Bunte Märchen - August Scherl - E-Book

Bunte Märchen E-Book

August Scherl

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Beschreibung

30 Märchen mit wunderschönen Illustrationen Gesammelt und aufgeschrieben von August Scherl und Heinrich Seidel. Ein Schelmenmärchen, Die Prinzessin mit den Entenfüßen, Der Frosch mit dem Edelstein im Kopf, Die Wunderbrille, Naschkätzchen, Die Geschichte von: "Das - und weiß nicht was", Trippstrille, Schattendorf, Vom einfältigen Büblein, Wirbelchens Windfahrt, Vom treuen Schwesterchen, Der Wetterbusch, Kaspar Knirps, Von der Freude, Die Wassernixe, Potthennerken, Königin Mitleide, Das gläserne Häuschen, Die beiden Jungfern, Das Bettel-Ei, Krauskopf und Blondhärchen, Der kleine Junge und sein Pferd, Aber nicht weiter sagen, Inge, die Möwe, Die verlorenen Flügelchen, Die Schlafkönigin, Die weiße Eule Null Papier Verlag

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Heinrich Seidel

Bunte Märchen

mit 32 farbigen Illustrationen

Heinrich Seidel

Bunte Märchen

mit 32 farbigen Illustrationen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Herausgeber: August Scherl EV: Scherl, Berlin, 1905 4. Auflage, ISBN 978-3-943466-62-1

null-papier.de/85

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ein Mär­chen als Ein­lei­tung

Ein Schel­men­mär­chen

Die Prin­zes­sin mit den En­ten­fü­ßen

Der Frosch mit dem Edel­stein im Kopf

Die Wun­der­bril­le

Nasch­kätz­chen

Die Ge­schich­te von: »Das – und weiß nicht was«

Tripp­stril­le

Schat­ten­dorf

Vom ein­fäl­ti­gen Büb­lein

Wir­bel­chens Wind­fahrt

Vom treu­en Schwes­ter­chen

Der Wet­ter­busch

Kas­par Knirps

Von der Freu­de

Die Was­ser­ni­xe

Pott­hen­ner­ken

Kö­ni­gin Mit­lei­de

Das glä­ser­ne Häu­schen

Die bei­den Jung­fern

Das Bet­tel-Ei

Kraus­kopf und Blond­här­chen

Der klei­ne Jun­ge und sein Pferd

Aber nicht wei­ter sa­gen

Inge, die Möwe

Die ver­lo­re­nen Flü­gel­chen

Die Schlaf­kö­ni­gin

Die wei­ße Eule

Dan­ke

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Ein Märchen als Einleitung

Mei­ne lie­ben Kin­der und sehr ver­ehr­ten großen Leu­te, ich will euch zu Be­ginn die­ses Mär­chen­bu­ches auch ein Mär­chen er­zäh­len, aber ein ganz be­son­de­res, das voll­kom­men wahr ist und sich erst vor Kur­zem zu­ge­tra­gen hat. Und nun passt auf, wie es geht:

Es war ein­mal ein Kö­nig von Pa­pier­land, der hat­te vie­le Mil­lio­nen Sol­da­ten, die wa­ren alle aus Blei und gin­gen auf den Köp­fen. Man schmier­te ih­nen die­se mit schwar­zer Far­be ein, und dann mar­schier­ten sie Tag und Nacht über end­lo­ses Pa­pier hin und hin­ter­lie­ßen gar selt­sa­me Spu­ren. Klu­ge Leu­te, die le­sen ge­lernt hat­ten, konn­ten dar­aus vie­les er­fah­ren; wie es mit Krieg und Frie­den und Han­del und Wan­del stand, und wie die Welt von ih­ren Kö­ni­gen mit­hil­fe der Blau­en, der Gel­ben, der Schwar­zen, der Ro­ten und der Gol­de­nen gar wei­se re­giert wur­de. Schö­ne Ge­schich­ten gab es dort zu le­sen, in de­nen die Tu­gend be­lohnt und das Las­ter be­straft wur­de, und wun­der­schö­ne Ge­dich­te, die sich hin­ten und vorn und in der Mit­te ganz an­mu­tig reim­ten, und wenn ei­ner wis­sen woll­te, was sich in der gan­zen Welt von Ho­no­lu­lu bis Nim­mer­satt oder von Syd­ney in Aus­tra­li­en bis Win­sen an der Al­ler er­eig­net hat­te, so stand es da schwarz auf weiß. Hat­te je­mand das Be­dürf­nis zu er­fah­ren, wo es die längs­ten Gi­raf­fen, die dicks­ten Kar­tof­feln, die ele­gan­tes­ten Bart­bin­den, die sü­ßes­ten Pfef­fer­ku­chen­her­zen gibt, so wur­de auch die­sem ge­hol­fen. Und dann die Bil­der! Wo in der Welt auch nur et­was ge­sch­ah, gleich wa­ren die großen Guck­ma­schi­nen mit den Glasau­gen da­hin­ter­her, und – schnapp! – gab es ein Bild, so­dass der Ve­suv bei sei­nem neues­ten Aus­bruch noch nicht aus­ge­spien hat­te, als er schon vor al­ler Welt auf dem Pa­pier stand. Als nun aber der Kö­nig ei­nes Ta­ges die Ar­bei­ten sei­ner flei­ßi­gen Bleisol­da­ten und der großen Guck­ma­schi­nen mus­ter­te, da ver­miss­te er et­was. Das, was heu­te neu und mor­gen schon wie­der alt ist, war in Fül­le vor­han­den; aber an dem, was sich nie und nim­mer be­ge­ben hat und dar­um auch nicht ver­al­ten kann, man­gel­te es. Das soll­te an­ders wer­den; er drück­te auf einen Knopf, und nach ei­ner kur­z­en Wei­le steck­te sein ers­ter Mi­nis­ter den Kopf in die Tür. »Mär­chen!«, sag­te der Kö­nig. »Sehr wohl!«, ant­wor­te­te der Mi­nis­ter und ver­schwand.

Nun ging also ein großes Schrei­ben aus in alle Welt an alle Schrift­ge­lehr­ten und Mär­chen­ma­cher und es wur­den für das bes­te Mär­chen drei Beu­tel, für das zweit­bes­te zwei Beu­tel und für das dritt­bes­te ein Beu­tel mit Gold­stücken aus­ge­setzt. Die drei­ßig bes­ten aber soll­ten ab­ge­druckt wer­den in ei­nem Bu­che mit schö­nen Bil­dern – gleich­sam wie in ei­nem Ehren­saal.

Ha! Da be­kam die Post zu tun, und alle Tage brach­te sie Mär­chen und Mär­chen und wie­der Mär­chen. Man­che Leu­te hat­ten schon wel­che fer­tig, die wa­ren na­tür­lich die Ers­ten auf dem Plan, und die an­de­ren sa­ßen und schrie­ben und pack­ten ein und schick­ten weg; nie­mals wohl, seit die Welt steht, sind so vie­le Mär­chen auf Rei­sen ge­gan­gen wie in die­ser Zeit. Zent­ner­wei­se ka­men sie denn alle, alt und jung, hoch und nied­rig, reich und arm, wa­ren da­bei; der Tür­mer auf dem Turm und der Schus­ter in sei­nem Kel­ler, von Fürs­ten bis her­un­ter zum Ar­bei­ter, von der vor­neh­men Dame bis zum Mäd­chen für al­les. Alle vier Fa­kul­tä­ten wa­ren an der Ar­beit, und selbst die Blü­te der Na­ti­on, die Her­ren Leut­nants und die Her­ren Re­fe­ren­da­re, schätz­ten es nicht zu ge­ring. Und man­che, die sonst nie der­glei­chen emp­fun­den hat­ten, fühl­ten, dass plötz­lich eine Mär­che­na­der in ih­nen auf­sprang und ge­heim­nis­voll zu rie­seln be­gann. So ging das Schick­sal sei­nen Lauf, und als die Zeit er­fül­let war, da zähl­te man 4025 Mär­chen.

Ihr lie­ben Kin­der und ihr sehr ver­ehr­ten großen Leu­te, wisst ihr auch, was das be­deu­tet: 4025 Mär­chen? Seht, in die­sem schö­nen Bu­che, das nun vor euch liegt, sind nur drei­ßig da­von ab­ge­druckt, und es ist doch schon ein statt­li­cher Band. Woll­te man nun alle 4025 ein­ge­sand­ten Mär­chen ab­dru­cken, so wä­ren dazu 134 sol­cher Bän­de wie die­ser hier not­wen­dig. Wisst ihr aber auch, was man in sol­che 134 Bän­de mit der sel­ben Schrift wie die­se, al­les hin­ein­dru­cken könn­te? Ich glau­be ihr ahnt es nicht; denn ich bil­de mir ein, dass ich zur­zeit der Ein­zi­ge bin, der das weiß. Die­se 134 Bän­de wür­den auf­neh­men kön­nen: zwei­mal Goe­thes sämt­li­che Wer­ke – und der hat doch am Ende nicht we­nig ge­schrie­ben; da­mit aber wä­ren sie noch lan­ge nicht bis zur Hälf­te ge­füllt. Wie­land war auch sehr flei­ßig und hat eben­so viel ge­schrie­ben wie Goe­the; aber auch sei­ne sämt­li­chen Wer­ke wür­den noch im­mer nicht ge­nü­gen, und man müss­te noch Jean Pauls, E. T. H. Hoff­manns und Fritz Reu­ters sämt­li­che Schrif­ten zu Hil­fe neh­men, um die­sen Sch­lund zu stop­fen. Aber auch dann blie­be noch im­mer ein Loch of­fen, und erst Schil­lers sämt­li­che Wer­ke wür­den das Ge­fäß zum Über­lau­fen brin­gen. Ist das nicht mär­chen­haft? Da­rum ist der Hel­den­mut, die Tat­kraft und der Feuerei­fer, mit de­nen sich die tap­fe­ren Män­ner der Vor­prü­fung, die sich mit rau­chen­den Köp­fen durch die­se tau­sen­de von Prin­zes­sin­nen mit gol­de­nen Haa­ren, die­se Scha­ren von Kö­ni­gen und Kö­ni­gin­nen, die­se Hee­re von Rie­sen, Zwer­gen, Gno­men, El­fen und Was­ser­ni­xen durch­ge­ar­bei­tet ha­ben, nicht ge­nug zu prei­sen. Am meis­ten aber ist es zu be­wun­dern, dass sie nicht in den Zau­ber­wäl­dern ste­cken ge­blie­ben sind, denn in die­sen Mär­chen ka­men so vie­le gräu­li­che, furcht­ba­re und der mensch­li­chen Ge­sund­heit un­zu­träg­li­che Zau­ber­wäl­der vor, dass man das gan­ze Fest­land un­se­res Erd­balls hät­te da­mit be­de­cken kön­nen. Aber die­se hel­di­schen Män­ner ha­ben es ge­schafft und sind, wie ich hof­fe, auch jetzt noch alle am Le­ben. Sie konn­ten schließ­lich den sie­ben Preis­rich­tern hun­dert aus­ge­wähl­te Mär­chen zur Schluss­prü­fung über­ge­ben.

Fast in je­dem rich­ti­gen Mär­chen kommt nun auch eine Kö­ni­gin vor, und also fehlt sie auch in die­sem wah­ren Mär­chen nicht; denn un­ter den Preis­rich­tern saß sie, eine ganz wirk­li­che Kö­ni­gin. Aber noch viel mär­chen­haf­ter war es, was nun ge­sch­ah; un­ter all den klu­gen und ge­lehr­ten Her­ren und vor­neh­men und ge­bil­de­ten Da­men, die ihre duf­ten­den oder prun­ken­den Mär­chen­sträu­ße zur Schau tru­gen, kam mit schwe­ren Schritt ein ein­fa­cher Ar­bei­ter da­her, der trug in sei­ner schwie­li­gen Faust einen Busch aus blü­hen­dem Hei­de­kraut, auf dem mit Per­len­schim­mer und Dia­man­tenglanz der Tau fun­kel­te. Und sie­he da – es war kei­ne Fra­ge: Ihm ge­bühr­te der Preis!

