Blutmond über Paraguay - Gabriele Hambach - E-Book

Blutmond über Paraguay E-Book

Gabriele Hambach

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Beschreibung

Blutmond...... Als Elli ins entfernte Paraguay auswandert um ihren Seelenfrieden in der Gemeinschaft 'El Mundo Ideal' zu finden, war dies nicht nur für ihren Sohn Christoph ein Schock, sondern sie ließ auch ihre beste Freundin Mala bestürzt zurück. Um so mehr freut sich Mala, als ihre Freundin nach einigen Monaten ihre Rückkehr aus dem vermeintlichen Paradies ankündigt. Doch nach dieser Nachricht verliert sich ihre Spur irgendwo im weiten Paraguay. Kurzentschlossen und unter falschem Vorwand bucht Mala eine Info Tour ins 'El Mundo Ideal', eine Gemeinschaft, deren Gründer den zukünftigen Bewohnern das Paradies auf Erden versprechen. Sie hofft, dort Hinweise auf Ellis Verbleib zu finden. Doch kurz nach ihrem Eintreffen wird sie in eine Serie von Morden verwickelt und steht dem ermittelnden Beamten aufgrund ihrer sprachlichen und beruflichen Kenntnisse beratend zur Seite. Insgeheim erhofft sie sich, auf diese Weise mehr über das Verschwinden ihrer Freundin zu erfahren, doch die Hoffnung, sie noch lebend zu finden, schwindet von Tag zu Tag. Je mehr sie hinter die Fassade der Akteure dieser Gemeinschaft blickt, desto mehr stellt sie fest, dass diese gut illustre Gemeinschaft die reinste Schlangengrube zu sein scheint. Als sich die grausigen Ereignisse überschlagen und sie zudem noch mit ihren Gefühlen konfrontiert wird, droht ihre eigentliche Aufgabe in den Hintergrund zu rutschen. Als Ellis Sohn die Bildfläche betritt, scheint das Vorhaben aus dem Ruder zu laufen. Mala wird mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert und muss eine folgenschwere Entscheidung treffen. Wird sie es schaffen, ihre Freundin zu finden und in die Heimat zurück zu bringen?

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Seitenzahl: 387

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Wer sehnt sich denn nicht nach einem Paradies auf Erden? Wir leben in einer verrückten Zeit, wo Menschlichkeit und Gerechtigkeit auseinanderdriften. Aus diesen und noch weiteren Gründen zieht es vermehrt Menschen aus Europa in die teils entlegensten Winkel der Welt. Ausgehend davon, dass sie dort von Menschen aufgenommen werden, die sich losgesagt haben von Falschheit und Betrug, geraten manche von ihnen jedoch vom Regen in die Traufe. Nicht alle kommen dabei mit einem blauen Auge davon. Von all dem bekommen die Wenigsten etwas davon mit, wenn sie nicht einen entfernten Hilferuf bekommen.

So wie die Psychologin Mala, die sich im Auftrag auf die Suche nach ihrer besten Freundin macht und dabei auf fast sämtliche Facetten der menschlichen Natur trifft. Was wie eine abenteuerliche Expedition begann, entwickelt sich langsam zu einem wahren Albtraum, der bald zu schrecklicher Realität wird.

Kann sie die Mauern des Schweigens durchdringen um die Wahrheit zu erfahren? Oder verliert sie sich selbst, fernab von daheim?

Wer Krimis liebt und jetzt nicht weiterliest, wird es nie erfahren.

1Prolog

2Ein jähes Ende

3Alte Freunde

4Der Entschluss

5Unter falschen Voraussetzungen

6Spion wider Willen

7Aufbruchstimmung

8Der Siedlerrat

9Der erste Eindruck

10Unternehmungslustig

11Eine alte Freundin

12Blutiges Erwachen

13Schuldzuweisungen

14Unvergessliche Versammlung

15Nichts bleibt verborgen

16Bestellt und nicht abgeholt

17Neue Erkenntnisse

18Absolution

19Unerwartete Wendung

20Ein später Hinweis

21Ein bizarrer Fund

22Warnung aus der Ferne

23Überraschender Besuch

24Offenbarung

25Rettungsaktionen

26Erstens kommt es anders...

27Ein gerechtes Ende

1 Prolog

Er zitterte vor Wut. Warum wollte sie alles in Gefahr bringen was hier aufgebaut wurde? Konnte oder wollte sie sich nicht in die Gemeinschaft eingliedern? Vor einem Jahr war es schon einmal geschehen, dass eine Gruppe von bösartigen Menschen das Projekt beinahe scheitern ließen. Sie drohten den Gründern damals sogar mit körperlicher Gewalt! Eben jenen beiden, die hier doch alles aufbauten und damit für alle eine neue Heimat schufen. Nein, das durfte nicht noch einmal geschehen! Dafür musste Sorge getragen werden. Ungefähr 100 Menschen leben mittlerweile hier und es kommen immer mehr dazu. Alle leben hier nach dem Motto: ‘Einer ist dem anderen gut’. Oder waren da etwa doch Querulanten darunter? Bewohner, die dieser wunderbaren Kommune ernsthaft Schaden zufügen wollen? Doch selbst wenn, man würde sie ausfindig machen und sie aus der Gemeinschaft ausschließen. Aber jetzt musste er sich erst mal um das Problem ‘Elli’ kümmern und einen klaren Kopf bewahren. Die Flasche Wodka, die er zu seinem Geburtstag geschenkt bekam, sollte ihm dabei jetzt helfen. Normalerweise trank er keinen Alkohol, aber jetzt befand er sich in einer Ausnahmesituation. Der eisgekühlte Wodka brannte in seiner Kehle und er spürte, wie er ruhiger wurde und auch wieder klar denken konnte. Sein Blick fiel auf Ellis Leiche. Als sie vor sechs Monaten ankam, fand er sie ganz nett und sympathisch. Auch seine Frau schloss recht schnell Freundschaft mit ihr. Doch vor einer Stunde war Elli zu ihm gekommen, um ihm klar zu machen, dass sie sich an die Medien wenden würde, um, wie sie meinte, die Lügen und den Betrug des Projektes aufzudecken. Das konnte er doch keinesfalls zulassen! Also hatte er dafür gesorgt, dass sie für immer schweigen würde, indem er sie lautlos mit seinem Handtuch erdrosselte. Es blieb jetzt nur noch die Frage: Wohin mit der Leiche? Er wusste, dass Elli das ‘El Mundo Ideal‘ morgen früh hätte verlassen müssen. Sie hatte sich auch schon bei allen verabschiedet, also würde sich niemand wundern, wenn man sie morgen nicht mehr antreffen würde. Da er anfangs viele Gespräche mit ihr geführt hatte, wusste er, dass sie auch keinen guten Kontakt mehr zu ihrer Familie und ihren Freunden in Deutschland gehabt hatte, weil keiner ihre Entscheidung, nach Paraguay ins ‘El Mundo Ideal‘ auszuwandern, verstanden und akzeptiert hatte. Hier auf dem Gelände konnte er die Leiche jedenfalls nicht verschwinden lassen, das war klar. Sollte er vielleicht Ewald und Sonja einweihen und sie um Hilfe bitten? Nein, das war keine Option, denn die beiden hatten schon genug um die Ohren. Es blieb also nur die Möglichkeit, die Leiche außerhalb der Siedlung zu entsorgen. Er wusste auch schon wo. Manfred und seine Frau, die er auf dem Schießstand in Indepedencia kennen lernte, besaßen ein 27 Hektar großes Grundstück. Manfred erzählte ihm einmal, dass er das Land zwar günstig erworben hatte, es aber völlig verwildert sei. Der perfekte Ort um eine Leiche verschwinden zu lassen. Er war nicht zu weit weg, denn er musste hier seinen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass seine Abwesenheit auffiel. Jetzt musste er nur noch Ellis Sachen aus dem Hotelzimmer holen, damit alles nach einer normalen Abreise aussah. Viel hatte sie ja nicht dabei. Außer einiger Kleidungsstücke konnte sie nicht viel ihr Eigen nennen. Der Koffer stand bereits gepackt in der Küche und ihre Handtasche hing über dem Stuhl. Ihre Papiere lagen auf dem Tisch. Er nahm sie an sich um sie später in seiner Wohnung zu verbrennen. Doch zuerst kam der schwierigste Teil, denn er musste die Tote in den Kofferraum seines Wagens verfrachten, was gar nicht so einfach war, wie er es sich vorgestellt hatte. Elli war zwar nur 1,60 m groß, dafür aber ziemlich kräftig. Kein Wunder bei den Portionen, die sie täglich zu sich nahm, dachte er. Und jetzt durfte er sich mit ihrem Gewicht herumplagen! Es nutzte nichts, es musste getan werden! Das schwierigste jedoch war, sie in den Kofferraum zu hieven, was ihm aber mit großer Anstrengung dann letztendlich doch gelang. Ihre Habseligkeiten verstaute er auf der Rücksitzbank. Erleichtert und verschwitzt stieg er in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Bereits Mitte Oktober kühlte es teilweise nur noch auf 20-25 Grad ab. Mittlerweile war es fünf Uhr morgens geworden. Eine Dusche, ein starker Kaffee und ein ausgedehntes Frühstück würden seine Lebensgeister wieder erwecken. Zu früh wollte er sowieso nicht losfahren, denn das würde die Wachen am Tor vielleicht nur misstrauisch machen, da er das Gelände normalerweise nicht vor 7 Uhr verließ. Außerdem führten die Wachen eine Liste darüber, wer um welche Zeit das Gelände verlässt oder betritt. Das war auch sehr wichtig, denn so wurde die Sicherheit der Siedler gewährleistet. Er ließ sich mit dem Frühstück Zeit, stieg aber rechtzeitig ins Auto und fuhr los. Freundlich grüßte er die Wachen am Tor und verließ das Gelände mit der Gewissheit, das Richtige für die Gemeinschaft getan zu haben. Dass Ellis Name in der Liste nicht erscheint, ließe sich leicht damit erklären, dass sie nachts wohl das Gelände über den hinteren, nicht eingezäunten Bereich, verlassen haben könnte. Das etwas abseitsstehende Taxi fiel ihm gar nicht auf.

