Bonner Dekadenschrift 1795 -  - E-Book

Bonner Dekadenschrift 1795 E-Book

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Beschreibung

Geradezu rührend mutet den heutigen Leser oder die Leserin der Enthusiasmus an, mit dem Johann Baptist Geich seine Bonner Mitbürger für die republikanische Verfassung begeistern will. Unermeßlich ist sein Idealismus und seine Zuversicht, dass seine Mitmenschen über kurz oder lang auf den Pfaden der Tugend, der Redlichkeit und der Mitmenschlichkeit wandeln werden: "Fortschreitung in Weisheit und Tugend ist Zweck unsers Daseins. Es ist also Pflicht für jedes vernünftige Wesen nach Aufklärung zu streben, und dieselbe nach seinen Kräften andern mitzutheilen."

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Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Fundstelle: ULB Bonn, urn:nbn:de:hbz:5:1-12722, siehe Abbildung Seite →; die Fackel auf der Umschlagseite nach "Designed by macrovector / Freepik". Die Rechtschreibung der Vorlage ist beibehalten worden, auch im Index, gegebenenfalls sind Namen in der modernen Schreibweise hinzugefügt oder übersetzt worden. Die Punkte hinter den einfachen Zahlen, z. B. den Jahreszahlen, sind weggelassen worden. Die Texte der historischen Vorlagen stehen in dieser Serifenschrift, Zusätze und Ergänzungen des Bearbeiters oder der Moderne in dieser serifenlosen Schrift oder in [ ]. Die Klammern der Vorlage ( ) sind durch { } ersetzt worden. Streichungen des Herausgebers stehen in ( ). Beim Seitenwechsel wurde die anfallende Trennung aufgehoben. Die häufigen Sperrungen bei Eigennamen oder Ortsnamen wurden nicht übernommen. Die Angaben zu Personen, Orten oder Sachen sind dem Portal Wikipedia entnommen.

Inhalt

EINLEITUNG

ERSTES STÜCK.

Vorrede.

Aufklärung seiner selbst, und anderer ist allgemeine Menschenpflicht.

Ueber den Ursprung des Kristenthums.

Erziehung.

Geschichte der Schreckenszenen zu Paris in den ersten Tagen des Monats Prairial im Jahre III.

ZWEITES STÜCK.

Ueber den Ursprung des Kristenthums.

Der Blinde.

Ein Gemälde Belgiens, und der übrigen eroberten Länder.

Geschichte der Schreckenszenen zu Paris in den ersten Tagen des Monats Prairial.

DRITTES STÜCK.

Aufruf.

Gespräch über Freiheit.

Die Katze, die Dame, und ihr Schooßhündchen.

Ueber das Dekret in der neuen Konstituzion,

Anektode.

VIERTES STÜCK.

Was Erziehung seyn sollte, und was sie bisher war.

Die Zusammenkünfte der ersten Kristen.

Auszüge aus der Bericht-Abstattung des Bürgers Roberjot

FÜNFTES STÜCK.

Gespräche über Freiheit.

Beschluß der im vorigen Stücke abgebrochenen Auszüge der Bericht-Abstattung des Bürgers Roberjot etc.

Edelhold über seine häusliche Glückseligkeit.

Ueber Staats-Verfassungen.

SECHSTES STÜCK.

An meine Leser.

Die lezten Lebenstage des Professors Zulehner an seine Freunde.

Ueber Staats-Verfassungen.

Tellier.

Just Ehrlichs, kölnischen Bürgers, Gedanken über Handel, Wucher

SIEBENTES STÜCK.

Just Ehrlichs, kölnischen Bürgers, Gedanken über Handel, Wucher

Die Fortsetzung von Edelholds häuslicher Glückseligkeit.

Der Biedergesinnte.

Ueber den Zustand der Erziehung in Frankreich während der Revoluzion.

Gedanken über den Krieg.

Anektode.

ACHTES STÜCK.

Vorzüge Republikanischer Staaten

Ueber den Zustand der Erziehung in Frankreich während der Revoluzion.

Religion im Verhältniß zum Staate.

Die Bienen und die Wespen.

NEUNTES STÜCK.

Religion im Verhältniß zum Staate.

