Bullen Blues - U. Gowski - E-Book

Bullen Blues E-Book

U. Gowski

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Beschreibung

Connor Roony, der Sohn von EX-Senator John Roony ist spurlos aus Portland, Oregon, verschwunden. Roony jr. sollte in einem Prozess gegen Sean O'Rourke, einer lokalen Gangstergröße von der Westküste aussagen. Carl Sullivan, ein ehemaliger Cop und Pubbesitzer in Portland, der für Freunde auch mal etwas speziellere Gefallen erledigt, wird vom EX-Senator unter Druck gesetzt um dessen Sohn wiederzufinden. Sullivan stellt sich die Frage, ob Connor Roony entführt wurde, um ihn an der Aussage zu hindern, oder bekam er am Ende nur kalte Füße und ist deswegen untergetaucht? Der Prozess soll in wenigen Tagen beginnen. Sullivan läuft die Zeit davon. Die Spur scheint nach New Orleans zu führen. Carl Sullivan macht sich auf den Weg in seine Geburtsstadt, die er und sein Vater vor vielen Jahren verlassen mussten.

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Seitenzahl: 324

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Epilog

Das Buch:

Connor Roony, der Sohn von EX-Senator John Roony ist spurlos aus Portland, Oregon, verschwunden. Roony jr. sollte in einem Prozess gegen Sean O‘Rourke, einer lokalen Gangstergröße von der Westküste aussagen. Carl Sullivan, ein ehemaliger Cop und Pubbesitzer in Portland, der für Freunde auch mal etwas speziellere Gefallen erledigt, wird vom EX-Senator unter Druck gesetzt, um dessen Sohn wiederzufinden. Sullivan stellt sich die Frage, ob Connor Roony entführt wurde, um ihn an der Aussage zu hindern, oder oder bekam er am Ende nur kalte Füße und ist deswegen untergetaucht? Der Prozess soll in wenigen Tagen beginnen. Sullivan läuft die Zeit davon.

Die Spur scheint nach New Orleans zu führen und Carl Sullivan macht sich auf den Weg in seine Geburtsstadt, die er und sein Vater vor vielen Jahren verlassen mussten.

Der Autor

U.Gowski ist 1962 geboren.

U. Gowski

Bullen Blues

Texte:

© 2020 Copyright by U. Gowski

Umschlaggestaltung:

© 2020 Copyright by Jörg Ugowski

[email protected]

www.ugowski.com

Verlag:

Jörg Ugowski

Tschaikowskistraße 3

13156 Berlin

[email protected]

Druck:

epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

to Ray and Kim

and NOLA

Let’s keep in touch.

1.

Die letzten Septembertage brachten endlich die lang ersehnte Abkühlung. Rauer Wind wehte vom Pazifik über die zerklüftete Küste Oregons. Das Laub der Eichen, Pappeln und Ahornbäume hatte sich gelb gefärbt. In die herbstlichen Farben mischten sich vereinzelte grüne Tupfer der dazwischen stehenden Küstenmammutbäume, Fichten und Kiefern. Oberhalb des Strandes von Depoe Bay, einem kleinen Örtchen nördlich von Newport in Lincoln County, stand ein großes, hellblau gestrichenes Holzhaus mit einer weißen Veranda. Am Verandadach hing eine mit Stahlseilen befestigte breite Holzschaukel. Auf ihr saß ein Mann und trank Bier. Er ignorierte das Klingeln des Telefons, das aus dem Haus drang. Mit der Flasche Bier in der Hand starrte er auf den Pazifik. Eine kleine Familie Grauwale, eine Mutter mit ihrem wenige Monate alten Kalb, tummelte sich keine zweihundert Meter von seinem Haus entfernt im Pazifik. Es klingelte wieder. Er nahm einen Schluck aus der Flasche Rogue IPA. Wieder klingelte es. Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich, das klingeln fing an zu nerven. Die breite Holzschaukel bot Platz für drei normal gebaute Menschen. Manchmal überkam ihn der Wunsch, sie wäre voll besetzt. Drei Männer, die Bier tranken, sich zuprosteten und gegenseitig Anekdoten erzählten. Ein unsinniger Gedanke, wie er wieder einmal feststellte. Er war nicht gerade bekannt für seine Geselligkeit. Die ersten Versuche der beiden unmittelbaren Nachbarn, ihn einzuladen, scheiterten. Danach blieben weitere aus. Er war sich sicher, dieser Zustand würde sich auch nicht mehr ändern. Meistens kam er damit klar. Das Klingeln hielt hartnäckig an. Er warf einen genervten Blick zur offenen, mit einem Fliegengitter versperrten Tür. Neben der Tür auf dem Fenstersims stand ein altes Zeiss Fernglas, was er manchmal benutzte, um Orcas zu beobachten. Sie kamen selten dicht an die Küste heran. Er hatte vor Wochen vergessen, es mit hineinzunehmen. Wieder klingelte das Telefon. Ihm würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als ranzugehen. Es kannten nicht viele diese Nummer. Er stand auf und sah noch mal kurz zu den Grauwalen hin, dann stellte er die halbvolle Bierflasche auf der Armlehne der Bank ab und ging hinein. Das Telefon stand auf einem zierlichen, zerbrechlich wirkenden Tischchen im Flur, zwei Schritte von der Verandatür entfernt. Es war eines dieser Telefone im altmodischen Nostalgiedesign, die man aus den Filmen der 40er Jahre kannte. Er nahm den Hörer von der Gabel und ging ran: »Johnson«, meldete er sich kurz angebunden.

»Wie steht es um die Angelegenheit, um die ich Sie gebeten habe?«, sagte eine kratzige Stimme ohne sich vorzustellen. Das war auch nicht notwendig. Johnson wusste, mit wem er es zu tun hatte.

»Mister O’Rourke, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es ist alles eingeleitet.«

»Keine Sorgen machen?«, höhnte der Mann am anderen Ende des Telefons. »Wenn Sie das nicht geregelt bekommen, verbringe ich vermutlich die nächsten dreißig Jahre im Knast. Sie wissen, was das bedeutet!«

Ja, Brian Johnson wusste, was es bedeutete. Sean O’Rourke war jetzt Ende sechzig. Die Wahrscheinlichkeit, dass O’Rourke nach dreißig Jahren Gefängnis noch einmal einen Starbucks Kaffee in Freiheit genießen würde, wäre sehr gering. Die Stimme am anderen Ende der Leitung riss ihn aus den Gedanken.

