Brandungsrauschen - Hanjo Ulbrecht - E-Book
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Brandungsrauschen E-Book

Hanjo Ulbrecht

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Beschreibung

Geldwäsche und Kapitalverbrechen in der Bretagne – für alle Leser:innen von Jean-Luc Bannalec und Sophie Bonnet »›Da! Ich glaube, ich sehe Lichter vor uns. Das könnten Häuser sein.‹, jubilierte Markus nach einer Weile. ›Hör mal!‹, forderte Jacqui ihren Freund auf. ›Hörst du das Brandungsrauschen? Ich glaube, wir sind wirklich näher an die Küste gekommen.‹« Kriminalkommissar a.D. Robert Müller und seine Frau Nanni sind mit ihrem Wohnmobil entlang der französischen Küste unterwegs nach Locquirec. Hier soll Nanni einen Enthüllungsroman des französischen Autors Nicolas Gaillard ins Deutsche übersetzen. An ihrem Ziel angekommen, lernen Robert und Nanni die Eltern eines jungen Deutschen kennen, der spurlos verschwunden ist. Auch seine Freundin, Mitarbeiterin in einem örtlichen Maklerbüro, ist nicht mehr auffindbar. Die Polizei wiegelt das Verschwinden der beiden ab und pocht darauf, dass sie sich nur eine Auszeit genommen haben. Doch Robert Müller lässt nicht locker. Er geht einigen Hinweisen nach, die offensichtlich mit Betrügereien bei Immobiliengeschäften zu tun haben. Der Autor Nicolas kommt ebenfalls auf diese Spur ... Sind die jungen Leute deshalb verschwunden? »Das Buch hat einen herrlichen französischen Charme. Ein Krimi den man nicht mehr aus den Händen legt.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »Der Autor entführt mich als Leser in die Bretagne und bringt mir neben spannenden Ermittlungen die wunderschöne raue Landschaft, viele Sehenswürdigkeiten und die französische Leichtigkeit näher.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Franz Leipold

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: zacariasdamata / depositphotos.com; art_of_sun / shutterstock.com; pngtree

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Bretagne Locquirec

Hamburg – Wedel

Nicolas Gaillard

Aufbruch nach Frankreich

Locquirec – Haussuche

An Frankreichs Küste

Das Abenteuer Granville

Bienvenue en Bretagne

Der verschwundene Sohn

Markus und Jacqueline

Misstrauen

Entführt in Omas Hütte

In Seenot

Elternsorge

Die Polizei – Freund oder Gegner?

Nicolas bekommt Besuch

Mysteriös

Spurensuche

Trio criminaliste

Wochenend und Sonnenschein

Zurück nach Locquirec

Véronique

Der Tag danach

Von Bruder zu Bruder

Pecunia non olet

Erstes Licht im Dunkel

Oma Chantals Hütte

Bretagne Locquirec

Heiße Spuren

Erste Erfolge

Eine besondere Begegnung

Interessante Funde und eine stürmische Woche

Nach Paris der Liebe wegen?…

Epilog

Für Schmutzfuß

Bretagne Locquirec

D64 A, Route de la Corniche

Richard Rossier stand in der Eingangstür seines typisch bretonischen Steinhauses, an dem ein großes, nicht zu übersehendes Schild »À vendre« mit dem Verweis auf eine Maklerfirma angebracht war. Er drehte sich um und rief in das Haus hinein: »Adèle, wo bleibst du denn? Wir müssen los! Du weißt doch, dass Marianne es hasst, wenn ihre Gäste zu spät kommen und sie das Essen warmhalten muss.«

«Ich komme ja schon. Und Marianne ist in dieser Hinsicht überpingelig. Da schlägt ihre deutsche Herkunft durch, obwohl sie nun schon seit mehr als 20 Jahren in Frankreich lebt.«

»Naja, mag sein, aber Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige. Nun steig ein, damit wir endlich loskommen.« Vorsichtshalber fragte er seine Frau noch: »Hast du an das Buch und die Flasche Crémant gedacht, die wir Marianne zum Geburtstag schenken wollen?«

»Natürlich. Ich bin noch nicht senil«, reagierte Adèle etwas unwirsch.

Als das Ehepaar die nahe gelegene Route départementale erreicht hatte, gab Richard Gas, um auch wirklich pünktlich anzukommen. Hinter der Bucht, in der die Surfer ihr Revier hatten, bog er auf die D64A ab. Auf der wenig befahrenen Straße konnte er noch ein wenig schneller fahren, zumal er wusste, dass hier noch nie eine Geschwindigkeitskontrolle stattgefunden hatte.

Er steuerte auf eine leichte Rechtskurve zu und brüllte plötzlich total überrascht: »«Merde, die Lenkung funktioniert nicht.«

Sofort trat er auf die Bremse, aber auch das blieb ohne Wirkung. Der nicht mehr zu steuernde Wagen geriet in ein Schlagloch, wurde nach rechts gedrückt und schoss auf den Randstreifen zu.

Adèle schrie auf: »Hilfe, Hilfe, Richard, mach doch was.«

Richard kurbelte am Lenkrad herum und trat immer wieder auf die Bremse. Vergeblich. Er hatte keine Gewalt mehr über das Auto. Mit unverminderter Geschwindigkeit knallte das Fahrzeug gegen den flachen Randstein und kippte zur Seite. Der Abhang auf dieser Straßenseite war steil und nur mit wenig Gestrüpp bewachsen, das den Wagen nicht aufhalten konnte. Er überschlug sich mehrfach auf dem felsigen Untergrund und blieb erst kurz vor dem Sandstrand auf dem Dach liegen.