Ueber den Zustand der Erziehung in Frankreich während der Revoluzion.

Der Gärtner und der Pomeranzenbaum.

ANHANG

Der Freund der Freiheit

1797 Sep 22 Feier im Hofgarten und auf dem Markt

1797 Nov 13 »Souveränetätserklärung des Volkes zwischen Maas, Rhein und Mosel«

1797 Dez 17 [Geich:] Rede in der Volksgesellschaft anlässlich der Proklamation des Rudler

1798 März 23 »Reunionsadressen« des linken Rheinufers

LITERATURVERZEICHNIS

INDEX

Einleitung

Geradezu rührend mutet den heutigen Leser oder die Leserin der Enthusiasmus an, mit dem Johann Baptist Geich seine Bonner Mitbürger für die republikanische Verfassung begeistern will. Unermeßlich ist sein Idealismus und seine Zuversicht, dass seine Mitmenschen über kurz oder lang auf den Pfaden der Tugend, der Redlichkeit und der Mitmenschlichkeit wandeln werden: Fortschreitung in Weisheit und Tugend ist Zweck unsers Daseins. Es ist also Pflicht für jedes vernünftige Wesen nach Aufklärung zu streben, und dieselbe nach seinen Kräften andern mitzutheilen (S. →).

Freilich verkennt er nicht die gefährlichen und schädlichen Entwicklungen, die die Revolutionen nehmen können: Verräter schleichen sich an die Macht und verführen das Volk im Sinne der alten Machthaber (S. →); Egoisten mißbrau-chen die geheiligten Namen von Freiheit und Gleichheit (S. →). Andererseits übergeht er stillschweigend die Hinrichtung Ludwigs XIV. und den terreur, und rechtfertigt die harten Massnahmen gegen die alten Eliten mit ihrem „Despotism“.

Da verwundert es nicht, dass Geich – und andere Republikaner – kaum Widerhall in der Bonner Bevölkerung finden, sondern nur Spott, Verachtung und gar Haß („Der krumme Geich1“ – „ein verloffener Priester“, S. →). Denn die letzten 100 Jahre unter den Kurfürsten waren – oberflächlich betrachtet – prächtige und glanzvolle Jahre; auch wenn man genauer hinsieht, erkennt man vor allem bei dem letzten Kurfürsten, dem Habsburger Max Franz, eine maßvolle Regierung, die der Aufklärung wohlgesonnen und zugetan war, aber weit entfernt von einem „Despotism“ der französischen Couleur (S. →). Geich2 wurde am 15. Mai 1767 in der S. Ko-lumbakirche in Köln getauft; zum Subdiakon wurde er am 19. Dezember 1789, zum Priester am 16. Mai 1790 geweiht. Geich war, bevor er im Jahre 1790 zum Priester geweiht wurde, als Lehrer an einer Kölner Privatschule tätig; anscheinend verhinderten seine aufgeklärte Richtung und seine persönlichen Beziehungen zu gleichgesinnten Professoren in Bonn, insbesondere zu Eulogius Schneider3, daß er ein öffentliches Lehramt erhielt.

Von 1794 bis 1801 hatte er verschiedene Positionen in der Verwaltung der Gemeinden Ahrweiler, Rheinbach und Bonn inne, zeitweise war er Sekretär des Zentralbüros der cis-rhenanischen Föderation. Von 1802 bis 1810 war er Advokat in Bonn und Rheinbach. 1824 ist er dort in ärmlichen Verhältnissen gestorben.4

Von der Dekadenschrift sind nur neun Stücke erhalten, weitere gibt es wohl nicht5. Warum sie ihr Erscheinen einstellte, kann nur vermutet werden: mangelndes Interesse in der Bevölkerung – siehe den sehr distanzierten Bericht auf Seite → ff.

1 In der üblen anonymen Hetzschrift von 1799 gegen die Republikaner wird Geich vorgestellt als ein „abtrünniger, hergeloffener krummer Pfaffe, ein höchst boshafter und schlechter Kerl“, siehe (Flörken 2017).

