Böse auch nach dem Tod - Stephan-Harald Voigt - E-Book

Böse auch nach dem Tod E-Book

Stephan-Harald Voigt

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Beschreibung

In einem Waldgebiet bei Offenbach wird die brutal zugerichtete Leiche eines Jägers gefunden. Der Schädel des Opfers ist bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert, eine Hand fehlt, daneben eine tote Katze und eine Nachricht: „Impfdiktatur“. Die LKA-Beamtin Alice Stech wird gemeinsam mit ihrem Kollegen Peter Vogel vom KK11 auf den Fall angesetzt. Beide ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie es mit einem gefährlichen Serientäter zu tun haben, denn Gerald Winter hat nicht nur den Jäger auf dem Gewissen, er hat schon reichlich andere Souvenirs gesammelt. Darunter auch seine Oma, die er in einem Fass im Keller konserviert hat und die von dort aus zu ihm spricht. Die Stimmen in seinem Kopf machen ihn im Corona-Sommer 2020 zum radikalen Impfgegner und geben ihm Anweisungen auf seinem blutigen und grausamen Weg. Als die Ermittlerin Stech bald selbst in den Fokus des Psychopathen gerät, droht die Situation zu eskalieren, denn Gerald Winter ist fest entschlossen, seine Braut zu sich nach Hause zu holen. Es ist das Psychogramm eines Mörders, das diesen Thriller so gewaltig macht und dem Leser keine Pause lässt – ein wahrer Pageturner.

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Anmerkung des Autors:

Die Geschichte und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mit realen Personen sind rein zufällig und nicht gewollt. Alle Texte und Bilder des Buches sind urheberrechtlich geschütztes Material und ohne explizite Erlaubnis des Urhebers, Rechteinhabers und Herausgebers für Dritte nicht nutzbar.

Über den Autor:

Der 1959 in Offenbach am Main geborene Voigt lebt seit seiner Geburt in Hessen, ist ein ehemaliger Polizeibeamter, der fünfundzwanzig Jahre für die Europäische Union gearbeitet hat.

Voigt legt viel Wert auf sachliche Recherche zu den Plots und schöpft bei täglichen Spaziergängen in der heimischen Natur Kraft die Akkus aufzuladen und erlangt kreative Ideen, die seine fiktiven Protagonisten handeln lassen.

Inhalt

Prolog

Teil 1 – Die Endlosschleife

Teil 2 – KK11 Mordermittlung

Ende

Prolog

Das Böse löst Unbehagen und Angst aus.

Zielstrebigkeit und Courage machen Hoffnung, das Böse zu besiegen!

Gerald Winter leidet an einer schweren psychiatrischen Erkrankung. Die grausamen Morde lassen dem Täter keine Ruhe. Der Psychopath nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise in die Dunkelheit und die Abgründe der menschlichen Psyche. Geräusche, wo keine sind, Stimmen, Wahnvorstellungen und hässliche Albträume. Er ist schizophren, das führt zu Veränderungen in seiner Wahrnehmung und macht es ihm nicht möglich, rational zu denken.

Fünfundzwanzig Jahre nachdem er zwei junge Frauen brutal ermordet hat, geht es wieder los. Die Stimme in seinem Kopf hat ihm gesagt: DU BIST DER BLUTIGE METZGER!

Realität, Wahn, Halluzination, Albträume und Normalität vermischen sich in seinem Kopf.

Im Juli 2018 ermordet er einen Dämon in Gestalt seiner Oma und lebt in der ausweglosen Endlosschleife.

Begünstigt durch die Coronapandemie entwickelt Winter gewaltbereite Fantasien und erschlägt im Offenbacher Stadtwald einen Jäger, trennt die rechte Hand des Opfers ab und nimmt das Souvenir mit nach Hause.

Dort geistert die tote Oma herum und formt ihn geschickt zum radikalen Impfgegner.

Gerald verliebt sich auf Anhieb in die junge Kriminalpolizistin, wie sie ihn auf einer Pressekonferenz aus dem Fernseher anlächelt und als er sie aus einem Versteck im Wald beobachtet. Er will die Puppe heimholen und Spaß haben!

Das Böse ist nicht greifbar, bis die junge Kriminalbeamtin und Fallanalytikerin Alice Stech vom Landeskriminalamt Hessen ermittelt und wie in einem Puzzlespiel ein Teil mit dem anderen zusammenfügt.

Die symphytische Kriminalpolizistin begibt sich auf die Jagd nach dem Mörder. Das führt sie siebenundzwanzig Jahre in die Vergangenheit zurück.

Die Ermittlerin sieht in dem grauenvollen Mordfall im Offenbacher Wald Parallelen zu zwei unaufgeklärten Kriminalfällen.

Cold Cases, die mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegen. Der Mord an der Prostituierten Danuta Kaminski in Frankfurt und der Vermisstenfall der Studentin Gerda Schuler in Offenbach. Wie im aktuellen Mordfall gibt es Hinweise auf einen »Mann mit Hund- und Wolfsmaske auf dem Kopf!« Bei ihrem Ermittlungsansatz stößt sie bisweilen auch auf Kritik und Unverständnis bei der Polizei. Doch sie gibt nicht auf und arbeitet beharrlich daran, dass sich der Mörder nicht sicher fühlen kann.

Wann schlägt der brutale Mörder wieder zu?

Dabei gerät sie selbst in den Fokus und die Begierde des psychopatischen Mörders.

Die Jägerin, die telepathisches und übernatürliches Verständnis aufweist, wird selbst zur Gejagten, nicht nur in ihren Albträumen!

»Diejenigen, die der Hölle

irgendwie entkommen sind,

sprechen nie

darüber

und danach

berührt sie

kaum noch etwas.«

Charles Bukowski

Teil 1 – Die Endlosschleife

Ende Januar spricht man in Deutschland von einem Himmelsspektakel. »Super-, Blau- und Blut-Mond« bringen Mondsüchtige, Hexen, Werwölfe und eben Menschen wie Gerald Winter in Wallung. Gerald sitzt nachts im Garten und starrt den Mond an. Sonne, Erde und Mond stehen in einer Konstellation zueinander, die Erde schiebt sich in eine gerade Linie zwischen dem Mond und der Sonne. Aufgrund des fehlenden Sonnenlichts verdunkelt sich der Blick auf den Mond. Der Mond scheint roter als sonst, da das Sonnenlicht gebrochen wird. Gerald mag die Dunkelheit, manchmal hat er Wahnvorstellungen und halluziniert. Und er hat einen fürchterlichen Plan!

DEINE OMA IST EIN DÄMON. TÖTE IHN!, sagt die Stimme in seinem Kopf und redet pausenlos auf ihn ein. Gerald kriegt sie nicht los. »Lass mich doch endlich in Ruhe.«

»Mit wem redest du?«, fragt Erika Winter ihren Enkel. »Mit niemand!«

Er nickt unaufhaltsam mit dem Kopf zum Fernseher und die Stimme erklärt ihm, dass die Alte ein gefährlicher Dämon ist und sich nur als Oma verkleidet hat.

Oma hält ihrem betrunkenen Enkel eine Standpauke. Er soll mit dem Saufen aufhören, arbeiten und ihr zu Hause mehr zur Hand gehen. »Ich bin alt,« sagt sie und wischt sich den Schweiß mit einem Handtuch vom Kopf.

