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Aus einem kleinen Dorf in Brandenburg, Himmelpfort, ist eine junge Frau nach Berlin gefahren - und dort spurlos verschwunden. Die Eltern, er früherer Polizist, sie Arbeiterin, beauftragen Bòdy, nach ihr zu suchen. Bòdy weiß schon, wo er ansetzen muß: Er hat ein Pornovideo gesehen, auf dem die junge Frau sich vor einer Kamera auszieht. Bòdy ermittelt, stößt gegen eine undurchdringliche Wand. Er sucht den anonymen Pornofilmer, der reihenweise junge Frauen auf der Straße anquatscht, sie dazu bringt, vor seiner Kamera zu posieren. Die Verschwundene war noch nicht 18...
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Seitenzahl: 397
Veröffentlichungsjahr: 2020
Thomas Til Radevagen
Die Mädchen aus Himmelpfort
Ein Kriminalroman mit Geza Bòdy
© 2020 Thomas Til Radevagen
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-06664-9
Hardcover:
978-3-347-06665-6
e-Book:
978-3-347-06666-3
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Mädchen aus Himmelpfort
Kriminalroman mit Geza Bòdy
von Thomas Til Radevagen
Krimi-'Held' Geza Bòdy
'Geza Wilhelm Bòdy, Private Ermittlungen & Personenschutz', so steht es auf seiner Geschäftskarte. Bòdy lebt und arbeitet in Berlin, der deutschen Hauptstadt mit ihren 3,4-Millionen Einwohnern. Mit den Menschen im Berlin umgebenden Speckgürtel und im entfernteren Umland - Brandenburg - ballen sich hier 7 Millionen Menschen zusammen.
Bòdy steht allein in der Masse, neudeutsch: er ist ein Single. Er hat eine Vergangenheit in den alten Ländern der Bundesrepublik; sie spielt ab und zu sachte hinein in seine Geschichten. In seinem Lebenslauf stünde, dass er in der tiefsten Provinz, auf dem Dorfe, im Münsterland aufwuchs, das Gymnasium in der Stadt besuchte, als Austauschschüler ein Jahr in Amerika war; dass er nach dem Abitur als Längerdienender in die Bundeswehr eintrat und es dort bis zum Leutnant brachte. Dann besann er sich anders. - Dank eines unerwarteten Erbes konnte er ein Uni-Studium aufnehmen, Sport und Geographie.
Schon von seinen Anlagen und Neigungen her ist er sehr sportlich, körperbetont und aktiv. Deshalb ist er an Sportthemen generell stark interessiert; andererseits geht er leidenschaftlich gern auf Reisen. Er hat schon viele Ecken der Welt gesehen. Bòdy tendiert - vielleicht unbewusst - dahin, seine privaten Hauptinteressen mit Dienstlichem zu verbinden. Während der Semesterferien verdingte er sich als Sportinstrukteur und Animateur in exotischen Ferienclubs.
Nachdem sein Erbe auf (zu) vielen Fernreisen fast aufgezehrt war, ergab sich relativ zufällig die Gelegenheit - über Studienkollegen und ex-Kameraden der Bundeswehr - in seinen jetzigen Job hineinzurutschen. Bòdy machte sich nach einigen erfolgreich erledigten Aufträgen selbständig. Er lebt einmal ganz gut (dann zieht es ihn wieder auf Reisen), ein anderes Mal so la la - von den unterschiedlichsten Aufträgen.
Geza Wilhelm Bòdy verdankt den ersten Vor- und den Familiennamen dem ungarischen Vater. Dieser heiratete seine Mutter und verließ sie und den Sohn mit unbekanntem Ziel, als Geza noch ein kleiner Junge war. Vom Vater geerbt hat Bòdy das Aussehen, er ist ein attraktiver Mann: Mitte bis Ende 30, dunkelhaarig, südländisch vom Typ her. Er ist zwar nur mittelgroß und kein aufgepumpter Muskelmann, doch das gleichen seine Durchtrainiertheit und äußerste Reaktionsschnelligkeit aus. Er kann zu einer explosiv-gefährlichen Kampfmaschine werden, wenn die Situation es erfordert.
Bòdy kleidet sich geschmackvoll, sportlich-leger. Er trinkt nicht und raucht nicht.
Obwohl er gerne in Berlin lebt, ist er kein eingefleischter Stadtmensch. Er hält sich ebenso oft ausgesprochen gern im Freien auf, er mag die Natur und Tiere.Bòdy besitzt kein eigenes Auto, dafür aber mehrere Zweiräder - zwei Motor- und diverse Fahrräder, sowie andere eigene Sportgeräte - Windsurfboard, Tauchausrüstung, Paraglider, Skier.
Für die Arbeit, seine Fälle, nimmt er meist Leihwagen oder ein 'StattAuto' - ohne jedoch ein 'Grüner' zu sein. Politik ist ihm ein ausgesprochener Gräuel!Häufig fährt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln, er ist leidenschaftlicher Bahn Fan, er kennt die Streckennetze und Verbindungen in- und auswendig.
Bòdy ist ledig. Teils, weil er 'die Richtige' noch nicht gefunden hat, teils, weil er Job und Lebensweise für eine Ehefrau als Zumutung empfände. Er hat gelegentlich kürzere Affären mit Frauen. Vermutlich aber ist er heimlich ein unverbesserlicher Romantiker (wie viele klassische Detektive).
Zeitweise kommen die Prägungen der strenggläubigen ländlichen Region, in der er aufwuchs, wieder in ihm durch, und zwar stärker, als ihm selber lieb ist.
Er pflegt und schätzt echte, langanhaltende Freundschaft, er sucht diese auch zu Frauen - wenn sie nicht zu lieben sind…
Bòdy ist nicht unerfolgreich, dennoch passiert es ihm auch, dass er die Lösung 'seines' Falles im schlimmsten Fall in der Zeitung lesen muss. Er ist - was in dem Job zugegebenermaßen hinderlich ist - in seltenen Fällen gutgläubig und ein wenig naiv. Im 'worst case' geht er schon einmal zwiespältigen Auftraggebern auf den Leim. Er leistet sich trotzdem so etwas wie ein Ethos. Obwohl ihn fast jeder Fall etwas mehr desillusioniert, möchte er sich seine Naivität bewahren, Zynismus lehnt er ab. - Das ist womöglich gegen den Trend.
- Ist Bòdy wirklich ein Naivling? Oder ein romantischer Träumer, der in diesem harten Job nichts verloren hat? - Weder noch!
Geza Bòdy ist ein Mann unserer Zeit. Er steht mitten im Leben. Er schlägt sich so durch, wie die meisten heutzutage.
Bòdys eigene, nicht verleugnete Biographie macht ihn nur empfänglicher für bestimmte Konstellationen. - Dass ihn sein Erleben als Kind sehr geprägt hat, wird in manchen Situationen ebenfalls spürbar. Die Mutter, Münsteranerin, hatte den Vater, einen jungen Exil-Ungarn geheiratet, obwohl die konservativen Dörfler dagegen waren, Anfang der 60er. Der Vater, kaum akzeptiert von der Bevölkerung („Der Zigeuner“) hielt es in dem Kaff nicht aus, er verschwand, als Geza noch klein war. Der Junge wuchs so vaterlos auf, von Großvater und Onkeln beeinflusst. Seine katholische Mutter blieb allein, bis an ihr Lebensende.
Das unerwartete Erbe vom 'verschollenen' Vater ermöglichte ihm zu studieren. Sein Erzeuger hatte sich keine 150 km weit entfernt, hinter der Grenze in den Niederlanden eine einträgliche Existenz aufgebaut. Gezas Mutter erlag kurze Zeit nach dem das Erbe auf Mutter und Sohn gekommen war, einer schweren Erkrankung.
Geza war außer zu dem Erbteil ganz unerwartet auch zu einem Halbbruder in Holland gekommen. Mit ihm versteht er sich gut, nachdem sie sich kennenlernten.
