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Auf einer Karibikinsel wird der urlaubende Bòdy beauftragt, einen Doppelgänger zu besorgen, mit dessen - ausgeliehenen -Papieren der in Deutschland steckbrieflich gesuchte Auftraggeber persönliche Dinge in Berlin regeln will: Er habe mit falschen Papieren eine reiche Amerikanerin geheiratet, ohne von seiner ersten Frau geschieden zu sein, was er nun diskret in Ordnung bringen wolle. Bòdy findet den idealen Ersatz-Mann, bringt ihn auf die Insel, wo er feudal, aber abgelegen eingemietet wird. Inzwischen fliegen Bòdy und sein Auftraggeber mit dem Paß des Schutzbefohlenen nach Berlin. Die Ehefrau des Abwesenden reagiert recht eigenartig. Die entstehenden Verwicklungen führen in ein Labyrinth von Täuschung, Lüge, Schuld - und großen Geschäften.
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Seitenzahl: 323
Veröffentlichungsjahr: 2020
www.tredition.de
© 2020 Thomas Til Radevagen
Lektorat, Korrektorat: Bärbel Boden
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-05800-2
Hardcover:
978-3-347-05801-9
e-Book:
978-3-347-05802-6
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Thomas Til Radevagen
Bòdy macht Ferien
Kriminalroman mit Geza Bòdy
Krimi-'Held' Geza Bòdy
'Geza Wilhelm Bòdy, Private Ermittlungen & Personenschutz', so steht auf seiner Geschäftskarte. Bòdy lebt und arbeitet in Berlin, der deutschen Hauptstadt mit ihren 3,4-Millionen Einwohnern. Mit den Menschen im Berlin umgebenden Speckgürtel und im entfernteren Umland - Brandenburg - ballen sich hier 7 Millionen Menschen zusammen.
Bòdy steht allein in der Masse, neudeutsch: er ist ein Single. Er hat eine Vergangenheit in den alten Ländern der Bundesrepublik; sie spielt ab und zu sachte hinein in seine Geschichten. In seinem Lebenslauf stünde, dass er in der tiefsten Provinz, auf dem Dorfe, im Münsterland aufwuchs, das Gymnasium in der Stadt besuchte, als Austauschschüler ein Jahr in Amerika war; dass er nach dem Abitur als Länger dienender in die Bundeswehr eintrat und es dort bis zum Leutnant brachte. Dann besann er sich anders. - Dank eines unerwarteten Erbes konnte er ein Uni-Studium aufnehmen, Sport und Geographie.
Schon von seinen Anlagen und Neigungen her ist er sehr sportlich, körperbetont und aktiv. Deshalb ist er an Sportthemen generell stark interessiert; andererseits geht er leidenschaftlich gern auf Reisen. Er hat schon viele Ecken der Welt gesehen. Bòdy tendiert - vielleicht unbewusst - dahin, seine privaten Hauptinteressen mit Dienstlichem zu verbinden. Während der Semesterferien verdingte er sich als Sportinstrukteur und Animateur in exotischen Ferienclubs.
Nachdem sein Erbe auf (zu) vielen Fernreisen fast aufgezehrt war, ergab sich relativ zufällig die Gelegenheit - über Studienkollegen und ex-Kameraden der Bundeswehr - in seinen jetzigen Job hineinzurutschen. Bòdy machte sich nach einigen erfolgreich erledigten Aufträgen selbständig. Er lebt einmal ganz gut (dann zieht es ihn wieder auf Reisen), ein anderes Mal so la la - von den unterschiedlichsten Aufträgen.
Geza Wilhelm Bòdy verdankt den ersten Vor- und den Familiennamen dem ungarischen Vater. Dieser heiratete seine Mutter und verließ sie und den Sohn mit unbekanntem Ziel, als Geza noch ein kleiner Junge war. Vom Vater geerbt hat Bòdy das Aussehen, er ist ein attraktiver Mann: Mitte bis Ende 30, dunkelhaarig, südländisch vom Typ her. Er ist zwar nur mittelgroß und kein aufgepumpter Muskelmann, doch das gleichen seine Durchtrainiertheit und äußerste Reaktionsschnelligkeit aus. Er kann zu einer explosivgefährlichen Kampfmaschine werden, wenn die Situation es erfordert.
Bòdy kleidet sich geschmackvoll, sportlichleger. Er trinkt nicht und raucht nicht.
Obwohl er gerne in Berlin lebt, ist er kein eingefleischter Stadtmensch. Er hält sich ebenso oft ausgesprochen gern im Freien auf, er mag die Natur und Tiere. Bòdy besitzt kein eigenes Auto, dafür aber mehrere Zweiräder - zwei Motor- und diverse Fahrräder, sowie andere eigene Sportgeräte - Windsurfboard, Tauchausrüstung, Paraglider, Skier.
Für die Arbeit, seine Fälle, nimmt er meist Leihwagen oder ein 'StattAuto' - ohne jedoch ein 'Grüner' zu sein. Politik ist ihm ein ausgesprochener Gräuel! Häufig fährt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, er ist leidenschaftlicher Bahn Fan, er kennt die Streckennetze und Verbindungen in- und auswendig.
Bòdy ist ledig. Teils, weil er 'die Richtige' noch nicht gefunden hat, teils, weil er Job und Lebensweise für eine Ehefrau als Zumutung empfände. Er hat gelegentlich kürzere Affären mit Frauen.
Vermutlich aber ist er heimlich ein unverbesserlicher Romantiker (wie viele klassische Detektive).
Zeitweise kommen die Prägungen der strenggläubigen ländlichen Region, in der er aufwuchs, wieder in ihm durch, und zwar stärker, als ihm selber lieb ist.
Er pflegt und schätzt echte, langanhaltende Freundschaft, er sucht diese auch zu Frauen - wenn sie nicht zu lieben sind…
Bòdy ist nicht unerfolgreich, dennoch passiert es ihm auch, dass er die Lösung 'seines' Falles im schlimmsten Fall in der Zeitung lesen muss. Er ist - was in dem Job zugegebenermaßen hinderlich ist - in seltenen Fällen gutgläubig und ein wenig naiv. Im 'worst case' geht er schon einmal zwiespältigen Auftraggebern auf den Leim. Er leistet sich trotzdem so etwas wie ein Ethos. Obwohl ihn fast jeder Fall etwas mehr desillusioniert, möchte er sich seine Naivität bewahren, Zynismus lehnt er ab. - Das ist womöglich gegen den Trend.
