Bullenjahre - Joachim Kilian - E-Book

Bullenjahre E-Book

Joachim Kilian

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Beschreibung

Bullenjahre hört sich zunächst etwas beleidigend an. Werden die Polizeibeamten bei uns doch landauf und landab als "Bullen" bezeichnet. Hätte ich den Titel "Polizistenjahre" genannt, hätte ich vermutlich keinerlei Aufmerksamkeit erhalten. So hoffe ich, dass beim Leser eine gewisse Erwartungshaltung entsteht und er vielleicht doch einen Blick in mein Buch wirft.

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Seitenzahl: 136

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Joachim Kilian

Bei dem Autor handelt es sich um einen ehemaligen Polizeibeamten, der 40 Jahre im Dienste des Landes Hessen stand. Er beschreibt teils autobiografisch oder auch fiktiv bestimmte Fälle, die er in seiner Dienstzeit erlebt hat.

Alle Begebenheiten haben sich so zugetragen oder hätten sich so zutragen können. Namen der Protagonisten sind frei erfunden, ebenso die Örtlichkeiten. Zufällige Übereinstimmungen mit real existierenden Personen und Örtlichkeiten wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Berufswahl

Kassel 1977

Kriminalpolizei Wiesbaden

Mord im Westernsaloon

Böller im Treppenhaus

Festnahmeersuchen Kripo Sizilien

SoKo Obermaier

Tiefgarage

AG Kuwait

Stalking

Aktenzeichen XY ungelöst

Wenn der Bock zum Gärtner wird

Zielfahndung Knecht

Notzugriff

SoKo Monte Carlo

DNA führt zu Serieneinbrechern

Nachtrag

Einleitung

Berufswahl

Mancher Jugendlicher weiß am Ende seiner Schulzeit nicht immer welchen Beruf er ergreifen soll. Das war vor 50 Jahren so und es ist auch heute noch so. Eltern, Verwandte, Lehrer und Freunde versuchen Ratschläge und Tipps zu erteilen.

Welcher Job ist sicher, wo musst du viel und schwer arbeiten? Wo verdienst du am meisten? Wozu hast du eigentlich Talent? Heute gibt es schon in der Schule Berufsberatungen und auch bei den Jobcentren. Oder es kommen sogar Firmen in die Schule und stellen ihre verschiedenen Berufssparten vor.

Ich hatte diese Beratung nicht und wusste zunächst nicht, was ich machen soll. Meine Schulzeit endete, aufgrund der beiden Kurzschuljahre, mit 15 Jahren an der Realschule – mittelmäßig. Zeichnen und rechnen konnte ich gut. Also ging ich auf das Arbeitsamt und fragte nach Lehrstellen für den Beruf als Bauzeichner. Ich bekam 7 Stellenkärtchen mit Büros in der Gegend in und um Wiesbaden. Früher gaben die Firmen ihren Bedarf an Auszubildenden bei den Arbeitsämtern an. Von dort konnte man dann deren Bedarfsanfragen anhand einer Karteikarte bekommen. Eine Lehrstelle befand sich in Wiesbaden. Hier war mein Onkel als Statiker angestellt, doch ich wollte nicht gleich dort vorstellig werden und behielt die Karte bis zum Schluss.

In meinem Konfirmandenanzug, Sacko, Stoffhose und Hemd wollte ich einen ordentlichen Eindruck machen und zog alleine los, was nicht bei jedem Jugendlichen so war. Ordentlicher Eindruck ist, glaube ich, heute nicht mehr so gefragt, aber bei einem Arbeitgeber durchaus gewünscht. Ich klapperte an einem Tag alle Firmen ab und machte mir meine eigenen Gedanken. Manche Firmen machten bereits einen merkwürdigen Eindruck, manche testeten mein räumliches Denkvermögen mit Zeichenaufgaben, die ich alle löste.

Eigentlich hätte ich lieber eine Firma gewählt, in der kein Verwandter von mir beschäftigt ist, doch es kam dann doch anders. Die Firma, in der mein Onkel beschäftigt war, sagte mir am meisten zu. Es waren alles junge Mitarbeiter in allen Lehrjahren. Damals hieß die Ausbildung noch Lehre. Ich begann dort meine Ausbildung.

In der Firma waren der Chef, drei Ingenieure, zwei Lehrlinge im 3. Lehrjahr, drei im 2. und mit mir zwei Lehrlinge im 1. Lehrjahr. Wie dem Leser vielleicht auffällt, gab es keinen einzigen Gesellen. Unser Chef verdiente sich mit uns preiswerten, 50% untertarifbezahlten Lehrkräften eine goldene Nase. Er überstand somit auch die Anfang der 70er Jahre einsetzende Baurezession, da er offensichtlich alle Preisangebote unterbieten konnte.

