Bockenheim schreibt ein Buch -  - E-Book

Bockenheim schreibt ein Buch E-Book

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Beschreibung

Das Bockenheim-Buch Mein. Dein. Unser Bockenheim - nach diesem Motto erzählen 40 Autorinnen und Autoren Geschichten, Anekdoten und Erlebnisse aus ihrem Stadtteil. mainbook hatte im Spätsommer 2014 einen literarischen Aufruf gestartet: Es ging darum, Texte einzureichen, in denen es um Bockenheim geht. Eine unabhängige Jury hat 40 Texte ausgewählt. mainbook hat sie in dieser Anthologie veröffentlicht. Die Auswahl spiegelt ein buntes Bockenheim-Bild wider. Vergangenheit und Gegenwart, Bekanntes und Neues, Lustiges und Originelles, Spannendes und Bewegendes. Willkommen in Bockenheim - aus der Sicht von 40 Autorinnen und Autoren.

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Gerd Fischer (Hrsg.)

Bockenheim schreibt ein Buch

40 Autoren erzählen aus ihrem Stadtteil

Ein Lese- und Bilderbuch

mainbook

Ein herzliches Dankeschön an die Jurorinnen: Daniella Baumeister,Ingeborg Bellmann, Ulrike Boessneck-Voigt und Andrea Habeney

Covermotive:„Ginnheimer Spargel“ (der zu Bockenheim gehört) © Georg DörrWasserhäuschen in der Franz-Rücker-Allee, Frühjahr 2015 © Georg DörrObere Leipziger Straße, Frühjahr 2015 © Enrico SaudaBockenheimer Warte, 1976 © Volker Erbes

Gerd Fischer (Hrsg.) Bockenheim schreibt ein Buch© mainbook Verlag Frankfurt, 2015

Gestaltung: Anne FußBilder: Georg Dörr, Enrico Sauda, Volker Erbes (siehe Quellen)

Weitere Titel www.mainbook.de

ISBN 9783944124803

INHALT

Vorwort von Gerd Fischer

1. Typisch Bockenheim

Regula Portillo

Jaques und wir, die auswärtigen Bockenheimer

Arri Dillinger

Mein Bett in Bockenheim

Helen Esther Zumpe

Wahre Bockenheimer Nöte

Volker Erbes

Warte steht, Turm fällt

Isabella Caldart

Die Suche

2. Bockenheim, früher

Peter Kurzeck

In Bockenheim, in Frankfurt am Main. Das Jahr 1984

Irina Sturm und Tilman Krömmelbein von Nostalgiekarte.de

Bockenheimer Hinterhof

Helmer Boelsen

Bockenheimer Weltmeister

Ruth Krämer-Klink

Eine Liebe in früheren Zeiten

Jeffe Mangold

Eispalast

Walther Dunkl

Ein Bockenheimer Blumenstrauß

3. Bockenheimer Uni

Mia Beck

Studium Generale

Edeltraut Damerow

Gesprengtes Elfenbein

Sabine Koeppe

Linksrum, rechtsrum

Claudia Kreipl

Back to Bockenheim – Zurück auf Anfang

Christian Viets

Der wahrscheinliche Anfang vom Ende des Suhrkamp Verlages

M.I.Grant

Elfenbein & Nilpferd

Paul Pfeffer

Adorno und der Fußball/

Mach nicht so ein Theater, Theodor

4. Bockenheimer Beobachtungen

Ulla Krenz

Eine 88-jährige Bockenheimerin erinnert sich

Torsten Gaitzsch

Wo die wilden Zäune wohnen

Frauke Haß

Der graue Mann

Dominique Petre

Gott wohnt in Bockenheim

Manfred Hofacker

Als die Straßenbahnen noch durch die Leipziger Straße fuhren

Gisela Becker

Auf der vergeblichen Suche nach dem Seniorenfitnessparcours in der Zeppelinallee

Angelika Angermeier

Die späten Tage

5. Mein Bockenem

Irmgard Naher-Schmidt

Bockenem unn’s Westend net ze trenne

Hans Eckert

Alte Bücher

Stefan Geyer

Ödland

Tanja Zehnpfund

Immer wieder Bockenheim

Inoszka Prehm, Lady of Camster

Endlich daheim

Otto Ziegelmeier

In Erinnerung an einen, der gerne hier war

6. Junges Bockenheim

Suzanne Lisa Cadiou

Ein Stadtteil in vier Abenteuern

Jannis Plastargias

AT KOZ

Janine Drusche

Leise Liebe in Bockenheim

Anna Honecker

Begegnen in Bockenheim

Gerald A. Maier

Ein Bayer in Bockenheim

7. Bockenheim rockt!

Hanna Rut Neidhart

O-W-G Gräfstraßen Rap

Andreas Asendorf

Die Festhalle rockt!

Gerald A. Maier

Bock auf Bockenheim

Edgar Born

Sprechstunde bei Doktor Flotte

Autoren

Quellen

MEIN. DEIN. UNSER BOCKENHEIM

Geschichten aus dem Stadtteil

Zuerst gab es die Idee: Lasst uns ein Bockenheim-Buch machen! Okay, aber wie? Bockenheim schreibt ein Buch! Alle können mitmachen. Alle, die etwas zu Bockenheim zu sagen haben, ob professionelle oder Hobby-Autoren. Menschen, die den Stadtteil prägen. Und umgekehrt.