In der Bucht saßen einige Surfer am Strand, die den herrlichen Tag ausgiebig mit ihren Brettern genutzt hatten und nun die idyllische Stimmung genossen. Die Wellen brachen sich an den Felsen, die die Bucht säumten, und das Rauschen des Meeres, vermischt mit dem ein oder anderen Möwenschrei, sorgte für die einzigen Geräusche um sie herum. Plötzlich wurden sie jedoch durch Lärm aufgeschreckt, der so gar nicht hierher passte. Sie sahen an der Böschung hinter dem Strand ein Auto liegen, das offensichtlich von der Straße abgekommen war. Schnell hatten sie die Situation erfasst und rannten zu dem Unfallfahrzeug. Noch im Laufen benachrichtigte einer der jungen Leute die Polizei. Als die Surfergruppe das Auto erreichte, sahen sie, dass sich darin zwei Personen befanden. Gemeinsam stellten sie den Wagen wieder auf die Räder, obwohl eine junge Frau warnte: »«Passt bloß auf. Es stinkt hier mächtig nach Benzin. Nicht, dass uns die Kiste um die Ohren fliegt.«

Nachdem sie den Wagen aufgerichtet hatten, versuchten sie, die Türen zu öffnen. Vergeblich. Durch das mehrfache Überschlagen auf den Felsen waren alle Türen so verklemmt, dass sie sich ohne Werkzeug nicht öffnen ließen. Der junge Mann, der die Polizei alarmiert hatte, rief dort noch einmal an und schilderte die Situation. Der Beamte in der Einsatzzentrale teilte ihm mit, dass ein Streifenwagen und der Rettungsdienst schon unterwegs seien. Er würde jedoch nun auch noch die Feuerwehr alarmieren.

Die jungen Leute standen hilflos und verunsichert neben dem Fahrzeug und schauten immer wieder hinein, ob sie ein Lebenszeichen bei den beiden blutüberströmten Insassen erkennen könnten. Einer von ihnen, Patrice, glaubte, dass der Mann noch lebte, aber die Frau schien wohl tot zu sein.

Das Sirenengeheul der Einsatzfahrzeuge näherte sich nach kurzer Zeit. Als Erstes traf die Polizei ein. Der Fahrer, ein drahtiger junger Polizist, sprang behände aus dem Fahrzeug und lief sofort zu dem Unfallwagen. Der zweite Polizist war deutlich weniger fit und ziemlich füllig. Er schob sich behäbig von seinem Sitz, um aussteigen zu können, und ging auf die Surfer zu.

»Haben Sie den Unfall beobachtet?«

»Nein«, meldete sich Patrice zu Wort, der wohl so etwas wie der informelle Anführer der Gruppe war. »Wir haben nur den Lärm gehört, als der Wagen die Böschung hinunterrollte, und sind dann gleich hierher gerannt.«

»Haben Sie vielleicht gesehen, ob ein anderes Fahrzeug in der Nähe des Peugeot war?«

Die Surfer schüttelten alle ihren Kopf. »Wir saßen unten am Strand und haben auf das Meer geschaut«, antwortete wieder der junge Mann.

»Na gut. Gehen Sie bitte nach oben auf die Straße. Wir werden dort Ihre Personalien aufnehmen, sobald wir hier fertig sind.«

In der Zwischenzeit waren auch der Rettungsdienst und kurz darauf die Feuerwehr eingetroffen. Die Feuerwehrleute holten sofort hydraulische Rettungsgeräte aus ihrem Fahrzeug und durchtrennten die Mittelsäule des Peugeot. Nachdem sich die Türen entfernen ließen, bargen der Notarzt und die Sanitäter die beiden Unfallopfer. Leider mussten sie feststellen, dass für die Frau jede Hilfe zu spät kam. Der Mann war bewusstlos, schien jedoch noch zu leben, obwohl er sehr viel Blut verloren hatte. Er wurde vorsichtig geborgen und dann sofort in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Er war jedoch so schwer verletzt, dass er dort kurz nach seiner Einlieferung ebenfalls starb.

Oben von der Straße aus beobachteten die Surfer das Geschehen am Unfallort und diskutierten darüber, wie es zu dem Unfall hatte kommen können. Sie fanden jedoch keine Erklärung. Während sie sich noch darüber unterhielten, kamen die beiden Polizisten auf sie zu.

»Wir nehmen jetzt Ihre Personalien auf und werden noch ein paar Fragen stellen. Morgen kommen Sie dann bitte auf die Wache, um das Protokoll zu unterschreiben«, erläuterte der jüngere der beiden Polizisten das weitere Vorgehen.

»Sie haben eben gesagt, dass Sie durch laute Geräusche aufgeschreckt wurden und dann erst sahen, wie der Wagen die Böschung hinunterrollte. Richtig?«, übernahm der ältere Polizist, der offensichtlich der Leiter der Streife war.

Als die Surfer nickten und leise »ja« murmelten, fuhr er fort: »Haben Sie vielleicht noch andere Geräusche gehört, zum Beispiel ein Hupen oder quietschende Reifen, wenn Sie schon nichts gesehen haben?« Seiner Frage war deutlich anzumerken, dass ihm diese Truppe mit ihren langen Mähnen und auffälligen Tattoos nicht besonders sympathisch war.

Die jungen Leute schüttelten wieder ihre Köpfe und antworteten unisono: »Nein.«

»Dann war das wohl ein tragischer Unfall. Herzversagen am Steuer. Kommt ja bei älteren Leuten öfter vor«, mutmaßte der Polizist. Er wollte sich umdrehen und zu seinem Streifenwagen gehen, als eine junge Frau aus der Gruppe ihn ansprach: »Monsieur, ist Ihnen nicht aufgefallen, dass auf der Straße überhaupt keine Bremsspuren zu sehen sind? Das müsste Sie doch stutzig machen?«

Der Polizist schaute sie missbilligend an und antworte ziemlich barsch: »Bei einem plötzlichen Kreislaufkollaps hatte der Mann wohl kaum noch Gelegenheit zu bremsen, oder? Im Übrigen lassen Sie es mal meine Sorge sein, den Unfall zu untersuchen, oder wollen Sie meinen Job übernehmen?« Damit drehte er sich grußlos um und stapfte zu seinem Dienstwagen.