Bòdy hat eine Schwäche: Frauen. Er weiß darum, dass er gut aussieht. Es fiele ihm nicht schwer, Freundinnen zu haben. Er hat gute Manieren und kann sich auf allen Parketts bewegen. Die große Liebe scheint ihm jedoch noch nicht über den Weg gelaufen zu sein. Vielleicht misstraut er solchen Begriffen auch. Er pflegt Freundschaften. Womöglich hat er auch eine Tendenz, sich heimlich in Klientinnen zu verlieben, wenn sie das 'gewisse Etwas' besitzen.
Wie er dem Beruf kam: Gerade als das Erbe fast aufgebraucht war, hatte er sein Studium abgeschlossen. Aussichten auf eine Referendars Stelle als Lehrer waren gering, sie reizte ihn ohnehin nicht sonderlich. Bòdy hatte überlegt, wie er sich mit seinen Qualifikationen den Lebensunterhalt sichern könnte. Da er schon einige Male aushilfsweise als Bodyguard gearbeitet hatte, bei Großveranstaltungen, beim Personenschutz von Prominenten, kam eins zum anderen: Er rutschte quasi naturwüchsig in den Job des Privaten Ermittlers hinein.
Kurz nach der Wende im Herbst 89 war er endgültig nach Berlin gezogen.
Geza Bòdy studierte früher einige Semester in Berlin, machte aber in den alten Ländern Examen. Er hat ein Gewerbe angemeldet, zuvor an einer privaten Akademie Kurse absolviert. Diese haben ihm neben seiner militärischen Ausbildung und Karriere das Rüstzeug für den Beruf gegeben. Seitdem arbeitet er, mal erfolgreich, das heißt, gutverdienend, mal weniger erfolgreich, was Durststrecken bedeutet, in dem Job.
1. Es war Sommer. In der Luft schrillten Vogelschreie. Rotten junger Mauersegler und Mehlschwalben. Direkt unterhalb des Dachfirsts, hinter der mit Schieferplättchen verkleideten Wetterwand des massigen Hauses, musste ein Nest sein. Die Jungvögel übten Sturzflüge, Loopings, atemberaubende Kehren. Vor einer halben Stunde hatte ihn das freche Geschwader doch tatsächlich mit Kot bombardiert! Hier auf der Terrasse, als er gemütlich in einer Schlechtwetterpause draußen Tee trinken wollte, Übermut oder Absicht? "Ihr Ferkel!" rief Geza Bòdy aus, ehe er mehr belustigt als verärgert vorsichtshalber seinen Teebecher abdeckte.
Drinnen klingelte das Telefon. Ob er es gleich beim ersten Mal wahrnahm, war ungewiss; der Apparat stand weit entfernt und um die Ecke im rollschuhgeeigneten Korridor. "Wer ruft jetzt an?" Nur wenige Leute wussten, dass er hier war. Für den Freund, in dessen Heim er die dicke Katze versorgte? "Bei O…" sagte er und lauschte.
"Ist da die Detektivi… Boddi? Meine Tochter ist weg. Verschwunden. Nicht wiedergekomm' aus Berlin. - Sie sind doch in Berlin? - Sie iss nach Berlin. 'Ne Woche bloß, zu 'ner Freundin, hat se gesagt. Vor acht Tagen sollte sie wiederkomm'. Aber sie iss nich gekomm'. Bitte, könn' Sie sie suchen?" Die Stimme des Mannes klang weinerlich, er sprach unsicher, als wenn er zu viel getrunken hätte. Bòdy konnte ihn erst unterbrechen, als der Sprechende am anderen Ende Luft holen musste.
"Woher haben Sie denn meine Nummer?"
"Aus' m Telefonbuch. Meine Frau, hier neben mir, hat sie rausgesucht, aus ‘m Telefonbuch. Das Mädel iss unser liebstes. Es ist ihr hoffentlich nichts passiert."
"Moment, bitte, mit wem spreche ich überhaupt? Hier ist Geza
Bòdy."
"Ja, zu Ihn' wollt' ich. Entschuldigen Sie. Ich bin ganz fertig, 'n bisschen durcheinander: Also, Schwenrich iss mein Name, Dieter Schwenrich, von Dranse… Tut mir leid, meine Nerven…"
"Beruhigen Sie sich doch. Bitte! Haben Sie Vermisstenanzeige erstattet? Bei der Polizei?"
Nein, keine Polizei, wir wollen keine Polizei."
"Warum nicht?"
"Wir wohnen auf' em Dorf. - Da wird so viel gequatscht. Ich kenn den Laden. Polizei - da passiert nischt!"
"Wie alt ist Ihre Tochter denn?"
"Achtzehn."
"Und wie lange ist sie - äh, abgängig?" Bòdy ärgerte sich über den blöden Ausdruck und schnitt eine Grimasse in den Garderobenspiegel hinterm Telefonboard.
"Vier Tage."
"Herr Schwenrich, mit 18 ist man volljährig, erwachsen. Das wissen Sie sicher. Wer weiß, wo ihre unternehmungslustige Tochter in der Weltgeschichte herumgondelt. Sagt man heute noch jedes Mal den Eltern Bescheid, wenn man mal ein paar Tage…?"
"Unsre schon! - Die fährt nich' weg und kommt einfach nich' wieder. Ick mach' mir wirklich Sorgen. Wollen Sie uns nicht helfen oder können Sie nicht? Bitte! Sie kenn' sich doch aus in der riesen Stadt…"
Nach Bòdys Ferndiagnose hatte der Anrufer einen über den Durst getrunken, so unsicher und verschliffen, wie er sprach. Andererseits, würde jemand so eine Geschichte im Suff erfinden?
"Hören Sie: ich wäre ja unter Umständen bereit, den Fall zu übernehmen. Im Moment bin ich aber gar nicht in Berlin. Ihr Anruf wurde mir durchgestellt, von meinem Bürodienst aus. Heute ist - ? - Freitag. Fragen Sie doch erst mal bei allen Freundinnen ihrer Tochter herum, ob sie da ist, oder ob sie was wissen. Bestimmt klärt sich alles übers Wochenende…"
"Sie sind gar nich' in Berlin? Aber ich hab' doch 'ne Berliner Nummer gewählt! Und Sie sind am Telefon!" zweifelte der Mann.
"Rufumlenkung."
Im Hintergrund hörte er eine andere, weibliche Stimme, verstand aber nichts.
"Ich habe schon überall rumgefragt, das könn'se mir glauben. Aber wenn Sie nicht da sind, könn' Sie jemand anderen empfehlen?"
"Ich geb' Ihnen die Nummer von einer Kollegin, die in solchen Angelegenheiten Erfahrung hat…"
So endete ihr Gespräch.
Bòdy trottete auf die Terrasse zurück, trat an die Brüstung. Er seufzte, halb in die Luft, halb an Hund Bürste gewendet: "Mannoman! 18-jährige verschwindet im Sündenpfuhl Berlin! Das ist ein Hit, undankbarer Job! Nichts für dich."
Hier auf dem Lande, das war das pure Gegenteil vom Moloch Großstadt: Das ganz unländlich hochragende Haus thronte wie Neuschwanstein auf einem Hügelsporn. Mit der Schieferverkleidung und dem graublauen Dach hätte es eher in ein Eifelstädtchen oder ans Fichtelgebirge gepasst. So stand es, etwas deplatziert wirkend, als vorletztes an einem Sträßchen, in dem sonst nur Einfamilienhäuser gebaut worden waren.
Hinter 'seinem' Haus endete der öffentliche Weg, er führte als Privatstraße durch eine Toreinfahrt in ein herrschaftliches Anwesen. Das wurde als Alters- und Pflegeheim genutzt. Bei erträglich schönem Wetter saßen immer ein paar steinalte, im Kopfe oft nicht mehr ganz richtige Weiblein und Männlein auf Bänken vor dem Portal des Hauses. Wer noch einigermaßen gut zu Fuß war, musste von den Pflegern im Auge behalten werden. Sie liefen manchmal verwirrt weg. Kurz nachdem er angekommen war, hatte Geza so ein altes Muttchen einen Heidenschrecken eingejagt. Es lag regungslos im Straßengraben unten am Fluss und sah aus, als wäre es tot. Die Greisin war aber nur eingeschlafen. Geza kannte sie nicht, schaltete aber richtig. Er hatte sie geweckt und das fettlose, fleischarme und federleichte Knochengerüst die 400 Meter nach oben getragen. Seitdem grüßten ihn die Leute. Geza benutzte, nicht ganz legal, aber geduldet, öfter den Privatweg durchs private Heimgelände. Er ging in das unheimlich steile Sträßchen über, das direkt vor der Brücke zum Dorf in die Landstraße mündete. Das sparte mindestens einen Kilometer Umweg.
