Capo Testa - Matthias Gerspacher Czyrnick Vorraro - E-Book

Beschreibung

Aufgrund der Annahme, in einer sardischen Psychiatrie würden illegale Versuche an den Gehirnen der Patienten durchgeführt, werden die beiden US-Marshalls Ben Laurens und Austin Kirk auf die Insel geschickt, um dem Verdacht nachzugehen. Die Ärzte in der Anstalt, allen voran ihr Chef Aurelio La Rosa, wirken mit ihrem Verhalten dubios auf die beiden Ermittler. Die interessanten Einzelgespräche, die sie auf Bitte mit den Patienten führen dürfen, bringen ihnen die einzigen Hinweise. Nach einigen Tagen beginnt Laurens an unangenehmen Halluzinationen zu leiden, zudem plagen ihn wirre und unmöglich zu deutende Albträume sowie plötzliches Erbrechen. Das ist deshalb seltsam, weil sein Partner Kirk keinerlei gesundheitliche Beschwerden hat. Marshall Laurens verliert zusehends die Kontrolle über seine Psyche und entwickelt verschwörerische Theorien, die ihn in seinem Glauben bekräftigen. Beispielsweise glaubt er, die Ärzte hätten ihn vergiftet. Nach über einer Woche auf der Insel, verschwindet Austin spurlos. In einsamer Angst sucht Ben nach seinem Partner, findet aber keinerlei Hinweise auf seinen Verbleib. Laurens versucht mit aller Macht das Geheimnis der Anstalt aufzudecken und wird am Ende mit der traurigen Wahrheit konfrontiert, die weit in seine eigene Vergangenheit zurückreicht.

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Seitenzahl: 91

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Prolog

Kansas, 1926

Kalte Regentropfen klatschten auf die schottere Landstraße. Hier und Da beschien das fahle, gelbliche Licht einzelner Laternen die sich am Bordstein angesammelten Wasserlachen und ließ sie zu orangeschimmernden Pfützen werden. Die Rinnen, welche in rarer Anzahl auf der nichtasphaltierten Straße zu finden waren, sogen die vom Himmel fallenden Massen schlürfend ein, um die Keller vor Überschwemmungen zu bewahren. Abgesehen vom widerlichen Niederschlag, dessen Intensität zunahm je länger die Nacht andauerte, war es totenstill; bis sich aus der Ferne langsam das leise Rollen eines Kinderwagens näherte, und dem kleinen, trostlosem Dorf inmitten dieser ländlichen Einöde ein wenig Leben verlieh. Dicke Tropfen prasselten auf den Schirm, den die junge Mutter über ihrem Haupt aufgespannt hochhielt um möglichst trocken nach Hause zu kommen. Das Klackern ihrer schwarzen Absätze gesellte sich zum monotontristen Prasseln des Regens hinzu. Es war tiefster Winter, doch das Land erntete den Niederschlag bisher nicht in Form des ersehnten Schnees.

Ein Jeep fuhr in eiligem Tempo und energisch arbeitenden Schiebenwischern an der Dame und ihrem Kind vorbei, als sich der Schrei einer Frau mit der frierenden Nachtluft vermischte und die Mutter zusammenzucken ließ. Erschrocken blickte sie über die Schulter zurück und erspähte wenige Häuser hinter ihr das halb offenstehende Fenster, aus dem der Schrei gekommen sein musste. Mit dem beschützenden Instinkt einer Mutter gewordenen Junggesellin, entfernte sie ihr Kind schnellen Schrittes vom Ort des Geschehens.

1

Italien, 1962

Benjamin Laurens ließ seine braunen Augen über die endlose Weite des Ozeans schweifen. Die Hände auf das weiß lackierte Geländer stützend, dessen Farbe blätterte und von der salzigen Meeresluft rostendes Eisen entblößte, atmete er ebendiese in vollen Zügen ein.

Der um ein geschätztes Dutzend Jahre ältere Herr neben ihm, hatte den Blick ebenfalls fest auf die weite See hinaus gerichtet.

Vereinzelte Wellen schäumten in weißer Gischt, um gleich im nächsten Augenblick zu grünlichen Wassermassen abzuebben.