»Brian, ich muss Sie nicht darauf aufmerksam machen, dass Sie meine Verurteilung nicht lange überleben werden.«

O’Rourke legte theatralisch eine Kunstpause ein.

»Um es deutlich zu sagen, Brian, wandere ich in den Knast, wandern Sie in die Kiste. Sie verstehen das sicherlich. Es ist nichts Persönliches.«

O’Rourke lachte heiser und legte er auf.

Johnson stand noch einen kurzen Moment schweigend mit dem Hörer in der Hand da und verfluchte wieder einmal den Tag, an dem er sich mit dem Iren eingelassen hatte. Er schüttelte sich und legte den Hörer auf. Nachdenklich ging er auf die Veranda und setzte sich wieder auf die breite Sitzbank, dabei das Bier von der Lehne nehmend. Nichts Persönliches, dachte Johnson. So einen Scheiß kann auch nur ein Ire von sich geben, der zu viele Mafiafilme gesehen hat. Er sah hinaus auf den Pazifik. Die kleine Walfamilie tummelte sich immer noch dort. Er mochte Wale. Sie hatten Stärke, sie hatten etwas Beruhigendes. Eine Fontäne spritzte auf. Mit dem Beobachten der Wale kam auch sein Frieden zurück. Genau aus diesem Grunde hatte er dieses Haus gekauft. Hier fand er ihn. Es wird schon alles klappen, sagte er sich. Inzwischen waren die Wale weiter auf den Pazifik hinausgeschwommen. In ein paar Minuten würden sie nur noch kleine schwarze Punkte auf der glitzernden Oberfläche des Meeres sein, bis sie dann ganz verschwunden waren.

***

Clarisse Morgan sah wieder auf die Uhr. Sie wirkte nervös.

»Was schaust du eigentlich immer auf die Uhr, Schatz. Hast du noch etwas vor?«, fragte Connor Rooney und sah dabei seine Freundin fragend an.

»Nein, nichts. Oder doch«, verbesserte sie sich gleich wieder. »Ich wollte noch etwas shoppen gehen.«

Er runzelte die Stirn, dann zuckte ein kurzes Lächeln in seinen Mundwinkeln auf. »Okay, ich komme mit.«

»Wirklich?« Sie rümpfte skeptisch ihre sommersprossige Stupsnase. »Du hasst shoppen. Willst du nicht lieber hier warten?«

»Nein, ich komme mit«, erwiderte er nachdrücklich.

»Wirklich?« Sie sah ihn unsicher an.

Er lachte. »Ich bringe dich damit scheinbar aus der Fassung.«

Er umfasste ihre schlanke Taille und zog sie dicht zu sich heran. Dann gab er ihr einen sanften Kuss, den sie erwiderte.

Plötzlich stieß sie ihn leicht von sich und sagte lachend: »Na, dann los.«

Er griff sich die elektronische Zimmerkarte vom Tisch. Sie hatten die Suite im ›The Nines‹ in Portland für eine Woche gebucht, ein Fünf Sterne Hotel mit einem Restaurant in der obersten Etage und angeschlossener Dachterrasse. Connor Roony hatte sie beide unter falschem Namen eingecheckt, was ihn bei dem Herrn mit dem schmalen Oberlippenbart an der Rezeption ein nicht unerhebliches zusätzliches Sümmchen gekostet hatte. Er hoffte, dass sich die Angelegenheit, wegen der er sich unter falschem Namen in diesem Hotel eingemietet hatte, in einer, spätestens aber in zwei Wochen erledigt hatte. Bis dahin wollte er es so luxuriös wie möglich haben. Und dann war da noch Clarisse.

»Dann wollen wir mal. Wo möchtest du hin?«, fragte er.

»Wir könnten die Morrison oder die SW 5th Avenue hinunterlaufen. Da soll es einige gute Geschäfte geben.«

Er hob die Augenbrauen. »Sagt wer?«

»Eine Freundin.«

»Hört sich kostspielig an.«

Sie verzog ihre rot geschminkten Lippen zu einem Schmollmund.

»Okay, ich steck genug Geld ein«, sagte er lachend und ging zum Safe, der im Wandschrank versteckt untergebracht war, und nahm ein Bündel Geldscheine heraus.

»Wir können doch die Kreditkarten nehmen.« Sie sah ihren Freund erstaunt an.

»Nur Bares ist Wahres«, antwortete er ihr ausweichend. Sie zuckte gleichgültig mit der Schulter. Was für ein blöder Spruch. Eigentlich war es ihr egal, womit er ihre Ausgaben beglich. Und wenn es für ihn Bargeld sein soll, dann war es eben so. Sie drehte sich beschwingt um und öffnete die Zimmertür.

Nach einer Stunde und zwei Geschäften hatte Connor Roony die Nase voll. Er musste zugeben, Clarisse hatte recht gehabt. Er hasste shoppen. Er ging zu Clarisse, die sich gerade ein dünnes Kleid vor ihren schlanken Körper hielt und sagte: »Schatz, ich hoffe, du hast nichts dagegen...«

»Du willst schon gehen?«, unterbrach sie ihn. Ihre Augen blitzten.

»Ja, ich muss noch ein paar Telefonate erledigen«, log er. Sie konnte es ihm an der Nasenspitze ansehen. Er zog das Bündel Geldscheine aus der Hosentasche und reichte es ihr.

»Das dürfte für eine vergnügliche Shoppingtour reichen.«

Sie jauchzte auf, nahm das Geld und stopfte es in ihre kleine, mit Perlen besetzte Handtasche. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

»Ich werd nach den Telefonaten in der Bar im Hotel auf dich warten, mir dort ein, zwei Drinks genehmigen.«

»Es ist erst Mittag.«

»Bis du zurück bist nicht mehr«, lachte er und löste sich von ihr. Sie entließ ihn mit einem koketten Augenaufschlag.