Gerald schüttet sich den Wodka ins Glas. Er guckt einen Horrorfilm auf einem Streaming- Dienst. Seit Wochen trägt er dieselbe Kleidung, das weiße Unterhemd ist gelb durchgeschwitzt.

Oma schaut ihn mahnend an, aber er furzt auf sie und auf die Ledercouch. Erika geht in ihr Zimmer im ersten Stock.

Einige Stunden später hört sie undeutliches Gemurmel aus dem Wohnzimmer und Erika schleicht zum Flur.

»Das tue ich nicht!« Sie lauscht am Treppenabsatz und schüttelt den Kopf. Das nimmt ein schlimmes Ende mit dem dummen Buben, denkt sie, als sie sich ihren schmutzigen Enkel anschaut.

DER DÄMON WIRD DICH INS LOCH STECKEN. Gerald schreit: »Geh weg, lasse mich in Ruhe!« ABER DU WILLST DOCH NICHT INS LOCH! Erika Winter ist verunsichert. »Mit wem redest du?« Sie ist entsetzt, dass er wieder so betrunken ist, nimmt ihm die Flasche Wodka aus der Hand und geht in die Küche. Er folgt ihr missmutig. »Du stinkst!«, und er rülpst in ihre Richtung. »Du bist so dreckig, Gerald.«

Gut, weil du Alte meine Unterhose nicht mehr wäschst, und er lacht.

Der Brathering und das Bier dünsten in einer kleinen Wolke aus seinem Mund und überlagern den süßlich-schweißigen Körpergeruch für einen Moment.

»Ich stecke dich ins Loch. Oder besser, ich schmeiß dich aus meinem Haus!«

Gerald grinst, rülpst und furzt sie an. Diese alte Bitch. Oma nervt und stört unentwegt. Deshalb hat sich bestimmt der Opa aus der Welt geschafft. Sie lässt ihm keine Zeit, diese Überlegung näher zu beleuchten und fragt ihn, ob er die Medizin von der Frau Doktor regelmäßig einnimmt. Er lacht nur gehässig. Richtig eingestellt ist die Medizin schon lange nicht mehr, seine Krankheit gewinnt die Oberhand und die Stimme in seinem Kopf kichert und hat Redefreiheit.

»Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?«

Und ob er das hat, auch die Frage nach den Psychopharmaka.

»Und diesen stinkenden Hund schaffst du gleich morgen früh weg!« Dann knallt es in seinem Kopf. »Ins Tierheim!« Jetzt knallt es ganz laut und er hört die Explosionen näherkommen.

WEHR DICH ENDLICH, LOSER!, sagt die Stimme in seinem Kopf. Er nickt. DU SCHMEISST DAS ALTE DRECKSTÜCK EINFACH WEG!

Angeleitet durch die Stimme, den Wahn im Kopf, die nervende Oma, benebelt vom Alkohol und dem schwülen heißen Wetter packt er die gebrechliche Frau an den Schultern und rüttelt sie durch, dass Omas Gebiss im Mund verrutscht.

Was für ein jammervoller Anblick, und vor der habe ich Angst?

In seinem Kopf ertönt ein hämisches Lachen. WIE DAS LUDER AUSSIEHT, GUCK SIE DIR DOCH MAL AN, DIE ALTE! SO EIN HÄSSLICHER ZWERG.

Gerald lacht. Die sieht echt komisch aus!

UND MACH ES DIESES MAL RICHTIG, DU NICHTSNUTZ! fordert ihn die Stimme auf. Da schüttelt er die Alte noch gewalttätiger, als wollte er sich einen Cocktail mixen. Als die hölzerne Haarspange von ihrem Kopf springt, lässt er los. Dann sieht er sein Werk und ungläubig nickt er mit dem Kopf hin und her. Es ist doch Oma! Gerald ist in der Realität angekommen.

Voller Wut hebt er die Fliederholzhaarspange auf und legt den Haarschmuck widerwillig auf den Tisch.

»Du stinkender fauler Sack, hast mir wehgetan!«

DAS IST EIN DÄMON MIT STRAHLENAUGEN, DER SICH ALS OMA VERKLEIDET! Gerald traut sich nicht mehr, der Oma in die Augen zu gucken.

»Schau mich an, du Hurensohn, genauso eine Ratte, wie deine Mutter eine gewesen ist!« brüllt Erika und die Granaten treffen seinen Kopf, dass selbst seine Halluzination für einen Augenblick verfliegt und die böse Stimme ihre Klappe hält.

Die alte Frau landet unsanft auf dem Fliesenboden.

»Tut mir leid, Hexe. Und der Hund bleibt!«

Oma erklärt ihm, dass er auf sie hören soll, sonst schmeißt sie ihn raus. »Ich habe dich doch großgezogen!«

HÖR DER ALTEN GAR NICHT ZU!

Oma redet weiter und fragt ihn: »Willst du mich erschlagen, wie du das junge Ding totgeschlagen hast?« DAS WAR EINE PARTY, lästert die Stimme in Geralds Kopf, der verwirrt auf die Oma schaut. Die Stimme bläst wie ein Blasebalg. Die ersten Mordfunken erstarken in seinem Kopf.

DIE ALTE HAT DIR DABEI ZUGESCHAUT, WIE DU DIE LEICHE IM GARTEN VERGRABEN HAST! Gerald schwitzt.

Wahrscheinlich hat sie deswegen nie von den Tomaten gegessen, die er im Gemüsehochbeet auf dem Ding gezogen hat!

GUTEN TAG, HERR WINTER, WIR SIND VON DER KRIMINALPOLIZEI UND NEHMEN SIE FEST. Die Stimme will ihn aufheitern und endet mit einem boshaften Lachen. Er lächelt, nein in den Knast gehe ich nicht. Die Albträume reichen ihm vollends.

WEHR DICH UND SEI EIN MANN. STOPF DER HEXE DAS MAUL, DANN KOMMST DU AUCH NICHT IN DEN KNAST!

Diese böse alte Hexe hat mich beim Vergraben der Gerda beobachtet! Gerald hasst Oma umso mehr.

BEENDE DAS HIER UND JETZT!, sagt die Stimme in seinem Kopf. »Jetzt!«, sagt Gerald.

Erika Winter grinst den betrunkenen und wütenden Enkel an, nicht ahnend, dass der sich mit den wahnsinnigen Befehlen in seinem Kopf auseinandersetzt und kurz davorsteht, seine Mordgedanken in die Tat umzusetzen. Den Blick in seinen Augen erkennt sie nicht.

Die heißen Funken haben das Anmachhölzchen befeuert.

HAU DIE ALTE WEG UND DANN IST ES VORBEI! Gehässiges Lachen in seinem Kopf. Das kleine Mord-Feuerchen knistert unaufhaltsam.

Er wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß aus dem Gesicht. »Morgen gehe ich zur Polizei und sage aus!« Sie erinnert ihn daran, dass er die junge Frau am 6. Juli 1993 getötet hat.

»An meinem Geburtstag hast du die junge Frau ermordet!« Und der Alten habe ich noch einen Strauß Blumen zum Geburtstag auf den Tisch gestellt, bevor ich in den Wald gefahren bin. Er nickt und Oma sagt zu ihm: »Ich bin doch nicht vergesslich!«

ODER REIF FÜRS JENSEITS, flüstert die Stimme.

»Geh weg, verschwinde!« Gerald läuft ziellos im Zimmer auf und ab, bleibt dann ruckartig stehen und bewegt den Kopf hin und her. Erst langsam und dann ganz schnell, damit der Speicherplatz in seinem Gedächtnis aktiviert wird.

