Bodos fantastische Welt - Michael Thiel - E-Book

Bodos fantastische Welt E-Book

Michael Thiel

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Beschreibung

Niemals hätte Bodo gedacht, dass ihm so etwas passieren könnte. Er ist doch ein ganz gewöhnlicher Erfinder. Er hat einen Lumpenfrosch und einen Glücksbringer entworfen. Er dachte, dass das Erfinden seine Bestimmung sei. Doch das Weltlich-Göttliche hat sich für Bodo einen anderen Lebensplan ausgedacht. Eine Nah-Leben-nach-dem-Leben-Erfahrung führt dazu, dass Bodo sein Leben grundsätzlich überdenkt. Im Weltlichen wird er mit kuriosen Theorien zum Boten ausgebildet, um Menschen die Liebe, die Freude und das Glück nahe zu bringen. Darüber hinaus soll er Courage zeigen und Menschen helfen. Zurück auf Erden zeigt sich schon recht bald, dass prekäre Ereignisse in seinem Umfeld rasches Handeln erfordern…

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Dortmund 2001 / Essen 2015

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

1) Der Lumpenfrosch

2) Der Glücksbringer

3) Der Wassermann

4) Herzwärme

5) Das Wartezimmer

6) Nomen est Omen

7) Das Bild des Selbst

8) Die Dimensionsbahn

9) Die Magie der Schrift

10) Den Löffel abgeben

11) Showtime

12) Das Traumzentrum

13) Reise ins Gehirn

14) Traumperlen

15) Die Schule

16) Heytop

17) Das Produktionshaus

18) Rainbow’z Oper

19) Schwabertblasen

20) Das Kugelhaus

21) Problem der schwarzen Löcher

22) Turmkunde

23) Das Gesetz der Metaphern

24) Die Aufgabe

25) Bow zoper, Fernsehen!

26) Die Inventionsmaschine

27) Weltsprache

28) Märchen der goldenen Lichtfee

29) Die 2 zu 1 – Relationstheorie

30) Schachkunde

31) Kauderwelsch und Anagramme

32) Die Worttrommel

33) Sanierte Optik

34) Ballonfahrt durchs Paradies

35) Der Turmsprung

36) Besinnung

37) Ein neuer Traum

38) Tag 1

39) Recherche

40) Birne Helene

41) Viktimologie

42) Wo ist Anke?

43) Gruppendynamische Prozesse

44) Gieraffenhals

45) Insel Oxa

46) Die Straßenwalze

47) Der Anschlag

48) Morgen-Wonder

49) Der Springer

50) Das Licht des Turms

Der Lumpenfrosch

Bodo ist ein Erfinder. Schon oft hatte er eigenartige Dinge erfunden. Seine vorletzte Erfindung war der Lumpenfrosch. Ein etwa 1,50 Meter hohes Gerät, dessen äußeres an einen Roboter erinnert und dessen Kopfform einem Frosch sehr ähnelt. Mit dem Lumpenfrosch kann man in seinen Räumlichkeiten Ordnung schaffen. Er ist eine kleine Sortiermaschine für die mehr oder weniger alltäglichen Dinge. Gemeint sind Dinge, die man im Moment nicht braucht, die man aber nicht wegwerfen will und solche, die man zwar braucht, mit denen man aber im Moment nichts anfangen kann und sie daher irgendwann noch einmal hervorkramen möchte. Die Nützlichkeit jener kleinen ausgetüftelten Maschine besteht darin, dass sie 200 der im Moment unwichtigen Dinge nach Kategorien unterscheiden kann, sie dann sortiert und sie in 50 verschieden große Fächer innerhalb des Gehäuses ablegen kann. Man legt also jenen Gegenstand, der bei einem herumfliegt in die Maulklappe des Frosches und schon sortiert er den Gegenstand in das dazugehörige Fach.

Bodo hatte sich mit der Erbauung seiner Erfindung viele Monate Zeit gelassen. Die meiste Zeit musste er in die Programmierung des Gerätes investieren.

„Wie kann das Gerät eine Socke von einer Büroklammer, eine Telefonrechnung von einer Gebrauchsanweisung, einen Beipackzettel von einem nicht angespitzten Bleistift, einen Button von einem Aufkleber, ein Dia von einem Negativ, ein Foto von einer Postkarte, eine abgestempelte von einer nicht abgestempelten Briefmarke, eine Kugelschreibermine von einem Würfel, ein Briefcouvert von einer Sicherheitsnadel, einen Knopf von einer Telefonkarte, eine Packung Papiertaschentücher von Sammelecken auf Waschpulverkartons unterscheiden?“ waren Fragen, die sich Bodo häufig stellte.

Für einige Fragen hatte er vage Lösungsmöglichkeiten. Diese legte er in der Anfangsphase seiner Erfindung in einigen Schubladen seines Gehirns ab. So gab es darin die Idee, dass eine Telefonrechnung über einen Scanner in den Lumpenfrosch eingesogen wird. Ein Computerprogramm sollte die Daten des Scans nachfolgend erkennen und sie an ein ausgetüfteltes Filtersystem weiter geben. Dieses sollte anhand der Häufigkeit bestimmter Schlagwörter über jene Wahrscheinlichkeit entscheiden, dass es sich bei der Telefonrechnung wirklich um eine solche handelt und nicht um den Beipackzettels eines Medikaments.

Von anderen Gegenständen sollte die Form gemessen oder das Gewicht gewogen werden. Ermittelt der Lumpenfrosch bei einem Button fünf Gramm und einen Radius von sieben Zentimetern, würde er ihn als einen kleinen Button identifizieren.

Ein Aufkleber wiederum sollte über den Glanzeffekt seiner Oberflächenbeschichtung ermittelt werden. Das sollte so funktionieren: Nach dem Scannen des Aufklebers, berechnet ein Programm zunächst die Hexadezimalwerte aller Farben des Aufklebers. Danach wertet es aus, ob die Rot, Grün und Blau – Anteile aller Spektralfarben, sehr hohe Weißanteile aufweisen. Wäre dies der Fall, würde das Programm erkennen, das beim Scanvorgang der Glanzeffekt der Aufkleber zu einer hohen Belichtung und damit zu unwahrscheinlich hohen Weißanteilen führt, die bei matten Objekten im Verhältnis zu Rot, Grün und Blau so nicht erscheinen.

Bodo war sich bewusst, dass jeder Gegenstand in der Umsetzung ein anderes Problem mit sich bringen würde. Schließlich sollte jeder Gegenstand in einem extra für ihn vorgesehen Fach landen und nicht in einem anderen. Die Umsetzung des Lumpenfrosches würde viel Konzentration erfordern und Dutzende von Rechenoperationen mit sich bringen. Doch gerade diese Herausforderung reizte Bodo. Aber vorerst ging es um die Gegenstände, die der Lumpenfrosch sortieren sollte.

Bodo hatte sich viel Mühe bei der Auswahl der zu sortierenden Dinge gegeben. Zunächst hatte er alle Dinge hervorgekramt, die in seinem Haushalt herumflogen und sie katalogisiert. Bei seiner Zählung kam er auf 42 Gegenstände, die er als eher unwichtig empfand und sie entweder als den Teil einer Sammelleidenschaft oder als einen Haushaltsgegenstand einstufte, dem nur ein bis zweimal im Jahr eine Bedeutung zukommt. Um seine Liste zu erweitern, startete er eine Umfrage in seiner Nachbarschaft. Ihm war klar, dass andere Leute andere Dinge sammeln und aufheben, die er eher wegwerfen würde. Da er aber ein Gerät erschaffen wollte, dass für jedermann nützlich ist, ging er von Haus zu Haus und interviewte seine Nachbarn.

Das zweite Haus von rechts war unbewohnt. Es stand schon seit Jahren leer. Länger als Bodo oder seine Nachbarn hier wohnten. Es gab wohl einen langen Rechtsstreit um das Haus. Es wurde gemunkelt, dass sich die Erbengemeinschaft nicht einig werden konnte. Doch an dem Tag, als Bodo die Umfrage startete, gab es eine Veränderung. Erstmalig sah er den Wagen eines Gartenservices vor dem Haus. Ein Gärtner schnitt die Hecke, ein anderer mähte den Rasen. In den späteren Wochen sollte noch ein Unternehmen für die regelmäßige Belüftung des Hauses sorgen und ab und an würde man einen Immobilienmakler mit diversen Klienten sehen. Doch am Tag der Befragung ahnte Bodo von all dem noch nichts. Er ging an der Hecke vorbei, die zusehend kürzer wurde und bewegte sich auf das dritte Haus von rechts zu, in dem die Familie Diekmann wohnte.

An jenem Tag war nur Frau Diekmann anwesend. Ihr Mann war auf der Arbeit. Nach einer kurzen Begrüßungsfloskel erklärte Bodo Frau Diekmann sein Anliegen. Zunächst verstand sie nicht, was er von ihr wollte, doch beim zweiten Erklärungsversuch begriff sie es. Sie, eine Frau mit brünetten, halblangen und gelockten Haaren, hatte schon in der Zeitung gelesen, dass in ihrer Nachbarschaft ein bekannter Erfinder wohne. Zwar hatte sie nie begriffen, was das für Dinge waren, die er erfunden hatte und welchen Nutzen seine Erfindungen hatten, aber Bodo war in ihren Augen guter Gesprächsstoff für Kaffeekränzchen.

„Bei uns in der Nachbarschaft wohnt ein junger, sympathischer Mann, der es in seinem Leben schon sehr weit gebracht hat, er ist ein berühmter Erfinder“, konnte sie ihren Freundinnen und ferner Verkäuferinnen an Ladentheken immer stolz erzählen.