Im Spätsommer 2014 den Aufruf gestartet. Es soll eine Anthologie entstehen. Originelle, lustige, bewegende, berührende, freche, persönliche, spannende Geschichten. Hauptsache es geht um Bockenheim. Wir bekamen eine bunte Vielfalt, verschiedene Sicht- und Herangehensweisen. Es hat Spaß gemacht, die Texte zu sichten und in diesem Buch zu vereinen. Eine unabhängige Jury hat Texte von 40 Autorinnen und Autoren ausgewählt, die ein buntes Bockenheimbild entwerfen.

Zwischen Messegelände und Niddapark, Rebstock und Palmengarten, vom Friedhof bis zum Westend – in Bockenheim ist immer was los. Das zeigt nicht nur die bewegte Historie. Das reicht bis heute. Die Uni. Die Studentenproteste in den 60ern und 70ern. Der Kulturcampus. Die Leipziger. ExZess. Senckenberg-Museum. Die Bockenheimer Warte. Das Depot. Die Menschen. Kulturen. Multikulti. Nicht zu vergessen die Schattenseiten. Gentrifizierung und Mietpreisexplosion. Alteingesessene Bockenheimer werden vertrieben. Probleme, die dadurch entstehen.

Die Geschichten liegen auf der Straße. Und nun haben wir 40 davon in diesem Buch vereint.

Wir haben uns sehr über die große Resonanz gefreut. Leider konnten wir nicht alle Texte im Buch aufnehmen. Sie vermissen etwas? Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Buch kein vollständiges Bild von Bockenheim aufzeigen kann. Aber wir haben die Texte ergänzt durch Bilder des früheren und heutigen Bockenheims.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, den Stadtteil aus der Perspektive von 40 Autorinnen und Autoren neu zu betrachten. Sicher entdecken auch Sie – wie ich – vieles, was Sie noch nicht über Bockenheim wussten,

Ihr Gerd Fischer, Verleger mainbook

BOCKENHEIMTYPISCH

Typisch Bockenheim

Regula Portillo

Jaques und wir, die auswärtigen Bockenheimer

Unsere Kinder besuchen in Bockenheim den Kindergarten, wir wohnen in Bornheim. Insofern kommen wir jeden Tag von auswärts nach Bockenheim. Allerdings kämen wir auch von auswärts, wenn wir in Bockenheim wohnen würden, denn von unserer vierköpfigen Familie besitzt niemand einen deutschen Pass. Trotzdem sind wir Bockenheimer, irgendwie. Wir sind es geworden, indem wir täglich die Leipzigerstraße und ihre Seitengassen auf und ab spazieren und dabei längst herausgefunden haben, wo es den besten Kaffee und im Sommer das leckerste Eis gibt, den würzigsten Käsekuchen, die süßesten Datteln, indem wir Spielplätze kennenlernten, öffentliche Toiletten aufsuchten, uns in Buchhandlungen spätere Lieblingsbücher empfehlen und einpacken ließen.

Als der Großvater aus Mexiko zu Besuch ist und nach dem Abholen aus dem Kindergarten Appetit auf eine kräftige Zwischenmalzeit verspürt, wird er von meinem Sohn zu einer Metzgerei auf der Leipzigerstraße geführt. Schnitzelbrot, sagt der fünfjährige Knirps, ein Schnitzelbrot müsse es sein für den Abuelo, der abgesehen von ein paar wenigen Worten kein Deutsch versteht. Ich beobachte die Szene aus dem Hintergrund, beobachte den Metzgermeister, der sich von meinem Sohn geduldig erklären und übersetzen lässt, wie sich der Großvater das Schnitzelbrot wünscht.

Als Großvater und Enkel schließlich herzhaft in Großvaters Schnitzelbrot beißen, zwinkert mir der Metzgermeister zu. Er komme ursprünglich aus Italien und habe das Spanisch des Jungen problemlos verstanden, habe aber dem kleinen Dolmetscher einfach so gern zugehört und ihn deshalb reden lassen.

Der Metzgermeister kommt von auswärts – wie sehr ich in diesem Moment diesen buntgemischten und herzlichen Ort doch liebte!

Auf der anderen Straßenseite sitzt ein älterer Mann auf dem frostig kalten Boden, leicht schaukelt er seinen Oberkörper vor und zurück und bittet die Passanten mit flehendem Blick um Geld. Ich begegne ihm fast täglich, werfe manchmal ein paar Münzen in den Pappbecher, der vor ihm steht – andere Male, ich gebe es zu, ignoriere ich ihn absichtlich.

Heute gelingt mir das nicht, das schlechte Gewissen plagt mich, als wir mit unserem lecker duftenden Schnitzelbrot an ihm vorbeigehen. Ich bleibe stehen und frage ihn, ob er auch eins möchte. Er nickt mehrmals, zeigt auf seinen Mund, immer wieder.

Ja, ein Schnitzelbrot, wiederhole ich und blicke zur Metzgerei, nicht sicher, ob er meine Frage verstanden hat.