Diese hübsche Blonde macht mich im Wald an, fährt mit mir nach Hause und dann kreischt die blöde Kuh einfach los! Ja, irgendwie hat er das verdrängt, von den Tomaten hat er oft eine gepflückt und mit einem Butterbrot gegessen.

Oma wiederholt indes ihre Drohung. »Morgen melde ich das!« Gerald schüttelt den Kopf.

DANN SPERREN DIE DICH WEG. RATSCH, SITZT DIE HANDSCHELLE FEST!« Die Stimme in seinem Kopf spornt ihn an.

Das tut die Alte nicht, die geht nicht zu den Bullen! MUSST SCHNELLER SEIN!

Gerald weint und sieht für einen langen Moment Dinge, die nicht real sind. Die Wand bewegt sich nach innen, aus den Fenstern quillt Blut und läuft über die Fensterbank herunter, im Tierheim kriegt der Hund eine Giftspritze, denn er frisst zu viel, aus der Küchendecke bröckelt der Putz und die Wurzeln des Gummibaumes ragen in die Luft. Danuta und Gerda, die er 1993 ermordet hat, sitzen am Küchentisch, riechen vermodert und faulig und sehen überhaupt nicht mehr hübsch aus. Angewidert schüttelt er den Kopf.

ERSCHLAG SIE, UND DIE IST NICHT DEINE OMA, DAS IST EIN BÖSER DÄMON!

Gerald summt wie eine Biene, eigentlich wie ein ganzer Bienenschwarm, der sich sammelt, er und die Stimme, immer lauter.

»Du Versager, ich weiß alles über dich! Aufgepasst, Fräulein. Ich weiß alles über dein verpfuschtes Leben, du Mörder!« sagt Oma zu ihm.

Er versucht, sich zu beherrschen.

Doch das Feuer in seinem Kopf brennt lichterloh und sein Geisteszustand ist auf dem Tiefpunkt.

DU MUSST IHN VERNICHTEN. UMBRINGEN – TÖTE IHN!

Gerald schaut in die leuchtenden roten Augen. Das Böse vor ihm hüpft mit einem Gegenstand in der Hand wild hin und her. Er fixiert den Dämon und sieht nicht seine Oma, die mit der Flasche in der Hand vor ihm steht.

Oma weint jetzt und hat Angst, denn sie sieht den finsteren Blick in den Augen ihres Enkels. Die Wodkaflasche rollt unter den Tisch. Ein beklemmendes und eiskaltes Gefühl. Hellwach, sein Kopf arbeitet auf Hochtouren. Ein Gewitter im Gehirn, es blitzt, kracht und donnert. Er will die Situation kontrollieren und der Oma entfliehen, um endlich frei zu sein. »Du kleiner Hurensohn! Du tust mir doch nichts.« Oma liest seine Gedanken! Aber nun will er sie loswerden!

Gleichzeitig schreit die Stimme: ELENDER VERSAGER, TUE ES ENDLICH! Das Kribbeln in seinen Gliedmaßen und das Brennen auf der Haut nimmt zu. In den Ohren piept es. Als würden tausende Ameisen ihr Gift auf ihn spritzen, schreit Gerald immer lauter. Er ist im Panikmodus und der Killerbienenschwarm dreht aggressiv brummend die letzte warnende Runde vor dem Angriff. »Hurensohn, deine Mutter war eine Schlampe! Genauso eine wie die kleine Hure, die du aus Frankfurt umgebracht hast!

Und dann ist der Bub, reumütig und verlaust, wieder ins Kinderzimmer eingezogen!«, erklärt ihm die Oma.

Dass ich die Hure ermordet habe, weiß sie also auch!

DER DÄMON WILL DICH INS LOCH SPERREN!, sagt die Stimme in seinem Kopf.

Wie die Oma wohl aussieht, wenn ich ihr den Kopf einschlage?

Gerald blickt auf den Dämon oder ist das die Oma, und das Gedankenkarussell dreht sich in seinem Kopf. Die Oma ein Dämon, seine Mutter eine Hure, wie wohl sein Vater ausgesehen hat?

»Hast der Nutte einen Finger abgeschnitten und versteckt!«, sind Omas letzte Worte. »Ja!« sagt Gerald.

Dich verstecke ich auch, denkt er. ENDLICH!, lobt ihn die Stimme.

Er zittert vor Erregung, sein Stolz ist gekränkt und er hat das Böse im Kopf. Sein Blick streift den gusseisernen Fleischklopfer, der an der Wand neben der Spüle hängt.

DER TOD IST BEI DIR, GANZ NAH. HIER!, sagt die Stimme und lacht. TÖTE DEN HÄSSLICHEN KLEINEN DÄMON, DIESEN ZWERG, SONST SPERREN DIE DICH WEG. GUTEN TAG, WIR SIND VON DER KRIPO UND NEHMEN SIE VORLÄUFIG FEST. Die Stimme lacht fies.

Gerald will nicht ins Gefängnis eingesperrt werden und hat Angst. Schau ihm nicht in die Augen, das sind Laserstrahlen! Er zittert, schwitzt vor Angst und weiß, dass nur Omas Tod verhindert, dass er nicht durch die Leuchtkraft der Augen verletzt wird. BEFREIE DICH! In Gedanken sitzt er auf einem Kinderkarussell auf dem Motorrad. Das beruhigt ihn. Beim Rundendrehen weiß er nun, was zu tun ist. Die Schlussrunde!

Das Feuer brennt jetzt lichterloh, und die Oma mit den bösen Strahlenaugen glotzt ihn an. Jetzt übernimmt die Stimme in seinem Kopf das Kommando. DER WILL DICH VERGLÜHEN!

Gerald fürchtet sich noch mehr, und Angst macht Menschen gefährlich. Hätte er sich im Spiegel betrachten können, würde er einen durchgeknallten Krawallmacher im bittergelb durchgeschwitzten Unterhemd sehen, der schreit und tobt.

Ein Mordgeschrei. Angriffsschweißgeruch liegt in der Luft und Erika Winter weiß nicht, dass sie bald nichts mehr weiß.

Der Bienenschwarm formiert sich, steht in einer dunklen Wolke und geht zum Angriff über. Gerald greift selbstsüchtig nach dem gusseisernen Fleischklopfer, der an der Wand hängt, und schaut auf die Oma, die vor Angst zitternd auf dem Küchenboden hockt und weint. Doch er sieht nur den hässlichen bösen Dämon mit den gefährlichen Leuchtaugen.

Ein Windhauch lässt das Feuer springen und der Bienenschwarm sticht unaufhaltsam zu. Wie in Ektase, einmal, zweimal und noch einmal schlägt er schreiend mit dem Fleischklopfer auf Omas Kopf.

Ein Geräusch, als würde eine Melone auf den Boden fallen und zerplatzen. Die Stimme singt: THE KILLER AWOKE BEFORE DAWN AND GRANDMOTHER I WANT TO KILL YOU AT THE POINT OF DEATH. THE PAIN IS OVER! Gerald ist nassgeschwitzt und trinkt Wodka aus der Flasche, während sein Blick auf dem zertrümmerten Kopf seiner Oma ruht. Der Schnaps schmeckt. Aus Omas Kopf quillt blutige Gehirnmasse hervor und es sprudelt ein kleines Rinnsal Blut. Das gefällt ihm. Das Böse hat gewonnen. Hämisches Gelächter in seinem Kopf. PLATSCH, PLUMPS, PLATSCH und GLÜCKWUNSCH sagt die Stimme. DU HAST DAS UNGEHEUER GETÖTET, SIEHST DU, DIE BÖSEN AUGEN SIND JETZT KEINE GEFAHR MEHR! Das Leuchten ist weg! Das furchterregende Summen der Bienen verhalt und die Killerbienen fliegen als schwarzer Fleck davon. Die filterlose Zigarette aus der blauen Packung schmeckt trotz der Schweinerei auf dem Küchenboden. Es riecht nach Eisen und Kupfer. Erika Winter liegt mit eingeschlagenem Schädel auf den Fliesen und Geralds Adrenalinspiegel sinkt langsam wieder. Er braucht einen Moment, um zu realisieren, was er gerade getan hat.

