Briefwechsel mit einem Selbstmörder - Achim Steinheimer - E-Book

Briefwechsel mit einem Selbstmörder E-Book

Achim Steinheimer

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Beschreibung

Kommissar Peter Kaspar wird zu einem, zunächst einfach anmutenden, Fall gerufen. Erst im Laufe der Ermittlungen werden die Verknüpfungen mit anderen Mordfällen deutlich, die zunächst eine Vendetta vermuten lassen. Erst nach und nach werden die Verwicklungen deutlich.

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Vorwort

Die folgende Geschichte hat sich in einigen Teilen wirklich so zugetragen, wie ich diese geschildert habe. Andere Teile ergeben sich aus den Gedanken, der Phantasie, den Ängsten und den Träumen des Geschichtenerzählers. Die einzelnen Personen mit ihren Namen und Verhaltensmustern sind natürlich frei erfunden. Ebenso die Beschreibung ihrer körperlichen und charakterlichen Eigenschaften und Herkunft, die dem Geschichtenerzähler ein bisschen die Würze seines Werkes ausmachen. Vielleicht dient die Erzählung auch ein wenig seiner Psychohygiene, um das möglicherweise Erlebte und Gehörte besser zu verstehen. Vielleicht auch, um dem geneigten Leser einige Denkanstöße aus der beruflichen Erfahrung mit drei Diplomen und drei Jahrzehnten im öffentlichen Dienst zu vermitteln, damit unsere Welt ein bisschen weniger bürokratisch, dafür verständnisvoller und humaner wird respektive werden sollte, als es Teile unserer Gesellschaft derzeit erleben, durchleben oder gar vorleben.

Keinesfalls sind diese zuweilen überspitzt erscheinenden Beschreibungen jedoch beleidigend, diskriminierend oder gar überheblich gemeint. Vielleicht dienen sie ja dazu, dem Leser negative Erlebnisse auf diesem übertriebenen, fast spöttisch anmutenden Weg der Darstellung, leichter Geschichte in seinemLeben werden zu lassen.

Wer Anstoß daran findet, darf diesen gerne behalten. Ich brauche diesen nicht.

Herzlichst

Achim Steinheimer

Februar 2017

Prolog:

Auf unserer schönen und dicht bevölkerten Welt gibt es zuweilen von Gott gesegnete Landschaften bei deren Betrachtung sich besondere Gefühle in den Herzen von uns Menschen regen oder bemerkbar machen.

Zu einer solchen Landschaft gehört auch das Rheintal. Von der Quelle bis zur Mündung in einer besonderen Vielseitigkeit, sowohl von Fauna und Flora als auch von seiner Bevölkerung her. Hier wirken die Bäume immer ein klein wenig grüner und voller als woanders. Das Gras scheint satter und bewundernswerter - bis man nach einem Tagtraum in eben diesem Gras feststellt, dass dessen Flecke auf dem guten Hemd sich ebenso wenig herauswaschen lassen, wie die Grasflecke aus anderen Regionen der Republik.

Die Sonne strahlt hier heller als anderswo, allerdings ohne die Grasflecke aus dem guten weißen Hemd zu bleichen.

Vor allem am südwestlichen Knick des großen Stroms liegt hier eine Landschaft, der schon Goethe und Brentano ihre Aufwartung machten und die Kaiser Karl für den Weinbau im Auge hatte, weil er vom gegenüber liegenden Ufer beobachten konnte, dass hier der Schnee früher taute.

Die Menschen wirken hier in diesem kleinen Landstrich fröhlicher und geselliger, was zuweilen dem guten Wein zugeschrieben wird, aber auch in den frühen, im allgemeinen nüchternen Morgenstunden auftritt und daher durchaus nicht nur einem Alkoholspiegel entspringt.

Diese Entspanntheit hängt wohl eher mit dem höheren Maß an Gelassenheit und Zufriedenheit im Herzen und im Geiste der Bewohner dieser Region zusammen, denn die Wirkungen der Landschaft übertragen sich gerne in die Sinne der Menschen.

Ähnliche Verhaltensmuster finden sich auch in Österreichs schöner Wachau oder auch in der italienischen Poebene.

Allerdings weisen die Menschen im Rheintal, neben einer besonderen Fröhlichkeit auch eine Charakterstärke auf, die anderen zuweilen nicht einfach erscheint. Denn sie sind von einer Ehrlichkeit und einer Offenheit geprägt, die dem Rest der Weltbevölkerung ein Zusammenleben leicht und angenehm macht - mit Ausnahme der Leute, die eben nicht so ehrlich sind und das unter bösen Umständen auch schon bewiesen haben oder zumindest den Anschein erweckten, wie es formaljuristisch heißt.

Diese Leute werden hier im Rheingraben nicht unbedingt als Menschen angesehen, weil sie durch die erfahrene oder vermutete Unaufrichtigkeit das Attribut „Mensch“ von der hiesigen Bevölkerung nicht vergeben wird.

Die folgende Geschichte spielt an einer Stelle des Rheines, an der sich das Wasser des Flusses in seiner ganzen Vielfältigkeit zeigt. Einmal blau und schäumend durch die Engen der Uferregulierungen und der Felsen fließend, teilweise grün flach, sanft strömend, plätschernd, als ob der Gott des Weines Bacchus gleich lächelnd aus dem Wasser entsteigen wolle, um sich seiner göttlichen Bestimmung gemäß am edlen Rebensaft zu laben.

In einer Landschaft in der Goethe und Brentano zu Hause waren und nicht nur die Weine an den Südhängen liebten, sondern auch romantisch verträumt an den Ufern dieses Stromes saßen, hat in einer späteren Zeit zuweilen auch das Streben nach Macht seinen Einzug gehalten. Die Attraktivität der Landschaft bereitet nicht nur den „Ureinwohnern“ Freude, sondern führt allein durch ihre Anwesenheit und die Beschreibung in den unterschiedlichsten Schriften zu den Begehrlichkeiten der aufstrebenden Bevölkerung hier zu wohnen und zu arbeiten. Der Ureinwohner nennt diese sehr gerne „Hergeloffene“, was aber keinesfalls den Hintergrund der Boshaftigkeit spiegelt, sondern mehr eine kleine, schmunzelnde Nuance der Verdeutlichung eines Unterschiedes im Zeitalter der Globalisierung anzusehen ist und mehr die Vermutung nähren soll, dass das Verhalten der Ureinwohner und ihrer Nachkommen hier noch nicht komplett Einzug in deren Geisteshaltung gefunden hat.