Dann erst merke ich, worauf mich der Mann hinweisen will: auf seine fehlenden Zähne!

Gulasch, s’il vous plait, sagt er und lacht mich freundlich an. Dass er mit den wenigen Zähnen, die ihm geblieben sind, nicht zubeißen kann, versteht sich von selbst – ich nicke und als ich auf das Aufwärmen der Gulaschsuppe warte, wird mir bewusst, wie relativ es ist, von auswärts zu kommen.

Seither sind ein paar Wochen vergangen.

Noch immer schreite ich täglich die Leipzigerstraße auf und ab, spaziere vorbei an der Metzgerei und dem Ort, an dem der Mann gesessen und dankbar seine Gulaschsuppe entgegen genommen hat – ich erschrecke: Er sitzt nicht mehr dort.

Warum nur, und wo könnte er denn hingegangen sein?

Als ich in die Straße einbiege, wo sich der Kindergarten befindet, denke ich noch immer an ihn. Vielleicht, überlege ich, heißt er Jaques und ist in Richtung Süden gefahren.

Ich hoffe, dass es Jaques gut geht. Jetzt, wo er nicht mehr da ist, weiß ich, dass auch er Teil von Bockenheim war, Teil von meinem Bockenheim – Jaques, ein Auswärtiger wie ich.

Fast wie in Paris – auf der oberen „Leipziger“

Imposant – das Portal der Frauenfriedenskirche mit Friedenskönigin (an der Franz-rücker-Allee)

Arri Dillinger

Mein Bett in Bockenheim

Hab ich alles? Habe ich mich?

Es wird schon dunkel und der Wind beißt mir in die Nase. Kalt.

Meine Mütze?

Ja, da muss ich nicht nachschauen. Die hab ich immer auf. Auch im Sommer. Und darüber die Kapuze. Auch immer da. Auch im Sommer.

Die Kapuze schützt die Mütze mit den Ohrenklappen, die Mütze den Kopf und der Kopf das, was da drinnen ist. So muss das sein.

Der Türke gegenüber dem Obststand auf der Leipziger ist noch offen. Er hat ein Ausgabefenster. Ich stell mich da manchmal hin. Da seh ich direkt auf den dicken Dönerfleischkloß. Es riecht gut aus dem Fenster.

Manchmal, nicht oft, aber doch manchmal, wenn ich es schaffe, ganz lange stehenzubleiben und anklagend hindurch zu starren, krieg ich ein türkisches Brötchen mit zu lang gebratenen Fleischstücken. Mmhh!

Ich seh meinen Atem, eine kleine graue Wolke, wenn ich schnaufe. Bin jetzt schon ein ganzes Stück die Markgrafen hoch. Seh die Markuskirche, die ja jetzt keine Kirche mehr ist, wie mir einer erzählt hat. Da glitzert etwas vor den Kirchenstufen. Ich geh mal schnell auf die andere Seite und guck mir das Ding an. Ach, ist nichts, nur ein runtergetretenes Blech. Aber der Raureif darauf, der ist schön.

Heut Nacht wird es richtig kalt werden, denk ich. Gut dass ich mein Bett habe. Was zu trinken wäre nicht schlecht. Aber ja, ich hab ja noch was, eine Dose Bier, gut eingepackt. Wenn ich im Bett liege, werd ich sie aufmachen.

Ich friere an den Fingerspitzen. Die Spitzen meiner Handschuhe hab ich abgeschnitten. Dann fühl ich was, ohne die Handschuhe auszuziehen. Jetzt fühl ich nur, dass es eisig ist.

Ich zieh mein Haus hinter mir her. Es ist aus stabilem Metall. Und gut eingerichtet. Ganz unten die Isomatte mit dem gerollten Schlafsack. Darüber die grüne Plastikplane. Falls es regnet. Oder so. Die Tüten liegen drauf. Festgeknotet. Hab sie fest im Blick. Ordnung muss sein. Das hab ich gelernt, irgendwann einmal, ja, ist wohl lange her, aber ist wichtig, wichtig. Man kann sich daran festhalten, mit den Händen, mit dem Kopf.

Die Karre ist von Hans. Hans, den es schon lang nicht mehr gibt. Am Main, im Februar, in einer Nacht erfroren. Ja, wann war denn das? Weiß nicht mehr. Auch egal.

Eine Frau von der Kirche hat ihn mir gegeben. Mit schönen Grüßen von Hans, hat sie gesagt. Ich denke ab und zu an ihn, wenn ich packe. Es ist wichtig an einen zu denken, auch wenn er nicht mehr da ist. Hat die Frau von der Kirche gesagt. Sie hat recht, glaub ich.

Aha, da ist die griechische Kneipe, gegenüber der Schule. Nur ne Kneipe. Essen gibt’s da nicht. Aber viele Gummibäume im Fenster. Wie im Urwald. Hat Griechenland eigentlich nen Urwald? Man kann gar nicht richtig sehen, was die Männer da drinnen machen. Sie trinken. Ach ja.

Bin gleich da. Freue mich aufs Bett. Heute Morgen zwei, am Mittag mit Jens drei, Bier natürlich, und am Nachmittag die Flasche Wein mit Edmund am Bernusplatz. Das macht schön schläfrig. Sitze gern da auf der Bank vor der Post. Man hat seine Ruhe und kann die Leute beobachten. Die gehen oft mit dicken Packen unterm Arm hinein und kommen dünn wieder raus.

