Blutsbruder - Viktoria Weber - E-Book

Blutsbruder E-Book

Viktoria Weber

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Beschreibung

Im Alter von 17 Jahren erhält Leon eine erschreckende Nachricht: Er hat Leukämie. Nun muss er eine Weile im Krankenhaus leben, um den Kampf um Leben und Tod anzutreten. Dort begegnet er Menschen und meistert Schicksalsschläge, die sein Leben für immer verändern werden.

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Für Pewli

Kapitelübersicht

Kapitel 1:

Ein neues Leben

Kapitel 2:

Post aus Amerika

Kapitel 3:

Ein Fremder im Spiegel

Kapitel 4:

Wieder zu Hause

Kapitel 5:

Abschied von Lukas

Kapitel 6:

Das Haus am Ende der Straße

Kapitel 7:

It's raining in my heart

Kapitel 8:

Happy Birthday, Dennis!

KAPITEL 1: EIN NEUES LEBEN

Mit schlotternden Knien stieg ich in den Aufzug. Er war ziemlich riesig, viel größer als alle anderen Aufzüge, mit denen ich bisher auf und ab gefahren war. Ich war sehr nervös, doch die sanfte Berührung der Handfläche meiner Mutter auf meiner Schulter war zumindest ein bisschen beruhigend. Ich linste zu ihr hinüber. Sie lächelte mich an, doch es hätte wohl ein Blinder erkannt, wie aufgesetzt dieses Lächeln war. Als wir im richtigen Stockwerk angekommen waren, öffnete der Aufzug mit einem dieser nervigen Ding-Dong-Geräusche seine Türen und ich trottete langsam, gefolgt von meiner Mutter, nach draußen. Ich war fast geblendet von den riesigen Fenstern, den weißen Wänden, den weißen Türen, den weißen kleinen Wägelchen, die überall herumstanden.

Praktisch alles war weiß, und ich vernahm sofort diesen unangenehmen sterilen Geruch, den man nur zu gut von Krankenhäusern kennt. Selbst eine 100l-Flasche Parfum wäre wohl nicht imstande, ihn zu vertreiben. "So, hier sind wir auch schon. Da hinten ist es. Zimmer 306. Das letzte auf der linken Seite.", sagte die kleine mollige Oberschwester, die meine Mutter und mich hinaufbegleitet hatte, da sie ohnehin den gleichen Weg wie wir gehabt hatte. "Geht ruhig schon rein. Ich komme gleich nach." Sie klang sehr freundlich und aufgeweckt. Nachdem sie ihren Satz beendet hatte, verschwand sie um die Ecke und eilte zu diesem Schalter, wo man hingehen kann, wenn man Fragen bezüglich eines Patienten hat. Außer ihr waren noch ein paar andere Schwestern dort, doch so wie es aussah, hatten die alle im Moment nichts zu tun. Ich bin mir nicht sicher, ob man das in einem Krankenhaus tatsächlich "Schalter" nennt, aber ich bin sicher, ihr wisst alle genau, was ich damit meine. So wie die Kleine, Dicke es uns aufgetragen hatte, gingen meine Mutter und ich den langen, weißen, sterilen Gang entlang. Eigentlich war er gar nicht so lang, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis wir schlussendlich beim Zimmer mit der Nummer 306 angekommen waren. Meine Hände zitterten etwas, doch ich versuchte, es meine Mutter nicht sehen zu lassen.