Und so ge­sch­ah es, dass das Mär­chen vom Aschen­brö­del, vom Al­ler­lei­rauh oder vom dum­men Hans hier wie­der le­ben­dig wur­de und der Arme, Un­schein­ba­re und Über­se­he­ne glän­zend den Sieg ge­wann. Die al­ten gu­ten Mär­chen blei­ben ewig neu.

Hein­rich Sei­del

Ein Schelmenmärchen

Von Eu­gen Berg­mann

Vor Zei­ten leb­te ein­mal ein jun­ger, der­ber Bau­er, der kei­nen grö­ße­ren Her­zens­wunsch hat­te, als ein Ka­va­lier zu wer­den und eine Prin­zes­sin zur Frau zu be­kom­men. Wenn er sei­ne Schwei­ne zum Ver­kauf in die Stadt trieb und da­bei in Samt und Sei­de ge­klei­de­te Her­ren sah, wie sie hoch zu Ross oder in präch­ti­gen Fuhr­wer­ken stolz an ihm vor­über­rit­ten und vor­über­fuh­ren, fraß ihm der Neid fast das Herz ab, und er dach­te hin und her, auf wel­che Wei­se er es ih­nen wohl gleich­tun kön­ne. Aber er war arm, hat­te nur ein klei­nes Häu­schen mit we­nig Acker­land, und zur Aus­füh­rung sei­ner tö­rich­ten Wün­sche war nicht die ge­rings­te Aus­sicht vor­han­den. Bis in sei­ne Träu­me hin­ein ver­folg­te ihn die­ses Ver­lan­gen, und oft sah er sich sel­ber mit Fe­der­hut und Spit­zen­kra­gen am Hofe des Kö­nigs ein­her­stol­zie­ren, und da gab es mor­gens ein üb­les Er­wa­chen, wenn solch schö­ne Bil­der in ei­tel Ne­bel und Dunst zer­flos­sen. Dann ging er tags­über ein­her wie ei­ner, dem der Ha­gel sein Wei­zen­feld zer­schla­gen, schnauz­te je­den an, der ihm in den Weg kam, und zer­mar­ter­te sein ar­mes Hirn mit Ge­dan­ken, wie er wohl zu dem nö­ti­gen Gel­de kom­men kön­ne. War dies doch das Ein­zi­ge, was ihm, sei­ner An­sicht nach, dazu fehl­te, der feins­ten Ka­va­lie­re ei­ner zu wer­den. Sei­ne Nach­barn, de­nen er manch­mal sein Herz aus­zu­schüt­ten pfleg­te, woll­ten sich tot­la­chen über sein när­ri­sches Seh­nen, spot­te­ten über ihn, wo sie konn­ten, und sag­ten mit La­chen: »Wenn der Esel die Lau­te schlägt, ist er noch lan­ge kein Künst­ler.«

Aber das half al­les nichts.

Als er nun ei­nes Ta­ges wie­der mür­risch und ver­dros­sen hin­ter sei­nem Pflu­ge ein­her­ging und der schö­nen Got­tes­welt auch nicht den ge­rings­ten Blick schenk­te, hör­te er plötz­lich, wie die Pflug­schar mit Klir­ren an einen Ge­gen­stand stieß, und da er sich flu­chend bück­te, um den ver­ma­le­dei­ten Stein aus dem Wege zu räu­men, ge­wahr­te er einen an­ge­ros­te­ten, großen, ei­ser­nen Topf im Erd­reich. Der war so schwer, dass er ihn kaum he­ben konn­te; und als er den De­ckel lüf­te­te, da – wer be­schreibt sei­nen freu­di­gen Schreck! – fiel ihm die Pfei­fe aus dem Mun­de, und die Bei­ne be­gan­nen ihm zu zit­tern: Bis an den Rand war der Topf mit Du­ka­ten ge­füllt, die so neu und blank aus­sa­hen, als kämen sie eben aus des Kai­sers Schatz­kam­mer.

Bald je­doch er­hol­te sich das Bäu­er­lein, dass sich so un­ver­mu­tet vor das Ziel sei­ner Her­zens­wün­sche ge­stellt sah, schlug einen Pur­zel­baum vor Ver­gnü­gen und brach­te dann sei­nen Schatz in si­che­ren Ge­wahr­sam.

An­de­ren Ta­ges füll­te er sich die Ta­schen mit den blin­ken­den Gold­füch­sen und ging in die Stadt, wo er sich gleich den vor­nehms­ten La­den aus­such­te.

»Hal­lo, Herr Kauf­mann«, schrie er, »nun rückt mal her­aus mit dem Feins­ten, was Ihr habt und was zum An­zug ei­nes vor­neh­men Ka­va­liers ge­hört! Nichts soll mir zu teu­er sein, und das Bes­te wer­de ich ge­ra­de gut ge­nug fin­den.« Da­bei warf er eine Hand­voll Du­ka­ten auf den Tisch, da­mit der Kauf­mann gleich wis­se, wor­an er sei, und nicht am Ende den­ke, es mit ei­nem Auf­schnei­der und Hun­ger­lei­der zu tun zu ha­ben.

Und nun ward her­bei­ge­schleppt, was es nur Kost­ba­res gab: Sei­den­zeug aus Lyon, Spit­zen aus Bra­bant, Samt­ge­we­be aus Per­si­en und tau­sen­der­lei an­de­re Din­ge, wie sie sich nur ein vollen­de­ter Galan wün­schen kann. Der Kauf­mann, der sich auf sei­ne Leu­te ver­stand, merk­te bald, was die Glo­cke ge­schla­gen hat­te, war mit sei­nem Rat hilf­reich zur Hand, und bald wa­ren An­zü­ge aus­ge­wählt, de­ren sich kein Kö­nig zu schä­men brauch­te. Wie sich un­ser Bau­er nun in dem großen Pfei­ler­spie­gel neu aus­staf­fiert be­trach­te­te, woll­te er kaum glau­ben, es bli­cke ihm aus dem Gla­se der sel­be Mensch ent­ge­gen, der ges­tern noch hin­ter dem Pflu­ge her­ge­gan­gen war: So statt­lich prä­sen­tier­te er sich in dem vio­let­ten Samt­wams mit den Gold­sti­cke­rei­en und dem Hut mit dem wal­len­den Fe­der­busch.

»Bei al­len Hei­li­gen«, sag­te der schlaue Kauf­mann voll er­heu­chel­ter Be­wun­de­rung, »wenn ihr nicht ei­nem Prin­zen von Ge­blüt gleich seht, will ich mich hän­gen las­sen. Eine Fürs­tin muss zu­min­des­ten Eure Frau wer­den.«

Der Bau­er blin­zel­te ihn wohl­ge­launt von der Sei­te an und ent­geg­ne­te mit über­le­ge­nen Lä­cheln: »Ein biss­chen hö­her hin­auf, gu­ter Freund, wür­de mir bes­ser zu Ge­sicht ste­hen.«

»Frei­lich, frei­lich«, be­eil­te sich der Han­dels­mann zu ant­wor­ten, »un­se­re Kö­nigs­toch­ter wäre Euer ge­ra­de wür­dig. Aber« –

»Aber? Was soll es mit dem Aber?«, forsch­te der neu­ge­ba­cke­ne Ka­va­lier miss­trau­isch. »Ei­nen fei­ne­ren und rei­che­ren Ge­mahl fin­det sie eben nicht. Habt Ihr mir nicht selbst vor we­ni­gen Mi­nu­ten ver­si­chert, ein solch kost­ba­rer Zo­bel, wie er mei­nen Man­tel ziert, sei nicht ein­mal im Be­sitz des Kö­nigs?«

»Das stimmt schon wer­ter Herr, und doch« – hier kraul­te sich der Kauf­mann vor Ver­le­gen­heit hin­ter den Ohren – »ich weiß nicht, wie ich es gleich sa­gen soll … seht … nun, Ihr wisst doch: mit den Ka­va­lie­ren ist es wie mit den Blu­men, je kost­ba­rer, je sel­te­ner ei­ner ist, de­sto fei­ner ist der Duft, der ihn um­gibt. Nun hat un­se­re Prin­zes­sin eine so fei­ne Nase, dass sie es so­fort her­aus­riecht, mit wem sie es zu tun hat, und ei­nem Her­zog von ei­nem Gra­fen auf zehn Schritt un­ter­schei­det. Der Bau­ern­ge­ruch aber sei ihr ganz be­son­ders zu­wi­der, er­zählt man, sie wit­te­re ihn schon aus der Fer­ne und sei hoch­mü­tig wie eine ech­te Prin­zes­sin.«

»Was Ihr sagt!«, hub das Bäu­er­lein et­was klein­laut an. »Lässt sich da­ge­gen nichts tun? Gibt es kein Mit­tel, kei­ne Arz­nei, sich von die­sem bö­sen Duft zu be­frei­en?«

»O ge­wiss«, und der Kauf­mann lä­chel­te ge­heim­nis­voll, »man braucht nur Dok­tor Ar­ta­ba­tus in der Stadt Mel­le­sund auf­zu­su­chen. Der re­pa­riert es!«

Da ver­ließ ihn mit ei­nem Dank für die gü­ti­ge Aus­kunft der Bau­er, kauf­te sich einen stark­kno­chi­gen Gaul, füll­te sich aber­mals alle Ta­schen mit Du­ka­ten, er­frag­te sich die Lage der Stadt Mel­le­sund und mach­te sich auf den Weg zu Dok­tor Ar­ta­ba­tus.

Nach­dem er drei Tage und drei Näch­te ge­rit­ten war, er­reich­te er die ge­such­te Stadt, de­ren Tür­me und Zin­nen ihm schon von Wei­tem in der auf­ge­hen­den Son­ne ent­ge­gen­fun­kel­ten. Er lies sich von ei­nem Kna­ben bis an das Haus des Dok­tors Ar­ta­ba­tus füh­ren, denn des­sen Name war be­kannt bei Alt und Jung, und bat um Ein­lass.

Vor ei­nem Herd­feu­er ste­hend, auf dem so­eben ein neu­es Le­bens­eli­xier bro­del­te, emp­fing ihn der be­rühm­te Mann. Mit sei­nen düs­te­ren Au­gen sah er ihn eine Wei­le for­schend an, als woll­te er bis auf den Grund sei­ner See­le le­sen, und da das Bäu­er­lein sein An­lie­gen in schön klin­gen­den Re­dens­ar­ten vor­zu­brin­gen such­te, un­ter­brach er ihn barsch und sag­te ohne Fe­der­le­sen:

»Spar dei­ne Wor­te. Nur ein Stüm­per hört die Lei­dens­ge­schich­te sei­nes Pa­ti­en­ten. Ich weiß, was dir fehlt. Du möch­test aus ei­nem Bau­ern ein Ka­va­lier wer­den. Ver­steh es auch, denn so taugst du frei­lich noch nicht dazu. Ge­macht kann es wer­den, aber die Sa­che kos­tet Geld.«

Der Bau­er schüt­te­te, ohne ein Wort zu sa­gen, den In­halt sei­ner Ta­schen auf den Tisch, und als der ge­lahr­te Herr das glei­ßen­de Häuf­lein vor sich sah, nick­te er be­frie­digt, strich es ein und sprach:

»Das langt, und mer­ke nun auf, was ich Dir sage. Ihr Bau­ern habt ein dick­flüs­sig, un­ge­sund Blut, das trä­ge sei­nes We­ges rollt und des­halb zu al­len fei­nen Ge­dan­ken, zier­li­chen Re­dens­ar­ten, lie­bens­wür­di­gen Ma­nie­ren, wie sie in Sch­lös­sern und auf Edel­hö­fen zu Hau­se sind, gänz­lich un­ge­eig­net ist. Auch fehlt die Wür­ze, die Süße, der Duft. Du musst des­halb in ei­ner sü­ßen Tun­ke um­ge­kocht wer­den; die wohl zu­be­rei­te­te Flüs­sig­keit muss durch die Po­ren dei­ner Haut drin­gen und eine völ­li­ge Än­de­rung dei­ner Säf­te her­bei­füh­ren. Die Kur ist, von der Hand ei­nes Meis­ters ge­lei­tet, ohne Ge­fahr. Hal­te dich be­reit, ich rüs­te dir so­gleich das Nö­ti­ge.«

Er rief nach sei­nen Hand­lan­gern, ließ einen rie­sen­großen Kes­sel über den Koch­herd sei­ner Stu­dier­stu­be stel­len, und wohl­ge­sie­gel­te Fla­schen, Töp­fe, Kru­ken mit In­schrif­ten in chi­ne­si­schen Let­tern so­wie selt­sam ver­schnür­te Pa­cken, von de­nen ein­zel­ne mit ei­nem To­ten­kopf be­klebt wa­ren, wur­den her­ein­ge­bracht.

