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4479 n. Chr. (Terra-Standard-Time): Seit zwei Jahrtausenden tobt zwischen Terranern und den Hanan - ebenfalls Menschenabkömmlingen - ein galaktischer Krieg. Ganze Planetensysteme, auch die Heimatwelten, Hanan und die Erde, wurden davon schwer betroffen. Doch die grausame Vernichtungsschlacht geht weiter! Kurt Morgan, einziger Überlebender eines Raumgefechts, gelingt es, mit seiner Rettungskapsel, einen erdähnlichen Planeten zu erreichen und dort zu landen. Er wird von Eingeborenen gefangen genommen und in Ketten gelegt; zu anfangs von ihnen wie ein tierisches Wesen behandelt. Allmählich indes weiß er sich die Achtung und schließlich sogar Freundschaft dieser stolzen und zugleich empfindsamen Geschöpfe zu erringen. Warum er von ihnen zunächst für einen verwilderten, gefährlich rohen Menschenspross gehalten wurde, wird ihm klar, als er zum ersten Mal den Nachfahren der Hanan begegnet, die vor dreihundert Jahren diese Welt zu unterwerfen und zu besiedeln versuchten und deren Schicksal, wegen des fortwährenden Krieges, in Vergessenheit geriet...
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Seitenzahl: 525
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Sci-Fi-Roman aus der Reihe »Hanan-Rebellion« von
C.J.Cherryh
(1976: »Brothers of Earth« / deutsch 1979: »Brüder der Erde«) Übersetzer: Hans Maeter
Neu überarbeitet und verbessert
Cover, S. →: Screenshot / »Assassins Creed Odyssey« (M & A)
S. →: Karte – eigener Entwurf
S. →: Screenshot / »Morrowind« (Music & Ambience)
S. → und →: Screenshot / »Skyrim« (Music & Ambience)
»›'‹« V-060225
Für meine Schwester Bettina(1964 - 2018)
- durch sie habe ich, 1979, »Brüder der Erde«
kennengelernt...
°°°
Die Autorin, Carolyn Janice Cherryh,
wurde am 1. September 1942 in St. Louis (Missouri, USA) geboren.
U.a. für nachstehenden Roman, wurde sie 1977 mit dem ** John-W.-Campbell-Award ** ausgezeichnet.
Schade eigentlich, dass exzellente, fünfzig Jahre alte Werke irgendwann nur noch in Antiquariaten zu finden, oder überhaupt nicht mehr zu bekommen sind... Auch das Ansinnen zur Kreation einer parallelen Story, ließ es geboten erscheinen - abrundend - dieses Remake zu erstellen.
Die im Heyne-Verlag 1979 erschienene deutsche Übersetzung von Hans Maeter habe ich noch einmal gründlich bearbeitet und mit viel Empathie sorgfältig verbessert; dazu gehörte auch, den Inhalt des Romans, als Ganzes, tief zu erfassen, mitzuschwingen und sich, selektiv, in eine jeweils beschriebene Situation hineinzudenken, bzw. -zufühlen, sodass, teils unter Hinzuziehung des amerikanischen Originals, gegebenenfalls der vorgefundene Text darauf (neu) abgestimmt werden konnte.
Uwe Laubach
Altmorschen, im Mai 2023
1 - Landung und Hoffnung
Karte
2 - Im Afen von Nephane
3 - Elas
4 - Ruf der Methi
5 - Mim
6 - Nicht zu verleugnende Gefühle
7 - Schwierige Verflechtungen
8 - Todfeindschaft
9 - Die Hochzeitszeremonie
10 - Eine Diskussion im Garten
11 - »Dunkle Wolken« ziehen auf...
12 - Brutaler Übergriff
13 - Stunde der Finsternis; Zäsur
14 - Reißaus - nach Süden...
15 - Unter den Tamurlin
16 - Verfolgungsjagd auf See
17 - Acturi
18 - Untergang der Tavi
19 - Im Indume Indresuls
20 - Das Haus Nethim
21 - Über den Sund des Ome Sin
22 - Verhandlungen
23 - Vom Bürgerkrieg zerrissen
24 - Elas' Wiedererweckung
25 - t'Tefurs Tod und Djans Ende
Die Systeme Phan und Sol im Vergleich
Anmerkungen
Vorausschau / Geplant
Die Endymion starb lautlos; ein künstlicher Stern, der aufglühte und erlosch.
Kurt Morgan beobachtete dieses Vergehen, die Augen auf den Scanner seiner Überlebenskapsel gerichtet - bis es nichts mehr zu sehen gab. Als es vorbei war, schaltete er das Gerät auf Vorwärtssicht um und konzentrierte sich auf sein Überleben.
Achtzig Männer und Frauen hatten auf der Endymion gedient. Neunundsiebzig von ihnen hatten sich soeben in Materiepartikel, Staub und Dampf aufgelöst - genau wie ihr Raumschiff, das mit ihnen untergegangen war.
Zwei Winkel-Grad sonnenwärts stand eine weitere rauchende Trümmerwolke. Das war der Gegner gewesen - weitere hundert Leben, die mit ihrem Schiff ausgelöscht worden waren. Elemente von Dutzenden von Welten, Zerstörer und Zerstörte, welche sich noch immer auf Kollisionskurs befanden...
Die Zentrale würde von diesem Zusammenstoß niemals erfahren. Es gab keine Möglichkeit, eine Nachricht abzusetzen. Einer der Hauptplaneten der Hanan, Aeolus, mehrere Lichtjahre entfernt, wurde, durch ihren kriegerischen Zugriff, nahebei in eine ausgebrannte Schlacke verwandelt - und die Endymion, Kurts Schiff, das den Kreuzer der Hanan verfolgt und angegriffen hatte, ließ dem Oberkommando keinerlei Bericht über diese Aktion zugehen. Sie hatten das Unternehmen spontan, den überraschend aufgetretenen Umständen Rechnung tragend, auf eigene Faust durchgeführt - das andere Schiff, wie ein Bluthund, gejagt, aufgespürt, unter Feuer genommen und vernichtet - und waren dabei selbst vernichtet worden.
Er hatte als einziger überlebt - noch..! Die Rettungskapsel hatte keinen Starantrieb - weit würde er mit ihr nicht kommen...
Ein namenloser Stern und sechs unbekannte Planeten lagen unter seinem Scanner. Der zweite ließ berechtigte Hoffnung aufkeimen, dass ein Mensch dort vielleicht günstige Umweltbedingungen antreffen könnte...
°°°
Im Verlaufe von sieben Tagen rückte der verheißungsvolle Globus näher - sein Bild wurde immer deutlicher und detaillierter: Ein blauer Himmelskörper, dessen Atmosphäre von Wolkenzirren durchzogen war. Zwischen wirbelnden Wolken wurden rostbraune Flecken trockenen Landes sichtbar. Der Planet besaß einen riesigen Mond; im Übrigen stellten die Sensoren in allen Einzelheiten erdähnliche Verhältnisse fest. Es war ein Planet, für dessen Eroberung die Allianz einhundert Schiffe geopfert haben würde - und den sie schon längst besetzt haben würde, wenn sie von seiner Existenz gewusst hätte.
Der befürchtete Gegenschlag der Hanan blieb aus... Nirgends konnte er ein Raumschiff entdecken, das ihn bedrohte. Die verheißungsvolle Welt füllte den Bildschirm des Scanners mittlerweile völlig aus. Kurts Stimmung schwankte zwischen euphorischer Hoffnung, gepaart mit Neugierde, und hoffnungsloser Angst.
»Hoffnung«, weil er eigentlich mit seinem Leben schon abgeschlossen hatte und es nun so aussah, als solle er doch noch eine Chance bekommen; und »Angst«, weil ihm erst jetzt wirklich bewusst wurde, wie allein er war... Bis vor Kurzem hatte er sich an die Möglichkeit geklammert, die bloße Existenz des Feindes als imaginäre Gesellschaft betrachten zu können.
Aber die Endymion war über die Grenzen des bekannten Raums hinausgeschossen, bevor sie unterging. Wenn keine Hanan hier waren, dann gab es auch keine anderen menschlichen Wesen, so weit vom Zentrum der wichtigen Sonnen und Siedlungskolonien entfernt.
Das bedeutete vollkommene, absolute Einsamkeit..!
*
Die keilförmige Kapsel setzte hart auf. Sie war glühend heiß geworden. Metallplatten verwarfen sich, platzten an den Schweißnähten auseinander. Der plötzliche Druckanstieg lastete wie ein tonnenschweres Gewicht auf Kurts Körper. Vor seinen Augen tanzten wilde Ringe - graue und rote und schwarze...
Er hing seitlich in den Gurten, die ihn davor bewahrten, in den Stauraum zu fallen und brauchte einige Zeit, um sich von ihnen zu befreien. Seine Nerven lagen blank. Als er die ihn, wegen des Aufpralls, stramm fesselnden Gurte endlich gelöst hatte, öffnete er das Luk, ohne sich zuvor vergewissert zu haben, ob er in der Atmosphäre des unbekannten Planeten überleben konnte - es gab sowieso keine andere Wahl..!
Atembar.
Nachdem er die Rettungskapsel verlassen hatte, stand er einige Zeit nur da und blickte sich um - von einem Horizont zum anderen. Niemals hatte er auf seinen Reisen zu diversen Planeten bisher Ähnliches gesehen! Soweit die Sichtgrenze reichte, erstreckten sich Wälder; unzerstörte Natur, welche von vielfältigem Leben zu wimmeln schien. Kurt lachte zur Sonne hinauf; Tränen strömten über sein Gesicht. Er ließ sie einfach vom Wind trocknen. Die klare, würzig riechende Luft erlöste ihn von der erstickenden Hitze, welche sich in seine Kleidung eingenistet hatte.
Als Kurt den Wald verließ, senkte sich das Niveau des Terrains merklich - eine Bergflanke, ein felsiger Abhang, ein schmaler Strand und dahinter die Unendlichkeit eines Ozeans. Die Sonne stand schon tief am westlichen Firmament, als er einen Weg durch die zerklüfteten Felsen zum Ufer gefunden hatte.