2 Ein jähes Ende

Es war ein herrlicher Apriltag. Wolkenloser Himmel, strahlender Sonnenschein und gefühlte 20 Grad. Eine schlanke, etwa 1,70 m große Frau, Mitte 40 mit schulterlangen, glatten, schwarzen Haaren saß in ihrem Lieblingscafé auf der Terrasse und genoss Kaffee und Erdbeertorte mit einer großen Portion Sahne. Mala liebte diesen Ort der Stille inmitten von Köln. Keine 30 Meter vom lärmenden Straßenverkehr entfernt öffnete sich eine Oase der Ruhe; wenn man die rote Ziegelgewölbe des Innenraums verließ. Zwischen Palmen, Bambus, Flieder und blühenden Sträuchern in großen Töpfen standen kleine Tische versteckt. Der Innenhof wurde von einer Glaskuppel vor den Elementen geschützt und wirkte ein bisschen wie ein hohes Gewächshaus.

Pünktlich um 14.00 Uhr hatte sie heute ihre Praxis verlassen. Das war nicht immer so, denn nach ihrer Scheidung stürzte sie sich regelrecht in die Arbeit und kam fast nie vor Sonnenuntergang nach Hause. Vor einem Jahr zog sie dann aber die Reißleine. Heute wusste sie, dass sie auch nicht mehr lange durchgehalten hätte. Sie widmete ihre gesamte Zeit und Energie ihren Patienten und es dauerte lange bis sie sich eingestehen musste, dass sie sich deren Probleme zunutze machte, um ihre eigenen nicht bearbeiteten zu müssen. Es war nicht einfach sich einzugestehen, dass sie als Psychologin bei sich selber versagte!