- Ist Bòdy wirklich ein Naivling? Oder ein romantischer Träumer, der in diesem harten Job nichts verloren hat? - Weder noch! Geza Bòdy ist ein Mann unserer Zeit. Er steht mitten im Leben. Er schlägt sich so durch, wie die meisten heutzutage.
Bòdys eigene, nicht verleugnete Biographie macht ihn nur empfänglicher für bestimmte Konstellationen. - Dass ihn sein Erleben als Kind sehr geprägt hat, wird in manchen Situationen ebenfalls spürbar. Die Mutter, Münsterländerin, hatte den Vater, einen jungen Exil-Ungarn geheiratet, obwohl die konservativen Dörfler dagegen waren, Anfang der 60er. Der Vater, kaum akzeptiert von der Bevölkerung („Der Zigeuner“) hielt es in dem Kaff nicht aus, er verschwand, als Geza noch klein war. Der Junge wuchs so vaterlos auf, von Großvater und Onkeln beeinflusst. Seine katholische Mutter blieb allein, bis an ihr Lebensende.
Das unerwartete Erbe vom 'verschollenen' Vater ermöglichte ihm zu studieren. Sein Erzeuger hatte sich keine 150 km weit entfernt, hinter der Grenze in den Niederlanden eine einträgliche Existenz aufgebaut. Gezas Mutter erlag kurze Zeit nach dem das Erbe auf Mutter und Sohn gekommen war, einer schweren Erkrankung.
Geza war außer zu dem Erbteil ganz unerwartet auch zu einem Halbbruder in Holland gekommen. Mit ihm versteht er sich gut, nachdem sie sich kennenlernten.
Bòdy hat eine Schwäche: Frauen. Er weiß darum, dass er gut aussieht. Es fiele ihm nicht schwer, Freundinnen zu haben. Er hat gute Manieren und kann sich auf allen Parketts bewegen. Die große Liebe scheint ihm jedoch noch nicht über den Weg gelaufen zu sein. Vielleicht misstraut er solchen Begriffen auch. Er pflegt Freundschaften. Womöglich hat er auch eine Tendenz, sich heimlich in Klientinnen zu verlieben, wenn sie das 'gewisse Etwas' besitzen.
Wie er dem Beruf kam: Gerade als das Erbe fast aufgebraucht war, hatte er sein Studium abgeschlossen. Aussichten auf eine Referendarstelle als Lehrer waren gering, sie reizte ihn ohnehin nicht sonderlich. Bòdy hatte überlegt, wie er sich mit seinen Qualifikationen den Lebensunterhalt sichern könnte. Da er schon einige Male aushilfsweise als Bodyguard gearbeitet hatte, bei Großveranstaltungen, beim Personenschutz von Prominenten, kam eins zum anderen: Er rutschte quasi naturwüchsig in den Job des Privaten Ermittlers hinein.
Kurz nach der Wende im Herbst 89 war er endgültig nach Berlin gezogen.
Geza Bòdy studierte früher einige Semester in Berlin, machte aber in den alten Ländern Examen. Er hat ein Gewerbe angemeldet, zuvor an einer privaten Akademie Kurse absolviert. Diese haben ihm neben seiner militärischen Ausbildung und Karriere das Rüstzeug für den Beruf gegeben. Seitdem arbeitet er, mal erfolgreich, das heißt, gutverdienend, mal weniger erfolgreich, was Durststrecken bedeutet, in dem Job.
Die 1. Reise: Berlin - Karibik, Saint Martin - Amsterdam Berlin
1. "Wow! Das ist besser als Sex!" jauchzte Geza Bòdy. Er schrie, brüllte aus vollem Halse, so ausgelassen vor lauter Begeisterung war er. "Mann, ist das geil!" Er hing im Trapez, voll im Wind. Sein ganzes Körpergewicht wurde vom dreieckigen Segel getragen; er fühlte sich schwerelos. Das war 'planing'! - Mit den Füßen ließ sich das Brett kinderleicht aufkanten und wegschieben. Das Steuern ging fast von selbst, weil nur das Heck des Boards im Wasser auflag.
Er war hinauf aufs Board und hatte einen sauberen Wasserstart hingelegt, der ihn selber überrascht hatte in seiner Rasanz. Und dann ab!
Er hatte sich nicht mehr umgesehen, kaum bemerkt, wie er aus der Bucht hinaus war, Richtung Karibisches Meer. Nur zwei Katamarane fegten ebenfalls mit einem Affenspeed hier draußen herum. Es hätte ihm zu denken geben müssen. Plötzlich war er unter Wasser.
"Wassnlos?"brabbelte er. Als Geza rasch wieder auftauchte, dümpelte das Brett ein Stück weiter weg vor sich hin, das Segel trieb daneben, es wurde von der Schot gehalten.
War der Mastfuß, der Powerjoint, aus seiner Arretierung im Brett gerutscht? Er hatte die Sicherheitsleine belegt an seinem Fußknöchel und mit dem Board verbunden. Mit wenigen Kraulzügen war er am Surfbrett, konnte sich hinaufschieben. Mit der Aufholschot zog er das Rigg näher. Er besah sich die Ursache seines Abfluges: Der Powerjoint war gebrochen. Sein Board war manövrierunfähig!
Bòdy blickte in Richtung der Insel. Saint Martin lag irgendwie schon ganz schön weit weg, hinter ihm. Donnerwetter, war das eine Tempofahrt gewesen! Wie viele Meilen, Seemeilen, mochten das sein? Oben ragte die höchste Bergspitze noch beruhigend nah aus dem Meer, aber unten sank die Insel ein Stück weit in der dünenden See, verschwamm die Horizontlinie.
Wie lange war er unterwegs gewesen bis hierher? - Kaum eine knappe Stunde! 10.36 Uhr zeigte seine Casio Shock Proof am Handgelenk; AST, Atlantik Standard Time. Es war sein erster Urlaubstag in der Karibik.
Bòdy saß auf dem Brett, die Knie angezogen, und analysierte seine Havarie. So entspannt hatte er im Trapez gehangen, bis der Powerjoint gebrochen war. Schlimmeres konnte einem Windsurfer nicht passieren!
Rasch war er aufgetaucht, der Auftrieb des mit dem Trapezleibchens kombinierten Lifejackets hatte dafür gesorgt. Der Wasserhang, den er hinaufgetrieben war, schien ihm gewaltig. Wer hatte behauptet, Wasser könne nicht bergauf fließen? Was für eine unglaublich lange Dünung das war! Halblaut hatte er mit sich selber gesprochen, wie oft, wenn er allein war.
"Wie ist das möglich? Warum? Wie kann sowas passieren? Das ist 'n fabrikneues Bord!" Die Entfernung zum Ufer besorgte ihn. Sie war verdammt groß!