Dort warf er seine mitgenommene Ausrüstung in den pulverfeinen, trockenen Sand und blickte verzückt auf die See hinaus, die blauer war, als er sie jemals gesehen hatte. Dicht vor der Horizontlinie lag eine kleine, verstreute Inselgruppe. Der elfenbeinweiße Sand war mit den »Abfällen« des Meeres bedeckt: Treibholz, Tang und Muschelschalen von pastellfarbenem Gelb und Rosa. Ausgelassen, wie ein Kind, bückte er sich und tauchte die Hände ins Wasser, das seine Stiefel umspülte, kostete ein paar Tropfen des salzigen Nass' und spuckte sie wieder aus. Er hätte wissen müssen, wie Meerwasser schmeckt, aber er hatte es noch nie wirklich probiert; er hatte noch nie den Geruch der See in der Nase gehabt, noch nie einen Ozean - wirklich - gesehen...
Kurt klaubte einen Brocken Treibholz auf, schleuderte ihn weit hinaus in Richtung der sanft heranrollenden Wellenkämme, die sein verdrehtes Stück Wurzel, peu à peu, gemächlich wieder zum Ufer zurücktrugen. Irgendetwas in seinem Inneren kam zur Ruhe, als er erkannte, dass all die Legenden seiner raumwandernden Vorfahren auf Wahrheit und Realität basierten - selbst auf einem so abgelegenen Planeten wie diesem sich bestätigten, den noch nie eines Menschen Fuß betreten hatte.
Er watete eine Weile durch das flache Uferwasser, barfuß und mit vorsichtigen Schritten, um nicht versehentlich auf etwas Giftiges zu treten. Mit einem Stock stocherte er auf Flächen am Grund, die ihm verdächtig erschienen, bevor er den nächsten Schritt machte - besonders unter Steinen, um dort gegebenenfalls hausendes Kleingetier aufzustöbern.
Allerdings wurde es rasch dunkel und der Wind frischte kühl auf.
Kurt dachte daran, dass er sich auf die heranrückende Nacht vorbereiten musste, sammelte eine größere Menge trockenen Holzes und entfachte ein Feuer. Es war die Finsternis, die ihm am meisten zu schaffen machte; in der er sich so einsam fühlte, wie in der Weite des Raumes zwischen den Sternen.
Er hatte Vögel gesehen - aber sie flogen zu hoch, um sie genauer erkennen zu können; er hatte die Schalen von Mollusken am Strand gefunden und im flachen Uferwasser eine Unzahl kleiner Fische und andere Meerestiere aufgescheucht. Einige Male waren auch Landtiere von eher geringer Größe vor ihm geflohen, als er durch das hohe Gras gestrolcht war. Nichts indes hatte ihn bisher bedroht, und keine alarmierenden animalischen Laute störten die Stille der Nacht...
Allein - seine Phantasie erschuf Gefahrenbilder und -szenarien von einem Dutzend anderer Welten, sodass er angespannt blieb und bei jedem Geräusch zusammenzuckte.
Die Wellen der heranrollenden See klatschten im leisen Rhythmus auf den Strand, während sich zuweilen kaum handtellergroße Raubkrebse, auf ihrer Suche nach Nahrung, neugierig bis an die Grenze des Lichtscheins seines Lagerfeuers vorwagten.
Schließlich stand er auf, warf eine gehörige Ladung Holz in die gierig züngelnden Flammen und legte sich so nahe wie möglich ans wärmende, knisternde Feuer, bevor er, in seine Decke geschlungen, einschlief...
*
Halme des Strandhafers raschelten; der mit kiesigen Steinchen durchsetzte Sand knirschte. Kurt hob prüfend den Kopf, kniff die Augenlider zusammen, um über die Glut des halb niedergebrannten Feuers hinauszublicken. Einige Meter hinter dem Ufersaum, im schon tieferen Wasser, reckte sich ein »Drachenkopf« in den sternübersäten Nachthimmel; hob und senkte sich behäbig schaukelnd, synchron zum Gleichmaß der Wellenbögen.
Was war das denn..?!
Noch im Halbschlaf und völlig konsterniert fuhr er erschrocken in die Höhe, griff automatisch nach seiner Strahlenpistole, wurde jedoch, schon im Ansatz seines Vorhabens, von mehreren Körpern zu Boden gerissen. Die unbekannten Angreifer, welche Größe und Gestalt von Menschen hatten, waren äußerst kräftig und agil. Kurt spuckte Sand, schlug um sich, rang darum, sich wieder zu befreien. Seiner vehementen Gegenwehr folgte indes ein harter Schlag, der ihn an der rechten Schläfe traf - es wurde dunkel um ihn.
Nur am Rande registrierte sein Bewusstsein, dass er mit strammen Seilen gefesselt und wie ein menschliches Paket durch das Wasser geschleift wurde. Er schluckte etwas von der salzigen Brühe, bekam einen Erstickungsanfall und wurde gänzlich ohnmächtig...
Als er wieder zu sich kam, lag Kurt durchnässt auf harten, schwankenden Holzplanken. Intuitiv sprang er hoch - und wurde sofort wieder zu Boden gerissen; seine gefesselten Füße waren an ein senkrechtes, dickes Rundholz gekettet. Als er an diesem »Rundholz« emporblickte, wurde ihm klar, dass es sich um nichts anderes, als einen Schiffsmast handelte. Durch ein Gewirr von Tauwerk, unter einem gerafften Segel, erkannte er auch den Drachenkopf wieder, der den Bug des Schiffes zierte und sich als scharfe Silhouette gegen die fahl leuchtende Viertelmondsichel abzeichnete. Er war offensichtlich auf einem absolut archaisch anmutenden, schwimmenden und knarzenden Vehikel gelandet..!
Kurt hörte männlich klingende Stimmen und das rhythmische Eintauchen von Ruderblättern ins Wasser. Die Bewegung des Schiffes änderte sich, wurde geschmeidiger - und dann wurde ein großes quadratisches Segel in die Höhe gezurrt. Er starrte in die riesige, vom Wind geblähte Leinwand, welche ihm die Sicht auf das Sternenzelt raubte. Die Decksplanken fühlten sich, jetzt, da der Wind ihr Boot vorwärtstrieb, irgendwie subtil anders an.
Jemand stieß im Dunkeln gegen ihn. Kurt stemmte sich mühsam auf die Beine, die, an den Fußgelenken, mit einer Metallkette an den zentral gelegenen, einzelnen Mast gebunden waren. Noch andere Männer kamen in seiner unmittelbaren Nähe vorbei. Im diffusen Sternenlicht sah er, dass die Gesichter, welche ihn neugierig musterten, allesamt ähnlich geschnitten waren: Breite Wangenknochen, flache, edel geformte Nasen mit negroid wirkenden, weiten Nüstern; dunkle, große Augen, breite Stirnen - die Physiognomie von altklugen Kindern, scheinbar in einem Anflug arroganter Neugier fixiert... Der Körperbau war absolut menschlich: Groß, schlank und sehnig.
Sie berührten ihn nicht mit böser Absicht - seine Person wurde nur ausgiebig inspiziert. Schließlich gebot einer von ihnen etwas mit autoritärer Stimme und sie ließen Kurt allein. Er hockte sich wieder auf die Planken, zitternd vor Angst, Übelkeit und der Kühle der Nacht, denn seine Klamotten waren noch recht feucht und klamm.
Man hatte seine Lage indes erkannt - einer der Männer kehrte zu ihm zurück, um ihm einen dicken Mantel zuzuwerfen. Nachdem er an dem Stoff gerochen hatte, schlang er sich in das wärmende, raue Kleidungsstück, fand aber dennoch keinen Schlaf.
Niemand kümmerte sich weiter um ihn, bis das Licht des neuen Tages den Dingen wieder Farben und scharfe Kontur verlieh.
An diesem Morgen trat einer der Matrosen auf ihn zu, um eine große Schale und eine Tasse neben ihm abzustellen. Dankbar trank Kurt die warme Suppe und schlürfte den heißen, gesüßten Tee.
Es wurde zunehmend heller und Kurt stellte fest, dass die Besatzung des Schiffes durchaus nicht unsympathisch wirkte! Alle hatten eine bräunliche, bis goldfarbene Hauttönung und zumeist blauschwarzes Haar. Sie bewegten sich in der Enge des Bootes mit Geschick und gegenseitiger Rücksichtnahme. Oft wurde gelacht und der Umgangston war durchweg freundlich, positiv und kameradschaftlich. Kurt konnte schon ein paar von ihnen unterscheiden: Den Mann, der ihm das Essen gebracht hatte, den stämmigen Älteren, welcher der Schiffsbesatzung die Befehle des jungen, schlitzäugigen Offiziers übermittelte und den Bub, der überall herumschwirrte und irgendwie von allen Instruktionen zu erhalten schien. Letzterer hieß offensichtlich »Punj«, denn das war das Wort, das immer wieder gerufen wurde, wenn sie etwas von ihm wollten.
Sie waren eine saubere, stolze Rasse, die ihr Schiff in erstklassigem Zustand hielt. Er wusste nicht, ob er sie als »Menschen« bezeichnen sollte, aber auf jeden Fall waren sie eine bessere Crew als so manche Gruppe Homo sapiens, die er befehligt gehabt hatte.
Gesättigt und von den Strahlen der Morgensonne durchwärmt, begann Kurt sich mit seiner Situation abzufinden. Der junge Offizier trat auf ihn zu und ließ die Kette lösen, die ihn an den Mast fesselte. Kurt erhob sich bewusst langsam, um jedes Anzeichen, welches man als Feindseligkeit interpretieren könnte, zu vermeiden. Der Offizier mit den schmalen Augen deutete mit einem Kopfnicken auf den niedrigen Kajütenaufbau am Heck.
Kurt stieg die wenigen Tritte eines kurzen Niederganges hinab und der junge Offizier öffnete die vor ihnen liegende Tür.
