, hatte ihre Mutter verraten. Trotz Sherylls Zweifeln hatte ihre Mutter das Versprechen zu ihrem sechzehnten Geburtstag eingelöst. Dieser Name hatte ihren weiteren Lebensweg bestimmt. Sie überdachte die zwanghaften Abfolgen, die sie nach dem Studium nach Köln geführt hatten. Aber die Arbeit hatte den Namen in den Hintergrund gedrängt. Zwischen zwei Gedanken und einem zerstreuten Blick aus dem Fenster war der Name unerwartet zurückgekommen.

Veronika fuhr gern mit dem Mercedes. Es störte sie nicht, dass Karl im Fond schwieg, oder mit seinem Laptop arbeitete. Der Wagen war mit elektronischen Neuheiten ausgestattet, die Karl wie in seinem Bürosessel arbeiten ließen. Diesmal unterhielt er sich während der Fahrt mit Veronika.

„Sie sind so gut gelaunt“, sagte sie nach hinten.

„Ich habe die Unterlagen der Mitbewerber studiert. Wir werden den Auftrag bekommen, München gehört uns!“

„Soll ich bereits gratulieren?“

Karl lachte: „Nur wenn Sie mit dem Schicksal so gute Beziehungen pflegen, wie ich mit meinen Auftraggebern.“

„Und die Jury in Frankfurt ist wahrscheinlich belanglose Routine?“

„Eine interessante junge Arbeit ist dabei, der leider mangelnde Erfahrung anzumerken ist.“

Veronika beobachtete im Rückspiegel Karls gleichgültiges Schulterzucken.

„Mich wundert, dass Sie nicht mit dem Wagen nach München fahren.“

„Sie müssten mich fahren“, erwiderte er, um dann in lautes Lachen auszubrechen. „Veronika, ich weiß, dass Sie alte, pflegebedürftige Monumente mögen.“

Veronika rang nach Luft. „Professor, Sie sind zwar nicht alt, aber pflegen würde ich Sie trotzdem, sozusagen als präventive Maßnahme.“

„Sie machen sich über meine Leidenschaft für junge Frauen lustig. – Ich weiß selbst, wie unmöglich ich bin.“

Veronika zog den Rollkoffer, beide lächelten über ihre Unterhaltung, die nur in der Abgeschiedenheit des Wagens möglich gewesen war. Sie standen am Bahnsteig. Der ICE wurde angekündigt. „Limburg Süd … Abfahrt 19 Uhr zur Weiterfahrt nach Frankfurt am Main.“

„Viel Erfolg, Chef!“

Er nahm sie in die Arme und küsste ihre Wangen.

„Wenn ich nicht dieser unmögliche Typ wäre“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie lachte: „Lassen Sie’s gut sein Chef. Mein Mann wäre bloß eifersüchtig.“

Der Zug stand bereits, als Karl die Umarmung öffnete. Zwei Meter vor ihm zischte eine Tür auf. Er nahm den Rollkoffer in eine Hand und die Tasche in die andere und stieg ein. Zischend schloss die Tür. Er winkte zweimal, dann war das moderne Bahnhofsgebäude nach hinten weggeflogen.

„Ich dachte, der Zug fährt ohne Halt“, sagte Sheryll, als sie die Verzögerung des Zugs spürte. Vor der Weiche zum Bahnsteig in Limburg Süd hatte der Zug von 300 Stundenkilometern auf 100 abgebremst, dann folgte ein kleiner Schlenker und Stillstand. Sie hörte die Durchsage des Lautsprechers, blickte von ihrem Laptop hoch und durch die getönte Scheibe. Ein großer, grau melierter Herr verabschiedete sich von seiner Frau. Er löste die Umarmung, nahm sein Gepäck und verschwand. Als der Zug angefahren war und mit kleinem Schlenker auf die Schnellfahrstrecke zurückkehrte, senkte sie den Blick zu ihrem Laptop. Ein kleiner Windhauch streifte ihre nackten Beine. Sie schaute hoch. Der grau melierte Herr schob die Abteiltür zu und lächelte ihr entgegen. Er grüßte, sie setzte den Kopfhörer ab und grüßte zurück. >Er hat eine sexy Stimme<, dachte sie.