Was einen großen Teil dieser Bevölkerung am Rhein vereint - und hier spielt es vielfach keine Rolle, ob es sich um Urgewalten des Rheintales oder Hergeloffene handelt - ist der Glaube an Gerechtigkeit und das Streben nach derselben. Ebenso wie die Verletzlichkeit der Menschen, wenn diese eine Ungerechtigkeit erfahren. Eine erlebte Ungerechtigkeit mag dieser Menschenstamm zwar irgendwann einmal verzeihen, vergessen aber wird er diese nie. Sie prägt sich ein, wie die Grundverletzung eines Kindes und begleitet den Rest des Lebens, zuweilen auch als Déjà-vu. Immer jedoch weckt sie den Widerspruch. Nicht nur den des Betroffenen, von dem ein Widerspruch ja generell zu erwarten ist bzw. zu erwarten sein sollte, sondern auch von der Mitbevölkerung, die dieses gerne mitträgt und so einen fast schon familiär anmutenden Schulterschluss mit dem Mitbürger bildet.

Eine kleine zu vernachlässigende Randgruppe ist die klassische Gruppe der Tratschbasen beiderlei Geschlechtes. Sie haben immer alle Informationen aus erster Hand und erheben die eigenen Gedankengänge und Mutmaßungen zu Vorkommnissen in der Region mit den abschließenden Worten „ Es kann ja gar nit anders sein“ auf die Ebene der absoluten Wahrheit.

Auch hier gilt:“ Ich liebe den Verrat, aber hasse den Verräter“.

I

Es war einer der üblichen Herbstmorgen die einen wunderbaren Tag vorhersagten. Der Sonnenaufgang spiegelte sich im großen Strom und lies einzelne Nebel über dem Wasser aufsteigen. Die leichten Wellen wirkten noch frischer und das Wasser noch klarer, als dieses an Sommertagen der Fall war. Eine angenehme Frische zog über die Uferpromenade. Diese Herbstluft hatte etwas blühendes, blumiges, vitales. Gemeinsam mit dem Geräusch der Wellen, die ans Ufer schlugen, zeichnet dieses Streben der Natur gemeinsam mit der Landschaft verantwortlich für die gepriesene Rheinromantik, in der sich bereits die deutschen Dichter verloren hatten.

Einerseits ließ die Luft um diese Tageszeit einen leichten Mantel angemessen erscheinen, machte aber auch schon deutlich, dass man diesen den Rest des Tages über dem Arm tragen musste und in der Wärme der Mittagsstunden dann doch als Last empfinden würde. Die Wärme dieses Tages war irgendwie sichtbar, aber leider noch nicht zu fühlen.

Kommissar Kaspar mochte diese Stunden am frühen Morgen, allerdings nicht, wenn er zu einem Einsatz gerufen wurde.

Solche Tageszeiten waren seiner Auffassung nach zum Genießen gedacht und nicht um den Tod eines Menschen aufzuklären.

Ein Spaziergänger mit Hund hatte einen unter die Bezeichnung „reiferer Herr“ fallenden Leichnam auf einer Bank dicht am Ufer des Flusses bemerkt und gleich Polizei und Notarzt gerufen.

Der Notarzt war noch früher zur Stelle als die Polizei und hatte leider erfolglos versucht, den „reiferen Herrn“ zurück ins Leben zu holen.

Noch immer saß der Verstorbene aufrecht auf der Bank und hatte seinen Blick über den großen Fluss ein wenig nach dem Sonnenaufgang flussaufwärts ausgerichtet. Lediglich der aufgeschnittene Ärmel des Mantels und des Sakkos ließen die Rettungsversuche erkennen, ansonsten wirkte der Mann ausgesprochen elegant, wie ein normaler Spaziergänger, der ein bisschen Ruhe sucht.

Trotz des Todes wirkten seine Augen nicht leer, eher zufrieden in die Ferne blickend, die Gesichtszüge vollkommen entspannt.

Der Mann wirkte ausgesprochen gepflegt. Die Haut schien rosig, frisch, keine Leichenflecken – als sei er zwischen den Welten. Nicht mehr am Leben, aber auch nicht richtig tot.

Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen. Sehr diszipliniert in seinem Trenchcoat über dem grauen Anzug und dem dazu passenden Homburg auf dem Kopf. Neben ihm lehnte ein schwarzer Stock mit silbernem Griff und leichte schwarze Lederhandschuhe lagen auf der Bank. Er trug Halbschuhe im Budapester Stil. Dem Anschein nach maßgefertigt.

Eine elegante Erscheinung, die in der Menge der anwesenden Polizisten der Spurensicherung und den Rettungssanitätern in Ihren Overalls und Rettungswesten besonders positiv auffiel und in dem Bild der Aktivitäten ruhte, - wie von einem anderen Stern.

Kommissar Kaspar hatte seinen Blick schweifen lassen und zunächst die gesamte Situation in sich aufgenommen.

Kommissar Finkenberg, Partner und jeweils zweiter ermittelnder Kommissar, stand seit einer Weile ruhig neben ihm. Außer einem „Guten Morgen“ hatten diese beiden sich noch nicht ausgetauscht. Lediglich einen Becher Kaffee, den Finkenberg immer in der Thermosflasche bei sich führte.

Peter Kaspar wandte sich nun Dr. Ott, dem heute diensthabenden Notarzt zu, der bereits seit einer Weile ebenfalls neben ihm stand und ihn in der Aufnahme des Schauplatzes nicht störte. Er kannte Peter Kaspar lange genug und schätzte seine Arbeitsweise, die von einer ausgeprägten Ruhe gekennzeichnet war. Niemals geriet er in den Jahren, die sie beide sich kannten, in Hektik. Er versuchte immer, alles von allen Seiten zu durchdenken.

„Todesursache?“ fragte Kaspar, die linke Augenbraue leicht hebend, den Notarzt. Recht wortkarg, aber er war ja auch noch vor dem ersten Kaffee, den er noch immer in der Hand hielt ohne davon zu trinken, und deswegen überhaupt nicht dynamisch war, eher ein bisschen miesepetrig oder „knieselig“, wie esDr. Ott, auch Internist und Pathologe des hiesigen Krankenhauses und Gerichtsmediziner dieses kleinen Landstriches, zu bezeichnen pflegte.