Sie erinnerte sich noch genau an diesen Samstag, den 14.03.2018,als ihre heile Welt zusammenbrach. An jenem Samstagmorgen schlief sie bis 9.00 Uhr aus. Als sie aufstand, hatte ihr Ehemann Mario das Haus schon verlassen. Da in seinem Steuerbüro zwei Mitarbeiter fehlten, blieb so viel Arbeit liegen, dass er auch am Wochenende arbeiten musste. Sie beschloss, ihm zu einem romantischem Abendessen Rouladen mit Rotkohl und Kartoffeln nach dem Rezept seiner Mutter zuzubereiten. Dabei hegte sie einen kleinen Hintergedanken. Wie so oft, wenn sie alleine im Haus war, überfiel sie eine leichte Traurigkeit, weil sich ihr Kinderwunsch nie erfüllt hatte. Als sie heirateten, ging das Studium vor. Danach eröffnete sie ihre eigene Praxis, in welcher mittlerweile noch drei weitere Psychologen ihre Patienten betreuten. Kurz darauf eröffnete Mario sein eigenes Steuerbüro. An ihrem 34. Geburtstag,vor gut zehn Jahren,erzählte sie ihm von ihrem größten Wunsch, eine Familie zu gründen. Ihre biologische Uhr fing langsam an, immer lauter zu ticken. „Liebes, wir haben doch kaum Freizeit. Und nur da sind wir frei und ungebunden und können tun und lassen, was wir wollen. Außerdem brauche ich nur deine Liebe und die Gewissheit, dass wir zusammenhalten werden.” „Das sehe ich ja ebenso, aber ein Kind würde daran doch auch nicht viel ändern”, erwiderte sie. „Wir beide lieben unseren Beruf, soll das Kind etwa von Fremden aufgezogen werden? Selbst wenn wir ein gutes Kindermädchen finden, schlaflose Nächte sind dann doch vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass wir unsere Freizeit dann nicht mehr nach Lust und Laune gestalten können.” Daraufhin nahm Mario sie in seine Arme und küsste sie auf die Stirn. Mala wurde in diesem Moment bewusst, dass ihr Kinderwunsch zumindest vorerst hinten anstehen musste. Sie gestand sich damals aber ein, dass er gar nicht so unrecht damit hatte. Vor acht Jahren jedoch wurde ihr Kinderwunsch fast übermächtig. Zu dieser Zeit kamen ihre Eltern durch einen tragischen Autounfall ums Leben, und der Schmerz und die Trauer über diesen Verlust lösten bei ihr eine leichte Depression aus. „Bald sind wir ganz alleine”, sagte sie damals traurig zu Mario, „meine Eltern und deine Mutter haben uns schon verlassen. Nur dein Vater weilt noch unter uns. Vielleicht ist es ja doch noch nicht zu spät, eine Familie zu gründen. Sieh doch Mario, wir tragen doch genug Liebe in uns, um diese an unser Kind weiterzugeben.” Aber Mario war bei seiner Einstellung geblieben und führte wie immer nachvollziehbare Gegenargumente an. Einen kurzen Moment lang hasste sie ihn dafür, doch dieser Hass verwandelte sich rasch in Enttäuschung. Kurz nach der Beerdigung bezogen sie das wunderschöne Haus in der Radebergerstraße in Köln, das ihre Eltern ihr hinterließen. Das Gebäude war aus roten Backsteinen gebaut, besaß eine große Terrasse und eine aus Naturstein gepflasterte Einfahrt. Auf beiden Seiten derselben waren Blumen und Sträucher angelegt, die je nach Jahreszeit in den unterschiedlichen Farben erblühten. Der Innenbereich des Hauses war großzügig angelegt. Im Erdgeschoss befand sich der Wohn-Essbereich mit einer großen, weißen Wohnküche mit dunkler Granitplatte, ein Gästezimmer, ein Büroraum und ein kleines, elegantes Bad. Der gesamte Bereich war in den Farben Schwarz, Weiß und Grau gehalten und sah in Kombination mit dem Maserholz des Parkettbodens sehr elegant aus. Das stilvolle Interieur rundete das Gesamtbild ab. Das ebenfalls geschmackvoll ausgestattete Obergeschoss bestand aus drei Zimmern und zwei weiteren Bädern. Das größte Zimmer diente ihnen als Schlafzimmer, eines nutzte Mario als Fitnessraum und das dritte Zimmer stand leer. Mala und Mario fühlten sich vom ersten Moment des Einzuges an wohl. Bei Mala kam das Gefühl noch hinzu, in diesem Haus ihren Eltern nah zu sein. Wenn sie durch die Räume ging, sprach sie ab und zu auch mit ihnen und dankte ihnen für ihre Geborgenheit und Liebe, die sie noch immer im ganzen Haus spüren konnte. Mala riss sich aus ihren Gedanken. Es war inzwischen 11 Uhr. Sie musste beim Metzger noch die Rouladen einkaufen. Anschließend wollte sie die Betten neu beziehen und Schönheitspflege betreiben. Mario sollte gegen 18.00 Uhr nach Hause kommen. Also blieb ihr genug Zeit um ihr Vorhaben umzusetzen. Gegen 17.00 Uhr stand sie vor ihrem Kleiderschrank und rätselte, welches Kleid für den Abend wohl am besten passen würde. Sie entschied sich wie so oft für das kleine Schwarze. Es war knielang, hoch geschlitzt und hatte einen tiefen Ausschnitt, was sie stets sehr sexy wirken ließ. Genau das richtige also für einen romantischen Abend zu zweit.

Vor etwa 4 Wochen hatten Mario und sie das letzte Mal miteinander geschlafen. Das wollte sie an diesem Abend ändern. Nach 14 Ehejahren wusste sie natürlich genau, was ihren Mann anmachen würde und ihre Vorstellung, in seinen starken Armen zu liegen, beide nassgeschwitzt und nach leidenschaftlichem Sex noch schwer atmend, erzeugte in ihrer Beckengegend ein leichtes Prickeln. Sie bürstete ausgiebig ihre Haare, anschließend trug sie einen dezenten Lippenstift auf, betonte ihre grünen Augen mit Eyeliner und Wimperntusche, legte einen leichten Puder auf und rundete das Ganze mit einem Hauch Parfum von Carolina Herrera ab. Sie war mit ihrem Spiegelbild absolut zufrieden. Es blieben ihr noch etwa 20 Minuten, um das Essen fertig zuzubereiten und die Kerzen anzuzünden, die sich auf dem liebevoll gedeckten Tisch befanden. Kurz vor 18.00 Uhr nahm sie das Motorengeräusch von Marios Wagen wahr. „Perfekt”, dachte sie. Als hätten sie sich auf die Minute miteinander abgestimmt. „Guten Abend mein Schatz, wie war dein Tag?”, begrüßte sie ihn gut gelaunt. Ohne Begrüßungskuss und ohne zu antworten setzte er sich zu ihr an den gedeckten Tisch. „Hattest du Ärger im Büro oder...”, er unterbrach sie; „Du bist eine wunderschöne Frau Mala, und dazu hast du noch Herz und Verstand.” Mala strahlte bei diesem Kompliment, diese Worte hatte er lange nicht mehr zu ihr gesagt. Doch dann entdeckte sie etwas in seinen Augen, dass seine Worte irgendwie nicht mit seinem Blick im Einklang stehen ließ. „Es bedrückt dich doch etwas? Möchtest du vielleicht mit mir darüber reden? Oder verdirbt uns das nur den schönen Abend?” „Du hast recht”, erwiderte er zögerlich, „ich trage dieses Geheimnis schon zu lange mit mir herum.” Plötzlich herrschte eine unheimliche Stille. „Ich möchte unsere Ehe beenden.” Mala musste schlucken. „Das soll jetzt wohl ein schlechter Scherz sein!?” Doch in Marios Gesicht zeichnete sich kein Lächeln ab. „Nein, es ist mir absolut ernst. Ich habe diesen Entschluss schon vor längerer Zeit gefasst, mich aber bisher nie getraut, ihn dir mitzuteilen. Nenne es Feigheit oder Angst.” „Ich, ich verstehe nicht”, stotterte Mala verwirrt, „ich dachte... wir führen doch eine glückliche Ehe! Wir haben ein schönes Zuhause und wir haben immer davon gesprochen, dass wir zusammen alt werden wollen!” „Du hast davon gesprochen, Mala. Du bist glücklich und zufrieden. Aber dass ich es schon länger nicht mehr bin, ist dir gar nicht aufgefallen.” Mala fühlte sich förmlich vor den Kopf gestoßen. „Was habe ich falsch gemacht? Haben wir uns etwa auseinandergelebt? Weshalb habe ich keine Anzeichen der Unzufriedenheit bei ihm erkannt? Warum ist mir das nicht aufgefallen?”, schoss es ihr innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf. Und urplötzlich keimte ein eigentlich völlig abwegiger Gedanke in ihr auf. „Du hast doch nicht etwa eine Andere?”, unterbrach sie die dröhnende Stille. Mario stand auf, ging langsam zur rustikalen Vitrine und schenkte sich ein Glas Single Malt Whisky ein. Noch immer mit dem Rücken zu ihr gewandt, antwortete er endlich nach einer gefühlten Ewigkeit. „Ja, ich habe eine andere Frau kennengelernt und ich möchte mit ihr zusammen sein.” „Dann kann ich also davon ausgehen, dass du keine Überstunden machen musstest, sondern die Zeit mit ihr verbracht hast? Dass du mich monatelang schamlos belogen hast?” zischte sie. Mario wendete sie schuldbewusst zu ihr um. „Du brauchst mich jetzt gar nicht so verzweifelt anzuschauen! Oder soll ich vielleicht auch noch Mitleid mit dir haben?!” Wut kochte langsam in ihr hoch. „Wie lange geht das denn schon mit ihr?” „Vor sieben Monaten ist Carla in mein Leben getreten und seitdem sind wir ein Paar”, antwortete Mario. „Und wegen sieben Monaten mit ihr wirfst du unsere langjährige Ehe weg? Hat sie denn besondere Qualitäten im Bett? Ist sie vielleicht jünger? Oder hast du eine perverse Ader, die du nicht zugeben wolltest und mitCarlaausleben kannst?” Sie schrie ihn lauter an als beabsichtigt. „Das alte Klischee”, schoss es Mario durch den Kopf. Daraufhin verlor auch Mario die Beherrschung. Sein ursprünglicher Vorsatz, es ihr so schonend wie möglich beizubringen, war verschwunden. „Ich verstehe ja, dass du verletzt bist und alles erst mal verdauen musst, und darum sehe ich dir deine Anschuldigungen auch nach. Doch ich lasse nicht zu, dass du meine neue Beziehung durch den Dreck ziehst!” „Wie und wo habt ihr euch denn überhaupt kennen gelernt?”, fragte Mala jetzt etwas ruhiger. „Ich habe Carla bei einer Fortbildung kennengelernt und sie ist 34 Jahre alt. Aber dieses Wissen bringt dir doch nichts! Es handelt sich bei Carla nicht um eine Gespielin, bei der ich mich beweisen möchte.” „Und was hat SIE, was ich nicht habe?” Mario verweigerte ihr diese Antwort. „Wenn euer Verhältnis bereits seit sieben Monaten besteht, dann frage ich mich, wieso du noch ein halbes Jahr lang mit mir geschlafen hast.” „Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Vielleicht weil ich noch keine Entscheidung getroffen hatte oder weil ich einfach auf den guten Sex mit dir nicht verzichten wollte”, antwortete Mario. Mala lachte sarkastisch. „Deine Ehrlichkeit in allen Ehren, aber ich habe nicht gewusst, dass du so ein charakterloses Schwein bist!” Mala war nun total ausgerastet. „Ich glaube, du hast mir 14 Jahre lang nur etwas vorgespielt!!” Nun setzte auch Mario zum verbalen Gegenangriff an: „Ich sage dir das jetzt ganz offen: Carla und ich lieben uns und wir möchten gemeinsam eine Zukunft aufbauen. Für uns und für unser Kind.” Mala hatte plötzlich das Gefühl ohnmächtig zu werden. Sie fühlte sich wie betäubt. Dass sie ihre Ehe als beendet betrachten musste, war für sie schon ein schwerer Schlag, aber dass Mario ein Kind mit seiner Neuen haben würde, war einfach zu viel für sie. Ihr wollte er diesen Wunsch nie erfüllen, sondern schmetterte ihn immer mit Argumenten ab. Dass Mario nun mit 51 Jahren nach nur sieben Monaten ‘Beziehung‘ plötzlich bereit war, Vater zu werden mit seiner geliebten Carla, zog Mala den Boden unter den Füssen weg. Diesmal hatte Mario das Schweigen unterbrochen: „Es tut mir leid …” „Verschwinde, du Schwein!” Ihre Stimme klang wie ein krächzen. „Verschwinde und lass dich nie wieder hier blicken! Raus hier, raus, raus, raus!”