Alles voller Blut und Hirn, wie das aussieht!

Eine Fliege landet auf der toten Oma.

Jetzt bist du endlich ruhig, lässt mich in Ruhe und schlägst mich nicht mehr mit dem Lederriemen und sperrst mich nicht mehr ins Loch! Ein verwegenes Lächeln huscht über seine Lippen. Endlich weniger müssen – müssen! In seinem Kopf dröhnt es vor Lachen und er lacht einfach mit. Das passt schon!

Der Mörder ist froh, dass er es der Alten so richtig gezeigt und wie ein Mann gehandelt hat. Ein Leben lang hat sie ihn drangsaliert, aber das ist jetzt vorbei!

Nicht mehr mit dem Rücken an der Wand.

Dafür ist ihr Blut auf seiner Kleidung. Er drückt die Zigarette im Aschenbecher aus, geht in den Garten. Der Hund darf heute in den Garten kacken.

Die Küche macht er morgen sauber.

HAST DU GUT GEMACHT, GERALD!, sagt die Stimme. DAS MÜSSEN WIR FEIERN, WIR BESAUFEN UNS! ES IST VORBEI.

Noch eine Fliege landet auf Omas Kopf. »Surr, surr, summ, die Fliege brummt herum!«, amüsiert sich die singende Stimme. Oma liegt tot auf dem Boden und der Fleischklopfer hängt wieder ordentlich an den Wandfliesen am Haken neben den restlichen antiquierten Küchenwerkzeugen.

Du hast die Oma mit dem Schalter ausgeschaltet, denkt er und geht in den Garten.

Der große irische Wolfshund hockt bei ihm unter der Veranda und Gerald streichelt das gehorsame Tier.

Hier unter dem Pflanzendach ist die Luft angenehm kühl und hier hat er vor fünfundzwanzig Jahren mit der jungen Frau getrunken und Joints geraucht. Die Hübsche hatte ich längst im Visier! Oft hat er das Mädchen auf dem Fahrrad im Wald aus seinem Versteck heraus beobachtet.

Immer dann, wenn die kleine Studentin auf ihrem Fahrrad von der Waldgaststätte »Zum Auerhahn« nach Hause geradelt ist.

Am 6. Juli 1993, Omas Geburtstag, setzte er sich auf eine Bank am Waldweg und Gerda Schuler stoppte, der Hund, dieser schöne große pechschwarze Dobermann, gefiel ihr. »Monster« war ein geiles Vieh!

Die hat mich doch angemacht und wollte mit zu mir.

Unter der Veranda haben sie geknutscht, Wein getrunken und einen Joint geraucht. Die hat sogar vor mir auf den Rasen gepinkelt, doch als er sie im Schritt angefasst hat, da hat die blöde Kuh ganz laut gebrüllt. Mitten in der Nacht herumgebrüllt, obwohl ihr Höschen ganz nass war! Ich wollte nicht, dass die Meiers etwas von dem Geschrei hören! Ja, das war meine Schuld! Mit dem Kristallaschenbecher hat er zugeschlagen, dass die Zähne von dem Mädchen abgebrochen sind. Klick, klick und klack, so hat sich das angehört. Gerda hat dann einen Zahn rausgeholt, mit aufgerissenen Augen den blutigen Zahn angeguckt und noch lauter gebrüllt.

Er erinnert sich, dass ihn die Angst in ihren Augen angemacht und erregt hat. So ein geiles machtvolles Gefühl, denkt er. Ihr stand eine unmittelbare Todesangst ins Gesicht geschrieben und sie sabberte und in seinen Lenden hat es gekitzelt!

Dann ist die dumme Kuh aufgestanden und wollte verschwinden. Was sollte ich denn tun? DANN KONNTEST DU NICHT ANDERS, sagt die Stimme in einem anerkennenden Ton. DIE SCHLAMPE WAR DOCH HEISS WIE FRITTENFETT!

Gerald Winter stieß sie auf die Brust. Ja, vielleicht war das zu heftig, denn die junge Frau ist mit dem Kopf auf die Tischkante geknallt und auf den Boden gerutscht.

Sie hat sich nicht mehr bewegt. Er sieht es genau vor sich. Gerda, sag doch etwas. Sie sagt nichts und ist einfach tot.

Das war vor fünfundzwanzig Jahren, der alte Meier hat noch gelebt. Es knistert und rauscht in seinem Kopf, dann hört er, wie sie weinen, die Toten!

WIR KOMMEN DICH BESUCHEN! rufen plötzlich die ermordeten Frauen. WIR ZIEHEN DEINER OMA DAS TOTENHEMD AN UND BACKEN EINEN KUCHEN. Gerald zittert, denn die haben, nachdem er sie ermordet hat, noch nie mit ihm gesprochen. DAS WAREN DOCH NUR NUTTEN UND SCHMUTZIGE SCHLAMPEN, sagt die Stimme. Es ist so, wie es ist, denkt Gerald, und der Hund knurrt und brummt leise.

Gerald Winter denkt an die kleine Obdachlose aus Frankfurt. Die war so hübsch, wohl schon von den Drogen gezeichnet, aber immer noch sexy und so geil, Danuta!

Dann sollen die Weiber eben kommen!

DANN FEIERN WIR EIN FEST MIT DEN NUTTEN! Die Stimme hört sich orgastisch an, als würden sie bald kommen. Gerald lacht, trinkt Wodka aus dem Flachmann und denkt an Gerda Schuler. PROST AUF DIE WEIBER!, sagt die Stimme.

Im Wald gab es eine Suchaktion mit der Bereitschaftspolizei aus Mühlheim am Main und Hanau, auch waren Suchhunde der Offenbacher Polizei im Einsatz, aber von Gerda Schuler und ihrem Fahrrad keine Spur. Wie vom Erdboden verschluckt. Niemand konnte wissen, dass die junge Frau einige Kilometer weit entfernt in einem Garten unterm Gemüsehochbeet ohne Kopf begraben und ihr Fahrrad auseinandergebaut an der Grundstücksgrenze der Winters versteckt liegt. Ein Freund der jungen Frau geriet ins Visier der Ermittler, doch aufgrund fehlender Indizien konnte man den Frankfurter Soziologiestudenten aus dem Kreis der Verdächtigen streichen. Nach zwei Jahren wird die Suche und Fahndung durch die Polizei eingestellt. Mich trifft keine Schuld. Er lacht. Ich habe nur den Befehl ausgeführt!

Gerald holt sich noch eine Bombe aus dem Kühlschrank.

In all den Jahren hat sie kein Wort darüber verloren.