Von der Terrasse hier oben ging der Blick weit hinaus ins Tal. Unten, kaum 150 Meter Luftlinie entfernt, eilte der Fluss dahin. Sein Bett war randvoll; braun, schnell und leise gluckernd strömte das Wasser durch die nassen Wiesen, strudelte gurgelnd durch die Biegungen. Starke Regenfälle in den letzten Tagen hatten den Fluss anschwellen lassen. Für Geza war das frustrierend. Unten im Garten lagerte, unbenutzt seit seiner Ankunft, das Kajak, ein Paddelboot aus farblosem Polyester. Ja, paddeln hatte er hier wollen. Daraus wurde nun nichts. Der Freund hatte ihn damit hierher gelockt, zwei Wochen ganz in Ruhe und viel frischer Luft: Zwischen Wald, Hügeln und Wasser. Er brauche sich dafür nur ein bisschen um die Katze kümmern. Füttern und ihr Klo säubern - was sie sowieso nie benutze, sie sei Tags immer draußen. Ohne zu zögern hatte er ja gesagt. Eine willkommene Gelegenheit, einmal mehr dem immer lärmenden Berlin zu entfliehen.
Unter immer noch dicken Wolkengebirgen, die über einen etwas freundlicheren Himmel segelten, schweifte der Blick über den weiten, flachen Talboden hinweg auf den Gegenhang. Dort hüpfte er über den Bahndamm, stieg höher hinauf, weit oben verlief die Autobahn. Von ihr war nur ein spielzeugkleiner endloser Strom von Lastzügen, ihren Aufbauten, zu sehen. Wenn die Sonne sich in den Scheiben spiegelte, blinkte es blendend auf, reflektierten die Strahlen bis zu ihm. Tag und Nacht war ein ständiges fernes Rauschen zu hören, nicht unangenehm. Die Eisenbahnzüge machten mehr Krach, aber auch ihr Geräusch war erträglich, fast beruhigend. Im Winter musste es sehr still sein, da mochte er kaum hier wohnen. Er unterschied Güter- und Personenzüge ohne hinzusehen.
Hinter dem waldlosen Gegenhang waren sanfte Hügel geschichtet, je ferner, desto blasser wurden sie. Ganz links im Blickfeld lag unten das nähere Dorf. Dort gab es ein Gasthaus, aber keinen Laden mehr: Zum Einkaufen musste man ins andere, größere rechts; mit Bahnhof, Geschäften, Apotheke, Post, und der Autobahnauffahrt, es lag hinter der Waldecke, nur ein paar Gewerbebetriebe ragten in sein Sichtfeld. Bis an die Landstraße heran, die ein Stücklang direkt oberhalb des Flusses verlief, zog sich der Wald vom Hügel hinter dem Haus herab. Hangaufwärts stieg der Hochwald steil bis an die Hügelkuppe. Auch aus dem Wald tönten Vogelschreie den ganzen Tag: Im verborgenen Horst eines Raubvogelpärchens musste sich Nachwuchs eingestellt haben. Manchmal sah man einen der Alt Vögel hoch über den Wiesen kreisen. Die Schwalben kümmerte das nicht. Sie waren viel zu schnell und wendig für den Mäusejäger.
- Schön war es hier! - Richtiges echtes, deutsches Märchenland. In einigen der umliegenden Dörfern hätten die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm aus der nahen Universitätsstadt sich von den alten Frauen Märchen erzählen lassen und sie dann aufgeschrieben. Die deutsche Märchen Trasse versuchte das in Tourismus umzumünzen.
Die nahe Natur, ihre Geräusche wie ihre Stille erfreute Geza. Er empfand den fernen Verkehrslärm nicht als störend.
Molly, die dicke Katze, hatte ihn auf das Mauerseglernest aufmerksam gemacht. Mindestens einmal täglich sprang sie vor seinen Augen aufs Terrassengeländer, reckte den Hals, keckerte leise aufgeregt, leckte sich das Schnäuzchen und sah ihn auffordernd an, als wollte sie sagen, "Los, hilf mir mal rauf!" Klar! Unerreichbar für sie war das Nest hinter den Schieferschindeln - welche Provokation für sie!
Was war das eben gewesen? Der Anruf aus einer anderen Welt?
Junge Frau verschwand, kam einfach nicht mehr nach Hause! Das würde sich hoffentlich von selbst klären, oder die Kollegin machte es.
Geza suchte das Beste aus der Situation zu machen. Trotz des unerwartet durchwachsenen, mistigen Wetters: Am Tage radelte er mal ins Dorf zum Einkaufen, mal durch die Felder - in eins der nächstgelegenen Städtchen. Unter zweien hatte er die Auswahl - rechts oder links? Noch zwei solche Märchenkulissen, die Touristen bis von Holland hierherzogen: die Altstädte bildeten ein Gewirr aus Fachwerksgassen. Fast alle Häuser waren historisch restauriert und schmuck bemalt. Ihm, der Berliner Großstadt Pflanze, kam das unwirklich vor wie die Modellbaulandschaften von Freunden der elektrischen Eisenbahn.
An allen Tagen las er viel und lange. Der seltsame Anruf aus Berlin war bisher der einzige gewesen. Er hatte das Telefon auch kaum benützt. Warum auch? Für dringende Fälle war mit seinem Büro-Service eine Rufumlenkung hierher vereinbart. Seine letzten Aufträge waren Durchschnitt und Routine gewesen, sie hatten ihn aber dennoch ganz gut verdienen lassen. Er war momentan nicht darauf angewiesen, unbedingt gleich den nächsten Auftrag anzunehmen, der ihm angeboten wurde. Noch dazu so einen!
Abends langweilte Geza sich. Im Sommer, durch die Europäische Sommerzeit verstärkt, wurde es sehr spät dunkel, erst nach zehn war es richtig dunkel. Dem gewohnheitsmäßigen Spät-zu-Bett-Geher Geza blieb noch ein langer Tagesrest. Der tägliche Wald - eher Crosslauf - bergauf, bergab und auch die Radelei forderten ihn körperlich nicht genug. Geschweige denn, dass er erschöpft war. In die größere Stadt mit Studentenleben, auch nicht weit, wollte er nicht; auf Dorfkneipen stand ihm der Sinn schon gar nicht.
Die Dickmadame, Molly, hielt sich tagsüber lange draußen in den Nachbargärten auf, sie ließ sich mehrmals bitten, bevor sie antrollte. Das war ein Ritual. Geza musste oft zum letzten Mittel greifen, das letztlich wirkte: Er rappelte mit ihrem Futternapf, rührte klappernd mit einer Gabel in der Futterdose. Das typische Geräusch hörte sie anscheinend auch auf hundert Meter und mehr. Dort ruhte sie unter irgendeinem trockenen Unterstand mit guter Übersicht. Das war Gezas tägliches Zeremoniell: er stieg die Treppe hinunter an die Haustüre und rief: "Molly, reinkommen. Fressen!" - Nichts. Wieder hinaufgehen, das Blechzeug holen, vor der Haustür damit herum rasseln, wieder lockend rufen, "Fresschen!" Und nach einiger Zeit kam sie dann, aufreizend langsam. Maunzend und damit sagend, sie wollte jetzt sowieso gerade kommen. Nach verlorenen Revierkämpfen mit Nachbarkatzen, die hier turniermäßig täglich stattfanden, flüchtete sie allerdings, dann im Galopp. Es gab ein paar jüngere und kampfkräftigere Katzen in der Nähe, die ihr das Leben schwer machten. In ihrer Höhle - der Wohnung des Freundes - war sie sicher. Geza, der fremde Mitbewohner, hielt ihr die Tür auf und gab ihr Futter. Die dicke, alte Katzendame im zu weit wirkenden Pelzmantel hielt auf Abstand zu diesem Lakaien: selbst nach fünf Tagen noch verschmähte sie das Fußende seines Bettes, wo es doch dort so schön warm war! Und dann dieses fremde, kurzfellige Wesen! Gezas Hund Bürste. Sie ignorierte ihn einfach, sah durch ihn hindurch, obwohl der freundlich wedelnd signalisierte, dass er sie mochte.