Bodos Nachbarschaft zu der neunundvierzigjährigen Frau Diekmann steigerte gleichzeitig den Wert jener Sackgasse in den Gesprächen. Wenn sie schon nicht mit einer wohlhabenden Gegend preisen konnte, dann doch immerhin mit einer interessanten Person, durch die in Gesprächen Aufmerksamkeit geweckt wird. „Ja, ich wohne in einer Straße, in der im ersten Haus rechts ein Erfinder wohnt“, betonte sie oftmals ihren Gegenübers. „Wenn du mich mal besuchen kommst, kommst du genau an jenem Haus vorbei“, schrieb sie einer Brieffreundin, die sie in einer Kur kennen gelernt hatte.

Sie wusste zwar, dass sie jene Brieffreundin ohnehin nie wiedertrifft, genau wie andere Bekanntschaften, die sie in Urlauben geschlossen hatte. Aber der Gedanke, jene würde sich vorstellen, sie wohne Tür an Tür mit Bodo, steigerte zwar nicht den materiellen Wert der Gegend, aber immerhin den immateriellen.

Die Gegend war alles andere als wohlhabend. Eine alte Zechensiedlung, in der zwei Reihen mit je vier Häusern standen. Die meisten Häuser waren sanierungsbedürftig und die Bewohner der Siedlung mussten jährlich hohe Summen für Reparaturarbeiten ausgeben, da nach und nach immer wieder Schäden auftraten. Am Ende der Sackgasse befand sich eine Mauer, die den Zugang zu einem ehemaligen Zechengelände versperrte. Ein großes Schild mit der Aufschrift „Bergbauschäden! Zutritt verboten“, wies auf die Gefahr des unbefugten Betretens hin.

„Ich soll also alle Dinge aufschreiben, die es in meinem Haushalt gibt, die ich aber nicht so häufig benutze?“ fragte Thea noch mal nach.

„Ja, alle Dinge, die oft im Weg herumfliegen, Dinge, die man selten benutzt oder die man gar nicht braucht. Dinge, von denen man sich nicht trennen möchte, weil man sie z.B. sammelt.“

„Hm,“ überlegte Thea. „Also so etwas wie Wäscheklammern z.B. nicht, die gebrauche ich ja nahezu täglich.“

Bodo hatte nur einen Blick auf das Innere des Hauses erhaschen können und er wusste sofort, dass er mit dem Lumpenfrosch bei ihr an der falschen Adresse war. In ihrem Haushalt hätte jener keinen Absatz gefunden. Hier stand alles in Reih’ und Glied, Unordnung gab es hier nicht. Überflüssige Dinge landeten gleich im Mülleimer, dem einzigen Ort im Haus in dem ein Chaos herrschte. Obwohl…, nein. Auch hier gab es Ordnung, weil Thea auf Mülltrennung viel Wert legte. Altpapier trennte sie von Küchenabfällen, Glasflaschen sorgfältig von Joghurtbechern.

Thea gab sich große Mühe Bodo zu helfen und sie schaffte es sogar zehn Dinge aufzuschreiben. Darunter befanden sich u.a. Stricknadeln, Fingerhüte und leere Kartoffelsäcke. Bodo war sich insgeheim aber sicher, dass diese Dinge bei den Diekmanns fein in irgendeiner Kiste oder einem Kästchen sortiert waren. Auf dem Weg zum nächsten Haus, überlegte er, wofür man eigentlich Kartoffelsäcke aufbewahrt. Als Fliegen- und Mückenschutz fürs Fenster? Nein, das konnte es nicht sein. Das sähe zu hässlich aus. In der darauffolgenden Woche wird er es erfahren haben. Dann hatte ihm Thea nämlich seine Frage beantwortet. Sie bastelte. Tauchlackblumen, Sockenpuppen, Bilder aus Granulat, ja und Kartoffelsäcke tauchte sie in Wachs und formte damit Lampenschirme.

In Haus Nummer 4 konnte Bodo ein sehr gutes Ergebnis erzielen. In ihm wohnte eine ältere Dame. Frau Nostre bewahrte in ihrem Kellergewölbe alles auf, was irgendwann noch einmal gebraucht werden könnte. Sie sammelte sogar Zwiebelkisten und Waschpulverkartons. Andere Dinge waren Einmachgläser, Manschettenknöpfe, Flaschenkorken, Lockenwickler, Münzen und vieles mehr. Hilde Nostre brachte es auf 77 Gegenstände. Bodo konnte jedoch nicht alle miteinbeziehen, da viele aufgrund ihrer Größe die Kapazität des Lumpenfrosches überschritten hätten. Einige Dinge hatten sich mit denen überschnitten, die er schon aufgelistet hatte.

In Haus Nummer 5 wohnte die fünfköpfige Familie König. Die beiden jüngeren Kinder der Familie waren noch im Grundschulalter und daher waren es vor allem Spielsachen, die Bodo mithilfe der Eltern auflisten konnte. Bauklötze, Spielzeugautos, Puppenzubehör und ähnliches.

Die Befragung des Herrn Schwarz in Haus Nummer 6 ließ Bodo aus, da er jenen verwitweten Rentner als einen sehr unsympathischen Mann empfand und den Kontakt zu ihm eher meiden wollte. Als Bodo gerade mal ein halbes Jahr in der Sackgasse gewohnt hatte, hatte er einen Vorfall beobachtet. Ein paar kleine Jungs hatten sich beim Spielen an den Zaun des Gartens von Herrn Schwarz gelehnt. Sofort kam dieser aus dem Haus und schrie die Jungen an, sie sollten sich woanders herumtreiben. Er hätte den Zaun gerade neu lackiert und er hätte keine Lust ihn schon wieder zu streichen. Es schien als wäre er über seinen Zaun besonders stolz. Es war der einzige in der ganzen Straße. Alle anderen Hausgrundstücke hatten entweder Hecken oder frei begehbare Vorgärten. Bodo stellte sich vor, was Herr Schwarz geantwortet hätte, wenn er ihn in die Umfrage mit einbezogen hätte. „Vermutlich Farben, Lacke und Frostschutzmittel, “ dachte er. Bodo hatte sich die Begegnung so intensiv vorgestellt, dass er Wochen später für einen Augenblick einmal dachte, die Befragung hätte tatsächlich stattgefunden.

Auch in Haus Nummer 7 hatte Bodo kein Glück, da die Familie Pumarutsch zur Zeit der Befragung im Urlaub war. Es war zu diesem Zeitpunkt zwar noch Schulzeit, aber die Pumarutsches hatten ihre Tochter für die letzte Woche vor den Ferien vom Unterricht befreien lassen. Herr Pumarutsch hatte seine Urlaubsplanung bei seiner Arbeitsstelle zu spät eingereicht, so dass Kollegen mit mehr Kindern für die Ferienzeit Vorrang bekamen.

In Haus Nummer 8 befragte Bodo zu guter Letzt noch das frisch verheiratete Pärchen Heiko und Gina Kampen. Beide arbeiten als Journalisten für eine lokale Zeitung. Hier hatten sie sich kennen und lieben gelernt. Die beiden konnten Bodo ein paar neue Dinge nennen, die er noch nicht aufgelistet hatte. Unter anderem gehörten dazu Klarsichtfolien, Schlüsselanhänger, Batterien, Kabelverbindungen für bestimmte technische Geräte, Dreiersteckdosen, leere Hüllen von Musikkassetten und anderes.

Nach der Befragung der Nachbarn hörte Bodo sich im Familien-, Verwandten- und Bekanntenkreis um, und so schaffte er es schließlich 223 Gegenstände aufzulisten.

Zum nächsten Schritt gehörte das Aussortieren.

„Welche Gegenstände sind überhaupt für den Lumpenfrosch geeignet und welche sollte ich gar nicht erst berücksichtigen?“ fragte sich Bodo. „Ist eine Stecknadel für Pinnwände wichtiger als ein Tablettendöschen? Von welchen Gegenständen hat man im Haushalt so viele, dass es sich überhaupt lohnt, sie sortieren zu lassen?“

Er reduzierte seine Liste auf 200 Gegenstände und überlegte nun die Anzahl der Fächer. Er entschied sich für fünfzig, da er davon ausging, dass die meisten Besitzer eines Lumpenfrosches damit auskommen würden. Bis auf Frau Nostre gab es niemanden, der die Zahl 50 beim Auflisten überschritten hatte.

In all den Monaten, in denen Bodo über die Konstruktion nachgedacht hatte, hatten sich die Schubladen seines Gehirns dermaßen gefüllt, dass er nun endlich damit beginnen musste, seine Ideen auf Celluloid zu verewigen. Er füllte also stapelweise Papier mit Skizzen, die anschließend in allen Winkeln seines Arbeitszimmers, das sich im Dachgeschoss des Hauses befand, verstreut wurden. Viele Notizen befassten sich mit dem Gewicht der Gegenstände und den dazugehörigen mathematischen Berechnungen, andere mit dem Greifarm, unterhalb des Klappenmauls, der die Form ertastete. Hieran wäre Bodo fast verzweifelt, da ihm in vielen Punkten das technische Know-how fehlte, aber er blieb hartnäckig, lieh sich stapelweise Bücher aus Universitätsbibliotheken aus, studierte sie und begriff schließlich das nötige, um einen solchen Greifarm zu verstehen.

Nach den theoretischen Vorbereitungen ging es um die Konstruktion selbst. Hierfür holte Bodo sich Unterstützung. Er fragte seinen Freund Felix, der technisch sehr versiert ist.