Hamburg – Wedel

Matilda

»Moin!«, begrüßte Robert Müller seine Frau Nanni. Er kam gut gelaunt von seinem morgendlichen Spaziergang mit ihrem Hund Aika zurück, einem mittelgroßen Mischling aus Retriever und Border Collie mit bunt geschecktem, vor allem »nudelfarbenem« Fell, wie es ihr Sohn einmal treffend bezeichnet hatte. Wie üblich hatte Robert ein paar frische Brötchen und die Tageszeitung mitgebracht, denn er genoss dieses gemeinsame morgendliche Frühstück mit seiner Frau. Während er unterwegs war, hatte Nanni den Frühstückstisch gedeckt, zwei Eier gekocht und den Kaffee zubereitet. Sie nahm Robert Brötchentüte und Zeitung ab, wobei sie ihm auch noch ein kleines Küsschen auf die Wange gab. »Ist doch schön, jetzt jeden Morgen ohne Hetze in aller Ruhe frühstücken zu können und nicht mehr zum Dienst zu müssen«, sagte sie nicht ohne Hintergedanken.

Der ehemalige Kriminalkommissar Robert Müller war wegen einer Schussverletzung vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Anfangs war er damit gar nicht einverstanden gewesen, denn er hatte seinen Beruf geliebt. So war es auch nicht verwunderlich, dass er in einem Mordfall auf Norderney eine ehemalige Kollegin mit seiner Erfahrung und seinem Jagdeifer tatkräftig unterstützt hatte. Dadurch konnte nicht nur der Mord am Hundestrand rasch aufgeklärt werden, sondern es gelang auch, einen Mädchenhändlerring in Hamburg auffliegen zu lassen.

»Naja, heute haben wir aber nicht ganz so viel Zeit. Wir wollen doch unser Wohnmobil übernehmen«, brummte Robert, der sich immer noch nicht so ganz an die neuen Lebensumstände gewöhnt hatte.

»Ja, ich kann es einfach nicht fassen, dass wir dank der Erbschaft von deinem Onkel nun finanziell ziemlich unabhängig sind. So ein Wohnmobil, wie wir es jetzt bekommen, hätten wir uns vorher nicht leisten können.«

»Da hast du recht, obwohl es uns ja nun weiß Gott nicht schlecht ging. Du verdienst in deinem Beruf als freiberufliche Diplomdolmetscherin und -übersetzerin sehr gut, und mein Gehalt war auch nicht zu verachten. Jetzt können wir uns ruhigen Gewissens unseren Traum vom unabhängigen Reisen erfüllen.«

»Ich freu mich auch schon auf unsere erste Reise nach Frankreich. Nach unserer Schnuppertour mit dem gemieteten Fahrzeug, die wir entlang der Küsten Schleswig-Holsteins gemacht haben, bin ich überzeugt, dass uns diese Art des Reisens sehr gut gefallen wird. Hotelurlaube, drei Wochen an einem einzigen Ort, oder Kreuzfahrten auf so Riesenpötten, das wäre nichts für mich«, meinte Robert.

»Das schon, allerdings werden wir in Frankreich auch erst mal eine ganze Weile an einem Ort bleiben müssen«, gab Nanni zu bedenken. Sie hatte von einem Verlag, mit dem sie schon lange zusammenarbeitete, den Auftrag erhalten, einen Roman des französischen Schriftstellers Nicolas Gaillard zu übersetzen. Ein lukrativer, wenn auch ein wenig mysteriöser Auftrag, denn der Autor hatte darauf bestanden, dass die Übersetzung bei ihm zu Hause in der Bretagne erarbeitet werden müsse.

»Sicher, aber allein für die Anreise haben wir ja einige Zeit eingeplant. Dabei können wir bestimmt die Fahrt entlang der französischen Kanalküste und der Felsenbuchten genießen. Ich freue mich schon darauf, wenn wir abends in unseren Kojen liegen und das Rauschen des Meeres hören können. In Locquirec, wo dein eigenwilliger Schriftsteller wohnt, habe ich beim Surfen im Internet einen Campingplatz entdeckt, der direkt an einer Meeresbucht liegt. Dort kann ich mit Aika herrlich spazieren gehen, und unser Hund kann sich richtig austoben.«

»Ja, und ich muss arbeiten!«, knatschte Nanni. Mit ihrem Lächeln gab sie Robert jedoch zu erkennen, dass diese Bemerkung nicht ganz ernst gemeint war.

»Ach komm. Du freust dich doch über diesen Auftrag. Und so schlimm wird es schon nicht. Ich weiß zwar nicht, wie lange du unter der Woche arbeiten musst, aber die Wochenenden werden wir hoffentlich ganz für uns haben. So, und nun sieh zu, dass du in die Gänge kommst, wir müssen bald los, um unser Wohnmobil zu übernehmen.« Dabei streichelte er Aika und meinte: »Du musst jetzt allein zu Hause bleiben. Du wirst unsere rollende Zweitwohnung dann heute Nachmittag kennenlernen. Hoffentlich gefällt dir unser WoMo.«

»Ach, Aika hat doch kein Problem damit. Unsere Schnuppertour hat ihr ja auch gefallen. War zwar ein wenig eng unter dem Tisch, wo ihr Körbchen stand, aber Hauptsache, sie kann bei Herrchen und Frauchen sein.«