Als er den Laden verließ, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Sie stand schon beim nächsten Kleid und ließ den leichten Stoff durch ihre Finger gleiten. Lächelnd trat er auf die Morrison Street. Es war ein sonniger Tag. Er starrte kurz mit zusammengekniffenen Augen in den strahlendblauen Himmel, dann sah er die Straße hinauf. Er stellte fest, dass sie wirklich nicht weit gekommen waren. Gerade mal zwei Blocks. Gemächlich schlenderte er im Schatten der Bäume dem Hotel entgegen. Er freute sich auf einen kühlen Drink. An der nächsten Kreuzung musste er kurz stehen bleiben, bis die Fußgängerampel auf Go schaltete. Eine Trimet Bahn fuhr an ihm vorbei. Er fragte sich, in wie viele Geschäften Clarisse wohl noch einkehren würde. Er musste schmunzeln. Wie immer würde sie erst ins Hotel zurückkommen, wenn alles Geld ausgegeben war. So war sie einfach. Er hatte damit kein Problem. Sein Vater besaß genug Geld. Die Ampel schaltete um. Er ging über die Straße. Es waren nur noch wenige Meter. Vor dem Hotel bemerkte er einen Mann mit grauen Haarstoppeln, der eine Zigarette im Mundwinkel stecken hatte und nervös seine Jackentaschen abklopfte. Scheinbar suchte er sein Feuerzeug und fand es nicht. Connor Roony trat auf ihn zu, holte sein Zippo aus der Jacketttasche und reichte es ihm. Der Mann nahm es mit einem dankbaren Lächeln und ließ das Zippo klicken. Die Flamme hielt er an seine Zigarette. Während er an ihr zog, glimmte sie auf. Zufrieden nahm der Mann einen ersten Zug und blies den Rauch in die Luft. Connor Roony hielt seine Hand hin, um das Zippo entgegenzunehmen. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr, einen dunklen Schatten. Er wollte sich umdrehen, doch dazu kam er nicht mehr. Ihm wurde plötzlich schwarz vor Augen. Dann fühlte er nichts mehr.

***

Connor Roony wachte mit schwerem Schädel auf. Sein Kopf schmerzte. Ihm war heiß und er schwitzte. Der Raum war dunkel. Es drang nur spärliches Licht durch die Ritzen des heruntergelassenen Fensterrollos. Erst langsam gewöhnten sich seine Augen an die Umgebung. Das Zimmer war kahl. Es beherbergte nur das Bett, auf dem er lag. Langsam erinnerte er sich. An den Mann mit dem hageren Gesicht und der Zigarette im Mund. Er hatte ihm sein Feuerzeug gereicht, dann war ihm schwarz vor Augen geworden. Und jetzt lag er hier. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange war er schon hier? Seine Zunge fuhr über die trockenen Lippen, den pelzigen Geschmack wurde er dadurch nicht los. Plötzlich hörte er es knarren. Es kam nicht aus dem Zimmer. Er vermutete, es waren die Fußbodendielen im Flur. Scheinbar ein altes Haus. Er sah zur Tür, in der Erwartung, dass sie sich öffnen würde. Das tat sie auch. Ein Mann betrat das Zimmer und betätigte den Lichtschalter. Connor Roony blinzelte. Das Licht der nackten Glühlampe, die an der Decke hing, blendete ihn. Es dauerte einen Moment, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Ein Mann mit einer Clownsmaske hatte den Raum betreten. Er war untersetzt, kräftig gebaut und dunkel gekleidet. Schwarze Hose, dunkelblauer Rollkragenpullover. Connor dachte unwillkürlich, der muss doch schwitzen bei der Wärme. Der Mann blieb in der Tür stehen. Dumpf kam es unter der Maske hervor: »Und, ausgeschlafen?«

Connor antwortete nicht darauf. Er sah zu dem Mann hin und fragte: »Wo ist Clarisse?«

»Du meinst das hübsche Ding«, stellte der Clown fest. »Ihr geht es gut, keine Angst.«

Connor Roony sah zweifelnd in die grauen Augen hinter der Clownsmaske.

»Du glaubst mir nicht? Tot nützt sie uns nicht. Sie ist wieder zu Hause bei ihren Eltern, nachdem du sie verlassen hast.«

»Ich hab sie nicht verlassen«, erwiderte Connor matt.

»Das hat dein Schätzchen wohl nach dem Lesen deines Abschiedsbriefes im Hotel anders empfunden.«

Roony jr. sah die Clownsmaske verwirrt an.

»Was für ein Brief?«

Der Clown antwortete nicht. Die dunklen Augen hinter der Maske musterten ihn interessiert.

»Sei froh, dass sie lebt. Wenn alles sauber über die Bühne gegangen ist, kannst du ihr alles erklären und jede Menge Kinder mit ihr machen. Wenn nicht…«

Der Mann musste es nicht aussprechen. Connor Roony konnte sich vorstellen, was dann passieren würde.

»Wie lange bin ich schon hier?«, fragte er.

»Einen halben Tag.«

Connor nickte, er fühlte sich schwach und hungrig. »Warum bin ich hier?«

Der Clown machte einen kleinen Schritt in den Raum.

»Wie gesagt, noch ein paar Tage. Wenn alles klappt und du dich brav verhältst, lassen wir dich gehen. Vorher müssen wir noch in eine andere Stadt umziehen, in einen anderen Bundesstaat. Die Fahrt wird drei, vielleicht vier Tage dauern. Aber Portland ist für uns und dich nicht sicher.«

»Wollen Sie dabei die Clownsmaske aufbehalten?«, fragte Connor Roony und versuchte zu lächeln.

»Nein, den Transport mit dir werden andere übernehmen. Mein Part ist erfüllt.«

2.

Carl Sullivan stand im ›Pints‹ hinter dem Tresen und spülte Gläser. Der Pub befand sich in einem alten zweistöckigen Backsteingebäude in Portlands Old Town, unweit der 1896 eröffneten Union Station. Der bei Touristen beliebte Pearl-District mit seinen umgebauten Lagerhäusern und den vielen kleinen hippen Geschäften, war nur ein paar Blocks entfernt. Doch es verirrten sich nur selten Touristen ins ›Pints‹. Über dem Pub hatten zwei Rechtsanwälte und ein Häusermakler ihre Büros bezogen. Es war 15.30 Uhr. In einer halben Stunde würde er den Pub öffnen. Das ›Pints‹ hatte Sonntag bis Freitag immer von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr geöffnet. Sullivan fand, genau die richtige Zeit für die nach einem Feierabendbier dürstenden Angestellten der umliegenden Büros und Geschäfte. Nicht selten ließen sie nach einem schnellen Bier ihre Growler befüllen, wenn sie einen weiten Heimweg hatten. Nicht alle konnten es sich leisten, hier in der näheren Umgebung zu wohnen. Samstags war Open End. Es ging aber selten länger als bis drei Uhr.