Der einzige Vorteil für uns, war, dass wir vom ersten Tag an produktiv arbeiten mussten, während bei Dyckerhoff und Wittmann, einer damals sehr großen Baufirma im Rheinmain-Gebiet, die Lehrlinge ein Jahr lang Zeichen- und Normschriftübungen machen mussten.

Ach ja, heute gibt es den Beruf Bauzeichner in dieser Form nicht mehr. Man nennt ihn heute CAD-Konstrukteur. Alles wird nur noch per PC geplant, konstruiert und ausgedruckt. Die alte Handwerkskunst mit DinA 0 – Plänen aus Pergament oder Folie auf dem Reißbrett ist ausgestorben. Radieren mit Rasierklinge, zeichnen mit H6-Graphit-Minen, Rapitographen und Schriftschablonen - alles Schnee von gestern.

Ich beendete meine Lehre vorzeitig nach zweieinhalb Jahren mit der Note „gut“.

Anschließend immatrikulierte ich an der Bauschule Idstein auf Drängen meines Onkels, aber ohne richtigen eigenen Willen.

Ich bekam ungefähr 200 DM Bafög, was hinten und vorne nicht reichte. Meine ausgelernten Kumpels hatten schon ein gutes Einkommen, ein Auto und konnten am Wochenende die Sau rauslassen. Ich bekam von meinem Vater jeden Freitag noch einmal 50 DM, mehr konnte unsere Familie sich nicht leisten. Die Kohle reichte gerade mal an diesem Abend. So arbeitete ich nebenbei bei meinem Onkel an den Samstagen, um noch etwas hinzuzuverdienen. Das Studium war nicht einfach, insbesondere Mathe und Physik. Nach zwei Semestern hatte ich die Schnauze voll und exmatrikulierte. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter, die annahm, dass ich nun verwahrlose. Mehrere Bewerbungen in meinem Beruf grenzten an Unverschämtheiten bei den Verdienstangeboten. So nahm ich den erstbesten Job bei einer Montagebaufirma an und montierte etwa ein Jahr lang Trapezbleche auf Dächern von Industriehallen. Ich hatte 6 jugoslawische Kollegen und einen minderbemittelten Deutschen als Vorarbeiter. Der Bruder des Chefs. In dieser Zeit habe ich körperlich sehr schwer gearbeitet. Diese Schwerstarbeit gibt es heute nicht mehr auf dem Bau. Ich wollte jedoch mit den jugoslawen Kollegen, sehr angenehme und von mir hoch geschätzte Kollegen, mithalten und ging bis an die Grenzen meiner Belastbarkeit. Oft musste die Arbeit in schwindelnder Höhe ohne die heute erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt werden. Ein Kollege stürzte 14 Meter in den Tod. Nachdem ich ebenfalls beinahe abgestürzt war und mir meinen Rücken verletzte, kündigte ich. Es war mir zu gefährlich und auch zu anstrengend.

Und wieder saß mir meine Mutter im Nacken und befürchtete, dass ich nun dauerarbeitslos bleibe. Nach 14 Tagen hatte ich einen neuen Job. Fahrer und Lagerist bei der amerikanischen Funkgeräte- und Halbleiterfirma MOTOROLA. Hier gefiel es mir und ich verdiente nicht schlecht. Doch auch dieser Job erfüllte mich nicht. Nach weiteren Überlegungen entschloss ich mich bei der hessischen Polizei zu bewerben. Mein erster Anlauf verlief negativ. Ich scheiterte wegen meines Übergewichtes und der damit verbundenen schlechten sportlichen Leistungen. Ich ärgerte mich darüber und entschloss mich, abzunehmen und zu trainieren.

Ein halbes Jahr später und 12 Kg leichter, bewarb ich mich erneut. Neben erneutem Gesundheitsscheck, dem Sporttest, 800m-Lauf, 100m-Lauf, Bankdrücken, Klimmzügen, mussten noch mathematische Logigtests und ein Rechtschreibtest, absolviert werden. Von 20 Bewerbern wurden zwei genommen; ich war dabei.