Bodo hatte Felix in einem Erfinderforum im Internet kennen gelernt. Beide unterhielten sich über ihre Berufe und schon beim ersten Kontakt wusste Bodo, dass er den richtigen Mann für die bauliche Umsetzung seiner Erfindung gefunden hatte. Felix arbeitet als Werkstoffentwickler in einer großen Computerfirma und er kennt sich in allen technischen, mechanischen und physikalischen Gebieten sehr gut aus. Schon nach der ersten Begegnung mit ihm, war Bodo sich sicher, dass Felix mit einem Lötkolben auf die Welt gekommen sein musste. Ein Blick auf Bodos Skizzen genügte Felix, um sich die Umsetzung vorstellen zu können. Er erkannte Berechnungsfehler sehr schnell und brachte Ideen mit, die das Erbauen des Lumpenfrosches schließlich möglich machten.

Zwei weitere Monate vergingen und schließlich wurde das Gerät in der Nacht von einem Donnerstag zu einem Freitag fertig.

Stolz standen Felix und Bodo nun vor ihrem Gebilde und ließen den ersten Lumpenfrosch Dinge des Alltags nach Lust und Laune sortieren. Es machte beiden so viel Spaß, dass sie erst am Samstag zu Bett kamen und bis Sonntag durchschliefen.

Mit den Worten „Er ist fertig“ rief Felix am Sonntag seine Frau an und teilte ihr mit, dass er fortan wieder mehr Zeit für sie haben werde. In der Endphase der Erbauung hatte Felix sich nämlich in Bodos Arbeitszimmer einquartiert, weil er mittlerweile mindestens genauso begeistert vom Lumpenfrosch war, wie Bodo und keine Sekunde mehr durch längere Autofahrten verschwenden wollte.

Die Arbeitsteilung funktionierte gut. Felix konstruierte und Bodo suchte theoretisch nach Lösungen. Immer wenn er Felix mal nicht helfen konnte, stand er am Herd und kochte für ihn. Es gab aber Tage an denen beide nahezu nichts gegessen hatten, weil sie so vertieft in ihrer Arbeit waren, dass sie das Essen schlichtweg vergessen hatten.

Bei seiner Firma hatte sich Felix für diese Zeit sogar Urlaub genommen und Bodo honorierte dieses Engagement, indem er sich seine Erfindung zu je 50 Prozent Anteilen vertraglich mit Felix teilte. Bodo war sich sicher, dass er es ohne Felix’ Hilfe wahrscheinlich nicht geschafft hätte und daher sah er ihn als gleichberechtigten Partner.

Nach der Erfindung gab es für Bodo zahlreiche Behördengänge. Dazu gehörte das Anmelden eines Patents. Fast wäre die Verbreitung seiner Erfindung daran gescheitert. Neben dem Ausfüllen zahlreicher Bögen, musste Bodo eine beträchtliche Summe aufbringen, um sich den Lumpenfrosch schützen zu lassen. Nach der Aufnahme eines Kredits schaffte Bodo diese Hürde und er konnte fortan den Lumpenfrosch sein Eigen nennen. Der nächste Schritt war das Finden einer Firma, die den Lumpenfrosch serienmäßig herstellen sollte. Hierbei hatte Bodo Glück, da Felix zwischenzeitlich Kontakte mithilfe seines Arbeitgebers hergestellt hatte und eine Firma gefunden hatte, die Bodos Erfindung umsetzten wollte. Für Bodo und Felix wurde vertraglich ein angemessener Gewinnanteil pro verkauften Lumpenfrosch ausgemacht. In den nächsten zwei Jahren wurden fünfundzwanzigtausend Lumpenfrösche hergestellt, die Platz in vielen Haushalten gefunden haben. Aufgrund des Erfolgs wurden die Produktion und der Vertrieb auf die benachbarten Länder Europas ausgeweitet und Bodo und Felix sind seitdem überaus vermögend. Eigentlich hätte Bodo sich finanziell zur Ruhe setzen können, doch sein Reichtum an Ideen verhalf ihm vor einem halben Jahr zu einer neuen Konzeption.

Der Glücksbringer

Es war der Tag seines vergangenen Geburtstags, als Bodo von einer Freundin einen Talisman geschenkt bekam. Dieser war ein Lederhalsband mit einem ovalen Anhänger, auf dem ein Runenzeichen aus der germanischen Mythologie abgebildet war. Das Zeichen erinnerte Bodo an eine gespiegelte Eins. Es sollte für das Wasserelement stehen und als Glücksbringer zu geistiger Kraft verhelfen. Inspiriert durch die Lagos Rune bekam Bodo die Idee einen Anhänger zu gestalten, der für das Auge des Besitzers besonders anziehend und anschaubar sein sollte.

Bodo dachte dabei insbesondere an eine gläserne Kugel, in der sich ein kleines Farbspiel befinden sollte, das mithilfe von chemischen Substanzen und Spiegeleffekten ein immer neues Bild für den Betrachter entstehen lassen sollte.

Noch am Abend seines Geburtstags fertigte Bodo eine Skizze an. Er zeichnete eine Kugel auf und sah in ihr Hohlräume vor. Im mittleren Bereich der Kugel sollte ein kugelförmiger Hohlraum sein, von dem aus sechs Öffnungen in drei kleinere, aber längere röhrenförmige Hohlräume führen. Jede Röhre sollte mit einer Substanz gefüllt werden, die eine andere Dichte als die beiden anderen hat. Im kugelförmigen Hohlraum sollten jene drei Substanzen dann aufeinander treffen und für jene optischen Effekte sorgen, die mithilfe von halbdurchsichtigen, in der Kugel eingebauten Spiegeln neue Bilder erzeugen.

Nach den theoretischen Überlegungen ging es um die praktische Umsetzung. Von Glasmurmeln hatte Bodo gehört, dass sie aus geschmolzenem, flüssigem Sandquarz hergestellt werden. In einem Buch erfuhr er, dass jener Sandquarz in eine Zentrifuge gegossen wird und durch die Rotation die Form einer Kugel annimmt.

Außerdem erfuhr er, dass in bunten Glasmurmeln der Farbstoff mit einer Spritze eingeführt wird, solange der Sandquarz zähflüssig ist. „Doch wie kann man eine kleine Glaskugel herstellen und in ihr obendrein noch Hohlräume lassen, in denen vorher chemische Substanzen und Spiegel eingefüllt bzw. eingearbeitet werden?“

Ein kompliziertes Unterfangen für Bodo, der abermals Felix zu Rate zog. Felix hatte die Idee zunächst zwei Halbkugeln herzustellen, in diese dann für die Hohlräume Sauerstoff hineinzuspritzen, dann die chemischen Substanzen einzufüllen, die Spiegel einzuarbeiten und schließlich die Halbkugeln wieder aufeinander zulegen und sie an der Verbindungsstelle einzuschmelzen, so dass die Seitenkante nicht mehr sichtbar ist.

Gedacht, getan. Diesmal stellte Felix die nötigen Kontakte zu Glasbläsern und Glasmachern her, so dass beide die Konstruktion des ausgetüftelten Anhängers in Auftrag geben konnten. Nach der Herstellung wurde an der Kugel noch eine kleine Öse angebracht, durch die dann ein Halsband gezogen werden konnte und schon war der Anhänger fertig.

Bodo und Felix waren mit dem Endergebnis zufrieden und es machte beiden große Freude, dem Mischspiel der Substanzen und den Spiegeleffekten innerhalb der Kugel zuzusehen. Den ersten behielt Bodo selbst und trug ihn fortan um seinen Hals. Noch hatte er keinen Käufer für jene Erfindung gefunden, aber er war sich sicher, dass das noch kommen wird, da er an sich glaubte. Doch es sollte alles ganz anders kommen und Bodo wusste noch nicht, was ihm an jenem 1. Juni alles passieren werde. Er wusste noch nicht, dass sich von jenem Tag an, sein Leben grundlegend verändern wird.

Bis zu jenem Tag war sein Leben recht geradlinig verlaufen, es gab mal Höhen und mal Tiefen, aber die großen Katastrophen und die großen Glücksmomente blieben in seinem Leben aus. Zu seinen kleinen Katastrophen gehörten ein Beinbruch, eine Gehirnerschütterung und das Durchfallen bei seiner ersten Führerscheinprüfung. Zu seinen Glücksmomenten gehörten seine Urlaube im Ausland, das Treffen von Freunden, Theater-, Kino-und Konzertbesuche, das Bestehen seines Abiturs, sein Fachhochschulabschluss, der Gewinn eines Fahrrads bei einem Preisausschreiben, das Ausleben seiner Hobbys, die Fertigstellung seiner Erfindungen und viele Dinge mehr. Doch was ist Glück und was ist Unglück? Manchmal erschien Bodo beides miteinander verknüpft. So war es gerade das Fahrrad des Preisausschreibens, mit dem er stürzte, auf den Asphalt aufschlug und sich die Gehirnerschütterung zuzog. Andersherum hatte ihm das Versagen in mancherlei Prüfung so motiviert, dass er die nachfolgende umso besser absolvierte. Glück und Unglück richtig einzuordnen, braucht für Bodo seine Zeit. Man muss Ereignisse des Lebens aus einer zeitlich entfernten Perspektive betrachten, um sie tatsächlich beurteilen zu können, war Bodo überzeugt.