Dann entließ er sei­ne Heil­ge­hil­fen und ging an die Zu­be­rei­tung des wun­der­kräf­ti­gen Was­sers.

»Dies hier ist Ho­nig vom Ber­ge Hy­met­tos in Grie­chen­land«, sag­te er und schüt­te­te den In­halt ei­nes großen Top­fes in den Kes­sel. »Das gibt die Süße und ist das Fun­da­ment, auf dem sich al­les grün­det und auf­baut. Dies hier sind La­kritz­stän­ge­lein; dies Süß­holz, ge­ras­pelt, so der Zun­ge eine lieb­li­che Ge­len­kig­keit zu an­mu­ti­ger Rede ver­lei­hen; hier Fen­chel, Anis und Am­bra, die dem Geist Kraft und Zart­heit mit­tei­len; hier Ge­würz­nä­gel, Zimt und Rohr­zu­cker, die den Ge­len­ken zier­li­che Be­we­gun­gen ge­ben, und die Büch­se dort, ge­stem­pelt mit dem Sie­gel des Kai­sers von Chi­na, ent­hält das Köst­lichs­te, die Kro­ne des Gan­zen: Zi­bet, Mo­schus und La­ven­del. Das, in der rich­ti­gen Mi­schung, er­teilt dir den Duft des Ka­va­liers und ver­treibt jeg­li­chen Bau­ern­ge­ruch auf ewi­ge Zei­ten.«

Dem Bäu­er­lein wir­bel­te bei all den frem­den Na­men der Kopf, und stau­nend schau­te er den Han­tie­run­gen des Wei­sen zu, wäh­rend ein bläu­li­cher Dampf dem Kes­sel ent­stieg und das Ge­mach mit al­len Wohl­ge­rü­chen Ara­biens er­füll­te.

End­lich war al­les be­rei­tet, wie es sich ge­hör­te, und Dok­tor Ar­ta­ba­tus be­fahl dem Bau­ern, die Ge­wän­der ab­zu­le­gen und in den Kes­sel zu stei­gen. Ins Feu­er aber warf er noch ein paar mäch­ti­ge Schei­te, dass die Fun­ken wie klei­ne Ster­ne in die Höhe sto­ben.

»So«, sag­te er, »jetzt bleibst du so lan­ge dar­in sit­zen, bis du es merkst, wie dich die Süße lang­sam durch­dringt, wie sie die Blut­bahn hin­auf­steigt, und so­lan­ge du die Hit­ze ver­tra­gen kannst. Merk auf: je län­ger, je bes­ser; denn bleibt auch nur et­was der al­ten, bö­sen Bau­ern­säf­te zu­rück, so ge­rät die Süße in Gä­rung, wird herb und ran­zig, und die Kur bleibt ohne ge­wünsch­ten Er­folg.«

Pus­tend und schwit­zend saß der an­ge­hen­de Ka­va­lier in der Flüs­sig­keit, die mit je­der Se­kun­de hei­ßer und hei­ßer wur­de; er japs­te nach Luft, wenn ihn die Dämp­fe um­qualm­ten, ihm bei­ßend in Auge und Nase fuh­ren, ihm den Atem raub­ten, und wähn­te nicht an­ders, als dass sein letz­tes Stünd­lein ge­schla­gen habe.

»Hal­te aus«, trös­te­te der Arzt, »hal­te aus. Es kämp­fen jetzt die Geis­ter der Heils­kräf­te mit den un­rei­nen Geis­tern, so dir im Ge­blüt sit­zen; es kämpft die Süße mit dem Sau­ren; jetzt rückt Zi­bet vor, jetzt schwingt Am­bra das Schwert, und dort naht La­ven­del und bringt uns den Sieg.« …

End­lich, da es dem Bau­ern schi­en, er habe sei­nen letz­ten Atem­zug ge­tan, wink­te Ar­ta­ba­tus mit fei­er­li­cher Mie­ne: »Es ist ge­nug.«

Und halb tot ent­stieg er der sü­ßen Wun­der­tun­ke und schwur bei sich, die­se Kur zum zwei­ten Male nie mehr über sich er­ge­hen zu­las­sen. Doch schon in Bäl­de er­hol­te er sich, die Kräf­te kehr­ten schnell zu­rück, und schmun­zelnd schau­te der Meis­ter auf sein ge­lun­ge­nes Werk.

»Keh­re heim, mein Sohn. Ar­ta­ba­tus hat sich ein neu­es Lor­beer­reis in sei­nen Ehren­kranz ge­floch­ten; seit Lan­gem ist kein vollen­de­te­rer Ka­va­lier aus sei­ner Werk­statt her­vor­ge­gan­gen!«

Fröh­lich ver­ließ der Bau­er das Haus, er­stand sich gleich ein ed­les ara­bi­sches Ross, rüs­te­te es statt­lich aus mit pur­pur­nen Scha­bra­cken und gol­de­nen Steig­bü­geln und ritt aus den To­ren der Stadt Mel­le­sund den kür­zes­ten Weg in ra­schem Tra­be der Kö­nigs­burg zu.

Als er nun vor dem Por­ta­le des herr­li­chen Schlos­ses hielt, eil­ten ihm ge­schäf­ti­ge Die­ner ent­ge­gen. Der eine hielt ihm die Bü­gel, der zwei­te brei­te­te kost­ba­re Tep­pi­che vor sei­ne Füße, und der drit­te führ­te ihn die Trep­pe hin­auf in den Thron­saal, wo so­eben der Kö­nig und sei­ne Toch­ter Hof hiel­ten; denn man glaub­te nicht an­ders, als das zu den vie­len Prin­zen und Kö­nigs­söh­nen, die sich um die Hand der Prin­zes­sin Mur­mu­la be­war­ben, ein neu­er hin­zu­ge­kom­men sei.

Da saß nun un­ter rot­sam­te­nen Bal­da­chin auf sei­nem Thron der Kö­nig mit Zep­ter und Reichs­ap­fel in den Hän­den und ne­ben ihm die Prin­zes­sin Mur­mu­la. Ach, war die schön! In ih­ren schwar­zen Haa­ren glänz­ten Dia­man­ten und Per­len, und ihr Ge­wand war mit sil­ber­nen Stern­lein be­stickt, die fun­kel­ten wie die Ster­ne am blau­en Nacht­him­mel. Weil sie aber so gar hoch­mü­tig war und das Näs­chen im­mer steil in die Luft trug, muss­te Tag und Nacht ein Mohr einen Schirm über sie hal­ten, da­mit es ihr nicht in die Nase reg­ne. Nur ein ganz klein we­nig zog sie den Schna­bel und schnup­per­te nach rechts und nach links, als der frem­de Ka­va­lier vor sie hin­trat – doch roch sie nichts, weil Meis­ter Ar­ta­ba­tus sei­ne Sa­che ver­stan­den hat­te.

In zier­li­chen, wohl­ge­setz­ten Wor­ten – denn die La­kritz­stän­gel und das ge­ras­pel­te Süß­holz ta­ten ihre Wir­kung – trug nun der Bau­er sein An­lie­gen vor: wie er weit her sei, wie er von der Schön­heit der Prin­zes­sin ge­hört und nur noch den einen Wunsch habe, sie als sein ehe­lich Ge­mahl in die Arme zu schlie­ßen.

Nicht un­gern be­gann die Schö­ne sei­ner Rede zu lau­schen, denn er sah gar statt­lich aus, hat­te Saft und Kraft in sich und über­rag­te manch blas­ses Prinz­lein um Haup­tes­län­ge. Ja, aber nun ge­sch­ah et­was Un­vor­her­ge­se­he­nes; ein Ju­cken kam dem Bau­ern­sohn an, und ehe er sich des­sen ver­sah, kratz­te er sich, kräf­tig und tüch­tig, wie er es da­heim ge­wohnt war.

Da schnell­te das Näs­chen der Prin­zes­sin Mur­mu­la wie­der blitz­schnell in die Luft.

»Päh«, sag­te sie, »Bau­er bleibt Bau­er!«, und hoch­mü­ti­ger denn je schau­te sie zur Sei­te und hat­te auch nicht einen Blick mehr für den Er­kann­ten. Dem aber war zu­mu­te, als hät­te man einen Kü­bel eis­kal­ten Was­sers über ihm aus­ge­schüt­tet; denn ihm wäre nie auch im Traum nur der Ein­fall ge­kom­men, man krat­ze sich an Kö­nigs­hö­fen nicht, wenn man ir­gend­wo ein Ju­cken oder Ste­chen ver­spü­re.

Klein­laut schlich er aus dem Saal, von hun­dert spöt­ti­schen und scha­den­fro­hen Au­gen be­glei­tet, und still ritt er da­von, sei­nem Pfer­de dem Weg über­las­send, Verzweif­lung im Her­zen. Wohl tau­send Male ver­wünsch­te er im Geis­te den Dok­tor Ar­ta­ba­tus und wuss­te nicht aus noch ein; denn das stand fest in ihm, dass er ster­ben müs­se, wenn er Prin­zes­sin Mur­mu­la nicht er­wer­ben kön­ne.

Er ritt und ritt fünf Tage und fünf Näch­te und kam end­lich in die Stadt Ber­re­fast.

Wie er nun so in Ge­dan­ken die Haupt­stra­ße hin­ab­trab­te, we­der auf die Pa­läs­te zur Rech­ten und Lin­ken, noch auf die Men­schen, die die Bür­ger­stei­ge füll­ten, ein Auge warf, sah er plötz­lich ein Ge­fährt, mit sechs schnee­wei­ßen, rot­ge­zäum­ten Mauleseln be­spannt, ihm ent­ge­gen­kom­men. In dem Wa­gen saß ein Mann mit lan­gem, wei­ßen Bart, und sein schwar­zer Talar war mit selt­sam ge­heim­nis­vol­len Zei­chen be­setzt. Da die Men­ge ihn ge­wahr­te, ent­stand ein großer Auf­lauf, Müt­zen flo­gen in die Höh’, Tü­cher wur­den ge­schwenkt, und aus tau­send Keh­len er­scholl der be­geis­ter­te Ruf: »Heil dem Ma­gis­ter Per­pen­di­cu­lus, dem Stolz von Ber­re­fast!« Un­ser Be­trüb­ter er­wach­te aus sei­nem Ge­träu­me und frag­te den ers­ten bes­ten: »Sagt an, gu­ter Freund, was hat es mit die­sem Ma­gis­ter Per­pen­di­cu­lus auf sich?« »Ei«, ent­geg­ne­te der und maß ihn ein we­nig ver­ächt­lich, »Ihr seid wohl vom Mon­de ge­fal­len, dass Ihr nichts vom dem wisst, was der gan­zen Welt be­kannt ist? Meis­ter Per­pen­di­cu­lus ist der wei­ses­te Arzt der Erde, und Ber­re­fast ist stolz dar­auf, ihn zu be­sit­zen. Es ist kei­ne Krank­heit des Lei­bes und der See­le, die sei­ner Kunst wi­der­stän­de. Man er­zählt, dass Geis­ter ihm ge­hor­chen, dass er Tote er­we­cke und schon man­chen Stroh­kopf mit Weis­heit ge­füllt habe. Seht je­nes Haus dort mit den sechs er­ze­nen Säu­len und dem Tor aus schwar­zem Onyx: das ist der Wohn­sitz des Ma­gis­ters Per­pen­di­cu­lus, und habt Ihr was, so Euch das Herz be­drückt, ver­traut es ihm an, er schafft Rat.«

Eine klei­ne Wei­le nach­her klopf­te das Bäu­er­lein an die Onyx­pfor­te, die einen dump­fen Klang gab, und be­gehr­te von dem Moh­ren, der ihm öff­ne­te, zu dem Ma­gis­ter ge­führt zu wer­den. – In ei­nem fremd­ar­tig aus­staf­fier­ten Ge­mach, durch des­sen bun­te Schei­ben das Ta­ges­licht nur spär­lich und ge­dämpft her­ein­quoll, saß der wei­se Meis­ter vor ei­nem Per­ga­ment­band, auf des­sen ro­ten Blät­tern in Gold­schrift Mit­tel ge­gen jeg­li­ches Ge­bre­chen ge­schrie­ben stan­den, und blick­te erst auf, als der, so sei­nes Ra­tes und sei­ner Hil­fe be­durf­te, vor ihm stand.

