Britta vom Peddershof - Heinz-Werner Bähr - E-Book

Britta vom Peddershof E-Book

Heinz-Werner Bähr

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Beschreibung

Seit dem tödlichen Unfall ihrer Eltern lebt Britta in einem Heim. Eines Tages nimmt Ihr Schicksal eine überraschende Wendung, als sie erfährt, dass ihr wirklicher Vater kurz nach ihrer Geburt nach Brasilien gezogen ist, wo er heute noch lebt. Brittas neues Leben auf dem Peddershof beginnt, der den Eltern ihres plötzlich aufgetauchten Vaters gehört. Dort findet sie ein neues Zuhause, das ihr bald schon alles bedeutet. Als durch Brittas Verschulden das Pferd ihrer Klassenkameradin stirbt, gerät ihre neue Welt durcheinander. Erst als die Hintergründe durch Zufall aufgedeckt werden, scheint sich alles zum Guten zu wenden, doch der Großvater verletzt sich so schwer, dass der Peddershof aufgegeben werden soll. Nur Brittas Vater in Brasilien könnte das verhindern. Doch der weigert sich, Brasilien zu verlassen. Also macht sich Britta auf den Weg zu ihm. Durch Mut und Beharrlichkeit gelingt es ihr schließlich, ihr neues Zuhause zu retten.

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Seitenzahl: 106

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Fotos: © beerfan - Fotolia.com

Für meine Tochter Miriam

Inhaltsverzeichnis

Ein Tag im Oktober

Schöne Tage

Das Turnier

Die Überraschung

Netter Besuch

Der Wettkampf

Im Krankenhaus

Aufregende Tage

Opa ist wunderbar

Gina

Sternchen lernt laufen

Sammy macht eine Entdeckung

Eine späte Entschuldigung

Das zweite Unglück

Großvater kommt nach Hause

Die Reise ins Unbekannte

Abenteuer in Brasilien

Schwestern und Brüder und ein netten Elternpaar

Die Liebe wächst

Arco

Zwiesprache mit einem Teufel

Die Bewährung

Die Wendung oder alles wird gut

Wieder zu Hause

Das Wiedersehen

Ein Tag im Oktober

Ein Herbststurm fegte über das Land und schüttelte das Laub von den Bäumen. Britta liebte den Herbst. Was sie gar nicht mochte war Hitze. Noch im September, als sie von St. Michael zum Peddershof umgezogen war, war die Hitze unerträglich gewesen.

Ihre Eltern waren vor vier Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen. An der Absturzstelle, die mitten im brasilianischen Dschungel lag, hatten Eingeborene einen Gedenkstein errichtet. Britta wollte irgendwann dorthin fliegen. Da sie keine anderen Verwandten mehr hatte, - die Großeltern waren früh gestorben - war Britta vom Jugendamt in ein Waisenhaus eingewiesen worden. Sie war damals erst acht Jahre alt gewesen. Anfangs hatte sie sich sehr einsam gefühlt. Gott sei Dank war sie in Petras Gruppe gekommen. Petra war Sozialpädagogin. Sie wurde schnell so etwas wie eine große Schwester für Britta, und das war sie auch heute noch.

Das Heim war lange nicht so schrecklich, wie man sich Kinderheime vorstellt. St. Michael war ein modernes Haus. Angeschlossen an das Heim war eine Schule, so dass es fast zuging wie in einem Internat. Man wohnte in betreuten Gruppen, die fast wie kleine Familien waren. Brittas beste Freundinnen hießen Johanna und Esther.

Immer noch kam es Britta wie ein Wunder vor, was ihr geschehen war. Eines Tages, wenig nach ihrem zwölften Geburtstag, kam Petra zu ihr ins Zimmer, setzte sich auf den Sessel am Fenster und sagte: “Ich muss Dir was mitteilen. Es ist etwas Unglaubliches geschehen. Zwei ältere Leute haben sich nach dir erkundigt. Sie behaupten, dass sie deine Großeltern sind.“ Britta hatte gerade an einem Apfel geknabbert und wäre beinahe daran erstickt. Hustend versuchte sie das Apfelstückchen aus dem Hals zu bekommen.

“Was behaupten sie?”, fragte sie fassungslos.