Als sie bei dem Händler ankamen, bei dem sie ihr Wohnmobil gekauft hatten, konnten sie es jedoch nirgendwo entdecken. Bei ihrem letzten Besuch hatte es noch hier auf dem großen Parkplatz der für die Neufahrzeuge gestanden. Während sie vor dem Gebäude standen und rätselten, wo das Fahrzeug geblieben sein könnte, kam der Chef des Unternehmens heraus und begrüßte sie freundlich: »Moin! Schön, Sie zu sehen, Familie Müller. Kommen Sie bitte mit in die große Halle. Dort steht Ihr Carthago Liner for two. Sie haben wirklich die absolut richtige Wahl getroffen. Das genau passende Wohnmobil für ein Ehepaar, das nicht auf die Bequemlichkeit und den Komfort wie zu Hause verzichten will.«

»Sie müssen uns nicht mehr überzeugen, Herr Henscheid. Wir haben das Fahrzeug ja schon gekauft«, antwortete Robert Müller lächelnd. »Ist mit der Sonderausstattung, die wir geordert hatten, alles glattgegangen?«

»Ja, natürlich! Sie bekommen jetzt ein Wohnmobil, so wie Sie es sich gewünscht haben. Ich hoffe, Sie haben genug Zeit mitgebracht, denn mein Mitarbeiter Herr Schöller wird Sie gründlich einweisen und auch eine kurze Einführungsfahrt mit Ihnen machen. – Da vorne steht er schon.«

Herr Schöller öffnete die breite Aufbautür des Wohnmobils und bat sie, an Bord zu kommen. Herr Henscheid kam auch mit in das Fahrzeug, und bevor er sich verabschiedete, wies er auf zwei Bücher hin, die auf dem Tisch der Hecksitzgruppe lagen.

»Normalerweise erhalten unsere Kunden bei der Übergabe ihres Wohnmobils einen schönen Blumenstrauß für die Ehefrau und eine gute Flasche Wein für den Ehemann. Aber Sie haben mir erzählt, dass Sie schon übermorgen nach Frankreich aufbrechen wollen, und da wären Blumen und Wein nicht so passend gewesen. Ich habe mich daher entschlossen, Ihnen stattdessen zwei Bücher zu überreichen; einen Stellplatzführer und ein Kochbuch aus dem Wohnmobil-Verlag. Sie finden darin nicht nur interessante Gerichte, sondern auch Tipps für die Lebensmittelgrundausstattung und sogar ein kleines Wörterbuch. Aber das werden Sie ja auf ihrer ersten Reise wohl kaum benötigen. Wie ich von Ihnen erfahren habe, sprechen Sie ja perfekt Französisch, Frau Müller. Ich wünsche Ihnen allzeit ›Gute Fahrt‹ und schöne Touren mit Ihrem Liner for two. Ich muss mich jetzt leider verabschieden, bei Herrn Schöller sind Sie aber in den besten Händen.«

Nanni und Robert bedankten sich für die Präsente und lauschten dann aufmerksam den Erklärungen zur Ausstattung und zur Funktion der Technik. Schließlich bat Herr Schöller Robert, auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen und das Fahrzeug aus der Halle zu fahren. Voller Stolz folgte Robert dieser Aufforderung. Motor anlassen, Gang einlegen, ein wenig Gas und … Das Wohnmobil machte ein paar kleine Hopser, der Motor ging aus, und sie blieben noch in der Halleneinfahrt stehen. Herr Schöller beruhigte Robert. »Keine Sorge. Das passiert unseren Kunden öfter. Man muss sich erst daran gewöhnen, dass man bei diesen Fahrzeugen etwas mehr Gas geben muss als bei einem normalen Pkw.«

Nanni konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und kommentierte das Abwürgen: »Jetzt weiß ich, wie wir unser Wohnmobil nennen. Matilda! So wie das boxende Känguru, das so lustig durch diesen Film hoppelte, den wir uns mal angesehen haben.«

Robert fand das zunächst gar nicht witzig, aber schließlich musste auch er schmunzeln, denn irgendwie originell war es ja schon.

Nachdem die letzten Formalitäten erledigt waren, machten sich Robert und Nanni auf den Heimweg. Nanni konnte zu ihrem Bedauern die Jungfernfahrt nur mit Blick auf das Heck von Matilda genießen, da sie ihren Pkw nach Hause fahren musste. Aber sie sagte sich, dass ja noch Tausende Kilometer mit Matilda vor ihnen liegen würden.

Nicolas Gaillard

Nicolas wurde als erster Sohn von Frédéric und Isabelle Gaillard geboren und entstammte einer einflussreichen und vermögenden Industriellenfamilie. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im vornehmen und exklusiven 16. Arrondissement in Paris, umsorgt von Kinderfrau und Hausdame. Zu seinen viel beschäftigten Eltern hatte er nur wenig Kontakt.

Als sein Vater sich doch einmal die Zeit nahm, um mit seinem Sohn zu sprechen und ihn fragte: »Na, Nicolas, weißt schon, was du einmal werden möchtest?«, antwortete der 8-Jährige vorwurfsvoll: »Nein, Vater. Ich wünschte mir nur, dass du und Maman mehr Zeit für mich und meinen Bruder Alain hättet. Ihr seid doch unsere Eltern!«

»Also Nicolas, das ist nicht so einfach, weißt du. Ich muss sehr viel arbeiten, und Maman kümmert sich um die zahlreichen Gäste, die uns oft besuchen. Das weißt du doch!«

»Ja, aber warum musst du denn so viel arbeiten, und warum müssen hier immer so viele fremde Leute mit uns essen?«

Dem Vater wurde dies Gespräch lästig, deshalb brach er es mit der barschen Bemerkung ab: »Ach, das verstehst du nicht.«.

Nach der Grundschule und der Sekundarstufe wechselte Nicolas auf das renommierte Lycée Henri IV. Dort bestand er sein baccalauréat mit hervorragenden Noten, die es ihm erleichterten, an der École nationale d’administration (ENA), einer der französischen Elite-Hochschulen, aufgenommen zu werden. Das Studium dort schloss er mit besonderer Auszeichnung ab. Seine Eltern nahmen sich sogar die Zeit, an der Abschlussfeier teilzunehmen. Nach dem üblichen Jahrgangsfoto nahm ihn sein Vater zur Seite.