Sie fühlte sich noch wochenlang wie betäubt. Viele durch-weinte Nächte sind vergangen. In ihrer Praxis fühlte sie sich wohler als zu Hause. Wo war nur das wunderbare Gefühl der Geborgenheit geblieben? Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie Mario einmal fragte, was es für ihn bedeute ‘zu Hause zu sein’. Er hatte sein spitzbübisches Gesicht aufgesetzt und gemeint: „Zu Hause ist da, wo man weiß, wo die Süßigkeiten versteckt sind.” Dann lachte er, nahm Mala in den Arm und meinte: „Zu Hause ist natürlich da, wo du bist!”

3 Alte Freunde

Ja, sie konnte inzwischen wieder ohne Schmerz und Wut an ihn denken. Und das verdankte sie nur ihren vier Freundinnen Elli, Tanja, Silke und Kathi aus der Studienzeit! Sie hatten während dieser Zeit Höhen und Tiefen erlebt und den Kontakt zueinander nie wirklich verloren. Und ohne dass es jemals ausgesprochen wurde, war es doch allen klar, dass sie sich immer aufeinander verlassen konnten. Wie hatte Tanja es einmal treffend ausgedrückt? „Freunde sind wie Schuhe; wenn man jung ist, kann man gar nicht genug davon haben, aber erst später merkt man, dass es immer dieselben sind, in denen man sich wohl fühlt.”

An einem Sonntagmorgen, etwa drei Monate nach ihrer Trennung von Mario, lud Silke sie alle zum Brunch ein. „So geht das mit dir nicht weiter Mala. Du solltest doch am besten wissen, dass Verdrängung keine Lösung ist! Daher haben wir beschlossen, die bösen Geister der Vergangenheit durch eine Art Tapetenwechsel aus deinem Haus zu vertreiben. Du brauchst dringend wieder dein Zuhause, in dem du dich immer so wohl gefühlt hast. Keine Widerrede: Am kommenden Samstag fangen wir an, damit du endlich wieder dein seelisches Gleichgewicht finden kannst”, hatte Silke ihr damals erklärt. Von da an trafen sich alle jeden Sonntagmorgen bei ihr zum Frühstück, das sich meistens bis in den Nachmittag hineinzog.

Das war jetzt fast drei Jahre her und sie war ihnen dafür bis heute unendlich dankbar dafür. Seit einiger Zeit waren die Freundinnen jedoch leider nur noch zu dritt: Tanja, Silke und sie selbst. Kathi fand in Koblenz ihre große Liebe und entschied sich dorthin zu ziehen. Bei Elli hingegen schlug das Schicksal mit großer Härte zu. Zu Beginn der Pandemie, im April 2020, verunglückte ihr Sohn Christoph bei einem Motorradunfall, bei dem er sich einen komplizierten Waden- und Schienbeinbruch am linken Bein zuzog. Acht Monate dauerte sein Klinikaufenthalt und in der ganzen Zeit wich Elli ihm nicht eine Sekunde von der Seite. Trotz mehrerer Operationen blieb aber eine Gehbehinderung zurück. Als die Ärzte Christoph mitteilten, dass ein Humpeln und eventuelle Schmerzen als Folgeschaden für immer zurückbleiben würde, brach für beide eine Welt zusammen. Doch nach kurzer Zeit und intensiver Physiotherapie schon, und das war wirklich erstaunlich, hatte sich Christoph mit seiner Behinderung abgefunden. Elli hingegen steckte es nicht so leicht weg. Einmal hatte sie zu Mala gesagt: „Weißt du, es macht mich sehr traurig, dass Christoph keine Chance mehr auf eine vollständige Heilung hat. Der Sport war schon immer seine Leidenschaft, und dass er gleich nach seinem Sportstudium eine Anstellung als Personal-Trainer bekommen hat, machte ihn sehr glücklich. Jetzt ist er 29 Jahre alt und ein Krüppel, und somit sein großer Traum geplatzt!”