Ich öffnete langsam die Tür und betrat den Raum. Es war ein recht großes, helles Zweibettzimmer mit Fenstern, die so riesig waren wie die auf dem Gang draußen. "Hallo, hallo, hallo!", begrüßte uns ein recht hibbeliger Junge, der wohl offenbar mein künftiger Zimmergenosse war. Das Erste, das mir an ihm auffiel, war die irriwitzige Mütze, die er sich bis zu den Augenbrauen ins Gesicht gezogen hatte. Sie war schwarz mit roten Streifen und einem Puschel in Regenbogenfarben. Er lächelte mich an, und im Gegensatz zu dem Lächeln meiner Mutter war seines alles andere als aufgesetzt. Ich sah ihm in die Augen und lächelte zurück. Sie waren groß und rehbraun, und er hatte für einen Jungen sehr hübsche ebene Gesichtszüge, sah aber noch unheimlich kindlich aus. Ich konnte kaum sagen, wie alt er war. So hastete ich hinüber zu dem Bett, das noch frei war. Ich hatte Glück, denn es war das Bett neben dem Fenster. Meine Mutter packte meine große, schwarze Reisetasche auf die Matratze und blickte sich um. "Ist doch schön hier.", meinte sie. Wie so oft versuchte sie, diese beschissene Situation schön zu reden. Das tut sie immer. "Und er wirkt auch sehr nett.", flüsterte sie mir zu und blinzelte aus dem Augenwinkel hinüber zu dem Jungen mit der bunten Mütze, der gebannt auf einen Zettel starrte, den er fest in beiden Händen hielt. Vermutlich irgendein Brief.

Ich zog zaghaft einen Mundwinkel nach oben. "Ja, Mama.

Total super.", erwiderte ich in sarkastischem Tonfall, bevor auf einmal die Tür aufging und die Oberschwester, die uns vorhin begleitet hatte, mit einem breiten Grinsen den Raum betrat. Sofort blickte der Junge vom Bett nebenan von seinem Zettel auf und legte ihn zur Seite. "Morgen, Moppelchen.", begrüßte er sie spielerisch und frech zugleich. "Guten Morgen, mein Schatz. Wie geht es dir heute?", fragte sie. "Ich fühle mich heute so stark wie Superman!", sagte der Junge breit lächelnd und wackelte dabei mit seinem Kopf, sodass der Regenbogenpuschel hin und her schaukelte. Die Oberschwester lachte. Danach wandte sie sich mir und meiner Mutter zu . "Na, gefällt dir dein Zimmer?", fragte sie mich in sehr lieblichem, sanftem Ton. Ich wollte antworten, doch sie ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. "Hab keine Angst. Ich verspreche, wir werden uns hier gut um dich kümmern." Behutsam legte sie ihre für eine Frau sehr große Hand auf meine Schulter, was mich ungemein beruhigte. "Und keine Sorge wegen Dennis.

Er ist nicht so böse wie er aussieht.", fügte sie scherzhaft hinzu und brachte meinen Zimmerkollegen zum Lachen. Dennis hieß er also. "Ich hab keine Angst.", versicherte ich der Schwester schließlich, doch ich wusste genau, dass dies eine Lüge war, denn in jenem Moment konnte ich mich nicht entsinnen, in meinem Leben jemals mehr Angst gehabt zu haben. Die Schwester nahm meine Reisetasche und hob sie vom Bett. "Zieh dich erst mal um und dann mach es dir bequem. Deine restlichen Sachen kannst du in den Schrank räumen. Mittagessen gibt es immer um 12, Frühstück bekommst du um 8. Und immer schön aufessen. Du wirst die Vitamine brauchen. Ich mag es nicht, wenn man nicht aufisst.", ratterte sie ihre Erklärungen herunter, als wäre sie ein Roboter, blieb jedoch genau so freundlich und sanft wie zuvor. "Das mag sie wirklich nicht.", bestätigte Dennis ihre Aussage und sah mich dabei grinsend an, während er mir zunickte.

Danach fuhr die Schwester fort: "Gewöhn dich erst einmal an die neue Umgebung. Mit der Behandlung beginnen wir dann morgen, ja? Wenn du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden, oder an die anderen Krankenschwestern, oder einen Arzt. Und natürlich an Dennis." "Ja, Dankeschön.", antwortete ich kurz und knapp. Danach spürte ich, wie meine Mutter ihre Arme ganz fest um meinen Oberkörper schlang. Sie seufzte in mein Ohr, was mir eine Gänsehaut bereitete.