Ein Mann, Kurt schätzte ihn um die Dreißig, welcher ihm bisher noch nicht aufgefallen war, saß an einem gedrungen wirkenden Schreibtisch. Der dahinter platzierte Hocker befand sich in einer dazu passenden »Größe«, sodass der Sitzende seine Beine kreuzen musste. Er sagte etwas zu Kurts Geleit, der daraufhin die Kajüte verließ und die Tür hinter sich schloss.
Der Mann hinter dem Schreibtisch gab Kurt, vermittels einer einladenden Geste, zu verstehen, dass er sich setzen solle. Weil in dem kleinen Raum kein zweiter Stuhl oder Sitzgelegenheit existierte, hockte sich Kurt, im Schneidersitz, auf die gewebte, rote Matte, auf welcher er gerade stand.
»Ich bin der Kapitän dieses Schiffes«, eröffnete der vor ihm Sitzende und Kurt spürte im selben Augenblick einen Schauer über seinen Rücken rieseln, denn sein Gegenüber hatte in Hanan gesprochen - der Sprache seiner Feinde!
»Mein Name ist Qta t'Elas u Nym. [1] Der Mann, der Dich an Bord brachte, ist mein ›Zweiter‹ - er heißt Bel t'Osanef.«
Er sprach mit starkem Akzent; der Klang seiner Muttersprache, welcher dahinter herauszuhören war, folgte einem eher archaischen Sprachmuster. Als Kommunikations-Offizier der Endymion verstand Kurt, trotz des unidentifizierbaren Dialektes, indes genügend, um zu begreifen, was der Kapitän ihm vermitteln wollte.
»Wie heißt Du?«, fragte ihn Qta t'Elas.
»Kurt..., Kurt Morgan. Wer..., was bist Du?«, setzte er rasch hinzu, bevor der Kapitän weitere Fragen stellen konnte. »Und..., was wollt ihr von mir..?«
»Ich bin ein Nemet«, antwortete Qta. Bevor er weitersprach blickte er sinnierend auf seine im Schoß gefalteten Hände hinab. »Wolltest Du, dass wir Dich finden? War das Feuer ein Notsignal, das Hilfe herbeiholen sollte?«
Kurt erinnerte sich an sein Lagerfeuer und verfluchte seinen Leichtsinn! »Nein, das war damit eigentlich nicht beabsichtigt...«
»Die Tamurlin sind Menschen - genau, wie Du einer bist. Du hast Dich auf ihrem Land herumgetrieben, als seist Du in Deinem eigenen Hause. Das war eine unüberlegte, sorglose Fahrlässigkeit, die übel hätte enden können..!«
»Davon wusste ich nichts!« Neue Hoffnung erfüllte ihn. Qtas Kenntnisse der menschlichen Hanan-Sprache hatten damit ihre Erklärung gefunden - es gab eine Basis der Hanan auf diesem Planeten und etwas im Tonfall des Kapitäns beim Wort »Tamurlin«, ließ Kurt mutmaßen, dass die Beziehungen zwischen dieser Hanan-Basis und den Nemet, alles andere als erquicklich waren.
»Wo sind Deine Freunde?«, fragte Qta, wie nebenbei, im Versuch ihn zu überrumpeln.
»Tot..., alle tot... Ich bin alleine gekommen.«
»Von woher..?«
Kurt fürchtete sich, die Wahrheit zu sagen, wollte aber auch nicht lügen.
Auf sein Schweigen hin, zuckte Qta mit den Achseln, nahm die Karaffe, welche vor ihm auf der Tischplatte stand, und schenkte einen Teil seines Inhaltes in zwei schnörkellose Porzellan-Tässchen ein.
Kurt traute diesem plötzlichen Anflug von Gastfreundschaft nicht und zeigte kein Interesse auf dieses Angebot einzuschwenken. Erst als der Kapitän seine Tasse leergetrunken hatte, folgte er seinem Beispiel. Das alkoholische Getränk war glasklar, schmeckte irgendwie fruchtig und brannte feurig auf der Zunge.
»Es ist Telise«, erklärte Qta. Ich hätte Dir auch Tee anbieten können, aber Telise wärmt besser...«
»Ich danke Dir... Doch, würdest Du mir sagen, wohin wir segeln?«
Der Kapitän erhob nur die Tasse, als wolle er mit dieser Geste zum Ausdruck bringen, dass sie darüber reden würden, wenn er das, was er in Erfahrung bringen wollte, für ausreichend beantwortet hielt.
»Wohin fahren wir?«, insistierte Kurt allerdings hartnäckig.
Die Brauen des Nemet zogen sich grüblerisch zusammen: »Zu meinem Hafen. Aber Du willst sicher eher wissen, was Dich in meinem Hafen erwartet, nicht wahr..? Das verstehe ich!
Wir Nemet sind zivilisiert. Du bist dies ebenfalls - im Gegensatz zu den Tamurlin. Das habe ich sofort erkannt! Darum brauchst Du Dich nicht zu fürchten..! Aber beantworte mir doch eine Frage: Warum bist Du hierher gekommen?«
»Mein Schiff ist..., ähhm..., vernichtet worden. Ich habe am Strand Rettung und Sicherheit gesucht.«
»Deine Wortwahl ist klug. Aber ich nehme dennoch an, Du sprichst von einem Himmels-Schiff! Ich weiß von solchen Dingen. Wir haben viele menschliche Errungenschaften, die sie ›Technik‹ nennen, gesehen.«
»Ihr kämpft gegen die Tamurlin?«, wechselte Kurt das ihm unangenehme Thema.
»Es ist ein uralter Krieg. Sie kamen vor langer, langer Zeit. Wir konnten sie von ihren Maschinen vertreiben, die ihnen Macht über uns verliehen. Daraufhin verrohten sie alsbald in den Zustand wilder Tiere.«
»Wann war das genauer..?«
»Vor ungefähr dreihundert Jahren eurer Terra-Standard-Zeitrechnung.«
Kurt bemühte sich, seine Freude über diese Auskunft nicht unverhohlen zu zeigen. »Ich versichere Dir, dass ich nicht gekommen bin, um irgendjemand etwas Böses zu tun..!«
»Dann werden wir Dir gegenüber ebenso handeln...«
»Also bin ich frei?«
»Tagsüber, ja... Entschuldige, aber meine Männer brauchen sicheren Schlaf. Bitte versuche diese Notwendigkeit zu verstehen.«
»Gerne - ich vermag das nachzuvollziehen.«
»Hei Yth!« Qta legte die Fingerspitzen in einer Geste vor seiner Brust zusammen, die Dankbarkeit auszudrücken schien. »Deine Weisheit hebt Dich in meiner Achtung, Kurt Morgan.«
Mit diesen Worten entließ der Kapitän ihn an Deck und in die Freiheit. Keiner der Männer zeigte irgendwelche Animositäten - selbst, wenn er ihnen aus Unkenntnis, betreffs an Bord zu verrichtende Tätigkeiten, im Wege stand. In solchen Fällen gab ihm nur jemand - ohne ihn unangemessen oder gar rüpelhaft zu berühren - einen Wink beiseitezutreten oder rief: »Umanu, o'eh«, was Kurt als Bezeichnung seiner Spezies, verbunden mit der Bitte Platz zu machen, auffasste.
Nachdem ein Teil des Tages verstrichen war, beschloss er die Höflichkeitsgesten der Crew, ihre Verbeugungen und den, darauf folgend, zu Boden gerichteten Blick zu imitieren, wodurch sich sein Status erheblich erhöhte, denn jetzt verneigten sich die Männer auch vor ihm und nannten ihn, in einem respektvolleren Ton, »Umanu-Ifhan«.
Indes, als es dunkel wurde, kam der junge Offizier, Bel t'Osanef, und bedeutete ihm, dass er seinen Platz am Mast wieder einzunehmen habe. Der Matrose, der Bels Befehl ausführte und Kurt erneut mit der Metallkette fesselte, tat dies überaus behutsam und rücksichtsvoll; später kam er zurück, um ihm eine dicke Decke und eine große Tasse Tee zu bringen.
Die Situation erschien närrisch, sodass Kurt verhalten darüber lachen musste. Dem Nemet war die Groteske der getroffenen Vorsichtsmaßnahme ebenfalls nicht entgangen, denn er grinste Kurt an: »Tosa, Umanu-Ifhan...«
Trotzdem - er hätte an ihrer Stelle ebenso gehandelt! Man kannte ihn noch nicht gut genug - er hätte ja auch ein listiger, sich verstellender Meuchelmörder sein können.
Da seine Hände ungebunden geblieben waren, trank er den wärmenden Tee und streckte sich dann dicht am Mast aus, damit niemand im Dunkeln über ihn stolperte. In dieser Nacht fühlte er sich bedeutend ruhiger, obwohl ihn der Gedanke schaudern ließ, vor welchem möglichen, schrecklichen Schicksal ihn die Nemet bewahrt hatten. Wenn die Tamurlin, von denen der Kapitän ihm berichtet hatte, tatsächlich hananitischen Ursprungs waren, war er nur mit knapper Not einem entsetzlichen Tod entronnen.
Er würde alle Bedingungen, welche die Nemet ihm stellen mochten, akzeptieren, bevor er sich in die Hände sittlich und moralisch verrohter Hanan begeben würde! Wenn die Worte des Kapitäns der Wahrheit entsprachen - die Hanan wirklich machtlos geworden und in die Barbarei abgerutscht waren -, dann war er in Sicherheit..! Es gab keinen Krieg mehr; zum ersten Mal in seinem Leben gab es keinen Krieg mehr...
Nur ein Zweifel nagte noch in seinem Hirn: Warum war ein modernes Hanan-Raumschiff von der zerstörten Welt Aeolus zu diesem, von degenerierten Menschen bewohnten, Planeten geflogen, beziehungsweise gar entsandt worden? Er verspürte einen inneren Unwillen, darüber genauer nachzugrübeln; ließ die Dinge - zunächst - auf sich beruhen... Er wollte nicht glauben, dass Qta ihn belogen hatte oder dass die Freundlichkeit dieser Leute einer Nebenabsicht, einem Hintergedanken, einem berechnenden Kalkül folgten. Es musste eine andere Erklärung dafür geben. Seine Zukunftsaussichten, sein Überleben, hing davon ab.