„Fahren Sie nur bis Frankfurt, oder fliegen wir zusammen nach München?“, wollte er wissen.

Sein Lächeln war so frei und ohne Hintergedanken, dass sie antwortete: „Nur bis Frankfurt. Ich muss morgen ein Projekt vorstellen.“

„Ich bleibe auch eine Nacht in Frankfurt. – Aber ich will Sie nicht bei Ihrer Arbeit stören.“

Sheryll betrachtete den Mann, der, mit übergeschlagenem Bein, wie ein Dressman, auf dem Polster saß. Sie überlegte, ob sie ihn als Störung betrachten solle. Schließlich war sie überzeugt, dass ihr ein Gespräch aus einer mentalen Krise helfen könne. Sie warf einen scheuen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Sie stören mich nicht. Wir haben nur noch vierzig Minuten, dann müssen wir uns wieder trennen“, sagte sie.

Das Gespräch begann als Zuggespräch. Sheryll wollte wissen, ob er viel reise. Er bemerkte ihren englischen Akzent und fragte, wo sie herkomme und wo sie arbeite. Damit war für Karl die Plauderei beendet und wurde zum ernsthaften Gespräch.

„Ich arbeite in einer Planungsfirma in Köln“, sagte sie. „Und was arbeiten Sie?“

„Ich bin Professor an der Kunsthochschule und arbeite auch privat.“

Karl studierte ihr Gesicht, das absolut symmetrisch und überaus sympathisch war. Sie reichte ihm eine Geschäftskarte, die er geschickt fallen ließ, dass sie sich für ihr Missgeschick entschuldigte und sich danach bückte. Ihr Ausschnitt öffnete sich erwartungsgemäß und zeigte Brüste, die seine Erwartung übertrafen. Als sie hoch schaute, um ihm die Karte zu reichen, erschrak sie über das unbewegte Gesicht, aus dem ein graues Augenpaar brannte. Karl konnte weibliches Staunen nicht aus der Fassung bringen. Sein zustimmendes Lächeln schmeichelte den meisten Frauen.

„Sheryll Bratton“, las er laut. „Arbeiten Sie gern bei dieser Firma? Sind Sie ein Partner von „Hubschmitt und Partner“?“

Die strenge Frisur drehte sich verneinend nach links und rechts. In diesem Moment spürte Karl Trockenheit in seiner Kehle.

„Ohne Gewinn dieses Auftrags ist unsere Mannschaft zu groß. Verstehen Sie, wie wichtig für mich der Erfolg ist?“

Karl überlegte einige Sekunden, wie wichtig Erfolg für ihn war. Erfolg macht sexy! Er liebte junge, offene Frauen mehr als geniale Männer, sich selbst vielleicht ausgenommen.

„Wo haben Sie so verdammt gut Deutsch gelernt?“

Ihr Lächeln brachte ihn fast um den Verstand. „In meinem Bücherregal stehen sechs Harry-Potter-Bände - alle auf Deutsch.“

„Und ich habe sieben englische Bände.“

Beide lachten herzhaft. Dann breitete sich entspannter Ernst auf Karls Gesicht aus. „Darf ich einen Blick auf ihr Projekt werfen? Als Künstler kann man immer noch lernen.“

„Was sollten Sie von mir lernen können? Aber setzen Sie sich neben mich.“ Sie erhob sich aus ihrem Sitz und schob sich auf den Platz am Fenster. Karl sog am Geruch ihrer Körperwärme.

Sheryll öffnete die Präsentation. Karl wusste, dass er die Arbeit bereits gesehen hatte und morgen als Jurymitglied sein Urteil verkünden werde. Er kannte die Stärken und Schwächen des Projekts. Was ihm gefiel, war eine Ausstrahlung, die er „unglaubliche Frische“ nannte.

„Erzählen Sie mir, worum es geht“, bat er.