"Es tut mir so leid, mein Liebling, aber ich muss jetzt los zu einer Besprechung. Ich verspreche, ich komme heute Abend wieder." Die Stimme meiner Mutter zitterte und sie hatte Tränen in den Augen, doch es machte mir ehrlich gesagt nichts aus, dass sie gehen musste. Ich wollte sogar ein bisschen für mich sein. "Ist schon gut.", beteuerte ich ihr mit einem Lächeln, das genau so aufgesetzt war wie ihres. "Ich bringe Sonja mit.", sagte Mama noch anschließend und drückte mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie schließlich von der dunkelhaarigen, dicken Oberschwester wieder nach draußen begleitet wurde. Sowie die beiden den Raum verlassen hatten, verlor ich mich in Gedanken, aus denen mich mein munterer Bettnachbar jedoch ganz schnell wieder rausriss. "Wer ist denn Sonja?", fragte er mit einem spitzbübischen Lächeln, als ob es ihn etwas anginge.

"Meine kleine Schwester.", erwiderte ich recht gleichgültig, lächelte jedoch zurück. "Versteht ihr euch gut?", fragte Dennis. "Geht so. Sie ist erst zwölf." "Ich wollte auch immer Geschwister haben. Aber ich hab keine.", antwortete Dennis und fummelte dabei am Saum seiner Bettdecke herum. "Wie alt bist du denn?", fragte er mich dann und wandte seine Augen dabei keine Sekunde von mir ab. "Siebzehn. Und du?", sagte ich. "Fünfzehn.

Für alle noch ein Kind, aber zu alt für die Kinderstation."

Er kicherte, sofern Jungs kichern können. "Ich nehme an, du bist das erste Mal hier.", fügte er hinzu. "Ist das so offensichtlich?", wunderte ich mich. "Ja, das ist es. Du siehst aus wie ein verschrecktes Hasenbaby, das zum ersten Mal aus dem Bau gekrabbelt ist." Wieder lachte Dennis. Ich fühlte mich von seinen schamlosen Worten irgendwie ein bisschen beleidigt, doch das hielt nicht lange an. Also lachte ich einfach mit ihm mit. "Wie lange bist du denn schon hier?", fragte ich ihn. "Ach, ich kenne gar nichts anderes. Aber es ist gar nicht so schlimm. Hier sind alle ziemlich nett. Heidi, die Schwester von eben, ist manchmal ein bisschen grummelig, aber im Grunde ist sie sehr lieb. Außerdem hat sie meistens eh keine Zeit für uns. Aber die anderen Schwestern sind auch sehr lieb. Sie sind alle lieb." Er lächelte. Er tat mir furchtbar leid, doch das zeigte ich ihm nicht. "Ich bin übrigens Leon.", stellte ich mich stattdessen endlich richtig vor. Ich hätte dem Jungen meine Hand zum Schütteln gereicht, aber dafür standen unsere Betten zu weit auseinander. "Dennis.", erwiderte er. "Aber das weißt du ja schon." Gerade, als ich wieder etwas sagen wollte, wurde plötzlich die Türe aufgestoßen und zwei weitere Jungs kamen hereingeeilt wie ein Wirbelsturm. "Dennis!", sagte einer der zwei. Sie schienen beide ungefähr in meinem Alter zu sein. "Du musst....", setzte er an, doch sowie er mich erblickt hatte, unterbrach er seinen eigenen Satz. "Ist das der Neue?", fragte er Dennis lächelnd, anstatt mich selbst zu fragen.

"Offensichtlich.", beteuerte der 15-Jährige und wandte mir seinen Blick zu. "Freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen.", sagte der andere und kam auf mich zu. "Mein Name ist Lukas Strauß. Zimmer 301, rechts den Gang runter.", erklärte er und schüttelte mit ganz viel Druck meine Hand. Er klang wie ein Professor, wenn er sprach. "Lukas ist 17, wie du.", erklärte Dennis.