»Nicolas, du hast deinen ersten Lebensabschnitt mit Bravour gemeistert, und dir stehen jetzt alle Türen offen. Ich erwarte von dir, dass du deine Fähigkeiten nutzt und alles für den Erfolg unserer Firma tun wirst. Entsprechend den Regeln des ENA-Studiums hast du dich ja verpflichten müssen, zunächst zehn Jahre im Staatsdienst zu arbeiten. Ich hatte erwartet, dass du ein sehr gutes Examen machen würdest, und habe dir deshalb schon mal eine Stelle im Wirtschaftsministerium verschafft. Da kannst du noch einiges über die Spielregeln der Wirtschaft in der Praxis lernen und wertvolle Kontakte knüpfen.«

Sein Vater legte dabei jovial den Arm um seinen Sohn und demonstrierte Stolz und Einmütigkeit. Die Anwesenden, auch alles einflussreiche Menschen, sollten sehen, dass hier der Nachfolger des alten Gaillard stand. Nicolas war diese zur Schau gestellte Einigkeit einfach zu viel; er wandte sich von seinem Vater ab und suchte das Gespräch mit einem Mitabsolventen.

Im Wirtschaftsministerium erkannte man schnell die Befähigung und Leistungsbereitschaft von Nicolas. Dank der Beziehungen seines Vaters und natürlich auch der »Enarchen«, der Absolventen der ENA aus früheren Jahrgängen, machte Nicolas schnell Karriere und stieg schon bald zum persönlichen Referenten des Staatssekretärs auf. Einerseits reizten ihn die Macht und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich ihm eröffneten, andererseits sah er jedoch – und gestand es sich insgeheim ein –, dass er Teil eines gut funktionierenden Netzwerks war. Je länger er für den Staatssekretär tätig war und je mehr Einblick er in die Abläufe und Verflechtungen von Politik und Wirtschaft erhielt, desto stärker wurden seine Zweifel.

Zu seinem Vater hatte er in dieser Zeit mehr Kontakt als je zuvor; es bildete sich sogar so etwas wie ein Vertrauensverhältnis, und so fasste er den Mut, seinen Vater auf seinen Gewissenskonflikt anzusprechen: »Vater, ich bin jetzt schon fünf Jahre im Wirtschaftsministerium und habe da so einige Dinge mitbekommen, die mich sehr nachdenklich gemacht haben.«

»Was meinst du konkret?«

»Nun, beim Staatssekretär gehen Leute ein und aus, die von ihm fordern, sich für ihre Geschäfte einzusetzen, oder die direkt Aufträge erhalten wollen. Oder sie möchten, dass er seine ausländischen Beziehungen nutzt, um Vorteile für diese Leute herauszuholen.«

»Woher weißt du das?«, fragte sein Vater misstrauisch.

»Ich bin schließlich sein persönlicher Referent und oft genug bei diesen Gesprächen dabei«, entrüstete sich Nicolas über die Zweifel seines Vaters.

»Ich hoffe, deine Loyalität lässt es nicht zu, mit diesem Wissen Unfug zu treiben«, ermahnte er ihn.

»Was meinst du mit Unfug?«

»Na, zum Beispiel, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.«

»Das werde ich natürlich nicht, aber legal kommen mir manche Absprachen nicht vor. Auch der Auftrag, den du vergangene Woche erhalten hast, wurde in zwei Pakete aufgeteilt, um eine Ausschreibung zu umgehen. Ich halte dies Vorgehen zumindest für fragwürdig.«

»Nun reg dich nicht so auf. Vom Erfolg unserer Firmen hängen viele Arbeitsplätze ab, und du weißt sehr gut, wie hoch die Arbeitslosenquote eh schon ist.«

»Rechtfertigt das wirklich solche Methoden? Du hast doch eine starke Position am Markt. Du könntest doch ganz legal vorgehen.«

»Nicolas, bist du wirklich so blauäugig? Wenn wir so vorgehen würden, wie es dir vorschwebt, das heißt ohne unsere Beziehungen zu nutzen, wären wir sehr schnell weg vom Fenster. Darauf warten unsere Konkurrenten nur. Mit anderen Worten, wenn wir nicht so handeln, dann werden es andere. Wenn du Verantwortung für die Belegschaft und auch für die Familie trägst, musst du die Spielregeln des ›Big Business‹ akzeptieren. Wenn du in fünf Jahren deine Pflichtzeit absolviert hast, wirst du in die Firma eintreten und die Kehrseite der Medaille kennenlernen. Ich denke, dass du dann eines sehr schnell erkennen wirst: Man muss so handeln, um erfolgreich zu sein. Ich zähle weiterhin auf deine Loyalität!«

Überzeugt war Nicolas nicht. In den folgenden Jahren beobachtete er weiter kritisch die Vorgänge um sich herum und distanzierte sich innerlich immer mehr davon. Auch eine Wahl und der dadurch hervorgerufene Wechsel des Staatssekretärs brachte keine grundsätzliche Änderung. Nicolas fing an, sich heimlich Notizen zu machen, ohne eigentlich zu wissen, was er damit anfangen wollte.

In dieser Phase hatte er Michelle Lefebvre kennengelernt, die wie er aus einer sehr wohlhabenden und einflussreichen Familie stammte. Eine Liaison, die seine Eltern mit Wohlwollen zur Kenntnis nahmen. Während eines Kurzurlaubs in Deauville erzählte er ihr von seinen Erkenntnissen und Skrupeln. Michelle schaute ihn mit ihren großen Augen verwundert an: »Ach Nicolas, das ist doch alles nicht ungewöhnlich. Mein Vater hat auch seine Netzwerke, die er für seine geschäftlichen Aktivitäten nutzt. Wie das alles genau läuft, weiß ich nicht. Interessiert mich auch nicht. Das ist Männersache.«

Von dieser Reaktion war Nicolas überrascht und ziemlich enttäuscht, und bald darauf beendete er die Beziehung.