Der Wind würde erst ablandig wehen, dann spränge er um. Das waren die Angaben des Boardverleihers gewesen. Der musste es wissen, eigentlich! Doch der Wind hatte ihm nicht den Gefallen getan. Geza Bòdy war weit außerhalb - und trieb immer weiter weg vom Land! Und das beunruhigende war, nicht nach Süden, längs der Küstenlinie, sondern nach Norden, Richtung offener Atlantik!
Er hatte sich den Schaden genau besehen: Der PJ, der Brett und Mast beweglich verband, war glatt durchgeknackt, unterhalb des Gelenks. "Mist!"
Mit Bordmitteln war das nicht zu beheben! Er hatte sich aus der Hocke erhoben und gepeilt, Richtung Saint Martin. Eine grünbraune Linie unterhalb des Pic du Paradis hatte das Unterland der Insel markiert, der Strand war mal ein weißer Strich, mal nicht mehr zu sehen gewesen. Wenn er im Wellental war, sah er nur noch Wasser, Himmel und die Spitze vom Pic du Paradis. "Au weia!"
Vor lauter Begeisterung über einen wahnsinnstollen Wind war er weiter hinaus gesegelt als gut war! In einem Revier, das wegen des stetigen Passatwindes in dieser Jahreszeit der Traum jedes Windsurfers sein sollte! -
"Vormittags gehst Du raus. Der Wind kommt morgens vom Berg. - Du brauchst nicht mal zu kreuzen. Mittags lässt er nach. Das käme vom Temperaturausgleich zwischen dem aufgeheizten Land und der See. - "Eine Halse - und der Passat nimmt Dich mit. In anderthalb Stunden hast Du die halbe Insel längs abgeritten. Vorausgesetzt natürlich, Du hast genug Kraft! Fahr' runter bis an die Saline im Südosten, im holländischen Inselteil, wo Du ja herkommst. An der Pointe Blanche wirst du aufgepickt. Gegen eine kleine Gebühr bringen wir dich zurück, hierher an die Baie."
Das waren die Worte vom Vermieter des Bretts gewesen.
Geza Bòdy hatte die Barometeranzeige seiner Sport Uhr kontrolliert und seinen Augen nicht getraut: Der Luftdruck war total im Keller! Nach dieser Anzeige hätte er sich unter dem Meeresspiegel befinden müssen. Dabei hatte er am Abend davor, gleich nach seiner Ankunft auf Sint Maarten, die Anzeige genullt, auf Meereshöhe eingestellt. Die einzige Erklärung, die es gab, war: Das Teil war kaputt. - Oder über Nacht war ein Tiefdruckgebiet herangeeilt.
Es wurde eins erwartet, aber erst in Tagen. Ein Sturmtief musste sich plötzlich gebildet haben, zwischen den Inseln und der mittelamerikanischen Küste.
Jedenfalls, der Wind wehte verkehrt, sozusagen! Mit gebrochener Masthalterung war nicht zurückzukommen. Jemand musste ihn sehen und reinholen. Ein Boot, eine Yacht, eins der Kreuzfahrtschiffe, Fischer. Es gab genügend Verkehr auf dem Wasser. - Nur heute nicht! Komisch.
Wenn er um den Red Rock, den nördlichsten Hügel oder 'Berg' herum wäre, würde er Anguilla sehen müssen. Hinter der 'Aalinsel' endete der Inselbogen der Kleinen Antillen im Norden. Mit Fährbooten von der Simsonbaai aus war sie in 20 Minuten zu erreichen. Erst hinter Anguilla begann der richtige offene Atlantik - kein Stück Land mehr bis Afrika…
"Sturmwarnung hat es keine gegeben!" beruhigte sich Bòdy.
"Oder hast du sie nicht mitbekommen?"
Kein anderer Surfer, kein anderes Segelboot mehr hier draußen! Komisch! Mehr als das. Keiner war da, der seine Notlage mitbekommen hatte.
"Puh. Dumm."
Wie zum Hohn war weit über ihm ein kleiner Jet geflogen, lautlos hatte er strahlendweiße Kondensstreifen über den Himmel gezogen.
Dieser Himmel! Fast wolkenlos war er über ihm, aber abnorm hohe Wolkengebirge standen den ganzen Tag am Horizont, ohne je näher zu rücken. Er hielt Ausschau nach Schiffen. - Nichts! Diese Katamarane waren auch verschwunden. Machten die alle so früh Lunchpause in einer Bucht?
Wie sah es mit Flugzeugen aus? - Der Flughafen, nach der Königin Juliana benannt, im unteren Teil der Halbinsel Terres Basses, wurde rege frequentiert, sogar zahlreiche internationale Destinationen von Europa, USA und Südamerika gab es. Dazu jede Menge kleinerer Linienverbindungen zu den nahen anderen Inseln der Karibik. Dazu flogen Charterund auch Privatmaschinen. Die er sah, waren alle schon oder noch zu hoch, als dass sie ihn hätten erkennen können. Sie suchten das Wasser nicht ab nach ihm.
Er wartete. Nichts. Besah sich wieder die Bruchstelle am Board. Ob er irgendetwas provisorisch an der Schiene machen konnte, so, dass das Rigg benutzbar war, wenigstens leichten Winddruck aushielt? Er durchsuchte die Rückentasche seines Trapezleibchens. Was ein Glück, dass er überhaupt etwas dabeihatte, beim ersten Ansurfen hier!
"Du hast kein Werkzeug, außer dem Schweizermesser - Schraubendreher und Pfriem sind da dran. Ob die Hülse des Notsignals provisorisch einen Powerjoint abgibt? Wenn du sie zweckentfremdest, kannst du die Notrakete nicht mehr abschießen.- Wenn es dunkler wird. Jetzt sieht sie sowieso keiner. Es muss irgendwie anders gehen."
Was hatte er überhaupt dabei? - Das Messer, zwei Reepschnüre. Zwei Angelhaken, mit Blinkern, und ein kleines Bleilot, ein Stück Angelschnur. Bananen, eine Limone, Kaugummi, Drops, Pappcontainer mit O-Saft, noch von der Flugverpflegung Berlin Tegel-Heathrow-Antigua. Wasserdicht verpackt etwas französisches Geld und Antillen-Gulden, die Schlüssel des Leihwagens. Sonnenschutz, Pflaster. Das war es. Das war viel.
"Na, wenigstens ausgerüstet wie ein Weltmeister. Wieder mal - typisch deutsch!"