Manchmal kommen sie an unserer Bank vorbei. Wenn ich sie treuherzig anstrahle, kann es sein, dass ich nen Euro bekomme.

Ich hab da übrigens so meine Methode, wie ich die Leute zu was bringe. Zum Essen verlange ich nie Geld, nur Brötchen, Schokolade, Wasser oder was es sonst noch so in den Geschäften gibt, vor denen ich sitze. Das klappt gut. Sachen verschenken die Leute lieber als Geld. Das Geld, das ich kriege, ist natürlich für Bier. Bier schenkt einem nämlich keiner. Und schön Kulleraugen machen und ein bisschen wehmütig gucken. Das klappt wirklich gut.

Die scheiß Ampel an der Sophienstraße ist natürlich rot. Wie immer, wenn ich hier ankomme. Hier wartet kein Mensch bei diesen Minusgraden. Die sind alle zu Hause. Und die paar Autos. Schnell ’rüber, dann bin ich gleich da.

Jetzt sehe ich es. Mein Bett. Gott sei Dank. Es ist noch frei.

In der Saukälte steht auch keiner an der Haltestelle. Gut getroffen.

Ein bisschen Intimsein beim Insbettgehen muss sein.

Die Bank unter dem Haltestellenhäuschen ist noch aus Holz und ganz glatt und gerade. Nicht wie die modernen Dinger, die Sitzschalen haben. Holz ist schön warm.

So, jetzt nachdenken. Erst das Plastik, dann die Matratze und zum Schluss den Schlafsack. Anorak anlassen. Schuhe aber aus und ordentlich unter die Bank. Wer braucht schon stinkende Füße?

Ich liebe mein Bett. Mein Bett in Bockenheim. Es gibt nichts Besseres. Jetzt, in kleinen Schlucken das Bier. Es dreht sich so wunderbar im Kopf. Den Schlafsack ganz hoch bis zur Nase, die Augen schließen und davonfliegen. Ich höre ganz weit hinten die 16 kommen, die Melodie der Tram lässt mich hineinfallen in den Traum, von dem ich, verdammt, am nächsten Morgen nichts mehr weiß.

Helen Esther Zumpe

Wahre Bockenheimer Nöte

An einem Augusttag 2014 schließe ich das Stadtteilbüro auf. Erst die Routine: Post sortieren, Holzbänke nach draußen, „Kundenstopper“ aufstellen, PC hochfahren, Mails checken. Da einige offene Rechnungen bestehen, bin ich unfreiwillig zur Kröteneintreiberin, Do-it-yourself-Fundraiserin und Stiftungsgelder-Antragstellerin mutiert, mit mir eroberte die leidige Bürokratie ein selbstorganisiertes Büro, das aus einer Bürgerinitiative hervorging. Fördermittel zu beantragen erfordert besondere Nerven: vorgegebene Formulare mit zu engen Spalten und Mini-Linien, zehnseitige Begründungsvordrucke, Finanzierungspläne.

Eine hereinklingelnde Mail vermeldet das Ende der Petitions-Zeichnungsfrist zum Erhalt des Bockenheimer Wasserhäuschens. Düddeldüdü-dedü, Anruf mit unterdrückter Nummer: „Wann hören Sie endlich auf, für dieses Luxuswohnprojekt für Linksextreme zu werben? Das Ding ist durch, DIE SOLLEN DAS SCHEISSPHILOSOPHICUM LIEBER ABREISSEN!!“, bellt es. Ich setze freundlich an: „Frankfurt braucht günstigen Wohnraum, das sehen Sie doch sicher genauso ...“ Doch der hört gar nicht zu, sondern legt unter wütenden Fäkalschimpftiraden auf.

Zeitgleich wird Starkregen vom Himmel geschickt, der die ausgelegten Broschüren blitzschnell in buntes Konfetti zu verwandeln droht. Ich wuchte in gekonnter Hau-ruck-Seitwärtsdrehung Plakatständer und Holzbänke in 17 Sekunden wieder nach drinnen.

Von Mauern eingegrenzt – jüdischer Friedhof in der Sophienstraße (vor der Max-Beckmann-Schule)

Wehende Fahnen – Internationales Familienzentrum (Falkstraße)

Urzeit und Moderne – Senckenberganlage vorm Senckenberg-Museum

Als ich meine durchnässte Strickjacke aufhänge, betritt eine Dame im Chanel-Kostüm das Büro. Sie habe unsere „tolle Immobilie“ gesehen. Ich schlucke und denke nur noch kursiv, damit die Gedanken frei bleiben können. Wem denn dieses Haus gehöre? „Der Stadt Frankfurt, wir sind nur Mieter.“ – „Ja, und was machen Sie hier eigentlich?“ Oh je, das wird in einem hoch philosophischen Diskurs enden, denn was ich hier eigentlich mache, das frage ich mich täglich mehrfach selbst. Meine rechte Hand greift zu einer schriftlichen Selbstdarstellung, ich referiere stegreifartig zu Gentrifi-dingsbums, Mietpreisbremse, Direktkreditverträgen, Mietspiegel-Petition und Kulturcampus-Bebauungsplan. Während meine linke Hand den Besen kurz schwingt, um die gestern überall hinterlassenen Haare des Fussel-Hundes meiner Chefin möglichst unauffällig verschwinden zu lassen, beginnt diese phänotypisch Andrea Berg-Ähnelnde sich einzulesen. Womöglich ist die das echt und trällert gleich Schlager?