Sie sprach über das Projekt, zeigte Bilder und Pläne. Er machte vorsichtige Einwendungen, wo er bereits Probleme erkannt hatte. Sheryll und Karl diskutierten heftig. Sie waren bei der zehnten Präsentationsfolie, als der Zug abbremste und geschmeidig im Hauptbahnhof einrollte. Beide starrten sich erstaunt an.

„Wir sind am Ziel“, sagte sie.

„Oder bereits auf einem neuen Weg.“

„Wir hätten einen langsamen Zug nehmen sollen, dann könnten wir weiterdiskutieren.“

„Sheryll, wir könnten uns einbilden, in einem Schlafwagen zu liegen, dann hätten wir bis zum Wecken Zeit.“

Sie stiegen in ein Taxi. Als das Taxi losfuhr merkten sie, dass sie weiterhin nebeneinandersaßen. Sie betrachteten sich erstaunt. Er legte eine Hand auf ihre Hand. Karl nannte sein Fahrtziel. Sie schwieg lange, bis sie sich mit leichter Gesichtsröte an Karl wandte.

„Wie meinen Sie das mit dem Schlafwagen? Ich hoffe, dass ich etwas falsch verstanden habe.“

Sanft lächelnd studierte er die junge Frau, die alle seine Forderungen erfüllte. Er wog seine möglicherweise zu schnell gefasste Meinung und betrachtete sie noch einmal. >Bin ich zu voreilig<, fragte er sich. >Bin ich bereits zu alt?<

Karl lächelte mit diesem Blick, den er schon oft erfolgreich getestet hatte. „Wenn Sie aus meinen Worten entnommen haben, dass ich Sie für eine perfekte Frau halte, dann bekenne ich mich schuldig. Aber Sie haben recht, dass der >Schlafwagen< zweideutig interpretiert werden kann, weshalb ich mich Ihrer Kritik unterwerfen muss.“ Er legte eine kleine Pause ein, zuckte gespielt ungelenk mit den Schultern. „Ich habe eine Suite mit zwei Zimmern reserviert. Ich würde Ihnen gern das eine Zimmer überlassen und wir könnten weitersprechen.“

Sheryll blickte schweigend aus dem Fenster. Sie musste Karls Worte verdauen. Seine Einladung war mehr als ein Angebot zu einer Tasse Kaffee. Dass sie nicht sofort abgelehnt hatte, betrachtete sie als bedenkliche Gefühlsverwirrung. Schließlich war sie hin- und hergerissen zwischen zwei konträren Wünschen: Sofort aussteigen oder bis zum Wecken sprechen. Sie war sich sicher, dass sie sprechen wollte, aber sie schwieg.

Karl wandte den Kopf zu ihr. Der Nacken gefiel ihm, der Sitz ihres eleganten Kostüms gefiel ihm, der Dunst ihrer Poren verwirrte ihn. Sie schaute in Fahrtrichtung, sodass Karl noch den geraden Rücken ihrer Nase bewundern konnte. Das Grübchen ihrer linken Wange war eingesunken, als ob sie innerlich kicherte.

„Das von Ihnen entworfene Firmenlogo ist gelungen. Den Namen Kramlich mit einem Kranich zu symbolisieren ist genial. Der diagonale Flug symbolisiert Aufstieg, aber ich würde den Vogel in einen diagonalen Rahmen setzen, innerhalb des äußeren Rahmens. Die Farbe des Kranichs gelb, der innere Rahmen rot und außen schwarz. – Sie verstehen: Schwarz, Rot, Gold.“

Sheryll schwieg.

„Natürlich ist das Logo angesichts des Gesamtprojekts ohne Bedeutung, aber durch solche Kleinigkeiten fühlen sich die Kunden verstanden.“

Die Taxifahrt dauerte noch zwanzig Minuten. Sie presste die Lippen aufeinander, starrte auf das Geschehen vor der Motorhaube. Karl suchte vergeblich nach einer Reaktion. Der große Hotelblock näherte sich viel zu schnell und Karl bedauerte das Ende der Fahrt.