Die herbstliche Nachmittagssonne zeigte sich als milchiger runder Fleck zwischen grauen Wolken. Es nieselte. Sullivan fragte sich gerade insgeheim, ob er die Eingangstür wieder abgeschlossen hatte, als die Frage beantwortet wurde. Die Tür öffnete sich und eine schmächtige Person betrat den Raum. Im Gegenlicht war von der Gestalt nicht viel zu erkennen. Sullivan blinzelte. Erst als sich die Tür wieder schloss und das Tageslicht aussperrte, konnte er in dem schummrigen Licht besser sehen. Da stand ein alter Mann. Sullivan schätzte ihn um die achtzig oder drüber. Dünn, weißhaarig und er legte nicht viel Wert auf akkurat sitzende Anzüge. Der des Alten war jedenfalls ein, zwei Nummern zu groß. Vielleicht hatte er ihm mal in jüngeren Jahren gepasst. Der Alte sah sich unsicher um. Er schien sich nicht entscheiden zu können, an welchen der Tische er sich setzen sollte. Keiner war durch andere Gäste besetzt. Wie auch, Sullivan hatte den Pub ja gerade erst aufgeschlossen. Eigentlich wäre es Barts Aufgabe gewesen, doch montags konnte man bei Bart nie wissen, wann er auftauchen würde.

Carl Sullivan stand abwartend am Tresen und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. Zu seinem Verdruss lichteten sich seine blonden Haare dort schon etwas. Er musterte den alten Mann, darauf wartend, welche Entscheidung er treffen würde. Der Alte schlurfte mit müden Schritten in den hinteren Raum. Wenig später hörte Sullivan eine Sitzbank knarren. Es gab nur eine Bank, die so knarrte. Er hatte Bart gebeten, sie zu reparieren. Das war jetzt fast ein Jahr her. Sie stand in der hintersten Ecke des Pubs vor der uralten kleinen Bierbrauanlage, die er dort als Deko hatte stehen lassen. Gemächlich trat Sullivan hinter dem Tresen hervor und ging zu dem Tisch, an den sich der alte Mann gesetzt hatte. Er trat an den Tisch und sah auf den Gast hinunter. Das Gesicht, von unzähligen großen und kleinen tiefen Falten zerfurcht, kam ihm bekannt vor. Eine jüngere Version mit noch nicht ganz so tiefen Furchen geisterte durch seine neblige Erinnerung. Aber er bekam es nicht zu fassen. Der alte Mann sah stur geradeaus.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Sullivan.

Leise, mit brüchiger Stimme, ohne Sullivan dabei anzusehen antwortete der Alte: »Sully, ich habe Ihren Vater gekannt.« Erst da sah er Carl Sullivan direkt ins Gesicht.

Der musterte ihn gleichgültig.

»Schön, ich auch.« Es sollte witzig sein. Dann wurde Sullivan ernst. »Aber nur Freunde nennen mich Sully.«

Der Alte schwieg. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Es regnet.«

»Irgendwo regnet es immer«, erwiderte Sullivan. Der Alte war ihm ein Rätsel.

»Immer? Irgendwo? Sie meinen in Seattle.« Sein Lachen war ein rasselnder Husten. »Vermutlich gibt es deswegen dort keine Biergärten. Man weiß nie, wann der nächste Regen kommt.«

Sullivan verzog seinen Mund zu einem müden Lächeln. »Sie wissen also, wie mich Freunde nennen und kannten meinen Vater.« Er musterte den Alten spöttisch. »Schön, und weiter?«

Der Alte reagierte nicht.

Sullivan wartete, dann sagte er: »Mein Vater war ein Cop. Den haben viele gekannt.«

Der alte Mann nickte. »Genau wie Sie, bis Sie dann das Handtuch geschmissen haben, um lieber Bier zu brauen und diesen Pub zu betreiben.«

»Die beste Entscheidung meines Lebens.«

»Ich habe gehört, dass Sie Freunden auch mal einen Gefallen tun.«

Auf einmal konnte Carl Sullivan das Gesicht zuordnen. Senator John Roony. Oder besser Ex-Senator. Er war mit den Gewerkschaften Anfang der 60er Jahre groß geworden. Und dann, mit knapp Anfang dreißig, in die Politik gewechselt. Wie viele vor ihm und nach ihm. Die Honigtöpfe riefen und nur die wenigsten konnten widerstehen. Roony gehörte nicht dazu. Wie alt dürfte er jetzt sein? Mitte, Ende 80? Oder doch schon 90?

»Wie Sie schon sagten, Senator, Freunden tue ich mal einen Gefallen und die dürfen mich auch Sully nennen. Für Sie heiße ich Mister Sullivan.«

»Was ja nicht ist, kann ja noch werden.«

»Glaub ich kaum.«

Der alte Mann sah Carl kalt an. Die blassgrauen Augen unter den buschigen Brauen wirkten leblos wie Steine, trotz der leicht geröteten Augenlider.

»Na gut, wenn nicht ich, dann Pete, Ihr Musikerfreund.«

»Was hat Pete damit zu tun?«, fragte Sullivan unruhig. Etwas in dem Tonfall des Senators hatte ihn nervös gemacht.

»Eigentlich nicht viel«, entgegnete John Roony. »Außer, Sie helfen mir nicht. Dann wäre es das Ende für seine Musikerkarriere. Ohne Zunge und Hände wird es schwierig.«

Die kalten Augen des Alten hatten einen verträumten Blick bekommen.

Sullivan musterte ihn finster. »Was ist das für ein kranker Scheiß, Senator!«

Der Alte hielt Carls Blick ohne eine Regung stand.

»Sie sind wirklich ein alter kranker Mann«, wiederholte Sullivan.