Bòdy knüpfte aus einem Ende von einer der Reepschnüre eine Art Nest, drückte es in die Schiene. Er packte das Rigg, versuchte, den Powerjoint, seinen Stummel, unten zwischen die Knoten zu drücken. Er riss sich zwar einen Fingernagel dabei an, aber es schien zu halten. Behutsam ging er hoch und zog den Gabelbaum an sich. Es hielt - aber nur einen einzigen Augenblick. Als er das Segel ganz behutsam in den Wind drehte, löste sich unten das Nest sofort, der Wind drückte es einfach aus der Schiene.
Er knallte mit dem Hintern aufs Board.
"Aua!" Das gab blaue Flecken am Allerwertesten! Fast, dass er noch einmal ins Wasser gefallen wäre. Er befestigte wieder die Sicherungsleine am Fußgelenk, sie verband ihn sicher mit dem Board. Es sollte schon Leute gegeben haben, die nicht mehr zurück auf ihr Brett gekommen waren. Es hatte sie ganz geschwind abgetrieben…
"Dein sauer verdienter Urlaub fängt ja gut an!”
Bòdy war sauer. Inselhüpfend hatte er die Wochen verbringen wollen, "die kostbarste Zeit des Jahres" - von hier bis zu den französischen Antillen und zurück.
”Solange dein Geld reicht. Vielleicht auch bis Florida. Vier, sechs, mehr Wochen, je nach Finanzlage, was es kostete. Zur Not mal bei einem Resort anfragen, ob sie nicht einen vielseitigen Trainer bräuchten, er könnte fast alles, was hier gefragt war…
- Die einzelnen Inseln abgrasen: surfend, tauchend, faulenzend. "Und keinen Gedanken an den Job verschwenden.”
Er hatte sich die Hacken nach günstigen Flügen abgelaufen. Wäre fast mit Lufthansa geflogen, bis sie ihm sagten, ihr Spartarif gelte letztmals am 31. Oktober. Da hatte er eben einen günstigen Flug bis Antigua ab London genommen, und den Super Caribbean Airpass einer Regionalgesellschaft, mit der man fast überall hinkam: sechs verbilligte Flugscheine. ”Das war der schöne Plan - gewesen!"
Den Rest des Tages studierte er abwechselnd Himmel, Wolken und Wind. Er berechnete die Strömung: ein Papierfitzelchen ins Wasser geworfen, die Strecke geschätzt, die Sekunden gestoppt. Wie schnell entfernte es sich? Geschwindigkeit und Richtung schmeckten ihm gar nicht. Er trieb ziemlich schnell - und immer weiter weg von der Insel! Paddeln, mit dem Schwert, gar schwimmend zurück? Gegen die Dünung? - Ein Witz …
Bòdy barg das Segel, zog es vom Mast. Er zurrte Gabelbaum und Mast am Brett fest. Aus dem feuchten Segel zog er alle Spreizlatten bis auf eine, er legte sich das bunte Kunststoff-Gewebe um die Schultern. Er hatte nur T-Shirt und Badehose an. Bei dem Wetter hier hatte er auf den Neoprenanzug verzichtet, wie es alle auf der Insel taten, außer den Anfängern. Ein paar Juxbolde waren in Strandnähe sogar ganz ohne gesurft, hatte er am Vorabend beim schnellen Augenschein festgestellt. In der Baie Oriente war das erlaubt. Der Strand hier war offen für Nackte.
”Die Sonne wird dich verbrennen, bis du schlimmer aussiehst als ein Pavian am A…!”
Er streckte sich auf dem Board aus, suchte eine bequeme Position in Bauchlage. Stundenlang trieb er so. Regelmäßig alle fünfzehn Minuten spähte er stehend aus.
Die höchste Spitze der Insel, der Pic du Paradis, versank allmählich tiefer im Wasser, so schien es ihm. Würde am Morgen auch sie weg sein, bis auf einen lächerlichen Pickel.
Wo blieb die Nachbarinsel? Backbords hätte Anguilla auftauchen müssen. Er sah erst einmal nur Wasserberge. Sie rollten regelmäßig ab, hinauf und hinab, kleine Schaumkämme überschlugen sich. Anguilla wäre höchstens 30, 40 Meter hoch, hatte er gelesen, eine flache Kalkinsel, im Gegensatz zum gebirgigen Saint Martin/Sint Maarten. Er sah sie deutlich, wenn er auf dem Wellenkamm schwamm. Aber er schien beinahe schon vorbei!
"Das ist ja ein Mist", knurrte er.
"Du lebst“, tröstete er sich. Der Magen knurrte. Das war nicht schlimm. Der Durst war schlimmer. "Keine Panik!"
Ein Bild stand vor ihm: "Jetzt so ein wunderbarer Longdrink aus der Werbung mit den schönen Menschen, die Spaß auf einer paradiesisch einsamen, unbewohnten Insel hatten! - An so 'ner Insel antreiben!" unwillkürlich seufzte er. Leckte sich die trocken und spröde gewordenen Lippen. "Mensch, du hast doch Saft und Obst dabei!" In der Rückentasche. Nur zwei Mundvoll Saft schlürfte er durch den angeklebten Halm. Aß dazu eine kleine, würzige Banane. "Göttlich!" Sie schmeckten ganz anders als die in Europa, die künstlich mit Gas gereiften.
Fast sanft ging die Dünung. Man hätte träumen können, die Situation vergessen! Zeitweise gelang es ihm. Zeitweise nicht:
"Konntest es wieder mal nicht abwarten! Hättest dich mal mit Leuten von hier ausführlicher unterhalten sollen - an der Baie. Surfern, die länger hier sind. Blöde Ungeduld." Er schimpfte auf sich. Der Durst kam wieder, größer als zuvor. Die Karte der Karibik: Was war das für ein Maßstab gewesen?
- Eins zu vier Millionen. Karibik, von Florida bis Caracas. Von Saint Martin/Sint Maarten bis Venezuela flöge man eine Stunde. Mit dem Jet, mit einer kleinen Propellermaschine entsprechend länger, ungefähr 1200 Kilometer. Bis San Juan auf Puerto Rico müssten es rund 350 Kilometer sein, westlich, davor, viel näher lägen die Virgin Islands, britisch und amerikanisch, nur halb so weit, 170 Kilometer, ungefähr.
"In welche Richtung treibst du eigentlich? Östlich an Anguilla vorbei, nach Norden. Mist. Bloß keine Panik."
Seine Ausgucke teilten die Stunden ein. Irgendwann hatte er den Rhythmus so im Gefühl, dass er automatisch, fast auf die Sekunde genau, aufstand - ohne auf die Uhr zu sehen.
Dann hörte er es: Ein Motor! Er reckte sich weit.
