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Die Buschbriefe erzählen von der Feldforschung an Bärenpavianen im Okavango-Delta in Botswana, vom Leben im Camp, von Löwen, Schlangen und Elefanten, festgefahrenen Autos und bürokratischem Hindernislauf, vom Zauber der sich wandelnden Jahreszeiten und von den vielfältigen Begegnungen mit den Leuten vor Ort.
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für Franz
Prolog
Der erste Buschbrief
Buschbrief 2
Buschbrief 3
Buschbrief 4
Buschbrief 5
Buschbrief 6
Buschbrief 7
Buschbrief 8
Buschbrief 9
Buschbrief 10
Buschbrief 11
Buschbrief 12
Buschbrief 13
Buschbrief 14
Buschbrief 15
Buschbrief 16
Buschbrief 17
Buschbrief 18
Buschbrief 19
Buschbrief 20
Buschbrief 21
Buschbrief 22
Buschbrief 23
Buschbrief 24
Buschbrief 25 – der letzte Brief
Epilog – 2025
Mai 1997
Ich sitze am Rechner und checke meine Emails. Knapp ein Jahr zuvor hatte ich meine Doktorarbeit abgeschlossen, und nun befand ich mich auf der Suche nach einer wissenschaftlichen Zukunft. Bislang waren alle Versuche, eine Stelle zu ergattern, ins Wasser gefallen. Nun aber eine Nachricht von Dorothy Cheney und Robert Seyfarth von der University of Pennsylvania in Philadelphia. Wie es der Zufall wollte, waren die beiden gerade auf der Suche nach jemandem, der ihre Forschungsstation in Botswana für anderthalb Jahre übernehmen könnte.
„Das Camp liegt etwa fünfzig Kilometer nordwestlich von Maun am Boro-Fluss, innerhalb des Moremi Naturschutzgebietes“, schrieb Dorothy. „Es gibt eine große Küche, die mit Gasherd und gasbetriebenem Kühl- und Eisschrank ausgestattet ist, eine Vorratshütte, eine Dusche mit fließend warmem und kaltem Wasser und drei große möblierte Armeezelte. Es gibt auch eine Solaranlage, so dass man einen Computer betreiben kann und abends Licht zum Lesen hat. Das Wasser wird aus einem Bohrloch am Fluss in einen Tank gepumpt, der in einem Baum aufgehängt ist. Wir haben auch einen alten Toyota Pickup, inzwischen fünf Jahre alt, und ein kleines Motorboot. Die nächste menschliche Ansiedlung ist Xaxaba, mit dem Motorboot 15 Minuten flussabwärts gelegen. Eine sehr luxuriöses Touristencamp mit Landebahn, daneben ein Dorf. Dort wohnen Mokupi und Mpitsang, die für uns als Forschungsassistent bzw. „Campmanager“ arbeiten.
Nun zu den negativen Aspekten: Das Camp liegt wirklich ganz isoliert, und wir haben erhebliche Bedenken, dass irgend jemand dort alleine lebt. Abgesehen von der Einsamkeit gibt es folgende Probleme: Falls Du einen Unfall hättest, gäbe es niemand, der Hilfe holen könnte. Unsere Mitarbeiter gehen normalerweise gegen 14:00 nach Hause, und am Sonntag arbeiten sie gar nicht. Daher ist dies kein triviales Problem. Zweitens ist es wegen der vielen wilden Tiere eine ziemlich gefährliche Gegend.
Außer Löwen, die eine ernstzunehmende Gefahr darstellen, gibt es Elefanten, Büffel, Flusspferde, Schlangen und andere Tiere, die Menschen nicht gerade freundlich gesonnen sind. Auch wenn bislang niemand verletzt oder gar getötet worden ist, so gab es doch ein paar haarige Momente. Aus diesem Grund erlauben wir es niemandem, alleine ins Feld zu gehen. Da unser Feldassistent, wie erwähnt, jeden Tag um zwei Uhr verschwindet (wenn er überhaupt auftaucht), würde dies Deine Zeit zum Forschen erheblich einschränken. Falls Du also ins Baboon Camp kommen solltest, solltest Du dich unbedingt um jemanden bemühen, der Dich dort begleitet. Wir könnten Dir noch viel mehr schreiben, aber vielleicht ist es erst einmal das Beste, wenn Du dir überlegst, ob Du es Dir überhaupt vorstellen kannst, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Wir können nur sagen, dass wir jede Minute unserer Zeit in Botswana geliebt haben, ganz besonders, da es sich um einen außergewöhnlich schönen Ort handelt, weit ab vom täglichen Chaos von Telefonanrufen, Faxen, Emails und wichtigen Besprechungen, die unser Leben in Philadelphia so sauer machen. Wir freuen uns darauf, von Dir zu hören, herzlichst, Dorothy und Robert.“1
1 Dank an Annelies Piening, die sich wünschte, noch einmal alle Buschbriefe zu lesen. Sie gab mir den nötigen Impuls, die Briefe in diesem Band zusammenzustellen. Ich habe den Text an einigen Stellen überarbeitet und die Rechtschreibung angepasst.
19. Dezember 1997
Das Papier, auf dem ich schreibe, ist sehr wellig2. Es lag ganz unten in einer meiner zahllosen Taschen und ist ein bisschen nass geworden. Inzwischen ist es aber knochentrocken, so wie alles um mich herum. Die schöne Lagune vor der Haustür, die ich im September noch bewundern konnte, ist nur noch ein trüber Tümpel, der uns aber ein spektakuläres Tierleben beschert: Gestern kam zum ersten Mal, seit dem Robert und Dorothy hier sind, eine Elefanten-Mutterkuh- und Kälberherde vorbei. Sie waren ziemlich nervös und haben sich erst nicht vorbei getraut, aber dann war die Verlockung, ans Wasser zu kommen, doch zu groß. Drei Kälber von etwa 4-6 Monaten waren dabei, ein Halbwüchsiger und fünf Mütter.