„Darf ich Ihnen einen Abschiedskuss geben?“, fragte er schüchtern.

Sie wendete den Kopf. Ihre Augen spiegelten Schreck, Bedauern, Erlösung. Karl verwirrte diese Reaktion, aber er machte, was ihm seine Eingebung befahl. Er küsste Sheryll. Sie legte die Arme um seinen Hals.

Als das Taxi anhielt, sagte sie: „Ich will mich nicht verabschieden.“ Danach wischte sie mit einem Papiertaschentuch leuchtendes Kirschrot von Karls Lippen.

Karl änderte die Zimmerreservierung. Ein livrierter Page erhielt eine Schlüsselkarte. Sheryll wartete in einem dunkelroten Sessel, damit sie die Atmosphäre genießen konnte. Eigentlich liebte sie Hotels nicht, weil sie meist allein reiste. Dann erschreckte sie das Leben zwischen Plüsch und Sterilität. Karl lächelte herüber und sie degustierte seine schmeichlerische Zuneigung. Er eilte mit ausgestreckten Händen zu ihrem Sessel.

„Kommen Sie, wir schauen, ob wir dort oben wohnen wollen.“

Sie reichte ihm beide Hände, an denen er sie sanft aus der Tiefe des roten Samtes zog. Erstaunt blickte sie in sein Gesicht hoch.

„Ich habe Schuhe mit halbhohen Absätzen angezogen, damit ich nicht so groß wirke, wenn ich morgen meine Präsentation mache.“

Er lachte: „Selbst wenn Sie auf dem Bauch liegen, überragen Sie die meisten Männer.“

„Sie sind ein unverschämter Schmeichler.“

„Übrigens heiße ich Karl.“

Sheryll betrachtete ihn mit zusammengepetzten Augen. „Ich suche einen Karl“, flüsterte sie.

Karl lachte herzhaft. „Dann werde ich mich unter dem Bett verstecken und Sie dürfen mich suchen.“

Lachend gingen sie zu dem Pagen, der mit dem Gepäck im Aufzug wartete. Er drückte die Sieben und der Aufzug schwebte hoch. Sie folgten der Uniform durch den teppichgedämpften Flur. Die Karte entriegelte die Tür mit sanftem Klick. Sheryll war vom ersten Zimmer begeistert. „Das ist traumhaft!“, rief sie.

Der Page zog sich mit Verbeugungen zurück und nickte Sheryll diskret zu.

Viertel nach acht Uhr gingen sie, Hände haltend, durchs gemeinsame Bad ins andere Zimmer. Dieses wirkte so exquisit wie das erste, obwohl es durch seine Einrichtung als das Gegenteil des ersten Zimmers angesehen werden konnte.

„Entscheiden Sie, welches Zimmer Sie wollen.“

„Ich würde gern dieses nehmen“, entschied sie.

Karl ging zurück und brachte ihre Reisetasche, um sie aufs Bett zu legen.

„Sollen wir zu Abend essen oder wollen wir arbeiten?“

Sheryll überlegte kurz. „Wenn Sie nicht allzu großen Hunger haben, würde ich gern arbeiten. Dann kann ich auch mehr frühstücken.“

„Ich hoffe, dass sich diese Alternative lohnt. - Beginnen wir in meinem Zimmer.“

„Ich spreche von Arbeit“, erwiderte sie mit kritischem Blick.

Die erste Stunde saßen sie nebeneinander am Tisch. Sie merkte, wie ihr Projekt eine stabile Richtung erhielt. Noch war sie nicht sicher, dass es dadurch auch eine überzeugende Form gewann. Die zweite Stunde der gemeinsamen Arbeit fand sie auf Karls Bett. Der Seidenrock hing auf einem Bügel und Karls Hose lag über der Stuhllehne. Gelegentliche Küsse lockerten die Arbeitsatmosphäre auf. Als sie zur dritten Arbeitsstunde in Sherylls Zimmer gingen, trugen sie nur noch Höschen. Die Arbeit war konzentriert, obwohl die fast nackten Körper viel Abwechslung bieten konnten. Die Entscheidung war getroffen, dass sie die Nacht in einem gemeinsamen Bett verbringen wollten.