Kurz bevor seine Zeit im Wirtschaftsministerium endete, rief ihn sein Vorgesetzter in sein Büro, das allerdings mehr einer Suite in einem Luxushotel glich. Er deutete auf die opulente Sitzecke vor den bodentiefen Fenstern, forderte ihn auf, Platz zu nehmen, und fragte, während er sich selbst einen edlen Cognac aus einer prächtigen Karaffe einschenkte: »Auch einen?«

»Nein, danke. Das ist mir noch zu früh.«

»Mein lieber Nicolas, ich habe leider eine sehr schlechte Nachricht für Sie. Ich wurde soeben von unserer Botschaft in Saudi-Arabien darüber informiert, dass der Firmenjet, mit dem ihre Eltern dort unterwegs waren, abgestürzt ist. Ihre Eltern und die Crew haben den Absturz nicht überlebt. Ich spreche Ihnen zu dem tragischen Verlust mein aufrichtiges Beileid aus.« Die Interessen des Staates im Blick fuhr er nach kurzem Zögern fort: »Bisher ist es uns gelungen, dass noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Ihr Vater war dorthin geflogen, um ein etwas delikates Geschäft mit einem Angehörigen des Königshauses abzuschließen. Es wäre für Frankreich nicht gut, wenn dies bekannt würde. Unsere offizielle Version, die wir auch mit den Saudis abgestimmt haben, wird lauten, dass sich Ihre Eltern auf einem Flug in den Urlaub am Roten Meer befanden.«

Nicolas war der Schock deutlich anzumerken. Er stammelte: »Ist es wirklich sicher, dass sie beide umgekommen sind? Und wieso ist das Flugzeug abgestürzt?«

»Ja, es gibt leider keine Zweifel. Ihr älterer Bruder, der schon seit ein paar Tagen in Riad war, hat sie auch eindeutig identifiziert. Die Absturzursache ist uns noch nicht bekannt. Die Saudis untersuchen den Unfall und wollen uns auf dem Laufenden halten.« Er legte eine kurze Pause ein und fuhr fort: »Ich weiß, dass es jetzt für Sie viele Dinge zu regeln gibt. Ich habe schon mit unserer Personalabteilung gesprochen und kann Ihnen anbieten, dass Sie ihre Pflichtzeit vorzeitig beenden können. Sie werden sicher in der Firma gebraucht, die Sie jetzt mit Ihrem Bruder weiterführen sollen, wie mir Ihr Vater mal erzählt hat.«

»Danke. Das ist sehr großzügig, aber im Augenblick bin ich noch viel zu schockiert, um eine Entscheidung treffen zu können.«

»Lassen Sie sich Zeit. Nehmen Sie sich frei und reden Sie mit Ihrem Bruder. Sobald Sie etwas Abstand gewonnen haben und sich zutrauen, eine Entscheidung zu treffen, informieren Sie mich. Ach ja, und noch eine Bitte: keine Pressestatements.«

Obwohl er zu seinen Eltern kein besonders herzliches Verhältnis gehabt hatte, empfand er doch eine große Leere und Trauer. Natürlich stellte er sich auch die Frage, wie es jetzt weitergehen sollte. Zurück in seinem Büro, rief er als Erstes seinen Bruder an: »Hallo Alain, ich habe eben erfahren, dass unsere Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind. Weißt du …«

Noch bevor er weitersprechen konnte, unterbrach ihn sein Bruder barsch. »Woher weißt du das?«

»Der Staatssekretär hat mir das gerade mitgeteilt.«

»Ich hoffe, er hat dich vergattert, dass über das Unglück vorläufig nichts an die Öffentlichkeit dringen soll!«, reagierte der Bruder sehr cool. Von Trauer oder Betroffenheit keine Spur.

»Ja, er hat mir auch erläutert, dass Vater nach Saudi-Arabien geflogen ist, um dort ein etwas delikates Geschäft abzuschließen. Bist du auch wegen dieser Angelegenheit dort?«

»Natürlich. Ich habe schließlich den Deal mit dem Königshaus eingefädelt. Der Vertag ist unterschriftsreif, und deswegen wollte Vater hierherkommen. Ich werde unseren Partnern mitteilen, dass wir beide die Erben sind und der Vertrag unterschrieben wird, sobald die erforderlichen Formalitäten erledigt sind.«

»Weißt du Näheres über die Absturzursache?«, fragte Nicolas, den die geschäftlichen Dinge in diesem Moment nicht interessierten.

»Nein!«, antwortete sein Bruder schroff. »Ich muss Schluss machen. Ich habe gleich einen wichtigen Termin. Ich denke, ich kann übermorgen zurück nach Paris fliegen, und dann werden wir uns sofort zusammensetzen. Ich melde mich, sobald ich in ›Charles de Gaulle‹ angekommen bin. Au revoir!«

Der alte Gaillard hatte in seinem Testament verfügt, dass nach seinem Tod die beiden Brüder gleichberechtigt die Holding führen sollten. Nicolas sollte die Managementaufgaben übernehmen, und sein Bruder Alain sollte die Produktion leiten und die Firma nach außen vertreten. Er hatte sogar festgelegt, wie dies im Detail erfolgen sollte.

Die Trauerfeier für die Eltern war ein gesellschaftliches Großereignis. Was in der Politik und in der Wirtschaft Frankreichs Rang und Namen hatte, war erschienen. Dazu kamen noch etliche Potentaten aus dem arabischen Raum. Man nutzte die Gelegenheit, um die jungen Gaillards kennenzulernen und Kontakte aufzufrischen oder neu zu knüpfen.