2 Die Lebensdaten nach (K. Müller 1980).

3 Siehe (Schneider 2020).

4 Nach (Schaefer 2011).

5 Nach: https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/4367368 und (Wenig 1968).

6 Der „Freund der Freiheit“ (siehe Abbildung Seite 164) im Umfang von 8 Seiten in 8o, erschien zweimal wöchentlich und kostete im Monat 20 Stüber, also 4 fl. im Jahr; die „Dekadenschrift“, jeweils 26 Seiten in 8o, erschien alle 10 Tage und kostete ebenfalls 4 fl. im Jahr. – Der Preis für das Weizenbrot (8 Loth) wurde am 04.11.1797 behördlich festgesetzt auf 10 Stüber, für das Roggenbrot (10 Loth) ebenfalls auf 10 Stüber; das Maß Bier musste je nach Qualität 2 oder 3 Stüber kosten (Flörken 2017).

7 Nach: https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/7640589.

Erstes Stück.

Thermidor. Im Jahre III. [=Juli/August 1795] < >

Si Republica bona frui non licuerit, optandum est, ut mala careamus. Cicero.8

<3>

Vorrede.

Ich achte die Menschenwürde in jedem meiner Brüder. Ich gedenke durch diese Schrift zur Veredlung derselben mitzuwirken. Meine Leser dörfen also hier im geringsten nichts suchen, was beleidigend für irgend einen Menschen seyn könnte.

Der Regent, der Vater seiner Untergebenen ist; und der Priester, welcher Gott als Vater seiner Menschen darstellt, welcher über dem Vortrage theoretischer Religions-Grundsätze nicht vergißt, auch praktisches Kristenthum zu lehren, beide verdienen ausgezeichnete Achtung; dagegen kann der Freiheitspraler, welcher Freiheit bis zur Zügellosigkeit treibt, der Egoist, der es jederzeit mit der herrschenden Partie hält, der nützt, oder schadet, wie es sein Eigennutz fodert; der Freigeist, der unverschämt genug ist, dem Menschen das Urbild seiner Sittlichkeit zu entziehen, sich nichts, als allgemeine Verachtung zuziehen.

Ich schreibe für keine Partie, ich bin weder von Monarchen, noch von Republikanern gedungen, ich strebe nicht nach dem Beifall der Menge, überzeugt, wie wenig Selbstdenker es noch unter uns giebt. Ich habe den Beifall meines Herzens in dem Bewustsein aus keiner niedrigen Absicht geschrieben zu haben.

Die Gegenstände dieser Schrift werden jederzeit so gewählt werden, <4> daß der Leser Unterhaltung und Belehrung dann finde. Frei in den Schranken der Sittlichkeit und Wahrheit wird jederzeit mein Vortrag seyn. Ich werde das Laster, unter jeder Maske, die es annimt, aufdecken, mich aber dabei hüten, den Irrenden mit dem Lasterhaften zu verwechseln9; der Irrende verdient Schonung, er bleibt bei all seinen Irrthümern noch ein guter Mensch. Man überzeuge ihn, und er legt seinen Irrthum ab. Der Lasterhafte will das seyn, was er wirklich ist, und da sein Eigen-nutz doch fodert das Gegentheil zu scheinen, so giebt er seinem Laster den Anstrich der Tugend, gegen ihn hat die Menschheit, welche er angreift, kein anderes Vertheidigungsmittel, als den Bösewicht zu entlarven.

Man bestrafe ihn durch Publizität, stelle seine Verbrechen in ihrer ganzen Blöse dar, und die Ehre der Menschheit ist gerettet. – Nicht nach Handlungen, vielweniger nach Folgen von Handlungen dürfen Menschen gerichtet werden, nur die Absicht bei der Handlung macht sie verdienstlich, oder strafbar. Gäb es weniger Betrüger, und urtheilte die betrogene Menge weniger lieblos; die Welt müßte ein Paradies seyn.

J. B. Geich.10

<5>

Abbildung 1: Titelseite des ersten Heftes, in 8o

Aufklärung seiner selbst, und anderer ist allgemeine Menschenpflicht.