Die letzten Tage war ich ziemlich am Hadern, ob das so eine gute Idee war, hierher zu gehen, aber als ich die Elefantengruppe sah, waren meine Zweifel zerstreut. Kurze Zeit später kamen noch zwei Hyänen vorbei mit einer frisch gerissenen Antilope im Maul, und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich verstanden, warum es hyänenhaftes Gelächter heißt. Zu guter Letzt ließen sich noch zwei Fischeulen neben unserem Abendessentisch nieder.
Fünf Tage ist es jetzt her, dass mich Markus, Jenny und Annette zum Flieger gebracht haben. Als ich in der Schlange zur Passkontrolle stand, habe ich die drei weggeschickt. Mir war mulmig zumute, und richtig daran denken darf ich auch nicht, sonst bekomme ich sofort wieder einen Kloß im Hals. Jedenfalls wurde es nach ihrem Abschied erst richtig dramatisch. Die Sicherheitskontrolle wollte mich nicht mit dem elend schweren Lautsprecher von Robert und Dorothy, den ich im Handgepäck hatte, ins Flugzeug lassen. Also zur Sprengstoffkontrolle, bei der ich schon zuvor mit einer meiner Taschen war. Diesmal gab es einen verdächtigen Ausschlag im Massenspektrometer. Bis zum geplanten Abflug waren es da noch ganze fünfzehn Minuten. Der ganze Test musste also wiederholt werden: Eine neue Sonde, neu das Gerät abwischen, neu in den Computer etc. Diesmal war alles klar. Noch zehn Minuten bis zum Abflug und ich wurde langsam nervös. Ich mag es ja sowieso nicht besonders gern, zu spät zu kommen. Insbesondere dann nicht, wenn ein Flug nach Johannesburg daran hängt und lauter Leute, die in Maun auf einen warten. Das Sicherheitspersonal entschloss sich zu meinem Entsetzen, einen weiteren Test durchzuführen. Schließlich gaben sie mir grünes Licht, ich schnappte mir das Gerät und rannte inzwischen unter Tränen wie eine gesengte Sau zum Flugsteig. Leider habe ich dabei mein Begleitpersonal abgehängt, was unzulässig war, und so wollten sie mich wieder nicht durch die Sperre lassen. Schließlich kam aber doch mein Begleitschutz angetrabt und winkte mich durch, und so durfte ich völlig entnervt in den Flieger steigen.
Der Rest der Reise verlief ohne weitere Zwischenfälle, außer dass die üblichen zwei Dutzend schreienden Kinder an Bord waren, aber das wurde vom Schnarchen meines Sitznachbarn übertönt. Kurz vor der Landung in Maun bekam ich die interessante Information, dass dort zurzeit Temperaturen von etwa 55 Grad Celsius herrschten und dass Maun letztes Wochenende mit 58 Grad der heißeste Ort auf diesem Planeten gewesen sei. Es war aber nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Bei der Passkontrolle bekam ich zwei Tage Aufenthaltsgenehmigung, das hieß, Robert und ich mussten direkt in den Einwanderungsprozess starten. Diesen und den nächsten Tag haben wie fast ausschließlich damit verbracht, zwischen diesen beiden kleinen Amtsstuben hinund herzupendeln, endlos auf zahlreiche Stempel zu warten, einen Arzttermin zu verabreden, um mir bescheinigen zu lassen, ich sei „(a) not an idiot, (b) not an imbecile, (c) not an alcoholic“, und dass ich „(d) not a pathological feeling of inferiority“ hätte. Durch eine einfache Blutdruckuntersuchung konnten alle diese Möglichkeiten sofort ausgeschlossen werden. Inzwischen ist es zwanzig nach acht abends, Zeit ins Bett zu gehen. Ich sitze jetzt im ‘Gästezelt’, draußen funkeln die Sterne und es ist ausnahmsweise windstill. Ganz in der Ferne ein Gewitter.
Am Dienstag um 16:05, also kurz nach Büroschluss, hielt ich endlich das ersehnte Dokument in der Hand, den sogenannten ‘waiver’, dem zu entnehmen ist, dass ich bis zum 15. Juni 1998 eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung erhalte, bis über meine richtige Aufenthaltsgenehmigung entschieden wird. Nach allen bisherigen Erfahrungen aber wird diese Entscheidung frühestens nach meiner endgültigen Abreise aus Botswana fallen, so dass ich also ab und an meine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung verlängern muss. Es ist immer noch 30 Grad, aber immerhin hat es sich nachts noch auf 18 Grad abgekühlt. Solche Zahlen spielen jetzt eine wichtige Rolle für mich.
Mittwoch haben wir die große Einkaufstour gemacht und alle möglichen Vorräte aufgefüllt. Über Weihnachten werden die Longdens erwartet, das ist die Familie, bei der wir in Maun untergebracht waren. Über die Longdens allein könnte ich Seiten schreiben. Die Familie besteht aus Tim und Bryony, ihren Kindern Maxim (12), Pia (10) und Blyth (21 Monate), sowie Rose, ausgesprochen ‘Rohz’, kurz für Rosemund. Rose ist eine britische Lady mit steifer Oberlippe, sehr distinguiert, die sich mehrfach über die Tischsitten der Mädels beklagte. Mich behandelt sie, als gehörte ich zum Dienstpersonal, dem nun – die Sitten verfallen – auch schon erlaubt wird, mit am Tisch zu essen. Ihre Strenge wird durch ihren Witz aber mehr als wettgemacht.