»Mag sein, aber das ändert nichts an der Situation.«

»Die Top Ten der Hitparaden interessieren ihn nicht«, sagte Sullivan. Es war ein hilfloser Versuch.

Der Alte quittierte ihn mit einem geringschätzigen Lächeln, was Carl klar machte, das hier war kein Scherz. Es beunruhigte ihn mehr, als ihm lieb war. Er und Pete waren schon sehr lange befreundet. Ihre gemeinsamen Herkunft hatte sie in Portland zusammen geführt. Beide stammten aus New Orleans.  Pete hatte einen deutschen Nachnamen. Fichte, die deutsche Bezeichnung einen Nadelbaum, den es auch hier im Nordwesten gab. Und in Maine, Vermont und im Osten Kanadas. Petes Urgroßeltern stammten aus Bremen, einer Hafenstadt in Deutschland. Während Carls Vorfahr, sein Ururgroßvater Fionnbharr O’Sullivan, ein irischer Landarbeiter gewesen war, der die Heimat während der großen Hungersnot 1847 verlassen hatte. Bei der Einbürgerung ging das O verloren und aus Fionnbharr wurde Finn. Seitdem sind noch Franzosen und Deutsche zum weit verzweigten Familienstammbaum der Sullivans hinzugekommen. Alles gläubige Katholiken. Aber es war schon lange her, dass Carl Sullivan in eine Kirche gegangen war. Carls Vater, Liam Sullivan, war mit ihm aus New Orleans weggezogen. Er hatte gegen korrupte Cops ausgesagt und war nur knapp einem Anschlag entgangen. Liam Sullivan musste feststellen, dass er nicht mehr sehr beliebt in seiner Stadt war, schon gar nicht bei den Kollegen des 8. Districts im French Quarter. Seine zweite Ehe zerbrach darüber. Carl ging mit seinem Vater nach Portland. Zu diesem Zeitpunkt war er 16 Jahre alt. Kurz vor seinem Tod sagte sein Vater zu ihm: »Der Hurrikan Katrina war nicht das Schlimmste, was New Orleans passierte. Die Menschen haben viel mehr zerstört, schon vor Katrina und auch danach.« Es war das einzige Mal, dass er darüber sprach. Sein Vater hat New Orleans nie wiedergesehen. Carl schon. Und Carl Sullivan wusste, beide hatte die Sehnsucht nach dieser Stadt nie verlassen.

Petes Gründe, nach Portland zu ziehen, waren andere. Er hatte in New Orleans in einer Band gespielt, die nur dort und auch nur mäßig erfolgreich war. Die ›House Travellers‹. Nebenbei jobbte er im Record Ron’s, dem ältesten Plattenladen in der Decatur Street. Die Band hatte sich nach einer wenig erfolgreichen Platte aufgelöst und auch den Laden gab es bald nicht mehr. Er hörte er von der Musikerszene in Portland und machte sich auf den Weg. Bald darauf hatte er das Gefühl, hier könnte er hingehören. Und hier in Portland hatten sie sich getroffen. Sullivan erinnerte sich noch genau, es war im Dante’s, einem Musikclub in der Burnside. Sie waren ins Gespräch gekommen, der Musiker und der Cop, und waren schnell beim Thema Blues. Von da war es nicht mehr weit bis nach New Orleans. Es wurde ein Abend der Erinnerungen und Sehnsüchte und mit sehr viel Bier. Das war inzwischen fast zehn Jahre her. Carl Sullivan sah den Senator an. Es gab immer noch keine Regung in den milchig grauen Augen, sie schwammen still in dem kleinen zerfurchten Gesicht.

»Ich muss mal kurz telefonieren.«

»Sicher, machen Sie das, Sully.« Roony lächelte herablassend und korrigierte sich dann, die Worte genüsslich in die Länge ziehend: »Entschuldigung. Natürlich Mr. Sullivan.«

Sullivan griff zu seinem Handy und wählte Petes Nummer. Nach ein paar Freizeichen wurde abgenommen.

»Pete, ich brauch dich hier.«

»Man Alter, das geht nicht. Ich bin nicht in der Stadt, Sully. Hab drei Gigs.«

»Davon hast du mir gar nichts gesagt.«

»Kam plötzlich. Ein Angebot, was ich nicht ausschlagen konnte. Bringt ne Menge Kohle.«

»Und wo bist du?«

»Noch unterwegs nach Paonia.«

»Wo liegt das denn?«

»Ein kleines Kaff in Colorado«

»Haben die da überhaupt einen Musikclub?«

»Ja Mann, und ne Pizzeria.«

Carl Sullivan sah zu dem Senator. Der starrte nur stumm vor sich hin. Vermutlich hatte der bereits gewusst, wo Pete steckte, wenn nicht sogar diese Auftritte arrangiert. Sullivan war klar, er würde Pete nicht dazu bringen können umzukehren. Es würde vermutlich auch nichts nützen. Der Senator meinte es ernst und er kannte die richtigen Leute. Sullivan überlegte kurz. Er wusste zwar noch nicht, was John Roony von ihm wollte, aber wenn der solch schweres Geschütz auffuhr, war es etwas Brenzliges. Da war er sich sicher. Es würde mehr als ein paar Stunden seiner Zeit beanspruchen.

Er wandte sich wieder an Pete und fragte: »Wie lange bist du weg?«

»Ich hab noch zwei andere Gigs dort. In Montrose und Durango.«

»Also wie lange?«

»Bestimmt ne Woche.«

»Und das konntest du mir nicht sagen?«

»Sorry Mann. Hab’s verpeilt. Kam ganz plötzlich.«

»So eine Scheiße!«, rief Sullivan. Er kratzte sich am Kopf. »Kennst du jemanden, der den Laden hier für ein paar Tage schmeißen kann?«

»Wo ist denn Bart?«

»Keine Ahnung. Es ist Montag.« Sullivan seufzte. »Und außerdem, du weißt, dass Bart mir eher die Kunden vergrault. Deswegen soll er sich ja auf das Brauen und Burgerbraten konzentrieren. Ich benötige jemanden, der mit Gästen kann und denen nicht gleich Prügel androht, bloß weil sie es wagen, ein IPA zu bestellen.«

Pete kicherte. Ja, die Beschreibung traf Bart ganz gut. Plötzlich brach die Verbindung ab.