Mala konnte Elli gut verstehen. Sie kannte Christoph von Kindheit an und hatte ihn sehr liebgewonnen. Er war immer fröhlich und steckte voller Energie. Natürlich war dies damals, als er noch ein Kind war, auch eine Herausforderung für Elli, die bis zu seiner Einschulung seine treue Spielkameradin gewesen war. Sie liefen um die Wette, spielten Fußball und Basketball und wenn immer die Zeit es zuließ, unternahmen sie auch ausgedehnte Radtouren. In der Schule fand Christoph dann schnell Freunde und verbrachte von da an mehr Zeit mit ihnen, als mit seiner Mutter. Elli hatte das manchmal bedauert, aber auch die freie Zeit, die sie dadurch gewann, genossen. Und nur wenige Monate nach Christophs Unfall starb ihr Ehemann Werner an einem Herzinfarkt. Er war viele Jahre Berufssoldat und viel zu selten daheim. Das war für Elli aber irgendwie kein Problem. Schon vor der Hochzeit war ihr klar, dass sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen würde. Deshalb vermutete Mala, dass die große Liebe nicht der Hauptgrund ihrer Ehe war. Elli war damals bereits schwanger als sie vor den Altar traten. Seit diesen beiden Schicksalsschlägen hatte sie sich komplett zurückgezogen und ließ sich gar nicht mehr blicken. Natürlich wollten die Freundinnen ihr beistehen und für sie da sein, doch Elli lehnte jede Hilfe ab. Sie hatten alles versucht, um wieder an sie heranzukommen, doch ohne Erfolg. Kathi wollte das damals nicht akzeptieren und suchte Elli mehrmals auf. Bei ihrem letzten Besuch musste sie eine gefühlte Ewigkeit vor der Eingangstür warten. Und als Elli ihr endlich die Tür öffnete und sie sie umarmen wollte, wich Elli zurück. „Bitte Kathi, ich brauche weder deine Hilfe noch deinen Beistand. Richte das bitte auch den Anderen aus. Ich habe im Moment weder die Zeit, noch das Interesse an einer weiteren Freundschaft mit euch. Ich möchte, um es ganz klar auszudrücken, keinen Kontakt mehr zu euch haben.” Mit diesen Worten schloss Elli die Tür und ließ Kathi einfach im kalten Märzregen stehen! Das Einzige, was Elli ihnen damals noch mitteilte, war, dass sie die Spiritualität für sich entdeckt habe. Seither gab es keinen Kontakt mehr zwischen ihnen. Mala glaubte aber fest daran, dass ihre Freundschaft irgendwann wieder aufleben würde. Elli brauchte wahrscheinlich einfach nur Zeit

4 Der Entschluss

Mala schrak aus ihren Gedanken auf als das Telefon klingelte. „Mala Zimmermann”, meldete sie sich. „Hallo Mala”, vernahm sie Christophs Stimme am anderen Ende. „Wo bist du? Ich muss dringend mit dir sprechen.” „Ich bin im Café Maliya. Ist etwas passiert?”, fragte Mala. „Ich bin gleich bei dir, dann erzähle ich dir alles.” Nach diesen Worten legte Christoph auf. Malas Gedanken waren sofort wieder bei Elli. Sie hoffte inständig, dass es ihr gut ging. 20 Minuten später stand Christoph vor ihr. Er war trotz seiner Behinderung, die nur sein Gehstock verriet, noch immer eine stattliche Erscheinung. Er war groß, schlank, muskulös und sah wie immer sehr gepflegt aus. Sein bartloses Gesicht war stets braungebrannt und wurde von kurzen, rotbraunen Haaren eingerahmt. Allerdings vermisste Mala das spitzbübische Leuchten seiner Augen. Sie hätte ihn am liebsten gleich mit Fragen bombardiert, aber sie sah ihm an, dass er sich erst noch sammeln musste. Christoph winkte der Bedienung und bestellte einen Espresso und einen doppelten Cognac. Danach zündete er sich eine Zigarette an, bevor er sich zu ihr an den Tisch setzte. Nachdem er seine Bestellung bekommen hatte, kippte er den Cognac in einem Zug runter, drückte seine Zigarette aus und sah Mala an. „Entschuldige bitte, dass ich dich so überfalle, aber ich brauche deine Hilfe. Mama ist durchgedreht!! Anders kann ich es nicht beschreiben.” „Beruhige dich doch erst einmal und dann erzähle mir alles von Anfang an”, sagte Mala. Christoph holte tief Luft. „Wie du vielleicht weißt, beschäftigt sich Mama in letzter Zeit sehr intensiv mit spirituellen Themen. Dadurch fühle sie sich besser, sagt sie. Vor ein paar Wochen behauptete sie, dass sie auf normalem Weg keinen Frieden finden könne. Wir haben viele Gespräche darüber geführt und sie erklärte mir, dass sie nun für mehr Dinge offen sei, als die materielle Welt ihr bieten könne. Neuerdings begeistert sie sich plötzlich für Gemeinschaften, die der materiellen Welt ganz den Rücken zugekehrt haben. Spätestens da hätten bei mir alle Alarmglocken läuten müssen! Bei einem Besuch bei ihr zu Hause erzählte sie mir dann voller Begeisterung, dass sie eine Gemeinschaft in Paraguay mit dem Namen ‘El Mundo Ideal‘ gefunden habe, wo nur spirituelle Menschen friedlich und in Harmonie miteinander leben würden und sie mit dem Gedanken spiele, das Projekt kennen zu lernen. Sie habe auch schon mit einigen Bewohnern dieses Projektes gesprochen und sie seien alle glücklich in dieser Gemeinschaft. Es werden auch alle zwei Wochen Informationsreisen angeboten, bei denen man sich alles anschauen kann.” Mala hörte ihm aufmerksam zu. „‘Jetzt mach mal einen Punkt Mama’, habe ich darauf erwidert. ‘Es gibt auch hier genug Menschen, die deine Sichtweisen auf die Dinge mit dir teilen können’. Sie meinte jedoch, so wie diese Menschen leben, das findet man in Deutschland nicht; diese Zusammengehörigkeit, das Wohlwollen, das sie sich entgegenbringen, und alles im Einklang mit der Natur! Ich habe dann auch das Thema gewechselt bevor ich ungehalten geworden wäre.” Mala sah ihn fragend an und Christoph holte tief Luft. „Heute Mittag habe ich sie dann spontan besucht. Erst nach mehrmaligem Klingeln stand sie mit hochrotem Kopf in der Tür! Sie wirkte nervös und meinte, ich käme ungelegen. Ich habe sofort gemerkt, dass irgendwas nicht stimmte und sie auch prompt gefragt, was los wäre. Sie zögerte kurz und meinte dann, ich solle bitte reinkommen. Mein erster Gedanke war, dass Mama vielleicht einen neuen Mann kennen gelernt hat, der sich im Haus aufhielt und sie nicht wusste, wie sie mir das erklären sollte. Aber eigentlich musste sie doch wissen, dass ich mich für sie freuen würde. Sie bot mir ein Glas Rotwein an, am Vormittag!! Ich nahm es wortlos entgegen und sah sie dabei nur fragend an. Sie suchte sichtlich nach den passenden Worten. Sie fing wieder an, von diesem ‘El Mundo Ideal‘ in Paraguay zu erzählen. Das dieses Projekt und diese Gemeinschaft wie für sie geschaffen seien. Und obwohl sie meine Einstellung inzwischen dazu kannte, stellte sie mich vor vollendete Tatsachen, als sie mir offenbarte, dort ihr weiteres Leben zu verbringen.” Mala sah ihn nur wortlos und mit immer größer werdenden Augen an. „Natürlich versuchte ich sie davon abzubringen indem ich ihr vorhielt, weder Sprache noch Kultur zu kennen und sie doch nicht einfach so in ein Dritte Welt Land reisen könne. Ich warf ihr sogar vor, nicht mehr ganz bei Sinnen zu sein, es gäbe keine perfekte Welt und dachte schon, ich hätte das schlimmste abgewendet.” Er klopfte sich eine weitere Zigarette aus der Schachtel und zündete sie mit zittrigen Händen an. Mala sah ihn bisher nur ungläubig an und brachte dann nur ein zähes „Uuund?” über die Lippen. Christoph nahm zwei tiefe Züge und fuhr dann fort. „Morgen geht ihr Flug nach Paraguay! Und mit dem Bus geht es dann weiter in dieses ‘El Mundo Ideal‘! Ihr Entschluss steht fest!” Er senkte seine Stimme und gleichzeitig sackte er beinahe in sich zusammen. „Ich war so wütend und verzweifelt, da habe ich mich einfach umgedreht und die Haustür hinter mir zugeknallt.” Christoph lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Mala fragend an. Er sah erschöpft aus. Auch Mala konnte Ellis Entschluss nicht verstehen. Elli war eigentlich noch nie sonderlich spontan gewesen! Was hatte sie nur zu einer solch überstürzten Entscheidung getrieben? Christoph sah Mala abwartend an. „Die Entscheidung deiner Mutter findet auch bei mir keine Zustimmung. Und ich kann sie auch nicht nachvollziehen. Allein der Name ‘El Mundo Ideal‘ müsste ihr doch suspekt vorkommen”, erwiderte Mala. „Wie du schon angemerkt hast, es gibt keine perfekte Welt. Trotzdem musst du deiner Mutter die Freiheit lassen, über ihr Leben selbst zu bestimmen. Ich denke aber, dass wir dieses Projekt mal genauer unter die Lupe nehmen sollten. Du kommst jetzt mit zu mir nach Hause und dann schauen wir, was wir alles über dieses ‘El Mundo Ideal‘ finden können, was hältst zu davon?” „Der Vorschlag gefällt mir”, antwortete Christoph, der das Gefühl hatte, die Zeit laufe ihm davon. „Lass uns gehen!”