Tim ist ein alter Haudegen, 57, und kommt eigentlich aus Simbabwe, das damals noch Rhodesien hieß. Vor mehr als zwanzig Jahren ließ er sich in Botswana nieder und nahm auch die Staatsbürgerschaft an. Nachdem er bereits mehrere Unternehmen gegründet und wieder verkauft hatte, kam er auf die Idee, Strauße zu züchten. Er hat inzwischen eine riesige Straußenfarm mit über 300 Vögeln, die alle paarweise gehalten werden. Viele der Tiere sind auf ihn geprägt und die Männchen fangen an, ihn anzubalzen, wenn sie ihn sehen. Dabei hocken sie sich auf ihren Bürzel, werfen ihren Kopf hin und her und schütteln ihre Federn. Sie tanzen für ihn. Sehr beeindruckend sind diese Tiere mit ihren großen dunklen Augen mit den langen Wimpern. Und neugierig sind sie auch.
Tim müht seit zehn Jahren mit dieser Farm herum, da er sich bisher nicht entschließen konnte, sich den bürokratischen Regeln zu unterwerfen, die eine europäische Expertenkommission zusammen mit einer Abordnung örtlicher Amtsschimmel ausgeheckt hat. Bryony ist etwa zwanzig Jahre jünger als Tim, eine liebenswerte Frau mit strahlend grünen Augen, die völlig gelassen durch das tägliche Chaos auf der Farm steuert. Dabei hat das Schicksal es nicht immer gut mit ihnen gemeint. Ihr Sohn Blyth wurde mit zwei schweren Klumpfüßen geboren und musste an beiden Beinen operiert werden. Ihr erstes Kind, Rupert, war im Alter von drei Jahren ertrunken. Sie gehen sehr offen damit um und stellen klar, dass Rupert immer noch zur Familie gehört.
Auf der Farm leben ferner zwei Hunde, Flumm, ein Jack Russell, und Thermo, ein großer, ziemlich hässlicher Hund, der mir sehr gut gefällt. Dazu fünf Pferde: ein ausrangiertes Rennpferd, ein Pinto und drei Batswana-Pferde, die klein, drahtig und trittsicher sind. Alles ist irgendwie dreckig, und gleichzeitig irre gemütlich und gastfreundlich. Glücklicherweise haben mich die Longdens gleich eingeladen, bei unseren nächsten Trips nach Maun bei ihnen zu wohnen.
Donnerstag früh haben wir unsere Sachen ins Auto geladen und uns auf den Weg ins Delta gemacht. Da alles so trocken ist, konnten wir die kurze Route wählen, die am Camp selbst durch den Fluss führt. Ein kleines Bächlein ist noch übrig von diesem schnittigen Flüsschen, auf dem wir im September noch mit dem Motorboot entlang gebraust sind. Dieses liegt jetzt kopfüber neben dem Ponton mit der Wasserpumpe. Es wird dringend Zeit, dass die Regenfälle einsetzen. Ein gutes Jahr bringt 500 mm, ein durchschnittliches 300 mm Regen, und dieses Jahr waren es erst 125 mm. Im schlimmsten Fall kann ich hier gleich wieder meine Sachen packen, weil wir trockenfallen.
2 NB: da wir viele Leute im Camp waren und nur wenig Strom hatten, schreib ich den ersten Brief noch auf Papier; die späteren elektronisch. Ob ich den ersten Brief gefaxt oder später abgetippt und dann per Mail geschickt habe, weiß ich nicht mehr. In jedem Fall lief die Kommunikation über Ensign, eine Agentur in Maun, die die Briefe an designierte Empfänger schickte, die sie dann weiter verteilten.
25. Dezember 1997
Heute will ich von unserem angelsächsischen Weihnachten erzählen. Christmas Eve, also Heiligabend, ist ja nur das Präludium. Es gibt zwar auch schon einen riesigen Berg zu essen, aber noch keine Bescherung. Wie hatten eine große Tafel hier draußen, es gab gekochten und anschließend gegrillten Schinken und Kürbis und alles mögliche andere, sowie Kuchen und von mir beigesteuertes Zimt-Parfait. Dazu etliche Flaschen leckeren südafrikanischen Sektes, meine Weihnachtsgabe für die Erwachsenen. Der Weihnachtsbaum besteht aus einem silbern angesprühten kahlen Ast. Als Christbaumbrettl dient ein silbern angemalter Büffelschädel. Das Ganze ist dekoriert mit ‘gläsernen’ Kugeln aus Plastik, Lametta, einem hölzernen Zebra und Elefanten, kleinen bunten Vögeln und vielem mehr. Zusätzlich gibt es einen kunstvoll geschmückten Mangostanbaum, an dem gestern nach dem Abendessen die Strümpfe aufgehängt wurden. Heute Morgen wurde ein riesiger Berg Geschenke unter dem Weihnachtsbaum drapiert. Die Strümpfe wurden mit Schnickschnack vollgestopft. Erst durfte jeder gucken, was ‘Santa’ in die Strümpfe getan hatte, dann gab es Frühstück und schließlich ging es an die Geschenke.
Pia wählte als erste ein Geschenk, übergab es Maxime, die es unter den bewundernden Rufen aller auspackte und bestaunte. Danach war sie an der Reihe, für Keena ein Geschenk auszusuchen. So verbrachten wir den ganzen Vormittag – dabei waren wir nur sechs Kinder und fünf Erwachsene. Ich habe versucht auszurechnen, wie lange diese Prozedur beim Weihnachtsfest in Zeiering dauern würde und kam zu dem Schluss, es wäre einfach viel zu lang. Robert fand in seinem Strumpf einen Stift Vitamin-E Lippenbalsam und als es ans Auspacken der richtigen Geschenke ging und Pia eine große Schachtel überreicht bekam, bemerkte Robert ganz trocken, „Hey, schaut mal, Pia bekommt eine Kiste mit 4000 Stiften Vitamin-E Lippenbalsam“. Und so ging es mit ziemlich viel Gelächter durch die ganze Prozedur.