An den meisten Urtheilen der Menschen hat Leidenschaft mehr Antheil, als kalte Vernunft. Die meisten sind halb überdacht, und haben blos dunkle Begriffe zum Grunde. Daher kömmt es, daß die Menschen gewöhnlich auf Extreme loßgehen, und zween, die sich einander widersprechen, sehr oft eben viel Unrecht haben, indem sie sich gleich weit von der Wahrheit, deren Ziel nur ein Punkt ist, über den man beiderseits her sieht, entfernen. Man hat keinen festen Standpunkt, von dem man ausgeht, da man nur halb zu prüfen, und obenhin zu urtheilen gewohnt ist, so ist man meistentheils schon für seine Meinung voreingenommen, und entschlossen nicht nachzugeben, der Gegner mag Gründe aufbieten, wie er immer will.

So streitet man auch über Aufklärung. Es giebt Menschen, welche alle Aufklärung verdrängt wissen wollen, weil sie glauben, Aufklärung sey eine Quelle des Sittenverderbnißes. Es giebt andere, welche die Menschen mit Gewalt aufklären wollen; letztere sind selbst eben so wenig aufgeklärt, wie die erstern. Beide haben entweder gar keinen, oder einen irrigen Begriff von Aufklärung. Beide wollen etwas unmögliches, und beide würden die Menschheit <6> zu Grunde richten, wenn sie ihren Zweck erreichen könnten.