°°°
Während der folgenden zwei Tage überprüfte er das komplette Schiff auf irgendwelche Hinweise von, auch versteckter, Hanan-Technologie und kam zu dem Schluss, dass es keine gab.
Ihr Wasserfahrzeug war vom Bug bis zum Heck aus Holz gebaut, die Planken handgefertigt - es wurde einzig per Segel und gegebenenfalls mit Rudern angetrieben.
Die Geschicklichkeit, mit der die Seemänner das Schiff bedienten und ihr Handwerk verstanden beeindruckte und faszinierte ihn. Bel t'Osanef konnte seinen Durst nach Informationen nicht im Entferntesten stillen, da er nur ein Dutzend Worte der menschlichen Sprache beherrschte. Aber sobald Qta an Deck auftauchte, versäumte Kurt es nicht, ihn nach selbst dem kleinsten Detail zu befragen, welches seine Neugier erweckte. Als der Nemet-Kapitän die Ernsthaftigkeit seines Interesses erkannte, bemühte er sich, ihm alles zu erklären - wobei er zuweilen nach den passenden Worten suchen musste, welche seit langem aus der menschlichen Umgangssprache verschwunden waren. So entwickelten beide untereinander ihr ganz eigenes Patois von Hanan-Nechai, der Sprache der Nemet.
Qta hingegen zögerte nicht, Kurt nach menschlichen Dingen zu befragen, die Kurt nicht immer in Ausdrücke zu kleiden wusste, die jener verstand. Manchmal verwirrten ihn Kurts Erläuterungen, und oft schockierten sie ihn wohl geradezu. Als Kurt begriff, wie sehr seine Äußerungen Qta verstörten, ließ er davon ab, von kosmologischen Dingen eingehender zu berichten. Die Nemet waren erdverbunden - sie begriffen außerplanetarische Dinge nicht wirklich, weil solche sich mit ihrem Glauben stießen. Und Kurt wollte unbedingt vermeiden, dass in Qta Misstrauen gegenüber seinem Ursprung aufkeimte.
Ein dritter Tag verging mit diesen zum Teil intensiven Diskussionen; und bei Morgendämmerung des vierten Tages rief der Kapitän Kurt zu sich, als er aus seiner Kajüte an Deck kam. Er wirkte wie ein Mann, der einen Entschluss gefasst hatte. Kurt näherte sich ihm abwartend und deutete eine Verneigung an.
»Zwischen uns herrscht Vertrauen, ja..?«, fragte ihn Qta, mehr wie eine Feststellung.
»Gewiss..., davon gehe ich doch aus!«, stimmte Kurt zu, auch wenn ihm schleierhaft war, auf was der Kapitän hinauswollte.
»Heute laufen wir in den Hafen ein. Ich möchte Dich nicht erniedrigen, indem ich Dich in Ketten an Land führe. Aber wenn ich Dich als freien Mann heimbringe und Du unschuldigen Nemet Schaden zufügen solltest, bin ich dafür verantwortlich... Was soll ich tun, Kurt Morgan?«
»Ich habe nicht die entfernteste Absicht, irgendjemandem zu schaden. Hmm..., aber was ist mit Deinen Leuten? Wie werden sie mich behandeln? Gib mir eine Antwort darauf, damit ich klar sehe und entscheiden kann.«
Qta öffnete die Hände. »Glaubst Du, ich würde Dich in dieser Sache anlügen?«
»Woher soll ich das wissen? Ich weiß nichts, als das, was Du mir sagst. Darum erkläre mir, in kurzen, eindeutigen Worten, warum ich Dir rückhaltlos vertrauen darf...«
»Ich bin von Elas!«, runzelte Qta die Stirn, als ob dies reichlich belegender Beweis genug wäre; aber als Kurt ihn weiter fragend anblickte, setzte er hinzu: »Ich schwöre es Dir, beim Lichte des Himmels - und das ist ein heiliger Schwur! Es ist die Wahrheit!«
»In Ordnung«, nickte Kurt. »Dann werde ich alles tun, was Du mir sagst und Dir keine Ungelegenheiten bereiten. Sage mir nur noch, wo dieser Hafen liegt - ich habe keine Orientierung in eurer Welt...«
»Wir segeln nach Nephane.«
»Ist das eine Stadt..?«
Wieder zog der Kapitän nachdenklich die Stirne kraus. »Ja, es ist eine Stadt; die Stadt des Ostens, welche vom Tamur-Mouth bis zum Yvorst Ome, am Rande des Eismeeres, herrscht.«
»Folglich gibt es auch eine ›Stadt des Westens‹..?«
Die Falten auf Qtas Stirn vertieften sich. »In der Tat - sie heißt ›Indresul‹.« Damit wandte er sich um und ging.
Kurt verstand nicht so recht, was er getan haben mochte, den Nemet zu verärgern...
*
Gegen Mittag kam der Hafen in Sicht. Eine weite, langestreckte Bucht lag vor einem riesigen, steil aufragenden Felsen. Zu Füßen des Bergkegels, sowie an seinen flacheren Flanken, befanden sich zahlreiche Gebäude und Mauern, welche sich bis zum Gipfel hinaufzogen.
»Bel-Ifhan«, rief Kurt den Stellvertreter des Kapitäns.
Der Offizier trat sofort herzu und verbeugte sich leicht, obwohl er offensichtlich gerade etwas anderes hatte tun wollen.
»Bel-Ifhan, ta'en Nephane?«
»Lus!«, bestätigte Bel und deutete auf den Felskegel. »Jaen Afen s'thages Methine.«
Kurt blickte zur Bergspitze hinauf, die Bel den »Afen« bezeichnet hatte und verstand nicht, was er damit gemeint haben könnte.
»Methi«, wiederholte Bel, und als Kurt immer noch nicht begriff, zuckte der junge Offizier hilflos mit den Achseln. »Qtas unnetha... Hmm... Qtas uleh..?«
Mit diesen Worten wandte er sich um und ging. Irgendwo im Heck hörte Kurt ihn einen Befehl erteilen und Männer liefen auf ihre Posten, um das Segel einzuholen. Die langen Riemen wurden ausgelegt und begannen im moderaten Takt ins Wasser zu klatschen. Ihr Schiff glitt auf das jetzt deutlich erkennbare Dock am Fuß der Klippen zu.
»Kurt...«
Überrascht wandte er den Kopf und blickte Qta an, der neben ihn getreten war.
»Bel sagte mir, Du hättest eine Frage.«
»Entschuldige, dass ich Dich damit behellige. Ich habe versucht mit ihm zu kommunizieren, aber er konnte mich nicht genügend verstehen - und ich ihn nicht...«
»Macht nichts... Wie gefällt Dir Nephane?«
»Ein schönes Städtchen«, antwortete er ganz wahrheitsgemäß. »Der Gebäudekomplex auf der Bergspitze - den ›Afen‹ hat Bel ihn genannt...«
»Der Afen ist eine Art Burg. Die Festung von Nephane.«
»Eine Festung..? Gegen welche Feinde? Menschen..?«
Wieder erschien die Falte zwischen Qtas Brauen. »Dein Status verwirrt mich... Du bist kein Tamurlin. Dein Schiff ist zerstört, Deine Freunde tot, wie Du sagst. Aber..., was willst Du bei uns? Was trieb euch..., Dich hierher?«
»Ich weiß nichts. Ich vertraue Dir. Wenn ich Deinem Wort nicht trauen könnte, hätte ich jede zuverlässige Basis verloren.«
»Du lügst nicht, Kurt Morgan. Aber Du weichst jeder für Dich kritischen Antwort geschickt aus. Warum bist Du zu uns gekommen?«
An der Pier hatte sich eine große »Menschen«-Menge versammelt. Fröhlich bunte Kleider in teils sprühender Farbenpracht leuchteten im Licht der Sonne. Die Riemen wurden eingezogen, als ihr Boot an die Pier glitt. Punj stand in Kurts unmittelbarer Nähe, das Bugtau wurfbereit in beiden Händen.
»Wieso kommst Du immer darauf zurück, dass ich mich in dieser Welt auskennen sollte«, fragte Kurt.
»Die anderen kannten sich aus...«
»Die... anderen? Welche anderen..?«
»Die neuen Menschen. Die...« Qtas Stimme erstarb und Kurt wich ein paar Schritte zurück.
Der Kapitän spürte, dass irgendetwas gar nicht gut lief.
»Kurt«, bat er, »warte..! Nein. Wir werden...«
Kurt boxte ihm seine Faust unters Kinn und flankte über die Reling, als die Backbordseite des Schiffes gegen die Landungsbrücke scheuerte.
Hart knallte er auf die Wasserfläche - und kaum eine Sekunde später traf ein zweiter brutaler Schlag seinen Schädel, als das Heck des Bootes über ihn hinwegglitt. Er gab jeden Kampf auf und ließ sich in die Tiefe des dunkler werdenden Hafenwassers treiben. Kurz darauf verlor er das Bewusstsein...
*
Kurt hatte das Gefühl zu ersticken, rang nach Luft und erbrach einen Schwall Meerwasser. Als er erneut versuchte Atem zu schöpfen, übergab er sich abermals und rollte sich auf dem Kopfsteinpflaster wie ein Embryo zusammen. Nachdem er endlich wieder atmen konnte, hob jemand seinen Kopf an, bettete ihn auf seinen Schoß und wischte mit einem trockenen Tuch über sein Gesicht.
Er lag auf der Pier, am Rande der Kaianlage, inmitten einer neugierig gaffenden Menge Nemet. Qta hielt ihn fest und redete dabei in seiner Sprache - die Kurt nicht verstand - beruhigend auf ihn ein, während Bel und Val sich über Qtas Schulter beugten. Qta und die anderen beiden Männer waren triefend nass, sodass es für ihn ein Leichtes war, festzustellen, dass sie ihm hinterher gesprungen sein mussten.