Ich habe von den Seyfarths ein wunderbares Vogelbuch bekommen, den Roberts’, einen echten Klassiker, und von den Kindern selbst gebastelten Schmuck. Jennys Geschenk hat mich zu Tränen gerührt: ein ‘Little Pocket Berlin’, also ein Miniaturfotoalbum mit Bildern meiner Berliner Heimat, also Morena Bar, Liegnitzer Straße, Landwehrkanal usw. Ich habe mich sehr gefreut. Und es war auch schön, noch mal die Ohrringe auspacken zu können, die ich von Bruni bekam, und das Buch von Papa.
Es ist unvorstellbar heiß, die Küche erscheint einem mit 34 Grad als angenehm kühl. Es gilt aber die Regel, dass sich niemand über die Hitze beschweren darf. Wer dennoch klagt, muss Geld in einen Topf tun und davon gehen wir später alle essen. Inzwischen fallen ein paar Regentropfen, die in etwas größerer Anzahl wohl für alle das schönste Weihnachtsgeschenk wären. Heute Abend gibt es nach der Queen’s Speech den obligaten Truthahn und danach werde ich mit Tim darauf anstoßen, dass hier alles gut geht.
26. Dezember 1997
Was dieses Weihnachten aber wirklich ganz anders als Euer Weihnachten gemacht hat, waren die ganzen Tiere, die wir gesehen haben. Am 24. abends sahen wir drei Löwen, die auf der anderen Seite der inzwischen trocken gefallenen Lagune Gnus jagten. Herrliche Tiere, zwei davon mit schwarzer Mähne. Wir fuhren in Tims ‘Fun Car’, einem offenen Land Rover. Leider verschwanden die Löwen im Ried. Zum Weihnachtsfrühstück tauchte ein Rudel Wildhunde mehr oder weniger vor der Haustür auf. 14 Stück, offensichtlich satt. Sie spielten und ruhten, ganz gelassen.
27. Dezember 1997
Es ist einfach immer zu viel los – jetzt ist das erste Auto mit den Longdens und den Kindern losgefahren. Robert und Dorothy packen die letzten Sachen und dann machen auch wir uns auf den Weg nach Maun. Morgen fliegen sie zurück in die USA und Kurt kommt hoffentlich an. Die Affen toben mal wieder durchs Camp, was einerseits ganz lustig, andererseits aber auch sehr anstrengend ist, da sie alles vollkacken und auf den Zelten rumspringen. Ich bin sehr gespannt, wie die nächsten Wochen und Monate werden. Zwischendurch bin ich ganz begeistert von dieser Welt, dann wieder habe ich das tiefe Gefühl, das ich nicht hierhergehöre. Vielleicht ist es auch nur so, dass ich zu allem, was ich mache, eine skeptische Distanz habe. Romantisch finde ich die Sachen immer nur in der Theorie.
Abbildung 1. Lage des Baboon Camps im Okavango-Delta.
2. Januar 1998
Ich sitze im Zelt an meinem kleinen Rechner, es ist leicht bewölkt und eine Brise streicht durchs Zelt, so dass man es gut aushalten kann. Kurt und ich hatten eine sehr abenteuerliche Fahrt hierher, aber der Reihe nach. Kurt kam also am Sonntag mit dem gleichen Flugzeug an, das später die Seyfarths mitnahm. Leider fehlte seine Tasche, die vermutlich in Johannesburg stehen geblieben war. Den Montag haben wir mit umfangreichen Einkäufen verbracht, wobei wir nicht mal alles geschafft haben, was auf der Liste stand. Leider hieß es auch am Montag, dass seine Tasche immer noch nicht aufgetaucht sei. Wir sollten am Nachmittag noch mal vorbeikommen, wobei zu bemerken ist, dass sowieso nur ein Flugzeug pro Tag aus Johannesburg ankommt. Nachmittags fanden wir die Tasche überraschenderweise im Büro der Fluggesellschaft, sie hatten sie einfach übersehen, obwohl sie das Ausmaß einer mittleren Schrankwand hat.
In der Nacht von Montag auf Dienstag gingen sturzbachartige Regenfälle den Himmel runter, und zwar die ganze Nacht. Ich habe mir fürchterliche Sorgen gemacht, wie wir wohl die Strecke ins Camp bewältigen sollten, aber alle meinten, es sei kein Problem. Es gibt zwei mögliche Routen von Maun ins Camp, eine auf der anderen Seite des Flusses, wobei man den Fluss erst hier durchfährt. Das ist nur bei Niedrigwasser möglich. Diese Route ist etwa 20 km kürzer als die andere, bei der man den Fluss in Maun überquert. Letztere ist die hochwassersichere Route, nur leider kenne ich sie noch nicht. Also blieb uns gar nichts anderes übrig, als hier durch den Fluss zu fahren.
Wir haben Dienstag früh mit weiteren Einkäufen verbracht und sind schließlich aufgebrochen. Der erste Teil der Strecke führte uns vor allem durch gigantische Pfützen. Das Auto war voll beladen bis oben hin, und alle, die mich kennen, wissen, dass meine größte Sorge schon immer war und ist, ob wir wohl genügend zu essen haben werde. Dementsprechend vollgepackt war das Auto. Man kann ja nie wissen ... Zuerst ist Kurt gefahren, dann haben ich das Steuer übernommen. Schließlich kamen wir an einer wichtigen Landmarke vorbei, einem großen Baobab, und wollten den Kilometerstand notieren; kurzum, ich habe einmal nicht richtig auf die Strecke geachtet, und schon war ich von der Piste abgekommen und wir saßen im Schlick fest.