Mit Beginn der vierten Stunde hatten sie die bestehende Präsentation abgearbeitet und eine zweite Version mit ergänzenden Texten erstellt. Sie lagen nackt aufeinander und diskutierten weiter. Es war lange nach Mitternacht, als sie entschieden, dass sie in Sherylls Bett die Stunden bis zum Frühstück verbringen wollten.

Morgens standen sie nebeneinander an den beiden Waschbecken, um sich die Zähne zu putzen.

„Was bin ich doch für ein unvernünftiges Mädchen, wo ich diese wichtige Präsentation vor mir habe.“

„Liebe ist nie vernünftig!“

„Was ist, wenn ich mir Vorwürfe mache, weil ich nicht ausgeschlafen bin?“

„Komm unter die Dusche. Wir können uns nebenher waschen.“

„Nein“, rief sie erschreckt und mit entschiedener Stimme. Sie folgte ihm doch in die Dusche. „Vielleicht ist es das letzte Mal, und darauf zu verzichten, würde ich mir noch weniger verzeihen.“

Karl war stolz und hatte dennoch ein schlechtes Gewissen. Er wusste, dass er unter allen Bedingungen ehrlich sein wollte, aber er hatte verschwiegen, dass er in der Jury saß, die auch ihr Projekt beurteilte. War er ein Betrüger? Er hätte ihr gern seinen Namen gesagt, aber damit hätte er sich wahrscheinlich verraten, denn die Namen der Jurymitglieder waren kein Geheimnis.

Sie hatten ausgiebig gefrühstückt und verließen gut gelaunt das Hotel.

„Werden wir uns wiedersehen?“, wollte sie wissen.

„Garantiert! Ich rufe dich an. Köln ist nur ein Katzensprung.“

Sie fragte nicht nach seiner Karte. Es wäre jedoch sonderbar, seine Telefonnummer auf einen Zettel zu schreiben. Er wollte seine Teilnahme an der Jury absagen.

„Wirst du am Bahnhof warten, wenn ich zurückfahre?“, flehte sie.

„Ich werde dann im Flieger nach München sitzen.“

Sie warteten auf ein Taxi. Sie küssten sich. Karl zog eine Karte aus seiner Jackentasche und reichte sie ihr. Er musste so handeln, weil er sich andernfalls schäbig vorgekommen wäre. Ihr Blick auf die Karte wurde Entsetzen. Erblasst starrte sie ihn an, die braunen Augen schielten auf seine Nasenspitze. Karl erkannte das Schwinden ihrer Körperkraft. Die hintere Tür des Taxis wartete neben Sheryll. Er fing die Frau auf, bevor sie zu Boden ging.

„Was ist mit dir?“, rief er erschreckt.

Karl bugsierte den kraftlosen Körper auf die Rückbank und stieg von der anderen Seite ins Taxi.

„Zum Kramlich-Werk“, sagte Karl und der Wagen fuhr los.

Ihr Kopf lag in seinem Schoß, als sie die Augen aufschlug. Wieder Entsetzen, aber diesmal kontrolliert.

„Fass mich nicht an!“, zischte sie hysterisch. „Du bist mein Vater.“

Karl zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Sehr langsam arbeitete sein Gehirn. Es sortierte Frauen, die er vor … Mechanisch half er ihr, sich im Sitz aufzurichten.

„Wie alt bist du?“

Sie betrachtete ihn angeekelt. „Du hast es mit deiner Tochter gemacht.“

„Woher weißt du, dass ich dein Vater bin?“

„Meine Mutter hat mir vor neun Jahren gesagt, dass mein Vater Karl Beutler heißt und Architekt ist.“

„Wie alt bist du?“

„Fünfundzwanzig.“

Karl lächelte: „Dann war ich bei deiner Zeugung - zweiundzwanzig. – Nicht dass ich das für unmöglich hielte, aber damals war ich zu einer Studienarbeit in Johannesburg. Kommt deine Mutter aus Süd-Afrika?“

Sheryll schwieg und kaute auf der Unterlippe.