>Wohl Zyanid Vergiftung. Orale Aufnahme. Wir haben einen kleinen Frischhaltebeutel in der rechten Manteltasche gefüllt mit Rosinen und den Beeren des Kirschlorbeers gefunden, die der Tote wohl in vollem Bewusstsein und Kenntnis der Wirkung auf der Bank sitzend zu sich genommen hatte. Daher rührt auch die rosige Gesichtsfarbe, die ihn wie zwischen den Welten vermuten lässt.

Näheres bitte erst nach der Obduktion. Ich wundere mich noch über die starke Auswirkung der Beeren. Ich vermute noch eine weitere toxische Substanz.

Es war nur ein leichter Bittermandelgeruch feststellbar, als wir den Verstorbenen so angetroffen haben. Ich habe zwar gleich Dimethylaminophenol verabreicht, allerdings war die Vergiftung wohl soweit fortgeschritten, dass das Leben des Patienten nicht mehr zu retten war. Der Tod muss irgendwann zwischen 06:00 h und 07:00 h eingetreten sein, vermutlich kurz vor unserem Eintreffen hier vor Ort.

Bericht folgt kurzfristig nach der Obduktion und geht vorab per E-Mail zu. Ich mach´ mich mal vom Acker und bereite alles vor. Die Leich´ kommt ja gleich.<

Die Spurensicherung suchte die nähere und weitere Umgebung auf Hinweise und mögliche Beweise ab.

Kaspar prüfte gerade noch die Innentasche des Sakkos und fand die Brieftasche des Verstorbenen. Elegantes Leder, Eelskin, so wie es dieses nur in den USA zu kaufen gibt. Allerdings verfügte der Verstorbene über deutsche Papiere.

Doktor Jonathan Sibelius Constantin von Kadenbeerg.

Mit drei e, so wie der Pfeiffer aus der Feuerzangenbowle von Spoerl mit seinen drei f. Kaspar musste dann doch am frühen Morgen ein wenig schmunzeln, als er in dieser traurigen Situation die Parallele zu Spoerl´s Feuerzangenbowle zog.

56 Jahre alt, promoviert wohl als Bau-Ingenieur, nach den Visitenkarten in der Brieftasche noch weitere Diplome als Architekt, Kunsthistoriker, Betriebswirt, Finanzwirt, Gutachter für Immobilien mit Europäischer Zulassung usw.

In der Brieftasche fanden sich auch die Wagenpapiere. Jede Menge Wagenpapiere. Aber meist historische Fahrzeuge oder Youngtimer, wie diese neudeutsch genannt wurden. Der ausgesprochen gepflegte Opel Senator B, der oben seitlich an der Straße geparkt war, gehörte wie bereits vermutet zu Doktor von Kadenbeerg, denn in der anderen Jackentasche befand sich neben dem Mobiltelefon auch der dazugehörende Schlüssel. Erkennbar an dem Opel–Logo und dem für das Baujahr typische Birnchen, um das Türschloss anleuchten zu können, denn die Autoschlüssel waren damals noch nicht up to date mit den heutigen Fernbedienungen.

Der Wagen war ausgesprochen aufgeräumt. Kein Krümel oder gar ein Stäubchen. Noch nicht einmal ein Hinweis auf Gebrauchsspuren. Phänomenal. Der gepflegte Eindruck des Leichnams des Doktors von Kadenbeerg setzte sich hier fort.

Wohl einer dieser Menschen, die sterben, wie sie lebten, Aufrecht und mit Stil, aber ohne Aufhebens.

Er war auf dessen Wohnung und die weiteren Ermittlungen gespannt.

Diese lag auf der anderen Seite des Flusses in einem anderen Bundesland und normalerweise außerhalb seiner Zuständigkeit. Allerdings konnte in Absprache mit dem dort zuständigen Kommissariat kurzfristig die erforderliche Inaugenscheinnahme geklärt werden.

Die Mitarbeiterin im Innendienst bekam per Anruf von seinem Mobiltelefon die entsprechende Anweisung, damit er sich gleich mit der nächsten Fähre auf den Weg machen konnte.

Er wollte aber nicht sofort aufbrechen. Irgendetwas hielt ihn hier an Ort und Stelle dieses verstorbenen Menschen, der auch im Tod noch so viel Ausstrahlung hatte, bis dieser mit dem Leichenwagen in die Gerichtsmedizin abtransportiert war. Er fühlte sich aus unbekannter Ursache dem menschlichen Beschützerinstinkt verpflichtet. Ein ihm unbekanntes Gefühl der Verpflichtung, da er sich überwiegend von Fakten und nicht von Emotionen in seinem Berufsleben leiten ließ.

Finkenberg war bereits wieder zurück zur Spurensicherung, um dort weiter zu ermitteln und hatte anschließend noch einen Termin im Präsidium.

Er öffnete Doktor von Kadenbeergs Wagen, dessen makelloser Lack silbrig in der aufgehenden Sonne glänzte. Am vorderen Kotflügel spiegelte sich regelrecht das Rot der aufgehenden Sonne, die sich in gleicher Stärke im Wasser spiegelte. Der Wagen wirkte regelrecht drapiert, wie Kommissar Kaspar mit nachdenklichem Gesicht feststellte.

Er warf einen Blick rund in dem Wagen und bemerkte, dass auf dem Velours des Beifahrersitzes auffällig eine schwarze Mappe aus feinem Leder lag, deren Inhalt durch einen geschlossenen Reißverschluss gesichert war.

Das weckte natürlich die Aufmerksamkeit von Kommissar Kaspar. Er nahm in dem Wagen auf der Beifahrerseite Platz, die Beine draußen, schaute kurz in das Handschuhfach und öffnete dann die Mappe, die er bereits interessiert in die Hand genommen hatte, als er sich niedersetzte.

Darin enthalten war ein vielseitiges Manuskript, fein säuberlich getippt und mehrere, an unterschiedliche Personen adressierte und frankierte Briefe.

Der kriminaltechnische Anschein des Suizides wird sich vermutlich bestätigen. Welche Akribie in dessen Vorbereitung.

Kommissar Kaspar widmete sich dem Manuskript, das sein Interesse weckte. Zart gelbes Papier mit Wasserzeichen, darauf in Arial mit jeweiliger Datumsangabe die einzelnen, fast schon protokollarischen, tagebuchähnlichen Vermerke des Doktor von Kadenbeerg, die für Kommissar Kaspar ausgesprochen interessant waren und er noch im Wagen sitzend sofort anfing zu lesen.