Als der Ton kräftiger wurde, wusste er, das war keine akustische Fata Morgana, keine Sinnestäuschung: Ein sonores Brummen kam näher. Aus Richtung Westen. Auf dem Gipfel eines Wellenberges sah er das Boot, vermutlich Hochseeangler. Die Flying Bridge oben war unbesetzt - der Skipper steuerte vom unteren Steuerstand innen. Es war schon vorbei!
Bòdy fasste nach der Signalrakete, ließ sie wieder in die Tasche fallen. Zu spät.
Armzeichen 'Brauche Hilfe!' könnten sie sowieso nicht sehen. Das Boot entfernte sich, das Geräusch ebbte ab. StiIle umgab ihn wieder. "Dumm, dumm, dumm. Mann! Du bist echt ein Idiot!"
Dann brach die Nacht an, die Uhr zeigte erst kurz nach sechs. Es wurde ganz schnell dunkel, nach dem tropischen Farbfeuerwerk des Sonnenuntergangs. - Glühend, wie eine dicke Blutorange, stieg die Sonne im Zeitraffer herab und verschwand im Ozean, geräuschlos. Gespenstisch.
Bòdys Abendessen bestand aus einem sauren Drops und einem halben Kaugummi. Da hatte er sich beim Frühstück schon auf das Dinner gefreut, bei einem Inder, den seine Pensionswirtin ihm empfohlen hatte!
"Das kommt davon.”
Er beherrschte sich, wurde wieder ruhig, blieb gefasst.
"Wenn der Hunger kommt, versuche, einen Fisch zu fangen. Wie es dieser Einhand-Segler - war er nicht aus Österreich, der verrückte Hund? - dir vor zehn Jahren auf Barbados verraten hat: Den Trick mit der Schleppangel! Haken und Lot hast du dir deswegen ja extra eingepackt, um es mal zu probieren."
Hatte er damit das Schicksal provoziert? -
"Ob sie auch beißen, wenn du kaum Fahrt machst?"
Spätestens ab jetzt musste seine Wirtin ihn vermissen. Der Verleiher des Boards auch. Er hatte erst einmal nur für einen Tag gemietet. Sie suchten bestimmt nach ihm."
Eine Nacht ohne Kälteschutz. Es war aber angenehm warm. Eine andere Sorge erfasste ihn: Wenn er einschliefe, würde er nachts vom Brett rutschen!
"Irgendwann schläfst du ein. Wegen des Jetlags!"
In Deutschland war es schon bald Mitternacht. Er schob seine Unterschenkel durch die Gummi-Fußschlaufen, soweit es ging. Er bastelte wieder: Aus den Reepschnüre knüpfte er sich diesmal eine Art Hosenträger. Sie zog er unter dem Board durch. Der Körper war so ans Brett fixiert. Das Segel rollte er ein und schob es unter den Oberkörper.
"Hoffentlich kreuzt dich jetzt nachts kein Schiff, schon gar kein großes! Die pflügen dich unter - und kein Schwein oben an Bord merkt überhaupt was."
Eine Fackel, wasserfeste Zündhölzer hätte er gebraucht. Nur die eine Leuchtrakete, das war gar nichts.
"Wenn ein Wal dich rammt? Da hilft auch keine Fackel…"
Bòdy döste vor sich hin, mehrmals schreckte er auf, als es laut klatschte in der Nähe - fliegende Fische wahrscheinlich, dem penetranten Geruch nach. Einmal prustete etwas. - Delphine?
In der Ferne blinkte ab und zu ein Leuchtfeuer. Was war das?
- Beruhigend. Irgendwo in der Nähe war noch Land!
Die Nacht ging schneller vorüber, als er befürchtet hatte. Sonnenaufgang: eine silbern goldene Scheibe hob sich mühelos und elegant aus dem Ozean backbord voraus - Bòdy war munter. Er biss auf seiner zweiten Kaugummihälfte herum und benetzte sich das Gesicht. Widerwillig spülte er den Mund mit bittersalzigem Meerwasser, "Brrrh."
8.30 Uhr, Atlantic Standard Time. Der Luftdruck war gestiegen. Die Wolken vom Horizont waren verschwunden.
"Ob sich das Tief aufgelöst hat? Die Dünung hat auch nachgelassen." Diesmal hörte er das Boot spät. Fast gleichzeitig sah er es. Es kam von achtern, direkt auf ihn zu. Es musste ihn kreuzen!
"Ob sie dich sehen?!"
Die hochseetüchtige weiße Motoryacht hielt weiter Kurs auf ihn.
"Die haben dich gesehen! Heda!"
Zwei schwarze Punkte waren im oberen Steuerstand erkennbar. Ein dritter an der Reling. Die Yacht verlangsamte ihren Speed, fuhr eine elegante Kehre und näherte sich von achtern, die Fahrt auslaufen lassend, um die Bugwelle zu verringern, damit er nicht kenterte.
"…You need help?" quäkte es aus einem Bordlautsprecher. Bòdy winkte zustimmend. Er stimmte einen leisen Gesang an. Einen Lautsalat, wie morgens bei sich zu Hause im Bad. Freude auf den neuen Tag.
Die schnittige Yacht nahm noch mehr Fahrt weg, kam ganz dicht längsseits. Ein kräftiger Arm warf ihm einen Tampen entgegen, Bòdy griff zu und hielt fest, er zog sich dicht bei an die hohe Bordwand. Eine Aluminiumtrittleiter reichte bis zur Wasserlinie. Er wurde heraufgezogen. Der Helfer zog das Board nach, das Bòdy immer noch mit der Fangleine mit sich verbunden hatte. Es wurde hochkant an der Reling vertäut. Das Boot nahm wieder Fahrt auf, die Motoren brummten sonor auf.
"Thank You", sagte er zu dem sonnengebräunten Mann in seinem Alter.
"De nada", gab der zurück und grinste.
Geza Bòdy befand sich an Bord einer luxuriösen großen Hochseeyacht. Sie hatte auch das typische Hochseeangel-Gestühl am Heck.
"Thank You, Sir!" sagte er krächzend zu dem zweiten Mann, offenbar der Skipper. Mehr bekam er nicht heraus aus der trockenen Kehle.
"Welcome on board."
Ein großgewachsener Mann, Ende vierzig, unverschämt tiefgebräunt, sportlichelegant in Weiß, grüßte vom Steuerstand. Er konnte Amerikaner, Brite oder Holländer sein, die Aussprache verriet es nicht, Franzose weniger. Der Jüngere reichte, ohne dass Bòdy darum gebeten hatte, ein großes Glas mit Flüssigkeit. Sodawasser. Bòdy trank in einem Zuge aus und bat um mehr.