Mit Bürste redete Geza die Tage selten. Er war vom Mitlaufen und Tollen tagsüber am Abend schlapp und lag faul und zufrieden in der Ecke des Erkerzimmers; vielleicht war es auch die ungewohnte Umgebung, die den Setter so wenig unternehmen ließ.
Geza langweilte sich. Es gab zwar einen Fernseher, aber er empfing nur drei Programme, und das mit einer grauenhaften Zimmerantenne! Jedes Mal musste er minutenlang an ihr herumdrehen, bis das Bild einigermaßen deutlich war, ohne Doppelschatten. Für den zwanghaften Zapper Bòdy eine ganz haarige Situation. Selbst im Appartement an der Ostsee, wo er ein-, zweimal im Jahr ein paar freie Tage verbrachte, gab es Satellitenanschluss, spendierte die Schüssel auf dem Dach dreißig Programme. Im Erkerzimmer, dem Wohnraum des Freundes, standen aber zum Ausgleich gleich zwei Videorecorder und eine Reihe Kassetten mit Aufzeichnungen, auch ein Stapel bunter Hüllen von Kaufkassetten lag im Regal daneben. Er machte also sein Programm selber.
Di, 2.12., Mi, 26.11., Do, 13.11.
Ohne große Lust sah er sie durch. 'Western' und 'Erotik'-Filme hatte der Freund von Hand notiert, irgendwo musste er ein Verzeichnis haben, die Kassetten waren nummeriert, aber es war nichts zu entdecken.
"Was versteht der unter 'Erotik'?" murmelte Geza. "Wenn er das so offen herumliegen lässt, wird wohl kaum was Schärferes dabei sein…" Er hätte sie weggeräumt, irgendwo eingeschlossen. Aber gut.
Einsame Männer brauchten sicher ab und zu einmal etwas Anregendes…Er schob eine Kassette in den Schacht und drückte die Fernbedienungen, es jaulte. Er probierte mehrere Kassetten durch, ihre Bildqualität war zum Wegsehen, der Freund hatte tatsächlich mit dieser Zimmerantenne empfangene Sendungen aufgezeichnet! "Mein lieber Mann! Schenk' ihm zu Weihnachten eine Satellitenanlage!" schwor sich Geza, "Sonst kommst du nicht mehr!" Sowas gab es mittlerweile für rund 250 Mark, mit Schüssel.
Die Rückenschilder der Kaufkassetten mit buntbedruckten Papphüllen verhießen auch nichts Besseres. Er probierte die erste, 'Grusel' stand handnotiert da. "Besser als gar nichts!" Er ließ sich in die Couchkissen sinken. Der Film startete mit einem Vorspruch in mehreren Sprachen. Er drohte missbräuchliche Verwendung juristisch zu verfolgen. "Na, was soll's?" Endlich ein Vorspann: ein runder Po, um den ein Bogen gezogen wurde, das war ein Firmenname, die Marke. Was danach kam, hatte er nicht erwartet. Das war eigentlich kein Grusel, sondern ein ganz anderer Film. "Quicklebendige Teenies - Ganz frei und ausgezogen".
"Was ist das denn?" Geza ließ die Kassette weiterlaufen.
Der Film begann dokumentarisch: Eine Straße, städtisch. Autos fuhren durchs Bild, entfernt gingen Passanten. Von außerhalb des Bildes ein Geräusch, das er kannte: Ein orgelnder Ton von Elektromotoren: Tatra-Straßenbahnen, wie in Berlin viele fuhren! Da kam eine ins Bild, im dunkelorange-elfenbein der unmodernisierten Version. Sie stoppte, es klingelte und blinkte. Das musste in Berlin sein! "Wo ist das aufgenommen?" Der Ehrgeiz des Stadtkenners packte ihn: "Scheint 'ne Endhaltestelle. - "Rückseite der Humboldt-Universität, Hauptgebäude getippt!" Er sah und lauschte weiter. Aus dem Off klang jetzt nah, gedämpft, eine männliche Stimme:
"Wollen mal sehen, ob nicht eine kommt. Da, da ist doch schon jemand!" Eine junge Frau in schwingendem Minirock mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken stieg aus der Tram und entfernte sich aus dem Bild. Die Kamera lief ihr hinterher, das heißt, derjenige, der sie bediente, fing sie wieder ein: "Heda, hallo, junge Frau!" Die junge Frau hatte zwei abstehende schwarze Zöpfchen, die sie betont schulmädchenhaft aussehen ließen. Sie stutzte, blieb aber nicht stehen. "Meinen Sie mich?" fragte sie über die Schulter. Die Kamera ging näher an sie heran.
"Ja, Sie! Sehen Sie hier jemand anderes? Und dazu noch eine so Hübsche!" Die junge Frau schien leicht perplex, aber auch geschmeichelt. Sie ermahnte den Forschen aber: "Was wollen Sie? Sprechen Sie immer so Leute auf der Straße an?"
"Ja. Wieso denn nicht? Ist doch nichts dabei! - Ich würd' Sie gerne mal kennenlernen! Sie gefallen mir. Sie sehen gut aus. Wie heißen Sie denn?"
"Einfach so die Leute ansprechen! Hier, mit der Kamera? Also nein…"
"Sagen Sie mir doch Ihren Namen." Er stellte sich im selben Atemzug vor, um nicht anonym zu bleiben: "Ich bin der Bernie."
Verblüfft von der höflichen Annäherung zögerte sie, "Ich, ich…Was wird das denn hier?"
"Ich mach' nur ein paar Aufnahmen. Von hübschen Mädchen wie Ihnen. Hmm, tolle Figur haben Sie! Nun sagen Sie mir doch endlich, wie Sie heißen!"
Sie drehte sich wie angekurbelt kokett einmal um die eigene Achse, ihr kurzes Röckchen flog. Der Unsichtbare mit der Kamera hatte eine angenehme Stimme, sie klang nicht ölig oder frech. Der Typ musste ein charmanter Draufgänger sein.
"Ich bin die Kathrin!"
"Kathrin, ein toller Name! Oh, Mensch, Kathrin - Du hast klasse Beine, die machen mich ganz verrückt! Sag' mal, würdest Du mir auch ein bisschen mehr zeigen?"
Sie zögerte wieder. "Wie meinen Sie das?"
"Nur mal das T-Shirt ein bisschen anheben, dass ich sehe, was Du so drunter hast? Nur ganz kurz!"
Die junge Frau blickte zweifelnd in die Kamera und um sich. "Hier? Vor allen Leuten? Nee!" Empört. Er setzte nach, wollte ihren Widerstand mit Charme und Entschlossenheit brechen:
"Kathrin, hier ist doch niemand. Gehen wir da rüber!" Sie setzten sich in Bewegung, die Kamera bewegte sich neben der jungen Frau her, sie im Fokus haltend. Aus dem Off wieder die neugierige, angenehme Stimme: "Was machst Du so, Kathrin? Bist Du hier zu Besuch?"
"Ja. Ich mach' Ferien."
"Gehst noch zur Schule?
"Mmh."
"Was hast Du denn heute so vor?"
"Will eine Freundin treffen. Wir wollen ins Bad - bei dem Wetter." Sie stand an der Straße von der Kamera umkreist. Sie waren allein.