Nie­der­ge­schla­gen be­rich­te­te der ver­un­glück­te Ka­va­lier, wie sich al­les zu­ge­tra­gen, wie trotz der sü­ßen Ab­ko­chung des Dok­tors Ar­ta­ba­tus die Prin­zes­sin den Bau­ern­ge­ruch ge­spürt, und wie er sich ein Leid an­tun müs­se, wenn Ma­gis­ter Per­pen­di­cu­lus kei­nen Aus­weg er­sin­ne.

Als der den Na­men »Ar­ta­ba­tus«, ge­hört, war ein ver­ächt­li­ches Lä­cheln über sein Ge­sicht ge­gan­gen, und nun hob er an: »Eure Sa­che steht so schlimm nicht, zu­mal Euch Euer gu­ter Stern vor die rich­ti­ge Schmie­de ge­führt hat. Fern sei es von mir, auch nur ein nach­tei­li­ges Wort über die Kunst mei­nes Kol­le­gen zu sa­gen; denn das ist un­ter uns Ärz­ten nicht Brauch; al­lein das eine kann ich nicht ver­heh­len: Sei­ne Metho­de ist gänz­lich ver­al­tet. Wer heut­zu­ta­ge noch sein Ver­trau­en auf die Mi­schung ver­schie­de­ner Stof­fe setzt, ist ein Esel. Seit den Zei­ten mei­nes Leh­rers, des großen Pa­ra­cel­sus, hat man für die Heil­wei­se des Hip­po­kra­tus, der Ar­ta­ba­tus blind er­ge­ben ist, nur noch ein mit­lei­di­ges La­chen. Sau­er müsst Ihr ge­kocht wer­den, sau­er, lie­ber Freund! Eine wohl­tu­en­de Säu­re muss Eu­rem über­ge­sun­den Bau­ern­blut zu­ge­führt wer­den ohne jeg­li­chen Zu­satz, ohne jeg­li­ches Ge­würz. Seht: Fürs­ten, Kö­ni­gen, Kai­sern hat die­se mei­ne Hand zur Ader ge­las­sen, und es ist mir noch kein Tröpf­chen Ka­va­liers­blut vor­ge­kom­men, das nicht säu­er­lich ge­duns­tet hät­te. Frei­lich – die rech­te Säu­re muss es sein, dar­an liegt es, dar­in be­steht das Ge­heim­nis. Und ein er­kleck­lich Sümm­chen wer­det Ihr her­ge­ben müs­sen, aber – für was ist was!«

Der Bau­er schüt­te­te ohne Wei­te­res den In­halt sämt­li­cher Ta­schen in ein Mäß­chen, das ihm der Ma­gis­ter vor­hielt und in dem er sein Ho­no­rar ein­zu­heim­sen pfleg­te. Per­pen­di­cu­lus rüt­tel­te es or­dent­lich fest, und da es bis an den Rand ge­füllt war, sprach er: »Es fehlt wohl noch um ei­nes Stroh­halms Brei­te an dem Üb­li­chen. Ich will es aber auch da­für tun, da mein Herz nicht am Ge­winn hängt.«

Dann führ­te er sei­nen Pa­ti­en­ten in ein kel­ler­ar­ti­ges Ge­lass, wo un­ter ei­nem ge­räu­mi­gen, sil­ber­nen Kes­sel eine blaue Flam­me koch­te, hieß ihn sich in das dar­in be­find­li­che Was­ser set­zen, und zog aus dem fal­ti­gen Ge­wan­de ein Kris­tall­gläs­lein, in dem eine hel­le Flüs­sig­keit blink­te, und goss nur we­ni­ge Trop­fen in den Kes­sel. Als­bald fing das Was­ser an sich zu kräu­seln und Bla­sen zu wer­fen, und ein sau­rer Dunst stieg aus ihm auf, wäh­rend der Ma­gis­ter mit ei­nem Bla­se­balg das Feu­er zu hel­le­rem Glü­hen an­zu­trei­ben be­gann. »Auf der höchs­ten Spit­ze des Hi­ma­la­ja wächst in ei­ner Fel­sen­spal­te das Kraut«, sag­te er, »mit dem der Vo­gel Phö­nix sein Nest aus­zu­füt­tern pflegt. Aus die­sem Kraut wird ver­mö­ge kunst­rei­cher De­stil­la­ti­on die­se Säu­re, so Euch not­tut, ge­won­nen.«

Der arme Schelm im Was­ser aber fing an, ganz ent­setz­li­che Ge­sich­ter zu schnei­den, denn pri­ckelnd und ät­zend fühl­te er die Säu­re in die Adern drin­gen, der Atem ward ihm fast ge­nom­men, und das Was­ser er­hitz­te sich blitz­schnell und schäum­te fast über den Rand des Be­häl­ters.

Je är­ger er aber stöhn­te und litt, de­sto ver­gnüg­li­cher wur­de der große Meis­ter.

»Vor­treff­lich, vor­treff­lich!«, ju­bel­te er und schlug sich mit der Hand an die Sei­te. »Die Kur schlägt an! Spürt Ihr es, wie all das böse Ge­würz, die lä­cher­li­che Sü­ßig­keit mei­nes Ge­nos­sen Euch in blau­en Wol­ken ver­lässt und wir­belnd zum Schorn­stein hin­aus­fährt? Merkt Ihr es, wie die Kral­len der Säu­re sich in die Zi­bet­kat­ze schla­gen und wie sie die letz­te Spur des Am­bra ver­nich­ten?«

»Lasst es ge­nug sein, Per­le der Wis­sen­schaft!«, jam­mer­te der im sil­ber­nen Kes­sel. »Ich glau­be, es ge­nügt … Ein bös Brau­sen hab ich in den Ohren, Feu­er­fun­ken tan­zen mir vor den Au­gen, und alle Ge­dan­ken mi­schen sich mir zu wir­rem Knäu­el … ich über­ste­he die Kur nicht, einen Ent­seel­ten fischt Ihr aus Eu­rer Brü­he!«

Doch der Ma­gis­ter drück­te ihn mit dem gol­de­nen Schaum­löf­fel, der ihm wie ein Schwert zur Sei­te hing, noch tiefer in die Flüs­sig­keit, häuf­te ihm den wei­ßen Schaum übers Haupt, al­so­dass er kein Glied rüh­ren konn­te und sei­ne See­le den Hei­li­gen be­fahl. Dann hob er ihn mit ei­nem Ruck aus der Säu­re, und es dau­er­te nicht lan­ge, da kehr­ten die Le­bens­geis­ter des Ar­men in dop­pel­ter Fri­sche wie­der; neue Kraft durch­glüh­te ihn, und als Ma­gis­ter Per­pen­di­cu­lus ihm nun einen Sil­ber­spie­gel vor­hielt, muss­te er zu­ge­ben, die Kur habe an­ge­schla­gen, das Mit­tel sei­nen Zweck er­reicht: So vor­nehm sah er aus, als reich­te er mit sei­nen Ah­nen bis in die graues­te Zeit zu­rück!

Da sich das Onyx­tor wie­der hin­ter ihm schloss, ritt er sporn­streichs heim, füll­te sich alle Ta­schen aber­mals mit blan­ken Gold­stücken, warb ein statt­li­ches Ge­fol­ge, das ihn an den Kö­nigs­hof be­glei­ten soll­te, und mach­te sich von Neu­em auf, um die Hand der Prin­zes­sin Mur­mu­la zu wer­ben.

Und es war wie­der wie das ers­te Mal. Als er vor dem Por­tal des Schlos­ses hielt, eil­ten ihm die Die­ner ent­ge­gen: der Ers­te hielt ihm den Bü­gel, der Zwei­te brei­te­te Tep­pi­che un­ter sei­ne Füße, und der Drit­te ge­lei­te­te ihn die mar­mor­nen Trep­pen hin­auf. Un­ter­ein­an­der aber flüs­ter­ten sie: »Das ist si­cher der er­war­te­te Prinz aus Mau­re­ta­ni­en, dem die sie­ben gol­de­nen Sch­lös­ser ge­hö­ren und des­sen Schatz­kam­mern bis an die De­cke mit Kost­bar­kei­ten ge­füllt sind.«

Im Thron­saal war­te­ten schon vie­le Prin­zen und Kö­nigs­söh­ne aus nah und fern auf das Er­schei­nen der Prin­zes­sin; die stan­den zu bei­den Sei­ten des Thro­nes, auf dass die Kö­nigs­toch­ter sich den Schöns­ten er­wäh­le, und zu den statt­lichs­ten ge­hör­te auch der Bau­er. End­lich er­tön­ten Fan­fa­ren und Trom­pe­ten, die Dop­pel­vor­hän­ge ei­ner Tür wur­den zu­rück­ge­schla­gen, und in glanz­vol­lem Zuge nah­te der Kö­nig und ne­ben ihm die Prin­zes­sin. Die aber war heu­te noch tau­send­mal schö­ner als das ers­te Mal. In ih­ren schwar­zen Haa­ren trug sie eine fun­keln­de Kro­ne, und ihr wei­ßes Kleid war mit Ro­sen be­stickt, aus de­ren Kel­chen die herr­lichs­ten Dia­man­ten blitz­ten. Nur das Näs­chen trug sie so hoch wie im­mer, doch sie schnup­per­te nicht ein­mal; denn Ma­gis­ter Per­pen­di­cu­lus hat­te selbst das letz­te Stäub­chen je­nes Ge­ruchs, der ihr so zu­wi­der war, in sei­ner Säu­re ge­tö­tet. Der Bau­er aber dach­te bei sich: »Wenn ich dich heu­te nicht ge­win­ne, du hold­se­ligs­te der Sterb­li­chen, so wäre es mir bes­ser, nicht auf der Welt zu sein.« Vor der Prin­zes­sin hüpf­te in mun­te­ren Sprün­gen ihr Wind­spiel, lief von ei­nem zum an­de­ren, ließ sich von die­sem glät­ten und je­nem, und setz­te sich end­lich dicht vor den Bau­er. Wie der aber den Hund sah, fiel ihm sei­ne Ju­gend ein. Da war es sein liebs­tes Ver­gnü­gen ge­we­sen, den Kat­zen in den Schwanz zu knei­fen, und wenn sie dann mi­au­end und fau­chend da­von­ge­fah­ren wa­ren, hat­te er sich den Ma­gen ge­hal­ten vor La­chen; an kei­nem Hun­de aber war er vor­über­ge­gan­gen, ohne ihm auf den Schwanz zu tre­ten, und hat­te im­mer sei­ne hel­le Freu­de dar­an ge­habt, wenn sie heu­lend das Wei­te such­ten. Und wie er so dar­über sann und sann, ver­gaß er Kö­nigs­kind und Hof­burg, Glanz und Um­ge­bung, hob lang­sam den Fuß und trat dem kö­nig­li­chen Hun­de nach­drück­lich auf den Schwanz. Das Hünd­chen, so bö­ser Hand­lung un­ge­wohnt, hub ein Ge­quiek an, als hät­te es sich auf hei­ßes Ei­sen ge­setzt, kniff den Schwanz ein und ras­te da­von wie vor dem Leib­haf­ti­gen, fuhr dem Ober­hof­meis­ter zwi­schen die Bei­ne, dass er schier zu Fall kam, und er­füll­te den gan­zen Saal mit sei­nem Ge­heul.