„Wo ist denn das Mega?“, fragen zwei eingetretene Alt-Aktivisten, die ich heimlich Lolek und Bolek nenne. Besen zur Seite, Gekrame im Schrank, bis ich das Megaphon endlich samt Batterien gefunden habe. Da sich die beiden offenbar an der Demovorbereitung beteiligen, drücke ich ihnen noch einen Packen Flyer in die Hand, den sie dort bitteschön verteilen sollen. Bolek stopft sie in seine Windabweisend-Atmungsaktiv-Outdoor-Funktionsjacke, die man bestimmt für den Dschungel gebrauchen kann.

Düddeldüdü-dedü. Eine Lokalzeitungsredakteurin fragt, ob es von der Initiative schon eine Stellungnahme zum Thema xyz gibt. Mein Name ist Hase, ich weiß von nix und bin mal wieder die Letzte, die über xyz informiert wird. Grmph! Jaja Crashkurs in Sachen Diplomatie, immer schön freundlich sein. „Wir haben momentan eine technische Störung am PC, so dass ich Ihnen die Stellungnahme nicht zukommen lassen kann, bitte gedulden Sie sich….“, flöte ich in meiner süßesten Kleinmädchenstimme und hoffe, dass die verzweifelte SMS, die ich parallel an meine Chefin schicke, auch gelesen wird. Die Technikstörgeister, die ich rief, lassen nicht lange auf sich warten, irgendwas ist plötzlich nicht okay mit dem Internetzugang.

Da passt es doch gerade hervorragend, dass ein asiatisches Pärchen das Büro betritt und in gebrochenem Englisch nachfragt, ob Bockenheim eine eigene Stadt sei. Home of Bocki klingt irgendwie niedlich. Wie gut, dass ich noch Broschüren über die Geschichte Bockenheims hervorzaubern kann. Als sie nachfragen, wie genau denn das damals gelaufen sei mit den Stadtrechten, muss ich sie dann leider ans Historische Museum verweisen. Ich bin doch keine Historikerin.

Sie geben sich die Klinke in die Hand mit einer durchnässten Oma, die um Unterstützung bittet, sie müsse aufgrund der ihr zugestellten Mieterhöhung sonst wegziehen. Verweigern! Verklagen! Auf sowas bin ich vorbereitet, hatte ich in letzter Zeit häufiger hier. Ich schreibe ihr auf, wann eine kostenlose Mietberatung stattfindet und welche Unterlagen sie zu diesem Termin mitbringen möge. Sie kommt mir sehr einsam vor, daher reiche ich ihr auch noch ein Programm vom Seniorentreff.

Düddeldüdü-dedü. Schon wieder Telefon? Ein Erstsemester möchte eine preiswerte Wohnung mieten, ob wir da was hätten. Na klar, in meiner geheimen Gold-Schatulle habe ich Millionen von Vermieteradressen, die 4-Zimmer-Wohnungen für € 100 warm gerne vermieten, wenn man drei magische Worte flüstert. Ich frage nach, woher er denn käme, da wir keine Immobilienmakler seien. „Aus Wennebostel“. Sei lieb zu dem, der ist mit Bankster-City überfordert. Das Internet gibt sich wieder die Ehre, so dass er diverse Telefonnummern von Studierendenwohnheimen und Mitwohnzentralen bekommen kann.

Eine Regenbogenschirmfrau winkt am Eingang, sie hat auf der Leipziger Straße zwei Pässe gefunden. Rumänische Kinder, eventuell Roma, sind nun ohne Papiere. Sie meint, die seien wohl versehentlich verloren worden, wohingegen ich überlege, in welch politisch brisanten Situationen man vielleicht lieber jemand ohne Papiere sein möchte. Tja, was machen wir denn da? Verzwickt. Die Regenbogenschirmfrau appelliert an meine Moral, neulich hätte ich doch auch einer Person ohne Krankenversicherung zu einem kostenlosen Arztbesuch verholfen. Hat sich das rumgesprochen? Bin ich das Sozialamt? Bin ich das Fundbüro? Bin ich ein politisch denkender, kritischer Mensch? Sie ist jedoch in Eile und überlässt mir die Angelegenheit. Ich muss länger drüber nachdenken, was ich mit den Pässen machen soll, das geht nicht ad hoc. Zurück zu meinen Antragsformularen.

„Beschreiben Sie stichwortartig den das Gemeinwohl fördernden Aspekt des Projektes!“ Wie kriege ich meine Antwort in die 2 Zeilen des Formblattes mit Bundesadler reingequetscht, vielleicht mit Schriftgröße 3? Vergiss es, zumal das nur als handschriftlich auszufüllendes Formblatt 569/z zu haben ist. Ich beginne den Satz „Bürgerschaftliches Engagement in Zeiten sich verstärkender Individualisierung …“

Das Telefon schon wieder. „TUN SIE DOCH WAS GEGEN DIESE AAAAA Beee Geeee, DIE DÜRFEN DAS NICHT AN PRIVATINVESTOREN VERKAUFEN!!!“, brüllt es mich an. Philosophicum, Klappe die zweite, diesmal dafür statt dagegen. Und immer die Haltung: IHR müsst was machen, statt WIR müssen was machen… Der Anrufer bekommt von mir ein Update zum Stand der Dinge.