Es gibt hier im Wesentlichen zwei Sorten von Boden: weißen Sand und schwarzen tückischen Schlick, vor dem ich schon mehrfach gewarnt worden war. Zu Recht. Eine zähe schlammige Masse. Also musste der große Wagenheber aktiviert werden. Zu allem Überfluss fing es genau in diesem Moment wieder an zu regnen, und dann auch noch zu Gewittern. Da wir auf freier Fläche standen, waren wir also nicht besonders motiviert, mit diesem eisernen Wagenheber herumzuhantieren. Wir saßen also erst mal im Auto und guckten zu, wie der Wagen immer tiefer im Schlick versank. Leider stellten wir fest, dass der Spaten, der eigentlich ins Auto gehört, nicht dabei war. Wir mussten also mit Stemmeisen und bloßen Händen versuchen, den Wagen wieder auszugraben. Der Wagenheber funktionierte auch nur bedingt. Man konnte den Wagen zwar hochstemmen, aber es war fast unmöglich, ihn wieder runter zu lassen. Nur mit Geduld und Spucke bekamen wir dieses Ding in den Griff. Nach zwei Stunden hatten wir den Wagen aus dem größten Schmodder raus.
Natürlich hatten wir inzwischen auch fast den gesamten Einkauf aus dem Wagen rausgenommen, und der wurde zwischenzeitlich völlig vollgeregnet. Allerdings war der Schlick viel zäher und ekelhafter, als wir dachten. Es dauerte also noch mal eine ganze Stunde, bis wir den Wagen schließlich ganz frei hatten. Wir sahen aus wie die Erdferkel, nass und vollgeschlammt, die Füße bis zu den Knöcheln immer wieder im Morast versinkend. Meistens musste ich eher lachen, aber zwischenzeitlich fand ich die Situation auch gar nicht so lustig. Immerhin haben wir uns beide ziemlich zusammengenommen. Wir mussten uns eine andere Strecke suchen, aber es war klar, dass wir es an diesem Tag nicht mehr bis ins Camp schaffen würden. Bei Dämmerung hielten wir an, räumten unser Gepäck hinten in den Stauraum, holten dafür ein paar Dosen Bier nach vorne und richteten uns auf eine enge Nacht im Auto ein. Bryony hatte uns schon gewarnt, dass dies vermutlich die Nacht sei, in der die Termiten ihren Hochzeitsflug machen, wir sollten also vorsichtig mit dem Licht sein.
6. Januar 1998
Ich habe eben Ensign angefunkt, die Agentur, die in Maun die Leute im Busch betreut und Postangelegenheiten und kleine Einkäufe erledigt. Meine Post, die sich inzwischen bei ihnen angesammelt hat, wird morgen in ein Flugzeug gesteckt und ins übernächste Camp geschafft, wo ich sie hoffentlich in Empfang nehmen kann. Seitdem wir hier angekommen sind, hat es jeden Tag geregnet. Ganz anders als in den ersten zwei Wochen ist alles feucht und auch ein bisschen klamm; es will nicht so richtig warm werden. Jeden Tag um die Mittagszeit gehen gewaltige Regenschauer runter, und nachts regnet es auch des Öfteren. Das soll jetzt die nächsten zwei Monate so bleiben. Robert und Dorothy hatten mir die Regenzeit allerdings etwas anders geschildert. Insgesamt geht es uns gut.
Mokupi ist inzwischen auch wieder aufgetaucht, ich fürchtete schon, dass er für die nächsten paar Wochen krank ist. Das Kennenlernen der Tiere geht nach wie vor nur mühsam voran. Gestern waren Kurt und ich alleine unterwegs. Das GPS hatten wir im Camp gelassen, da wir und noch nicht so recht mit seiner Funktionsweise vertraut gemacht hatten. Wir haben bald die Tiere gefunden und sind ihnen hinterher gestiefelt, und nach ein paar Wendungen und Richtungswechseln wusste ich überhaupt nicht mehr, wo wir eigentlich waren. Ich hatte zwar eine Ahnung, aber das war ganz woanders als ich dachte, wo wir hätten sein müssen. In solchen Augenblicken wird einem besonders klar, wie gleich hier alles aussieht. Dazu kommt, dass das Land absolut flach ist und es überhaupt keine Landmarken am Horizont gibt, an denen man sich orientieren könnte. Die Sonne fiel auch mehr oder weniger weg, da sie durch eine ziemlich dichte Wolkendecke verhüllt war. Ich muss sagen, dass wir schließlich beide ziemlich nervös wurden, wobei wir auch die Affen wieder verloren, die normalerweise am Nachmittag in der Nähe des Camps aufkreuzen. Glücklicherweise kam tatsächlich ein Auto mit den Park Rangern vorbei, und wir konnten ganz normal nach dem Weg fragen. Wir waren keine viertel Stunde vom Camp entfernt.
Nachmittags haben wir eine kleine Trainingsstunde mit dem GPS eingelegt und es funktioniert ganz hervorragend. Man bekommt genau die Richtung angezeigt, in die man gehen muss, wenn man zum Beispiel ‘nach Hause’ will. Und jetzt, da auch Mokupi wieder aufgekreuzt ist, ist die Orientierung sowieso kein Problem mehr.
Nun aber zurück zur Nacht der Termiten. Später in der Nacht kam noch mal ein Auto vorbei mit Leuten, die sich hier offensichtlich sehr gut auskennen. Sie hielten an und boten uns an, uns nach Xaxaba zu begleiten, was wir aber angesichts ihres abenteuerlichen Fahrstils lieber ablehnten. Durch den Lichtkegel des Scheinwerfers wurden Myriaden von geflügelten Termiten angelockt, sie waren wirklich überall. Am nächsten Morgen lagen überall ihre Flügel herum. Wir sind in aller Frühe losgefahren. Kurt hatte den Bogen raus: Wenn es sehr schlickig wurde, hat er fürchterlich viel Gas gegeben und so sind wir über die schlimmsten Stellen mehr oder weniger hinweggerutscht. Wie waren sehr erleichtert, als wir hier ankamen. Zu Sylvester haben wir uns einen steifen Gin Tonic gemischt, eine Flasche Sekt geöffnet und sind um zehn ins Bett gegangen. Prost Neujahr!