Vorsichtig massierte er sich den Rücken.
"My goodness. Wo kommen Sie denn her?" Bòdy bezog es einen Moment auf seine Herkunft, sagte: "Germany. Äh, Sint Maarten - Saint Martin."
"Dann können wir ja deutsch miteinander reden!" sagte sein Retter akzentfrei. Er bot ihm einen Sitz an.
Die Yacht nahm Kurs Sint Maarten.
Das Boot war eine luxuriöse Yacht - "20 Meter, zweimal 520 PS, sechs Doppelkabinen mit drei Bädern, Salon, volleingerichteter Pantry, Radar, Bordcomputer, automatischem Wetterkartenplotter mit Satellitenempfang, UKW-Funktelefon, Badeinsel, Sonnendeck, Beiboot, Hochseeangeleinrichtung", wie der Skipper später stolz aufzählte. Bòdy sagte "So zwei Millionen."
"Mal zwei, hatte der Skipper korrigiert, nachdem er ihn hatte schätzen lassen.“ Dollar, nicht D-Mark."
Sie hätten vor etwa zweieinhalb Stunden in Road Harbour auf Tortola abgelegt, dem Hauptort der British Virgin Islands, etwa 100 Meilen westlich Sint Maarten. Dass sie Bodys Seenotkurs kreuzten, um diese Zeit, sei purer Zufall gewesen, Glück für ihn, da sie einen weiten Bogen geschlagen hätten. Das Leuchtfeuer war das von Sombrero gewesen.
"Wir haben uns noch nicht bekannt gemacht: Kurt Van Gennup. Hier nennen mich alle Ken. - das ist Mr. Crane aus Florida, ein Freund. Mein Bootsmann, Jorge Menzi." stellte er vor.
"Geza Bòdy. Danke, dass Sie mir geholfen haben. Ich bin havariert, mit dem Surfboard. Gestern schon. Der Powerjoint war gebrochen. Ich war zu weit ab, um mit eigner Kraft zurückzukommen. No chance! Zu weit draußen. Diese elende Dünung trieb mich immer weiter ab."
"Haben Sie keinen Wetterbericht gehört? Wir sind extra eine Nacht länger in Tortola geblieben, wegen des Sturms! - Woher kommen Sie denn in Deutschland?" wollte der Gastgeber wissen. "Berlin."
Die trockene Kehle ließ ihn rau sprechen. Sein Retter winkte dem jüngeren Helfer von der Reling. Der Engel mit dem braungebrannten Arm - Bòdy hätte ihm vorhin am liebsten die kräftige Pfote geküsst - reichte ihm ein drittes Soda und ein Badetuch dazu. Er schluckte das Wasser jetzt genüsslich, langsam, aber ohne abzusetzen. "Aah."
Der dritte Mann an Bord, dieser schweigsame, straffe Ältere, war vom Kontinent mit seiner Privatmaschine auf die US Virgins geflogen, mit der Fähre weiter und zu Van Gennups Liegeplatz, erfuhr er von dem gesprächigen Skipper.
Menzi, der Bòdy aus dem Wasser gezogen hatte, gab ihm trockene Kleider. "Von mir. Sie müssten passen!" Dann übernahm er wieder das Ruder von seinem Boss. Van Gennup rief über Funk die Hafenmeisterei in Philipsburg. Der Hafenmeister meldete sich, laut und deutlich, in Englisch mit holländischem Akzent. Sie wechselten ins Niederländische. Der Dialog ging um ihn. Ein havarierter Windsurfer sei an Bord genommen worden.
"Aha. Eine Dame hat gestern Abend bei der Küstenwache angerufen. Sie gebeten, nach Ihnen zu suchen." erklärte Van Gennup Bòdy. "Meine Wirtin, bei der ich wohne." Einer hatte ihn also doch vermisst. Und laut: "Ich bin von der Baie Orientale los, im französischen Teil." "Weit sind Sie ja gekommen. Wohin wollten Sie eigentlich?"
Van Gennup tippte auf eine Stelle der Seekarte. "Hier sind wir jetzt ungefähr. Und da, in die Richtung, trieben Sie: "Er wischte mit den Fingern über das fleckenlose Blau des offenen Atlantiks, nur verschiedene Färbungen zeigten unterschiedliche Wassertiefen an. Unmittelbar vor dem Zeigefinger seines Retters zog sich ein dunkelblauer Streifen, der Puerto Rico Trench, etwa 8000 Meter tief, maximal.
Bòdy spürte eine Gänsehaut am Rücken. Ungewollt klapperten seine Zähne. Das war nicht die Hitze, die durch seine verbrannte Haut im Körper war! Diese Leute hatten ihm das Leben gerettet. Jetzt erst wurde ihm richtig klar: Jämmerlich umgekommen wäre er, verdurstet, von Haien zerfleischt. Ein Gerippe, aufs Brett gebunden, hätte der Ozean an die afrikanische Küste gespült. Falls er nicht ganz spurlos in den Weiten des Atlantik verschwunden wäre.
Ein Gefühl der Dankbarkeit ging durch ihn. Ein selten stark empfundenes Gefühl, wie eigentlich noch nie im Leben.
2. Anderthalb Stunden lang war die Yacht mit 25 Knoten dahin geprescht. Dann machten sie an einem Steg im Yachthafen nahe der belebten Uferpromenade von Philipsburg fest. Eine verblüffend holländisch wirkende Kulisse bot sich einem, Holland mit Palmen allerdings. Die bunte Front Street, mit vielen kleinen Geschäften.
Der Skipper griff selber mit an, kümmerte sich nicht um die Gaffenden. Hunderte von Kreuzfahrerschiffs-Reisenden spazierten umher und guckten neugierig zu: schockweise vertrocknete alte Amerikanerinnen mit gefärbten Frisuren, ihre tapprigen, alzheimergefährdeten Männer im Schlepptau. Sie mussten von einem futuristisch anmutenden und einem - mehr altmodisch dampferähnlich aussehenden - Kreuzfahrtschiff sein, die in der Groot Baai auf Reede lagen.
"Die meisten Kreuzfahrtlinien laufen Sint Maarten an, machen hier Station", erläuterte Van Gennup.
Mit Handschlag begrüßten der wartende Hafenmeister und ein Zolloffizier ihn auf Niederländisch. Die Papiere des Bootes reichten sie achtlos zurück. Sie interessierten sich mehr für Bòdys Board und begutachteten ausgiebig das gebrochene Teil. Sie beglückwünschten ihn dazu, dass er aufgefischt worden war.