"Los, heb' mal Dein T-Shirt! - Ein bisschen, nur einen Moment! Bitte!" Sie sah sich zweifelnd um, dann lüftete sie entschlossen die Vorderseite ihres nabelkurzen weißen T-Shirts.
"Aber nur ganz kurz!" Ein weißer, blau gemusterter BH wurde für Sekundenbruchteile sichtbar.
"Oh, Du hast ja auch einen wunderbaren Busen! Der ist Klasse!" Die junge Frau hatte das Shirt schnell wieder fallengelassen.
"Pass mal auf, Vera, äh Kathrin, ich habe da 'ne Idee. Was hältst Du davon, wenn wir zu mir gehen? Ich bin Fotograf und Kameramann, wie Du siehst. - Ich hab' hier in der Nähe ein Studio. Da gehen wir hin, und da zeigste mir ein bisschen was von dir. Vielleicht auch mehr?"
"Also, ich weiß nicht…ich habe nicht so viel Zeit…"
"Dauert nicht lange: Nur eine halbe Stunde. Komm!"
Bòdy verfolgte mit wachsender Anspannung diesen Dialog, die Szene. Sein Gesicht und Hals waren gerötet, die Situation erregte ihn mehr und mehr.
"Was wollen Sie denn machen mit mir?" Ihre Stimme klang
unsicher, und doch irgendwie interessiert am Abenteuer.
"Nur ein paar Aufnahmen, Du zeigst mir was von Dir - Deinen hübschen Busen, den Popo. Vielleicht auch deine hübsche …?" lockte der Unsichtbare, den Satz nicht beendend. Hinter ihrer Stirne arbeitete es. "Und mir passiert nichts?"
"Ehrenwort! Nicht lange, halbe Stunde."
Aber nicht länger, nur eine halbe Stunde!"
"Abgemacht. Los, lasse uns gehen, Kathrin!" Die Kamera ging wieder neben ihr her, er sprudelte, "Hab' ich ein Glück heute. Stehe gerade da 'rum, und da steigst Du aus!"
"Machen Sie das öfter?"
"Ja."
Die Kamera blendete ab.
Ein neuer Schauplatz kam ins Bild: Eine Studiodekoration mit Topfpflanzen, ein Hocker, ein Sofa, an der Wand eine breite Rolle mit ausziehbaren Stoff- oder Papierbahnen als Hintergrunddekor.
"So, hier ist mein Studio. Mach's Dir bequem“, erklang die Off-Stimme des Kameramannes. Die junge Frau sah sich neugierig um. Ein Knipsgeräusch. Es wurde heller, die Farben leuchtender. Ein Scheinwerfer war angeschaltet worden.
"Was machste'n so allein hier in Berlin?" Sie antwortete.
Bòdy verfolgte gespannt, wie die junge Frau, immer im Dialog mit dem unsichtbaren Kameramann, nach und nach ihre Sachen ablegte: T-Shirt, Röckchen, Turnschuhe. Sie saß bald nur noch in BH und Höschen da. Gezas Erregung wuchs. Wie in Trance zog er den Reißverschluss seiner Hose auf und griff hinein, strich sich verträumt. Es ging weiter. Das hatte nichts mehr mit einer normalen Fotosession zu tun. Der unsichtbare Kerl brachte Kathrin dazu, ihren BH zu öffnen, erst eine Brust herauszuheben, dann beide. Immer waren Fotograf und Model im Dialog. Seine Anweisungen und beruhigender Zuspruch schienen sie zu entspannen.
Sie saß, nur noch im Slip, mit gespreizten Beinen vor der Kamera. Er hatte sie aufgefordert, "Streichle Dich mal an der Brust!" Sie fuhr langsam über ihre bloßen Brüste. "Streichle Dich mal an den Schenkeln, zwischen den Beinen!" Ihre Hand fuhr gehorsam im Schritt über ihr Höschen. "Nimm beide Hände!" Es geschah.
Ein fremdes Geräusch lenkte Geza ab. Bürste war von seiner Decke aufgestanden, schüttelte und dehnte sich, dass die Gelenke knackten, tapste mit leise kratzenden Pfoten hinaus.
"Kathrin", hörte er, "zieh' doch mal das Höschen ein Stück beiseite, da unten. Traust Du Dich?"
Sie sah zweifelnd, "Reicht das nicht? Ich bin doch schon fast nackt…"
"Es reicht noch nicht. Jetzt hast Du mich ganz neugierig auf den Rest gemacht. Kathrin, los!" forderte er sie auf. Sie sah zweifelnd, nestelte aber folgsam an der Seite des Slips. "So? Ich weiß doch gar nicht, ob ich das richtig mach'."
An Bòdys Ohren rauschte wie durch einen Wasserfall hindurch der Dialog aus dem Fernsehapparat. "Mach' ich das so richtig?"
"Goldrichtig! Oh, das ist scharf!" Sie hatte ihr Höschen im Schritt zur Seite gezogen. Der Stoff halbierte ihre Vulva.
"Noch ein bisschen, 'n kleines bisschen mehr." kam die Anordnung. Ihre Hand zog gehorsam. Mehr wurde sichtbar.
"Spreiz' die Beine noch ein bisschen. Ja! So ist' s schön!" Über Ihrer Scham stand ein dunkles, kleines Haardreieck, exakt geschnitten.
"Ah, haste dich rasiert! Machst Du das öfter?" sülzte Bernie.
Kathrins ein wenig piepsige Stimme sagte: "Ja. Wenn man ins Bad geht, sieht das nicht schön aus." Sie klang jetzt sicherer.
Er bestärkte sie: "Ja, nich? Wenn da das Haar an der Seite rausguckt vom Bikinihöschen, das sieht nicht gut aus!" Dieser Bernie hatte es drauf, wie er lobte und forderte in raffiniertem Wechselspiel…
Bòdy hatte seinen Hosengurt gelöst. Bürste kam wieder herein, er hockte direkt mit dem Rücken zum Fernseher, ein Vorderbein hochgereckt und leckte sich schmatzend zwischen den Beinen an der Rute. Bòdy fluchte laut auf, "Musste immer alles nachma…, Hund?" - er drückte wütend die Fernbedienung, Bild und Ton verschwanden. "Oh, Sch…! Danke. - Bruder!" Geza griff sich an die Stirne, sie fühlte sich Heiß und trocken an. Er stakste ins Bad und säuberte sich. In der Küche nahm er ein Bier aus dem Kühlschrank.
"So ist das: Einsam, beschämt, dreckig…" wandte er sich an die Kühlschranktür. “Ach, diese Rennerei, der Sport jeden Tag, das produziert Sexualhormone“, diagnostizierte er sich halblaut, "zu viele. - Quatsch, du bräuchtest mal wieder 'ne Frau…"
Bòdy liebte Frauen und verehrte sie, Frauen verdankte er viel im Leben. Als er als Jugendlicher einmal sündige Gedanken und Taten gebeichtet hatte, wollte er die Busse nicht annehmen. "Mein Sohn", hatte der Priester hinter dem Gitterchen im Beichtstuhl ihn gemahnt Frauen zu lieben u n d in den Himmel zu kommen, das geht nicht."
Das war der Beginn von Gezas Abkehr von der Kirche. Lieber wollte er auf den Himmel verzichten, als auf Frauen.
Nach dem Onaniervideo trank er ein zweites 'Light', etwas anderes gab es nicht, Bòdy trank meist nur alkoholfreies oder light Bier. Mitten in der Nacht erwachte er. Wie ein Schlafwandler tappste er,
die leichte Federsteppdecke unterm Arm, ins Erkerzimmer. Er schaltete Recorder und TV-Gerät wieder ein, sah zu, wie der Straßen Filmer Kathrin dazu brachte, vor der Kamera ihre Schamlippen aufzuziehen und sich selbst zu befriedigen. Wie er noch mehr Mädchen anmachte. Der Bandanzeige nach ging die Kassette noch etwa anderthalb Stunden weiter. Alle halbe Stunde schleppte er eine ab! Ein Zusammenschnitt von 30 Minuten je Frau, die mit dem Typen mitging!