Aufklärung ist mehr nichts, als Selbstdenken. Jeder deutliche Begriff ist eine Staffel zu höherer Aufklärung; und welcher Mensch sollte sich nicht bestreben seine Begriffe so deutlich zu machen, als es ihm möglich ist? Je mehr der Mensch seinen Verstand ausbildet, desto mehr nähert er sich seinem Ebenbilde – der Gottheit, und wer wird sagen, es sey nicht Pflicht für den Menschen, daß er sich bestrebe Gott ähnlich zu werden? Nur in deutlichen Begriffen ist reine Wahrheit, in dunklen ist Irrthum mit Wahrheit verbunden; Selbstdenken ist also der einzige Weg um weniger zu irren, der Mensch, welcher nicht selbst denkt, wird oft Tugend für Laster und Laster für Tugend halten, jedes-mal, nachdem ihm die Sache aus diesen oder jenen Gesichtspunkte vorgestellt wird11. Ein solcher Mensch ist immer <7> immer nur Werkzeug in den Händen andrer, er hat keinen eignen Werth, er verfehlt den ganzen Zweck seines Daseins … Man sollte glauben, bei Betrachtung dieser Grundsätze, welche alle nichts als einleuchtende Wahrheiten sind, und welche doch auch jedem gesunden Menschenverstande ziemlich nahe liegen, könne es kaum noch Menschen geben, welche Aufklärung verdrängt wissen wollten12. Allein mancher glaubt, es sey für Religion gefährlich, wenn man Aufklärung befördere. O Brüder! die ihr in diesem Irrthume seyd, ihr verwechselt gewiß den Schein von Aufklärung, Schwärmerei und Atheism mit der wahren Aufklärung. Der wahrhaft Aufgeklärte ist kein Freigeist, kein Re-ligionsspötter, selbst, wenn von offenbahren Vorurtheilen und Mißbräuchen die Rede ist, wird er nie suchen zu erbittern, sondern nur zu belehren. Freilich wird der Mensch, der sich durch eigenes Bestreben ohne Mithülfe zum Selbstdenker bilden muß, oft straucheln, leicht möglich, daß er auch auf das entgegengesetzte Extrem verfällt. Er war abergläubig, und wird ungläubig. Allein was folgt hieraus? Anders nichts <8> nichts, als daß es immer noch traurig um die Menschheit aussieht, so lange die Erzieher des Menschengeschlechts keine solche Maximen befolgen, worin sie mit der keimenden Vernunft Schritt halten, so lange man derselben noch gar entgegen arbeitet, und das Ge-dächtniß des Kindes mit Mährchen und Lügen anfüllet, die es in der Folge als Jüngling bei eigenem Nachdenken einsieht, und oft samt den Wahrheiten verwirft, die man ihm zu gleicher Zeit, aber auch als bloses Gedächtnißwerk beigebracht. Hätte man zu dieser Zeit, wo man das Gedächtniß des Kindes bearbeitete, auch auf seinen Verstand zu wirken gesucht, so geschähe das alles nicht; an Selbstdenken gewöhnt, würde nun der Jüngling sich nicht oberflächlich über alles hermachen, er würde dasjenige, worüber er sich deutliche Begriffe verschaffte, öffentlich als seine Ueberzeugung bekennen, und wo er noch nicht zum deutlichen Begriffe hat kommen können, die Eingeschränktheit seiner Denkkraft, oder den Mangel hinreichenden Nachdenkens, nicht aber absolute Unmöglichkeit angeben. Der wahrhaft Aufgeklärte wird sich nie einfallen lassen, andere mit Gewalt aufklären zu wollen, er wird niemand seine Ueberzeugung aufdringen, denn er weiß, daß nur Vorstellungen, und auch diese nur dann die Denkart eines Menschen andern können, wo sie so dargestellt werden, daß sie sich an seine übrigen Begriffe <9> an-schliessen können. Er weiß, daß er sich in die Lage desjenigen denken muß, den er aufklären will, daß er, um gründlich zu belehren, ihm zuvor Anleitung zum Selbstdenken geben müße, daß man die Menschen von eingewurzelten und durch ihr Al-terthum ehrwürdig geworbenen Vorurtheilen [nicht] in einem Tage, nicht in einem halben Jahre heilen könne, daß nur Zeit und eigenes Nachdenken über das, was ihnen vorgetragen wird, im Stande sind, sie allgemach zu heilen. Der wahrhaft Aufgeklärte wird keinen Menschen darum verabscheuen, weil er nicht so denkt wie er, er wünscht, daß alle Menschen Selbdenker seyn möchten. Allein er versagt auch denjenigen seine Hochachtung nicht, die es nicht sind, wenn sie dieselbe anders durch ihr sittliches Betragen verdienen. Der wahrhaft Aufgeklärte wird bei den wichtigsten Begebenheiten seiner Zeit kein müßiger Zuschauer bleiben. Lebt er in Epochen großer Staatsumwälzungen, so sucht er nach Möglichkeit mitzuwirken, daß bei der neuen Einrichtung der Dinge auf die Rechte des Menschen mehr Rücksicht genommen werde, als vorher, macht er sich dadurch den reichern Theil der Gesellschaft zu Feinden, weil viele derselben auf Kosten der Unterdrückten das sind, was sie sind; rächen sich dieselbe auf eine Art, wie sie immer wollen, so tröstet ihn das Bewußtseyn, seine Pflicht gethan zu haben. Aufklärung muß vorzüglich <10> durch Erziehung13 befördert werde. Der Erzieher bewahre seinen Zögling vor Irrthümern und Vorurtheilen; er gebe ihm Sache, wo man ihm gewöhnlich nur Worte giebt; er lehre ihn denken, und die Pflicht seiner Ueberzeugung gemäs zu Handeln; er zwinge ihn nie zu irgend etwas durch Furcht oder Erwartung, und er hat den Grund zur wahren Aufklärung bei ihm gelegt, er hat sich um ihn verdient gemacht, und der Staat wird ihm einen seiner besten Bürger verdanken. Solch eine Aufklärung thut der Religion Jesu nicht den geringsten Abbruch, im Gegentheile, sie verhilft dem Kristentume zu seiner ursprünglichen Würde, und stellt selbes in seiner ersten Reinheit wieder dar, wo es nur eine Bruder-Familie14 war, wo man der Lehre Jesu zufolge unbedingte Rechtschaffenheit, uneigennützige Tugend als Pflicht anerkannte, wo man sich bestrebte vollkommen zu seyn, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist, wo man seine Feinde liebte, und seinen Verfolgern <11> Gutes that. Sagt Brüder, sind das nicht die Hauptgrundsätze des Kristenthums, sagt nicht Jesus selbst, daß hieran das ganze Gesätz hange? und ist es nicht blos Mangel an Aufklärung, daß der große Haufe der Kristen, so wie ehmal die Juden, diese erhabenste aller Menschenpflichten, für kleine Gebothe ansteht, und hingegen die Ceremonien, die zu nichts anders dienen sollten, als diese Pflichten zu versinnli-chen, und einem jeden recht rührend ans Herz zu legen, für Hauptsache des Kristenthums hält. Der Aufgeklärte sieht bei den religiösen Gebräuchen auf die Absicht, warum man sie einführte; er verachtet diese Gebräuche nicht, nur sieht er sie als Mittel zur Tugend an, wo der große Haufe sie für die Tugend selbst nimmt15. Eben so ist es mit all unsern Kenntnißen, mit all unsern Handlungen. Ich weiß nichts als dasjenige, worüber ich aufgeklärt bin; ich handle nicht als vernünftiges Wesen, es sei denn, daß ich über den <12> Zweck und die Mittel meiner Handlung aufgeklärt bin. Aufklärung ist fortschreitendes Selbstden-ken. Fortschreitung in Weisheit und Tugend ist Zweck unsers Daseins. Es ist also Pflicht für jedes vernünftige Wesen nach Aufklärung zu streben, und dieselbe nach seinen Kräften andern mitzutheilen. Nur suche man nicht mit Sturm aufzuklären, nur entehre man den Namen Aufklärung nicht durch Herabwürdi-gung von Religion und Sittlichkeit! Man bemühe sich seine Begriffe an die Begriffe der Schwächern anzuschließen, man schone die unschädlichen Vorurtheile, um die schädlichen desto leichter wegräumen zu können, man suche denjenigen, den man aufklären will, zuvor zum sittlich guten Menschen zu machen; man befördere Aufklärung durch Erziehung, und ich bin versichert, daß die ganze Menschheit dadurch gewinnet. Brüder! die ihr die Aufklärung verdrängt wissen wolltet, ich hoffe zu einer solchen Aufklärung, wodurch Religion und Sittlichkeit gewinnet, werdet ihr mit mir einstimmen, und das ist doch die einzig wahre, die nicht leicht einem Menschen ihre Achtung versagt, weil sie in ihm die Menschenwürde so lange ehret, als sein ganzer moralischer Karakter noch nicht verdorben ist, und dies ist ein äußerst seltener Fall.