Währenddessen entsteht eine Menschentraube im Nebenraum. Drei Schwarze, eine wütend schimpfende Frau in Ökotextil-Leinensack-Overall und der Opa aus der Leipziger 95. Ich befürchte das Schlimmste, alle reden durcheinander, Babylon lässt grüßen. Ich sollte jetzt Wartenummern vergeben … „Algier ... Allemand ... parler“, bringt einer der drei hervor. Also die zuerst. „Do you speak English?“, frage ich sie hoffend, aber sie schütteln die Köpfe. „Äh, je ne parle pas bien ... What can I do … Äh, nee, n’est pas bei uns ...” Wir kommen so nicht weiter! Die verstehen mein angebliches Französisch nicht und ich weiß nicht, was deren Anliegen ist ... Er zeigt mir ein Papier mit der algerischen Fahne. „Allemand ... Allemand“, ruft er stirnrunzelnd. Okay, es geht um Deutsch. Stress mit deutschen Behörden? Deutschlernen? Deutsch werden? Sein Freund schreibt mit schrill-quietschender Kreide „etudier?“ an unsere Wandtafel und tippt auf seine Uhr. Okay, okay, ich verstehe. Sie wollen Deutsch lernen und die Uhrzeit des Sprachkurses erfahren. Ich zücke ein kleines mehrsprachiges Flugblatt, die algerische Frau reibt Zeigefinger und Daumen aneinander, die wohl kulturübergreifende Frage nach den Kosten. Rien, gratuit, nada, for free. Dass es so etwas noch gibt in diesem durchkapitalisierten Land. Na, wenn das mal gut geht. Bei der Volkshochschule kostet ein Deutschkurs an die dreihundert Euro pro Nase. Ja, und genau deswegen muss ich ja diesen Fördermittelantrag ... –

Düddeldüdü-dedü. Ein Herr Schmidt möchte eine Beratung, wie man sich gegen Eigenbedarfskündigung des Vermieters wehren kann. Wehren ist immer gut. Nur dass ich hier keine Ahnung habe. Ich bin doch keine Juristin. Da muss die Chefin ran. Ich gebe ihm ihre Telefonnummer und hoffe, dass er sie schnell erreicht.

„Können Sie sich jetzt endlich mal um mich kümmern?“, motzt es aus dem Hintergrund. Die vergessene Öko-Lady. Sie doziert minutenlang über Müll, der immer wieder von den Geschäftsleuten auf den Gehwegen hinterlassen werde, Plastik, Altpapier, Müllsäcke, Kartonagen. Ich schaffe es gerade so, in ihren Wortschwall ein „Aber wir sind nicht die Müllabfuhr“ einzuwerfen. Das ermutigt sie erst recht, einfach mal Dampf ablassen, ist doch egal, wer sich das anhören muss. Auf der sich öffnenden Internetstartseite lauten die Schlagzeilen „Krieg in der Ukraine“, „Krieg in Syrien“, „Eskalation in Israel“, „Ebola breitet sich aus“. Wie nichtig und klein dein Scheiß-Müllproblem doch ist, siehst du das nicht? Ich suche die Telefonnummer der FES, als sie mir beichtet, dort bereits angerufen zu haben, die würden nur nach Auftrag der Stadt aktiv werden. Also rufe ich wie immer, wenn ich im Behördendickicht nicht weiter weiß, meine neue Lieblingsnummer an, die 115. Die scheinen ein Computerprogramm zu haben, wo man auf jede Frage eine Antwort bekommt. Und was, wenn auf die Frage nach dem Sinn des Lebens eine Lochkarte mit „42“ ausgespuckt würde? Diesmal werde ich zum Ordnungsamt durchgestellt, die jedoch zur Polizei weiterleiten. Die Öko-Lady trägt dort ihre Müll-Litanei erneut vor, wenigstens ist so garantiert in den nächsten 20 Minuten das Telefon besetzt.

Also nun zur Wartenummer drei, der Opa aus der 95. „Wie schön Sie heute wieder gekleidet sind,“ schmeichelt er mir. Der Opa erzählt „Andrea Berg“ über seine zahlreichen früheren Besuche, denn „diese bezaubernde junge Dame weiß ja bei allem Rat!“ Bin ich noch jung? Bin ich überhaupt eine Dame? Ist das jetzt schon sexistisch oder noch nicht? Ich weiß, eigentlich schaut er nur ständig bei mir vorbei, um sich im Flirten zu üben. Vielleicht sind für ihn Internet-Chats genauso Neuland wie für unsere Kanzlerin ... Aber ich „bezauberndes“ Wesen möchte jetzt vor allem endlich wieder an den Computer, um meinen Antrag fertig zu schreiben! „Sprache als Schlüssel zur Integration – niedrigschwelliges Angebot der Willkommenskultur“ – würden das diese Beamtenhengste verstehen? Muss ich andersherum denken?