Kassel 1977

Kassel 1977 – Beginn der Ausbildung

Am 4. April begann ich nun meine Polizeiausbildung in der Bereitschaftspolizeiabteilung V. in Kassel Niederzwehren. Ein neue und sehr moderne Kasernenanlage.In militärischem Ton wurden wir begrüßt und in die einzelnen Klassen eingeteilt. Es waren überwiegend 16 und 17jährige Kollegen. Damals konnte man noch mit Haupt- und Realschulabschluss bei der Polizei anfangen. Die Eingangsämter waren im mittleren Dienst. Wir, die lebensälteren Teilnehmer wurden in einer Klasse für ältere Auszubildende aufgenommen. Wir hatten nur drei 16-jährige und der Rest war bis zu 24 Jahre alt.Klassenweise begaben wir uns in die Kleiderkammer und wurden mit einer Unmenge von Kleidungsstücken ausgestattet. Zwei Uniformen, Einsatzanzug, Judo- und Trainingsanzug, Diensthemden, Unterwäsche, Socken, Halbschuhe, Winterschuhe, Einsatzstiefel, Handschuhe, Mantel, Mützen in weiß und grün. Damals gab es noch die hässliche spinatfarbene Uniform, die auch von Zoll, Justiz und den DDR-VoPo´s getragen wurden.

Wir waren in Dreibettzimmern untergebracht, die neu waren und mit deckenhohen, doppelflügligen Schränken je Bewohner ausgestattet waren. Gemeinschaftsduschen und WC waren auf dem Flur. Im Zimmer befand sich ein Waschbecken für die Morgentoilette. Alles in allem sehr ordentlich und neu.

Nachdem wir alle Formalitäten erledigt hatten und unsere Klamottenberge in den Schränken verstaut hatten, erkundeten wir schon einmal die auf dem Gelände befindliche Privatkantine. Hier wurden zu moderaten Preisen Getränke und kleine Gerichte angeboten.Da wir das Gelände im ersten Dienstjahr nicht verlassen durften, war natürlich die Kantine jeden Abend gerammelt voll. Die Bezahlung war nicht schlecht. Es gab ca. 1150 DM netto im ersten Jahr und war auch ein Kriterium, dass ich meinen bis dato gut bezahlten Job aufgab. Der Polizeiberuf war damals der bestbezahlte Lehrberuf.Die jüngsten unter uns hatten erstmals so viel Geld in der Hand und fühlten sich wie die Könige. Keine Aufsicht von den Eltern….

Tag 2

Die gesamte Abteilung bestand aus drei Hundertschaftsgebäuden, der Essenskantine und dem ärztlichen Dienst mit Sanitäts-Bereich. Unter den Lehrsaalgebäuden befand sich auch noch eine Raumschießanlage modernster Art.Die Klassen nannten sich im Polizeifachjargon „Züge“. Ein Zug bestand aus drei Gruppen à 9 Mann. Der Klassenlehrer hieß „Zugführer“, war Hauptkommissar und hatte drei Gruppenführer die meist Polizeiobermeister waren. Eine Hundertschaft hatte drei Züge.Der ganze Aufbau war paramilitärisch und funktionierte auch so. Näheres dann später bei der Erklärung zur Formalausbildung.

Wir bekamen unsere Klassenräume zugewiesen. Hier gab es weiterhin formale Anweisungen und Verhaltensmaßregeln. Es wurde ganz klar darauf hingewiesen, dass bei Zuwiderhandlungen die sofortige Kündigung erfolgen würde, da ja schließlich genug andere zur Polizei wollten. Diejenigen, die diese gut bezahlte Ausbildung nur begannen, um dem Wehrdienst zu umgehen, mussten hier kräftig schlucken. Das hatten sie sich nicht so vorgestellt. Es mussten min. 30 Monate Polizeidienst absolviert werden, um dies mit der Wehrpflicht und der Reservistenzeit zu egalisieren.

Nun bekamen wir unsere Stundenpläne. Rechtsfächer in Straf- und Prozessrecht, Allgemeines Polizeirecht, Zivilrecht, Verkehrsrecht, Sport und das Fach „LuB“. LuB stand für Leben und Beruf. Diese Stunde war freitags und wurde von dem Hundertschaftsführer abgehalten. Dieser philosophierte über allgemeine Lebenserfahrung und unsere Gesellschaft.

Ich hatte den Eindruck, dass dieser Hundertschaftsführer noch nicht viel von der Welt und dem Leben erlebt hatte.

Hundertschaftsführer waren in der Besoldungsstufe A 13 „Erster Polizeihauptkommissar“ mit fünf Silbersternen auf der Schulter. Dieser wurde insbesondere von den 16jährigen als der Messias überhaupt angesehen.