Sullivan legte auf. Unschlüssig stand er da.

Da sagte der Senator leise: »Mein Sohn ist verschwunden.«

Sullivan warf ihm einen prüfenden Blick zu, wollte eine Regung im Gesicht des Alten erkennen. Er bemerkte keine.

»Er ist aus dem Hotel verschwunden und hat seine Freundin sitzenlassen.«

»Wie alt ist Ihr Sohn, fünfzig, sechzig? Meinen Sie nicht, er kann auf sich alleine aufpassen?«

»Er ist dreißig. Ich bin noch mal sehr spät Vater geworden.«

»Sie waren doch verheiratet«, erinnerte sich Sullivan. »Ihre Frau war in Ihrem Alter. Sie wird ihn wohl kaum geboren haben. Also?«

»Ein Seitensprung.« Senator Roony betrachtete interessiert seine manikürten Fingernägel. »Meine Frau hat davon nie erfahren. Als sie vor fünf Jahren starb, habe ich meinen unehelichen Sohn anerkannt.«

»Na, da wird er ja glücklich gewesen sein«, kommentierte Sullivan bissig. Er konnte nicht widerstehen. »Und warum kommen Sie damit zu mir und gehen nicht zur Polizei?« Er sah den Senator an. »Sie sollten dort genug Freunde haben.«

»Er sollte vor Gericht als Zeuge aussagen.«

»Bei welchem Prozess?«, fragte Sullivan, obwohl er es schon ahnte. Es stand seit Tagen in der Zeitung und war das große Gesprächsthema in der Stadt.

»Sean O’Rourke.«

»Aha«, war alles, was Carl Sullivan dazu einfiel. Er hatte das Gefühl, eine Lawine rollt auf ihn zu.

Als der Senator wenige Minuten später ging, hinterließ er auf dem Tisch ein Foto von Connor Roony, den Namen der Freundin seines Sohnes mit dazugehöriger Adresse und Telefonnummer auf einem Zettel und seine Visitenkarte. Zum Abschied sagte er: »Ich verlass mich auf Sie.«

Die Hand hatte er ihm nicht gereicht. Sullivan hatte nur die Arme verschränkt und geringschätzig das Foto auf dem Tisch betrachtet. Er hat nie verstanden, warum Politiker immer so einen Spruch ablassen müssen.

Jetzt stand er vor dem Tresen und überlegte, wie er vorgehen sollte. Als Erstes benötigte er mehr Informationen. Er langte hinter den Tresen und griff zum Festnetztelefon. Die Nummer, die er wählte, war die von Jean Pierre Castille, einem alten Freund seines Vaters und Reporter bei der ›Times-Picayune‹ in New Orleans. J.P. Castille hatte die Vorstellung gefallen, Carl Sullivan als Schwiegersohn zu haben. Für Maggie, seine Tochter. Das Leben hatte jedoch andere Pläne. Er war inzwischen seit zwanzig Jahren geschieden und Maggie lebte in Bella Coola, im Great Bear Rain Forrest mit einem Segelbootbesitzer zusammen, der für Touristen Segelturns anbot und auch mal ein paar Lieder auf der Gitarre zum besten gab. J.P. Castille konnte ihn nicht leiden.

»Wann kommst du mal wieder hier runter?«, fragte Jean Pierre Castille, als er Carls Stimme erkannte. »Vermisst du nicht die Luft, die Mangroven? Wir könnten Krebse fangen und dazu nen Sixpack Dixiebeer verdrücken.«

»Sehr verlockend, J.P.«, erwiderte Sullivan lachend. »Aber das Dixie wird seit Katrina nicht mehr in der Tulane gebraut, sondern irgendwo in einer Fabrik in Wisconsin und die Krebssaison ist auch schon lange vorbei.«

»Du kannst einem aber auch jede Illusion nehmen, Sully«, moserte Castille. »Und was ist mit lecker Austern essen auf der Frenchman?«

Carl musste über Castilles Hartnäckigkeit schmunzeln. Einen Moment später war er wieder ernst, als er sagte: »Und dann sind da noch die Ex-Kollegen meines Vaters.«

»Das Department ist nicht mehr so, wie es dein Vater kannte. Keiner von den alten Mistkerlen ist noch da.«

»Toll.« Sullivan klang nicht überzeugt. »Aber deswegen ruf ich nicht an. Ich brauch Material über John Roony, einen Ex-Senator aus Washington State, und Sean O’Rourke, eine Gangstergröße hier bei uns im Nordwesten.«

»Und da brauchst du mich, Junge? Hast du bei dir da oben keine Quelle?«

»Keine, die so clever ist wie du. Du hast den richtigen Riecher und weißt, wo du suchen musst.«

»Schleimer«, lachte Castille »So hat mich dein Vater auch immer gekriegt. Ich schau mal, was ich in den Archiven von euren Tageszeitungen so finde. Was habt ihr da? Den Portland Observer? Welche ist noch wichtig?«

Sullivan dachte kurz nach. »Die Portland Tribune, denk ich mal, und dann gibt’s noch kleinere Zeitungen, wie die ›Willamette Week‹ oder ›The BEE!‹ und verschiedene Internet-Blogs wie ›The Oregonian‹ und so.«

»Okay, bis wann brauchst du die Informationen?«

»Bis gestern!«

Castille lachte. »Alles klar, Großer«, dann legte er auf.

Einen kurzen Moment später wurde die Eingangstür aufgestoßen und Bart, mit verkatertem Schädel, tauchte im Türrahmen auf. Kurze weiße Stoppelhaare zierten seinen runden bayrischen Schädel. Er hatte früher für eine deutsche Firma Brauanlagen in alle Welt verkauft, bis er vor einigen Jahren durch Heirat hier gestrandet war. Die Ehe scheiterte. Seine Frau zog weg. Nach Seattle. Bart ist geblieben. Wie auch sein Rufname, die Kurzform von Bartholomäus, weil den keiner so richtig aussprechen konnte.

»Was treibst du heute?«, fragte Sullivan Bart, als der an den Tresen trat. Er schenkte es sich, ihn auf sein ›Mal wieder montags Zuspätkommen‹ anzusprechen. Bart hielt es mittlerweile für die montägliche Selbstverständlichkeit. Es war zu einem Ritual geworden. Und Carl Sullivan hat es hingenommen.