„Was weißt du über diese Anstalt?“ „Nur dass es eine Psychiatrie ist.“

„Eine Irrenanstalt meinst du“, verbessert ihn Laurens.

Sein Partner kramte in den Tiefen seines Mantels nach einer Packung Zigaretten, indes er mit der anderen den Hut auf seinem Kopf vor dem Winde hütete.

„Zigarette?“ „Danke, ich hab’ selber welche.“ Sein Partner steckte sich eine zwischen das Lippenpaar, während Laurens den ihm noch sehr unbekannten Partner mit zusammengekniffenen Augen fragte „Wie heißt du eigentlich?“

„Oh, Verzeihung, ich bin Marshall Kirk, aber sparen wir uns die gezwungenen Höflichkeiten, du kannst mich Austin nennen. „Ben Laurens.“ „Erfreut.

Und woher kommst du?“ „Kansas, Einöde.

Du?“ „Texas.“ „Woher genau?“ Wollte Kirk wissen und ließ damit vermuten, sich im Heimatsstaat seines Partners auszukennen. „Kiowa, nur ein kleines Dorf im Süden, nahe der Grenze zu Oklahoma.“ „Ich hatte einst entfernte Verwandte in Kansas, aber Kiowa, das sagt mir nichts.“ „Muss es auch nicht“, relativierte Laurens den Status des Dorfes indem er seine Kindheit verbracht hatte und winkte dabei mit der freien Hand ab.

„Auch zum ersten Mal in Italien?“ Wollte er wissen. „Zum ersten mal außerhalb von Amerika“, gab Kirk mit einem Schmunzeln preis. „Ich habe praktisch mein ganzes Leben in Texas verbracht, bis ich dann mit 18 Jahren die Ausbildung zum Marshall antrat. Ich musste dafür nach Boston umziehen“, erklärte Kirk. „Richtig patriotischer Cowboy, was?“ Scherzte Ben und verzog erstmals an diesem Tag die Mundwinkel.

„Kann man wohl sagen.“ „Auf einer Farm aufgewachsen?“ „Ja, mein Vater war Farmer.“ Austin zündete sich seine Kippe an und reichte die Streichholzschachtel seinem Pendant, den er nun etwas besser kannte, zumindest dessen Personalien. Er entzündete seinen Tabak, inhalierte, bedankte sich, umfasste mit der freien Hand wieder die Reling und beobachtete weiter den Atlantik. „Hast du Kinder?“ „Zwei Töchter, aber ich bin geschieden“, sagte er und stellte die Gegenfrage. „Nicht dass ich wüsste“ meinte Laurens und entlockte ihm damit ein Schmunzeln. „Genieß das Leben als Junggeselle“, riet er ihm, noch immer lächelnd. „Das tue ich bereits“.

Eine erfrischende Böe wehte um den Bug, während eine Möwe mit weißem Federkleid und gelbem Schnabel Laurens’ Blickfeld streifte und kreischend vor ihm hinwegsegelte.

Den Blick von ihr abgewandt, glaubte der jüngere der beiden Marshalls am Horizont erste Silhouetten auszumachen. Dunkel und unklar, ohne genauere Konturen zu erkennen und doch wissend, die Ostküste Sardiniens gesichtet zu haben. Einen letzten Zug nehmend schnippelte Ben die gerauchte Kippe vom Schiff. Auch Austin inhalierte ein letztes Mal und warf seine Zigarette ebenso von Bord, wo sie vom Winde umhergewirbelt in der schäumend weißen Gischt des Bugs untertauchte.

2

Die Fähre näherte sich in gemächlichem Tempo dem Hafen.

Ben Laurens und Austin Kirk begaben sich die vielen Treppen von Deck fünf hinunter in den Eingangsbereich, wo sich in Kürze die Lucke öffnete um ihre Passagiere zu entlassen.

Augenblicke später kam die Fähre zum Stillstand und der Kapitän erteilte den Befehl zu ankern, welcher gleichsam auch das Ende der Überfahrt bedeutete.

Auf dem Hafengelände hatten sich bereits eine Vielzahl Menschen versammelt. Hafenmitarbeiter, Angestellte des örtlichen Sicherheitsdienstes, die darauf achten sollten, dass die Ausschiffung reibungslos verlief.