Wir wollen uns also in dem Grundsatze vereinigen: wahre Aufklärung zu befördern ist Pflicht eines <13> jeden Menschen, und dies geschieht anders nicht, als durch deutliche Darstellung derjenigen Wahrheiten, worüber man andere belehren will. Diese Pflicht sei uns allen heilig. Wenn wir gemeinschaftlich zu einem Zwecke hinarbeiten, so sind wir gewiß, daß wir denselben nicht verfehlen.

Geich.

Ueber den Ursprung des Kristenthums.

Das Kristenthum entstand in einem Zeitpunkte, wo der gröbste sinnliche Aberglaube einen allgemeinen Verfall der Sitten nach sich gezogen hatte, jüdische und heidnische Pharisäer hatten für das Laster ein Gewand von Tugend erkünstelt, und durch einen Schein erborgter Rechtschaffenheit sich ein übermenschliches Ansehen zu verschaffen gewußt. Verdrängung der Sittenlehre und Gewöhnung des Volkes an das Wunderbare waren vorzüglich die Mittel, wodurch sie ihre Allgewalt begründet hatten.

Der Stifter des Kristenthums entlarvte diese Betrüger, lehrte die reinste Sittenlehre, und stiftete eine Gesellschaft beße-rer Menschen, die sich verpflichteten, den Aberglauben zu bestreiten, die Menschheit aufzuklären, und durch Wachsthum an Einsicht und Tugend zu veredeln. <14> Wirklich bestand unter den ersten Kristen eine Verbrüderung, ganz für den edlen Zweck der Weisheit und Tugend. Sie bildeten sich gemeinschaftlich, einer war dem andern Lehrer und Muster. Es herrschte unter ihnen die vollkommenste Gleichheit; der Einsichtvolleste und Tugendhafteste, mithin der Größte unter ihnen betrachtete sich wie den geringsten16. Sie waren alle ein Herz und eine Seele. Sie aßen an einem gemeinschaftlichen Tische, theilten alles, was sie besaßen, miteinander, und bestrebten sich, so ganz in die ehrwürdigen Fußstapfen ihres großen Meisters einzutreten. Sie lebten nicht blos für ihren kleinen Zirkel, die Welt sollte der Schauplatz ihrer Tugend werden; in ihren Versammlungen bildeten sie sich zu würdigen Erziehern ihrer Brüder.