Van Gennup winkte einer ungewöhnlich hübschen Schwarzen und rief ihr ein paar Worte zu.
"Sie arbeitet bei mir.” Erklärte er.
”Wie fühlen Sie sich? Geht es? Wie kommen Sie jetzt zur Baie Orientale?" wollte der Skipper wissen. Bòdy zuckte die Achseln,
"Mit einem Taxi. Ich ruf den Verleiher an, der soll mich abholen."
"Das vergessen Sie mal! Telefonieren von Sint Maarten nach Saint Martin ist total umständlich! Die Leitungen gehen über Martinique, immer noch! Verrückt, aber da sind Sie zu Fuß schneller! - Wissen Sie was? Jorge bringt Sie hin, dass sie ihren Wagen abholen können.
Und später kommen Sie zu uns! Wenn Sie sich ausgeruht haben - von diesem Abenteuer!" schlug Van Gennup vor.
Bòdy wollte sich sowieso 'ganz offiziell' bedanken bei ihm. Das war er ihm schuldig. Er würde sich dazu richtig landfein machen. Die Einladung kam ihm gelegen. Nach dieser ungewöhnlichen Nacht wäre er nicht gern allein geblieben. Eben erst angekommen, hatte er noch keine Bekanntschaften geschlossen. Dankbar nahm er an.
"Feiern wir also Ihre glückliche Bergung?!"
Bòdys ungeschützt dem Licht ausgesetzt gewesenen Schenkel leuchteten violett. Sein verbranntes Gesicht sah nicht besser aus, auch die Hände. Bloß gut, dass er Arme und Nacken bedeckt hatte! Der Sonnenbrand würde in drei Tagen hoffentlich weg sein.
Sein Gastgeber musterte ihn kritisch.
"Holen Sie sich was in der Apotheke, für ihren Sonnenbrand."
Neun Stunden später marschierte Bòdy, nach zweimal stöhnend ertragener Dusche, eingecremt und desodoriert, mit brennender Haut, aber sonst ganz chic - weißes Dinnerjacket und schwarze Armanihose - in die Lobby des Grand Hotels. Das war also die Adresse seines Retters. Der Hotelname hatte auch an der Yacht geprangt.
Der Skipper saß, formal gekleidet wie er, mit einer eleganten blonden Dame und dem Amerikaner da, seinem schweigsamen Gast vom Boot. Über den Sitzgruppen in der klimatisierten Halle zwitscherten - echt oder künstlich, aus verborgenen Lautsprechern? - Vögel in tropischem Buschwerk. Ein Pianist verklimperte die Zeit vor dem Dinner mit seichten Melodien.
"Da ist ja unser Alleinsegler!" Van Gennup sprach englisch zu seiner Begleiterin und stellte vor: "Mr. Body. - Meine Frau, Ireen!"
Geza Bòdy deutete eine Verbeugung an.
"Sehr erfreut." Ireen Van Gennup sah aus wie eine Lady, die aus dem Showbusiness rechtzeitig ins Business gewechselt war: Nicht mehr ganz jung, Mitte vierzig, schätzte er, aber so gut aussehend, wie es nur Erfolgreiche sein und sich leisten können.
Kühl, elegant, gepflegt - dabei wie von der Aura eines Geheimnisses umweht. Sie sah ihm interessiert entgegen und Geza Bòdy voll in die Augen. Ihm wurde ganz anders. Was für Augen! Seegrüngrau, und scharfblickend. Sie lächelte milde.
"Sie hatten aber einen guten Schutzengel!"
"Ja, mich!" platzte Van Gennup dazwischen, "Und Jorge und Shawn auch! - Mr. Body ist aus Berlin, stell Dir vor!" Und zu ihm:
"Alles gut überstanden?"
"Ja, vielen Dank." Bòdy winkte dem Ober und flüsterte mit ihm. Ein wenig später brachte der einen Champagner-Kübel mit Flasche und Kelche dazu. Geschickt und fast lautlos, mit einem winzigen Plopp! nur, öffnete er und schenkte ein. Bòdy stand auf und sagte vier Sätze, an Kurt und Ireen Van Gennup sowie an Mr.Crane gewandt: "Danke, nochmals. Ich stehe tief in Ihrer Schuld. Wie kann ich mich je revanchieren? - Sie haben mindestens einen Wunsch frei." Sie stießen an.
Bòdy wünschte sich, dass er nicht heute noch einmal alle Einzelheiten seines unfreiwilligen Tages und der Nacht auf dem Surfboard erzählen müsste. Van Gennup bat, als ob er es geahnt hätte:
"Erzählen Sie doch was von Berlin! - Was es neues gibt in Deutschland! Können Sie es bitte in Englisch? My wife speaks kein Deutsch. Mich interessiert alles. Ich war mehrere Jahre nicht mehr zu Hause. Ich lese zwar jede Woche den 'Spiegel', auch deutsche Zeitungen, wenn ich welche kriege. - Ein Purser von der Condor bringt mir oft welche mit neuerdings. Ich höre auch die Deutsche Welle. Und seit kurzem kriegen wir sogar Deutsches Fernsehen!"
"Deutsches Fernsehen, hier?" wunderte sich Body. "Wie geht denn das?"
"Über Satellit! Haben Sie die große Schüssel auf dem Dach nicht gesehen? - Auch für die Gäste! Satellitenanschluß in jedem Zimmer", warb er wie ein Prospekt. "Eigentlich bin ich ganz gut informiert! Aber es ersetzt nicht die lebendige Anschauung."
"Fahren Sie doch mal hin" riet Bòdy, "es passiert wirklich unheimlich viel momentan."
"Wir haben so viel hier zu tun, durch unsere Geschäfte, dass das leider nicht geht. Auf keinen Fall könnten wir zusammen weg. Meine Frau ist gar nicht begeistert, wenn ich ihr sage, "Lass uns doch mal hin! Ich hab's ihr schon vorgeschlagen…"
"Schade. Aber kommen nicht auch viele Deutsche als Touristen her?"
"Wenige, bis jetzt. Das heißt, bis vor kurzem fast gar keine."
"Ach?"
"Naja. Die Holländer waren nicht so interessiert an ihnen."
"Wieso denn nicht?"
"Na, es gab da …so gewisse Vorurteile. Wie im Mutterland Holland auch. Persönliche schlechte Erfahrungen wohl weniger. - Verstehen Sie? - Auf Puerto Rico, in der Dominikanischen Republik, auf fast allen Inseln sind viele Deutsche. Zu viele fast. Und in Florida, Miami? Oh Gott, da geht's ja zu wie auf Mallorca, in den 60er Jahren! - Dürfte ich gar nicht sagen, bin ja selber deutsch."