Vielleicht hat Oma auch gesehen, wie er der Toten den Kopf abgetrennt, in Formaldehyd konserviert und im Schuppen in einem großen Eimer versteckt hat. Die blonden Locken des Mädchens hat er abgeschnitten. Die stecken in einem Schuhkarton mit Comics und einer Streichholzschachtel mit ihren ausgeschlagenen Zähnen. An Omas Geburtstag hat er den Karton manchmal geöffnet und die Haare gestreichelt. Dann hat er den Plastikeimer geöffnet und sich den Kopf angeschaut. Nach einer Weile wurde es ihm zu eklig, deshalb hat er den Eimer im Kellerboden vergraben. Es schüttelt ihn, wenn er an Gerdas Kopf denkt. Eklige faulige, fleischerne Fratze! Aufgeregt, Kribbeln im Bauch. Oft kommt es dann raus und ihm geht es gut. Die ganze Zeit, seit fünfundzwanzig Jahren ist er verliebt, wenn er an die Gerda Schuler denkt. Manchmal guckt er sich auch die anderen Souvenirs an. Vor dem Coronavirus ist er häufig im »Auerhahn« eingekehrt und hat die jungen Dinger beobachtet, die in kurzen Röcken, Hotpants und mit ihren bunt lackierten Fußnägeln dort saßen.

Wie sie ihn in ihren Bann gezogen haben. Nur geguckt und abends und morgens regelmäßig die Psychopharmaka geschluckt!

Ein Bild von der Gerda Schuler hing dort neben dem Zigarettenautomaten, bis er es abgehangen und mitgenommen hat. Auf den Fleck haben die ein Poster geklebt. Gerdas Foto hängt jetzt im Wohnzimmer. Oma wollte, dass er das Bild von dieser Schlampe abhängt. Das hat er nicht erlaubt und Oma hat sich nicht getraut, es abzuhängen.

Sich zu verrennen mit bösen Perspektiven und Gedanken geht nur mit der richtigen Blickrichtung, das weiß er.

Als er aus dem Tagtraum erwacht, kniet er sich mit dem Messer und der alten Knochensäge neben die tote Oma in der Küche. Ich möchte möglichst wenig Veränderungen haben, denkt er und schneidet mit dem scharfen Jagdmesser durch ihre Haut, Fleisch, Sehnen und Muskeln, dann nimmt er die kleine Säge und zerteilt den Knochen. Ihm überkommt dieses orgastische Gefühl.

»Jetzt kannst du mich nicht mehr schlagen, weißt du, Oma!«

Erika Winter liegt in einer Blutlache, die ausgetretene Hirnmasse ist bereits angetrocknet, und ohne ihre rechte Hand auf dem gefliesten Küchenboden. Dafür hat sie neue Freunde. Die Fliegen summen und brummen auf der Leiche herum.

»Oder soll ich es anders machen?«, fragt er sie und lacht hämisch. Die abgetrennte Hand legt er auf den Küchentisch. MACHTLOSES STÜCK FLEISCH!, amüsiert sich die Stimme in seinem Kopf.

Oma sagt nichts. Gerald setzt sich neben sie und tut nichts, sitzt einfach nur da und hört dem höhnischen Lachen der Stimme und den summenden Schmeißfliegen zu.

Am nächsten Morgen trinkt er eine Tasse Kaffee und blickt auf die mit Fliegen besetzte totenblasse Hand, die noch immer auf dem Küchentisch liegt. Das ist schön anzugucken! Nur der Gestank. Jetzt muss er die Oma wegschaffen. Sein Kopf ist stimmenfrei und er genießt die Ruhe, sieht man vom Brummen der betriebsamen großen schwarzen Fliegen ab. Die Hand vor die Nase. Oma, du stinkst, dann lacht er! Jeder stinkt. »Sieh nur Oma Erika«, sagt Gerald verächtlich. »Du faules Stück tust nichts außer stinken!«

Gerald holt den eiskalten Wodka aus dem Kühlschrank und betrinkt sich als Maßnahme gegen den Verwesungsgestank und die aufkommende Übelkeit. So viele Fliegen warten auf ihre Arbeit. Auf Omas eingeschlagenem Schädel haben sich die Biester schon vermehrt. Die fetten Maden faszinieren ihn. Omas süß- fauliger Geruch ekelt ihn an, deshalb trinkt er noch mehr Wodka. Dabei kommt ihm der Augenblick in den Kopf, wo der Willi Bauer wutentbrannt nach Hause geradelt ist. Warum eigentlich? Dann ist es wieder präsent. Der Willi wollte keine Zeitrafferfotoaufnahmen von den Schmeißfliegen auf einem Toten machen. So etwas ist pervers, hat er gesagt!

»Willst du jemand umbringen, du bist ein Arschloch und eine kranke Sau!«

Die dicken Fliegen legen völlig selbstlos ihre Eier ab und die weißen und gelben Maden laben sich auf dem toten Fleisch und krabbeln wie in einem Horrorfilm herum. Dasselbe Experiment haben sie mit einem toten Tier gemacht.

Willis Fotos waren erste Klasse! Gerald sonnt sich an dem Gedanken. Dann schüttelt er angewidert den Kopf. Es ist doch Oma.

Die Flasche Wodka ist leer und Gerald Winter geht an die Arbeit. »Los geht’s«, sagt er zum Hund, der böse die tote Oma anbrummt. DEN DÄMON, wie ihn die diabolische Stimme berichtigt. Er packt die Oma an, ihre Glieder sind steif. Auf dem Fußboden ist es feucht, es klebt, Blut und andere Flüssigkeit sind aus der Oma gelaufen. Die Fliesen sind schwarz vor Fliegen. Die Müllsäcke liegen auf dem Küchentisch, neben dem Glas Leberwurst, der Butterdose und der Hand.

Irgendwann kriegt man auch mal Hunger! Gerald grinst.

Die kalte Oma fühlt sich an wie das Miststück, die Schaufensterpuppe, die im Schuppen herumliegt. Dann lacht er. In den Apfelbaum kann er die Oma ja schlecht hängen. Die läuft dann aus. Gerald wickelt die Oma vom Kopf an in Plastikfolie ein. Die Schmeißfliegen wollen nicht von ihrer Beute ablassen und summen geschäftig.

Als er die Leiche untenherum einwickelt, entweicht der Oma ein Furz. »Das ist eklig, benimm dich!« Oma gibt ihm keine Antwort. Gerald braucht Wodka, um seinen Stimmungsbarometer ins Schöne zu balancieren. Dann wickelt er die Tote in zwei starke blaue Müllsäcke. Mit Klebeband wird sie fest zugeschnürt und an die Wand gelehnt. Könnte so direkt von DHL abgeholt werden. Der hungrige Oma-Mörder schmiert sich zwei Leberwurstbrote. Der faulig, nach Verwesung riechender Duft steht wie eine Wolke in der Küche. Gerald transportiert die Leiche in den Keller.

Kurz darauf liegt Oma auf dem Kellerboden und wird von ihrem Enkel in das blaue Metallfass bugsiert. Mit einem hämischen Grinsen schraubt er den Deckel fest auf das Fass. »Schlaf gut, Erika,« sagt Gerald. Es war einfach der richtige Zeitpunkt! Als er die Kellertür schließt, lässt er die Oma in ihrer Kittelschürze und eingewickelt in Plastikfolie im Fass zurück.