Da rich­te­te sich das Näs­chen der Prin­zes­sin Mur­mu­la fast ker­zen­ge­ra­de in die Höhe, und sie sprach, dass es durch den gan­zen Raum klang:

»Pä … Bau­er bleibt Bau­er – Koch ihn süß oder sau­er!«

Sie wink­te ei­nem Kö­nigs­sohn und reich­te ihm die Hand hin, zum Zei­chen, dass sie ihn zum Ge­mahl er­wäh­le.

Wie ein Don­ner­schlag je­doch traf ihre Rede den zum zwei­ten Mal er­kann­ten. Ehe noch je­mand recht zur Be­sin­nung kam, hat­te er den Saal ver­las­sen, riss sein Pferd aus dem Stall, und der Huf­schlag sei­nes Ros­ses klang laut und dröh­nend, da er über die Zug­brücke in wil­dem Ra­sen fort­jag­te. Vie­le Tage ritt er kreuz und quer durch die Welt, ohne selbst zu wis­sen, wo­hin. Sein ed­les Ross, sol­cher An­stren­gung un­ge­wohnt, ward lahm und steif, und end­lich, da es nicht wei­ter konn­te, stieg er ab, über­ließ es auf ei­ner fet­ten, grü­nen Wie­se sei­nem Schick­sal und ging nun zu Fuß wei­ter, Bit­ter­nis, Groll und Verzweif­lung im Her­zen. Man­chen Tag noch wan­der­te er auf stau­bi­gen Stra­ßen da­hin, bis ihn der Zu­fall in sei­ne ei­ge­ne Hei­mat führ­te. Als er in einen Forst kam, hin­ter dem nur eine Ta­ge­rei­se ent­fernt sei­ne Hüt­te lag, la­ger­te er sich ne­ben ei­nem Quell, um Ge­sicht und Hän­de mit dem küh­len­den Nass zu net­zen.

Lan­ge Zeit saß er da in trü­ben Ge­den­ken sei­nes be­kla­gens­wer­ten Ge­schicks, als ein run­ze­li­ges Müt­ter­lein des We­ges kam, das im Wald nach Pil­zen ge­sucht hat­te.

»Gott zum Gruß schmu­cker Kna­be«, re­de­te sie ihn an, »was schaust du so dar­ein, als stün­de kei­ne Son­ne am Him­mel, als sän­ge kein Vög­lein im Wal­de? Solch sau­er­töp­fisch We­sen klei­det kein Ge­schöpf Got­tes.« Und das Müt­ter­chen setz­te sich zu ihm. Da fass­te er sich ein Herz, weil ihm so ster­bens­übel zu­mu­te war und er kei­ne See­le hat­te, der er sein un­se­lig Ge­schick be­rich­ten konn­te, und er er­zähl­te der Al­ten haarklein, was sich al­les mit ihm zu­ge­tra­gen hat­te. Da er ge­en­det, lä­chel­te das Müt­ter­chen und sprach: »Ein Ein­falts­pin­sel bist du, durch dei­ne di­cke Schwar­te sei all das Süße und Sau­re ge­gan­gen, was dir die klu­gen Dok­tors vor­ge­fa­belt? Nichts kann aus dem Men­schen kom­men, so es nicht in ihm ist. Ein freund­li­ches Herz, dazu un­merk­li­che Lei­tung, zar­te und fei­ne Zu­recht­wei­sung in Kin­der­ta­gen, wie sie eine lie­ben­de Mut­ter dem ei­ge­nen Blut zu­kom­men lässt – das ver­leiht ei­nem jene schö­ne Far­be her­kömm­li­cher gu­ter Sit­te, die den Men­schen zum Ka­va­lier macht. Ein Töl­pel bleibt ein Töl­pel in je­dem Stan­de!« Da­mit er­hob sie sich, nick­te ihm zu und hum­pel­te von dan­nen. Dem Bäu­er­lein war zu­mu­te, als hät­te der Him­mel sel­ber ihn ge­trös­tet; eilends schritt er vor­wärts, und froh klopf­te ihm das Herz, als er sein hei­mat­lich Dach bei sin­ken­der Son­ne er­reich­te.

Auf dem Bo­den sei­nes ei­ser­nen Kes­sels fand sich noch ge­ra­de eine Hand­voll Du­ka­ten, die dazu aus­reich­ten, ein neu­es Le­ben zu be­gin­nen. Das ge­sch­ah, und zu­frie­den sitzt er noch heu­ti­gen­tags dort, wo er saß, als wir die­se Ge­schich­te be­gan­nen.

Die Prinzessin mit den Entenfüßen

Von Anna Be­the-Kuhn

Der alte Kö­nig war ge­stor­ben. Die Kam­mer­her­ren streif­ten schwar­zen Flor über ihre bunt­sei­de­nen Är­mel­puf­fen, und die Da­men drück­ten die Spit­zen­tüch­lein an die Au­gen, vor Kum­mer dar­über, dass nun der Hof­ball nicht statt­fin­den konn­te, der zum kom­men­den Tag an­ge­sagt wor­den war.

Im Krö­nungs­saal stand der Thron­ses­sel; er war schnee­weiß und hat­te ver­gol­de­te Füße, und über sei­ne Rücken­leh­ne her­ab hing der Pur­pur­man­tel mit dem Her­me­lin­fut­ter; den soll­te der jun­ge Prinz um­ge­legt be­kom­men. Der Hof­mar­schall hielt die Kro­ne zwi­schen den ge­spreiz­ten Fin­gern und fuch­tel­te mit dem Zep­ter durch die Luft. Das war ja ein net­ter Re­gie­rungs­an­tritt! Läu­fer lie­fen un­abläs­sig die Mar­mor­trep­pen des Schlos­ses hin­auf und her­un­ter; aber der jun­ge Prinz war nir­gends zu fin­den.

Durch den Schloss­hof schritt pfei­fend der Hü­ter­jun­ge. »Hier könnt ihr lan­ge su­chen«, lach­te er. »Drü­ben hin­term Wal­de bei den Moor­wie­sen liegt der Prinz im Gra­se und sieht die wei­ßen Wölk­lein flie­gen.«

Ja, nun wuss­ten sie es. Am meis­ten är­ger­ten sich die Läu­fer dar­über, den jetzt muss­ten sie in ih­ren spit­zen Schna­bel­schu­hen über den leh­mi­gen Wald­bo­den zu den Moor­wie­sen lau­fen. Schon von Wei­tem sa­hen sie den Prin­zen im Schilf­gras lie­gen. Als der die drei Läu­fer er­blick­te, stand er auf, klopf­te sich die Schilf­hal­me vom Wams und ging ih­nen ent­ge­gen. »Ich weiß be­reits al­les«, sag­te er. »Das Klügs­te wird sein, ich füge mich in das Un­ver­meid­li­che. Aber das dürft ihr mir schon glau­ben: Ich hät­te lie­ber mein Leb­tag an den Moor­wie­sen Schwei­ne ge­hü­tet, als nach mei­nes Va­ters Tod den Thron be­stie­gen.« Wahr­haf­tig, das sag­te er.

Drin­nen im Schlos­se be­kam der jun­ge Prinz vom Hof­mar­schall die Kro­ne auf­ge­setzt. »Das Ding wird mir den Ver­stand zer­quet­schen«, sprach er und schüt­tel­te sei­nen Kopf, dass die Lo­cken flo­gen. Aber der Hof­mar­schall ließ kei­ne Ein­wen­dun­gen gel­ten; er hing dem Prin­zen den Pur­pur­man­tel um die Schul­tern und drück­te ihm das Zep­ter in die Hand. Hier­mit war die Krö­nung voll­bracht. Der jun­ge Kö­nig beug­te das Haupt un­ter der Last sei­ner Kro­ne und ließ den Arm sin­ken. »Jetzt ver­ste­he ich erst, wie schwer das Re­gie­ren ist!«, mein­te er und seufz­te tief.

Al­l­abend­lich, wenn die Son­ne sich rot im Moor­teich spie­gel­te, warf der jun­ge Kö­nig Pur­pur­man­tel und Zep­ter bei­sei­te und wan­der­te ein­sam durch den grü­nen Wald zu den Moor­wie­sen hin­aus. Dort leg­te er sich ins Schilf­gras und starr­te zum Abend­him­mel em­por, bis die Ster­ne glit­zer­ten.

Das ging so eine gute Wei­le, bis man im Schloss über die son­der­ba­re Ge­wohn­heit des jun­gen Kö­nigs zu re­den be­gann und al­ler­hand schlech­tes und Un­rech­tes da­hin­ter ver­mu­te­te.

Ei­nes schö­nen Ta­ges zog der Hof­mar­schall den jun­gen Kö­nig bei­sei­te. »Ma­je­stät ver­zei­hen«, flüs­ter­te er ihm ins Ohr, »aber so darf es nicht wei­ter­ge­hen. Das Volk murrt; die Re­gie­rungs­ge­schäf­te krie­chen einen Krebs­gang; in un­se­rer Schatz­kam­mer ver­mag bald ein Blin­der die Du­ka­ten zu zäh­len. Kurz und gut, ich sehe nur einen Aus­weg, wie dem ab­zu­hel­fen sei: Ma­je­stät müs­sen hei­ra­ten!«

Der jun­ge Kö­nig run­zel­te die Brau­en. Doch so leicht ließ sich der Hof­mar­schall nicht aus dem Kon­zept brin­gen. »Wenn ich mir einen Vor­schlag er­lau­ben dürf­te«, fuhr er fort, »so käme da in ers­ter Li­nie Prin­zes­sin Li­li­en­blatt in Be­tracht« –

Jetzt wur­de es dem jun­gen Kö­nig aber zu bunt. »Bleibt mir mit Eu­ren künst­li­chen Prin­zes­sin­nen vom Lei­be!«, schrie er und stampf­te mit dem Fuß auf. »Wenn ich hei­ra­te, will ich mir mei­ne Frau sel­ber aus­su­chen.«

»Wahr­haf­tig, das fehl­te mir ge­ra­de noch, zu hei­ra­ten!«, sag­te der jun­ge Kö­nig, als er abends bei den Moor­wie­sen im Schilf­gra­se lag. »Lie­ber sprän­ge ich in den Moor­teich, dort, wo er am tiefs­ten ist. Da weiß man we­nigs­tens, was ei­nem be­vor­steht.«

»Hoho, das ist auch eine An­sicht!«, quak­te es plötz­lich ne­ben ihm. Der jun­ge Kö­nig hob er­staunt den Kopf und sah einen di­cken, grü­nen Frosch im Schil­fe sit­zen, der ihn mit run­den Au­gen anglotz­te und ver­gnüg­lich mit dem Kop­fe wa­ckel­te. »Ihr scheint schlech­te Er­fah­run­gen ge­macht zu ha­ben, gu­ter Freund«, sag­te der Frosch, und dann lach­te er, dass er or­dent­lich Was­ser prus­te­te.

»Ich habe gar kei­ne Er­fah­run­gen ge­macht«, er­wi­der­te der jun­ge Kö­nig, »aber ich ver­spü­re kei­ne Lust, mit ei­nem je­ner Reifrock­ge­stel­le, die ich auf den Hof­bäl­len her­um­schwen­ken muss­te, eine Ehe ein­zu­ge­hen. Das kann nie­mand ver­wun­dern, der Prin­zes­sin­nen kennt.«

»Ich ken­ne sie zwar nicht«, sag­te der Frosch, »aber ich kann mir vor­stel­len, dass sie alt und ver­trock­net sind. Sie müss­ten ein­mal in fri­sches Was­ser ge­setzt und or­dent­lich un­ter­ge­tunkt wer­den.«

»Das ist ein vor­treff­li­cher Ge­dan­ke«, mein­te der jun­ge Kö­nig und lach­te.