II

Angefangen hatte alles mit der Planung eines Altenpflegeheimes für die Heimatgemeinde, dessen Idee seit Jahren in der Politik schwelte, aber keine Umsetzung oder Durchsetzung fand. Es wurde immer nur geredet und geplant, aber eine Finanzierung scheiterte letztendlich immer an den schwachen Haushalten der Stadtverwaltung, die in ihrer Politik für alles immer Geld zu haben schien, nur nicht für das notwendige zum Wohl der Bürger. Wählerinteresse gilt immer nur kurz vor den Wahlen und ansonsten gilt im Allgemeinen durch die Couleur aller Parteien „der Wähler steht bei uns im Mittelpunkt! – Und damit jedem im Weg.“ Nachdem der Doktor verschiedene Personen der Kommunalpolitik, die sich für Entscheidungsträger hielten, in den einzelnen Gesprächen und Verhandlungen kennen lernen durfte, war schon ein wenig die des Planers Doktor von Kadenbeerg eigene Überzeugung gewichen, dass dieses Altenpflegeheim von der Politik ohne Gewinnabsicht entstehen sollte. Am Anfang aller Verhandlungen war nur noch nicht klar, wer sich welchen Gewinn von wem versprach.

Der Doktor kommentierte das in seinen Unterlagen nicht weiter. Allerdings hatte jeder, der zwischen den Zeilen lesen konnte, den klaren Eindruck, dass es in diesen Reihen regionalen Machtgehabes nur um den Ruhm ging, Initiator dieser Immobilie gewesen zu sein. Die Bedürfnispyramide nach Maslow, die oberen Punkte menschlicher Bedürfnisse waren nicht immer erbaulich für die Gattung Mensch und führten aus seiner Erfahrung durchaus zu Reaktionen, die tödlich enden konnten.

Der erste Investor, Direktor Eduard Spaller, ein kleiner, hagerer Herr mit dunkelblauem Sakko, Chinopants und Segelschuhen, legte großen Wert auf den ausgeschriebenen Zuschuss aus dem Budget der Stadt, den der Bürgermeister Peter Scheimann, ein erzkonservativer Politiker wegen der angespannten Haushaltssituation der Gemeinde auf das äußerste verteidigte.

„Herr Direktor Spaller, Sie können mich noch so lange mit Dackelaugen anblicken, aber den Zuschuss stellt die Stadt erst dann zu Verfügung, wenn ein entsprechender Baufortschritt feststellbar ist, damit auch eine Fertigstellung der Altenheimanlage sichergestellt ist.“

Der segelnde Direktor war darüber natürlich nicht erbaut.

Aus Gründen der menschlichen Gier, die zu mannigfaltigem geschäftlichem Engagement führt, dessen Vielzahl der Projekte dann immer das Abgleiten ins Chaos und in den Bankrott befürchten lässt, erschien ihm dieser Zuschuss wichtig.

Er konzentrierte sich in der darauf folgenden Argumentation auf den Erhalt einer „Anschubfinanzierung“.

„Der Zuschuss erhöht bei der finanzierenden Bank der Altenheimanlage doch das Eigenkapital und führt nicht nur zu einem günstigeren Zinssatz des Darlehens und so zu einer entsprechend höheren Rendite für den Investor, sondern auch zu einer günstigeren Kostenmiete für den Betreiber, der sich dadurch schneller finden ließe“.

Der segelnde Direktor stellte mit einem Goethezitat dann auch noch seine Ehrlichkeit zur Schau:

„Schon gut! Nur muss man sich nicht allzu ängstlich quälen;

Denn eben, wo Begriffe fehlen,

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.

Mit Worten lässt sich trefflich streiten,

Mit Worten ein System bereiten,

An Worte lässt sich trefflich glauben,

Von einem Wort lässt sich kein Jota rauben.

Ich will Sie doch nicht berauben Herr Bürgermeister, ich will nur den größtmöglichen Erfolg für die Anlage und Ihre Wähler sicherstellen. Wir haben große Erfahrung im Bau von Altenpflegeheimen, gerade in diesen Tagen findet die Grundsteinlegung eines unserer neuen Projekte in Isny in Bayern statt und Sie sind herzlich dazu eingeladen, sich selbst ein Bild davon zu machen.“

Dabei legte er ein Schulbubengesicht auf, das zum Ausdruck bringen sollte, wie erfolgreich er doch in seinem Metier war.

Fehler war nur, dass das von ihm gebrauchte Zitat von Mephisto in Goethes Faust stammte und damit so unpassend war, wie der Elefant im Porzellanladen.

Bildung lässt sich nicht darstellen. Entweder man hat sie oder man hat sie nicht. Ebenso wenig wie Mephisto tauglich erscheint, geschäftliche Seriosität zu demonstrieren.

Dummes Geschwätz macht misstrauisch. – Insbesondere den Doktor von Kadenbeerg.

Wenige Tage später erfuhr er, dass die Kapitaldecke des Investors Direktor Spaller eher gegen Null ging und für das Projekt im ehemaligen Königreich bereits die Finanzierung nicht zu realisieren war und deswegen die Grundsteinlegung verschoben werden musste. Dass dem Pfarrer in Bayern, dessen Projekt es war, Versprechungen gemacht wurden, die nicht gehalten werden konnten und sollten. Der Vorstand der Kirchengemeinde des kleinen Ortes hatte natürlich seine regionale Kirchenverwaltung als Betreiber gewinnen können und stand unter entsprechendem Erfolgsdruck für die Fertigstellung seines Pflegeheimes.

Die durch den Generalunternehmer gewährte „Anschubfinanzierung“ für die Altenpflegeanlage der Heimatgemeinde des Doktor von Kadenbeerg, die mit dem vertraglich vereinbarten Honorar des Generalunternehmers verrechnet werden sollte und über das Grundbuch dinglich gesichert war, stand auch nicht mehr am Rhein zur Verfügung, sondern war in das Land des räuberischen Bergvolkes geflossen, damit die Versprechungen hier gehalten und der Erfolgsdruck gelindert werden konnten. Wie weiter zu erfahren war, wurde dort der aktuelle Landeschef durch ein politisches Urgestein geschaffen, der zufällig der Vater des Segeldirektors war. Hier drohte also gegebenenfalls auch noch der Kampf gegen politische Seilschaften.

Es war eine große Gewissensentscheidung, diese Erkenntnisse zu kommunizieren, auf die Verträge mit dem Segeldirektor zu verzichten und mit der Projektierung des Altenpflegeheimes wieder von vorne anfangen zu müssen.