Sie hatten Stunden vor dem PC verbracht und alles gelesen, was sie über das ‘El Mundo Ideal‘ finden konnten und sich angehört, was die Menschen über dieses Projekt so erzählten. Sie konnten meist nur positive Dinge darüber finden. Diese Gründer, Ewald und Sonja, hatten das Projekt trotz großer Schwierigkeiten ins Leben gerufen und mittlerweile für eine gute Infrastruktur gesorgt, ein Hotel errichtet und schon einige Häuser für die Bewohner, die sie ‘Siedler’ nannten, bauen lassen. Auch ein Kindergarten und eine Schule wurde errichtet. Aber das absolute Highlight schien das Gesundheitszentrum zu sein, das ihnen besonders am Herzen lag. Alle Bewohner dieser spirituellen Gemeinschaft lebten nach dem Motto: Einer ist dem anderen gut. Christoph und Mala sahen sich an und beide dachten das Gleiche. Christoph sprach es dann endlich aus: „Es gibt kein Licht ohne Schatten, das Ganze muss doch auch einen Haken haben!” Als sie sich verabschiedeten, gab Mala Christoph noch einen guten Rat mit auf den Weg: „Melde dich bitte regelmäßig bei deiner Mutter, damit du weißt, wie es ihr in Yataity geht. Und versuche nett und freundlich zu sein, denn sonst verlierst du ihr Vertrauen und den Kontakt.”

Mittlerweile waren sechs Monate vergangen, es war Mitte Oktober, seit Mala und er dieses Gespräch im Café führten. Christoph und Elli hatten sich wieder angenähert. Er verstand die Entscheidung seiner Mutter zwar immer noch nicht, aber er respektierte sie. Als Mala an diesem Tag ihr Handy wieder einschaltete, waren vier Anrufe in Abwesenheit eingegangen. Sie stellte ihr Telefon während den Patientengesprächen immer auf lautlos, damit sie weder gestört noch abgelenkt wurde. Alle Anrufe stammten von Christoph. Mala rief ihn sogleich zurück. „Hallo Christoph, lange nichts mehr von dir gehört. Wie geht es dir? Du wolltest mich sprechen?” „Ja”, sagte Christoph, er klang bedrückt, fast schon weinerlich. „Hast du wieder die schlimmen Schmerzen?”, fragte Mala. „Das auch, aber es gibt noch ein größeres Problem.” Er räusperte sich und seine Stimme klang wieder etwas fester. „Am Sonntag, also vor zwei Tagen, rief mich Mama an und teilte mir mit, dass sie das ‘El Mundo Ideal‘ verlassen wird. Sie hat festgestellt, dass es leider nicht das sei, was es vorgibt zu sein. Sie würde mir heute alles erklären, sagte sie mir gestern am Telefon. Sie könne nicht frei sprechen, denn die Wände hätten Ohren. Sie habe sich für den nächsten Tag in der Früh ein Taxi bestellt um nach Asunción zu fahren und sich dort ein Hotelzimmer zu nehmen. Mit dem nächstmöglichen Flug werde sie dann nach Deutschland zurückfliegen. Sie sagte noch, sie würde mich am nächsten Tag anrufen, so gegen 18 Uhr, und entschuldigte sich noch bei mir. Dass sie so dumm und stur gewesen sei. Und dass sie nicht auf mich hören wollte und ob ich ihr verzeihen könne.” „Das klingt doch sehr gut”, warf Mala ein. „Ja, nach diesem Anruf hätte ich Luftsprünge machen können vor Freude.”, meinte Christoph. „In derselben Nacht bekam ich dann aber wieder diese furchtbaren Schmerzen in meinem linken Bein, so dass ich morgens den Arzt rufen musste. Dieser verabreichte mir dann wie immer Morphium, die Schmerzen wurden erträglicher und ich schlief wieder ein. Erst am späten Abend holten mich diese dann aber wieder aus dem Schlaf und ich nahm die nächste Dosis Morphium ein. Fürsorglich wie immer hatte Ines, meine Haushälterin, mir alles zurechtgelegt, was ich in dieser Situation brauchte. Dann überfiel mich wieder die Müdigkeit und ich schlief ein. Erst heute früh um 9 Uhr wachte ich wieder auf. Ich hatte immer noch Schmerzen, aber sie waren bereits viel erträglicher. Ines sah gerade nach mir, ob ich schon wach wäre und brachte mir meinen Kaffee und die Tageszeitung. Danach war es mir langsam wieder möglich, klar zu denken und die Schmerzen ließen etwas nach. Meine Gedanken wanderten zu Mama nach Paraguay und ich freute mich darüber, dass sie wieder nach Hause kommen würde. Sie wollte sich um 18 Uhr wieder bei mir melden um mir alles weitere mitzuteilen. Ich warf noch einen Blick in die Zeitung, als mir das Datum auffiel: Es war Dienstag, der 19. Oktober. Mama hatte bestimmt vergebens versucht, mich zu erreichen. Ich sah auf mein Handy, aber weder ein Anruf in Abwesenheit noch eine E-Mail wurden angezeigt. Ich rief Mama an, erreichte aber nur ihre Mailbox. Ich versuchte es immer wieder, aber sie ging nicht ans Telefon. Natürlich habe ich jedes Mal eine Sprachnachricht hinterlassen und sie um Rückruf gebeten und ihr auch mitgeteilt, dass ich mir Sorgen machte. Daraufhin rief ich im ‘El Mundo Ideal‘ an, doch dort teilte man mir lediglich mit, dass Elvira Sturges das Gelände verlassen habe, doch wohin, entzog sich deren Kenntnis. Eigentlich wollte ich jetzt alle Hotels in Asunción abklappern und nachfragen, ob Mama dort vielleicht ein Zimmer gebucht hatte. Meine Schmerzen hatten sich aber mittlerweile wieder so verstärkt, dass ich nicht dazu fähig war. Darum wollte ich dich bitten, ob du das vielleicht übernehmen könntest? Irgendwo muss sie ja sein.” Christoph tat Mala so leid. Wenn er diese Schübe bekam, war er zu nichts mehr fähig. Sie hielten meist zwei Wochen an und danach brauchte er wieder einige Zeit, um zu Kräften zu kommen. Dazu kamen noch die Nebenwirkungen des Morphiums. „Selbstverständlich übernehme ich diese Aufgabe, ich werde gleich damit anfangen. Ich kann auch zu dir kommen, wenn du meine Hilfe brauchst.” „Du weißt doch, dass ich in diesem Zustand niemanden um mich haben möchte. Selbst Mutter musste das akzeptieren und außerdem sorgt Ines in dieser Zeit dafür, dass es mir an nichts fehlt. Wenn du nur Mama ausfindig machst, hast du mir schon sehr geholfen. Sobald du was hörst, gib mir bitte Bescheid. Und falls es mir nicht möglich ist, das Gespräch entgegen zu nehmen, dann sprich mir bitte auf Band. Falls ich doch etwas von Mama höre, melde ich mich bei dir. Ich danke dir Mala, dass du für mich da bist.”