Lukas war kein hässlicher Kerl, jedoch hatte er eine irrwitzig kurze spitze Nase, die ihm ein nagetierähnliches Aussehen verlieh. Er war weder sonderlich klein noch herausragend groß, schlank, und hatte wässrige blaue Augen. "Schön, dass wir uns noch kennenlernen.", meinte er lächelnd. "Ich werde nämlich gesund. Ich habe mir fest vorgenommen, ganz bald hier rauszukommen.", erklärte Lukas mir voller Überzeugung.

"2 von 3 Leukämie-Patienten werden nicht wieder gesund." Er erinnerte mich sehr an einen meiner Lehrer, aber irgendwie war er mir sympathisch. "Mann, Lukas, das ist doch Quatsch. Wenn das stimmen würde, dann wäre ich doch schon längst tot.", kommentierte Dennis Lukas' Aussage scherzhaft genervt, bevor er seinen Blick dem anderen der beiden Jungs zuwandte, der gerade dabei war, sich wie gebannt selbst in dem Spiegel zu betrachten, der rechts neben der Tür an der Wand hing.

"Marco, geh vom Spiegel weg! Du siehst scheiße aus!", forderte Dennis ihn in sehr frechem Ton auf, doch dieser reagierte gar nicht. "Menschen mit Glatze sehen immer scheiße aus. Das ist einfach immer so, weißt du?", belehrte er mich und seufzte. "Mit Marco brauchst du gar nicht erst zu reden. Er ist immer nur mit seinem Spiegelbild beschäftigt.", meinte Dennis und verdrehte die Augen. Marco war ein unglaublicher Schönling. Er war groß und schlank, hatte ein sehr markantes Gesicht, große dunkle Augen und den letzten Ansatz eines Paares dicker schwarzer Augenbrauen. Auf dem Kopf hatte er jedoch kein einziges Haar. Man sah ihm sofort an, dass er südländische Wurzeln hat, und ich versuchte ein paar Mal, mir vorzustellen, wie er wohl mit einer vollen dunklen Mähne aussehen würde, die genau so pechschwarz war wie seine Augenbrauen. "Das ist übrigens Leo.", stellte Dennis mich den anderen zwei schlussendlich vor. "Leon.", besserte ich ihn aus und schenkte Lukas und Marco ein eher zurückhaltendes Lächeln. Danach redeten wir eine Weile. Ich kann gar nicht sagen, wie lange genau, aber die Zeit verging wie im Flug. Ich lernte so Einiges über die Jungs und ich war heilfroh über die Gesellschaft. Lukas war seit fast einem Jahr hier, war aber auf dem Weg der Besserung. Er las gerne Zeitung und fand Statistiken unheimlich erbaulich. Er erzählte mir, er würde mal Arzt werden und etwas finden, das Krebs für immer heilt.

Dennis hingegen hatte eine Schwäche für Abenteuerromane und die übersprudelnste Fantasie, die ich je bei einem Menschen erlebt habe. Er sagte, er habe schon immer Krebs. Ich wusste gar nicht, dass das geht.

Und Marco sprach wirklich nicht viel. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie lange er zu jenem Zeitpunkt schon im Krankenhaus gewesen war, doch eigentlich ist es ja auch egal, wie lange einer schon krank ist. Dennis schien es unheimlich zu amüsieren, Marco auf den Arm zu nehmen, und das zu jeder Gelegenheit, doch das schien den Hübschling nicht weiter zu stören. Während Dennis und Lukas waren wie ein reißender Fluss, so gleichte Marco eher einem Glas mit stillem Leitungswasser. Doch irgendwie mochte ich sie alle drei. Jedenfalls war ich echt glücklich darüber, nicht alleine sein zu müssen. Als meine Mama mit Sonja im Schlepptau am Abend wie angekündigt zu Besuch kam, waren Marco und Lukas schon längst wieder in ihr eigenes Zimmer zurückgekehrt. Wie bei unserer Verabschiedung zuvor nahm meine Mutter mich ganz fest in die Arme. Sonja setzte sich neben mir an den Rand meines Bettes. "Wie gehts dir denn?", fragte meine Mutter lächelnd, doch ich wusste sofort, wie besorgt sie eigentlich war. "Geht schon.", antwortete ich kurz und knapp wie so oft. "Hallo, Leon.", begrüßte mich meine kleine Schwester auf sehr unpersönliche Weise. "Und wer bist du?", fügte sie hinzu, als sie sich urplötzlich von mir ab und Dennis zuwandte.