»Qta«, würgte er mühsam hervor, denn seiner Kehle entrang sich nur ein heiseres Flüstern.
»Du kannst nicht schwimmen«, hielt dieser ihm im anklagend-besorgten Tonfall vor. »Um Haaresbreite wärest Du ertrunken..! Wolltest Du den Tod finden? Wolltest Du Dich umbringen?«
»Du hast gelogen...«, krächzte Kurt gequält.
»Nein!«, widersprach Qta energisch, schien Kurt jedoch nun endlich zu verstehen. »Du bist kein Feind für uns!«
»Hilf mir...«, bat Kurt, aber Qta wandte den Kopf ab - eine Geste des Versagens. Stattdem gab er Val ein Zeichen, woraufhin der kräftige Seemann eine aus Planken improvisierte Bahre heranbrachte. Trotz Kurts Protesten und Gegenwehr hoben die beiden Nemet ihn auf die Trage.
Er befand sich immer noch im Schockzustand - fühlte sich vollkommen durchgefroren und zitterte am ganzen Körper. Irgendwo übernahmen zwei andere Männer die Bahre und Qta verließ ihn.
Der Weg durch die aufsteigenden, kopfsteingepflasterten Gassen und Straßen Nephanes war ein Alptraum, ein wirres Kaleidoskop von neugierigen, sich über ihn neigenden Gesichtern, nebst dem Schwanken und Rütteln seiner harten, schmalen Liegestatt, sodass ihm fast zum Erbrechen übel wurde. Sie passierten ein riesiges Tor und kamen in den Afen - die Festung, mit ihren von Dreiecksgewölben getragenen Decken, deren Räume von rußenden Fackeln erhellt wurden. Das Ende seiner passiven »Reise« bildete eine fensterlose Zelle.
Kurt wäre zufrieden gewesen, wenn sie ihn hier verlassen hätten, damit er alleine leben oder sterben könnte. Jedoch - sie hoben ihn von der Bahre, entledigten ihn seiner klammen Kleidung, legten ihn auf ein richtiges Bett und breiteten mehrere wärmende Decken über seinem unterkühlten Körper aus.
Es war völlig still, aber er spürte, während der langen Stunden in der ansonsten kahlen Kammer, dass immer jemand vor der Türe Wache hielt.
Schließlich, gegen Mittag des Folgetages, brachten ihm zwei Männer frische Kleidung und halfen ihm dabei, diese anzuziehen. Die Kleidung war ihm fremd und er konnte sich des erniedrigenden Gefühls nicht erwehren, den letzten Rest der ihm verbliebenen Würde zu verlieren, als sie ihm angelegt wurde.
Über der Unterkleidung trug er nun das Pel, eine langärmelige Tunika, welche vor der Brust übereinandergeschlagen und mit einem Gürtel fixiert wurde. Die beiden Nemet erlaubten ihm noch nicht einmal, sich die Sandalen selbst zu schnüren, sondern taten es für ihn. Als sie damit fertig waren, reichten sie ihm ein Steingut-Tässchen mit Telise - in ihren Augen offenbar eine Kur für Übel und Leiden aller Art...
Nachdem er das geleerte Gefäß auf einem schmucklosen Holztisch abgestellt hatte, führten sie ihn, wie befürchtet, in die A-förmigen Hallen des oberen Afen. Kurt widersetzte sich ihnen nicht; er brauchte nicht noch mehr Feinde in Nephane.
Auf der dritten Etage befand sich eine weiträumige Halle, deren Wände aus unbehauenen Steinen bestanden, wie jene der äußeren Hallen. Ihr Boden hingegen war mit dicken Teppichen belegt. Die Wachen blieben beim Eingang zurück und wiesen ihn, separat, in Richtung einer Türöffnung auf der gegenüberliegenden Seite.
Die Räumlichkeit, welche hinter dieser Tür lag, entstammte ihrer eigenen Welt; sie setzte sich, samt und sonders, aus Metall und silbrig-synthetischem Material zusammen. Die Möbel kontrastierten dazu in einem kristallischen Schwarz; lediglich ein Schrank zu seiner Linken und die Tür, durch welche er eingetreten war, gestalteten sich wie Fremdkörper in diesem Bild, denn sie bestanden aus geschnitztem Holz, dessen Dekor Drachen und Fische darstellte.
Irgendwo surrten Maschinen. An einer weiteren Türe blieben seine Augen haften, denn schwang jene auf und eine Frau, in Nemet-Kleidung, betrat den Raum. Ihr langes Gewand war goldfarben - passend zu ihrem weizenblonden Haar.
Ein Mensch, das war gewiss - allerdings auch eine Hanan..! Sie behandelte ihn mit größerem Respekt, als er von den Nemet erfahren hatte, blieb reserviert und distanziert. Sie konnte seine Art zu denken verstehen, so wie er ihre Denkmuster verstand. Kurt sagte nichts, wollte zunächst ergründen, was ihre Absichten waren.
»Guten Tag... Mister Morgan - Lieutenant Morgan.« An ihrem rechten Zeigefinger baumelte eine schmale Erkennungsmarke.
Erschrocken tastete er an seine Brust. Stimmt - er hatte sie irgendwie verloren; möglicherweise bei der Rettungsaktion am Hafen schon.
»›Kurt Liam Morgan, Pylan/Pylos‹ - so steht es hier.«
»Kann ich sie zurückhaben?« Es war seine Plakette, die er seit den Tagen seiner militärischen Laufbahn getragen hatte und es machte ihn nervös, jene in den Händen der Hanan-Frau zu sehen - es war, als ob sie ein Stück seiner Seele in ihrer Gewalt hielt.
Sie zögerte einen Augenblick, dann warf sie ihm das an einer Kette baumelnde Metallplättchen zu, sodass er es leicht auffangen konnte.
»Einen Namen wissen wir also nun..., der meine ist ›Djan‹.
Wo sind ihre Kameraden vom Raumschiff, Lieutenant Morgan..?«, fügte sie direkt und scharf nach, um sofort deutlich zu machen, dass sie keinen Wert auf überflüssiges, höfliches Geplänkel legte.
»Tot. Ich habe von Anfang an - und immer - die Wahrheit gesagt. Es gab keine weiteren Überlebenden!«
»Wirklich..?«, dehnte sie lauernd.
»Ich bin allein«, bekräftigte er abermals und fühlte Angst in sich aufsteigen. Er kannte die Hanan-Methoden mit denen sie andere zum Reden brachten. »Unser Schiff wurde im Gefecht vernichtet. Die Überlebenskapsel der Kommunikationsabteilung war die Einzige, die freikam - die Einzige auf unserer, als auch auf ihrer Seite.«
»Wie sind sie hierhergekommen? Wie haben Sie den Planeten überhaupt gefunden..?«
»Reiner Zufall«, bewegte er sich auf dem schmalen Grat zur Lüge.
Ihre Lippen bebten, während sie ihn mit kalter Wut fixierte. »Diese Version können Sie Ihrer demenzkranken Urgroßmutter erzählen..! Also noch einmal: Wie sind Sie auf unseren Kolonial-Planeten gestoßen, wie kamen Sie hierher?«
»Wir trafen auf eines Ihrer Schiffe«, präzisierte er, mit trockenem Mund, einlenkend, denn er wusste, dass sie ihm nicht glaubte und dass sie nicht eher lockerlassen würde, bis sie seine ganze Geschichte authentisch ans Tageslicht gezerrt hatte. Es war leichter, nachzugeben und darauf zu hoffen, dass diese mutmaßliche Aeolitin ihn rasch und schmerzlos ins Jenseits befördern würde. »Aeolus war ihr Planet, nicht wahr..?«
»Einzelheiten!«, reagierte sie schneidend schroff und wischte damit sein Bemühen, sie abzulenken, vom Tisch. Kurt blieb hoffnungslos in der Defensive. Ihr Gesicht war wohl blass, aber ihre Stimme klang ruhig und selbstsicher.
Gegen seinen Willen musste er ihre Beherrschtheit bewundern. Die Hanan waren kühle Menschen, aber es gehörte mehr als »Kühle« dazu, die Nachricht vom Untergang seiner Heimatwelt so gefasst aufzunehmen. Er wusste das aus Erfahrung. Pylos war nun ebenfalls ein toter Planet. Er erinnerte sich an den Anblick von Aeolus - als die Planetenoberfläche von riesigen Feuersbrünsten überzogen und zerstört wurde. Selbst ein Feind musste bei diesem Bild des Vergehens einer Welt Mitleid empfinden.
»Zwei IST-Schiffe der Allianz sind in die Zone von Aeolus eingedrungen. Unser Schiff gehörte zu diesem Flottenverband. Eines ihrer Kreuzer ist unmittelbar nach dem Angriff im Luftraum aufgetaucht und ergriff umgehend die Flucht, als man die Lage erkannte. Wir operierten zufällig in dessen Nähe und nahmen sofort die Verfolgung auf. Die Hetzjagd auf den Hanan-Kreuzer endete hier - es kam zum Duell... Aber - den Kampf haben Sie doch bestimmt auf Ihren Monitoren verfolgt, oder..? So wissen Sie auch, dass es keine anderen Fluchtkapseln und Überlebenden gab..!«
»Reden Sie nur weiter...«
»Pfft... Da gibt es nicht viel mehr zu berichten... Wir haben uns gegenseitig den Garaus bereitet! Die Endymion kassierte den ersten Treffer, und meine Station schottete sich ab. Das ist alles, was ich weiß. Ich habe nach anderen Kapseln - ob Freund oder Feind - Ausschau gehalten, konnte aber keine entdecken. Es gab keine weiteren, denen ein Entkommen geglückt wäre - und das müssten Sie auch wissen..!«
Djan verbarg einen kleinen Gegenstand in ihrer Rechten. Er konnte einen kurzen Blick darauf erhaschen, als sie ihre Hand in den Falten ihres Kleides bewegte. Er sah, wie sich ihre Finger schlossen, dann jedoch wieder öffneten. Fast hätte er in diesem Moment einen Angriff riskiert. Aber sie war eine Hanan und von Kindheit an zum Kämpfen trainiert. Ihre Reflexe würden so schnell sein, dass er keine reelle Chance sah; vielleicht hatte sie die Pistole auch nur auf Betäubung geschaltet...