“Dass sie deine Großeltern sind”, wiederholte Petra. Sie sah ein wenig blass aus. Zu sehr hing ihr Herz an Britta, als dass es ihr nichts ausgemacht hätte, sie zu verlieren.

“Ich habe keinen Großvater und erst recht keine Großmutter mehr”, sagte Britta und ihre Gedanken schwirrten nur so in ihrem Kopf herum.

“Dein Vater”, sagte Petra und nahm sie beschützend in den Arm, “war wohl gar nicht dein richtiger Vater. Dein richtiger Vater hat sich wohl, als du ein Jahr alt warst, aus dem Staub gemacht. Er lebt in Brasilien. Seine Eltern aber leben in der Nähe von Schleswig.”

Eine eisige Faust hatte nach Brittas Herz gegriffen. Nein, sie konnte und sie wollte es nicht glauben. Als ihre Eltern verunglückt waren, war sie fast vor Traurigkeit gestorben. Sie hatte ihre Eltern sehr lieb gehabt, und jetzt erzählte ihr Petra, ihr Vater wäre gar nicht ihr richtiger Vater gewesen?

“Du lügst”, hatte sie geschrieen und war davon gelaufen. Durch ganz St. Michael war sie gehastet, an ihren Freundinnen vorbei, die ihr verdutzt nachsahen. Dann hatte sie sich im Schuppen versteckt. Der Schuppen hatte ihr schon als Zufluchtsort gedient, als sie ganz neu auf St. Michael war. Dort lagerte Heu des Bauernhofes nebenan. Der Bauer bezahlte Pacht für die alte Scheune. Britta hatte sich aufs Heu geworfen und sich die Seele aus dem Leib geheult.

Dann aber waren Johanna und Esther gekommen, sie zu trösten und Petra kam auch. Sie hatten sich zu ihr gelegt und sie ganz warm gehalten.

“Ich weiß, das ist schwer für dich”, sagte Petra und streichelte über Brittas langes, dunkelbraunes Haar. “Meine Schöne, meine Liebste”, sagte sie, wie sie es immer sagte, wenn sie ganz zärtlich fühlte.

Britta war sich ganz sicher gewesen, dass sie niemals zu wildfremden Großeltern ziehen würde. Zu sehr hing ihr Herz an all denen in St. Michael, die ihr einmal Schutz und Liebe gegeben hatten. Aber am nächsten Tag war dann doch die Neugier gekommen. Sie war zu Petra gegangen und hatte sich die zugeschickten Fotos zeigen lassen. Es gab wirklich Babyfotos von ihr, auf denen ein Mann zu sehen war, der ihr vertraut vorkam, obwohl sie ihn seit ihrem zweiten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte.

“Ist das mein Vater?”, fragte sie. Petra nickte. “Dann lebt mein Vater ja”, sagte Britta und ein Anflug von einem Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Eine Familie zu haben, und wenn es nur ein Vater ist, das ist für jemand, der sich mutterseelenallein glaubt, schon unfassbar viel.

“Das sind Deine Großeltern”, sagte Petra und reichte ihr ein paar Fotos herüber. Da war eine freundliche, rundliche Frau neben einem großen, schweren Mann in Bauernkleidung.

“Wieso haben sie sich denn erst jetzt gemeldet?”, fragte Britta.

“Die Geschichte ist ziemlich seltsam”, antwortete Petra. ”Dein Vater hat durch Zufall die Absturzstelle des Flugzeuges besucht, in dem Deine Eltern abgestürzt sind. Dort war der Name Deiner Mutter auf den Gedenkstein eingraviert. Daraufhin hat dein Vater durch seine Eltern nachforschen lassen, wo du abgeblieben bist. Als sie herausbekamen, dass du im Heim lebst, haben deine Großeltern beschlossen, dir anzubieten, zu ihnen zu ziehen.”

“Und mein Vater?”

“Dein Vater ist verheiratet in Brasilien. Er lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern auf der Ilha de Marajo, einer Insel irgendwo in der Mündung des Amazonas. Er will für Deinen Unterhalt und Deine Ausbildung aufkommen, und er ist einverstanden, dich zu adoptieren. Du sollst aber bei Deinen Großeltern bleiben.”

“Dann kommt er gar nicht, um mich zu sehen”, fragte Britta und Tränen stiegen ihr in die Augen. Es war, als wollte der eben aufgetauchte Vater wieder in der Versenkung verschwinden.”