Bart grummelte nur: »Mahlzeit.« Er sah Sullivan mit seiner miesen Montagslaune an und fragte mürrisch: »Was meinst du mit, was treibst du heute so?«

Sullivan war nicht klar, was daran nicht zu verstehen war. »Na gut«, sagte er und seufzte. »Dann stell ich die Frage anders: Setzt du heute endlich den Sud an?«

»Was soll ich sonst machen, Sully?«, brauste Bart auf. »Ohne Brauen kein Bier, ohne Bier kein ›Pints‹.«

Sullivan zählte innerlich bis drei. Dann sagte er friedfertig: »Ist ja gut. In welchem Klub hast du gestern gespielt?«

Bart war Bassist in einer Amateur Bluesband. Sie musizierten aus Spaß an der Freude, konnten von ihren Auftritten nicht leben.

»Im Mississippi Studio.«

»Alles klar. Und danach warst du noch wo?«

Bart sah schuldbewusst drein. Sullivan hatte ihn mal wieder durchschaut.

»Bei den beiden Jungs von Stormbreaker Brewing. Ist ja nur zwei Blocks die Straße runter. Bin quasi dran vorbeigelaufen.«

»Na das bist wohl eher nicht.«

 Bart ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wir haben nett gequatscht. Bin dann dort versackt. Sie wollten eine fachkundige Meinung zu ihrem Stormtoberfestbier.«

»Und da kamst du als Bayer natürlich gerade recht«, stellte Sullivan fest. »Wie war’s?«

»Das Bier? Kann mich nicht mehr erinnern. Ich glaub, es war schön süffig.« Er lächelte verschmitzt.

„Ich muss weg, brauche hier eine Vertretung.“, wechselte Sullivan unvermittelt das Thema.

Bart sah ihn finster an. »Und warum nicht Pete?«

Carl Sullivan antwortete nicht. Er wusste, Bart tat sich schwer mit neuen Gesichtern. Dann fiel bei Bart der Groschen.

»Wo ist Pete?«

»Hat zwei, drei Gigs in Colorado«, antwortete Sullivan. Er versuchte, es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.

»Colorado?«

»Ja, ich war genauso überrascht wie du.«

»Ist er etwa mit seiner alten Rostkarre losgefahren?«

Carl Sullivan nickte.

»Das sind doch…« Bart überlegte kurz. »… bestimmt zwanzig Stunden Fahrzeit.«

»Na, er wird die garantiert nicht durchfahren, sondern irgendwo auf halber Strecke in Idaho oder Utah übernachten.«

Bart sah Carl niedergeschlagen an und fragte: »Zapfst du mir ein Bier?«

»Klar, welches willst du?«

»Das Missglückte.«

Sullivan machte sich an das Bierzapfen, während sich Bart auf einen der Hocker vor dem Tresen setzte. Sullivan verstand, was in Barts Kopf vorging. Natürlich gönnte Bart Pete jeden Gig. Genauso, wie er ihm eine große Musikerkarriere gönnen würde. Andererseits würde er dann vielleicht einen Freund verlieren. Die beiden waren wie ein altes Ehepaar.

»Es ist nur eine Woche. Dann ist er wieder hier«,sagte Sullivan mit fester Stimme. Er war sich nicht sicher ob er Bart damit trösten, oder er nur seine eigenen Zweifel vertreiben wollte. Er reichte Bart das Weißbier hinüber, welches für Bart keines war. Deswegen die Bezeichnung ›das Missglückte‹. Ihm fehlte der typische Geruch von Banane. Etwas beim Brauvorgang war schiefgelaufen. Bart hatte den Fehler schnell ausgemacht, doch da war es bereits zu spät. Bart hatte den Temperaturregler im Gärkeller falsch eingestellt. Was ihn richtig wütend gemacht hat. Über sich selber. Er wollte die ganze Chose wegkippen. Sullivan konnte es gerade noch verhindern, indem er sagte: »Wir nennen es einfach anders, Blondie zum Beispiel.«

Bart hatte gelacht und gemeint: »Sully, an dir ist ein Marketingexperte verloren gegangen.«

Seine Wut war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war. Das war Bart.

Sullivan ließ ihn in Ruhe die ersten Schlucke trinken, dann fragte er vorsichtig: »Und du machst dich heute an das Brauen des IPA?«

Bart fing an zu fluchen. »Du und dein verschissenes IPA.«

»Ja, und du braust es jetzt endlich!«

»Ja doch!«

»Es ist fast alle. Nur noch zwei Fässer und die Leute erwarten einfach, dass wir es am Hahn haben.«

»Du erwartest es«, brauste er wieder auf. »Ich hab doch gesagt, ich mach es.«

»Wirklich?«

»Geh mir nicht auf den Sack, Sully. Ich habs gesagt. In einer halben Stunde geht es los. Lass mich in Ruhe noch das Bier trinken, dann brau ich dir deine verkackte Hopfenbombe.«

»Halt dich an mein Rezept«, sagte Sullivan ernst.

»Ja, Boss«, entgegnete Bart und drehte ihm den Rücken zu.

»Du kannst manchmal so ein beschissener Sturkopf sein.«

»Nur manchmal? Da kennst du mich aber schlecht«, erwiderte Bart und drehte sich wieder zu ihm um. Ein Lächeln spielte um seinen Mund. Sullivan registrierte es erleichtert.

»Hast du nun eine Idee, wo ich von heute auf jetzt eine Tresenkraft herbekomme?«

»Am besten du fährst zum Safeway Market in der 13th Avenue. Da hängen ständig Stellenangebote. Und Gesuche auch.«

Er grinste schon wieder.

3.

Connor Roony wurde durch das Öffnen der quietschenden Tür geweckt. Er lag auf dem Bett und fühlte sich schwach. Er nahm alles wie durch einen Schleier wahr. Der Clown kam auf ihn zu und stellte einen Karton mit Pizza und eine gut gekühlte PET-Flasche Cola vor ihm auf dem Fußboden ab. Dann trat er zwei Schritte zurück. Der Clown war ein vorsichtiger Mann.

»Abendessen. Morgen früh geht es los, also stärk dich. Ihr werdet sehr früh starten.«

»Und wohin?«, fragte Connor matt.