„Wie hieß deine Mutter vor sechsundzwanzig Jahren?“

„Sarah Bratton. Sie war nie verheiratet.“

Karl überlegte und sie betrachtete ihn. Ihr Gesicht hatte seine frische Farbe zurückgewonnen. Die dunklen Ringe unter ihren Augen wirkten nicht mehr kränklich, sondern verrieten übernächtigte Lebensfreude.

„Vor neun Jahren erhielt ich in London einen Architekturpreis und die Ehrendoktorwürde.“

Ein zaghaftes Lächeln eroberte ihr Gesicht. Sie senkte den Kopf an seine rechte Schulter.

„Verzeih mir. - Meine Mutter muss deinen Namen in der Zeitung gelesen haben und dachte wahrscheinlich, dass ein deutscher Name meine Neugier beenden werde.“

Karl betrachtete Sheryll zermürbt. „Ich sollte bei der Jury sein, die deine Arbeit beurteilt. Ich werde absagen, weil ich befangen bin.“

Sheryll streichelte seine Wangen. „Stelle dir vor, wie viele Weichen das Schicksal für uns gestellt hat. Wir mussten uns kennenlernen, und ich bin froh, dass es so war, wie es ist.“

Das Taxi durchfuhr die Pforte der Kramlich-Werke und blieb vor dem Bürogebäude stehen.

„Fahren Sie mich bitte zum Flughafen.“

„Bleib bei mir. Verlasse mich jetzt bitte nicht“, bat sie.

Karl stieg aus und bezahlte das Taxi. Sie suchte seine Hand und packte sie mit aller Kraft ihrer schlanken Finger. Ihre Stimme war kaum verständlich. „Durch die Lüge meiner Mutter sind wir an diesem Punkt angekommen. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr suche ich dich. Ich darf dich nicht gleich wieder loslassen.“

Karl lächelte. Sie gingen auf die große Schiebetür zu, die sich öffnete. Vor der Tür küssten sie sich. Karl zog den Rollkoffer, auf dem zwei Taschen gestapelt lagen.

„Ich will dich auch nicht loslassen. Auch ich habe dich gesucht.“

„Und die Frau am Bahnhof?“

„Du wirst Veronika, meine Sekretärin, kennenlernen. Sie ist eine wunderbare Frau. Ich bin noch nie verheiratet gewesen.“

Die Umkehrung des Spiegels

Diese Geschichte des Grauens wurde 2009 in der Anthologie „Von einigen die auszogen das Gruseln zu lehren“ des PERSIMPLEX-Verlags veröffentlicht..

„Tagebuch des Grauens“ schreibe ich auf den Umschlag. Meine Schrift ist schwach und zittrig. Vor allem die ersten Seiten meines Tagebuchs spiegeln das Grauen. Ich schaue jetzt zwar zurück, aber mein Blick reicht nicht weit genug. Vor allem vermag ich noch nicht nach vorn zu schauen. Manche Sätze muss ich regelrecht entziffern, damit ich sie lesen kann. Verstehen kann ich das Geschriebene nicht mehr. Sein Sinn ist meiner Vernunft entglitten.

Erster Mai.

War es der erste Mai? Da ich erst Tage später, auf Anraten meines Psychiaters, dieses Tagebuch führe, bin ich nicht sicher, ob das Grauen mit dem ersten Mai begonnen hat. Ich bleibe einfach dabei. Wie jeder weiß, ist die Nacht zum ersten Mai die Hexennacht. Welcher Tag könnte sich also besser anbieten.

Jeden Morgen stehe ich vor dem großen Spiegel im Bad. Die Rasur ist nach dem Bad besser. Die Bartstoppeln sind durch Seife und warmes Wasser aufgeweicht, dass die Klinge die Wangen kaum berührt und trotzdem Glätte zurücklässt. Dieses herrliche Gefühl ist die Entschädigung dafür, dass ich früh aufstehen muss.