Geschäftsmänner in Anzug und Krawatte, zu denen sich auch die beiden Marshalls zählten.

Die Mehrheit der nun aus dem Schiff strömenden Meute waren jedoch Familien, die ihren Sommerurlaub auf der Insel verbringen wollten.

Ein magerer Herr mittleren Alters, dessen Haare schüttern auf dem Haupt lagen, trat der Luke entschlossenen Schrittes entgegen. „Sie müssen die beiden Marshalls sein“, sprach er in fragendem Tonfall. Laurens blickte dem Fremden überrascht entgegen und musterte kurz dessen Antlitz mit dem schwarzen Bart und dem Schnauzer.

„Die sind wir“, bestätigte Kirk und reichte ihm zur Begrüßung die Hand.

„Willkommen auf Sardinien, Gentlemen.“ Das Englisch dieses Mannes war fortgeschritten, klar und beinahe Akzentfrei. „Signor Ariu.“ „Kirk.“ „Und Sie sind?“

„Benjamin Laurens“, gab der zweite Marshall seine Identität preis, wobei er ihm ebenfalls die Hand drückte. „Folgen Sie mir, der Wagen steht gleich da hinten“.

Er deutete mit einer Handbewegung in Richtung der eigens für Hafenbesucher vorgesehenen Parkplätze. „Nun, was verschafft mir die Ehre zwei US-Marshalls begegnen zu dürfen?“ Fragte Ariu, während sich die drei in Bewegung setzten.

„Hat Sie denn niemand darüber informiert?“ Erkundigte sich Laurens. „Ich bin lediglich der Chauffeur, der unsere Gäste zum Kap begleitet. Für gewöhnlich ohne zu wissen, worin der Grund für ihren Besuch besteht.“

„In Ihrer Anstalt werden illegale Versuche an Patienten vermutet. Wir sollen der Sache auf den Grund gehen,“ erklärte Kirk. Daraufhin lachte der Schaffner nur und sagte: „Wir sind doch keine Psychopathen“.

3

Der Wagen brachte die letzten Dörfer hinter sich und passierte eine Art niedrige Brücke auf einem schmalen Landstück, das beidseitig von Meerwasser umgeben war.

Die Straße auf der die drei nun fuhren glich mehr einem Pfad, dessen schottere Oberfläche mit den vielen kleinen Steinen den Fiat ins Holpern brachte.

Durch das vom bräunlichen Staub der unzähligen Fahrten über Kieswege beschmutzte Fenster betrachtete Marshall Laurens schon eine ganze Weile aufmerksam die Landschaft. Ihm war aufgefallen, dass je länger sie fuhren, immer weniger Häuser gebaut waren, ja der hohe Norden der Insel schien gar minder belebt zu sein, als der Rest den er bisher zu sehen bekommen hatte.

Der Weg endete nach einer weiteren Rechtskurve ziemlich abrupt.

Signor Ariu parkte seinen Dienstwagen in einem Halbkreis, der am Rand von einem einfachen Holzgeländer begrenzt wurde.

Laurens fiel auf, dass abgesehen von ihnen nur ein einziger Wagen auf diesem kreisförmigen Platz geparkt war. Ariu drehte den Schlüssel im Zündschloss woraufhin der Motor verstummte. Dann stieg er aus und atmete die ihm wohlbekannte, salzig frische Meeresluft ein. „Wir sind da!“ verkündete er erfreut, während er seinen Gästen nacheinander die Türen aufhielt. „Gentlemen.“ „Danke“, sagte Kirk und hievte sich, den beigebraunen Mantel haltend, aus dem tiefen Sitz der Rückbank.

Auch Laurens stieg aus dem Fiat, dessen Dach ihm Schatten gespendet hatte, an die warme atlantische Inselluft. Dann drehte er sich in die Richtung, wo er die Psychiatrie vermutete und erblickte ein weißes Gebäude, in dessen Mitte ein Leuchtturm in die Höhe ragte.

Gleich davor stand eine kleinere Unterkunft. Vermutlich die Verwaltung, dachte er sich. „Nun dann“, meinte der Schaffner, „treten wir ein“.