»Ja, ich weiß, dass es nur die beiden Schiffe und keine anderen Überlebenden gab...« Ihre Stimme klang jetzt tief, mit einem spöttischen Unterton. »Dann..., willkommen in meiner Welt, Kurt Morgan. Wir sind anscheinend die einzigen menschlichen Wesen auf diesem Globus... Waisen an der Grenze der Galaxis - sieht man mal von den Tamurlin ab, welche man aber nicht mehr als zivilisierte Menschen betrachten kann.«
»Sind Sie allein..?«, reflektierte Kurt bass erstaunt.
»Für den Fall, Mister Morgan, dass Sie mir etwas antun sollten oder wollten, habe ich den Nemet den Befehl erteilt, Sie so nackt und bloß, wie Sie bei Ihrer Geburt waren, an der Küste von Tamur auszusetzen. Jene anderen - ›Menschen‹ - dieses Planeten wüssten ihnen eine ganz spezielle Behandlungsmethode angedeihen zu lassen.«
»Ich bedrohe Sie nicht.« Neue Hoffnung ließ ihn jedweden Stolz über Bord werfen. »Geben Sie mir eine Chance, mein eigenes Leben zu führen - dann werden Sie mich nie wieder sehen.«
»Falls Sie nicht doch ein Vorbote sind - und noch viele folgen werden...«
»Es gibt niemanden mehr; und es kommen keine weiteren meiner, ...unserer, Rasse!«, räumte er ihre Bedenken mit Nachdruck zur Seite. »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!«
»Uiihh... Welche Sicherheiten geben Sie mir für ›Ihr Wort‹?«
»Wir waren allein. Es gab keine Möglichkeiten unseren Kurs zu verfolgen; keine anderen Schiffe in unserer Nähe - und wir flogen, auf unserer Verfolgungsjagd, ›blind‹, das heißt ohne Verwendung von Koordinaten. Das Ganze glich einer ›Hasenjagd‹ im Zickzack-Kurs...«
»Gut«, schien sie ihm endlich zu glauben, »aber dann haben Sie eine lange Wartezeit vor sich. Aeolus begann diesen Planeten vor dreihundertundvier [1] Jahren zu kolonisieren. Jedoch der Krieg... Alle Unterlagen wurden verstreut oder vernichtet. Das Versorgungsschiff ging irgendwie verloren. Wir, das heißt sozusagen die ›Zweite Welle‹ Kolonisten, erfuhren von der Existenz dieser Welt aus jahrhundertealten Archiven und waren gekommen, um ihn zurückzuerobern. Aber das dürfte ihre Intervention bezüglich Aeolus anscheinend für alle ferneren Zeiten verunmöglicht haben!
Unser Schiff ist zerstört - es kann nur das Schiff gewesen sein, von dem sie behaupten es gejagt und vernichtet zu haben. Da nun ja auch ihr Kampfkreuzer nicht mehr existiert, ihr Kurs weder aufgezeichnet wurde, noch von irgendwoher rekonstruiert werden könnte, Aeolus und seine Archive zu Staub und Asche verwandelt worden sind, dürfen Sie sich ausmalen, wie hoch die Chancen stehen, dass uns jemand - zufällig - findet..! Wie gesagt: Forschungsexpeditionen in diesen Sektor des Raumes haben, durch uns Hanan, das letzte Mal vor besagten dreihundert Jahren stattgefunden und wurden dann, ermangels genügender Anreize, eingestellt...
Da haben wir wieder das grundlegende Problem - den Krieg..!«
»Der Krieg ist - für uns beide und hier - beendet. Lassen Sie mich gehen.«
»Wenn ich Sie gehen ließe«, grübelte Djan, »würden Sie vielleicht draußen sterben. Oder aber..., Sie könnten wieder zurückkommen... Sie könnten zurückkehren, und ich wäre außerstande zu wissen, wann solches geschähe... Ich müsste mich den Rest meines Lebens davor fürchten - vor Ihnen fürchten, Mister Morgan. Ich hätte keine ruhige Minute mehr.«
»Ich werde nicht zurückkommen.«
»Oh doch - das würden Sie! Es ist sechs Monate her, seit meine Crew, in den Mauern Nephanes, gestorben ist. Und schon nach dieser relativ kurzen Zeit komme ich mir, gegenüber mir selbst (!), wie eine Fremde vor, sooft ich in den Spiegel blicke! Ich meide daher Spiegel oder glatte Flächen, in denen ich mich gespiegelt sehe..! Nach einer gewissen Zeit bekommt man Sehnsucht, ein anderes menschliches Gesicht zu sehen. Und Ihnen würde es, beziehungsweise wird es definitiv, genauso ergehen..!«
Sie hatte die Waffe, die er in ihrer Hand gesehen hatte, nicht gehoben. Sie wollte sie nicht gebrauchen und gegen ihn verwenden. Diese unterschwellig registrierte Erkenntnis ließ seine Handflächen feucht werden. Sie wusste, dass es nur einen sicheren Weg für sie gab - und doch zögerte sie, ihn zu beschreiten. Djans Gesicht wirkte bedrückt.
»Qta t'Elas war im Afen und hat um ihre Freiheit ersucht. Ich habe ihm, auf seine Bitte hin, zu bedenken gegeben, dass man Ihnen nicht zu leichtfertig trauen darf!«
»Ich schwöre, dass ich nur ein Ziel verfolge: Am Leben zu sein. Ich würde zu ihm gehen und bei ihm bleiben. Stellen Sie mir dazu ruhig Bedingungen - ich werde sie akzeptieren.«
Djan legte ihre Hände übereinander, umschloss die Pistole mit ihren schlanken Fingern: »Angenommen, ich würde auf Sie hören...«
»Sie bräuchten es nicht zu bereuen..!«
»Ich hoffe, dass Sie sich an Ihre Worte erinnern, wenn Sie sich etwas eingelebt haben! Denken Sie immer daran, dass Sie nackt und bloß hier angekommen sind und dass Sie mich darum gebeten haben, Ihnen meine Bedingungen zu nennen.«
Sie blickte ihn sekundenlang abschätzend an.
»Ich muss verrückt sein... Aber gut; ich behalte mir das Recht vor, Ihre nunmehrige Schuld bei mir eines Tages einzutreiben - in welcher Form und für welche Zeitspanne auch immer es mir beliebt!
Sie sind in Nephane nur eine von mir geduldete Person - vergessen Sie das nie! Ich eröffne Ihnen also folgende Option: Ich werde Sie in die Obhut des Hauses Elas überstellen - für zwei Wochen. Unter dem Eindruck der dann gewährten Einblicke in Ihr Verhalten während dieser Zeitspanne, werde ich Sie wieder zu mir zurückbeordern und wir werden uns erneut über Ihre Situation unterhalten.«
Kurt verstand diese Worte als Entlassung. Mit weichen Knien vor Erleichterung, gepaart mit aufkeimenden Zweifeln, verließ er den Raum.
Djan befand sich allein mit einem mutmaßlichen Feind auf diesem Planeten - und hatte eine ziemlich unlogische Entscheidung gefällt! Gefühle waren noch nie eine Schwäche der Hanan gewesen und er begann eine subtile Frage zu fürchten, welche sie ihm gestellt haben mochte, ohne dass er es bemerkt gehabt hätte.
Oder aber die Einsamkeit besaß sogar über die kühlen Hanan Gewalt und erwies sich, selbst für ihren starken Überlebensimpuls, als zu destruktiv.
Irgendwie war der letzte Gedanke nicht weniger beunruhigend als der erste...
Wenn man nach der Größe des Hauses und seiner Nähe zum Afen urteilen wollte, musste Qta ein bedeutender Mann sein. Von der Straßenseite aus betrachtet, entsprach das Gebäude einem riesigen Steinkubus, dessen A-förmige Tür direkt auf den Gehweg führte. Es war zwei Stockwerke hoch und lehnte, mit seiner Rückfront, an den Felsen, auf dem der Afen thronte.
Die ihn begleitenden Wachen läuteten eine Glocke neben der Eingangstüre und kurz darauf wurde sie auch schon, von einem weißhaarigen Nemet in schwarzer Tunika, geöffnet.
Beim folgenden Dialog fielen häufig die Namen Qta und Djan-Methi. Er schloss damit, dass der Alte seine Hände an den Mund legte, sich verbeugte und Kurt mit einer Geste ins Haus bat. Desgleichen verneigten sich die Wachen höflich, bevor sie sich zurückzogen.
Der Weißhaarige verriegelte die Flügeltür von innen, indem er sie mit einem Querbalken sicherte.
»Ich bin Hef«, stellte er sich knapp vor, »komm bitte mit mir...«
Bronzene Hängelampen beleuchteten den Korridor in die weiter zurückliegenden Räume des Hauses - bis zu einer dämmerigen Halle, die wie ein »Y« hinter einem dreieckigen Zugang lag. Links und rechts stiegen Treppen zu den Zimmern des oberen Stockwerks auf. Hef geleitete Kurt in den rechten Teil des »Y-Raumes«, an dessen Ende sich eine geschlossene Tür befand.
Er pochte, leise klopfend, gegen das Holz.
Als die Tür aufschwang, starrte Qta Kurt erstaunt an. Hef sprach eine ganze Weile auf ihn ein, wobei seine Worte einen ernüchternden Effekt auf ihn auszuüben schienen. Daraufhin öffnete Qta den Türschlag weit und bat Kurt einzutreten.
Der Einladung folgend, schritt Kurt unsicher in das geräumige Zimmer; gleichermaßen verwirrt vor Erschöpfung, wie von der fremdartigen Geometrie des Hauses.