Inzwischen haben wir hier langsam eine kleine Tagesroutine entwickelt. Wasserpumpe laufen lassen, den Schuppen abends zumachen und die große blaue Kiste verschließen, nach Maun funken, Malariapillen einwerfen etc. etc. Das meiste können wir inzwischen. Auch den Kühlschrank haben wir wieder in Fahrt gebracht. Jetzt muss ich mich noch mal hinsetzen und die Verwandtschaftsbeziehungen der Affen lernen. Und dann muss man schon wieder darüber nachdenken, was es heute Abend zu essen geben soll. Abends haben wir schon viel darüber geredet, was es für und gegen solch ein Leben hat. Das Problem ist tatsächlich, dass ich doch gerne mit vielen Menschen zusammen bin. Ich nehme es also als Erfahrung auf, aber ich weiß, dass es keine wirkliche Option für mich ist. Anders als Robert und Dorothy bin ich mir nicht selbst genug, sondern hänge viel zu sehr an meinen Freunden und Freundinnen, meiner lieben Familie.
13. Januar 1998
Kurt und ich sitzen auf der wunderbaren Terrasse, vor unseren Augen erstreckt sich die atemberaubende afrikanische Landschaft, alles ist noch ganz grün und üppig von den letzten Regenfällen, und auch heute scheint sich wieder ein gewaltiges Gewitter zusammenzubrauen. Und was machen wir? Wir sitzen an unseren Rechnern und hacken Computerprogramme und Briefe an die Lieben in dieselben ... Das ist ein Kontrastprogramm zum gestrigen Tag, an dem die Wildnis uns ein ganzes Stück nähergekommen ist. Vorweg muss ich sagen, dass das Heimweh nicht nur mit kalter Hand mein Herz umfasst hatte, sondern mir offensichtlich auch etwas die Sicht auf diese wundervolle Welt hier versperrt hat. Vor ein paar Tagen habe ich mich hier unter den Bäumen in die Hängematte gelegt und gespürt, wie sehr die Spannung der ersten Wochen nachgelassen hat. Außerdem hat sich inzwischen herausgestellt, dass wir die Camproutine ganz gut im Griff haben, bis auf ein paar Ausnahmen mal abgesehen, aber davon später mehr.
Die letzten 48 Stunden haben uns noch einmal sehr klar gemacht, dass es hier nicht nur sehr, sehr schön ist, sondern wir uns tatsächlich mitten in der Wildnis befinden. Vorgestern Abend saßen wir beim Abendessen, schon im Dunkeln, auf der Terrasse, als wir ganz in der Nähe ein tiefes Grollen oder Rumpeln hörten. Da wir die Nächte zuvor schon mehrmals Löwen gehört hatten, nahmen wir an, dieselben hätten sich jetzt eben hierher begeben. Wir zogen es daraufhin vor, in der Küche zu speisen. Kurze Zeit später hörten wir ein gewaltiges Planschen und Spritzen von Wasser, und augenblicklich wurde klar, dass dies nur Elefanten seien konnten. Und zwar eine ganze Menge! Ein Familienclan zog vorüber, voran die alte Leitkuh, und dahinter kleinste Elefantenkälber und andere Weiber. Wir konnten das alles im Mondlicht verfolgen. Sie hatten es offenbar sehr eilig, denn sie beeilten sich, möglichst schnell hier vorbei zu kommen, und zogen zügig weiter. Später kamen noch vier Nachzüglerinnen.
Gestern hatte ich eine unheimliche Begegnung mit einer Schlange. Ich wollte gerade gemütlich auf dem ‘cho’, unserer phantastisch funktionierenden Latrine, Platz nehmen, als ich plötzlich merkte, dass sich mit mir in dem kleinen, aber glücklicherweise nicht zu kleinen Häuschen eine Schlange befand. Mit einem Riesensatz und einem Schrei war ich wieder draußen. Man soll sich ja im Allgemeinen sowohl bei Schlangen als auch bei Löwen nicht schreckhaft verhalten, sondern am besten stehen bleiben. Aber das ist leichter gesagt als getan. Jedenfalls kam Kurt angelaufen und wir haben versucht, die Schlange zu bestimmen. Vom Muster sah sie aus wie eine Speikobra.
Ich gucke jetzt jedenfalls immer ganz argwöhnisch, wenn ich aufs Klo gehe. Dabei war ich auch vorher schon recht vorsichtig, und meistens muss ich an Marc Hauser denken, wenn ich das ‘cho’ betrete, denn er erzählte mir, wie er einmal in Amboseli in den frühen Morgenstunden ganz verschlafen auf die Latrine wankte, und als er seine Hosen schon heruntergelassen hatte, bemerkte, dass es sich ein Löwe in der Latrine gemütlich gemacht hatte und dort selig schlief. Die Schlange hatte wahrscheinlich mehr Schiss als ich, und endlich gelang es ihr auch, durch die Wand aus Riedgras einen Ausweg zu finden. Nicht viel später, am Nachmittag, saß ich mal wieder hier in der Küche (ich bin inzwischen auch umgezogen, da die Sonne allzu sehr auf den Rechner brannte), und nahm etwas weiter hinten in der Lagune ein blond goldenes Tier wahr. Da ich schon hundertmal gedacht habe: da ist ein Löwe! und es sich doch nur um eine Letschwe-Antilope oder einen Riedbock handelte, dachte ich, dass ich jetzt mal wieder eine Letschwe-Antilope für einen Löwen hielt. Es war aber doch ein Löwe.
Wir hatten am Morgen schon seine riesigen Tatzenabdrücke hinter dem Camp gesehen, und die Affen in der Nacht Alarmrufen hören. Es war ein männliches Tier, fast schon erwachsen, aber noch jung, seine Mähne war nur im Ansatz entwickelt. Anders als die fast schwarz wirkenden Löwen, die wir an Weihnachten sahen, war er sehr hell, fast weißblond. Er lag da in der Nähe des Tümpels vollgefressen in der Sonne. Ich rief schnell nach Kurt, der gleich angelaufen kann, und ich stürzte auch ganz unprofessionell auf die Terrasse. Der Löwe verzog sich sofort.