Er ging entschlossenen Schrittes voran und blieb wenige Meter weiter vor dem überraschend kleinen Eingangstor stehen. Ben Laurens fiel eine Tafel ins Auge die auf zwei Holzpflöcken gleich neben dem Eingang in die Erde gerammt war.

In gewohnter Miene, die Augen eng zusammengekniffen, las er die Informationen, die hinter einer dünnen Schicht Glas auf Papier geschrieben standen.

Capo Testa, Clinica psichiatrica della Gallura. Darunter stand in derselben Schrift: Fondato nell’anno 1914, Isola di Sardegna, Repubblica Italiana.

Laurens fischte in den Tiefen seiner Manteltasche nach seinem Notizbuch.

Mit der daran befestigten Füllfeder notierte er eilig das Gründungsjahr der Anstalt auf eine noch leere Seite.

„Gentlemen, darf ich Ihre Dienstmarken sehen?“

Überrascht blickte Laurens von seinen Notizen auf, zuerst zu Signor Ariu und dann zu seinem Partner, der ihm unentschlossen zunickte.

Irritiert zogen die Marshalls ihre Sterne aus den Manteltaschen und hielten sie Ariu hin. Er musterte sie kurz und nickte dann dankend.

„Zudem muss ich Sie bitten, mir Ihre Dienstwaffen abzugeben. „Wie bitte?“ Vergewisserte sich Laurens, als hätte er nicht recht gehört. „Tut mir Leid, aber ab hier ist Privatgelände.“

„Wir sind staatlich registrierte US_Marshalls und dazu verpflichtet unsere Waffen jederzeit bei uns zu tragen.“ Die bisher lockere Miene des Schaffners war nun einem ernsten Gesichtsausruck gewichen. „Entweder Sie halten sich an unsere Regeln, oder Sie reisen wieder ab“, sprach er in ruhigen aber bestimmten Tonfall.

Widerwillig griff Laurens seine Pistole am Schaft, zog sie neben dem Gürtel hervor und reichte sie Ariu. Er war nun offensichtlich angesäuert.

Auch Kirk händigte dem Schaffner, der offensichtlich auch noch als Sicherheitsbeamter fungierte, seine Dienstwaffe aus.

„Willkommen am Capo Testa!“ Schmunzelte Ariu befriedigt.

Dann drehte er den Schlüssel im Loch woraufhin das Schloss aufsprang.

Das von Wind und Wetter bereits angerostete Metall des Tores, ließ sich scheinbar nur mühsam schwerlich und unter quietschenden Lauten aufstoßen. Als würde dieser Eingang nie benutzt.

Der Schaffner betrat das Areal, indes er den Schlüssel in seiner Uniform verstaute, gefolgt von seinen beiden amerikanischen Gästen.

Die Marshalls gingen gemächlicheren Ganges einige Schritte hinter Ariu und sammelten erste optische Eindrücke des Kaps.

Laurens drehte sich zu Kirk, der mittlerweile neben ihm ging und sprach leise, er flüsterte beinahe: „Mohn, Schlafmohn“. Kirk folgte seinem Blick und entdeckte nun auch die rot getupfte Wiese zu ihrer Rechten. „Wir sind in einer Psychiatrie gelandet, und hier werden bestimmt verschiedenste Medikamente eingesetzt. Warum also nicht auch Opium?“ „ Erstaunlich, das ist deine erste Assoziation?“ Entgegnete er in ebenso seltsam leisem Tonfall, als befürchtete er, Signor Ariu würde ihren Worten lauschen „Glaubst du die gewinnen das Mittel aus ihren eigenen Knospen und nur deswegen haben Sie Mohn angepflanzt?“ Laurens hielt die Hand schützend vor seinen Mund.

„Möglich wäre es“.

Die beiden Marshalls gingen weiter nebeneinander her und beäugten aufmerksam das private Grundstück der psychiatrischen Klinik.

Zu ihrer Linken erstreckte sich eine Stromleitung, befestigt auf schmalen, langen Holzpfeilern, die meterweit aus der Erde ragten.

Die teils bizarr geformten Granitfelsen waren ein weiteres auffallendes Merkmal des Kaps. Sie überlagerten sich östlich des Hauptgebäude zu beigebraunen Gesteinshäufen.