»Ich habe im­mer vor­treff­li­che Ge­dan­ken«, ant­wor­te­te der Frosch und blies sich auf, »aber mei­nes Äu­ße­ren we­gen wer­den sie nicht be­ach­tet; und zwar nur aus dem Grun­de, weil ich so gras­grün bin. Das Grün ist doch nun ein­mal mei­ne Leib­far­be.«

»Wenn du so vor­treff­li­che Ge­dan­ken hast«, sag­te der jun­ge Kö­nig, »so kannst du mir ge­wiss zu ei­ner Frau ver­hel­fen. Es soll aber kei­ne Frosch­kö­ni­gin sein, son­dern ein schö­nes, warm­blü­ti­ges Men­schen­kind. Die­se Be­din­gung stel­le ich.«

»Nichts leich­ter als das«, sag­te der Frosch. »Komm heu­te Nacht, wenn der Voll­mond scheint an den Moor­teich, da kannst du das hol­des­te Mäd­chen der Welt die En­ten hü­ten se­hen. Sie ist so hübsch, dass ich eine Zeit lang sel­ber dar­an dach­te, sie zu hei­ra­ten. Aber sie ver­mag sich nicht or­dent­lich auf­zu­bla­sen und hat eine me­lo­di­sche Stim­me. Mit die­sen Män­geln könn­te sie nie bei uns zu Hof er­schei­nen, und dar­auf sehe ich.«

»Das wäre für mich kein Hin­de­rungs­grund«, sprach der jun­ge Kö­nig. »Ge­fällt mir die schö­ne En­ten­hü­te­rin eben­so gut wie dir, so soll nichts auf Er­den mich dar­an hin­dern, sie zur Frau zu neh­men.«

So­bald der Voll­mond hin­term Wald­rand auf­zu­stei­gen be­gann, zog sich der jun­ge Kö­nig in sei­ne Ge­mä­cher zu­rück, warf einen schwar­zen Man­tel um, stülp­te die Ka­pu­ze über den Kopf und schlich un­er­kannt durch eine Hin­ter­pfor­te zum Schloss hin­aus. Schon von fern sah er die Moor­wie­sen im Mond­schein glän­zen. Irr­lich­ter lie­fen vor sei­nen Fü­ßen hin und her und wie­sen ihm den Weg.

Da war auch sein Freund, der Frosch. Breit­spu­rig saß er mit­ten auf der Land­stra­ße und er­war­te­te ihn. »Da bist du ja!«, quak­te er. »Potz Moor­schlamm und Flie­gen­bein, du scheinst es ei­lig zu ha­ben!« Und er lach­te, bis er sich ver­schluck­te.

»Spa­re jetzt dei­ne Scher­ze«, sag­te der jun­ge Kö­nig, dem doch ein we­nig ängst­lich ums Herz war, »zei­ge mir lie­ber die­je­ni­ge, de­rent­wil­len ich durch Nacht und Ne­bel hier­her­ge­kom­men bin.«

»Hät­test du Au­gen im Kop­fe, hät­test du sie längst er­blickt«, ver­setz­te der Frosch. »Drü­ben am Teich­rand sitzt sie und lässt die Füße ins Was­ser hän­gen. Aber euch Men­schen­kin­dern muss man die Nase auf al­les sto­ßen, sonst merkt ihr es nicht.«

Der jun­ge Kö­nig blick­te zum Teich­rand hin­über. Da saß ein Mäd­chen, das hat­te ein Ge­sicht wei­ßer als die Mond­strah­len, Au­gen dun­kelblau­er als der Nacht­him­mel und Haa­re gold­gel­ber und wei­cher als der zar­tes­te En­ten­flaum.

»Sie ist wirk­lich wun­der­schön«, sag­te der jun­ge Kö­nig, der kei­nen Blick von dem Mäd­chen wen­den konn­te. »Ich gäbe mein Kö­nig­reich dar­um, wenn sie mei­ne Frau wer­den woll­te.«

»Das Kö­nig­reich kannst du ru­hig be­hal­ten«, sag­te der Frosch, »das wird sie nicht ge­nie­ren. Aber zu ihr hin­über­hüp­fen lass uns, eh’ es zu spät wird; denn Glo­cken­schlag Eins muss die schö­ne En­ten­hü­te­rin wie­der nach Hau­se.«

Sie gin­gen nun zu­sam­men um den Moor­teich her­um zu dem Plat­ze, wo das Mäd­chen saß. Das stieß beim An­blick der bei­den einen lei­sen Schrei aus und zog sein auf­ge­schürz­tes Ge­wand so tief hin­ab, dass der Saum das Was­ser be­rühr­te.

»Schö­nen gu­ten Abend mein Fräu­lein«, quak­te der Frosch. »Hier brin­ge ich Euch einen Freund, der ein wasch­ech­ter Prinz und Kö­nig ist und Euch zur Frau ha­ben möch­te.«

Das schö­ne Mäd­chen be­trach­te­te den jun­gen Kö­nig und senk­te ver­wirrt die nacht­him­melblau­en Au­gen zu Bo­den. »Das kann Euer Ernst nicht sein«, sprach es zum Frosch. »Wer soll­te künf­tig bei Voll­mond mei­ne En­ten hü­ten?«

»Aus­flüch­te – Aus­flüch­te –«, quak­te der Frosch.

Aber das Mäd­chen schüt­tel­te trau­rig den Kopf. »So leid es mir tut, ich kann Euch nicht hei­ra­ten«, sag­te es zu dem jun­gen Kö­nig. Der woll­te ge­ra­de zu ei­ner Lie­bes­er­klä­rung den Mund öff­nen, als ihm der nas­se Frosch auf die Hand sprang und ihm einen ge­lin­den Schau­er über den Rücken jag­te.

»Im­mer kalt Blut«, be­schwich­tig­te der Frosch den jun­gen Kö­nig, »sie wird schon ihre Grün­de ha­ben, wes­halb sie dich nicht hei­ra­ten will.« Und er dräng­te zum Auf­bruch. Schwe­ren Her­zens nahm der jun­ge Kö­nig von der Schö­nen Ab­schied. »Grün ist die Hoff­nung«, sprach er seuf­zend zum Frosch, als sie zu­sam­men um den Moor­teich her­um­gin­gen. »Grün ist mei­ne Leib­far­be«, quak­te der Frosch und lach­te, dass es glucks­te. Plantsch! da sprang er mit ei­nem Satz in den Moor­teich hin­ein und ließ den ar­men jun­gen Kö­nig am Ufer ste­hen. Ja, nun wuss­te er so viel wie vor­her.

Von die­ser Stun­de an wur­de es mit sei­ner Trau­rig­keit noch schlim­mer. Zwar wan­der­te er nicht mehr all­abend­lich zu den Moor­wie­sen hin­aus, al­lein in je­der Voll­mond­nacht er­hob er sich von sei­nem La­ger, klei­de­te sich an und schlich heim­lich zum Moor­teich. Der Moor­teich aber lag schwarz und reg­los, und der Platz, auf dem die Schö­ne ihre En­ten ge­hü­tet hat­te, war leer. Nicht ein­mal der Frosch ließ sich mehr se­hen. Nur manch­mal woll­te es dem jun­gen Kö­nig schei­nen, als höre er aus der schwärz­li­chen Tie­fe her­aus ein scha­den­fro­hes Qua­ken. Doch das konn­te auch eine Täu­schung sein. Und bleich und ver­härmt kehr­te er ins Schloss zu­rück.

Ei­nes Ta­ges zog der Hof­mar­schall den jun­gen Kö­nig wie­der bei­sei­te. »Ma­je­stät«, sprach er, »Ma­je­stät er­tra­gen die Ein­sam­keit nicht. Ich er­lau­be mir noch­mals zu wie­der­ho­len: Ma­je­stät soll­ten hei­ra­ten!«

Dies­mal stampf­te der jun­ge Kö­nig nicht mit dem Fuß auf; müde und gleich­gül­tig be­trach­te­te er sei­ne Fin­ger­spit­zen. »Wenn es sein muss, warum nicht?«, sag­te er und zuck­te die Ach­seln. Moch­ten sie mit ihm an­fan­gen, was sie woll­ten; ihm war al­les ei­ner­lei.

Der Hof­mar­schall rieb sich freu­de­strah­lend die Hän­de. Und schon am nächs­ten Tag be­gann in dem stil­len Schlos­se ein Le­ben und Trei­ben, dass es eine Lust war. Dro­ben in den Ge­mä­chern häuf­ten sich Sam­te und Bro­ka­te, Gold- und Sil­ber­b­or­ten, Pel­ze und wal­len­de Strau­ßen­fe­dern. Und auf den Stüh­len rings­her­um sa­ßen hun­dert Schnei­der, die sti­chel­ten mit den Na­deln und klap­per­ten mit den Sche­ren und nah­men dem jun­gen Kö­nig Maß für sei­ne Hoch­zeits­klei­der. Das war eine Ar­beit!

End­lich hin­gen Män­tel, Wämse, Ho­sen und Ba­ret­te fix und fer­tig im Schrank. Der Hof­mar­schall ließ die Hof­kut­sche be­span­nen, setz­te den jun­gen Kö­nig hin­ein und sich an sei­ne Sei­te, und fort rat­ter­ten sie ins Land hin­aus.

Na­tür­lich wur­den sie über­all mit Freu­den und den ge­büh­ren­den Ehren emp­fan­gen. Sämt­li­che Prin­zes­sin­nen der Welt wa­ren mit Ver­gnü­gen be­reit, die Frau des hüb­schen jun­gen Kö­nigs zu wer­den. Aber was den jun­gen Kö­nig be­traf, so konn­te er zu kei­ner von ih­nen ein Herz fas­sen. Un­will­kür­lich ver­glich er die Blon­den und Schwar­zen, Gro­ßen und Klei­nen, Di­cken und Dün­nen, Klu­gen und Dum­men mit sei­ner schö­nen En­ten­hü­te­rin. Und den Ver­gleich konn­ten sie alle nicht aus­hal­ten.

Schließ­lich hat­ten die bei­den alle Kö­nigs­sch­lös­ser der Welt be­sucht bis auf eins. Das lag auf ei­nem ver­ru­fe­nen Er­len­hü­gel und ge­hör­te ei­nem mäch­ti­gen al­ten Kö­nig, von dem man sich die selt­sams­ten Din­ge er­zähl­te. Auch der Hof­mar­schall wuss­te da­von zu be­rich­ten. So soll­te des al­ten Kö­nigs Mut­ter böse Küns­te ge­trie­ben ha­ben, und was schlim­mer war als das: Über die Her­kunft der früh ver­stor­be­nen Kö­ni­gin gin­gen al­ler­hand dunkle Gerüch­te um. Ja man­che Leu­te be­haup­te­ten steif und fest, das sie nichts wei­ter ge­we­sen wäre als eine ganz ge­wöhn­li­che Gän­se­magd! Der Hof­mar­schall schau­der­te bei dem blo­ßen Ge­dan­ken, dass der jun­ge Kö­nig die­ses Schloss be­su­chen könn­te.

Der aber rieb sich scha­den­froh die Hän­de. »Nun ge­ra­de!«, sag­te er. Und dann klopf­te er an das Kut­schen­fens­ter und be­fahl dem Kut­scher, schnur­stracks zu die­sem Schlos­se hin­zu­fah­ren. Das mach­te ihm ein­mal ganz be­son­de­ren Spaß.

Der alte Kö­nig emp­fing ihn in höchstei­ge­ner Per­son auf der Trep­pe. »Gro­ße Ehre!«, sag­te er und tät­schel­te dem jun­gen Kö­nig die glat­ten Wan­gen. Auf Eti­ket­te gab er nicht viel.

Er ge­lei­te­te sei­ne bei­den Gäs­te in den Thron­saal und bat sie, Platz zu neh­men; so­dann schick­te er einen klei­nen Pa­gen, der ge­ra­de mit Ab­bürs­ten des Thron­ses­sels be­schäf­tigt war, hin­auf, sei­ne Toch­ter zu ho­len.

»Ich glau­be wohl, dass sie Euch ge­fal­len wird«, sag­te der alte Kö­nig zum jun­gen. Da ging auch schon die Tür auf, und her­ein trat nie­mand an­ders als – die schö­ne En­ten­hü­te­rin sel­ber! Ihr Ge­sicht war wei­ßer als die Mond­strah­len, ihre Au­gen dun­kelblau­er als der Nacht­him­mel und ihre Haa­re gold­gel­ber und wei­cher als der zar­tes­te En­ten­flaum. Sie trug ein hell­far­be­nes Schlepp­ge­wand und schritt leicht wie­gen­den Gan­ges auf den al­ten Kö­nig zu. »Ihr habt be­foh­len, Va­ter«; sprach sie und küss­te des Al­ten Hand.