Zumeist ist er ein zufriedener Mensch. Nur manchmal gibt es da eine Art des Glückes, die er noch nie erfahren hat:

Er hatte noch nie einen Menschen kennen gelernt, in den er sich verliebt hat. Er wusste nicht wirklich, was Liebe ist. Er stellte es sich oft vor und glaubte, es habe mit einer starken gegenseitigen Zuneigung zu einem Menschen, mit dem Austausch von Zärtlichkeit, mit einem starken Wohlbefinden während des Zusammenseins mit jenem Menschen, zu tun, aber so richtig wusste er nicht, wie man fühlt, wenn man verliebt ist. Er empfand für Freunde eine Zuneigung und fühlte sich wohl, wenn er mit ihnen zusammen war. Er hatte Spaß mit ihnen, aber das Kribbeln und die Schmetterlingsgefühle, von denen er so oft gehört und gelesen hatte, blieben bei ihm aus. Manchmal wünschte er sich die Erfahrung zu machen, einen Menschen zu lieben und mit ihm den Rest des Lebens zu verbringen.

„Vielleicht liegt es daran, dass ich ein zu starker Eigenbrötler bin“, überlegte Bodo oft. „Vielleicht gebe ich meinen Erfindungen eine höhere Bedeutung als diesem Wunsch? Vielleicht ist mir deshalb noch nicht die große Liebe begegnet. Oder habe ich Angst vor einer Beziehung, flüchte ich mich deshalb in meine Kreativität?“

Bodo kannte den Grund nicht, warum etwas in ihm blockte, Gefühle der tiefen Liebe aus sich herauszubringen.

Er wünschte sich schon öfter, nicht immer so allein zu sein, er hat zwar Freunde. In manchen schönen Augenblicken hätte er jedoch ganz gerne jemanden gehabt, diese Momente zu teilen.

„Aber was nützt es, mich mit jemandem zu binden, wenn ich doch nicht so stark empfinden kann? Dann macht das Teilen jener schönen Momente keinen Spaß, “ redete Bodo sich ein und das war der Grund, warum er allen Menschen, die sich in ihn verliebt hatten, einen Korb gab. Er wollte nicht austesten, ob sich bei ihm Liebe entwickeln könnte, wenn er sich auf einen ihm sympathischen Menschen einließe. Er hatte immer Angst, dass er dadurch jenen Menschen zu stark verletzen könnte, wenn bei ihm selbst das Gefühl der Liebe nie aufkommt. Also wich er bei allen Annäherungsversuchen zurück.

Bodo hatte in seinem Leben schon viele deutliche Angebote bekommen. Und obwohl unter jenen Menschen sehr interessante und attraktive Menschen dabei waren, hatte er bei keinem das Gefühl der Schmetterlinge.

„Du musst einfach öfter ausgehen, dann wirst du dich eines Tages schon verlieben,“ rieten ihm seine Mutter und Freunde oft, aber insgeheim wusste Bodo, dass es damit nichts zu tun hatte, er hatte schließlich viele Bekannte, in die er sich hätte verlieben können, aber das Gefühl kam einfach nicht. Das Problem lag bei ihm und eigentlich wollte er gar nicht wissen, was sein Problem war.

„Wahrscheinlich ist mir der richtige Mensch einfach nur noch nicht begegnet“, redete er sich oft ein und so strichen die Jahre ins Land. Auf seiner letzten Geburtstagstorte thronte eine große 32.

Der 1. Juni war ein Freitag. An jenem Tag hatte Bodo sehr viel Zeit damit verbracht Duplikate seines Anhängers an Firmen zu schicken, in der Hoffnung, dass er eine Firma von seiner Erfindung begeistern könne. Er hatte schon viele Absagen bekommen. Eine Firma nannte als Begründung, dass sich Menschen doch lieber Gold und Silber an ihren Hals hängen, als eine Glaskugel. Bei einem Handel für mystische Gegenstände hatte Bodo seinen Talisman eingereicht, aber auch hier bekam er eine Absage mit der Begründung, dass in seinem Anhänger ja keine magische Wirkung nachweisbar sei.

„So ein Quatsch“, dachte Bodo. „Die magische Wirkung von Runenzeichen-Schmuck ist ebenso nicht nachgewiesen und mein Anhänger soll ja gar keine magische Wirkung haben. Er soll den Menschen nur ein bisschen Freude bereiten, wenn ihre Blicke den Farbverschiebungen innerhalb der Kugel folgen.“

Eine Spielzeugfirma schrieb Bodo einen freundlicheren Brief. Sie erteilte ihm zwar ebenfalls eine Absage, mit der Begründung, dass seine Erfindung als Spielzeug in der Produktion zu aufwendig sei, aber sie lobte Bodo für seinen Einfallsreichtum und wünschte ihm noch viel Glück bei der Verbreitung seines Produktes.

Es war schon 20.40 Uhr und Bodo machte an diesem Tag Feierabend. Irgendwie war er ein wenig niedergeschmettert, weil er sich so sehr gewünscht hatte, dass er mit seiner Glaskugel Menschen eine Freude hätte bereiten können, doch irgendwie schien sich kaum einer dafür zu interessieren und das frustrierte ihn an diesem Abend. Zur Entspannung wollte Bodo ein warmes Bad nehmen, also ließ er schon mal das Badewasser in seine Wanne ein. Es war eine alte Badewanne und an einigen Kacheln bildeten sich schon Risse.

Obwohl auf seinem Konto mittlerweile ein beachtliches Guthaben war, weil sich der Lumpenfrosch gut verkaufte, blieb Bodo sehr bescheiden und sparsam. Er hatte noch nicht einmal sein Haus renovieren lassen.

„Du kannst dir doch jetzt ein schöneres Haus kaufen“, rieten ihm einige Freunde, aber Bodo war mit dem, was er hatte sehr zufrieden. Er fühlte sich hier wohl und wollte gar nicht aus dieser Gegend fortziehen. Sie war zu einem Teil seines Lebens geworden, mit den Nachbarn kam er gut klar und seit seiner Umfrage war der Kontakt noch besser geworden. Das eine oder andere Mal wurde er schon zu Spielabenden eingeladen und Frau Diekmann schnitt mittlerweile sogar für ihn Zeitungsartikel aus, in denen über den Lumpenfrosch berichtet wurde.

„Nein, wegziehen brauche ich wirklich nicht“, dachte Bodo wobei er einen Badezusatz aus Kokos und Vanille ins Wasser goss. „Wer weiß, vielleicht würde ich mich in einem größeren Haus einsamer fühlen.“

Bodo sah auf die kleine Wanne und er dachte daran, dass er zumindest sein Badezimmer mal renovieren lassen könnte.

„Vielleicht sollte ich mir einen schönen Whirlpool einbauen lassen“, überlegte er und zog seine Kleidung aus, die er auf einem Handtuchhalter ablegte. Dann stieg er ins Badewasser und das einzige, was er noch bei sich trug, war sein Anhänger an seinem Hals. Während Bodo schnell noch ein bisschen kaltes Wasser nachlaufen ließ, setzte er sich in die Badewanne. Er fühlte, wie sich das warme Wasser auf seine Haut setzte und er fühlte sich sehr entspannt.

Bodo liebte das Wasser, er hatte schon im frühen Kindesalter sein erstes Schwimmabzeichen gemacht. Seine Mutter nähte es ihm sogar auf seine Badehose und er wurde zu einem der besten Schwimmer seiner Schulklasse. In Urlauben fuhr er meistens in Gebiete, wo es Meere oder Seen gab und die heißen Sommertage in seiner Kindheit verbrachte er meist in Freibädern. Er war sonst kein besonders guter Sportler, aber im Schwimmen hatten ihm nur wenige seiner Mitschüler das Wasser reichen können. Einmal hatte er sogar an einer Jugendmeisterschaft teilgenommen und den zweiten Platz belegt, für den es einen kleinen silbernen Pokal gegeben hatte. Eine andere Sportart für die sich Bodo begeistern konnte, war das Turmspringen. Hierbei war er jedoch nur Beobachter. Er selbst hatte nur einmal den Mut gefunden von einem 5 Meter Brett hinunterzuspringen und das nur kerzengerade. Einen Köpper oder gar akrobatische Künste hätte er aus dieser Höhe nie gewagt, aber er schaute gerne anderen dabei zu.

Eine Vorstellung, die er beim Baden häufig hatte, war jene, wie er kopfüber von einer Klippe springe und an einem sonnigen Tag in kühles Meereswasser eintauche. Beim Duschen legte er sogar manchmal die Arme zueinander, schloss die Augen und stellte sich vor, dass er gleich irgendwo in ein Gewässer springen würde, die Oberfläche eines Ozeans durchbrechen würde. Häufig drehte er am Duschknopf und nahm eine Wechseldusche zwischen Kalt und Warm. Dieses Wechselspiel zwischen Kälte und Wärme erzeugte bei ihm ein Prickeln auf der Haut und ungefähr so stellte sich Bodo den Austausch von Zärtlichkeit zwischen zwei sich Liebenden vor.

„Na ja, es ist bestimmt schön, jemanden zu lieben, mit jemandem die schönen Dinge des Alltags zu teilen, mit jemandem ein gemeinsames Bad zu nehmen, morgens neben jemandem aufzuwachen, beim Frühstück sich über gemeinsame Interessen und die Interessen des anderen auszutauschen,“ dachte Bodo und begann ein wenig zu träumen, auch wenn er nicht wusste, wer dieser Mensch sein könnte, mit dem er alles teilen möchte, für den er immer da sein möchte, den er lieben möchte, aber die Vorstellung, dass es eines Tages einen solchen Menschen in seinem Leben geben könnte, versetzte Bodo in eine Euphorie. Im Moment der größten Entspannung lehnte er sich mit seinem Kopf am Badewannenrand an und er merkte, wie sein Anhänger schwerelos wurde und ins Wasser eintauchte. In diesem Moment wurde Bodo ein wenig schwarz vor Augen und er merkte, wie ihm schwindelig wurde. Es war ein leichter Schmerz, der irgendwie angenehm war. Bodo hatte in diesem Moment einen Gedankenblitz zu einer vergangenen Unterhaltung mit einer Freundin. Diese hatte ihm nach dem Stechen eines Skorpion Tattoos auf ihrem Oberarm von dem Schmerz berichtet. Sie erzählte davon, dass das Stechen weh tat und gleichzeitig angenehm war. Bodo erinnerte sich, dass er damals lange darüber nachdachte, wie denn Schmerz und Wohlgefühl in Einklang zu bringen wären. Doch jetzt verstand er es, denn dieser Schmerz tat zwar weh, war aber zugleich von einem Wohlgefühl überlagert, das Bodo nicht zuordnen konnte. Er wusste nicht, woher es kam, noch hatte er eine ähnliche Wahrnehmung jemals verspürt.