"Ich bin Dennis.", erwiderte dieser, spitzbübisch lächelnd.

"Und wer ist die hübsche kleine Lady?" "Ich bin die Sonja.", stellte meine Schwester sich vor und kicherte wie ein Küken. Ich wusste sofort, dass er ihr gefiel. "Ich hab dir deine Lieblingskekse mitgebracht.", sagte meine Mutter auf einmal zu mir und unterbrach das Gespräch der beiden ganz ohne darüber nachzudenken. Sie schmunzelte mich an und platzierte eine dieser antiken Blechdosen, die nur noch Omas besitzen, auf meinem Schoß. Wir vier plauderten eine Weile, bis Mama und Sonja schließlich gebeten wurden, uns wieder zu verlassen. Wir redeten bloß über belangloses Zeug. Ich weiß kaum noch, worüber, aber es tat mir gut, abgelenkt zu sein. Und die ganze Zeit, während wir uns unterhielten, schielte Sonja ganz unauffällig zu Dennis hinüber. An jenem Abend trug sie Schweineschwänzchen und einen quietschrosa Jogginganzug. Es war nicht schwer zu erkennen gewesen, dass sie sich unheimlich dafür geschämt hatte.

Als ich nachts im Dunkeln so da lag, überkam mich urplötzlich ganz schreckliches Heimweh. Klar wusste ich, dass es peinlich ist, mit 17 Heimweh zu haben, aber ich konnte es echt nicht ändern. Ich vergoss sogar ein paar Tränen auf mein Kissen, aber ganz im Stillen, sodass es auch ja niemand merken würde. "Sieh mal! Eine Rauchspur!", verkündete Dennis dann auf einmal und stürmte aus seinem Bett zum Fenster hinüber.

Offensichtlich war er noch putzmunter. Er deutete hinauf in den Himmel, auf ein Flugzeug, das gerade Gott weiß wohin flog. Ich richtete ebenfalls meinen Blick dorthin und erspähte auch die lange Rauchspur, die sich hinter der massiven Maschine über den dunklen Himmel streckte. "Ja, und?", fragte ich gleichgültig. "Siehst du sowas zum ersten Mal oder wieso führst du dich so auf?"

"Ist doch Quatsch.", antwortete Dennis und drückte dabei seine Nase gegen die Fensterscheibe wie ein kleines Kind. "Ich stelle mir immer vor, das wäre weißer Pulverschnee und ich könnte darauf Schlittschuhlaufen.