Wir sind mit Aufnahmegerät, Ferngläsern und Fotoapparaten zum Auto gelaufen und schnell auf die andere Seite von ‘Camp Island’ gefahren, wo wir ihn vermuteten. Vorsichtig stiegen wir aus dem Auto aus, und ich war gerade ein paar Meter vom Auto entfernt, als ich ihn keine 20 Meter vor mir im Gebüsch sah. Mein erster Impuls war sofort loszurennen, aber nach einem Schritt hatte ich mich schon gefangen. Ist es doch die erste Regel, bei Ansichtig werden eines Löwen NICHT zu rennen. Gerade am Morgen hatte Mokupi, der Feldassistent, mir noch mal eindringlich die Verhaltensmaßregeln im Umgang mit wilden Tieren eingeschärft. “When you run you are dead”, sagte er. Ansonsten würden die Löwen nicht angreifen. Man müsste ihnen nur fest in die Augen blicken. Sie würden schon sehr nah herankommen, und brüllen, und um einen herumschleichen, aber dann würden sie wieder gehen. Er hätte das schon selber erlebt. Wie dem auch sei, der Löwe war noch erschrockener als ich und zog sich sofort zurück. Wir standen noch einige Zeit in der Gegend rum und nahmen die Alarmrufe der Affen auf. Schließlich gingen wir zurück ins Camp. Als ich gerade dabei war, die Tortillas für das Abendessen zuzubereiten, tauchte der Löwe wieder auf der Lagunenseite auf und wir hatten noch ausgiebig Zeit, ihn zu beobachten. Vielleicht war er auch gar nicht erschrocken, sondern einfach so vollgefressen, dass ihn der Anblick weiteren Fleisches schauderte. Er hatte nämlich wirklich eine tolle Trommel.
Heute Nacht war Vollmond und ich konnte wie üblich nicht einschlafen, obwohl ich todmüde war. Ich habe den kleinen Affen gelauscht und ihren Verzweiflungs- und Wutausbrüchen, die sie bekommen, wenn sie nicht zu ihrer Mutter dürfen. Ich habe das Prasseln der kleinen Kotklümpchen auf unserem Zeltdach gehört, die dort von Millionen von kleinen Raupen abgedrückt werden, und fand, dass einem hier so richtig klar wird, dass Ressourcen begrenzt sind: Strom steht hier nicht unbegrenzt zur Verfügung, und man muss auch mit dem Wasser sparsam umgehen. In dem Moment fiel mir siedend heiß ein, dass wir vergessen hatten, die Wasserpumpe abzustellen. Oh je. Ich weckte Kurt und fragte ihn, ob er sie denn abgestellt hätte, aber nein.
Die Wasserpumpe sitzt draußen am Fluss auf einem Ponton, der jetzt aber auch trocken gefallen ist. Sie wird mit Solarstrom betrieben, d.h. über das Solarpaneel wird eine Autobatterie geladen und damit die Pumpe betrieben. Die Pumpe fördert das Wasser aus zwei kleinen Bohrlöchern. Was nun? Eine weitere goldene Regel hier ist, dass man nachts nicht draußen rumläuft, und schon gar nicht, wenn ein Löwe in der Gegend ist. Trotzdem, wir konnten es auch nicht riskieren, dass die Pumpe kaputt geht oder das Bohrloch leer gepumpt wird. Kurt hat sich entschlossen, da herauszumarschieren, und die Pumpe abzustellen. Ich bin ihm hinterher, wir beide mit den dicken Maglite Taschenlampen ausgestattet, laut grölend. Kurt nur in Unterhose, ich im Hemdchen, Turnschuhe an den Füßen. Um etwaige Schlangen aufzuscheuchen, hatte Kurt sich einen Besen gegriffen, und schlug nun in regelmäßigen Abständen vor sich auf den Boden. Was mögen Anthropologen von einem anderen Stern gedacht haben, welch seltsamem Kult wir angehören. Es ist alles noch mal glimpflich abgelaufen. Das Wasser war nicht weg, und die Pumpe funktionierte auch noch.
Dafür geht heute mal wieder das Funkgerät nicht, das ist wirklich ärgerlich. Gestern hatte ich angefragt, ob wir denn jetzt doch mal eine Kiste mit Obst und Gemüse geschickt bekommen könnten, und die neue Post, die inzwischen war. Nun weiß ich gar nicht, ob die Sachen schon unterwegs sind oder wann ich sie bekommen sollte. Man lernt hier zwangsläufig, dass die Dinge selten so klappen, wie man sich das vorstellt.
Mit den Affen gibt es auch so Hochs und Tiefs, an manchen Tagen kann ich schon eine ganze Menge von ihnen beim Namen nennen, und es gibt jetzt auch einige Tiere, die ich schon von weitem erkennen kann. Heute war es aber mal wieder ganz schrecklich, und ich konnte fast niemanden mehr identifizieren. Das soll aber ein Bestandteil des Prozesses der Strukturerkennung sein, dass alles noch mal zusammenbricht, bevor sich die Struktur kristallisiert. Ich hoffe jedenfalls, dass dem so ist.
Auf dem Weg zu den Affen heute Morgen haben wir wieder Warzenschweine beobachtet. Das sind zu köstliche Tiere. Sie sind so drall und stämmig, und gucken einen völlig ernst an. Dabei sehen sie absolut albern aus. Wenn sie sich in Bewegung setzen, stellen sich ihre dünnen Schwänzchen auf wie kleine Antennen und sie trippeln in rasender Geschwindigkeit von dannen. Die Kleinen sehen noch lustiger dabei aus, eine Mischung aus kleinen Ferkeln und den berühmten ‘Arschlochhunden’, die sich auf Reitturnieren so großer Bewunderung erfreuen. Ich muss immer an Kati denken, wenn ich die kleinen Warzenschweine sehe, und daran, wie sie sich kaputtlachen würde bei ihrem Anblick. Vielleicht könnte man auch mal ein kleines Warzenschwein mit aufs Turnier nehmen.