5 Unter falschen Voraussetzungen

Es war Donnerstagnachmittag. Mala bereitete gerade ihren Gemüseauflauf vor. Es regnete schon den ganzen Tag und es sah nicht danach aus, dass sich das Wetter bald ändern würde. Alles an diesem Tag wirkte grau und trostlos. „Genau wie meine Stimmung”, dachte Mala als sie zum Fenster hinausblickte. Sie hatte Dienstag und Mittwoch bis spät in die Nacht in allen Hotels und auch in kleineren Pensionen in und um Asunción angerufen und sich erkundigt, ob Elli dort untergekommen war. Leider ohne Erfolg! Gott sei Dank war sie der spanischen Sprache mächtig, was ihr die Anfragen sehr erleichterte. Doch nicht nur der Misserfolg drückte auf ihre Stimmung, sondern auch die Tatsache, dass sie Christoph enttäuschen musste. Warum musste Elli auch bis nach Paraguay reisen? Die große Entfernung stellte jetzt ein großes Problem dar. Von Deutschland aus sah sie keine Möglichkeiten mehr, Elli ausfindig zu machen. Sie musste mit Christoph sprechen, er musste eine Vermisstenanzeige aufgeben. Nur: Wie und wann würde in Paraguay nach Elli gesucht werden? Außer dass Elli Montagmorgen das ‘El Mundo Ideal‘ verlassen hatte, gab es keine weiteren Informationen. Was, wenn Elli das ‘El Mundo Ideal‘ gar nicht verlassen hat? Dieser Gedanke schoss Mala plötzlich durch den Kopf. Vielleicht hat sie es sich ja wieder anders überlegt und wollte doch in Yataity bleiben. Das würde auch erklären, warum sie in keinem Hotel eincheckte und sich auch nicht bei Christoph meldete. Ihn wieder zu enttäuschen fiel ihr sicher schwer, und sie wusste bestimmt auch nicht, wie sie ihm das erklären sollte. „Nein”, sagte sich Mala, „das passt nicht zu Elli! Sie würde Christoph nicht im Ungewissen lassen und ihm dadurch unnütz Sorgen bereiten.” Was aber wenn Elli am Verlassen des Geländes gehindert wurde? Für Mala stand fest, dass sie die Antworten nur in diesem ‘El Mundo Ideal‘ finden würde. Sie musste dorthin und zwar so schnell wie möglich! Mala stellte den Computer an und rief die Seite des Projekts auf. Sie fand eine Mail-Adresse, auf der man sich für eine Informationsreise anmelden konnte. Es wurde darauf hingewiesen, dass diese Anmeldung folgendes beinhalten sollte: Genaue Beschreibung der Person und der Beweggründe, warum man sich gerade für das ‘El Mundo Ideal‘ entschieden hatte. Als Bemerkung stand noch dabei: Wenn die Gründer, Ewald und Sonja, den Eindruck gewinnen, dass man in die Gemeinschaft passt, wird sich umgehend ein Betreuer melden. Jetzt galt es nur noch, eine passende Geschichte zu erfinden, die ihr Anliegen dringend erscheinen ließ. Schneller als gedacht hatte sie das Schreiben aufgesetzt. Außer ihrem Namen und ihrem Geburtsdatum entsprach aber nichts der Wahrheit. Jetzt hieß es nur noch abzuwarten, ob und wann sich jemand meldete. Mala wollte Christoph ihre Entscheidung sofort mitteilen und wählte seine Nummer. Bereits nach dem zweiten Klingelton nahm er das Gespräch an. „Christoph Sturges”, meldete er sich. „Hallo Christoph, schön deine Stimme zu hören, wie geht es dir?”, fragte Mala. „Den Umständen entsprechend. Hast du Mama gefunden?” Hoffnung schwang in seiner Stimme mit und Mala schluckte hörbar, bevor sie antwortete. „Leider nein, aber ich würde dir gerne etwas mitteilen.” „Möchtest du vielleicht zu mir kommen und mir dabei etwas Gesellschaft leisten?”, fragte Christoph, „dann kannst du mir alles erzählen.” „Aber natürlich, ich mache mich sogleich auf den Weg!”

Mala erschrak als Christoph ihr die Tür öffnete. Er sah schlecht aus und war auch schmäler geworden. „Danke, dass du gekommen bist”, begrüßte er sie. „Ich habe Ingwertee aufgesetzt, möchtest du eine Tasse?” „Gerne”, antwortete Mala, als sie ihn freundschaftlich umarmte. Sie folgte ihm, als er sich mit Hilfe seines Gehstockes auf den Weg zur Küche machte. „Setz dich doch bitte”, forderte Christoph sie auf, während er auf den Esstisch deutete und ihnen Tee einschenkte. Danach nahm er ihr gegenüber Platz. Mala nippte an ihrem Tee und begann zu erzählen, was sie vorhatte und was sie zu diesem Schritt bewogen hatte. Christoph hörte ihr aufmerksam zu und unterbrach sie dabei kein einziges Mal. Erst als sie ihm die Frage stellte, was er von ihrer Entscheidung hielt, ins ‘El Mundo Ideal‘ zu fahren, erwiderte er: „Hast du dir diesen Schritt gut überlegt? Du weißt schließlich nicht, was da auf dich zukommt!” „Natürlich weiß ich das nicht, aber es ist der einzige Weg, Licht ins Dunkel zu bringen. Und ich bin durchaus in der Lage, mich selbst gegen einen starken Mann zur Wehr zu setzten.” Christoph holte bereits Luft, aber Mala ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Du brauchst mir übrigens auch nicht damit zu kommen, dass es deine Aufgabe wäre, diese Reise zu unternehmen. Sieh dich an, du musst dir doch selbst eingestehen, dass du dazu im Moment nicht in der Lage bist.” „Aber wenn kein neuer Schub kommt, bin ich in einer Woche wieder fit”, warf Christoph ein. Mala sah ihn zweifelnd an und schüttelte den Kopf: „Selbst wenn kein neuer Schub kommen sollte, weißt du ganz genau, dass du Wochen brauchst, um wieder zu Kräften zu kommen. Machen wir uns doch nichts vor.” Christoph senkte den Blick. Sie kannte ihn einfach viel zu gut.