Aber in seiner Heimatgemeinde kann kein Risiko und ein späteres Scheitern des Projektes eingegangen werden, das später, gerade aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit und auch der vorhandenen Sozialneider, untrennbar mit seinem Namen verbunden bleibt.

Nichts ist so vergänglich, wie die guten Leistungen von gestern und nichts bleibt so untrennbar in den Köpfen der Menschen haften, wenn dieses zu einem späteren Zeitpunkt gegen einen anderen verwendet werden kann um sich selbst in ein tadelloses Licht zu rücken. Ein Verhaltensmuster, das gerade auf dem Lande, in dessen Vertrautheit der Bürger untereinander, von größter Bedeutung zu sein scheint.

Diese Nachricht führte natürlich bei dem Generalunternehmer zu blankem Entsetzen, weil der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern für diese Anschubfinanzierung in der Verantwortung stand und das Geld jetzt in ein anderes Projekt geflossen war, für das bei ihm kein Auftrag bestand und nun nicht mehr zur Verfügung stand.

In dieser ungeklärten Situation tauchte ein erneuter Investor auf. David Bilcker von einer gleichnamigen Limited mit Sitz an der französischen Grenze. Das Ltd. auf der Visitenkarte war so dünn gedruckt, dass es auf dem grauen Papier in seinem etwas dunkleren Grauton nicht auf den ersten Blick zu erkennen war. Der war jetzt nicht Direktor einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, er war Eigentümer seiner Firma.

Allerdings war die eingeholte Kreditauskunft dann auch dreimal A, während der Segeldirektor zu diesem Zeitpunkt bereits auch seinen Bürgen mit in das finanzielle Unglück gezogen hatte. Der renommierte Anwalt und Freund des Segeldirektors kämpfte gerade um seine Existenz.

III

David Bilcker war in den Augen des Doktor von Kadenbeerg auch so ein Pseudogelackter in ähnlichem Styling wie der Segeldirektor. Auch das blaue Jackett und die Chinopants, nur keine Segelschuhe sondern Halbschuhe. Und dann der Saarländer Dialekt. Aber eine Limited - 35,00 Euro Gründungsgebühr und das Risiko des Heimfalls an die Krone von England, wenn den steuerlichen Erfordernissen in England nicht nachgekommen wird.

Peter Kaspars Gedanken schweiften gerade beim Lesen etwas ab, weil am Rande der Notizen ein feiner, in grüner Tinte gehaltener, handschriftlicher Vermerk zu lesen war.

„Unsere Firma ist eine Limited in England und mein Mann der Geschäftsführer – ach ich weiß überhaupt nicht, was ich dem heute Mittag noch kochen soll.“ so ein möglicher Dialog der getreuen Ehefrau des saarländischen Briten in der Phantasie des Doktor von Kadenbeerg. Meist greifen sich diese Ehefrauen, die auch heute noch gerne auf dem Standesamt promovieren, mit halb geöffneter Hand von hinten an den Haaransatz im Nacken um die Dauerwelle zu stützen und das ondulierte Haar in den gewünschten Sitz zu bringen.

Der verstorbene Doktor von Kadenbeerg hatte allem Anschein nach, die gleichen Angewohnheiten wie Peter Kaspar, nämlich dass ihm in gewissen Situationen oder beim Anblick von Personen zwar nie geführte, aber mögliche Dialoge durch den Kopf glitten und so zu einer für Außenstehende nicht nachvollziehbaren Erheiterung seiner selbst führten.

Die vorhandene Auskunft durch die Ratingagentur war ja nun allerbestens, was zur Zerstreuung der Bedenken des Geschäftsführers des „Generalübernehmers“ des Bauprojektes Altenpflegeheim führte. Auch von Kadenbeerg hatte einfach keine sachlichen Argumente und persönlich zu agieren war nicht seine Intension.

Ein merkwürdiges Gefühl blieb jedoch.

Durch einen diskreten Schubs des Geschäftsführers wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

>Na bei einem solchen Rating aus den Geschäften der Vergangenheit kann doch unserem gemeinsamen Erfolg nichts im Wege stehen<, so der Geschäftsführer des Generalübernehmers.

Der kleine Saarbrite lächelte verschmitzt und wirkte mindestens zwanzig Zentimeter größer.

Doktor von Kadenbeerg lächelte ebenfalls.

>Aber vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt und der wird auch hier, trotz des guten Ratings, von Nöten sein.<

Es gab für ihn keine andere Möglichkeit, seine Sorge und seine gedankliche Abwesenheit zu überspielen.

Dieser kleine Herr in immer den gleichen Klamotten, immer das gleiche blau karierte Hemd und die grüne Fliege dazu, der so welterfahren tat und von seinen Leistungen berichtete.

Meist begann er seine selbstdarstellenden Sätze mit den klassischen Saarländer Worten „isch han“ und fing dann an zu referieren, um schließlich in einen huldvollen Unterton zu verfallen, der, unterstrichen mit entsprechender Gestik und Gesichtsausdruck, doch den persönlichen Erfolg und das Können unterstreichen sollte.

Auffallend war, dass dabei nie ein Augenkontakt zu seinem Gegenüber bestand. Und wenn dieser einmal aufflackerte, dann nur für kurze Momente, denn unser kleiner Saarbrite wich einem Blickkontakt immer sehr schnell aus.

Auch das wirkte nicht positiv auf den mit preußischer Disziplin arbeitenden und verhandelnden Doktor von Kadenbeerg.

Im weiteren Verlauf der Protokollnotizen wurden die Vertragsverhandlungen zu dem Projekt im Heimatstädtchen und einem weiteren, neuen Projekt am anderen Flussufer beschrieben und deren Kalkulation festgehalten.

Die Sorgfalt und die Präzision mit der von Kadenbeerg an diese Projektentwicklung herangegangen war, ließ Kommissar Kaspar, der in seiner Garderobe und seiner Art auf den ersten Blick ein wenig zerfahren und chaotisch wirkte, dann doch leicht erschauern. Diese Menschen wirkten auf ihn immer etwas unheimlich und streberhaft.

Dennoch interessant zu lesen.

Im weiteren Verlauf war folgender Dialog handschriftlich am Rande mit grüner Tinte vermerkt:

„Herr Bilcker, wenn Sie einen Vorschuss von fünftausend Euro für das neue Projekt am anderen Flussufer nicht zahlen können, dann haben Sie weitaus größere Probleme, bei der Vielzahl der Projekte, die Sie gerade betreiben“ – „Touché, Herr Doktor von Kadenbeerg, da haben Sie allerdings recht.“

Zwei Seiten weiter war dann ein Vermerk, dass der Betrag in Höhe von € 5.000,00 bar in der Kanzlei des Notars bezahlt werden sollte.