In den nächsten Wochen begann Nicolas damit, sich in die Firmenunterlagen einzuarbeiten. Dabei stieß er immer wieder auf Vorgänge, die nicht so ohne Weiteres zu verstehen waren. Offenbar sollten die Geschäfte, um die es dabei ging, verschleiert werden.

Er suchte das Gespräch mit Alain, um Klarheit zu bekommen.

»Mein lieber Bruder, was glaubst du, worauf sich die derzeitige gute finanzielle Situation unserer Firma gründet?«, fragte ihn Alain mit süffisantem Unterton. »Wir sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hauptsächlich im Waffengeschäft tätig – und zwar sehr erfolgreich. Dabei ist Diskretion oberstes Gebot! Unsere anderen Geschäftsfelder sind bei Weitem nicht so lukrativ und dienen mehr als Fassade.«

»Waffenhandel? Mit kriegführenden Staaten und Aufständischen? Das gefällt mir nicht!«

»Ach, hab dich nicht so. Die haben eben andere Vorstellungen von Moral und Menschenrechten.«

Nicolas wurde nach diesem Gespräch immer nachdenklicher. In der Presse wurde nun auch über Gerüchte im Zusammenhang mit dem Absturz seiner Eltern berichtet. Es hieß, dass das Unglück durch Sabotage oder eine Bombe an Bord verursacht worden sein könnte. Nicolas wollte von Alain wissen, ob daran etwas Wahres sei.

»Darüber weiß ich nichts. Lass mich damit in Ruhe«, wehrte Alain ihn kurz angebunden ab.

Nicolas zog sich in der Folge immer mehr zurück und verbrachte seine Freizeit außerhalb der Gesellschaftskaste, in der sich seine Eltern bewegt hatten und in der sich auch sein Bruder zu Hause fühlte.

Bei einem Theaterbesuch eines avantgardistischen Stückes lernte er eine charmante junge Frau kennen, die an der Sorbonne Deutsch studierte. Obwohl Véronique der politischen und wirtschaftlichen Elite kritisch gegenüberstand und sich für mehr soziale Gerechtigkeit sowie Chancengleichheit einsetzte, verliebte sie sich in Nicolas. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Schon nach kurzer Zeit hatte Nicolas vollstes Vertrauen zu ihr und erzählte ihr von den dubiosen Geschäften seiner Familie.

»Das ist doch nicht wahr?«, reagierte Véronique entsetzt.

»Doch, leider. Und ich will damit nichts zu tun haben. Ich überlege, ob ich aus der Firma aussteige. Ich will mich nicht länger manipulieren lassen.«

Sie diskutierten noch die halbe Nacht lang über die Perspektiven, die Nicolas hätte. Am Ende stand sein Entschluss fest. Er würde das operative Geschäft der Firma verlassen und nur noch stiller Teilhaber bleiben. So konnte sein Bruder die alleinige Verantwortung übernehmen. Seine Erkenntnisse und Erfahrungen, aber auch Vermutungen wollte er in einem Buch veröffentlichen.

Über seine bereits ermittelten Tatsachen hinaus war es erforderlich, noch verschiedene Fakten konkret zu recherchieren. Das blieb natürlich nicht geheim und weckte die Neugier der Befragten. Schnell sprach es sich in den betroffenen Kreisen herum, dass Nicolas mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit gehen wollte. Er wurde so zu einer Gefahr für etliche Geschäftsleute. In der Folge bekam er anonyme Drohbriefe, und eines Tages wurde er von zwei Typen abgepasst und zusammengeschlagen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sein Buch zu schreiben. Im Gegenteil; er fühlte sich bestätigt, dass es richtig sei, die dubiosen Geschäftspraktiken anzuprangern und die Politiker, die darin verwickelt waren, bloßzustellen.

Das Buch erhielt den in zweierlei Hinsicht beziehungsreichen Titel Du sollst gewinnen und wurde in kürzester Zeit ein Bestseller in Frankreich.

Der Wirbel, den es unter den Angehörigen der darin skizzierten Eliten hervorrief, war gewaltig. Nicolas Gaillard wurde nun nicht nur von vielen Seiten angefeindet, es wurde sogar zweimal auf ihn geschossen. Er überstand diese Anschläge zwar unversehrt, aber er entschloss sich, Paris zu verlassen und sich in die Bretagne zurückzuziehen.

Véronique, die kurz vor dem Abschluss ihres Studiums stand, meinte dazu: »Findest du das nicht feige? Solltest du diesen Arschlöchern nicht die Stirn bieten und sie weiter zittern lassen?«

»Ich glaube, dazu bin ich als Einzelkämpfer nicht in der Lage. Sicherlich ist es eine Flucht, wenn ich mich jetzt in die Bretagne zurückziehe, aber ich möchte dort mit dir zusammenleben.«

Aufbruch nach Frankreich

Nachdem Nanni und Robert ihr Wohnmobil übernommen hatten, waren sie fast einen ganzen Tag lang damit beschäftigt gewesen, die Grundausstattung zu verstauen. Campingtisch und -stühle, Wasserschlauch, Elektrokabel und einigen Kleinkram im Heckstauraum; Pött und Pann, Geschirr und Gläser verschwanden in den zahlreichen Schränken. Und alles musste so gesichert werden, dass auch auf holprigen Straßen nichts zu Bruch gehen konnte. Anschließend gönnten sie sich eine erste kleine Kaffeepause im Heck von Matilda, und Nanni meinte skeptisch: »Na, ob wir das alles so richtig gemacht haben?«

»Aber ja. Wir haben doch bei dem Wohnmobil, das wir gemietet hatten, gesehen, wie die Vermieterfirma das gemacht hat. Das waren Profis, und wir haben uns jetzt daran orientiert. Ich denke, du musst da keine Bedenken haben. Wenn wir erst unsere eigenen Erfahrungen gemacht haben, werden wir vermutlich noch das ein oder andere ändern, und sicher wird auch noch hier und da etwas an Ausrüstung fehlen, aber fürs Erste wird das schon hinhauen«, versuchte Robert, ihre Bedenken zu zerstreuen.