»Es wird eine lange Fahrt. Du wirst es schon noch merken.«

Connor Roony richtete sich auf. Blieb aber sitzen. Er fühlte sich schwach. Die Beine waren wie Watte.

»Was habt ihr mir gespritzt?« Die Frage kam teilnahmslos, als beträfe es ihn nicht.

Der Clown gab ein kurzes heiseres Geräusch von sich. Es sollte wohl ein Lacher sein. Dann sagte er: »Nichts Schlimmes. Es stellt dich nur etwas ruhig. Erspart dir das gefesselt sein.«

Der Clown drehte sich um und verließ den Raum. Die Tür schloss er hinter sich ab. Connor Roony hörte, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte. Er beugte sich vor und hob den Karton hoch. Die Pizza war in achtel Teile geschnitten. Er nahm ein Stück aus der Schachtel und biss ab. Es war lauwarm und labbrig.

Der Clown lief nach vorn den Flur entlang und nahm dabei die Maske ab. Er betrat das erste Zimmer, in dem schon vier Männer warteten.

»Und?«, fragte der Jüngste. Er hatte pechschwarze gegelte Haare und seine rosigen Wangen waren glattrasiert wie ein Babypopo.

»Er ist handzahm. Etwas kraftlos, aber nicht so viel, dass ihr ihn tragen müsst.«

Der Mann legte die Clownsmaske auf den Tisch und strich sich über die grauen Haarstoppeln. »Ist der Wagen okay?«

»Er ist vollgetankt.«

»Gut. Habt ihr ausgeknobelt, wer von euch die Fahrt antritt?«

»Ich und Rob, Lieutenant«, sagte Fontane, der junge Dean Martin Verschnitt. »Lloyd und Sam geben uns hier Rückendeckung.«

Der Lieutenant nickte. »Klar. Ihr wisst, worauf es ankommt. Er darf nicht aussagen. Egal, wie ihr es anstellt. Ihr fahrt mit ihm nach New Orleans. Dort meldet ihr euch, wenn ihr angekommen seid. Alles Weitere vor Ort.«

»Müssen wir dann während der Fahrt auch die ganze Zeit Clownsmasken tragen, wie Sie Sir?«, fragte Fontane.

Rob McCluskey verdrehte die Augen. Der Mann mit dem kantigen Gesicht und den grauen Haarstoppeln, den sie Lieutenant genannt hatten, sah Fontane irritiert an.

»Nein, natürlich nicht«, beantwortete er die Frage wie zu einem kleinen Kind. »Er weiß, dass er nicht gegen euch aussagen kann. Zwei gegen einen und…« Er sah Fontane grimmig lächelnd an »…was mich betrifft, wart ihr nie weg. Da er mein Gesicht nicht kennt und ich und die anderen Jungs euch ein Alibi geben, würde von seinen Anschuldigungen nichts übrig bleiben.«

Jim Fontane sah erleichtert aus. McCluskey fragte sich, ob der Hintergrund seiner Frage nur die Angst gewesen war, sich seine Frisur zu versauen.

Der Lieutenant zeigte auf die Tasche. »Da sind das Spritzbesteck und die Ampullen drin, womit ihr ihn ruhigstellen könnt. Und 5000 Dollar Spesen. Ihr benutzt keine von euren Kreditkarten. Habt ihr das verstanden?«

Jimmy Fontane und Robert McCluskey nickten.

»Warum eigentlich New Orleans?«, fragte Jimmy dann. »Ich meine, nicht dass ich etwas dagegen hätte. The Big Easy ist immer eine Reise wert. French Quarter, Bourbon Street. Feine Sache. Aber es ist eine ganz schön weite Strecke.«

»Stimmt«, entgegnete der Lieutenant kurz angebunden, ohne die Frage zu beantworten.

»Und woher stammt das Geld?«, fragte Sam Mendez neugierig. Er erfüllte die Quotenregelung für Latinos auf dem Revier.

»Ich hab es unserem Captain aus dem Kreuz geleiert. Hab ihm was von einer Undercoveroperation erzählt.«

Lloyd Auster, ein Rotschopf mit schiefer Nase, lachte. »Ja, unser Captain.«

Rob McCluskey lächelte grimmig und sagte: »Das passt ja. Wir müssen sowieso noch etwas einkaufen. Ein paar Sandwichs für unterwegs. Was zu trinken und so weiter.«

»Und Wechselklamotten«, ergänzte Jimmy.

»Macht das.« Der Lieutenant sah ihn an. »Um die Ecke ist ein Laden Namens ›Trader Joe’s‹. Ich bleib mit Sam und Lloyd hier. Wir müssen uns sowieso noch die Vorgehensweise überlegen, wie wir eure Abwesenheit auf dem Revier kaschieren. Mit den Dienstbüchern allein ist es nicht getan.«

»Wir könnten uns krankmelden«, schlug Jimmy vor.

Der Lieutenant sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Er zweifelte plötzlich daran, ob es eine gute Idee war, Jimmy Fontane mitzuschicken.

»Zwei Detectivs aus meiner Abteilung, die gleichzeitig krank werden? Wohl kaum.« Er schüttelte den Kopf. »Aber lasst das unsere Sorge sein. Ihr kümmert euch darum, dass unser Gast sicher in New Orleans ankommt.«

Wenig später verließen die beiden Detectivs das Apartmenthaus in der Flanders Street. Der Mietwagen war direkt vor dem Hauseingang geparkt. Um ihre Beine strich eine Katze, die zum Nachbarhaus gehörte. Sie forderte ihre Streicheleinheiten. Da sie die nicht bekam, lief sie hinüber auf die andere Straßenseite zu einem Pärchen mittleren Alters, welches dort entlanglief. Und richtig, die Frau ging in die Hocke und streckte den Arm aus.

McCluskey beobachtete es lächelnd.

»Rob, lass uns zu ›Fred Meyer‹ fahren, die haben eine bessere Auswahl als ›Trader Joe’s‹«, bettelte Jim Fontane.

»Und wo ist dein ›Fred Meyer‹ Jimmy?«, fragte Rob leicht genervt.

»Zwischen der Burnside und der Everett, nicht weit weg vom Providence Park, dem Fußballstadion der Portland Timbers.«

»Na klar, wo auch sonst.«