Bernies nächstes Opfer war eine junge Frau in Lederjacke und rosa Jeans. Er stellte sich vor wie bei der ersten, fragte, wie sie heiße. "Melanie", sagte sie. Melanie war ein wenig pummelig, aber dieser Rest-Babyspeck wirkte aufreizend, sie hatte ein nettes Gesicht, ein offenes Lächeln. Auf seine freche Bitte hin zog sie ihr T-Shirt, es war schwarz und bedruckt, registrierte Bòdy, einen Moment nach oben: Nur sekundenkurz wurde die Schalen eines blassblauen BHs sichtbar, gut gefüllt von runden Brüsten. Der Kerl überschlug sich vor Komplimenten. Nachdem sie eine Weile nebeneinander auf der Straße gegangen waren und geplauscht hatten, saß auch Melanie bald in Bernies "Studio". Vom Mann mit der Kamera angefeuert, zog sie Jacke, T-Shirt und Jeans aus. "Ist das so richtig?" fragte sie oftmals dazwischen. Der Mann mit der Kamera beruhigte und lobte sie. Er forderte auch sie auf, sich zu streicheln, über Brust und Hüften, an den Innenseiten ihrer Oberschenkel, fragte gespannt, "Was spürst du dabei?"
Ihr schelmisches Lächeln ging in ein Auflachen über. Fast kindlich, entwaffnend wirkte, wie sie antwortete: "Nichts." Als Bernie sie aufforderte, ihre Unterhose, blassblau wie der BH, im Schritt einmal beiseite zu ziehen, zögerte sie. "Nur ganz kurz!" beruhigte sie Bernie. Sie tat, wie ihr geheißen. Und da war es um Gezas Bemühen um Neutralität geschehen. Er fluchte ausgiebig, auf diesen Kerl, beschimpfte sich schließlich selbst. Aber er konnte sich nicht von den Bildern lösen. Er hing dran wie die Fliege auf dem Leim. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Nicht mehr gesehen - seit den Tagen des eigenen sexuellen Erwachens.
Auf Melanies - von ihrem Slip bedeckten - Venushügel hatte sich ein winziger Fleck gebildet, Feuchtigkeit, die von innen das dünne Gewebe ihres Höschens dunkler färbte, genau in der Mitte zwischen ihren Schenkeln.
"So? Mach' ich das so richtig?" fragte sie wieder, "ich hab' sowas doch noch nie gemacht." - Kameramann Bernie beruhigte sie, "Du machst das ganz prima, Melanie! Kann ich gar nicht glauben, haste das wirklich noch nie gemacht?" Über ihr hübsches Gesichtchen ging ein spitzbübisches Lächeln. Log sie oder war das mehr eine erfreute Grimasse, über sein Lob? "Nein, wirklich nicht."
In Bòdys Ohren rauschte es, fasziniert verfolgte er die Szene. "Ist das gut so?" wollte Melanie schon wieder wissen.
"Ganz prima“, bestätigte er ihr. "Prima, wie du das machst! Willst du nicht die Hose ganz ausziehen?" lockte er, "Traust du dich?"
"Ich weiß nicht…" Sie schien erstmals unwillig, "Nein. Reicht das jetzt nicht?"
"Melanie, komm. Was haste? Haste was zu verbergen?"
Bernie bearbeitete sie mit Worten: "Brauchst dich doch nicht zu schämen, Melanie! So hübsch, wie du bist. Los, mach! Oder haste'n Pickel am Po?" Sie musste lachen. "Leg' dich auf den Rücken. Oder, besser, steh' mal auf, mit dem Rücken zur Kamera, zieh' sie dann ganz langsam runter. Dass ich was davon habe."
Die junge Frau tat nun, wie ihr geheißen wurde. Sie fragte wieder:
"Ist das so richtig?"
"Zweimal Zuviel gefragt", fluchte Geza. Das ist doch Sch…, alles gelogen!" Das war spontan, eine Eingebung.
Nach etlichen Wechseln der Pose blendete die Kamera ab. Melanie löste sich in grau auf.
Die dritte junge Frau auf der Kassette war eine blasse Blondine. Sie trug einen beigen Hosenrock und ein Sommerblüschen. Ihre Haut war weiß, ihre Augen groß, in die Ferne blickend und blau. Möglicherweise Brillenträgerin. Sie reagierte anfangs scharf ablehnend auf die Anmache. Geza kannte nun das Schema schon. Nach ein paar Minuten Unterhaltung würde auch sie bereit sein, mit Bernie "aufs Zimmer, hier in der Nähe" zu gehen und ihm "was zu zeigen".
Sie heiße Marion. Marion war, nach landläufigem Verständnis, keine ideale Schönheit. Ihr Gesicht wirkte etwas zu scharf geschnitten, der Mund zu breit, die Nase spitz, die Augen traten leicht hervor. Aber als auch sie ihren Spitzen-BH ausgezogen hatte und ihre Brüste sichtbar wurden, wurde aus dem spitznasigen Entlein eine aufreizende Nymphe, so sehr änderte sich der Gesamteindruck! Wie alle anderen auch trug sie schöne frische Wäsche oder hübsche Dessous. Als es daran ging, ihr Höschen auszuziehen, zögerte sie, druckste ein wenig herum. "Was ist, Marion, haste deine Tage?" fragte Bernie ganz cool und direkt nach. Marion bestätigte es.
"Haste'n Tampon drin? Ist doch nichts dabei!" Bernie kannte sich aus, hatte riesengroßes Verständnis: "Passiert alle vier Wochen, macht doch gar nichts. Zieh' ruhig die Hose aus, das macht deine Pussy noch hübscher!" tönte er, unsichtbar. Geza Bòdy schluckte und rief, "Diese Sau!" Niemand hörte ihn. Bürste hatte sich verdrückt. Sie zog ihren Slip natürlich aus. Das Drehbuch sah das wohl immer so vor. Bernie forderte sie auf zu posieren. Er schien ganz bestimmte Posen zu bevorzugen. Sie solle ihren Po "schön durchdrücken", ihn "ganz rund machen". - Die so erzielte Körperspannung ließ ihre Vulva mit dem sichtbaren Tampon Bändchen wie von selbst zwischen den Schenkeln hervortreten. Und Bernie war hell begeistert.
"Drecksack!" fluchte Geza nur noch leise. Er war todmüde. Dort, wo er sich nur zum Videogucken gelagert hatte, schlief er ein. Auf der Couch im Erkerzimmer, von wo tagsüber der Blick weit übers Tal und die Hügel gegenüber ging. Geza schlief, noch ehe er die Geräte und das Licht abschalten konnte. Es war halb vier morgens, draußen dämmerte es schon.
Am Nachmittag rannte er länger als die Tage davor, obwohl es Strippen regnete. Er kam schwer in Gang, stapfte mit dem Extragewicht - schuldbeladen, das wog - durch die Nässe. Nach zehn, zwölf Kilometern - endlich! - kam er in einen euphorischen Zustand. Immer leichter lief es sich, der 'Ersatzorgasmus', wie er die Läufereuphorie für sich nannte - oder war es der Sportprofessor vor Jahren gewesen? Völlig durchnässt kam er zurück, zog die Schuhe vor der Wohnungstür aus, ging dampfend in Socken ins Bad und zerrte sich die schweißnassen und regen-vollgesogenen Klamotten vom Körper. Er saß lange im Bademantel in der Küche, trank Wasser in kleinen Schlucken, legte sich einen Moment lang auf den Bodenläufer. Viel später erst ging er unter die Dusche. Anschließend aß er Kuchen. Den hatte er, gerade noch rechtzeitig nach dem verspäteten Aufstehen, von dem fahrenden Bäckerladen-Verkaufsstand geholt. Zweimal die Woche fuhr der in der Straße vor. Kauend studierte er die nachgeschickte Zeitung. Lokalteil: Im Wedding war - wieder einmal - ein Bordell ausgehoben worden. Frauen aus Osteuropa und Südostasien waren dort 'der Prostitution nachgegangen'. Wer keine Scheinehe mit einem Deutschen eingegangen war, würde in die Heimatländer abgeschoben, nach Bulgarien, Weißrussland, Thailand. Die 'Letzte Seite' bot als Hauptthema: In Westeuropa existierten Kanäle und Vernetzungen des Menschenhandels für Prostitution. "Haben die das auch schon gemerkt? Hallo!"