Dieses Kristenthum war wirklich die göttlichste Anstalt zur allgemeinen Menschen Erziehung, und die Epoche, wo es allgemein geworden wäre, war das goldene Zeitalter für die Menschheit gewesen. Allein Menschen, die aus eigennützigen Absichten in die Gesellschaft der Kristen getreten waren, legten der fortschreitenden Menschenkultur bald eine Menge Hinder-niße in den Weg. Die Judenkristen m Rom, welche das Vorurtheil von einem Partikulargott ihrer <15> Nazion noch nicht abgelebt hatten, glaubten jetzt um so mehr berechtiget zu seyn, sich den Gesätzen der Römer, die sie als Heiden verachteten, zu entziehen17. In der Gemeinde von Korinth gab es bald ehrsüchtige Menschen, die sich persönliche Vorzüge anmaßeten, und zu diesem Ende die Lehren ihres Meisters zu verdrehen suchten: kein Wunder, wenn nun die Heiden anfiengen, auf die Handlungen der Kristen aufmerksam zu werden, und da sie die schlechten Handlungen von vielen als Folgen ihrer Grundsätzen ansahen, die ganze Gesellschaft zu verfolgen. Nun zeigte sich‘s offenbar, wie Wahrheit durch Widersprüche einleuchtender, und Tugend unter Verfolgung erhabener wird. Die Helden des Kristen-thums hielten die Feuerprobe aus. Beispiellos war die Unerschrockenheit, mit der man einen Paulus dem römischen Landpfleger Festus Wahrheiten sagen hörte, die Männer dieser Art gar nicht zu hören gewohnt sind; beschämend für den Tirannen Roms war der Heldenmuth dieses großen Weisen, da er als Opfer seiner unerschütterlichen Wahrheitsliebe, unter dem Mordbeile dahin sank. –

Die Fortsetzung folgt.

<16>

Erziehung.

In einigen aufeinander folgenden Blättern dieser Zeitschrift werde ich Bemerkungen über die Erziehung überhaupt, und das in dem Projekte der französischen Konstituzion dargelegte öffentliche Erziehungsgeschäft mittheilen. Das was ich in jedem Blatte einrücke, wird immer wenig Raum einnehmen, nicht um den Leser in den Stand zu setzen, über das gesagte gehörig nachzudenken, sondern damit die Stelle, wo etwas beßeres stehen könnte, wenigstens klein genug sey, um den Vorwurf einer zeitverderbenden Unterhaltung doch nicht ganz zu verdienen.