Es musste gegen 21.00 Uhr sein und Bodo überlegte, ob es daran liegen könnte, weil er noch kein Abendbrot gegessen hatte. Doch offenbar war das nicht der Grund, denn ihm wurde immer schwärzer vor Augen und er nahm nur noch den Duft des Kokosvanilleschaums wahr.

„Was ist das?“ fragte Bodo sich und er merkte, dass etwas mit ihm geschah, das er nicht einordnen konnte. Hatte er jetzt einen Kreislaufzusammenbruch? War er ohnmächtig? Er war da und doch fern von diesem Ort. Er ließ sich in das Badewasser ziehen und er merkte, dass ihm für einen Moment der Atem wegblieb. Er war wie gelähmt und konnte nichts dagegen tun.

Das Schwarz vor seinen Augen verschwand wieder und Bodo konnte wieder atmen. Was war da gerade passiert? Was war der Auslöser für diesen Zustand? Bodo sah auf die Farbverschiebungen innerhalb seines Anhänger und jene mischten sich mit dem Badeschaum. Daraus entstand plötzlich eine Seifenblase, die immer größer wurde und seinen Körper umhüllte.

Der Wassermann

„Was geschieht hier eigentlich?“ fragte sich Bodo und er spürte eine Wärme, die seinen Körper umgab, die aber gleichzeitig von einem kühlen Wasser umgeben war. Es erinnerte Bodo an seine Vorstellung, die er bei den Wechselduschen zwischen Warm und Kalt hatte. Es war ein enormes Prickeln und er spürte, dass da jemand neben ihm stand. Es war ein Mann, der irgendwie aus Wasser bestand, aber dennoch einen festen Körper hatte. Dieser strömte eine für Bodo umwerfende Energie aus. Bodo und der Wassermann hatten zueinander einen Abstand von nur wenigen Zentimetern. Dies versetzte Bodo in einen enorm angespannten Zustand. Er wünschte sich diese Anspannung zu überwinden, den Wassermann zu berühren, seinen Arm um dessen Schultern zu legen. Doch dies hätte er nie gewagt. Die Kraft des Wassermanns war zu mächtig.

In einem Gedankenblitz sah sich Bodo als Schüler der fünften Klasse im Physiklabor seiner Schule. Er spielte hier mit zwei Hufeisenmagneten. Er drehte die Pole mal so, dass sie sich anzogen, mal so dass sie sich abstießen. Doch jetzt wurde die Anziehungskraft überwunden, denn der Wassermann machte den ersten Schritt. Er näherte sich Bodo und legte seinen Arm um dessen Schultern. Dann kraulte er zärtlich Bodos Nacken. Bodo erwiderte es, indem er seinen Arm auf den Rücken des Wassermanns legte. Es war ein schönes Gefühl und Bodo lehnte augenblicklich seinen Kopf auf die Schultern des Wassermanns. Dabei bemerkte er, dass die Seifenblase durch etwas hindurchflog. Es war ein Schwarz, das mit merkwürdigen Formgebilden gefüllt war und Bodo wusste nicht, was da geschah. Die Seifenblase nahm eine andere Form an und Bodo erinnerte sie an ein dreidimensionales Herz. Nach vorne blieb es durchsichtig und im hinteren Bereich entstand eine erdähnliche Substanz, an die sich Bodo und der Wassermann anlehnen konnten.

Bodo konnte in diesem Moment nicht sprechen, zu gewaltig waren die Eindrücke, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass er den Wassermann verstehen konnte, ohne dabei seine Stimme zu hören. Es war eine Sprache der Geborgenheit, die ihm der Wassermann signalisierte und dazu reichte es aus, von ihm umarmt zu werden.

Die Seifenblase bewegte sich auf eine Spiegelschicht zu und je näher Bodo und der Wassermann an sie herankamen umso größer wurde ihr Spiegelbild. Bodo staunte, denn er sah, dass sich seine Haut verfärbt hatte, seine Haut bestand nun aus den Farben Rot, Orange und Gelb. Dort wo, seine Haut sein Herz verdeckte, befand sich außerdem ein roter herzförmiger Fleck.

„Das gibt es doch nicht“, dachte er und bevor er sich groß damit hätte auseinandersetzen können, passierte schon die nächste Kuriosität, denn er merkte wie der durchsichtige Bereich des Seifenherzens die Schicht schon durchbrochen hatte.

„Hui“, stammelte Bodo, weil sein Körper ebenfalls in die Schicht gesogen wurde. Es erschien ihm wie ein Eintauchen in tausend aufeinandergestapelte weiche Kissen. Es war eine seltsame Leichtigkeit, die er empfand und er fühlte sich dabei wohl.

Ein frischer Wind versprühte einen Duft von Blutorange-Zimt, während sich auf Bodos Zunge ein Geschmack von Kirsch-Banane setzte. In seinen Gehörgängen nahm Bodo den Klang einer besonders entspannenden Melodie wahr und vor seinen Pupillen tanzten leuchtende Farben. Alle Sinne wurden in dieser Schicht berührt, doch der Aufenthalt hier war nur von kurzer Dauer. Das Seifenherz tauchte auf der anderen Seite der Spiegelschicht auf.

Hier sah Bodo auf eine wunderschöne Naturlandschaft. Er brachte kein Wort aus seinem Mund hervor, weil er von den Wundern, die hier passierten, überwältigt war. Die Seifenblase landete auf einer farbenprächtigen Blumenwiese und setzte Bodo ab. Dann schwebte sie in Richtung eines Horizonts und verschwand mit dem Wassermann schließlich im Irgendwo.

Alles ging so schnell, dass Bodo sich noch nicht einmal vom Wassermann hätte verabschieden können.

„Wer war denn dieser Wassermann?“ überlegte Bodo, doch die Gedankengänge überschlugen sich.

Er war von allen Eindrücken noch immer benommen und er versuchte sie langsam einzuordnen, aber es gelang nicht, schließlich war er an einem ihm fremden Ort und die Beförderung dahin konnte man mit einem rationalen Denken nicht begreifen.

„Wo bin ich?“ fragte er sich. „Was ist passiert? Träume ich?“

Bodo hatte so etwas noch nie erlebt. Irgendwas ist da mit ihm passiert und er hatte keine Antwort darauf. „Ich träume doch nicht, das kann gar nicht sein, ich fühle doch, dass das alles hier so real ist.“

Er betrachtete die Wiese. Es roch hier sehr angenehm und überall schien die Sonne. Er spürte, wie sich auf seiner Haut die Sonne verteilte und ihn mit einer Wärme überschüttete, die er gar nicht kannte. Er drehte sich nach allen Seiten und fühlte sich frei.

Herzwärme

Es war alles einfach nicht zu begreifen, aber irgendwie wunderschön. Durch die Lüfte flog ein Vogelschwarm und Bodo erkannte, dass es aus Papier gebastelte Glückskraniche waren. Bodo überlegte, was er über die Origamikraniche noch wusste. Er hatte gehört, dass sie ein Symbol des Friedens waren. Dann hatte er mal von einer Aktion gelesen, bei der Kinder aus Nagasaki jene Origamifiguren gebastelt haben, um sie als Zeichen des Glücks, Friedens und der Liebe in die ganze Welt zu verschicken. Der Brauch des Bastelns von den Kranichen ging wohl auf eine japanische Legende zurück. „Wie war das noch mal?“ Bodo überlegte, doch seine Gedanken wurden unterbrochen, denn die Gebilde flogen auf ein altes, verfallenes Gebäude am Ende der Wiese zu. „Lebewesen aus gefaltetem Papier“, dachte Bodo und schaute auf die andere Seite der Wiese. Dort befand sich eine türkisfarbene Windmühle. Die Windmühle auf der einen Seite und das Gebäude auf der anderen erweckten gleichfalls Bodos Neugierde.

Er hatte das Gefühl in beide Richtungen gehen zu wollen. Er entschied sich aber dafür, den Glückskranichen zu folgen und lief ihnen hinterher. Das Gebäude kam immer näher. Ja, es war wirklich so, nicht nur Bodo bewegte sich auf das Gebäude zu, sondern das Gebäude bewegte sich ebenfalls auf Bodo zu. Und je näher es kam, umso schöner wurde es. Es wurde zu einem prunkvollen Schloss mit vielen Türmen und einer äußerst bunten Außenfassade. Bodo sah, wie sich im Schloss die Eingangspforte öffnete und wie in ihm die Origamigebilde hineinflogen. Er folgte ihnen in den Eingang und stand ihnen unmittelbar gegenüber. Sie hatten sich im Foyer auf ein Mauerstück niedergelassen, das den weiteren Zugang ins Innere des Gebäudes versperrte.