Da kann sie vor sich hin müffeln. »War da noch etwas?«, fragt er den Hund, der leise in den Keller geschlichen ist. Gerald schaltet den Lichtschalter aus und bringt Eimer und Putzlappen in den Schuppen zurück. Dort, wo der Opa noch die Hausschlachtung gemacht und die Sau ihr Blut verspritzt hat, liegt auch die Schaufensterpuppe in der Ecke. »Die ist ja auch eine Sau!«, sagt er zum Hund. Wissend, dass er mit dem Mord an seiner Oma, genau wie mit den Morden an den beiden jungen Frauen vor fünfundzwanzig Jahren, davonkommen wird, lacht er mit der Stimme in seinem Kopf. Die Alte hockt im Fass im Keller, die Nutte kam von der Gerichtsmedizin ins Krematorium und Gerda Schuler liegt verrottet unterm Gemüsehochbeet. Voll motiviert geht er in sich, die Augen geschlossen, und der Puls rast immer noch. Schwitzen wie nach einem Marathonlauf, eine Entlastung überwundener Gefahren! Die Contenance bewahren, denn unerschütterlich hat er eine große Aufgabe gelöst.

Vielleicht verliere ich den Verstand, denn Oma in der Tüte sieht aus wie eine große Dauerwurst! Gehässiges Gelächter. COOL, DU HAST ES ENDLICH GETAN! Gerald freut sich über das Lob. WAS MACHST DU MIT OMAS HAND?

»Die hänge ich hoch oben im Apfelbaum auf, für die Maden und die Leichenhacker!« Die wird blitzblank.

Gerald Winter, das Böse im alten Haus, der Efeu und wilde Wein halten es bedeckt, fast unsichtbar sein Leben. Er lebt phasenweise in einer anderen Welt und nimmt die Realität verschwommen wie im Nebel wahr.

Wenn er halluziniert, hört er Geräusche und oft fühlt er sich verfolgt und kriegt die Stimmungsschwankungen und motorischen Störungen nicht unter Kontrolle, ist emotionslos und kalt. Seit längerer Zeit nimmt er diese Psychopharmaka nicht mehr. Als Betäubungsmittel dienen Wodka und Bier. Einmal wollte er mit seinem Spiegelbild Kontakt aufnehmen! Gerald lacht und denkt darüber nach, dass ein Leichnam sich selbst verzehrt, dann bläht er auf, die Gase lassen ihn anschwellen. Dann zersetzt und verflüssigt er sich und dann bleiben nur noch die Knochen.

Geht das auch mit der Dauerwurst im Fass?

Der Oma-Mörder starrt an die Zimmerwand und hat eine Vision –eine blonde junge Frau, die er im Wald kennenlernt und mit ins Haus bringt. ENDLICH!, sagt die Stimme in seinem Kopf.

Hommage an Oma, die ihrem Enkel bereits als Kind gesagt hat, dass er böse ist! »Du bist bereits schlecht auf die Welt gekommen. Weißt du, als du aus dieser Hure geschlüpft bist, hat die das Böse in die Wiege gelegt!«

Tief im Inneren verbirgt sich eine dunkle Seite und die kratzt sich unaufhaltsam ihren Weg ins Licht. Die böse Stimme in seinem Kopf. Auf andere Menschen wirkt er geradezu abstoßend. Während der Ausbildung zum Metzger hat der Ausbilder hinter seinem Rücken gesagt, dass selbst die geschlachteten Tiere in Angststarre fallen und das Fleisch zäh wird.

Gerald rastet oft schon bei Kleinigkeiten aus, wird aggressiv, bewegt sich unkontrolliert hin und her oder zappelt mit den Armen und Beinen herum. Seit frühester Kindheit macht er komische Geräusche, die angsteinflößend sind, schmatzt und knurrt. Dann heult er wie ein Wolf und malt Lippenstift auf den Mund der beim Sperrmüll aufgelesenen Schaufensterpuppe, peitscht sie aus, lässt den Hund an ihrer Kehle zappeln, um schließlich auf das Miststück zu urinieren. Zur Bestrafung! Das erleichtert ihn und er sperrt die Puppe in den Schuppen ein. Im Wohnzimmer unter der Ledercouch bewahrt er die Gummipuppe auf, die fast alles macht!

Die »Ingrid« steckt er dann immer in die Badewanne und wäscht sie mit eiskaltem Wasser.

Gerda Schuler darf aus dem Foto im Holzbilderrahmen zuschauen, wenn die Ingrid mit ihm auf der Ledercouch herummacht. Das erregt ihn, und wenn er die Selbstkontrolle verliert, knurrt er wie ein Wolf auf der Wölfin hängend. Inspiriert vom Geschlechtsakt heulen die Stimmen in seinem Kopf wie ein Wolfsrudel.

Manchmal träumt er von Mama.

»Ich kann nicht schlafen!«, flüstert sie in sein Ohr.

Als er aufwacht, steht eine Schüssel Vanillepudding auf dem Tisch und auf der Couch liegt ihr Totenhemd, in dem sie begraben worden ist. »Damit du mich riechst!«

Gerald rennt die knarrende Holztreppe hoch und runter und summt wie eine Honigbiene. Das Summen beruhigt.

Es gibt auch den Moment, wo Gerald ohne Wahnvorstellungen und Halluzination in den Spiegel schaut und sich fragt, wie ein ganz normales beschissenes Leben aussieht. Dann überlegt er, ob Bosheit ansteckend ist oder ob man die Dämonen der Vergangenheit abschütteln kann. Er hat oft Schübe. Schon als Kind durchlebt der kleine Gerald diese Gewaltfantasien in seinem Kopf.

Um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, fängt er Mäuse und Frösche und schaut den auf ein Brett genagelten Tierchen oder den Nacktschnecken, die er mit einer Wäscheklammer an die Leine pinnt, beim Sterben zu.

Gerald sitzt auf der alten Holzbank hinterm Haus. Der Efeu hat die Veranda zugewachsen und der wilde Wein das Haus. Obstbäume auf der Wiese, an der Grundstücksgrenze, Thuja, Kirschlorbeer, Brombeergeranke und zur Stirnseite ein uralter Holunderbaum. Der Bach schließt das Grundstück zur Stirnseite ab, dort hat er ein Rohr zum Teich verlegt. Ein tief gebohrter Brunnen mit Grundwasserzulauf befindet sich in der Mitte des Grundstücks, dort sind Steigeisen ins Rohr montiert.

Im Haus und Garten hat er nicht nur Steine umgedreht, die Alte konnte ja überhaupt nichts mehr selbst erledigen. Jetzt ist er der Mann auf dem uneinsehbaren Anwesen, von einem geschlossenen natürlichen Wall umgeben.

Das anno 1901 gebaute und stark renovierungsbedürftige Haus steht auf Lehmboden und gehört ihm.

Oder muss ich da noch zu einem Notar wegen des Erbes? DU IDIOT, und die böse Stimme lacht. Der sich selbst überlassene große Garten ist sein Reich. Ein Märchenschlossgarten, es fehlen nur das Einhorn und der böse Zwerg. Er taucht ein in eine andere Welt. Der dunkle Garten wirkt wie ein Ort, an dem man sich nicht so gerne aufhalten möchte. »Wie es wohl im Dunkeln dort ist?« Gerald fühlt sich im Garten geborgen. Er liebt die mystische Atmosphäre.

Oma wollte zu Lebzeiten eine Firma zur Gartenpflege bestellen, und er konnte gerade noch einige Blumenkübel platzieren. Die fleißigen Lieschen, Männertreu und die Geranien haben die Oma besänftigt. Weiter konnte die Alte mit ihrem Rollator auch gar nicht mehr in den Garten laufen.