Braune Pakete werden vom upsi-mupsi-Fahrer ins Büro gehievt. Mal wieder Büchersendungen für das Exzess nebenan, die ich quittiere. Eines der Pakete ist bereits geöffnet. Big brother is watching you, Gruss an den VS ... Jetzt erst mal einen Kamillentee, oh nee, doch nicht.

Unzählige halbvolle Kaffeetassen im Spülbecken erinnern mich daran, dass „Genossen“ nicht immer die Küche sauber halten. Mein Geschirrgeklapper trägt jedoch erheblich zur Beschleunigung des Müll-Polizei-Telefonats bei, die Öko-Lady will nun doch lieber persönlich bei den Herren in blau antanzen.

Während ich abtrockne, der Opa nunmehr die Hand von „Andrea Berg“ tätschelt, klingelt wieder das Telefon. „Ja, also, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, es hängt ja irgendwie alles mit allem zusammen“, flüstert jemand in einem verschwörerischen Agentenfilmton. „Worum geht es denn?“, versuche ich, ihm auf die Sprünge zu helfen. „Ja, genau, worum geht es uns denn allen? Wir wollen doch was anderes. Wir kommen doch nicht weiter ...“ In einem Comic würde sich über meinem Kopf jetzt eine Denkblase mit einem riesengroßen Fragezeichen auftun. „Etwas Neues wäre gut, na klar“, bestätige ich zögerlich, weil ich noch nicht wirklich einordnen kann, in welche Richtung dieses Gespräch führen wird. „Also der Glaube und so“, holt er aus, „so für den Gott. Es muss doch eine Entwicklung geben, so als Gott gesehen, meine ich. Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus – “ ... – „Hinduismus, Taoismus, Ba’hai“, ergänze ich ungefragt und erinnere mich an ein mich sehr verwirrendes Bühnenstück, bei dem ich erst hinterher erfuhr, dass man dieses Genre absurdes Theater nennt. „Ja, ja, war ja alles schon da“, haspelt der Anrufer. „Also, ich weiß noch nicht wie und nicht was, vielleicht muss ich es selbst erschaffen, so mit eigenem Gott und so, was meinen Sie ...?“ – Die Welt ist ein Irrenhaus, und hier ist die Zentrale. „Äh ...“, stottere ich und versuche, möglichst verständnisvoll zu klingen, „verstehe ich Sie richtig, dass Sie eine neue Religion gründen wollen?“ – „Exakt.“ – „Ja, aber weshalb rufen Sie dann im Stadtteilbüro an?“ – „Also, ich bräuchte da Ideen, so eine Art Gedankenschmiede, wissen Sie, meine Gedanken laufen mir aus dem Ruder, das wird zu viel, das verändert ja die Weltsicht.“ Nachtigall, ick hör dir trapsen. Wie war noch mal die Telefonnummer der Seelsorge? Und die des psychiatrischen Notdienstes? Aber eigentlich eine coole Idee, self-made-religion, müsste ich mal länger drüber nachdenken ... „Darf ich Sie später zurückrufen?“, würge ich den Religionserfinder ab, als sich wie von Geisterhand eine neue Datei auf meinem Bildschirm öffnet, die meine Chefin in den Presseverteiler gejagt bekommen möchte. Ah ja, die Stellungnahme, ich drucke, sortiere 20-seitige Papiere, während der Text religionsfrei konvertiert und noch als Mail an die sensationshungrigen Medien dieser Welt verschickt wird.

Nach vehementem Fensterscheibenklopfen erwartet mich mit „verdammte Scheiße, solche Pisser“-Rufen ein Pöbler im Rollstuhl, den ich eigentlich gleich abweisen möchte, aber er aktiviert die Behindertensolidarität in mir. Er braucht eine Beglaubigung für den Zugriff auf sein Konto. Aber nicht in dem Ton! „Das sind doch Wixer! Faschistenschweine! Früher gab es mal ein Bürgerbüro in Bockenheim“, echauffiert er sich. Was kann ich dafür, dass es hier kein Bürgerbüro mehr gibt? Hm, Beglaubigungen macht auch das Bürgerbüro auf der Zeil, rate ich ihm. Da könne er nicht ohne Hilfe hinfahren. Hm, was machen wir denn da? Hatte ich nicht neulich mal gelesen, dass sogar ein Ortsvorsteher in seinem Wohnzimmer Beglaubigungen machen kann und es völlig abstrus gefunden? Ich rufe also den Herrn Ortsvorsteher an, Kooperationen suchen, wo sie sinnvoll sind – so die Chefin immer. Der hat sogar Zeit, der Rolli möge also anrollen.