Vermerke ließen allerdings den Schluss zu, dass eine Problemstellung, wie ursprünglich vermutet, nicht bewiesen werden konnte.

War der vermutete Suizid ein Suizid oder sollte es nur nach Suizid aussehen? Kommissar Kaspar war sich noch nicht schlüssig und las interessiert weiter.

Er überflog die weiteren Seiten und stellte dann fest, dass der gewünschte Betrag dann doch bar beim nächsten Termin gezahlt wurde und dann für das weitere Projekt ein Notartermin stattfand.

In der Folge wurde aber auch beschrieben, dass seitens des Saarbriten keinerlei Anstrengungen mehr festzustellen waren und das Projekt seitens des Vertragspartners dann doch gekündigt wurde. Wobei die Bezeichnung ‚Saarbrite‘ in Anführungszeichen vermerkt war, was dem Ausdruck dann doch das Despektierliche nahm und eher scherzhaft wirken lies. Parallel dazu entwickelte sich wohl auch das Projekt in der Heimatgemeinde negativ, denn hier wurde plötzlich ein sogenannter Freund eingeschaltet, der mit dem Saarbriten noch eine GmbH hatte.

Nach den folgenden Vermerken war das Projekt plötzlich in anderen Händen in eigener Rechtsform, ohne dass die geschlossenen Verträge mit dem Saarbriten angepasst wurden.

Ein Rechtstreit entbrannte.

Wie allgemein üblich wurde ein Anwalt beauftragt.

Es fand wohl auch in dessen Kanzlei eine Sühneverhandlung mit negativem Ergebnis statt. Aber daraus ein Mordmotiv zu interpretieren wäre kühn. Wenn das umgekehrt der Fall wäre, müsste man ansatzweise dieser Frage nachgehen.

Interessant war, in den Aufzeichnungen des Doktor von Kadenbeerg zu lesen, dass es zu einer Gerichtsverhandlung im Saarland kam, weil dieses vertraglich als Gerichtstand vereinbart war. Der Saarbrite Bilcker hatte zwischenzeitlich seinen Wohnsitz nach Frankreich verlegt, um mit einem Insolvenzverfahren bereits nach einem Jahr fertig zu sein, statt wie in der Bundesrepublik Deutschland sieben Jahre Wohlverhalten den Gläubigern gegenüber zeigen zu müssen. Bei einer Forderung des Doktor von Kadenbeerg in Höhe von für Kommissar Kaspar schwindelerregenden sechshundertfünfzigtausend Euro eine durchaus gerechtfertigte Überlegung. Allerdings auch in betrügerischer Absicht, so musste der strafrechtlich geübte Kommissar das schon sehen.

Interessant und eine neue Erfahrung war für ihn auch, dass der Anwalt mit dem Mandat des Doktor von Kadenbeerg nicht nur als Anwalt fungierte. Wie aus den Protokollnotizen zu erfahren war, war er auch Stadtverordnetenvorsteher in der Heimatgemeinde und damit auch in den Sachverhalt des Altenpflegeheimes detailliert von zwei Seiten eingeweiht und informiert. Außerdem war er auch noch Aufsichtsrat der ortsansässigen Bank, die ja auch ein Interesse an solchen Projekten hat.

Das erschien aber doch schon sehr gegen das Antikorruptionsgesetz und vor allem gegen die Berufsethik der doch immer so korrekt erscheinenden Anwälte zu verstoßen. Sie, deren beruflicher Habitus gerade in Verhören der Vergangenheit Kaspar immer den Eindruck vermittelte, dass auch dieser Berufsstand dem Glauben unterliege, die Sonne schiene ausschließlich aus den Hintern der Anwälte und Staatsanwälte. Und so viele graue und schwarze Schafe des rektalen Sonnenlichtes wurden durch sein Kommissariat schon der Unehre überführt.

In den neuen Bundesländernnennen wir es Seilschaften. Bei den Bajuwaren ist es die Amigogesellschaft, und hier im Westen wird die Nase gerümpft und vornehm „oh nein, oh nein“ gehüstelt, aber nach gleichen Verhaltensmustern verfahren.

Wie immer taten sich auch hier Abgründe für unseren Kommissar auf.

Er schaute bei diesem Gedanken nachdenklich in die inzwischen aufgegangene Sonne und bewunderte den Fluss in seinem wunderbaren Licht und den sanften Wellen, die leise an die Uferböschung schlugen.

Eine innere Behaglichkeit durch die Sonne auf der Autoscheibe, den angenehmen Sitz und seinem Mantel stieg in ihm auf, gleichzeitig aber auch das steigende Interesse an dem hier gegebenen Fall. Selbst wenn sich der vermutete Suizid des Doktor von Kadenbeerg bestätigen sollte, so war hier aber wohl wegen ein oder gar mehrerer wirtschaftlicher Verstöße und Korruption zu ermitteln.

Das erste Urteil der Gerichtsverhandlung war hier im Protokollordner des Doktor von Kadenbeerg abgeheftet.

Kommissar Kaspar konnte es kaum fassen, aber zum ersten Verhandlungsgegenstand, dem Projekt über dem Fluss, befand der Richter „non liqued“ – konnte nicht ermittelt werden.

Das zweite Verfahren ging dann zugunsten des Doktor von Kadenbeerg aus. Der Vorschuss von fünftausend Euro musste an Bilcker zurück bezahlt werden und wurde dann mit der vertraglich vereinbarten und vom Gericht bestätigten Zahlung Bilcker´s an Doktor von Kadenbeerg in Höhe von zehntausend Euro verrechnet.

Eine schon merkwürdig anmutende Rechtsprechung aus Sicht von Kommissar Kaspar.

Das dritte Verfahren mit der Hauptsumme steht nach den hier vorliegenden Vermerken und dem hier abgehefteten Schriftverkehr mit der Anwaltskanzlei, die Doktor von Kadenbeerg zwischenzeitlich gewechselt hat und klugerweise nach Bayern ging, noch aus.