Qta bedeutete ihm, auf einem der Stühle Platz zu nehmen; auch diese waren niedriger, als Kurt es gewohnt war. Die Teppiche, welche den Boden bedeckten, wiesen reiche, ornamentale Muster auf, während die Front der Möbel mit geschnitzten Figuren dekoriert war.
Qta setzte sich seinem Gast gegenüber und lehnte sich zurück. In der Privatsphäre seines Zimmers genoss er es offensichtlich, ungezwungen, nur mit einem Kilt und Sandalen, bekleidet zu sein. Er war ein kräftiger, muskulöser Mann - seine goldbraune Haut glänzte wie die Oberfläche einer zum Leben erwachten, antiken Götterstatue.
Unzweifelhaft umgab ihn in seinem Hause eine Aura der Macht und des Reichtums, die Kurt auf dem Schiff, so ausgeprägt, nicht bemerkt gehabt hatte. Er empfand plötzlich Ehrfurcht vor diesem Mann und erkannte, dass »Freundschaft«, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, unmöglich die zupassende Bezeichnung für eine gewisse Verbindung zwischen einem reichen Nemet-Kapitän und einem menschlichen Flüchtling, der abgerissen und mittellos auf seiner Türschwelle gestrandet war, sein konnte. Selbst der Begriff »Gast«, überlegte Kurt bedrückt, schien hier kaum wirklich angebracht...
»Kurt-Ifhan [1], die Methi hat Dich unter meine Obhut gestellt.«
»Ich bin Dir dankbar, dass Du zu ihr gegangen bist und für mich gesprochen hast«, wusste er.
»Es erwies sich als notwendig. Eine Sache der Ehre!
Elas hat seine Tore für Dich geöffnet. Aber Du musst nun folgendes verstehen und bei all Deinen künftigen Handlungen berücksichtigen: Falls Du etwas Unrechtes tun solltest, fiele die Strafe auf mich. Wenn Du fliehen wolltest, setzt Du meine Freiheit damit aufs Spiel. Ich sage Dir das, damit Du Bescheid weißt. Die Wahl liegt jetzt bei Dir.«
»Du hast eine sehr große Verantwortung auf Dich genommen - und kennst mich doch eigentlich gar nicht richtig...«
»Ich habe einen Eid abgelegt. Ich zog damals nicht in Betracht, dass dieser auch ein Fehler sein könnte. Ich handelte intuitiv und impulsiv - so habe ich einen Schwur auf Deine Sicherheit abgelegt. Um der Ehre Elas' willen, musste ich die Methi daher folgerichtig um Dich bitten - es war notwendig.«
»Ihr Volk und das meine führen schon seit über zweitausend Jahren gegeneinander Krieg. Es begann wohl mit kleinen, relativ bedeutungslosen, noch kaum beachtenswerten Scharmützeln, wuchs sich dann jedoch, über die Jahrhunderte, zu einer konstanten Größe, ähnlich einer ›Erbfeindschaft‹ unter solchen aus, die eigentlich Brüder sein sollten. Du bist ein größeres Risiko eingegangen, als Du geahnt hast. Ich hoffe inständig, Dich nicht in Schwierigkeiten zu bringen..!«
»Es sei nun, wie es sei...«, entgegnete Qta, nach einer kurzen Pause des Nachsinnens. »Du bist vierzehn Tage lang mein Gast. Ich danke Dir für Deine Direktheit, aber ein Mann, der zum Herdfeuer von Elas kommt, wird nie wieder als Fremder vor unserer Tür stehen. Bringe Frieden mit Dir und sei willkommen. Achte unsere Bräuche und Elas steht Dir jederzeit offen...«
»Ich bin Dein Gast..., darf es sein... Danke Dir. Ich werde tun, was immer Du von mir verlangst.«
Qta faltete seine Hände, unterstützte sein Kinn; versank kurz in seiner Gedankenwelt und nickte dann, wie zu sich selbst. Entschlossen stand er auf, verließ sein Zimmer und schlug einen Gong an der Außenwand des Raumes.
»Ich habe die Familie hiermit in den ›Rhmei‹ gebeten. Der Rhmei ist das Herz des Hauses. Bitte folge mir...«
Er berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen und verneigte sich.
»Man verbeugt sich bei einer Begrüßung. Ich weiß, dass Menschen einander gerne berühren, um ihre Gefühle füreinander, sowie Freundschaften, zu bezeugen. Hier tut man das nicht! Unter keinen Umständen! Es käme einem Affront gleich - besonders gegenüber Frauen; und Beleidigungen von Frauen des Hauses können nur mit Blut reingewaschen werden. Senke den Blick vor Fremden. Strecke keinem Mann die Hand zum Willkommen - oder aus sonst einem Grunde - entgegen. Wenn Du diese wenigen Regeln zu beachten weißt, wirst Du nirgends Anstoß erwecken.«
Kurt straffte sich: »Hmm... Gut. Verstehe.« Innerlich jedoch bekam er plötzlich Angst vor den Nemet. Angst vor dem Entdecken einer dunklen Seite ihrer sanften, kultivierten Natur; oder vor der Gefahr, von ihnen als Wilder verachtet zu werden. Das wäre gar die schlimmere der beiden Varianten..! Er folgte Qta in einen kleinen Saal, dessen Decke von Säulen stabilisiert und mitgetragen wurde. Der polierte, schwarze Marmor der Wände und Pfeiler reflektierte die Flammen des Feuers, welches in einem großen, dreifüßigen Kupferbecken in dem Apex des dreieckigen Raumes brannte. An einer Wand standen zwei, mit reichem Schnitzwerk verzierte Stühle; auf dem linken saß eine Frau, ihre Füße ruhten auf einem weißen »Schaf«-Fell. Auf dem rechten thronte ein älterer Mann. Zu Füßen der beiden hockte ein Mädchen auf einem weiteren, identischen Fell.
Hef befand sich neben dem Feuer platziert, an der Seite einer jungen Frau.
Qta kniete sich vor der älteren Dame auf den Boden und sprach mit ernstem Ton auf sie ein.
Kurt stand, mit unbehaglichem Gefühl, wie auf dem »Präsentierteller«, da - er wusste, dass er das Thema von Qtas Erklärungen war. Sein Herz schlug rascher, als der Mann sich erhob und ihm einen kühlen, prüfenden Blick zuwarf.
»Kurt-Ifhan«, sprang Qta auf, »ich möchte Dich meinem verehrten Vater vorstellen: Lord Nym t'Elas u Lhai, und meiner Mutter, Lady Ptas t'Lei e Met sh'Nym.«
Kurt verneigte sich tief und Qtas Eltern honorierten seine Höflichkeit durch freundlichere Mienen. Das junge Mädchen, dass zu Füßen der beiden kniete, stand ebenfalls auf und verbeugte sich.
»Meine Schwester Aimu«, wies Qta mit einer Geste auf jene. »Und Du musst auch Hef und seine Tochter Mim kennenlernen, die Elas mit ihrem Dienst ehren.«
Die beiden traten auf Kurt zu und bezeugten ihre Ehrerbietung mit einer entsprechenden Verbeugung.
Kurt erwiderte den Gruß spiegelbildlich, obwohl er nicht wusste, ob man sich vor der Dienerschaft verneigen sollte oder nicht.
»Hef«, erläuterte Qta, »ist ein Freund Elas'. Seine Familie steht schon, inklusive ihm, in der sechsten Generation in unseren Diensten. Mim-Lechan spricht die menschliche Sprache. Sie wird Dir helfen, Dich im Hause einzugewöhnen.«
Mim warf ihm einen raschen, verstohlenen Blick zu. Sie war klein, hatte eine kindhaft schmale Taille und wirkte in ihrem engen, durch mehr als ein Dutzend Knöpfe geschlossenen Mieder gleichzeitig steif und verwirrend feminin. Ihre großen Augen waren dunkel und in dem Blick, den sie Kurt zuwarf, lagen, hinter der vorgeschützten Freundlichkeit verborgen, Hass und Abscheu.
Er starrte sie verblüfft an, bevor ihm die Höflichkeitsregeln der Nemet wieder einfielen und er zu Boden blickte.
»Ich bin geehrt«, sagte Mim kalt, »dem Gast meines Lord Qta zur Hand gehen zu dürfen. Mein verehrter Vater und ich werden uns nach besten Kräften um Dich kümmern.«
*
Die Gästeräume befanden sich im oberen Stockwerk - über denen des Hausherrn, wie Kurt von Mim erfuhr. Sie erteilte ihm diese Auskunft in einem Ton, welcher einer Ermahnung gleichkam, keinen unnötigen Lärm zu fabrizieren.
Das ihm zugewiesene Zimmer war ein luxuriös eingerichtetes Appartement. In einem gekachelten Bad befand sich ein Holzofen zum Erhitzen des Badewassers. Die Wanne und alle anderen Gefäße bestanden aus gehämmerter Bronze.
Das Bett, welches mit Daunendecken und weichen Fellen bedeckt war, stand seitwärts eines Fensters aus wolkigem, von Luftblasen durchzogenem Glas. Kurt warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Liegestatt. Seine Beine zitterten und die Augen brannten vor Erschöpfung - es gab wohl kaum einen Muskel in seinem Körper, der nicht irgendwie weh tat... Allein, Mim lief geschäftig dahin und dorthin, trug Stapel von Leintüchern und Kleidung umher und bestand dann auch noch darauf, das Bett frisch beziehen zu müssen. Als er endlich glaubte, dass sie fertig sei, begann sie – stattdem - emsig Staub zu wischen.
Kurt war, in unbequemer Haltung, fest auf dem Stuhl eingeschlafen, als Qta ins Zimmer trat. Er inspizierte zielgerichtet besonders einen Punkt des Raumes und sagte etwas zu Hef, der ihn begleitete.
Der alte Diener machte ein betroffenes Gesicht und nahm dann eine kleine Bronzelampe aus einer dreieckigen Nische in der Westwand [2].