Der alte Kö­nig strich ihr wohl­ge­fäl­lig über das gold­gel­be Haar. »Hier ist ei­ner, der dich zur Frau ha­ben möch­te«, sag­te er und wies auf den jun­gen Kö­nig, der vor Freu­de und Schreck ab­wech­selnd rot und blass wur­de.

Das Mäd­chen blick­te den jun­gen Kö­nig an, ver­färb­te sich und barg sein Ant­litz in den Hän­den.

»Seid ohne Sor­ge«, sag­te der alte Kö­nig zum jun­gen, »sie ist noch et­was schüch­tern.« Da senk­te die schö­ne En­ten­hü­te­rin den Kopf und ging lang­sam wie­der zur Tür hin­aus; und ihr hell­far­be­nes Ge­wand schlepp­te rau­schend hin­ter­drein.

»Ich sehe, Ihr liebt sie«, sprach der alte Kö­nig zum jun­gen, »und da Ihr ein an­ge­neh­mer jun­ger Mann seid, ge­gen den nichts ein­zu­wen­den ist, will ich sie Euch zur Frau ge­ben.«

Nun wur­de der Hof­kü­chen­meis­ter her­bei­ge­ru­fen und ihm be­foh­len, das Ver­lo­bungs­mahl her­zu­rich­ten. In we­ni­ger als ei­ner Vier­tel­stun­de war die Ta­fel be­reit, und die leckers­ten Bra­ten­ge­rü­che er­füll­ten die Luft. Und sie­he! Kaum hat­te man den letz­ten Stuhl an den Tisch ge­rückt, als sich auch schon die Tü­ren öff­ne­ten und Ka­va­lie­re und Da­men er­schie­nen. Sie mach­ten dem al­ten Kö­nig ihre Re­ve­renz, gra­tu­lier­ten und nah­men in fei­er­li­chem Zuge ihre Plät­ze an der Ta­fel ein.

Und wie­der­um tat sich die Tür auf, und die schö­ne Kö­nigs­toch­ter trat in den Saal. Sie war ganz in wei­ße Sei­de ge­klei­det, aber ihr An­ge­sicht war tau­send­mal wei­ßer als die Sei­de, und in ih­ren Au­gen stan­den Trä­nen. Sie setz­te sich an des jun­gen Kö­nigs Sei­te und sprach kein Wort. Der arme jun­ge Kö­nig wuss­te zu­letzt gar nicht mehr, was er den­ken soll­te.

Als das Mahl zu Ende ging, er­hob sich die schö­ne Kö­nigs­toch­ter und ver­schwand. Der alte Kö­nig schlug sei­nen Gäs­ten zum Nach­tisch ein Wür­fel­spiel vor. Aber der jun­ge Kö­nig dank­te. Er wol­le lie­ber im Gar­ten spa­zie­ren ge­hen, mein­te er. Ihm war nicht nach Wür­fel­spie­len zu­mu­te.

Er schritt die Mar­mor­stu­fen zum Gar­ten hin­un­ter und wan­der­te zwi­schen den Buchs­baum­he­cken auf und nie­der. Rechts und links vom Weg sa­ßen bun­te Pa­pa­gei­en auf sil­ber­nen Stan­gen, die hack­ten mit den Schnä­beln nach ihm und lach­ten ihn aus. Der jun­ge Kö­nig dreh­te den bos­haf­ten Vö­geln den Rücken, ver­ließ den Gar­ten und wan­der­te in den na­hen Wald.

Da war es kühl und still. Die Tan­nen rausch­ten über sei­nem Haupt, und mur­meln­de Wäs­ser­lein si­cker­ten zwi­schen Busch­werk und Far­nen da­hin. Der jun­ge Kö­nig leg­te sich ins Moos, stütz­te den Kopf in die Hän­de und träum­te. Weil er aber trau­rig und müde war, dau­er­te es nicht lan­ge, da war er ein­ge­schla­fen.

Als er wie­der auf­wach­te, stand der Voll­mond am Him­mel und leuch­te­te ihm ins Ge­sicht. Da er­schrak er, denn er merk­te, dass er eine gute Wei­le hier ge­le­gen ha­ben muss­te und dass sie ihn im Schloss wohl ver­misst ha­ben moch­ten. Er stand ei­lig auf, schüt­tel­te Zweig­lein und Moos von sei­nen Klei­dern und trat den Rück­weg an. Weil er aber noch nie zu­vor in die­ser Ge­gend ge­we­sen war, konn­te er den Weg nicht wie­der­fin­den, son­dern ge­riet im­mer tiefer in den Wald hin­ein. End­lich sah er durch die Bäu­me eine Lich­tung schim­mern; er wand sich zwi­schen He­cken und Ge­strüpp hin­durch und ge­lang­te zu ei­nem Wei­her, der in­mit­ten des Wal­des lag und im Mond­schein wie Sil­ber glänz­te.

Wie er nun so am Ufer stand, hör­te er plötz­lich Flü­gel über sich rau­schen. Er hob den Kopf und sah eine Schar wil­der En­ten, die flog ge­ra­de­wegs über ihn hin und mit­ten in den Wei­her hin­ein. Und sie­he! Es dau­er­te nicht lan­ge, da trat aus dem Baum­dickicht die schö­ne En­ten­hü­te­rin her­vor, setz­te sich auf einen Stein an des Wei­hers Rand und ließ die Füße ins Was­ser hän­gen.

»Schnat­ter – Schnat­ter«, sag­ten die wil­den En­ten, schwam­men auf die Prin­zes­sin zu und rie­ben die Schnä­bel an ih­rem Ge­wand.

Die Prin­zes­sin strei­chel­te mit ih­ren wei­ßen Hän­den der wil­den Vö­gel Ge­fie­der. »Ach mei­ne lie­ben En­ten«, sprach sie, »ich bin sehr un­glück­lich!« Und sie seufz­te.

Die En­ten dräng­ten sich dicht an sie her­an. »Was hast du – was hast du?«, frag­ten sie und steck­ten die Köp­fe zu­sam­men.

»Mein Va­ter will, dass ich die Frau des jun­gen Kö­nigs wer­de«; klag­te die Prin­zes­sin. »Aber wie kann ich die Frau des schö­nen jun­gen Kö­nigs wer­den, da ich doch En­ten­fü­ße habe?« Und bei die­sen Wor­ten fing die Prin­zes­sin an bit­ter­lich zu wei­nen.

Die En­ten schlu­gen mit den Flü­geln. »Das ist ge­ra­de das Al­ler­hüb­sche­s­te an dir«, schnat­ter­ten sie und sträub­ten die Fe­dern. Aber die Prin­zes­sin schüt­tel­te trüb­se­lig den Kopf. »Ja, das fin­det ihr«, sag­te sie, »aber wüss­te der jun­ge Kö­nig um mein Ge­bre­chen, er wür­de mich auf der Stel­le ver­sto­ßen.« Bei die­sen Wor­ten er­hob sich die Prin­zes­sin von ih­rem Sitz und wat­schel­te mit rich­ti­gen gel­ben En­ten­fü­ßen ein Stück Wegs am Ufer lang und ge­ra­de auf den Baum zu, hin­ter wel­chem der jun­ge Kö­nig stand.

Der je­doch sprang ge­schwin­de aus sei­nem Ver­steck her­vor und warf sich der er­schro­cke­nen Jung­frau zu Fü­ßen. »Ich habe al­les ge­hört«, sprach er, »und wenn es wei­ter nichts ist, so könnt ihr ru­hig mei­ne Frau wer­den. Denn ich lie­be Euch noch eben­so wie vor­her.«

Da fiel die schö­ne Prin­zes­sin dem jun­gen Kö­nig um den Hals und küss­te ihn mit­ten auf den Mund. »Ich dan­ke dir«, sag­te sie und war sehr glück­lich. Und dann gin­gen sie zu­sam­men zu dem al­ten Kö­nig.

Der alte Kö­nig schmun­zel­te, als er die bei­den so glück­strah­lend mit­ein­an­der da­her­kom­men sah. »Ich dach­te mir wohl, dass sie nicht rei­nen Mund hal­ten könn­te«, sprach er. »Aber weil ihr es nun doch ein­mal wisst, dass sie En­ten­fü­ße hat, so will ich Euch auch er­zäh­len, wie sie dazu ge­kom­men ist.

Die hat sie nie­mand an­ders zu ver­dan­ken als ih­rer leib­haf­ti­gen Groß­mut­ter. Und das ging näm­lich fol­gen­der­ma­ßen zu: Als vor Zei­ten mein al­ter Va­ter starb und die Rei­he an mich kam, mir eine Kö­ni­gin zu neh­men, da wähl­te ich zum Zorn mei­ner Mut­ter ein Mäd­chen, das zwar schön wie der Tag war, aber auf mei­nes Va­ters Meie­rei die En­ten hü­te­te. Mei­ne Mut­ter, die das arme Mäd­chen um sei­nes nie­de­ren Stan­des wil­len hass­te, gab uns die Ver­wün­schung in die Ehe mit, dass un­se­re Kin­der der­einst mit En­ten­fü­ßen zur Welt kom­men und dar­auf her­um­wat­scheln soll­ten.

Die jun­ge Kö­ni­gin starb vor Gram, als sie beim An­blick ih­res ers­ten Kind­leins ge­wahr­te, dass der böse Wunsch in Er­fül­lung ge­gan­gen war. Das Kind­lein je­doch wuchs her­an, ward eine schö­ne Prin­zes­sin und trug von klein auf Schlepp­klei­der, da­mit die bos­haf­ten Men­schen nicht se­hen soll­ten, was dar­un­ter steck­te. Das ist die gan­ze Ge­schich­te. Auf dass Ihr mir je­doch kei­nen Hass ge­gen die ver­stor­be­ne Ur­schwie­ger hegt, will ich Euch mor­gen zu Eu­rem Hoch­zeits­fest ein Ge­schenk aus de­ren Nach­lass ma­chen. So un­schein­bar es aus­sieht, hat es doch sei­nen Wert und wird Euch und Eu­rem Vol­ke von großem Nut­zen sein.«

Als­bald wur­den die Ein­la­dun­gen ver­schickt. »Ver­ge­sst auch nicht den Frosch vom Moor­teich zu bit­ten«, mahn­te der jun­ge Kö­nig sei­ne Braut, »denn, wäre er nicht ge­we­sen, wer weiß, ob ich je Eure Be­kannt­schaft ge­macht hät­te!«

»Seid un­be­sorgt«, ant­wor­te­te sie, »er soll nicht nur ein­ge­la­den wer­den, son­dern auch den Ehren­platz an mei­ner rech­ten Sei­te er­hal­ten.«

Und rich­tig fuhr den an­de­ren Tag die kö­nig­li­che Prunk­ka­ros­se zu­al­ler­erst beim Moor­teich vor, um den Frosch ab­zu­ho­len. »Ei­gent­lich hüpf­te ich ra­scher zu Fuß hin­über«, quak­te der Frosch, »aber der schö­nen En­ten­hü­te­rin zu­lie­be will ich mei­net­we­gen in der Staats­kut­sche Platz neh­men, wenn­gleich ich un­gern auf dem Trock­nen sit­ze.« Und platsch! sprang er quatschnass, wie er war, auf die sam­te­nen Wa­gen­pols­ter.

»Mei­nen bes­ten Glück­wunsch!«, quak­te der Frosch, als der jun­ge Kö­nig ihn am Wa­gen emp­fing. »Du be­kommst eine Prin­zes­sin, die hübsch ist, das Was­ser nicht scheut und schwim­men kann; du hast al­len Grund zu­frie­den zu sein.«

Ja, den hat­te er auch.

Wie nun alle an der Hoch­zeits­ta­fel ver­sam­melt sa­ßen, reich­te der alte Kö­nig dem Bräu­ti­gam ein el­fen­bei­ner­nes Käst­chen über den Tisch hin­über. Der Jun­ge Kö­nig öff­ne­te es und fand dar­in zu sei­nem Er­stau­nen nichts an­de­res als eine ganz ge­wöhn­li­che Horn­bril­le. Neu­gie­rig zog er sie her­aus und setz­te sie auf die Nase.