Von den Gruppenführern gab es welche, die sehr menschlich und geerdet waren. Andere wiederum zeigten sadistische Züge.Ihr persönlicher Vorteil war die heimatnahe Verwendung in Nordhessen, da die meisten aus der unmittelbaren Gegend stammten. Die meisten Polizeieinsätze spielten sich in Südhessen (Frankfurt, Offenbach, Flughafen Startbahn West) ab. Hier in Nordhessen war nichts los.Etwa 95% der ausgebildeten Polizeibeamten wurden nach der Ausbildung nach Südhessen versetzt. So war eine lockere Ausbilderstelle bei der Bereitschaftspolizei in Nordhessen gleich einem Lottogewinn. Insbesondere wenn man in der Nähe Wohneigentum hatte oder zu Hause bei Mutti umsonst wohnen konnte.

Die Stuben mussten von uns besenrein gepflegt werden. Im Zimmer durfte nichts herumliegen, schon gar nicht Klamottenteile. In den Lernstunden, die auf den Stuben abgehalten wurden, kamen dann willkürlich die Gruppenführer zum Stubenapell. Wurden Verfehlungen festgestellt, mussten Berichte für den Hundertschaftsführer bzw. Spieß gefertigt werden. Besonders krasse Verfehlungen wurden dann schon mal mit Wochenendwachdienst bestraft. Darunter litten die Jüngsten am meisten, weil sie nicht nach Hause zu Mutti konnten. Alles erinnerte an die Grundausbildung bei der Bundeswehr.

Schießausbildung

Nach ausgiebiger theoretischer Einführung der Dienstpistole Walther P 1, einer halbautomatischen 9mm Pistole wurden zunächst Trockenübungen vollführt. Dann wurde die Pistole auseinander gebaut und wieder zusammen. Es wurde langsam langweilig, da wir noch keinen einzigen Schuss abgeben durften. Dies geschah dann zu einem späteren Zeitpunkt in der Raumschießanlage. Es wurde akribisch auf die Sicherheitsvorschriften geachtet, was auch unbedingt notwendig war. Die Nerven der Schießausbilder schienen hier blank zu liegen, ob der jugendlichen, übereifrigen Schützen.

Sportausbildung

Sport wurde in der Ausbildung ebenfalls großgeschrieben. Einmal pro Woche Waldlauf zwischen 10 und 15 Kilometern, einmal Schwimmen, Leichtathletik und Geräteturnen. In regelmäßigem Turnus hatten wir noch Jiu-Jitsu. Hier war ein verhaltensgestörter Gruppenführer, der sich wie folgt vorstellte: „Mein Name ist Hartmut Silberschmid, ich bin 21 Jahre, Polizeiobermeister und mein Kampfgewicht beträgt 83 Kg.“ Dann fragte er ab, ob jemand von uns schon einmal einen Kampfsport betrieben habe. Einige leichtsinnige meldeten sich eifrig und wurden vorzitiert. Er bat darum, dass man ihn auf irgendeine Weise angreifen soll. Ohne Vorwarnung traktierte Silberschmid die armen Würstchen mit massiven Fauststößen und Fußtritten, bis sie zusammenklappten. Ich verschwieg mein vierjähriges Karatetraining und steckte einen Fauststoß in Richtung meines Magens weg, indem ich meine Bauchmuskeln anspannte. Einem Fußtritt gegen meinen Kopf konnte ich ebenfalls routiniert abwehren. Er war etwas verdutzt. Einer unserer Mitstreiter, 24 Jahre alt, hatte den 2. Dan in Taekwondo und war wettkampferprobt. Er machte oft Dehnungsübungen auf der Stube. Spagat war eine der Übungen. Entweder auf dem Boden oder er streckte ein Fuß gegen die obere Türzarge, der andere Fuß stand auf dem Fußboden. Auch ihn forderte Silberschmid auf, einen Angriff zu starten. Bevor er die Bitte richtig ausgesprochen hatte, erreichte ihn ein blitzschneller Fußkick mitten ins Gesicht. Trotz seiner Körpermasse war er leicht benommen und taumelte etwas zurück. Diese Fronten waren schon mal geklärt, was ihn jedoch weiterhin nicht abhielt, die anderen physisch zu quälen. Alle musste sich ausgerichtet auf den Boden legen. Er nahm einen unserer Kollegen Huckepack und lief über die Hälse der am Boden liegenden anderen. Beim Bodenringkampf hatte er seinen größten Spaß mit seinen Schützlingen. Aufgrund einiger Verletzungen, die dann ärztlicher Behandlungen bedurften, brachten ihm mehrfache Ermahnungen von der Abteilung ein.