Und Vögel! Von den großen Bunten kenne ich schon einige. Heute haben wir wieder zwei neue Arten gesehen: Grüntauben, die ein unwahrscheinliches gelbgrün leuchtendes Federkleid besitzen, einen kleinen roten Höcker auf dem Schnabel und rote Füße. Auf dem Heimweg haben wir noch einen neuen Eisvogel gesehen, und zwar, Moment, in meinem neuen tollen Vogelbuch steht der Name auch auf Deutsch: Gestreifter Baumliest. Da ist der Kwangali-Name doch viel schöner: Muningi. Auch ein sehr schönes Tier jedenfalls. Zurzeit tummeln sich auch wieder zwei Sattelstörche in den Überresten der Lagune. Das mit den Namen ist gar nicht so einfach. da ich fast nur englische Literatur besitze, kenne ich von vielen Tieren nur den englischen Namen. Was um aller Welt sind den zum Beispiel Gennets? Ah, Ginsterkatzen. Zwei Stück habe ich heute Morgen gesehen, sie spielten im Baum über unserem Zelt. Sie sind wunderschöne schwarz-weiß gepunktete Tiere mit einem geringelten Schwanz. ich könnte ich euch noch viel von den ganzen Tieren und Pflanzen hier erzählen, und dem Mond, der hier auf dem Kopf steht. Ich versuche es jetzt noch mal mit dem Funkgerät, und dann gibt es noch ein paar Dinge zu erledigen (zum Beispiel die Wasserpumpe anwerfen). Das nächste Mal erzähle ich euch von den Giraffen und den Zebras, oder von Mr. und Mrs. Piggy, den neuen Managern des Delta-Camps.
22. Januar 1998
Ich sitze auf dem ‘Zwischendeck’, das heißt dem grünen Plastik-Vorzeltplatz zwischen den beiden Zelten im Schatten, eine leichte Brise macht die ansonsten schwüle und drückende Hitze etwas erträglicher. Mokupi ist krank, die Tiere waren schweigsam, und so sind wir nach drei Fokusprotokollen und einer langen Lautaufnahme von Appels Stille wieder nach Hause gegangen. Gefunkt habe ich auch schon, und so habe ich richtig Zeit heute. Heute will ich mal in bisschen etwas über unsere Tagesroutine erzählen, das ganz normale Leben hier. Aber das ist gar nicht so einfach, weil doch immer wieder so viele aufregende und außergewöhnliche Dinge passieren. Gestern zum Beispiel, wir waren mal wieder mit den Pavianen unterwegs, ziemlich weit weg vom Camp. Wir hörten schon bald die Alarmrufe von Grünen Meerkatzen, die sie bei einem Leoparden oder einem Löwen machen. Aber wir konnten nichts sehen. Später hörten wir, wie die Paviane schrien. Wir sahen in der Ferne ein fürchterliches Handgemenge, aber als wir dorthin kamen, war die Ursache des Aufruhrs, nämlich ein Leopard, schon über alle Berge. Dazu muss man wissen, dass Leoparden für Paviane die gefährlichsten Raubfeinde darstellen, und zwar weil sie nachts jagen und dabei recht erfolgreich sind. Tags hingegen haben sie gegen die Paviane keine Schnitte, und wenn die Affen, allen voran die Männchen, einen Leoparden finden, dann jagen sie ihn und greifen ihn an.
Etwas später, Kurt war leider schon nach Hause gegangen, hörten wir wieder dieses ohrenbetäubende Geschrei der Affen. Sie saßen alle um einen Busch herum, aus dem das erbärmliche Grollen und Fauchen des Leoparden kam. Mokupi und ich kletterten ganz in der Nähe auf einen Termitenhügel und sahen uns das Spektakel an. Um eine bessere Sicht zu haben, kletterten wir später auf einen Baum. Ich schreibe das jetzt mal so: „Ich bin auf einen Baum geklettert“. Ich bin mindestens seit zwanzig Jahren nicht mehr auf einen Baum geklettert, und Thomas würde jetzt berechtigterweise fragen, ob ich denn überhaupt schon mal auf einen Baum geklettert sei. Ich weiß es nicht. Wie dem auch sei, jedenfalls, gerade als ich Platz genommen hatte, kam der Leopard aus seinem Loch unter dem Busch herausgeschossen und rannte davon. Ein riesiges Exemplar, und er lief direkt an unserem Baum vorbei. Die Affen stürzten hinter ihm her, ein Männchen hat ihm noch eins übergebraten, aber dann war er auf und davon. Das war der Moment, als ich mich fragte, ob ich jetzt gleich aufwachen und feststellen würde, dass doch nur alles ein Traum sei. Aber bis jetzt bin ich immer noch hier und nicht aufgewacht. Es ist wirklich alles so geschehen. Vor drei Tagen hatten wir ein ähnlich beeindruckendes Erlebnis, ich zitiere aus einem Brief an Markus:
„Heute – 19. Januar – ist es zwar einfach grässlich heiß, schwül und drückend, und der Schweiß rinnt einem in Strömen runter, aber es ist trotzdem wundervoll. Ein dickes Gewitter wäre fällig, aber es lässt schon seit Tagen auf sich warten. Ansonsten haben wir heute ein umwerfendes Erlebnis gehabt. Gerade, als wir heute früh vom Camp losgingen, hörten wir Hufgetrappel und dann sprangen auch schon die Impalas wild durch die Büsche. Am Ende der