Was Kommissar Kaspar auch nicht bekannt war und was er jetzt hier als handschriftlichen Vermerk lesen durfte war die Tatsache, dass seit dem Wegfall der Notaranderkonten die Anwälte und Notare hier im Bundesland mit Auflage der Anwaltskammer Konten bei den Sparkassen unterhalten müssen. Natürlich innerhalb eines Rahmenvertrages der Anwaltskammer, damit lediglich überschaubare Kosten für die Anwaltskunden entstehen.

Sehr interessant, gerade unter dem Aspekt, dass der bisherige Anwalt Aufsichtsrat einer Bank in der Region war.

Welche Verflechtungen. Sein alter Lehrmeister würde jetzt sagen; „ Da graust´s der Sau!“.

An dieser Stelle war ein entsprechender Trennstreifen eingelegt, und der folgende Teil erschien noch interessanter zu sein. Auf den ersten Blick häuften sich hier nämlich die Vermerke des Doktor von Kadenbeerg mit grüner Tinte auf den Unterlagen und Briefen.

Das wollte er aber nicht hier im Wagen lesen. Vor allem auch, weil die Spurensicherung dabei war, ihre Arbeit zu beenden und der Leichnam gerade in das gerichtmedizinische Institut des Doktor Ott zur Obduktion verbracht wurde. Das Auto wurde ebenfalls sichergestellt und bei der Spurensicherung verwahrt. Der Tieflader kam gerade die Straße am Flussufer entlang gefahren.

Kommissar Kaspar nahm die Akte aus dem Wagen an sich und ging in Richtung seines alten Volvo 242 der 100 Meter entfernt parkte.

Er wollte sich erst die Wohnung des Doktor von Kadenbeerg ansehen und für den Rest des Tages, sofern möglich, das Aktenstudium weiter fortsetzen.

Ihm war nicht entgangen, dass sechshundertfünfzigtausend Euro noch immer offen standen. Die Akte sollte in Kopie an das Dezernat „Wirtschaftsstraftaten“ zu Marliese Westerhage als zuständiger Dezernentin, die hier sicher entsprechende Ansätze finden würde.

Inwieweit die Ermittlungen gegen den Saarbriten erfolgreich sein würden, konnte er jetzt nicht ermessen, wohl aber vermuten, denn er und Marliese Westerhage waren Lehrgangskollegen aus der Ausbildung zum Kommissar.

IV

Kommissar Kaspers Volvo verlies die Fähre am anderen Rheinufer und fuhr erst ein Stück Autobahn, die der Volvo mit seiner kleinen Maschine sehr tapfer unter die Räder nahm. In einer entsprechenden Schleife verlies er die Autobahn, um durch eine kleine Gemeinde zur B 50 zu gelangen. Der Weg war herrlich. Der Wald, teilweise Felder, die Sonne, das offene Schiebedach – ein Tag zum Helden zeugen.

Als würde man in den Urlaub fahren.

Nach einer Stunde war er am Haus des Doktor von Kadenbeerg angekommen.

Ein Wohnviertel etwas außerhalb. Große Grundstücke mit herrlichem altem Baubestand, langen Auffahrten und großen Garagen. Die Häuser von Rhododendren, Funkien und Hortensien umgeben und an den geschützten Stellen noch blühend oder noch einmal blühend. Große, gepflegte Rasenflächen, Terrassen mit Bruchsteinplatten belegt und mit Springbrunnen geziert. Hinter den Häusern direkt der Wald.

Ein Dienstwagen der Polizei stand schon vor dem Haus. Noch bevor Kommissar Kaspar die Tür seines Wagens öffnen konnte, wurde die Tür des Dienstwagens des anderen Bundeslandes geöffnet. Ein elegantes Bein an dessen Ende sich ein ebenso eleganter Pumps aus Velourleder befand, wurde herausgesetzt. Wow. Das zweite Bein war nicht weniger elegant und der Rest umwerfend. Eine ausgesprochen elegante Dame in schwarzem Rock, weißer Bluse und mit roten Haaren verlies gerade den Wagen und kam strahlend auf ihn zu:

„Guten Morgen, ich bin Sandra Mayrhofer, Kommissarin an der hiesigen Dienststelle und habe den Auftrag, Sie hier bei der Begehung zu unterstützen. Wollen wir hinein gehen?

„Aber gerne“, antwortete Kommissar Kaspar.

Er öffnete mit dem Schlüssel aus der Manteltasche des Doktor von Kadenbeerg die Eingangstür des recht hohen Zaunes, der zusätzlich mit einer hohen Hecke aus Kirschlorbeer unterstützt wurde. Zumindest war jetzt klar, woher die Beeren zwischen den Rosinen stammten. Eigene Ernte, garantiert Bio.

Auf dem Grundstück führte nach dem Eingangstor links eine Einfahrt aus Rasensteinen mit weißem Kies zu einer Halle hinter einer massiven, großen Eiche und rechts zu einem modernen Wohnhaus mit gelbem Putz und dunkelgrünen Läden an den bodentiefen Fenstern und Türen. Umgeben war das Haus mit einer Bruchsteinterrasse zu der der Bruchsteinplattenweg, den Kommissarin Mayrhofer und Kommissar Kaspar schweigend hinauf gingen, führte.

Auf der Terrasse standen die passenden dunkelgrünen Blumenkübel bepflanzt mit dunkelroten Geranien. Bemerkenswert, dass diese frisch gegossen waren und sich an keinem der Kübel eine welke Blüte befand.

Die Terrasse war absolut sauber gefegt.

Eine weiße Haustür führte an der Nordseite in das Haus. Beide schlossen die Tür auf und waren mehr als überrascht.

Sie betraten eine große Halle mit weißem Marmorfußboden und leicht cremefarbenen Wänden. Ausgestattet mit einem Jugendstilsofa mit Hinterwand und Spiegel, passendem Tisch, Stühlen und einer stilgerechten Anrichte. Auf der Glasplatte des Tisches stand ein schwarzer Zylinder mit weißen Tulpen und ein silberner Becher mit drei Füllfederhaltern der Marke Pelikan.

Das ganze Haus spiegelte diese elegante Ausstattung. Eingerichtet mit Antiquitäten, die Wände immer passend zu den jeweiligen Möbeln in Pastellfarben gestrichen. Die Bilder echt, viele Skulpturen und Schalen, die Stiftebecher alle aus Silber und mit edlen Schreibgeräten darin. Alles in allem ein sehr ästhetisches Bild und Ambiente.

Nicht ein Stäubchen war in diesem Haus zu finden, geschweige denn der Ansatz einer Unordnung.