Geza zählte die Tage bis zur Heimfahrt. Er dachte nicht mehr an den Anruf. Er verdrängte die Bilder der Pornokassette, zwang sich regelrecht, sie nicht mehr anzusehen - und kam sich wie ein Fakir dabei vor. Sein Büroservice meldete sich auch nicht, keine Termine. "Hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst". glaubte Geza.
2. Zum letzten Mal füllte er 'Dickmadame', der bequemen Katze Molly, den Fressnapf. "Das muss reichen, teilen Sie sich's ein, Gefräßige!" Molly maunzte, "Was, so wenig?" hieß das wohl. - "Sie fressen doch aus Langeweile, Madame!" - Im Lauf des Tages würde der Stammbewohner eintrudeln, der mit ihr normalerweise die Höhle teilte, der Freund kam heute von der Reise zurück. Aus Mollys Sicht war das ihre Behausung, Menschen duldete sie als Mitbewohner; sie gaben einem zu fressen, sie konnte sich von ihnen streicheln lassen, wenn ihr danach war.
Es war früher Morgen. So gingen also seine westdeutschen, durch Dauerregen und Hochwasser misslungenen, Wochen im Märchenland-Hügelland zu Ende. Geza fuhr mit Regional Expressen heim, abseits der ICE-Hauptstrecke. Der erste Zug war voller junger Kerle mit Kürzest Frisuren und Brutalofressen, es waren Wehrpflichtige auf Wochenendurlaub, Bundeswehr. Auf allen Mitteltischen der Waggons standen und lagen Bierdosen, volle und zunehmend mehr leere. Manchmal flog eine hinunter und rappelte in den Kurven im Gang umher, niemand hob sie auf. Der ex-Leutnant Bòdy schnappte ungewollt Gesprächsfetzen auf. Es ging um Manöver, Spezialausbildung - Ranger und Fernaufklärer, Saufen, Autos und Frauen, Pornos, in dieser Reihenfolge. Es kreisten billige Sexmagazine, deren Abbildungen sie derb kommentierten.
In Halle/Saale Hbf. stiegen die meisten dieser Unfläte aus. Ihre Müllberge ließen sie einfach liegen. Geza, schon lange Reserve, sträubten sich die Nackenhaare, was für unordentliche Ferkel! Früher, zu seiner Zeit - das war mit einem SPD-Mann und vorherigen Gewerkschaftsboss als Verteidigungsminister - da hätten die Feldjäger diese Typen zusammengestaucht! Heute ließ sich aber keiner mit der weißen Armbinde blicken. In der Halle des Hauptbahnhofes von Halle sah er immerhin zwei der einst Gefürchteten, sie standen, Finger in den Koppel gesteckt, wie ein Fels in der Brandung des Verkehrs und sahen ins Leere.
Gezas Anschlusszug fuhr erst in 40 Minuten. Er steckte nur einmal den Kopf kurz aus dem Bahnhof hinaus, verspürte aber keine Lust, die paar Schritte in die Fußgängerzone zu gehen. In der zugigen Bahnhofshalle hockten auch einige Jugendliche mit Bierbüchsen, ungepflegt, fast schon Penner, auch ungesund aussehende Mädchen waren dabei.
Er sah einem Mann mit einer Tarzan Matte als Frisur und in Jogginganzug Münzen in eine Modelleisenbahnanlage steckte. Kleine Züge fingen an zu fahren, und sein Söhnchen strahlte vor Begeisterung. Geza verstand das, er war früher genauso gewesen.
Endlich kam er mit dem Regionalexpress in Berlin an, Geza stieg in Charlottenburg aus, der Zug endete dort. Eisenbahnfan Bòdy fuhr direkt weiter, mit S-Bahn und Tram ins Büro. Zwar fühlte er sich vom frühen Aufstehen und dem Nichtstun auf der Fahrt unterwegs etwas groggy, aber seine Bürostunden wollte er einhalten. Das hatte er sich fest vorgenommen, als er sich eingemietet hatte. Heute war wieder sein erster Arbeitstag, die Ferienfaulenzerei beendet.
Sein Zeit-Büro im Lichtenberger Industriegebiet Herzbergstraße war im Gebäude einer ehemaligen Kombinatsverwaltung, ein früher verrußter und mit Behelfsanbauten verunzierter Komplex. Jetzt war außen alles frisch gemalt und modernisiert. Innen, im Treppenhaus und auf den Gängen, fanden Augen und Nase noch den eigentümlichen DDR-Stil: Die häßlichfarbenen Linoleum-Fußböden verströmten auch sieben Jahre nach dem Zusammenschluss, noch diesen penetranten Putzmittelgeruch. Die Wände dagegen waren inzwischen auch hier frisch und hell gestrichen. Im breiten Korridor standen Bänke und Sitzgruppen für Besucher, Kunden oder für die Gruppengespräche einiger seltsamer Mieter - irgendwelche ABM-Initiativen kulturell-sozialer Art bildeten hier ein Restbiotop aus Wendezeiten. Die Möbel waren aus alt und neu bunt gemischt.
Geza holte seine Post im Geschäftszimmer ab und sah sie als erstes durch. Nichts Aufregendes. Gern wäre er heim. Neue lukrative Aufträge schienen nicht in Sicht. Die Telefonnotiz: Da hatte sich jemand angemeldet, wollte ihn aufsuchen, ohne Terminabsprache. "Mist! Du musst warten."
Mo, 1.12.,Mi, 26.11., Di, 18.11., Mo, 17.11., Sa,8.11.
Ein Mann und eine Frau mittleren Alters parkten im Hof einen graubeigen Trabant mit OPR-Kennzeichen. Sie gingen ins Haus hinein, wanderten durch den neonbeleuchteten Gang, suchten die Türen ab.
"Hier! Nun komm“, sagt der Mann zur zögernden Frau. Sie drückten den Summer unter dem Türschildrahmen in dem eine vergrößerte Visitenkarte befestigt war: "Geza Bòdy. Private Ermittlungen. Personenschutz. Sprechzeiten … oder nach Vereinbarung".
Bòdy fläzte im spärlich mit billig aussehenden Büromöbeln eingerichteten Raum am aufgeräumten Schreibtisch. Abgewinkelt ein Tischchen davor mit einem Computermonitor, Motherboard und Drucker in einem Fach darunter. Der Computer lief nicht. Aus dem gardinenlosen Fenster ging der Blick durch schmale Sonnenschutzlamellen auf die nichtssagend hässliche Umgebung. Irgendwo im Gebäudeinnern röhrte eine Schlagbohrmaschine. Dauernd wurde umgebaut, immer zog jemand ein oder aus. Hier war ein Kommen und Gehen von Firmen, die in Berlin nur für eine bestimmte Zeit irgendwelche Geschäfte tätigten.
Bòdy war noch nicht lange Mieter hier. Früher hatte er extern bestimmte Dienstleistungen genutzt, nun hatte er einen Vertrag abgeschlossen, erst einmal für ein Jahr. Die Leute vom Büro-Service waren wirklich sehr bemüht, Sie versuchten, ihm alle Wünsche von den Augen abzulesen, so nett und hilfsbereit wie sie waren. Es summte, er sprang zur Tür und öffnete.
"Kommen Sie herein." Die beiden zögerten.
"Wir wollten zu Frau Boddy." sagte der Mann.
"Da sind Sie richtig." Sie traten zögernd durch die Tür.
"Schwenrich, meine Frau. Wir komm' von Himmelpfort, äh -Dranse. Wir hatten uns bei Frau Boddy angemeldet." Der Mann wirkte irritiert. Sie musterten sich.
"Eine 'Frau' Bòdy gibt es nicht. Das ist ein Missverständnis, das allerdings oft vorkommt! Ich heiß' Geza mit Vornamen. Das wird meistens missverstanden."