“Am Telefon meinte er, wenn es nach ihm ginge, würde er dich nach Brasilien holen. Er würde dich seinen anderen Kindern vollständig gleichstellen. Aber Brasilien ist weit weg und alles dort ist sehr fremd. Vernünftigerweise sollst du zuerst in Deutschland die Schule beenden und Portugiesisch lernen, denn das ist die Landessprache in Brasilien. Er kommt übrigens nächste Woche mit seinen Eltern nach St. Michael, um dich zu besuchen.”

Das war eine Nachricht gewesen. Es hatte ihr die Sprache verschlagen. Ihr Vater würde sie besuchen. Drei Tage hatte sie nicht schlafen können. Dann, am vierten Tag, war es endlich soweit gewesen.

Ein Taxi hielt an der Toreinfahrt und drei Menschen näherten sich St. Michael, die nun, wo es soweit war, unglaublich fremd auf Britta wirkten.

Die ganze Zeit hatte sie an ihre richtigen Eltern denken müssen, und sie hatte beschlossen, sich den Fremden, die da kamen, zu verweigern. Aber dann hatte sie doch lachen müssen, als sie ihrem Vater vorgestellt wurde. Er hatte einen breiten Sombrero aufgezogen und einen Schnurrbart gehabt, der mindestens einen halben Meter nach jeder Seite ragte. Sie hatte gedacht, was ist denn das, und sich ein Grinsen nicht verkneifen können. Dann hatte der Mann, der behauptete ihr Vater zu sein, seinen Hut gezogen und eine umständliche Verbeugung vor ihr gemacht. Alle Mädchen, die vom Treppengeländer aus zusahen, brachen in brüllendes Gelächter aus. Sie hatte wohl ziemlich komisch aus der Wäsche geguckt. Plötzlich jedoch stimmte der Vater in das Gelächter der Mädchen ein, warf den Sombrero in eine Ecke, zog sich den Schnurrbart ab und sagte:

“Willkommen, mein Mädchen”. Dann hatte er sie an sich gezogen, als würden sie sich seit vielen Jahren kennen.

“Halt, nicht so stürmisch Kasper”, ertönte eine Stimme und die ältere Frau, die sich bisher sehr im Hintergrund gehalten hatte, kam heran und strahlte Britta so freundlich an, dass Britta gar nicht wusste, wie sie reagieren sollte.

“Nimm es Deinem Vater nicht übel”, sagte die Frau. “Er ist das brasilianische Begrüßen gewöhnt. Er weiß nicht mehr, wie so etwas auf ein junges Mädchen in Deutschland wirkt.”

Sie schob den Mann zur Seite und streichelte sanft über Brittas Gesicht.

“Bist Du’s wirklich, mein kleines Mädchen”, sagte sie und begann zu weinen.

“Na, na”, ertönte da eine dunkle Stimme und ein älterer, schwerer Mann mit einem groben, aber sehr freundlichen Gesicht kam heran, ”macht mir die Därn mal nicht kopfscheu. Mein lieber Mann, was ist das ein Prachtmädchen geworden.”, sagte er. Britta schaute ihn an und wusste augenblicklich, dass sie diesen Mann sehr gern haben würde. Seine Augen wirkten sehr wach und interessiert und es war so viel Wärme in ihnen, dass Britta sich gleich bei ihm zu Hause fühlte.

Ihr Vater war ein sehr gut aussehender Mann mit unglaublich viel Charme. Er erzählte den ganzen Abend von Brasilien und Britta aber auch viele von den Mädchen lauschten gespannt. Viele der älteren Mädchen hingen geradezu gebannt an den Lippen dieses abenteuerlichen Mannes, der immer alle zum Lachen zu bringen wusste.

“Zu Hause haben wir eine kleine Fazenda, einen Reiterhof”, sagte er. “Wir empfangen Touristen, die Reitferien machen wollen. Ich weiß nicht, ob das Leben dort etwas für ein Mädchen aus der Stadt ist. Aber wenn du die Schule beendet hast, kannst du gerne zu uns kommen. Meine Frau und meine Kinder wollen dich auf jeden Fall bei uns haben.”