Dieser Tag könnte jeder Tag sein, doch die zwei Schritte zum beschlagenen Spiegel lassen mich in meiner Einschätzung zögern. Aus der Duschkabine folgen mir Dampfschwaden, die sich sofort des gesamten Raums bemächtigen. Ich muss mich orientieren. Dampf engt den Raum, engt meine Brust, engt meine Sicht. Augen starren durch nebligen Schleier. Dunst hat sich über den Spiegel gelegt. Durch den Dunst schauen diese Augen. Sind es überhaupt Augen, die beiden frostigen Flecke? Ich starre zurück, bis mich Tränen fast blind machen. Es ist ein Augenpaar. Aber nicht meine Augen sind es, die mich betrachten. Kälte fixiert mich. So kalt kann ich nicht schauen. Ich verharre wie gelähmt, von den Augen gefesselt, die um ihren Mittelpunkt pendeln. Bevor ich den Sinn der schwankenden Bewegung begreife, beginnen die Augen eine gemächliche Rotation.

Das Bad ist dunstig. Aromen von Südsee und verderbter Gärung wabern aus der Duschkabine. Es ist das neue Duschmittel, „Tropenfrüchte“, das mich halluzinieren lässt, ist mein erlösender Gedanke. Mit aller Kraft der Logik, die mir zu Gebot steht, suche ich eine Erklärung für meine Wahrnehmung.

Mit Toilettenpapier stelle ich mich dem Grauen. Es ist nicht leicht, den Blick von den Augen hinter dem Dunst, hinter dem Spiegel, wegzureißen. Ein Verhängnis kündendes Auge ist bereits verwischt. Das Papier saugt sich mit Unheil voll, quietscht, schreit, will sich mir verweigern. Auf der rechten Seite starrt mich ein blaues Auge an und links das rotierende. Wieso fixiert mich mein Auge so schrecklich, frage ich mich und starre zurück. Meine Hand hängt erschlafft am Spiegel, sinkt langsam herab. Ich sammle Kraft. Mit dem Papier tupfe ich meine Augen, die vom Starren tränen.

Als ich die Augen wieder öffne, ist mein blaues Auge verschwunden. Das eisige Augenpaar rotiert hinter dem Dunst der Spiegelung.

„Hör auf!“, schreie ich den Spiegel an.

Schritte eilen durch den Gang, nähern sich. Eine Hand pocht gegen die Badtür, stößt sie auf.

„Was ist?“, ruft meine Frau erschreckt.

Sie stürzt ins Bad. Vollkommen erledigt vermag ich kaum auf den Spiegel zu zeigen. Entsetzen schnürt meine Kehle. Meine Frau erkennt das Grauen. Unbeeindruckt von der eisigen Iris beherrscht sie das Grauen. Mit drei Schritten ist sie am Fenster, öffnet es, reißt Blätter von der Rolle und wischt den Spiegel ab. Beherzt raubt sie dem Grauen sein Gesicht.

Wolken entschweben durchs offene Fenster. Kühle Morgenluft drückt herein und vertreibt Dampf und gärenden Dunst. Ich bin erlöst. Ich ziehe meine Frau an mich und küsse sie. Sie betrachtet mich verlegen. Wir sprechen nicht über den Spiegel. Auch ihr fehlen die Worte.

Erleichtert rasiere ich mich. Die Frische meiner Haut lässt mich die Morgenqual vergessen. Mit einem Schwall Rasierwasser festige ich das Wohlgefühl. Beim Frühstück hat das Grauen seine Bedeutung verloren.

Am zweiten Mai entsteige ich kämpferisch der Dusche. Das Grauen kann besiegt werden. Nein, so leicht, wie ich alles darstellen möchte, ist die Angelegenheit nicht. Etwas Ungutes hat sich im Bad eingenistet. Die Augen, die so kalt aus dem Spiegel starrten, wollten mir eine Botschaft bringen. Weshalb wollen mich Augen so unerbittlich durch den diesigen Spiegel durchbohren? Sie wollen mich erkennen, wollen Verbindung aufnehmen. Tatsachen lassen sich nicht durch schwache Wünsche entwerten.