Die Besucher schienen beide so um die 40, etwa darüber. Der Mann wirkte bullig, ein Bauch, halb Muskeln, halb Bier, ragte über den Gürtel seiner Jeanshosen, blassblau und stonewashed. Sie dagegen war schlank, weizenblond, womöglich getönt, jedenfalls das Strähnchen in keckem rosa über der Stirne. Sie war deutlich schicker, geschmackvoller gekleidet als ihr Mann. Frau Schwenrich sah Geza interessiert mit großen Augen an, auch ein wenig furchtvoll, er blickte immer noch überrascht.
"Sie sind das? Sie sind 'n Mann? Herr Bòdy?"
"Ja. Sie hatten jemand anders erwartet?"
Der Mann blickte verlegen. "Ich dachte, Sie wären 'ne Frau…Gisa is doch' n Mädchenname…" Sie fiel ein: "Ich habs doch geahnt, Dieter! Hab' ichs nicht gesagt, das ist ein Name aus…"
"Ungarn", bestätigte Bòdy, das Missverständnis endgültig ausräumend.
"Siehste! - Wie wir am Balaton waren… Sind Sie Ungar?" wandte sie sich lebhaft an Geza.
"Ich bin in Deutschland geboren, und Deutscher", erklärte Geza. Er machte sich schon lange nichts mehr aus solchen Irrtümern, klärte sie jedes Mal geduldig auf, seinen hübsch assoziativen Namen wollte er behalten, so etwas war in der Branche bares Geld wert: Body-Guard. Da musste man nur den Akzent unterdrücken.
"Wollen Sie mir nicht trotzdem sagen, was ich für Sie tun kann?"
"Wir hatten doch schon mal telefoniert…"
"Ach?" Geza blickte hilflos.
"Vorige Woche. Sie hatten 'ne Kollegin von sich empfohlen…"
"Ihre Stimme kam mir bekannt vor…aber helfen Sie mir bitte, ich war jetzt 14 Tage weg, und…"
"Iss schon in Ordnung. Wir haben…Nu' isse schon länger fort. Wir machen uns Sorgen!"
"Wer, wohin?" Geza wusste immer noch nicht, wer sie waren und worum es ging, vergebens kramte er in der Erinnerung.
"Jennifer, Jenni - unsere Tochter. Sie ist nach Berlin - und nicht zurückgekommen. Die Freundin, bei der sie war, sagt, sie wäre heimgefahren, aber sie iss nich angekommen, zu Hause, bei uns."
"Wo?"
"Himmelpfort, nein, das heißt, jetzt von Schweinrich. Rrch, ich vertu' mich immer noch. Wir sind erst vor kurzem umgezogen. Ich kann mich nicht dran gewöhnen - wir wohnen wieder in meinem Heimatdorf. Immer verplappre' ich mich. "
Geza hörte geduldig zu.
Wie kamen Sie auf mich?"
"Durchs Telefonbuch, Gelbe Seiten."
"Der Name gefiel mir so gut“, fiel die Frau ihm ins Wort.
"Himmelpfort, Schweinrich? Wo liegt das? Sind das Dörfer?"
"Mmh. Himmelpfort, das ist bei Fürstenberg, am Stolpsee. Sagt Ihn' das was? - Konzentrationslager Ravensbrück? Das war ganz in der Nähe. Schweinrich, Dranse - das ist bei Wittstock, 'n bisschen weiter westlich. Meine Heimat."
"Aha." Geza wechselte zum Thema, dem Besuchsgrund.
"Entschuldigung, dass ich so bohre. Also der Grund ihres Hierseins: Sie suchen Ihre Tochter. Seit wann ist sie vermisst? Wann hatten sie das letzte Mal Kontakt mit ihr?"
Der derb aussehende Mann mit dem dickem aschblonden Haarschopf und breiten, schon graumelierten Koteletten, nahm wieder das Wort.
"Seit - vor zehn Tagen." Dann schwieg er, erwartete Gezas Fragen. Beide Eltern setzten sich, von Bòdy hin komplimentiert, nebeneinander auf das zweisitzige Klienten Sofa. Den Raum querend riss Geza im Vorbeigehen ein Blatt eines Fotokalenders von 'Wild und Hund' ab, unter dem ein anderes Waldmotiv mit dem aktuellen Kalendarium zum Vorschein kam. Geza entschuldigend,
"Ich bin auch erst vor kurzem rein. Sie haben Glück, dass sie mich erwischt haben." Er setzte sich mit einem Block und Kugelschreiber dem Paar gegenüber auf einen Stuhl.
"Erzählen Sie bitte. Einzelheiten: Wohin ist ihre Tochter, wo wollte sie hin? Und wie sieht Jennifer aus?"
"Ja, wir sagen Jenni. Hier nach Berlin. Zu 'ner Freundin."
"Ein bestimmter Grund?"
"Sie wollte 'ne Ferienarbeit finden, Geld für 'ne Reise verdienen. "Ich bleibe eine Woche", hat sie gesagt. War sie auch, sie iss aber noch mal weg. Jetz' ist sie überfällig, acht Tage."
"Wie sie aussieht“, erinnerte Frau Schwenrich ihren Mann.
"Jenni ist 1,67 Meter, schlank, etwa 60 Kilo, Haarfarbe blond" -
- "Honigblond" präzisierte die Mutter, was ihn unwirsch zu ihr hinsehen ließ -
"Augen graublau. Besondere Kennzeichen, hm, Unfallnarben an der Wade. Sonst noch was?" Er wandte sich an sie.
"Sie ist als Kind vom Auto angefahren worden. Fahrradunfall. Da sind diese Narben geblieben."
Geza notierte sich eifrig die Einzelheiten.
"Was haben Sie unternommen seitdem? Bei dieser Freundin war sie wirklich?"
- "Von der komm' wir grade. Ja. Die war in der Woche, in der Jennifer da wohnte, selber verreist."
"Sie hat nur ein Zimmer“, ergänzte die Frau.
"Wann war das genau?"
"Sagte ich: Vor acht Tagen. Ich habe mich auch drum gekümmert, ob sie' vielleicht' n Unfall hatte: Keine Papiere dabei, kommt ja vor… Ich kenn mich da aus. Nee, nichts."
"Vermisstenanzeige?"
"Nein. Wir warten noch, erstmal."
"Ihr letztes Lebenszeichen, was war das genau? Erinnern sie sich, was sie gesagt hat?"
Schwenrich nestelte in seinem kunstledernen Handtäschchen. "Hier: Die Karte."
Geza sah auf eine Ansichtspostkarte aus Berlin, sie zeigte das Olympische Reitstadion.
"Darf ich?" Sie nickten. Er überflog den Text auf der Rückseite: Grüße. Sie suche noch; es sehe nicht toll aus. Wenn zwei Sachen auch nicht klappten, die sie noch versuche, käme sie zum Wochenende heim.
"Sie hat bei ‘n Nachbarn extra Bescheid gesagt. Wir selber haben kein Telefon, zurzeit." Alle hatten nach der Wende Anschlüsse bekommen, bis ins letzte Dorf, wieso hatten die Schwenrichs keins? Ach, sie waren kürzlich erst umgezogen. Wahrscheinlich dauerte es etwas länger auf dem Dorfe.
"Namen und Adresse der Freundin hier, hat sie Telefon?"
"Mmh. Hier haben ja alle… - Hast Du?" fragt er seine stumme Frau. Sie nickte, suchte in ihrer Handtasche.
"Wie gesagt, wir waren grade eben da. Die Kathrin hat keine Ahnung, wo Jenni sein könnte."
"Wie war sie gekleidet? Was hat sie mitgenommen?"
Müssten wir zu Hause im Schrank nachsehen. Meistens hat sie Jeans an, seltener - wie jetzt im Sommer - auch mal ‘n Kleidchen."
"Foto? Haben Sie Bilder mit, von ihr?" Der Mann öffnete wieder das am Handgelenk hängende Täschchen. Ein Briefumschlag, Amateurfotos. Geza nahm sie entgegen.