»Es ist Religion«, erklärte Qta. »Du darfst solche heiligen Dinge nicht unbedarft berühren oder gar benutzen. Das gilt auch für die Phusmeba, die Feuerschale im Rhmei! Deine Anwesenheit ist eine Störung. Ich muss Dich bitten, unsere religiösen Bräuche zu beachten.«
»Ist es, weil ich ein Fremder bin«, fragte Kurt, bereits von Mims unterschwelliger, undefinierbarer Feindseligkeit verärgert, »oder weil ich ein Mensch bin?«
»Du bist ohne Beginn an diesem Ort - möglicherweise gar auf diesem Planeten, wie Du mir berichtetest. Darum habe ich gebeten, die Phusa aus dem Zimmer zu nehmen - weil ich die Ahnen von Elas nicht beleidigen will. Ich habe mit meinem Vater über diese Regelung gesprochen. In Deinem Raum sind die Augen von Elas jetzt geschlossen. Ich halte es für die beste Lösung! Bitte sei mir deswegen nicht böse...«
Kurt verneigte sich, durch Qtas offensichtliche Verlegenheit besänftigt.
»Verehrt ihr eure Vorfahren nicht?«, erkundigte sich Qta.
»Wie meinst Du diese Frage«, reagierte Kurt und ein betroffener Ausdruck trat auf Qtas Gesicht, als ob all seine Befürchtungen sich bestätigt hätten.
»Trotzdem werde ich es versuchen..! Vielleicht werden die Ahnen von Elas auch Gebete für Dein so weit entferntes Haus erhören. Leben Deine Eltern eigentlich noch..?«
»Ich habe überhaupt keine Angehörigen mehr«, antwortete Kurt und erntete eine gemurmelte Erwiderung, die mitleidig klang.
»Dann bitte ich Dich um Deinen vollen Namen, den Namen Deines Hauses und den Deines Vaters und Deiner Mutter.«
Kurt gab ihm die gewünschte Information, um endlich Ruhe zu haben. Qta wiederholte die teils langen, ungeläufigen Silben mehrere Male, um sie sich einzuprägen und richtig aussprechen zu können. Er zeigte sich entsetzt darüber, dass die Eltern seines menschlichen Gastes einen gemeinsamen Familiennamen trugen, woraufhin Kurt ihm, ungeduldig, fast wütend, die menschlichen Heiratsbräuche erklärte. Er fühlte sich zu Tode erschöpft und diese, im Augenblick zumindest, blödsinnig erscheinende Informationsbeschaffung verlängerte nur seine Qualen.
»Ich werde es den Ahnen erklären; habe keine Angst. Elas ist ein Haus, das mit Fremden und ihren Bräuchen große Nachsicht zu üben weiß.«
Kurt verbeugte sich in der Hoffnung, dass die Erörterung damit abgeschlossen sei. Ihm war klar, dass er nur um Qtas willen in diesem Gebäude geduldet wurde. Es ging um dessen Ehre. Ihm war eisig, als Qta und Mim ihn endlich alleine ließen. Er kroch zwischen die kalten Laken und zog fröstelnd die Decken über den Kopf.
Er war der einzige seiner Art auf diesem Planeten; mit Ausnahme von Djan, die ihn hasste - und einer unbestimmbaren Zahl verrohter Hanan, die sich wie Wilde in den südlichen Urwäldern tummelten. Für die Nemet war er wohl kaum des Hasses wert - er war ihnen lediglich unbequem...
*
Spät am Abend erschien Hef und brachte ein Tablett mit zwei gefüllten Tellern. Kurt zwang sich aufzustehen und bekleidete sich, was ihm äußerst zuwider war - aber er wollte nichts tun, was ihn in den Augen der Nemet herabsetzen konnte.
Kurz darauf erschien Qta, um mit ihm gemeinsam zu speisen. »Eigentlich ist es Brauch, dass Dinner im Rhmei einzunehmen, im Kreise der Familie«, erklärte er, »aber ich möchte vermeiden, dass Du, ohne es zu wollen, meine Familie beleidigst. Darum muss ich Dich zuvor die hiesigen Tischmanieren lehren.«
Kurt platzte allmählich der Kragen: »Ich habe meine eigenen Tischmanieren«, entrüstete er sich lautstark. »Es tut mir leid, Dein Haus entweiht und verunreinigt zu haben. Schicke mich doch zurück zum Afen, zu Djan. Noch ist es nicht zu spät dazu.«
Er wandte dem gedeckten Tisch und Qta den Rücken zu, trat an das dunkle Fenster und starrte wütend in die anbrechende Nacht. Es dämmerte ihm, dass es eine subtile Grausamkeit Djans gewesen war, ihn nach Elas zu schicken. Sie musste wohl erwarten, ihn mit gebrochenem Stolz zurückkehren zu sehen.
»Ich wollte Dich nicht beleidigen«, erschrak Qta, wegen dieser unerwartet heftigen Emotion seines Gastes.
Kurt drehte sich wieder um und blickte in die dunklen, fremden Augen des Nemet; sein Gesichtsausdruck wirkte völlig verstört.
»Kurt-Ifhan, ich wollte Dich wirklich nicht beschämen. Ich möchte Dir helfen, damit Du Dich nicht vor meinem Vater und meiner Mutter blamierst; meine Absicht ist, Deine Würde zu schützen.«
Kurt neigte einlenkend den Kopf und kam widerstrebend zurück. Der Gedanke an die Methi bestärkte ihn im Entschluss, nicht etwa bei ihr unterzukriechen und das aufzugeben, worum er sie so inständig gebeten hatte. Und vielleicht wollte sie auch dem Hause Elas eine Lektion erteilen; ihm zeigen, was für eine schwere Last es sich mit ihm aufgebürdet hatte.
Er gab daher nach, legte jeden Protest beiseite. Es gab fürwahr schlimmeres, als wie ein Kind auf dem Boden zu hocken und sich von Qta zeigen zu lassen, wie man mit fremdartigem Besteck umzugehen hatte.
Bald begriff Kurt, warum der Nemet ihn nicht unvorbereitet an den Familientisch zulassen wollte. Mit dem ungewohnten Besteck konnte er wirklich kaum vernünftig umgehen und musste, hungrig, wie er war, mehrere Male den Impuls unterdrücken, einfach mit den Fingern zuzulangen.
Man trank nur mit der linken Hand, aß nur mit der rechten. Die Schüssel wurde bis fast an den Mund geführt, durfte indes die Lippen nie berühren. Permanent rutschte ihm der aufgespießte Bissen von der einzinkigen »Gabel«. Die Gabel rechts geführt, Messer links - nie anders..!
Qta war, nach Kurts emotionalem Ausfall, überaus taktvoll und nachsichtig; allmählich begann Kurt der Situation sogar eine gewisse Komik abzugewinnen. Zwischen Instruktionen und Anweisungen unterhielten sie sich, wobei sich Qta hin und wieder nach den menschlichen Bräuchen erkundigte. Außer Zweifel blieb dabei indes, dass andere Ansichten und Gewohnheiten wohl möglich sein mochten, nicht jedoch unter dem Dach von Elas zu praktizieren seien!
»Hmm... Und was würdest Du tun, wenn Du Dich unter Menschen befändest..?«
Qtas Gesichtsausdruck verriet leichthin, dass allein die Vorstellung ihn schon schaudern machte. »Keine Ahnung... Die einzigen Menschen, die ich kenne, sind die Tamurlin...«
»Ist nicht...« - Kurt hatte sich überwinden müssen, um den Mut zu dieser Frage aufzubringen - »...die Methi mit anderen Menschen hierhergekommen?«
Das erschrockene Mienenspiel Qtas setzte sich fort. »Ja. Die meisten sind allerdings wieder fort. Die verbliebenen hat Djan-Methi getötet.«
Er wechselte rasch das Thema und sah so aus, als ob es ihn reute, seinem Gegenüber eine so freimütige Antwort gegeben zu haben.
Sie sprachen daher von anderen, weniger wichtigen Dingen und es wurde darüber sehr spät. Im Haus war es völlig still geworden, sodass sie nur mit gedämpfter Stimme redeten, um niemanden zu stören. Die Lampen verbreiteten ein warmes, ruhiges Licht und die Luft roch mild nach ihrem Öl. Sie tranken Tee und Telise, was dazu führte, dass der Alkohol, zusammen mit der vorgerückten Stunde, eine Atmosphäre der Irrealität schufen.
Kurt erfuhr einige relative Trivialitäten, zumeist Familienklatsch, denn Djan und die Mitglieder des Hauses Elas waren die einzigen Personen in Nephane, die sie beide kannten. Qta, der vorübergehend so freigiebig mit der Wahrheit umgegangen war, schien sich darauf besonnen zu haben, dass das nicht ungefährlich sein konnte. Die Unterhaltung bezüglich der Konstellation im Hause ergab für Kurt die Erkenntnis, dass Nym die absolute Autorität innehatte - er war der Lord von Elas.
Qta besaß so gut wie keine Befugnisse, obwohl er schon über dreißig Jahre alt war [3] und ein Kriegsschiff kommandierte. Solange Nym lebte, würde er ihm untergeben bleiben. Der älteste Mann war, nach Gesetz und Überlieferung, der Lord des Hauses. Wenn Qta heiratete, musste er seine Frau in das Haus seines Vaters einführen; das Mädchen würde, als Schwiegertochter, Teil der Familie werden und Qtas Eltern gehorchen müssen, als ob sie im Hause geboren worden wäre. Aimu würde es bald verlassen, denn sie war mit Qtas Zweitem, Bel t'Osanef, verlobt. Die drei - Qta, Bel und Aimu - waren schon von Kindesbeinen an miteinander eng befreundet gewesen.
Qta gehörte nichts. Aller Familienbesitz war Eigentum seines Vaters, der auch entschied, wann und wen seine Kinder heiraten würden, da das Erbe von diesen Ehen abhing. Der Besitz ging vom Vater ungeteilt auf den ältesten Sohn über,