Mein Tritt aus der Dusche besitzt nicht die Leichtigkeit wie vor zwei Tagen. Unsicherheit und die Schwäche meiner Beine sind Folge der verborgenen Botschaft. Ich zweifle, ob ich mich durch Öffnen des Fensters dem Grauen widersetzen kann, ob ich dies überhaupt darf, ohne einen kosmischen Ratschluss zu stören. Mein Blick zum Spiegel hätte mein Entsetzen gespiegelt, aber der Spiegel hängt stumpf. Die rotierenden Augen stieren gräulich. Ich starre zurück. Ich will endlich die Botschaft erfahren. Eisiges Schweigen.

„Was willst du?“, frage ich das Grauen.

Meine Stimme ist fordernd, doch ich bin bereit zu flehen. Dort, wo der grauenvolle Mund sein muss, erkenne ich Bewegung. Schatten wabern unter dem Spiegeldunst. Es sind bewegte Lippen. Nur spricht dieser Mund nicht verständlich. Ich entschlüssle die Botschaft nicht. Die Bewegung ist undeutlich, dass das Rätsel rätselhaft bleibt. Wütend und hilflos schreie ich.

„Was willst du von mir?“

Ich konzentriere mich auf die Lippen. Mit meinen Lippen versuche ich, die weichen Bewegungen nachzuformen. Mir gefriert das Blut in den Adern. Es gibt keinen Zweifel. Die Lippen artikulieren das Wort „Mörder“.

Letztlich gelingt es mir, mich gegen das Grauen aufzubäumen. Ich reiße das Fenster auf, reiße eine Hand voll Blätter von der Rolle und tilge das Grauen. Immer wieder versucht es, sich gegen mich zu erheben. Neue schlierige Stellen entstehen, die ich weg reibe, bevor das Grauen sich festigt. Mit heißem Wasser bleibe ich für diesen Tag Sieger. Ich bade den Spiegel. Wasser tropft ab. Zum Schluss reibe ich ihn streifenfrei blank.

Ich rasiere mich. Der Seifenschaum schmeichelt meiner Haut. Es ist ein Glück, dass ich mein Gesicht nicht sehen muss. Langsam ziehe ich den Rasierapparat über meine Wangen. Ich nenne es gründlich, diese bedächtige Rasur, mit der ich den Anblick meiner eingegrabenen Angst verzögern möchte.

„Wieso nennt mich das Grauen einen Mörder?“, frage ich mein Spiegelbild, das sich hinter Rasierschaum versteckt.

Alles ist unter Kontrolle. Der Morgenblick in den Spiegel ist wie früher. Das Grauen ist verschwunden. Dass dennoch Entsetzten in meiner Seele nistet, ist verständlich. Ich akzeptiere, dass mich der Spiegel mit Misstrauen beobachtet, aber wir kommen wieder miteinander aus. Manchmal versucht er, mich anzulächeln. Nichts ist vom Grauen übrig, wenn ich aus der Dusche steige.

Seit einer Woche dusche ich bei offenem Fenster, sodass die huschenden Schatten das Bad verlassen müssen. Zwar merke ich ihren Unwillen, sich nicht über den Spiegel hängen zu können, aber sie werden mir nicht widerstehen.

Die Frage meines Chefs: „Ist wieder alles in Ordnung?“, zeigt mir, dass auch ihm meine schmerzliche Situation aufgefallen ist.

Meine Frau betrachtet mich kritisch, wenn sie mir eine Tasse Kaffee einschenkt. Zu ihrer Beruhigung demonstriere ich Ausgeglichenheit. Beim morgendlichen Abschiedskuss lächelt sie entspannt. Ich habe es geschafft, das Grauen würgt nicht mehr meine Kehle. Innerlich jubiliere ich.

„Chef, es ist alles in Ordnung. Es könnte nicht besser sein.“