„Frau Berg“ und der Opa verabschieden sich, da sich der Himmel endlich lichtet. Sie wolle mich noch was fragen, aber das Düddeldüdü-dedü unterbricht. Herrje, die Stiftung! Warum rufen die jetzt noch an? „Ja, also, Frau Doktor ... wir haben da ja letzte Woche ihren Antrag bekommen ...“ Bitte seid nett zu mir, auch wenn ich wieder eine Absage kassiere, ja? „und, also, wir müssen sagen, das ist zwar alles etwas skurril da mit Ihrem Stadtteilbüro ...“ Ist skurril jetzt positiv oder negativ gemeint? Gibt es ein Aber? „Aber wir finden es interessant, was Sie machen.“ Puh, interessant ist neutral bis positiv gemeint. Ich atme ein, ich atme aus. „Wir haben Sie neulich besucht, ohne dass Sie uns kannten, Sie haben uns vorzügliche Auskünfte zum Kulturcampus gegeben und wir wollen da dran bleiben.“ Ich atme ein, ich atme aus. Kommt da noch was? „Wir haben daher beschlossen, Sie demnächst mit einer Fördersumme von ... zu unterstützen.“ Ich unterdrücke meine Jubelschreie. Ich merke ein unbewusstes Knicksen in meinen Knien, bedanke mich untertänigst und vereinbare sekretärinnengleich einen Besprechungstermin. Hans Albers säuselt in meinem Kopf „Champagner für alle“ ...

„Andrea Berg“ hatte da ja noch eine Frage. Ob wir hier das Quartiersmanagement betreiben, wo doch die Bockenheimer mit diversen Anliegen an uns herantreten. Dann müsste das Büro ja vergrößert und meine „Halbtagesstelle“ in eine Ganze umgewandelt werden. Ich antworte nur „Nein, wir sind keine städtische Einrichtung.“ Quartiersmanagement betreibt die Stadt Frankfurt nur an solchen (a-) sozialen Brennpunkten, in denen sich auch mein 15qm-Wohnklo befindet. Nein, die Bockenheimer haben doch nicht solche Probleme.

Ich packe meine mitgebrachte Salamistulle aus, bevor hier abends die vegane Front anrückt, da taucht der Rollifahrer wieder auf. Oh je, jetzt gibt’s ne Gardinenpredigt, was ich mir wohl mit dem Ortsvorsteher gedacht hätte ...

Doch er lächelt, wedelt mit seiner Beglaubigung und sagt leise „es ist gut, dass Sie das hier machen, das Büro und so.“

Ich bin hier nicht angestellt, bin nicht mal idealistische Ehrenamtliche. Nein, ich bin nur die „Teilnehmerin an einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“, wie es im Jobcenter-Jargon heißt, von der Demut erwartet wird. Ich bin Ein-Euro-Jobber, aber das weiß niemand und es interessiert auch niemanden. Ich bin arbeitsmarktpolitischer Abfall. Ich bin in Wirklichkeit eine promovierte Frau Doktor und wusste schon lange, dass das Leben kein Wunschkonzert und kein richtiges Leben im falschen möglich ist.

Stern-kaffee von Wissmüller – die Institution auf der „Leipziger“

nach dem Abriss – das Gelände des ehemaligen AfE-turms

Volker Erbes

Warte steht, Turm fällt

An diesem Sonntagmorgen, es ist der 2. Februar 2014, das Wetter überraschend schön, gehe ich, wie gewöhnlich, von meiner Wohnung in der Wurmbachstraße den Weingarten vor. Bis zur Leipziger Straße, wo ich, nach einem Blick in den Buchcontainer, die Straße hinab spaziere, einfach, weil die sonntäglich leere Leipziger für mich einen eigenen Charme hat, den ich vielleicht umschreiben könnte mit: keine allzu großen Erwartungen heut.

Aber gerade diesen Sonntagmorgen sind mächtig Leute unterwegs. Nicht die Papas, die sich bei Kröger in die Schlange stellen, um ihre Brötchen für das fällige Familienfrühstück zu holen. In hellen Scharen strömen sie gutgelaunt in die Leipziger. Bockenheim ist unterwegs. Was gibt es? An der Warte quellen sie aus der U-Bahn herauf. Das komplette Areal bis zu den Torhäusern vorn an der Bockenheimer Landstraße gleicht einem Heerlager. Festivalstimmung. Etwas liegt in der Luft, ‚wie damals‘, als der Asta aufrief zur Demonstration. Oder beim Open-Air Kino auf dem Campus im Sommer. Ja, doch. Von allem ein bisschen.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich das Publikum sehr gemischt – und eher moderat, ähnlich dem, wie es bei gutem Wetter vorn auf der Warte-Piazza beim ‚Extrablatt‘ sitzt. Und nicht dagegen, sondern ganz dafür ist. Es gibt was zu sehen. Hier haut der ganz große Hammer drauf. Offiziell. Der alte AfE-Turm wird heute Morgen gesprengt.

Wenn ich aber geglaubt hatte, mir selbst so einen Blick zu gönnen und mich etwa durch die Schumannstraße zur Messe durchfädeln zu können, um freie Sicht auf das Objekt zu haben, so täuschte ich mich. Kein Durchkommen mehr. Die Senckenberg-Anlage ist komplett zu, die Menge, die sich hier schon eingefunden hat, anderthalb Stunden vor dem Event, erlaubt eben, in Höhe des alten Juridikums, einen Stehplatz zu ergattern, ich sehe die Südost-Ecke des Turms, der graugerippt und ausdruckslos aus der Robert-Mayer-Straße hervor lugt, als wolle er mal schaun, was da unten heute eigentlich los ist ...