Ich war noch nie Schlittschuhlaufen, weißt du?", flüsterte er voller Verzückung. "Soweit ich weiß macht man das nicht auf Pulverschnee sondern auf Eis.", kommentierte ich die Aussage des Jüngeren, doch er hörte überhaupt nicht zu, sondern plapperte einfach munter weiter. "Oder stell dir vor, es wäre kein Pulverschnee sondern Zuckerwatte. Dann könnte ich die ganze Spur aufessen. Ich habe noch nie Zuckerwatte gegessen." Er lachte auf unheimlich amüsierte jedoch melancholische Weise. "Apropos essen! Schenkst du mir einen von deinen Oma-Keksen?" Dennis riss sich vom Fenster los und setzte sich zu mir aufs Bett. "Du musst übrigens nicht weinen. Ich bin ja da. Außerdem bringt das nichts, weißt du? Es ändert nämlich rein gar nichts.", sagte er zu mir, und ich schämte mich in Grund und Boden, denn dass er meine Heulerei mitbekommt, war das Letzte gewesen, das ich gewollt hatte. Ohne etwas zu erwidern, öffnete ich die Keksdose und musste sofort lächeln, als ich den guten Duft von Schoko-Karamell vernahm. "Riecht das lecker!", platzte Dennis heraus und krallte sich gleich 2 von den Keksen. Er verschlang sie genüsslich innerhalb von Sekunden. "Du, Leo?", sagte er danach und sah mich mit fragendem Blick an. "Leon.", besserte ich ihn aus. "Heute Morgen hat deine Mutter gesagt, sie muss zu einer Besprechung. Was arbeitet sie denn?", fragte der 15-Jährige und nahm sich einfach noch einen Keks, ohne mich vorher zu fragen. Diese Frage hatte ich nicht erwartet. "Meine Eltern haben ein Architekturbüro. Sie sind beide Architekten..", erklärte ich und schenkte dem Kerl mit der lustigen Mütze ein Lächeln. "Also bauen sie Häuser und so?", fragte Dennis.

Und ich nickte. "Das ist ja cool! Meinst du, sie bauen mir auch ein neues Zuhause, wenn ich hier raus bin?" "Wenn du dafür bezahlst.", erklärte ich leicht provokant, was uns beide zum Lachen brachte. "Was arbeiten deine Eltern denn so?", fragte ich schließlich, um die Konversation aufrecht zu erhalten. "Ach die....die drehen Dokumentarfilme. Sie arbeiten die ganze Zeit, weißt du?

Sie machen Landschaftsaufnahmen überall auf der Welt.

Und aus jedem Land, das sie bereisen, schicken sie mir ein Geschenk. Eine Mütze! Die hier, die ich gerade trage, ist aus Südafrika. Dort waren sie als letztes." Er lächelte und plapperte wie ein Wasserfall und zeigte dabei auf die quietschbunte Strickmütze auf seinem Kopf. "Aber wenn sie andauernd auf Reisen sind, dann sie sie doch nie hier bei dir, oder?", stellte ich vollkommen wertfrei fest, doch sowie diese Worte meinen Mund verlassen hatten, bemerkte ich, wie ein dunkler Schleier der Traurigkeit Dennis' fröhliches Gemüt überkam. "Die Mütze ist mir schon aufgefallen. Gefällt mir gut.", log ich schmunzelnd, um den Jüngeren wieder aufzumuntern, und von einer Sekunde auf die nächste lächelte er wieder.

Als ich am nächsten Morgen pünktlich zum Frühstück vom Sonnenlicht geweckt wurde, war Dennis schon hellwach. Eine schmächtige, klein gewachsene Frau brachte uns je ein Tablett voller Essen. Ihrer Kleidung nach zu urteilen war sie ebenfalls eine der Krankenschwestern. Sie hatte ein kreisrundes Gesicht, feuerrotes Haar, und eine kleine Stupsnase, auf der ganz viele Sommersprossen saßen. Sie sah unglaublich lieb und freundlich aus. "Guten Morgen, Champ!", begrüßte sie Dennis, während sie ihm das Frühstückstablett hinstellte. Er strahlte sie regelrecht an. "Und du musst Leon sein. Guten Morgen.", sagte sie zu mir, während sie auf mich zukam. Nachdem sie mein Tablett ebenfalls abgestellt hatte, drückte sie mich ganz fest. "Ich bin Olivia.", stellte sie sich lächelnd vor. Ich lächelte zurück.

"Falls du etwas brauchst, bin ich immer für dich da." Ihre Stimme war sehr sanft und beruhigend. "Danke. Das ist sehr lieb.", antwortete ich und versuchte dabei, die