Ehe Bòdy die Frage einschieben konnte, auf Grund welcher Erfahrungen er so spreche, fuhr Van Gennup fort:
"Wir leben von diesen Leuten: Die Saison geht das ganze Jahr. Touristen jeder Nation sind uns willkommen. Meiner Frau gehört dieses Hotel. Da die Amerikaner wieder mehr sparen, kämen uns mehr deutsche Gäste gerade recht. Sie geben, nach den Japanern, immer noch am meisten Geld aus im Urlaub. Die Japaner, die sind bloß zu“, er suchte nach einem passenden Begriff "…zu verstockt, um richtig Urlaub zu machen…"
"Ach ja. Wieso?"
"Ja, echt. Die fliegen in zwölf Tagen rund um die Welt. Bleiben überall nur eine Nacht. Ihr Geld geben sie für die Flüge und teure Souvenirs aus den Duty Free Shops aus - Uhren, Schmuck - Sie werden es ja sehen. Mit vollen Händen schmeißen es die Reicheren raus. Das sind natürlich weniger. Wenn ich Glück habe, kommen sie in mein Casino." Ireen Van Gennup runzelte die Stirne, fiel Geza auf.
"Sie können's nicht richtig g e n i e ß e n, das Nichtstun! Unsere Landsleute holen auf - als Genießer. Nicht, Ireen?" Er tippte charmant einen Kuss leicht auf Ireens Handrücken. Cheers!" Er hob das Glas. Der dunkelhäutige Ober hatte lautlos nachgeschenkt. Sie nickten sich wieder zu, tranken. Die Lady lächelte Geza Bòdy freundlich an, aber sie schien ihm jetzt fern, unnahbar und cool, wie tiefgekühlt.
Oder war das nur dieses typische, immer gleichbleibend Freundliche, aber Oberflächliche und persönlich Desinteressierte, das er an Angehörigen der US-Business Class schon einige Male bemerkt hatte?
"Ich muss noch einmal in mein Office. Unser Tisch ist reserviert. Sie bleiben doch?" bat sie Bòdy.
"Ja, ich habe etwas Besonderes in der Küche geordert!"
Sie verabschiedete sich nach einer halben Stunde. Auch Mr. Crane entschuldigte sich, er war nur auf einen Drink mit vorbei gekommen und erhob sich mit Ireen Van Gennup. Sie blieben allein zurück.
"Wie finden Sie meine Frau? - Ehrlich!" wollte Van Gennup wissen.
"Beeindruckend. Kompliment. Ich kann Sie nur beglückwünschen."
"Ja, nicht?”
Über Van Gennups Gesicht huschte Stolz, der dann einer ernsten Miene wich. "Sie hat auch schon einiges durchgemacht… Aber sind wir nicht ein schönes Paar? - Dass wir uns gefunden haben, war ein Glück für uns beide. Wenn sie nur nicht so rigoros fromm wäre…"
Der Hotelier und Skipper wechselte das Thema.
"Was machen Sie eigentlich in Berlin, mein Lieber? Beruflich?"
Bòdy schwieg einen Augenblick, suchte nach Worten, um seine Tätigkeit zu umschreiben. Doch dann sagte er offen, wie es sich dem Lebensretter gegenüber gehörte: "Ich bin Privatdetektiv."
"Privatdetektiv…" Van Gennup blickte überrascht, er akzentuierte seine Worte deutlich, mit einem seltsamen Unterton, misstrauisch.
"Sowas, ziehe ich einen abgetriebenen Schnüffler aus dem Wasser!"
"Momentan mache ich bloß Urlaub!" versicherte Bòdy. "Und eigentlich trifft es nicht richtig. Bei uns ist die Situation doch anders als in Amerika. Ich führe eher vertrauliche Aufträge aus, manchmal auch heikle und gefährliche. Richtige Verbrechen aufklären, das kommt selten vor. Manchmal mache ich eine Ehegeschichte: Wenn ein Partner glaubt, der andere betrüge ihn, und will es unbedingt genau wissen. Dabei ist das für Scheidungen gar nicht mehr relevant."
"Sie haben sich eben einen hübschen Schnitzer geleistet!" Van Gennup grinste schon wieder.
"Wieso denn?"
"Na, als ob Ehen Verbrechen wären! So klang es", lachte Van Gennup.
"So war es natürlich nicht gemeint!"
"Bleibt ein Gummischuh nicht ein Gummischuh? - Oh, das war kein guter Scherz. Verzeihung!" Bòdy nahm es nicht übel.
"Ich bin da mehr zufällig reingerutscht."
"Haben Sie Referenzen? Bekannte Fälle?" bohrte der Skipper nach. "Es interessiert mich, weil… als ich noch in… in der Bundesrepublik war, wollte ich mal einen engagieren. Ich kannte keinen. Ich denke, das ist Vertrauenssache."
Bòdy pflichtete ihm bei. "Vertrauen ist wichtig."
"Bloß: Wem kann man heute noch trauen?" Die Frage stellte Van Gennup mehr in den Raum, als dass er eine Antwort erwartete.
Er schwieg lange, Bòdy sagte auch nichts.
"Wie sind Sie eigentlich ausgerechnet auf die kleine Insel hier gekommen?" brach Van Gennups nächste Frage plötzlich in die Stille.
"Durch meinen Bruder. Er ist Niederländer. Er kannte Sint Maarten und hat es mir empfohlen."
"Ihr Bruder ist Holländer, wie kommt das denn?" wunderte sich Van Gennup.
Bòdy erklärte es ihm, obwohl er ungern die Familiengeschichte ausbreitete: "Mein Halbbruder, um genau zu sein. Mein Vater war Ungar. Er ist nach dem Aufstand 56 geflüchtet, nach Deutschland, dort hat er meine Mutter kennengelernt und geheiratet. Er hat sie aber wieder verlassen, als ich noch klein war. Er ist nie zurückgekommen. Erst als er vor ein paar Jahren starb, erfuhren wir, wo er gewesen war. Er lebte die ganze Zeit in Holland, kaum 200 Kilometer von uns entfernt! Er hatte sich eine einträgliche Existenz aufgebaut, auch eine neue Familie gegründet. Ohne jedoch wieder zu heiraten… Verrückt, nicht?"
"Aber so ist das Leben, Mr. Body! Verrückt. - Ihre Eltern wurden nicht geschieden?"
"Nie. Meine Mutter war katholisch, der Vater auch."
"Das ist ja ein Ding! Dadurch blieben Sie erbberechtigt."