Him­mel, wel­che Son­der­bar­kei­ten muss­te er da er­bli­cken! Die gan­ze Hoch­zeits­ge­sell­schaft war mit ei­nem Schla­ge ver­än­dert, und zwar durch­aus nicht zu ih­rem Vor­tei­le! Drü­ben bei sei­nem Hof­mar­schall fing es an. Dem bau­mel­te ein Fuchs­schwanz hin­ten zum Rock­schoß her­aus, und in sei­nen Ta­schen steck­ten sämt­li­che Kron­schät­ze des Rei­ches. Des Mar­schalls Nach­ba­rin zur Lin­ken hat­te Kral­len an den zier­li­chen Fin­gern, und der zur rech­ten zün­gel­te eine Schlan­ge aus dem Mun­de. Vie­le von den Ka­va­lie­ren tru­gen Stroh­köp­fe, an­de­re wie­der statt des Men­schen­her­zens ein Ha­sen­herz, einen Mühl­stein oder ein Stück Torf­moor un­ter der Wes­te.

Nur des jun­gen Kö­nigs Braut war un­ver­än­dert ge­blie­ben, und wenn auch ihre gel­ben En­ten­fü­ße durch das At­las­kleid hin­durch­schim­mer­ten, ihr Herz in der Brust war weiß wie Schnee und klar wie Berg­kris­tall.

Da schloss der jun­ge Kö­nig die Prin­zes­sin in sei­ne Arme und freu­te sich sehr, dass sie wei­ter nichts hat­te als En­ten­fü­ße. Sei­nem Hof­mar­schall aber ließ er so­gleich die Ta­schen lee­ren und jag­te ihn aus dem Kö­nig­reich hin­aus. Bloß den Fuchs­schwanz muss­te er ihm las­sen, denn der war fest­ge­wach­sen.

Der Frosch mit dem Edelstein im Kopf

Von Grä­fin Va­les­ka Bethu­sy-Huc

Mit­ten im Wal­de lag eine Wie­se, und in­mit­ten der Wie­se war ein Sumpf mit brau­nen Was­ser­la­chen und al­ten Wei­den­knor­ren am Ran­de. Das war das Reich des Frosch­kö­nigs. In den Mai­en­näch­ten, wenn der Mond wie eine rote Ku­gel über dem Wal­de auf­stieg, hat­ten die Frösche großes Kon­zert. Der Jä­ger­lehr­ling, der vor­über­ging, sag­te: »Das ist ja ein schreck­li­ches Ge­qua­ke!« Er ver­stand es eben nicht bes­ser. Der Frosch­kö­nig wuss­te, dass sei­ne Un­ter­ta­nen sehr gute Sän­ger wa­ren, und dass er so­gar ei­ni­ge Künst­ler ers­ten Ran­ges dar­un­ter hat­te.

Da­rum saß er auch je­den Abend mit der Kö­ni­gin und dem Kron­prin­zen auf dem größ­ten Wei­den­knor­ren und hör­te den Ge­sän­gen der Frösche zu. Und da­bei sa­hen er und die Kö­ni­gin im­mer ab­wech­selnd den Kron­prin­zen an; denn sie war­te­ten dar­auf, dass er et­was sa­gen und sei­ne Mei­nung äu­ßern wür­de. Ein paar Mal mach­te er auch sein großes Maul, das sei­ne Mut­ter wun­der­schön fand, weit auf – aber er sag­te nicht ein­mal: »Quak!« – er gähn­te ganz ein­fach. Und plötz­lich mach­te er einen Satz und sprang ins Was­ser.

»Er ist so ori­gi­nell«, sag­te die Frosch­kö­ni­gin, »er ist an­ders als alle an­de­ren Frösche, er ist durch und durch be­deu­tend.«

»Ja«, er­wi­der­te der Frosch­kö­nig, »und ich den­ke auch dar­an, ihn noch bei mei­nen Leb­zei­ten zu mei­nem Nach­fol­ger zu ma­chen; denn ich bin alt, und das Re­gie­ren macht mir kei­nen Spaß mehr.«

»Das ist ein gu­ter Ge­dan­ke!«, rief die Kö­ni­gin. »Alle Frösche auf der Welt wer­den dich da­für prei­sen; denn je jün­ger ein so be­deu­ten­der Frosch, wie un­ser Sohn, zur Re­gie­rung kommt, umso bes­ser wird es für un­ser Reich und dar­um auch für die gan­ze Welt sein; einen Kö­nig, der einen Edel­stein im Kopf hat, den hat es noch nicht ge­ge­ben.«

Der alte Frosch­kö­nig seufz­te.

»Ja, ich habe kei­nen Edel­stein im Kopf; denn es pas­siert nur alle 500 Jah­re ein­mal, dass ein Frosch einen Edel­stein im Kopf trägt – und da mein Sohn ihn hat, konn­te ich ihn nicht ha­ben. Das ist klar!«

Ei­gent­lich hät­te er sei­ne Frau gern ge­fragt, wo­her sie es denn wis­se, dass der Prinz den Edel­stein hat­te, aber es kam ihm im­mer vor, als ob er sich mit die­ser Fra­ge et­was ver­ge­ben wür­de und des­halb un­ter­ließ er sie. Schon als der Frosch­prinz noch eine Kaul­quap­pe war, hat­te sei­ne Mut­ter ge­sagt, dass er den Edel­stein hät­te, denn es wa­ren ge­ra­de 500 Jah­re her, dass der letz­te Frosch mit ei­nem Edel­stein im Kopf ge­lebt hat­te. Und dann hat­ten es die Mi­nis­ter­frau­en er­fah­ren, die Mi­nis­ter wa­ren zur fei­er­li­chen Gra­tu­la­ti­ons­cour ge­kom­men, und der Kö­nig hat­te ein Volks­fest ge­ge­ben, beim dem es al­len Fröschen im gan­zen Reich ver­kün­det wur­de: »Der Kron­prinz hat einen Edel­stein im Kop­fe!« Und nun wuss­ten es alle, und als der Prinz auf­hör­te, eine Kaul­quap­pe zu sein, er­fuhr er es auch. Er trug den Kopf so hoch, wie ein Frosch den Kopf nur tra­gen kann; es ist auch kei­ne Klei­nig­keit, wenn man das Be­wusst­sein hat, et­was zu be­sit­zen, dass nur alle 500 Jah­re ein­mal ver­lie­hen wird. Aber trotz­dem lang­weil­te der Prinz sich oft ganz ab­scheu­lich, und da­ge­gen kann­te er nur ein Mit­tel; er be­such­te den klei­nen grü­nen Frosch, der auf der an­de­ren Sei­te des Sump­fes wohn­te und der sein Ju­gend­ge­spie­le war. Als er so un­ver­se­hens in das Was­ser ge­sprun­gen war, hat­te er ge­ra­de wie­der Sehn­sucht nach dem klei­nen grü­nen Frosch be­kom­men, und da er sich nie­mals ir­gend einen Zwang an­tat, so war er zu ihm ge­schwom­men. Der grü­ne Frosch war aber nicht zu Hau­se, der Prinz muss­te war­ten, und sei­ne Lau­ne wur­de da­durch noch schlech­ter, als sie oh­ne­dem war.

End­lich kam der grü­ne Frosch.

»Wo treibst du dich her­um?«, schrie der Prinz ihn an, »ich kom­me bei­na­he um vor Lan­ge­wei­le und du hüpfst spa­zie­ren!«

»Wenn du dich lang­weilst, soll­test du ein­mal mit mir ein Stück­chen in die wei­te Welt hin­aus wan­dern«; sag­te der grü­ne Frosch. »Da gibt es al­ler­lei zu se­hen und zu hö­ren …«

»Un­sinn«, quak­te der Prinz, »die wei­te Welt ist nur der Rah­men für un­se­ren Sumpf, und ich kann mei­ne Zeit nicht da­mit ver­lie­ren, dass ich mich mit et­was so Ne­ben­säch­li­chem wie dei­ne ›wei­te Wel­t‹ be­fas­se.«

»O«, mein­te der grü­ne Frosch, »ich habe schon manch­mal ge­dacht, dass un­se­re Ge­fähr­ten sich ir­ren. Vi­el­leicht ist un­ser Sumpf gar nicht der Mit­tel­punkt der Welt und al­les an­de­re nur ›Rah­men‹ da­für.«

Ge­wöhn­lich un­ter­hielt es den Prin­zen, wenn der grü­ne Frosch sol­che Ab­son­der­lich­kei­ten re­de­te, aber heu­te stand ihm die Lau­ne nicht da­nach.

»Schweig still«, schrie er, »du re­dest pu­ren Hoch­ver­rat, und ich müss­te dich ei­gent­lich we­gen ge­mein­ge­fähr­li­cher Ge­dan­ken an­zei­gen. Aber ich will dir noch ein­mal gnä­dig ver­zei­hen, wenn du ver­sprichst, sol­che ver­bo­te­nen Ge­dan­ken nie wie­der zu ha­ben. Wir und un­ser Sumpf, wir sind der Mit­tel­punkt der Welt – punk­tum! Und dann habe ich noch einen an­de­ren Grund zur Un­zu­frie­den­heit: dir leuch­ten die Au­gen so, dass es gräss­lich an­zu­se­hen ist. Das musst du dir ab­ge­wöh­nen.«

Der grü­ne Frosch ver­neig­te sich höf­lich, um an­zu­deu­ten, dass er sein Mög­lichs­tes tun wür­de, und der Prinz fuhr un­zu­frie­den fort: »Ja, du musst dir das ent­schie­den ab­ge­wöh­nen, denn neu­lich hat die jüngs­te Mi­nis­ter­frau ge­sagt, dei­ne Au­gen sei­en so merk­wür­dig, dass man glau­ben könn­te, du hät­test auch einen Edel­stein im Kopf, der durch dei­ne Au­gen her­vor­leuch­te­te. Das muss ich mir aber sehr ernst­lich ver­bit­ten, denn den Edel­stein habe ich, wie du weißt, und er kommt nur ein­mal alle 500 Jah­re vor!«

»Es tut mir leid, dass ich dei­ne Un­zu­frie­den­heit er­regt habe«, sag­te der grü­ne Frosch, »aber die jüngs­te Mi­nis­ter­frau spricht manch­mal mehr, als sie ver­ant­wor­ten kann. Wenn mei­ne Au­gen heut zu glän­zend wa­ren, so kommt es wohl da­her, dass ich eine große Freu­de ge­habt habe!«

»Was?«, quak­te der Prinz, »und das sagst du mir erst jetzt? Ich lang­wei­le mich zum Ster­ben, und du er­lebst eine Freu­de und er­zählst sie mir nicht ein­mal?«

»Du woll­test von der wei­ten Welt nichts hö­ren, und die Freu­de hat­te ich doch da drau­ßen!«

»Nun er­zäh­le end­lich, was hast du er­lebt?«

Und der grü­ne Frosch er­zähl­te:

»Auf der an­de­ren Sei­te des Wal­des ste­hen Bü­sche von wil­den Ro­sen mit vie­len lich­ten rosa Blü­ten. Dort wohnt eine Prin­zes­sin, die ist nicht viel grö­ßer als wir und trägt ein ein­fa­ches, brau­nes Kleid. Aber sie hat Flü­gel, sie fliegt von ei­nem Ro­sen­busch zum an­de­ren und hoch hin­auf, wohl bald bis in den Him­mel. Das schöns­te aber an ihr ist, dass sie sin­gen kann« –

»Das kann ich auch, wenn ich will«, rief der Frosch­prinz, aber der grü­ne Frosch er­zähl­te wei­ter:

»Sie singt so wun­der­sam, wie ich es nie vor­her ge­hört habe. Das Herz wird ei­nem weit und froh da­bei. Und als sie auf­hör­te, da habe ich sie ge­be­ten: ›Sin­ge noch ein­mal!‹ Da hat sie mir zu­ge­nickt und hat wei­ter ge­sun­gen. Ja, das hat sie ge­tan, und das hat mich glück­lich ge­macht, denn das zwei­te Mal hat sie nur für mich ge­sun­gen!«