Am nächsten Vormittag, nachdem die morgendliche Hamburger Rushhour vorbei war, ging es los. Erstes Ziel war Münster; knapp 300 Kilometer bis zu ihren Freunden Gabriele und Tim, die sie dort besuchen wollten.

Auf ihrer Schnuppertour hatten sie mit dem gemieteten Wohnmobil nur auf Stellplätzen oder Campingplätzen übernachtet. Hier in der Stadt machten sie nun die Erfahrung, dass es gar nicht so leicht ist, mit einem acht Meter langen Fahrzeug einen Parkplatz zu finden. Nachdem Robert schon dreimal durch ziemlich enge Straßen um den Block gefahren war, rief Nanni von ihrem Smartphone aus ihre Freunde an.

»Hallo Gabriele. Ich bin’s, Nanni. Wir sind schon fast bei euch, finden aber keinen Platz für unser Schlachtschiff. Weißt du vielleicht, wo wir mit unserem WoMo über Nacht stehen können?«

»Hallo Nanni. Toll, dass ihr schon da seid. Da haben wir nachher schön viel Zeit zum Klönen. Ihr könntet eventuell vor unserer Garage parken. Wie lang ist denn euer Wohnmobil?«

»Knapp 8 Meter.«

»Mhm, das ist wohl zu lang für unsere Garageneinfahrt. Aber warte mal, mir fällt gerade etwas ein. Neulich habe ich bei einem Spaziergang gesehen, dass es in der Nähe am Ostbad einen Stellplatz für Wohnmobile gibt. Zu Fuß sind das nur ca. zehn Minuten bis zu unserem Haus in der Propsteistraße.«

»Das klingt gut«, schaltete sich Robert ein. Er hatte das Gespräch mitgehört, weil Nanni ihr Smartphone über die Bluetooth-Verbindung mit der Freisprecheinrichtung des Navis gekoppelt hatte. »Wir sind gerade an einem Wegweiser zum Ostbad vorbeigefahren. Wenn wir da einen freien Platz finden, können wir ja sogar auf Matilda die erste Nacht verbringen!«, frohlockte er.

»Wer bitte ist Matilda?«, fragte Gabriele irritiert.

»So haben wir unser Wohnmobil getauft. Das Kind musste doch einen Namen haben. So wie die Schiffe«, erläuterte Nanni.

»Aber warum Matilda?«

»Das erklären wir euch nachher. Ist eine nette Geschichte.«

»Naja, so nett nun auch wieder nicht«, brummte Robert.

Die Ausschilderung führte die drei Hamburger zuverlässig zu dem großen Parkplatz am Ostbad.

Der Platz war für sie nahezu ideal. Ganz in der Nähe verlief der Dortmund-Ems-Kanal, an dem sie mit Aika einen schönen Spaziergang machen konnten. Als Robert die Hündin von der Leine losmachen wollte, warnte Nanni energisch: »Du bist wohl verrückt. Fremde Umgebung und dann auch noch der Kanal. Da würde unser Hund sofort reinspringen und sich ein Bad gönnen. Kommt gar nicht infrage!«

»Tja, da hat Frauchen leider recht«, tröstete Robert ihren Hund. Ob Aika das verstanden hatte?

Von ihren Freunden wurden sie überschwänglich begrüßt. Tim war schon zu Hause. Er hatte so viele Überstunden auf seinem Zeitkonto, dass er es sich leisten konnte, heute sehr früh Feierabend zu machen.

Gabriele hatte aus einer guten Konditorei einige Stücke Torte besorgt und entschuldigte sich, dass sie nicht selbst gebacken hatte. »Ihr wisst ja, Küche ist nicht so mein Ding. Ich hoffe, dass die Tortenstücke so lecker sind, wie sie aussehen, und euch schmecken.«

Tim grinste über die Bemerkung seiner Frau, dass die Küche nicht so ihr Ding sei, und meinte: »Ich habe für heute Abend auch schon einen Tisch bei Pinkus Müller[1] vorbestellt. Wir werden also nicht verhungern. Nun erzählt aber erst einmal, wie es euch so geht. Du hast uns ja am Telefon erzählt, dass Robert jetzt im vorzeitigen Ruhestand ist, aber warum, das hast du nicht erläutert«, wandte sich Gabriele an Nanni. »Oder ist die Frage zu persönlich?«

»Ach, Robert redet nicht so gerne darüber, aber er kann euch besser selber erzählen, warum er jetzt im Ruhestand ist.«

Robert räusperte sich, berichte kurz über seinen Dienstunfall und die Folgen, wechselte dann jedoch schnell das Thema und fragte die Gastgeber, was denn ihre Kinder machten. Bald kam man auf gemeinsame Erlebnisse während der Studienzeit und die teilweise turbulenten Jahre danach zu sprechen. Über das Schwelgen in der Vergangenheit verging die Zeit wie im Flug, und schließlich mahnte Tim zum Aufbruch. Aika wurde noch eben im Wohnmobil untergebracht und erhielt den Auftrag, gut auf Matilda aufzupassen.

Bei Pinkus Müller bestellten sie die Spezialitäten, die ihnen schon bei ihren letzten Besuchen sehr gut geschmeckt hatten. Die Männer entschieden sich für Töttchen, und die Frauen wählten Pannekoken mit Pillewörmer. Dazu wurde natürlich leckeres Altbier getrunken, und auch der ein oder andere Pinkus Bio-Bierbrand floss durch die Kehlen. Bevor es aber ein Gelage wurde, drängte Robert zum Aufbruch, denn er wollte am nächsten Morgen fit sein und Tim und Gabriele mussten ja arbeiten.

[1]Eine bekannte Altbierbrauerei in Münster mit einer bodenständigen, traditionellen Küche.