Die Glückskraniche schauten ihn fröhlich an und sprachen zu ihm. Bodo verstand die Worte jedoch nicht und versuchte ihnen das mithilfe seiner Gestik und Mimik mitzuteilen. Die Kraniche nickten mit ihren Köpfen und lösten dann ihren Falz auf, so dass sie wieder zu Papier wurden. Danach falteten sie sich selbst von neuem und aus dem Papier entstanden neue Formgebilde. Bodo staunte, denn es waren so viele verschiedene Formen, die ohne Schnitt und nur durch Falten möglich wurden.

Bodo erinnerte sich an seine Kindheit. Er selbst konnte Schwalben, Schiffe und ein Himmel- und Hölle-Spiel aus Papier falten, doch zu mehr Formen hatte sein Talent nicht gereicht. Er hatte zwar einmal versucht, eine Papierrose zu basteln, aber schon nach kurzer Zeit verließ ihn die Geduld und er ließ von seinem Vorhaben ab.

Die unzähligen Papiergebilde flogen in der Luft herum und sie reihten sich in eine Linie, in der Bodo ein Rätsel erkennen konnte. Die Formgebilde setzten sich zu Bildern und Buchstaben zusammen und Bodo las in der Reihe das Wort „Herzwärme“. Danach bildeten die Formgebilde einen Pfeil, der auf Bodos Herz gerichtet war. Bodo schaute auf seinen Körper hinab und er erkannte, dass der herzförmige Fleck auf seiner neuen Haut hell flimmerte.

Hinter jenem Körperteil spürte er eine besonders starke Wärme und er sagte laut und deutlich das Wort „Herzwärme“.

In diesem Moment bröckelte das Mauerstück vor ihm zusammen und hinter ihm kam ein Torbogen zum Vorschein. Es war so, als hätte das Aussprechen jenes Wortes die Mauer zum Einstürzen gebracht.

Hinter dem Torbogen befand sich ein großer Raum, in den die Formgebilde hineinflogen. Bodo verfolgte sie mit seinen Blicken bis sie schließlich verschwanden und dann überlegte er, ob er nun in jenen Raum hineingehen solle.

Das Wartezimmer

„Wer weiß, was mich darin jetzt erwartet?“

Vorsichtig schaute Bodo durch die Öffnung und er sah auf einen Raum, der ihn an ein riesiges Wartezimmer erinnerte. Es war größer als bei einem Arzt, größer als die Wartehalle in einem Flughafen. Bodo setzte einen Fuß über den Mauersteinhaufen und zog dann den anderen nach. Drei weitere Schritte folgten, bis Bodo sich schließlich im Raum befand. Er wunderte sich, was er hier sollte, denn er stand hier völlig allein herum. Die Formgebilde waren nicht mehr sichtbar und außer zahlreichen langen Reihen von Sitzplätzen war hier nichts.

„Für wen sind all die Sitzplätze? Und warum befindet sich hier niemand? Vielleicht ist ja heute ein Ruhetag?“

Fragen über Fragen, die Bodo beschäftigten. Er konnte sich weder vorstellen, was passiert war oder warum, noch konnte er sich vorstellen, wo er hier war und was noch passieren werde.

Ein heller Blitz leuchtete auf und Bodo erschrak ein wenig. Der Blitz kam aus dem Nichts und Bodo sah keine Quelle, die ihn erzeugt haben könnte. Dann ertönten leise Klänge, die an Xylophon Schläge erinnerten und parallel zu jedem Schlag fuhr ein heller Blitz über einen der Sitzplätze. Bodo staunte, denn jeder Sitzplatz bekam eine andere Farbe. Viele der Farben hatte Bodo noch nie gesehen und sie ließen sich nicht beschreiben. Er dachte darüber nach, wie er sie beschreiben könne, um später Menschen davon zu berichten.

„Sie sind irgendwie viel heller, glänzender und intensiver, als die Farben, die mir bisher begegnet sind, sie haben einen enormen Glanz und leuchten von allen Seiten betrachtet“, dachte Bodo. „Schade, dass es mir nicht gelingt sie zu beschreiben.“

Bodo hatte sonst Phantasie genug. Doch hier scheiterte sie. Normalerweise reichte seine Vorstellungskraft so weit, dass er jeder Stadt ein Geschlecht und jeder Zahl eine Farbe zuordnen konnte. Doch diese Farben konnte er nicht mit Ziffern, Buchstaben, Worten, Sätzen, Erfahrungen, Wissen oder mit anderem beschreiben.

Bodo suchte nach einer Idee. „Vielleicht gelingt es mir, wenn ich verstehe, warum ich mir eine Farbe vorstelle, wenn ich eine Zahl höre. Warum habe ich immer das Gefühl, eine bestimmte Stadt sei männlich oder weiblich?“

Die Stadt Dortmund war für Bodo männlich, die Stadt Stuttgart hingegen weiblich. Er grübelte, warum er das so empfand.

„Bestimmt, weil ich bei Dortmund unbewusst an den Mund oder an den Vornamen Siegesmund denke, bei Stuttgart möglicherweise an Hildegart.“

Bodo fand für weitere Städte Lösungen. Dass er die Stadt Nürnberg als männlich empfand, lag wohl daran, dass ein Berg in seinem Sprachgebrauch männlichen Geschlechtes ist. Die Stadt Heidelberg hatte für ihn jedoch trotz des Berges im Wort ein weibliches Geschlecht.

„Es liegt vielleicht daran, dass sich bei meiner Vorstellung zu Heidelberg unbewusst eine Heidelbeere stärker als ein Berg durchsetzt.“ Ähnlich war es bei der Stadt Hamburg. Obwohl in ihr das weibliche Wort die Burg vorkam, war Hamburg für Bodo männlich. „Na klar, der Hamburger zum Essen hat in meinem Unterbewusstsein wohl eine höhere Gewichtung als eine Burg“, dachte er. „Und weil das Essen sächlich ist, hat die Stadt Essen in meiner Vorstellung kein Geschlecht.“ Ein ganz kompliziertes Rätsel gab ihm die Stadt Gelsenkirchen auf. Sie war für ihn weder ein der Gelsenkirchen, noch ein die Gelsenkirchen und ebenso kein das Gelsenkirchen.

„Hm,“ überlegte Bodo. „Es liegt wohl daran, weil in Gelsenkirchen der Plural von Kirche enthalten ist. Wenn die Stadt Gelsenkirche heißen würde, hätte ich wahrscheinlich die Vorstellung einer weiblichen Stadt.“

Bodo hatte das Rätsel gelüftet. Jetzt wusste er, warum er sich unbewusst ein Geschlecht zu einer Stadt vorstellte. Irgendwelche Wortinhalte oder Wortstämme in den Namen der Städte beeinflussen auf unbewusste Weise seine Empfindung zum Geschlecht der Stadt. Doch wie war es mit den Zahlen, warum dachte er bei der Zahl 1 an weiß, bei 2 an himmelblau, bei 3 an dunkelrot, bei 4 an gelb, bei 5 an rot, bei 6 an braun, bei 7 an grün, bei 8 an orange und bei 9 an dunkelblau? Bodo dachte lange über diese Kuriosität nach, dann hatte er eine Idee. Er erinnerte sich daran, dass er als Kind eine Magnettafel mit Buchstaben und Zahlen besaß. Sie hing an der Wand gegenüber seinem Bett. Die Magnetbuchstaben und Zahlen hatten verschiedene Farben, und Bodo hatte das Gefühl, dass die Zahlen genau jene Farben implizierten, die er heute unbewusst miteinander kombiniert. Tag für Tag in seinem Kinderzimmer hatte er bunte Zahlen wahrgenommen und diese hatten sich sehr stark in sein Unterbewusstsein eingenistet.

Vorstellungen von einem männlichen Mannheim oder einer grünen Sieben hatten also mit unbewussten Erinnerungen und unbewusstem Wissen zu tun, war Bodo überzeugt. Deshalb würde er die Farben auf den Sitzplätzen niemals beschreiben können, denn er hatte noch keinerlei Erfahrungen mit ihnen gemacht. Sie waren ihm in seinem Leben einfach noch nie begegnet.

Bodo ging weiter und hörte plötzlich ein Geräusch. Es hörte sich so an, als würde jemand eine Folie von irgendetwas abziehen, aber Bodo sah niemanden. Jetzt machte es laut „Plöpp“ und Bodo sah, dass sich eine Farbe auf einem der vielen Sitzplätze selbst abgezogen hatte, zu einer Gestalt wurde und auf ihn zukam.

„Ich bin Sonntigaras Van Windbogen“, sagte die Farbe und Bodo war für einen Moment sehr verdattert.

„Äh ja, was?“

„Du hast doch soeben gedacht, dass wir alle Farben sind, die dir noch nie begegnet sind.“ Die Farbe lächelte freundlich. „Jetzt begegnest du mir. Hallo! Wie geht es dir und wie gefällt es dir bei uns?“

Bodos Augen wurden immer größer, nicht nur, weil sich die Farbe auf ihn zu bewegt hatte und nicht nur weil sie zu einer körperlichen Gestalt geworden war, die Farbe konnte offenbar sprechen und Gedanken lesen.

„Hallo!“ stammelte Bodo, rieb sich einmal mit seinem linken Zeigefinger über seine Schläfe, dann über die Augenbrauen und führte schließlich seine Finger zu seinem Mund und strich sich über die Lippen. „Es ist wunderschön hier, es gefällt mir sehr gut. Ich bin Bodo.“

„Ich weiß, obwohl ich nicht weiß bin, aber ich bin weis.“

Sonntigaras lächelte ihn an und erwiderte seine Blicke mit einem großen Augenaufschlag.