Gewichtskontrolle

Die Kollegen, die etwas an der Grenze zum Übergewicht lagen, so wie ich, mussten alle 14 Tage zur Gewichtskontrolle. Hier wurde darauf eingewirkt, dass wir uns ernährungstechnisch im Griff halten sollten, ansonsten würden wir die Kündigung erhalten. Einer von uns, Bernhard Alt, war jedoch stark untergewichtig und musste sehen, dass er etwas auf die Rippen bekam. In Sporthosen und T-Shirt sah er wirklich spindeldürr aus und bekam seinen Namen „Spargel-Tarzan“. Diesen Nickname „Tarzan“ sollte ihn seine ganze Dienstzeit begleiten.

Kantine

In der Kantine wurden ordentliche Mahlzeiten aufgetischt, was keine Unterstützung für die unter Kontrolle stehenden Übergewichtigen war. Morgens Brötchen, Brot, Wurst, Käse Marmelade. Mittags abwechselnd Hausmannskost und meist eine Suppe vorher. Abends gab es Wurstbuffet und manchmal auch ein paar Rühreier und Bratkartoffel. Für die, die abnehmen sollten, war dies alles zu verlockend, verführerisch und kontraproduktiv.

Unterricht

Die Rechtsfächer waren staubtrocken und weder logisch noch gut verständlich. Also musste ein Großteil der wichtigsten Paragraphen und Rechtsdefinitionen auswendig gelernt werden. Sporadisch wurden Wissensabfragen in Form von Zettelarbeiten durchgeführt. Pro Halbjahr wurden zwei Klausuren je Rechtsfach geschrieben. Nach dem ersten Halbjahr wurde zunächst einmal der Leistungsstand festgestellt. Lag man hier unter dem erforderlichen Level, musste man das Halbjahr wiederholen. Dies betraf insgesamt drei von uns.Nach dem zweiten Halbjahr das gleiche Prozedere. Wir hatten es alle geschafft. Nun sehnten wir das Ende unseres ersten Dienstjahres hier oben in Kassel herbei. Die Weiterbildung im zweiten Dienstjahr sollte mit einigen Einsätzen in zweiwöchigen Rhytmus erfolgen. Hier waren in Südhessen die Bereitschaftspolizeiabteilungen Hanau, Mühlheim und Mainz-Kastel. Uns war es egal, Hauptsache weg von Kassel und nicht mehr diese unselige Fahrerei zu unseren Heimatanschriften. Die Kasseler Autobahn hatte durchschnittlich fünf bis sieben Baustellen und an den Wochenenden war ständig Stau. Hinzu kam noch, dass freitags noch zwei Bundeswehrkasernen aus der Kassler Gegend Feierabend hatten, von denen ein Großteil ebenfalls nach Südhessen fuhr.

Kassel 1978

Etwa drei Wochen vor Schluss des ersten Dienstjahres ereilte uns die Hiobsbotschaft: Das zweite Ausbildungsjahr erfolgt in der II. Abteilung der Hessischen Bereitschaftspolizei in der Kasseler Innenstadt. Einem weiteren Standort der Bereitschaftspolizei. Jeder Versuch, jede Bitte um Änderung wurde im Keim erstickt. Man könne ja kündigen. Dies taten auch drei weitere Kollegen.Der Umzug von der V. in die II. Abteilung erfolgte mit dem Manschaftsbus. Die II. Abt. lag in der Innenstadt Kassels und war, im Gegensatz zur V. Abteilung, uralt. Die Gebäude stammten aus den fünfziger Jahren und hatten schon teilweise Risse im Mauerwerk. In den Stuben fiel der Putz von den Wänden. Die Spinde standen, wegen Platzmangel, teilweise auf den Fluren.Die Betten waren ebenfalls altersentsprechend marode. Die Duschen befanden sich im Kellergeschoss. Heute würde kein einziger Mensch in solch einem erbärmlichen Gebäude übernachten. Höchsten rumänische Erntehelfer.

Die Unterrichtsräume befanden sich in der zweiten Etage und im Dachgeschoss. In meinem Unterrichtsraum stand mittendrin ein Dachpfosten und versperrte teilweise die Sicht zum Dozenten. Gelegentlich machte ich dahinter ein Nickerchen, ohne dass ich auffiel. Die allgemeine Stimmung über ein zweites Jahr in Kassel war ganz unten. Der einzige Vorteil war, dass wir nun nach Unterrichtsschluss die Kaserne verlassen durften und keine Schlussstunde hatten.Dies nutzten wir aus und ertränkten unseren Unmut oft in den in der Nähe befindlichen Kneipen.