Meine Betrachtungen hängen freilich mit dem, wohin jetzt die allgemeine Spannung gerichtet ist, nicht zusammen. Die Menschheit will Versöhnung, sie hat lange genug gelitten; ob aber ihr Einfluß auf die Herzen der Menschen, welche an der Spitze stehen, und Europa den Frieden geben können, wichtig genug sey, kann freilich nicht bewiesen, doch gehoft werden. Die Philosophie bestehlt auch im Leiden vernünftig, das heißt ge-sätzmäßig zu handeln, und wenn es wahr ist, daß Elend Leidenschaft erzeugt, die es noch mehr erhöhet, so ist es Pflicht eines jeden Redlichen, sie doch für gewisse Zeitpunkte zu dämpfen, zu zeigen, daß es auch beim <17> Kampfe der Menschheit noch Pflichten giebt, die erfüllt werden müßen. Dass Erziehungsgeschäft gehört in einem vorzüglichen Grade hieher. Wenn auch die Reibung der Völker, der Streit um Kronen, wovon doch keine Maaßstab für den Werth des menschlichen Lebens seyn kann, noch viel schrecklicher wäre, als sie ist, und in den vorigen Jahrhunderten war, so wird doch das Daseyn des menschlichen Geschlechts nie verschwinden. Die, welche diese Explosion überleben, sollen durch edle Handlungen die Menschheit wieder versöhnen, dem folgenden Jahrhunderte darthun, daß sich der Mensch durch Leidenschaft zwar erniedrigt habe, der moralischen Freiheit, der Sittlichkeit, und der Vernunft doch würdig sey. Die Jugend ist das Band zwischen uns und der künftigen Generation; ihre Moralität hängt auch vom Werthe der erstern, also von der Erziehung, die wir ihr geben, ab. Wer noch nicht so weit gekommen ist, ewige und unzertrennbare Verbindung im menschlichen Geschlechte anzunehmen, wer es nicht begreifen kann, daß Veredlung des Menschen, Absicht der Vorsehung sey, jedes Jahrhundert in der Geschichte der Menschheit Keime der Kultur aller folgenden enthalte, der betrachte wenigstens den Zusammenhang zwischen Vater und Kind, und folgere daraus dessen Recht auf eine moralische Bildung; auch so wird er beitragen, daß sich der Mensch seinem zu erreichenden <18> Ziele nähere. Die öffentlichen Schulen sind verschlossen, die Lehrer des Volkes darben, und die Musen sind verschwunden; nur die häusliche Erziehung ist das Rettungsmittel. O so laßt sie euch, ihr Hausväter, doch izt auf‘s äußerste angelegen seyn! betrachtet die Revolutionen voriger Zeiten; alle waren sie schrecklich, mehrere bei weitem verheerender, und alle sind vorübergezogen. Flößt euren Kindern nicht Haß gegen Nazionen, sondern gegen Laster ein, bildet den Geist eurer Kinder, und lehret sie dem Ge-sätze der Vernunft gehorchen; befördert aber nicht durch Nachsicht Gesetzlosigkeit, ihr ernährt dadurch den Keim künftiger Menschenverheerungen. Macht eure Söhne mit der Geschichte bekannt, ihr könnt ihnen sagen: groß und mannigfaltig ist izt das Leiden auf der Erde, aber sagt ihnen auch, das menschliche Geschlecht habe noch viel allgemeinere und zerstörendere überlebt. Zeigt ihnen nicht grade den Mann, der nach eurer Meinung ein Schurke ist; aber erzählt ihnen die Handlung. Mit eurer Vernunft zeigt das schändliche, und schärft so das moralische Gefühl. Hört nicht auf, das Herz eurer Töchter zu bilden, erweckt in ihnen ungekünstelten Hang zur Tugend; denn die Natur selbst hat diesem Theile des menschlichen Geschlechts die erste Bildung des moralischen Karakters anvertraut. Seyd immer, wenigstens praktische Philosophen, und hängt nicht von <19> augenblicklichen Umständen ab, laßt die Vernunft immer die Basis eurer Handlungen seyn, und verliert nie den Grundsatz, welchen die Geschichte der Menschheit lehrt, daß, so lange sie reicht, das itzige Zeitalter den vorhergehenden in Rücksicht der edlen Kultur nicht nachstehe; haßt daher das Laster, wo ihr es findet, vergeßt aber darüber nicht, so viel ihr könnt, beizutragen, um seine bösen Folgen zu mildern. So was ist euch möglich, weil ihr Hausväter seyd, weil die Pflicht der Erziehung dahin leitet. – Ich bemerke, daß mein erster Aufsatz schon weitläuftiger wird, als ich wünschte, und Dinge enthält, die nicht hieher zu gehören scheinen; doch, da der Herausgeber Aufsätze über die Erziehung einzurücken anzeigte, so mag er als Einleitung stehen bleiben; da er auch zum Theil meine Gründe für die Wichtigkeit der Erziehung, wo ich nur Rücksicht auf die Bildung des Geistes nehme, enthält.

Z[ulehner]18

{Die Fortsetzung folgt.}

<20>

Geschichte der Schreckenszenen zu Paris in den ersten Tagen des Monats Prai-rial im Jahre III.19

In einem Lande, wo eine mittelmäßige Aerndte für zwei Jahre hinreicht, sah man drei Jahre nacheinander Ueberfluß wachsen, bei anderthalbe Million Menschen waren abwesend, und doch herrschte immer Theurung und Hungersnoth!!

In der Hauptstadt sah man in allen Strassen das kläglichste Gewimmer von Weibern und Kindern, die um Brod schrien, an denen der mit Pasteten gefütterte Reiche ohne Rührung vorbeihüpfte, und des öffentlichen Elendes durch seinen Luxus nur zu spotten schien.

In einem Zeitpunkte, wo man das Pfund Brod bei einem Pariser Gastgeber zu 15 Livres zahlte, schaffte die Regierung