Er war ein wenig verwirrt und er wusste nicht über was er sich mit Sonntigaras unterhalten sollte, er hatte noch nie mit einer Farbe gesprochen.

„Was fragt man eine Farbe?“ überlegte er. „Vielleicht in welchem Mischverhältnis sie steht oder vielleicht an welchen Gegenständen sie sich am liebsten befindet?“

Bodo fragte also nach ihrem Mischverhältnis.

„Wie viele Anteile von Rot, Blau und Gelb hast du jeweils in dir?“ fragte er, weil er zu wissen glaubte, dass jene drei die drei Grundfarben sind, aus denen sich die anderen Farben mischen lassen.

„Du musst noch viel lernen“, antwortete Sonntigaras. „Aber das macht nichts, du bist mir trotzdem sehr sympathisch, vielleicht können wir ja mal etwas zusammen unternehmen, Essen gehen, ins Kino oder auf den Rummelplatz?“

Was war das? Eine Farbe hatte Bodo soeben zu einem Rendezvous eingeladen. Wenn er das jemandem zuhause erzählen würde, würde man ihn für verrückt halten.

„Ich könnte dir dann von meinem Mischverhältnis erzählen“, fuhr Sonntigaras fort.

„Gern, es interessiert mich sehr.“

Bodo verzog seine Mundwinkel in die Breite und lächelte verlegen zurück.

„Einverstanden, du wirst den Ort und den Zeitpunkt bestimmen, aber das dauert noch ein bisschen“, lächelte Sonntigaras, weil sie sich offenbar freute einmal mit einem Menschen ausgehen zu können. Also näherte sie sich Bodo, gab ihm einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich.

„Ich freue mich schon auf unser erstes Rendezvous“, sagte sie, verschwand wieder und legte sich wieder auf jenen Sitzplatz nieder, von dem sie gekommen war. Sie zerschmolz auf ihm und färbte den Sitzplatz wieder in ihrer Farbe ein.

„Dinge gibt’s“, dachte Bodo und bemerkte, dass seine neue Bekanntschaft einen kleinen farbigen Fleck auf seinem Gesicht hinterlassen hatte. Von diesem ging ein süßlich, blumiger Duft aus. Mit seinem Zeigefinger tupfte er in den Fleck hinein und hielt ihn dann unter seine Nase.

„Es riecht ganz anders als die Farben, die bei uns mit irgendwelchen Chemikalien hergestellt werden“, dachte er. „Viel natürlicher, viel angenehmer.“

Da ihm der Duft gefiel, wusch er die Farbe nicht ab, sondern ließ sie auf seiner Wange haften. Dann schaute er noch einmal zu jenem Sitzplatz und hob ein wenig die Hand, um Sonntigaras noch einmal zuzuwinken. Dann hielt er jedoch inne und drehte sich wieder mit dem Rücken zu ihr.

„Warum soll es noch ein bisschen dauern, bis wir unsere Verabredung haben? Wir sind hier doch eh die einzigen Lebewesen im Moment, da könnten wir doch eigentlich schon sofort etwas unternehmen, “ überlegte er, spürte aber gleichzeitig, dass er noch nicht für das Rendezvous soweit war. Eine innere Stimme wollte, dass er die Räumlichkeiten allein erforscht.

Er ging weiter durch die Sitzreihen und er bemerkte plötzlich, dass jede Reihe zu einem Raum führte. Also ging er jene Reihe, in der er sich befand bis zum Ende und er kam somit auf einen langen Flur zu.

Auf dessen Fußboden war ein kariertes Hinkelkästchen-Spiel aufgemalt und Bodo überlegte, ob hier manchmal jemand hinkommt, um jenes Spiel zu spielen.

„Was hat das hier für eine Bedeutung? Ein Wartesaal mit lebendigen Farben, der auf einen Flur mit Hinkelkästchen-Spiel zuführt. Merkwürdig.“

Es erinnerte ihn an seine Kindheit, in der er und Kinder in der Nachbarschaft oftmals ebensolche Hinkelkästchen auf den Asphalt gemalt hatten. Sie stellten anschließend durch Steinchen Wurf und Hüpfen, vor den anderen Kindern ihre Geschicklichkeit unter Beweis.

Meistens ritzten sie die Kästchen mit Steinen auf den Asphalt, weil sie keine Kreide zur Hand hatten, aber es kam schon mal vor, dass jemand in der Schule Kreide stibitzt hatte und sie mit nach Hause brachte. Wenn jedoch jemand mal einen farbigen Kasten mit Malkreide mitgebracht hatte, wurde die Gelegenheit gleichzeitig genutzt, um den grauen Asphalt der Siedlung mit bunten Bildern aufzuhellen. Die meisten Erwachsenen erfreuten sich an den kleinen Kunstwerken, aber es gab da eine Nachbarin, die sich immer darüber aufgeregt hatte. Die Kinder würden mit ihren Zeichnungen die Straße verschandeln, hatte die Nachbarin einmal gegenüber Bodos Mutter geäußert und sie hatte darauf bestanden, dass Bodo eine Zeichnung, die er unmittelbar vor ihrem Hauseingang gemalt hatte, wegwischen sollte.

Bodos Mutter verstand zwar nicht, warum die Nachbarin einen so großen Wind um nichts machte, aber da sie keinen Ärger in der Nachbarschaft wollte, hatte sie Bodo mit einem Lappen und einem Eimer voll Wasser losgeschickt, um sein Kunstwerk wieder zu entfernen.

Bodo ist darüber sehr traurig gewesen. Er hatte sich damals bei der Erschaffung jener Farbzeichnung besonders viel Mühe gegeben und er wollte, dass sie möglichst lange sichtbar bleibe, damit andere Kinder sie sehen würden. Doch nur wenige Stunden später war sie wieder verschwunden.

„Auf Wiedersehen, Bild, das du da warst, dann wieder gegangen bist und jetzt nicht mehr da bist“, schwelgte Bodo in seinen Kindheitserinnerungen.

Er überlegte, warum die Nachbarin so vehement darauf bestanden hatte, das Bild zu entfernen.

„Offenbar gefiel ihr das Grau im Asphalt besser, als die Komposition von Farben.“

Schon als Kind hatte er die Frau nicht verstanden und er verstand sie noch immer nicht.

„Vielleicht hat sie in ihrem Leben nur immer grau gesehen, kennt es nicht anders und so ist es bei den Farben“, spekulierte er und er hüpfte die Hinkelkästchen entlang, so wie er es in seiner Kindheit getan hatte. Doch was war das? Mit jeder Berührung seines Fußes mit einem Hinkelkästchen, kam ein Bild zum Vorschein, das durch jedes Kästchen umrahmt war. Bodo betrachtete die Bilder und war verblüfft. In jedem Kästchen kam ein Bild zum Vorschein, das er in seiner Kindheit gemalt hatte. Unter anderem war jene Kreidezeichnung dabei, über die er gerade nachgedacht hatte. Aber auch andere, die er im Kunstunterricht gemalt hatte, sowie jene Krickelkrakelbilder aus dem Kindergarten. Bodo freute sich.

„Die Bilder sind nicht fort, sie sind wieder da und sie markieren meinen Weg, über den ich springe“, rief er und er bemerkte, dass er mit sich selbst sprach. Er war jetzt sehr euphorisch und er konnte jenes Wunder, das er nun sah, gar nicht begreifen. Es war so, als würde er genau wissen, was er sich beim Malen jedes Bildes gedacht hatte.

„Dieses Bild beschreibt meine Urlaubserinnerung an der Küste, dieses meinen Besuch auf einem Jahrmarkt, das hier ist die Geisterbahn, das hier ist das Kettenkarussell, “ erzählte er sich selbst und hüpfte fröhlich weiter, damit neue Bilder zum Vorschein kommen.

Nomen est Omen

Bodo hüpfte auf das Bild, das er in seinem Leben zuletzt gemalt hatte. Es war ein Bild aus dem Kunstunterricht in Jahrgangsstufe 13. Sein Kurs hatte als letztes Thema den Surrealismus behandelt und jeder Schüler sollte in den letzten Stunden vor den Abiturklausuren ein Bild zu diesem Thema malen. Danach hatte Bodo nur noch Farben und Pinsel in die Hände genommen, wenn er Wände von Wohnungen strich.

Bodo stand also mit einem Bein auf dem Hinkelkästchen und betrachtete sein Bild, auf dem ein Schachbrett mit Flügeln durch eine unbekannte Ebene schwebte und mit einem trichterförmigen Netz die Figuren ‚Turm‘ und ‚Springer‘ einfing, die aus dem Schachspiel entglitten waren.

Das Repertoire an Bildern, die Bodo gemalt hatte, war nun ausgeschöpft und die folgenden Kästchen blieben leer. Sie führten auf eine goldene Tür zu, die mit kunstvollen Ornamenten verziert war. Bodo hüpfte noch über die restlichen leeren Kästchen und starrte auf die Tür.

„Nomen est Omen“, blitzte es in einer schnörkeligen Schrift an einem umrahmten Schild der Tür auf. Er überlegte, ob er hier hineingehen dürfe. Irgendwie hatte er das Gefühl, das sei nicht so gut.

„Eine verschlossene Tür, ob man da hineingehen darf?“ fragte er sich und er erinnerte sich an ein Märchen, das ihm seine Mutter mal in der Kindheit erzählt hatte. So genau konnte er sich nicht mehr an das Märchen erinnern, aber es handelte von einem Mädchen, das verbotener Weise in eine Kammer gegangen war.