Da saß Britta nun: Ein armes, einsames Waisenkind, und nun hatte sie eine Oma, einen Opa, einen Vater, zwei Brüder und zwei Schwestern, wenngleich sie diese auch vorerst nur auf Bildern zu sehen bekam. Eine ihrer Schwestern hieß Jolana. Sie war neun Jahre alt. Britta fand sie bildhübsch. Die andere hieß Esmaranza und war ein Jahr jünger. Sie war dunkler, aber nicht weniger hübsch. Die Jungen waren noch klein, drei und vier Jahre alt. Die Mutter war eine wunderschöne Frau. Eine Brasilianerin, mit pechschwarzem Haar und dunkelbraunen Augen. Sie hieß Carina.

“Weißt du eigentlich, dass du mein Wunschkind warst?”, sagte ihr Vater. “Nein”, sagte Britta, “das weiß ich nicht. Warum bist du denn gegangen?”

“Wir haben uns nur noch gestritten und deine Mutter hatte sich neu verliebt”, sagte Kasper. Sie schaute ihn fragend an. Konnte das denn sein? Da war sie all die Jahre mit einem Vater aufgewachsen, der gar nicht ihr richtiger Vater gewesen war. Aber sie hatte ihn sehr geliebt und liebte ihn noch.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte Kasper: ”Toni war in Ordnung. Deine Mutter kannte ihn seit ihrer Jugend. Er war ihre große Liebe. Aber du warst wirklich mein Wunschkind. Als du geboren wurdest, war ich der glücklichste Vater auf der Erde. Ich habe dir auch den Namen gegeben. Wenn Du’s nicht glaubst, frag meine Mutter. Ihre Mutter hieß auch Britta. Deshalb wollte ich dass du so heißt.”

Die Oma nickte “Kannst du dich noch an unseren Bauernhof erinnern?”, fragte sie, “als kleines Mädchen bist Du auf dem ganzen Hof rumgekrabbelt.”

“Aber wieso habt ihr Euch denn nie nach mir erkundigt?”

“Das hab ich getan”, sagte Kasper, “Deine Mutter war sehr eigen. Sie hatte das Sorgerecht und sie wollte jeden Kontakt verhindern. Es hat da sehr viel Ärger gegeben. Sie ist weggezogen, Briefe wurden nicht beantwortet, und schließlich bin ich abgehauen nach Brasilien.”

“Und Oma und Opa?”

“Ach Kind”, sagte die Oma. Du warst weg, als wärst Du auf einem andern Stern. Kein Brief kam an, oder wurde beantwortet. Schließlich haben wir die Tatsache akzeptiert.”

“Lasst das Mädchen mal”, sagte der Großvater. ”Was soll sie denken! Deine Mutter war eine feine Frau. Glaub mir. Lange nicht so furchtbar, wie sie hier beschrieben wird. Sie glaubte eben, dass es besser wäre, wenn du niemals erfahren würdest, dass Toni nicht Dein Vater war. Man konnte ihr nicht reinreden. Da war sie, wie man so sagt, ein friesischer Sturschädel.”

Er tätschelte Brittas Hand mit seiner groben, schwieligen Rechten. “Du siehst aus wie deine Mutter. Ein richtig hübsches Mädchen. Weißt du eigentlich, wie wir wohnen?”

Britta schüttelte den Kopf. Da holte Großvater Bilder aus der Tasche. Darauf war der Hof zu sehen umgeben von hohen, alten Bäumen: das weite, flache Land. Und diese Bilder weckten eine ganz ferne Erinnerung in ihr.

“Das ist Björn”, sagte Großvater und zeigte auf das Portrait eines Bernhardiners. “Er freut sich auf dich. Willst du nicht bei uns wohnen?”

“Zuerst will ich nachdenken.”, antwortete Britta.

Es wurde noch lange geredet und gealbert und schließlich war auch dieser Tag zuende gegangen.

Britta hatte lange unter dem Eindruck dieses Besuches gestanden. Der Vater war die nächsten Tage noch wiedergekommen und bis zu seiner Rückreise hatten sie versucht, sich ein wenig näher zu kommen. Schließlich war er abgereist und Britta hatte dem Flugzeug hinterhergesehen. Da flog also ihr Vater davon. Hoffentlich stürzte er nicht ab. Irgendwann würde sie auch nach Brasilien gehen, dorthin, wo so viele Stränge ihres Lebens zusammenliefen.