Im Haus herrscht diese stille und kalte Atmosphäre. Es ist dunkel, die Möbel sind alt, die altmodischen und vom Zigarettenrauch vergilbten Tapeten kleben wie die Holzpaneele an den Decken, die Eichenholztreppe knarrt und es riecht nach alter abgestandener Luft. So ein säuerlicher Geruch!

Man könnte annehmen, als stünden Geister bereit, um ihn zu schrecken, sieht man von der herumgeisternden Oma ab!

Wie dieses neue Gespenst, ein böser Geist das Coronavirus, dass die Menschen vergiftet und voneinander isoliert. Ein schleichender Prozess der Veränderungen, hinter einer Maske verborgen! Das Phantom.

Das Bier, die eiskalte Bombe, schmeckt Gerald auch ohne Willi Bauer. Trotz Einhaltung der AHA-Regeln – Schutzmaske tragen, die Hände waschen und immer den notwendigen Abstand halten – ist der Willi ganz elendig an der Lungenmaschine im Stadtkrankenhaus gestorben. Was hatten wir für eine tolle Zeit zusammen, Willi! »Nur deinen Bruder konnte ich nie leiden!«, sagt er zum toten Freund, der ihn früher bei seinen Schreckaktionen im Wald begleitet und die Opfer fotografiert hat. Einmal hat der Willi so laut im Gebüsch gelacht, dass das Opfer sich in die Hose gemacht hat. Abends haben sie abgehangen, gesoffen und dreckige Filme geguckt. Nach Geralds Schreckaktionen im Wald hat der Freund die Angstfotos zu Hause entwickelt. Die Fotografie, ja, das war sein Hobby. Ein eingerahmtes Foto hängt im Wohnzimmer an die Wand genagelt. Eine Mutter steht mit angstverzerrtem Gesicht hinter der weinenden Göre! Willis Bruder wollte, dass er sich nicht mehr mit Gerald trifft. Ich sei krank, ein Psycho, hat er behauptet. AUF DAS BÖSE!, sagt die Stimme in seinem Kopf. Gerald trinkt die Flasche Wodka leer.

Das Coronavirus verunsichert das ganze Land. Vorschriften, Kontrollen, Impfungen, Maskentragen und Korruption, Desinfizieren, Hände blutig waschen, soziale Ausgrenzung, Spaltung der Gesellschaft und der Tod, das alles steht für das Coronavirus. Omas angsteinflößendes Kichern im Haus kommt noch dazu. Mittlerweile hat Omas Stimme die andere Stimme in seinem Kopf nahezu abgelöst. Die Alte hat Macht, denkt er. Der böse Dämon passt auf mich auf!

Manchmal muss er gar nicht mehr aufblicken, um zu wissen, dass die Tote auf der Ledercouch sitzt.

»Ich weiß alles über dich, Fräulein!«, sagt sie und er bekommt eine Gänsehaut. Oma sagt: »Ich dachte, wir seien nicht mehr zusammen. Ist das so?«

Covid-19 wirkt wie ein Brandbeschleuniger, nicht nur auf das Nervenkostüm aller geplagten Menschen, mehr noch auf die Intensität und die Empfindsamkeit von Geralds Krankheit.

Stundenlang sitzt er im Zimmer und starrt die Tapete an. Alles nervt, er hört die Stimme und Geräusche.

Wie im Loch, als die Oma ihn mit dem Riemen schlägt, ihn im Keller des Hauses am Haken anbindet und einsperrt, wenn sie mit ihm nicht mehr klarkommt. Im Loch in Einzelhaft. Das macht Angst. Die Kette reichte bis zu einem alten Holzstuhl und zum Eimer, »damit du nicht auf dem Boden hocken musst und einpökelst«. Stundenlang allein im dunklen und feuchten Keller, sieht man einmal von den Ratten, Käfern und Asseln ab.

Mit der Zeit lernt er, dass die Dunkelheit auch guttut. Sie nährt seine Fantasien, hilft ihm, Pläne zu schmieden! Dann steigt sein Adrenalinspiegel steil an. Im Loch reifte auch der Gedanke an Omas Tod. Lebendig in ein Fass stopfen und im Keller verrecken lassen! Dem Hund hat Gerald Winter erzählt, dass er das Coronavirus ab sofort »Loch« nennt, und dann lächelt der Mörder, dass er so gnädig war und die Alte nicht lebendig ins Fass gesteckt hat.

Im Getränkemarkt beim Kistenschleppen muss er sogar diese Maske aufsetzen. Der Chef hat ihn ermahnt. »Sonst muss ich dich entlassen, Gerald!«, und er sticht dem Chef mit einem Schraubenzieher in Gedanken die Augen aus, damit der nicht mehr sieht, ob er eine Maske trägt!

Da kannst du lange gucken! Und in echt sticht er dem Scheißkerl drei Reifen an seinem Auto platt.

Dieser Gedanke motiviert zum Kistenstapeln und Palettensortieren.

Die Arbeit als kartoffelputzende, zwiebelschneidende Küchenhilfe in einer Speisegaststätte wurde wegen der Pandemie immer weniger, auf Kurzarbeit gesetzt und dann ordentlich gekündigt. Die tägliche Routine und der warme Mittagstisch sind ins Loch gefallen.

»Das Essen hat so gut geschmeckt«, klagt er zum Hund.

Jetzt isst er Omas eingekochte Speisen aus den Einmachgläsern auf, das geschmacklose Gemüse und die matschigen Kartoffeln, ganz ohne Vitamine. Und boshaft, wie die Alte eben mal so ist, flüstert sie ihm ins Ohr: »Schmeckts?« Dann rülpst er nur. Oma lässt nicht locker. »Knall mal wieder und vergrab die Miezekatze im Garten. Die kann auch lebendig sein!« Das lässt er sich nicht zweimal sagen und geht mit dem Gewehr im Garten auf Katzenjagd. Na ja, die flicke ich nur an! Gerald ist ein exzellenter Kleinkalibergewehrschütze. Ins Rückgrat schießen, dann liegen die am Boden. Danach hänge ich die Biester lebendig im Apfelbaum auf, damit der Hund mit der Katze spielen kann! Gerald lacht gehässig. Das Tier klagt und bald erlischt ihr Katzenleben. AUS DIE MAUS!, sagt die Stimme.

Gerald mag es, beim Sterben zuzuschauen. Die geschundene Kreatur legt er dann auf ein sauberes Handtuch und beobachtet den Fliegenbefall. Die fetten Schmeißfliegen kommen zuerst. Dann legen die Eier aufs Fleisch und nach nur einem Tag schlüpfen die Maden. Die weißen und gelben ekligen Biester fressen sich durchs weiche Fleisch, bis sie fett sind.

Er raucht die Filterlosen in Kette, die vertreiben sogar die Stechmücken, die auf ihrem Beutezug im Garten unterwegs sind. Es spielt keine Rolle, ob der Tabak aus Frankreich oder Deutschland stammt. In der Tankstelle hält der »Toni« immer eine Stange für ihn bereit.

Als junger Mann hat Gerald gerne Joints geraucht, nach dem Vorfall mit der Gerda im Garten nicht mehr. Damit ich nicht so oft an sie denken muss. DU ARMER KERL!, lästert die Stimme. Oft sitzt er gedankenversunken unter der Veranda oder auf der alten Ledercouch. Gewaltorgien rauschen durch seinen Kopf, das rüttelt ihm das Adrenalin in die Blutbahn. Zitternd kommt er zur Ruhe, nachdem er einem Menschen beim Sterben zugeschaut hat.