„Wie war das denn noch mal?“ überlegte er und ihm fiel nur noch ein, dass seine Mutter es ihm in der Weihnachtszeit erzählt hatte. Sie erzählte in dem Kontext davon, dass er nicht vor dem Heiligen Abend in das Schlafzimmer seiner Eltern gehen dürfe, da hier Weihnachtsgeschenke aufbewahrt seien. Bodo erinnerte sich, dass ihn jenes Verbot noch neugieriger gemacht hatte und er zwei Tage vor Weihnachten einfach durch das Schlüsselloch geschaut hatte, um einen Blick auf die Weihnachtsgeschenke zu erhaschen. Seiner Mutter hatte er nie erzählt, dass er den Kaufladen, den er schließlich zum Christlichen Fest bekam, schon früher gesehen hatte. Aber er war sich am Heiligen Abend sicher, dass sie es irgendwie an seinem Verhalten gemerkt haben musste.

„Na ja, “ dachte Bodo sich. „Mir wird schon nicht der Kopf abgerissen, wenn ich in diese Kammer gehe. Damals hat der Blick in das Schlafzimmer, mir ja auch keinen Kummer bereitet.“ Bodo beschloss also hineinzugehen und zog am Türgriff. Doch die Tür war verschlossen.

„Schade, hat nicht sollen sein“, sagte er sich, wollte gerade umkehren, sah aber noch, dass sich links neben der Tür ein Schlüsselkasten befand. Also ging er hin und öffnete ihn. In dem Kasten befanden sich Schlüssel aus den Zahlen eins bis acht.

„Welcher Schlüssel ist wohl der richtige?“ fragte er sich und griff nach der Drei. „Probieren geht über Studieren, ich habe ja Zeit“, sagte er sich und steckte nun den dritten Schlüssel in das Schlüsselloch. Dieser passte jedoch nur ein Stückchen ins Schloss und verkantete sich dann.

„Hm“, überlegte er. „Das war wohl der falsche Schlüssel.“

Bodo zog ihn mit ein wenig Mühe wieder zurück. Während dieses Vorgangs spielte sich im Schlüsselloch ein Geräusch ab, das zunächst an Schritte erinnerte, die immer schneller wurden, sich aus dem Schlüsselloch entfernten und schließlich davonliefen.

Bodo wunderte sich über das Geräusch, das aktuell nur noch schwach zu vernehmen war und schließlich im Nichts verstummte. „Auf ein Neues!“ sagte er sich, ging abermals zum Schlüsselkasten und nahm den ersten Schlüssel heraus. Er steckte ihn in das Schloss und freute sich, weil er passte. Er drehte ihn nach rechts, doch die Tür ließ sich durch die Umdrehung immer noch nicht öffnen, also drehte er ihn in die entgegengesetzte Richtung und es funktionierte. Die Mechanik funktionierte andersherum, als gewohnt, die Tür sprang auf und Bodo stand verdattert vor einer zweiten Tür. Jene Tür stand jedoch auf dem Kopf, so dass sich die Türklinke unter dem Schlüsselloch befand. Bodo fragte sich, worin die Bedeutung darin liege.

„Vielleicht kommen ja gleich irgendwelche Wesen, die mit dem Kopf gehen“, dachte er sich spaßeshalber, steckte den Einserschlüssel in das Loch, musste aber feststellen, dass sich dieser Schlüssel an der Tür nur bedingt umdrehen ließ. Also zog er ihn wieder heraus und probierte es mit der Fünf.

Ein Volltreffer, er hatte mit einem Griff den richtigen Schlüssel erwischt und die Tür sprang auf. Bodo schaute auf ein riesiges Bücherarchiv. Er konnte die Größe jenes Raumes gar nicht einschätzen, denn ein Ende war hier nicht sichtbar. Besonders beeindruckt war Bodo von der Farbenpracht des Raumes, da jedes Buch in verschiedenen Farbzusammensetzungen aus Farben, die ihm bekannt vorkamen und Farben, die er noch nicht kannte, leuchtete. Bodo überlegte kurz, ob es hier Bücher gebe, die aus einem Mischverhältnis mit Sonntigaras Van Windbogen bestehen. Wann werde er ihr wohl das nächste Mal begegnen?

Bodo war von dem Farbspiel wie gefesselt. Minutenlang stand er einfach da und genoss es. Es war schöner als jedes Feuerwerk, das er je gesehen hatte und es bereitete ihm ein großes Glücksgefühl. Vordergründig der Bücherreihen waren Hinweisschilder, die auf die Inhalte der Bücher in den Regalen verwiesen.

Bodo ging also hin und schaute auf ein solches Schild. Auf jenem Hinweisschild befanden sich jedoch Schriftzeichen, die er nicht entschlüsseln konnte. Sie mussten aus anderen Sprachen stammen, die er nicht kannte. Eines der Schriftzeichen erinnerte ihn an Arabisch, er war sich jedoch nicht ganz sicher. Auch die Richtung der Schreibweise einzelner Wörter erschien zueinander verschieden. Mal erschien sie von rechts nach links, mal von oben nach unten, mal diagonal. Einige Schriftzeichen waren sogar so angeordnet, dass sie nochmals in Verbindung mit anderen, eine Kette oder eine Fläche oder einen Körper, wie Würfel oder Pyramide bildeten. Wieder in anderen Konstellationen glaubte er eine Bewegung zu erkennen, da einige Schriftzeichen zusammen offenbar nochmals farbige Bildpunkte bildeten, aus denen jene neuen Zeichen hervorgingen.

Bodo war verblüfft.

„Welche enorme Intelligenz muss hinter jenen Zeichen stecken?“ fragte er sich.

Bodo ging weiter und schaute sich andere Hinweisschilder an und er suchte nach Zeichen, die ihm vertraut vorkamen. Plötzlich blieb er stehen. Auf einem Hinweisschild stand ganz klein das Wort „Alphabet“. Daneben war ein kleiner Pfeil, der auf die daneben befindliche Bücherregalreihe verwies. Bodo ging also in die Reihe und sah, dass auf jedem Buch ein Name stand. Es waren aber nur Vornamen.

„Ob es wohl ein Buch über den Namen ‚Bodo‘ gibt?“ fragte er sich und ging an den Regalen vorbei. Allein mit dem Buchstaben ‚A‘ musste es tausender Vornamen geben, da ihm der Gang bis zum Buchstaben ‚B‘ sehr lang vorkam. Da war er, sein Buchstabe. Bodo überflog die Vornamen.

„Babette, Baldur, Baptist, Barbara, Bartholomäus, Bastian, Bea, Benjamin, Berengar, Bernhard, Bertram, Betsy, Beverly, Bilke, Blanka, Bob, Bobby, Bodil, Bodo.“ Da war er, sein Name. „Nomen est Omen“, erinnerte er sich an die Worte, die an der goldenen Eingangstür standen. „Name ist Omen.“

Bodo hatte Glück. Sein Buch stand im Regal in erreichbarer Höhe, so dass er nicht jenen merkwürdigen Mechanismus betätigen musste, der sich an jedem Regal befand. Irgendwie erinnerten ihn die verschiedenen, verschiebbaren Regalschichten an seine Fächeranordnung im Lumpenfrosch. Er erkannte aber, dass die Konstruktion der Regalschichten noch effizienter als seine Erfindung war und er versuchte sich für zuhause jene Anordnung in seinem Gedächtnis genau einzuprägen.

„Vielleicht kann ich ja noch etwas an meinem Lumpenfrosch verbessern“, dachte er sich.

Bodo war ein wenig nervös, irgendwie hatte er das Gefühl, dass wenn er gleich jenes Buch mit seinem Namen aus dem Regal nehmen und aufschlagen würde, er sehr viel zu seiner Person erfahren werde. Dass sein Name sich mit dem Wort ‚Bote‘ übersetzen lassen könne, hatte er schon mal gehört, aber offenbar sollte das Buch noch mehr über die Herkunft des Namens und über die Persönlichkeit seines Trägers verraten.

Trotz der Nervosität nahm er es aus dem Regal und betrachtete es. Er freute sich, da das Cover genau mit seinen Lieblingsfarben ‚rot’, ‚orange‘ und ‚weiß‘ beschichtet war. Nur waren sie hier viel kräftiger und leuchtender.

Bodo schlug die erste Seite auf. Hier stand in derselben schnörkeligen Schrift, in welcher der Satz „Nomen est Omen“ am Eingang geschrieben war, der Satz „Die Schrift – Das Bild des Selbst“. Bodo verstand nicht, was mit jenem Satz gemeint war und schaute daher auf die andere Seite. Er war sehr enttäuscht, denn auf jener Seite war nur mehrmals mit einer Handschrift das Wort „Bodo“ geschrieben. Also blätterte er weiter, doch auf den nächsten Seiten stand nichts weiter, als sein Name in jener Handschrift.

„Schade“, dachte sich Bodo, weil er gehofft hatte in jenem Namensbuch etwas über seine Persönlichkeit zu erfahren, doch außer Seitenweise Unterschriften seines Vornamens und des Eingangssatzes entdeckte er nichts Außergewöhnliches. Er überlegte, was mit dem Satz gemeint sein könnte und er erinnerte sich schon mal etwas von Graphologie gehört zu haben, jener Kunde über die Deutung von Handschriften.

„Na ja, kann ja sein, dass die Handschrift etwas über die Person eines Menschen aussagt, aber da ich keine graphologischen Kenntnisse besitze, kann ich doch nicht die Handschrift deuten, “ dachte er sich und berührte die Stelle einer Unterschrift.

In diesem Moment verfärbten sich wie von Geisterhand alle Unterschriften. Bodo war sehr verblüfft, da plötzlich in den geschriebenen Namen kleine Bildchen sichtbar wurden, die an Comicstrips erinnerten.