6 Spion wider Willen

Timo saß mit seinen Kindern im Biergarten ‘Con Amigos’ und wartet auf seine Frau. Sie waren jeden Samstagmittag dort zu Gast. Die Pächter des Lokals, Denise und Heiko, servierten an diesem Wochentag immer verschiedene Suppen. Heute gab es Tomatencreme-Suppe. Dazu reichten sie immer selbstgebackenes Brot. Timo gab schon mal die Bestellung auf, denn die Kinder hatten Hunger. Als das Essen an den Tisch kam, erschien auch schon seine Frau Liane. „Genau rechtzeitig”, bemerkte Timo. „Können wir danach noch ein Eis haben?”, fragte sein Sohn Benno. „Oh ja, bitte!”, stimmte Isabel mit ein. Liane rief Heiko, der etwas abseits im Schatten saß, zu: „Kannst du den Kindern dann noch ein Eis bringen, wenn sie aufgegessen haben?” „Leider nein”, antwortet er, „die Lieferung kommt erst heute Nachmittag.” Isabel fing sofort zu schreien und Benno zu meckerte an. „Ruhe!”, ermahnte Liane sie in strengem Ton. „Wenn ihr ein Eis möchtet, können wir auch in die Stadt fahren. Aber nur wenn ihr euch wieder anständig benehmt.” Auf der Stelle verstummten die Beiden. „Da, wo der große Spielplatz ist?”, fragte Benno. Liane lächelte und nickte ihren Kindern zu. „Kommst du mit?”, fragte Liane ihren Mann, als sie mit dem Essen fertig waren. Er schüttelte den Kopf. „Bitte fahrt alleine, ich habe noch einiges vorzubereiten für den Vortrag nächste Woche.” „Kein Problem”, entgegnete Liane verständnisvoll und lief mit den Kindern zum Auto, denn die hatten es sehr eilig auf den Spielplatz zu kommen. Timo bestellte sich noch einen Kaffee und genoss die Ruhe. Er liebte seine Kinder sehr, aber sie waren sehr anstrengend. Benno war jetzt fünf Jahre alt und hatte nur Unsinn im Kopf. Isabel mit ihren drei Jahren fing bei allem, was ihr nicht passte, zu quengeln an. Und das war leider sehr oft der Fall. Timo bewunderte seine Frau für ihre unendliche Geduld, die sie für die Kinder aufbrachte. „Heiko, bringst du mir die Rechnung bitte? Ich habe noch einiges zu erledigen.” Er zahlte und machte sich auf den Weg nach Hause. Seit fast zwei Stunden arbeitete Timo bereits an seinem Vortrag ‘Die fünf Elemente des Lebens’, als sein Handy klingelte. „Ja hallo, einen schönen guten Tag, mit wem spreche ich?”, meldete er sich freundlich. „Deine hübsche Frau und deine beiden kleinen Kinder sitzen hier im Eiscafé. Ich habe alle drei gut im Auge. Was wäre wohl, wenn nur zwei wieder zurückkommen?”, vernahm Timo eine verzerrte Stimme am anderen Ende. Adrenalin flutete augenblicklich seinen Körper. „Was, was wollen sie von mir? Wer ist da?”, fragte er den unbekannten Anrufer mit zittriger Stimme. „Ein Freund, der deine Hilfe und Mitarbeit benötigt. Und da dachte ich, ich ruf dich vorher mal kurz an, damit dir später die Entscheidung leichter fallen wird. Dieses Gespräch sollte besser auch nur unter uns bleiben. Und noch ein kleiner Hinweis: Auch auf dem Gelände des ‘El Mundo Ideal‘ gibt es keine Sicherheit vor mir, für keinen von Euch dort und das werde ich auch bald beweisen. Also sei schön brav, ich melde mich wieder bei dir.”

Timo starrte noch immer sein Handy an, obwohl der anonyme Anrufer längst aufgelegt hatte. Wollte da jemand einen bösen Streich mit ihm spielen? „Nein”, beantwortete er sich selbst die Frage laut, „das war eine ernst gemeinte Drohung! Meine Familie!!”, schoss es Timo durch den Kopf. Mit zitternden Fingern wählte er Lianes Nummer. „Geh ran! Bitte geh ans Telefon!”, dachte er. Seine Nerven lagen blank. Nach dem sechsten Klingelton ging Liane endlich an den Apparat. „Hi Schatz, vermisst du uns schon?”, frage sie neckisch. „Wo seid ihr?”, fragte Timo ziemlich schroff. „Schlechte Laune oder was? Wir wollten gerade ins Auto steigen und zurückfahren. Wir sind ...” Ohne ein weiteres Wort legte er einfach auf und im gleichen Moment spürte er, wie sich sein Magen umdrehte. Er schaffte es gerade noch bis ins Bad. Als er sich sprichwörtlich ausgekotzt hatte, überfiel ihn ein Schwindelgefühl. Er torkelte zum Waschbecken, wusch sich das Erbrochene aus dem Gesicht und putzte sich die Zähne. Als er dabei in den Spiegel blickte, bemerkte er, wie blass er geworden war. Wenn seine Frau ihn so antraf würde sie sofort merken, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Mit einer Magen-Darm-Grippe könnte er alles erklären, sogar sein merkwürdiges Verhalten am Telefon. Als er das Motorengeräusch des herannahenden Autos hörte, legte er sich schnell aufs Sofa. Die Tür ging auf und die Kinder stürmten als erstes ins Haus. Eine Minute später erschien Liane. „Timo!”, rief sie in einem etwas barschen Ton. Als sie ihn aber so da liegen sah, wechselte sie die Stimmlage. „Du meine Güte, du bist ja weiß wie die Wand und total verschwitzt!” Sie sah ihn sorgenvoll an. „Ich glaube, ich habe mir etwas eingefangen, ich musste mich schon mehrmals übergeben. Außerdem habe ich rasende Kopfschmerzen. Ich sollte mich jetzt besser ins Bett legen und versuchen zu schlafen”, sagte er zu Liane. Sie begleitete ihn ins Schlafzimmer und zog die Vorhänge zu. „Ruhe dich aus, mein Schatz und rufe mich, wenn du mich brauchst”, sagte sie fürsorglich. Als er alleine war, ließ er das Gespräch des Unbekannten nochmals Revue passieren. Eigentlich war es ja gar kein richtiges Gespräch, sondern ein Monolog. „Was kommt da bloß