Die Stimme lacht boshaft in seinem Kopf.

Eine wilde Sau soll einen Menschen im Wald auffressen! Die Stimme in seinem Kopf spornt ihn geradezu dazu an. LASS EINEN MENSCHEN LEBENDIG AUFFRESSEN UND VERGISS NICHT, IHN VORHER AN EINEN BAUM ZU BINDEN!

Einen Jäger vielleicht? Und wie hört sich das dann an, wenn die wilden Schweine die Knochen knacken?

Gehässiges Lachen in seinem Kopf und irgendwann lacht er dann selbst mit, bis ihm der Hals weh tut.

Ein Selbstbewusstsein, das zur Selbstunterschätzung wird, lastet schwer, Schulabschluss an einer Offenbacher Hauptschule, die Lehre als Metzger abgebrochen, ein zur Hand gehender Niedriglohnverdiener, der beim Schlachter für ein Taschengeld aushilft. Das ist Gerald. Eine Sau ausweiden, zerlegen, ausbeinen, das letzte Stück Fleisch von den Knochen schaben und die Arbeitsplatte, früher Metzelbank genannt, säubern.

Oft hat er sich heimlich einen Knochen mit nach Hause genommen und Knochenmehl daraus gemacht oder mit der Knochensäge kleine Skulpturen heraus modelliert und mit Bleichmittel schön weiß gemacht. Kleine Geschenke für jeden Anlass.

Man kann jemanden komplett verschwinden lassen und in den Garten streuen. Geralds Kopf arbeitet angestrengt und er überlegt, dass er in Zukunft vielleicht nicht mehr so viel Schnaps trinkt. Doch die Stimme will, dass er trinkt. In unregelmäßigen Abständen schluckt er auch Amphetamine und Antidepressiva. Das ist Adrenalin pur! Diese Ruhelosigkeit treibt an, er zittert, brüllt, weint, schaut sich unanständige Filme im Internet an. Der Mörder leidet, die dunklen Gedanken, existenzielle Sorgen, Ängste und die Einsamkeit.

Die Schübe werden immer häufiger, sein geistiger Zustand verschlechtert sich zunehmend. Geräusche und Stimmen in seinem Kopf, er befolgt Anweisungen, schlüpft in Omas Haut, nimmt ihre Identität an.

Oma kann seine Gedanken lesen.

»Du schizophrenes Monster. Wenn du könntest, dann würdest du mich noch einmal erschlagen und dann verbrennen!«

Da hast du recht!, denkt er.

Dann kreischt sie und lacht ganz boshaft aus dem Keller. »Du Mörder! Und das Ordnungsamt ist blind und weiß nicht, dass der Psychopath eine Waffenbesitzkarte und legale Waffen im Schrank hat!«

Ruhe findet er in der Natur. Gerald kennt die Tiere im Wald. Die Blätter und Nadeln der Bäume filtern und aromatisieren die Luft, der Waldboden verströmt diesen Duft. Balsam für seine angespannten Nerven. Gerald atmet tief durch. Es riecht erdig, blumig, modrig und würzig, zu jeder Jahreszeit ein anderer Charakter. Die Spur von Gerüchen beseelt ihn, auch wenn er seine Seele oft nicht wahrnimmt.

Der Anblick eines alten Baumes, das Rauschen der Baumkronen im Wind, die sich durch den Lichteinfall der Sonne und des Mondes verändernden Konturen und Farben der Umgebung im Wald, das alles verzaubert ihn. Er nimmt sich die Zeit mit dem Hund im Wald und kommt runter. Dann fliegen die bösen Gedanken für einen Moment dahin. Kein Psychoschub und die üblichen Symptome.

»Die Welt verändert sich so schnell, dass wir laufen müssen, um nicht zurückzubleiben!« Aber er läuft nirgendwo hin! Wenn er trinkt, beruhigt ihn der Alkohol, spornt ihn aber auch an, und er beschimpft die tote Oma Erika. Schluckt er zum Alkohol hin und wieder auch noch diese Tabletten, dann reitet er raketengleich in den Himmel und landet unsanft auf dem Boden.

Er hat einmal ernsthaft überlegt, ob er ein Maulwurf ist. Ständig im Dunkeln, unter Tage – die Fensterläden im Haus sind geschlossen –, fast ohne Sauerstoff. Und er jagt als Maulwurf mehr Beute als eine Raubkatze!

DU BIST EIN GRAUSAMER JÄGER AUS DER DUNKELHEIT, hört er die Stimme sagen.

Im Getränkemarkt nimmt ihn der Chef zur Seite und fragt, ob er nicht diese ungelenken, schnellen Bewegungen mit den Armen lassen kann, die Kunden hätten Angst. Ausgerechnet in diesem Moment pfeift es in seinem linken Ohr und er macht eine Grimasse. Er hat diesen Tic. »Bist du denn blöd?«

Gerald Winter akzeptiert, dass er die Abläufe in seinem Kopf und Körper nicht so gut kontrollieren kann. Als Mutter kurz vor seinem sechsten Geburtstag stirbt, kriegt er einen Nervenzusammenbruch. Das Verlassenwerden bestimmt sein ganzes Leben. Als kleiner Junge wächst er bei Oma Erika im Haus auf. Oma scheitert bald mit der Erziehung des schwierigen Jungen.

Das war die Zeit, in der er in der Schule versagt. Das Bettnässen und die Konzentrationsschwäche lähmen ihn.

Er kriegt nichts hin und fühlt sich schlecht. »Halt mal deine Gedanken zusammen, du Zappelphilipp!«, sagt die Klassenlehrerin zu ihm. Da hat er sich entschlossen, zu brüllen und nicht mehr damit aufzuhören.

Als Frau Wüstenroth ihn dann beruhigen will, spuckt, schlägt und tritt Gerald auf sie ein. Die Kinder rennen in die Nachbarklasse und die Lehrerin ruft den Hausmeister zur Hilfe. Ein Jammergeschrei hallt durch den Flur. Es hörte sich teuflisch an, hat der Hausmeister später zur Polizei gesagt. Gerald hat sich an seiner Lehrerin festgekrallt und nicht mehr losgelassen. Der Junge wird von einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Untersuchung für Untersuchung, er kriegt Beruhigungsmittel, doch in die Klapse stecken sie ihn noch nicht. Er malt ein Bild von Frau Wüstenrot, wie die hinter dem Pult auf dem Boden liegt, er auf ihr sitzt und mit dem großen Messer ihren Kopf abschneidet. Auf einem anderen Kunstwerk hält der kleine Gerald den Kopf in die Luft und lacht.

Hätte Künstler werden sollen und nicht Metzger!

Die Stimme lacht herzlich in seinem Kopf. Die Psychologin stellt die Bilder in einer Dokumentation über paranoide Geisteskrankheiten von Minderjährigen ein. Dafür und zum Lohn kommt er in eine Klinik für kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen.

Später haben die ihn dann ins Kinderheim, in die psychologische Betreuung, gesteckt. Mobbing ist an der Tagesordnung, die anderen Insassen stehlen ihm sogar das Schnitzel vom Teller weg. Er wird nur Idiot und Zappelphilipp gerufen und denkt an Selbstmord. Gerald versucht, sich unsichtbar zu machen, und träumt von Dämonen und Toten –Herzsammlern–, die aus der Wand herauskommen, um den Kindern das Herz rauszureißen und sie dann lebendig aufzufressen!