Sandra Mayerhofer zog gerade einen Umschlag mit der Aufschrift Testament aus einer der Schubladen des Sekretärs, der im Schlafzimmer stand, während Peter Kaspar noch ein wenig in der Faszination des Hauses und der Einrichtung schwelgte. Selten dass er sich so von den Fakten eines Falles ablenken lies, aber das hier sprach zunächst einmal gegen einen Suizid.

Sandra Mayrhofer überflog die Kopie des handschriftlichen Testamentes und den beigefügten Brief im Original, jedoch ergab beides keinen Hinweis auf einen Suizid. Lediglich Urkundenrolle und Aktenzeichen des Nachlassgerichtes waren hier nochmals aufgeführt, für den Fall des eintretenden Todes und die Adressen, die im Trauerfall durch die Angehörigen zu benachrichtigen waren.

Ein Lehrstück in Sachen Ordnung.

Warum aber das handschriftliche Testament?

Der Rundgang durch das Haus führte in den Hauswirtschaftsraum, aus dem vernehmlich Geräusche drangen. Sandra Mayrhofer und Peter Kaspar verständigten sich durch Zeichensprache und gingen nur noch auf Zehenspitzen. Leise öffneten sie die nur angelehnte Tür des Hauswirtschaftsraumes.

Ihnen gegenüber ragte ein überdimensionaler Hintern in einer schwarzen Jeans aus einem Einbauschrank. Darunter rote Sneakers mit der Aufschrift einer Schuhmarke auf der Sohle, deren Werbung in den Kindheitstagen Kommissar Kaspars „Reintreten und Wohlfühlen“ lautete. Er musste leise kichern.

Ob das jetzt auch für das hier überpräsente Rektum galt?

Sein Kichern machte das Rektum aber aufmerksam und ließ Sandra Mayrhofer sehr ernst in seine Richtung blicken.

Ausgesprochen behände kam der Rest der prall gefüllten Jeans zum Vorschein. In der Hand einen Handfeger, den die daran befindliche Dame recht autoritär in die Höhe hob.

„Joy Putzikam, was machst Du hier? Beinahe hätte ich zugeschlagen. Hätte zartem Mädchen wie Dir sicher geschadet“ sprach ein Engelsgesicht, dass so überhaupt nicht zum anderen Ende des Körpers passen wollte, zu Sandra Mayrhofer bis der im Sinkflug befindliche Handfeger Kommissar Kaspar bemerkte und sich wieder in Schlagposition erhob. „ Seid Ihr rumänische Diebesbande? Dann macht Euch fort, hier holt ihr nichts. Rufe ich nach Polizei!“

„Schon da“, konterte Peter Kaspar, zeigte seinen Dienstausweis und stellte Sandra Mayrhofer vor, die immer noch auf den erregt wirkenden Handfeger starrte.

„Und wer sind Sie?“

„No, bin ich Rosalia, hab´ ich korrekte Papiere und Doktor mich angemeldet“.

„Aha, die Putzfrau.“

„No, nix Putzfrau, bin ich Raumpflegerin bei Doktor von Kadenbeerg.“

Dieser ungarische Dialekt war einfach reizvoll.

„Wann haben Sie Doktor von Kadenbeerg zuletzt gesehen?

No, gestern Morgen. Habe ich geputzt Garage und abgestaubt Autos. Mache ich jeden Mittwoch.“

Dabei öffnete die Perle des Hauses die Tür neben dem Einbauschrank in dem sie sich befand und schaltete das Licht am Schalter neben der Tür ein. Eine Decke voller eingelassener Halogenstrahler, eine penibel saubere Garage mit weißen Fliesen und jede Menge Oldtimer und Youngtimer. Bilder an den Wänden, Polstergarnitur und Schreibtisch zwischen den Autos, Tür-Fenster–Elemente zum Garten hin, dazwischen ein Mal- und Zeichentisch, auf dem eine begonnene Kreidezeichnung lag und eine Staffelei, auf der sich ein angefangenes Ölgemälde befand, das teilweise mit einem Tuch abgedeckt war.

Auf dem Tisch der Sitzgruppe lag eine Geige.

Wohnzimmer, Atelier und Garage in einem –wow.

Obwohl alle diese Räume im Haus vorhanden waren, war das hier wohl das Wohlfühlzimmer für private Stunden.

In der hinteren Ecke war ein Platz frei – hier fehlte wohl der Senator.

Das Ambiente sprach allerdings wieder gegen einen Suizid. Ein Pedant, der seine Kreidezeichnung und sein Ölgemälde nicht vollendet und die Geige nicht wegpackt?

Kommissar Kaspar wollte gerade den Raum betreten als sich Rosalia vor ihm aufbaute. >Schuhe sauber? Doktor hat nicht gerne, wenn jemand hier in diesen Raum geht.<

Er zog seine Schuhe aus - einer solchen Autorität muss der Mann gehorchen.

Er spürte die Fußbodenheizung und sah sich kurz am anderen Ende des Raumes um.

„Vermissen Sie etwas hier? Ist etwas anders als gestern?“, fragte er Rosalia. – „No, Opel Senator ist weg. Das ist ein wenig ungeweehnlich in dieser friehen Stunde.“

„Es wird jetzt vielleicht ein bisschen traurig für Sie, aber wir haben Ihren Herrn Doktor von Kadenbeerg heute Morgen tot auf einer Parkbank am Rhein gefunden. Wirkte er auf Sie depressiv? Verstört? Gab es ein Ereignis in seinem Leben, das ihn möglicherweise einen Selbstmord hat begehen lassen?“

Er drehte sich um und sah, dass Rosalia anfing zu weinen. Das blanke Entsetzen stand ihr im Gesicht. Sie wechselte mehrfach die Farbe und wirkte einer Ohnmacht nahe. Das war nicht gespielt. Sandra Mayrhofer reichte ihr einen Hocker und zwang Rosalia behutsam, sich darauf zu setzen, bevor sie noch lang hinschlug und die Ambulanz gerufen werden musste.

„No, er war zwar ruhiger, aber doch freehlicher Mensch. Hat nur lustige Stücke musiziert, freehlich gemalt. Das traurigste Musikstück das er heerte, war die Cäcilienmesse von Charles Gounod. Glaube ich nicht, dass er gemacht hat Selbstmord.

Nicht mein Doktor. Hat er doch alles gehabt, was er sich winschte. War er bescheidener Mann, kann keine Winsche mehr gehabt haben.

Ist doch alles da, viele Autos, gutes Essen, scheene Möbel“.

Der Rest ging in ihren Tränen unter.