Cara - Amalia Hope - E-Book

Cara E-Book

Amalia Hope

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Beschreibung

Seit zwanzig Jahren leidet Parapsychologin Lara unter dem mysteriösen Tod ihrer Schwester Diana. Erst zwanzig Jahre später soll sie der Wahrheit gefährlich nahe kommen, denn der Mann, der ihr im Dunkel einer Nacht begegnet, ist ein Sohn der Nacht. Lara wird Teil einer Welt, die sie nie für möglich gehalten hätte und endlich offenbart sich ihr das Schicksal ihrer Schwester.

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Den wahren Helden der Geschichte gewidmet

Botschaft

Ihre Herzen sind so kalt wie Schnee, der jedes Jahr die Erde neu bedeckt.

Ihre Gesichter wirken magisch und blass wie der Mond, der nachts am Himmel steht.

Ein Blick in ihre Augen ist wie ein unendlich tiefer Fall in eine fremde faszinierende, aber auch angsteinflößende Welt.

Ihrer Schönheit kann man sich ebenso wenig entziehen wie der Magie der Sphinx.

Sie sind die Söhne der Nacht, die heimlichen Herrscher über die ahnungslose Menschheit.

Überall auf der Welt leben sie in kleinen Gruppen zusammen. Sie passen sich der Dunkelheit an und werden eins mit ihr.

Sie sind wie die Nacht, wunderschön, dunkel und geheimnisvoll und fallen unaufhaltsam wie die Nacht wieder und wieder über die Menschheit her, blutdürstig und kaltblütig.

Dies ist ihre Geschichte.

Seid wachsam und hütet euch vor den Söhnen der Nacht!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: In der Unterwelt vor 2000 Jahren

Kapitel 2: Pension Goldener Löwe

Kapitel 3

Kapitel 4: In der Unterwelt

Kapitel 5: Neustadt an der Orla

Kapitel 6: Laras Praxis

Kapitel 7: Stillgelegte Textilfabrik

Kapitel 8: In der Unterwelt

Kapitel 9: Pension Goldener Löwe

Kapitel 10: Laras Wohnung

Kapitel 11: In der Unterwelt

Kapitel 12: Laras Praxis

Kapitel 13: In der Unterwelt

Kapitel 14: Pension Goldener Löwe

Kapitel 15: Großmutter Melindas Haus

Kapitel 16: In der Unterwelt

Kapitel 17: Stillgelegte Textilfabrik

Kapitel 18: Großmutter Melindas Haus

Kapitel 19: Wohnung von Thomas

Kapitel 20: Pension Goldener Löwe

Kapitel 21: Vor Laras Haus

Kapitel 22: In der Unterwelt

Kapitel 23: Wohnung von Lilli

Kapitel 24: Vor Laras Haus

Kapitel 25: Lillis Wohnung

Kapitel 26: Eckkneipe

Kapitel 27: Laras Wohnung

Kapitel 28: Laras Hausflur

Kapitel 29: Lillis Wohnung

Kapitel 30: In der Unterwelt

Kapitel 31: Stillgelegte Textilfabrik

Kapitel 32: Laras Wohnung

Kapitel 33: In der Unterwelt

Kapitel 34: Stillgelegte Textilfabrik

Kapitel 35: Laras Wohnung

Kapitel 36: Stillgelegte Textilfabrik

Kapitel 37: Neustadt/Orla

Kapitel 38: Laras Wohnung

Kapitel 1In der Unterwelt vor 2000 Jahren

Ewans Armmuskel spannte sich mit jedem Hammerschlag auf den steinernen Amboss gefährlich an. Funken sprühten in die Dunkelheit und erleuchtenden sein makelloses Gesicht.

Ein letztes Mal schlug Ewan mit dem Schmiedehammer auf das Gold, das ihm einen Weg auf die Erde ebnen sollte.

„Es ist vollbracht.“

Schweißperlen liefen wie Tränen über Ewans nackten, muskulösen Oberkörper und sein Herz schlug im Rhythmus des Hasses, der in ihm brannte und lebte, seit die Dunkelheit der Unterwelt ihn umgab.

In den Händen hielt er den Dolch der Wiederauferstehung, geschmiedet aus reinem Gold und seinem Blut. Ewans Blick durchdrang seinen ältesten Sohn Jared, der zu allem bereit vor ihm stand, warnend. „Ich dulde kein Versagen!“

Unberührt vom drohenden Ton in Ewans Stimme ergriff Jared den Dolch der Auferstehung. „Schon Morgen wird das Blut einer Auserwählten fließen und dich befreien“, erklärte er emotionslos. „Wir sehen uns auf der Erde“, versprach Jared, bevor er sich zurück in die Kleinstadt Neustadt an der Orla teleportierte.

Ewans Hände ballten sich zu Fäusten. „Das rate ich dir, Sohn!“

Kapitel 2Pension Goldener Löwe

Dunkelheit kroch in Henrys Hotelzimmer und beschleunigte seinen Herzschlag. Seine Gefühle für Diana drängten ihn, zu fliehen, seine Gene zwangen ihn, zu bleiben. Henry wusste, er konnte seinen Brüdern nicht entkommen. Ein Leben im Licht war für ihn unmöglich. Die Liebe war nicht mehr als ein Gift für ihn, das ihn lähmte. Seine Liebe hatte einen Namen: Diana. Noch immer traf ihn die Erinnerung an ihr Engelsgesicht bis tief in die Seele. Er hatte sie schon tausendmal gesehen, in tausend Träumen, doch jeder Morgen hatte sie ihm wieder aus den Armen gerissen und ihm ihre Nähe geraubt, die er so ersehnte. Henry blickte versonnen aus dem offenen Fenster in die Dunkelheit. Zwanzig Jahre hatte er mit Dianas Verlust gekämpft, zerstört vom Gedanken, dass er ihr Mörder war. Kühle Abendluft drang ins Hotelzimmer ein und erfüllte den Raum mit der Aura einer Liebe, deren Verlust in Henrys Seele eine dunkle Geschichte aus Einsamkeit und Verzweiflung schrieb. Vor Henrys Augen flackerten Bilder aus der Vergangenheit auf, einer Zeit, in der ihn Dianas Lächeln voller Liebe traf, ihr Blick voll Leidenschaft und jeder Atemzug von Vertrauen geprägt war. Henry schloss verzweifelt die Augen, als die Tür aufflog und sein Bruder Jared das Zimmer betrat.

„Leb wohl, Diana“, flüsterte er noch.

„Hast du etwas gesagt?“, hakte Jared mit gefährlichem Unterton nach.

Mit einem tiefen Atemzug wandte sich Henry um.

„Hm“, misstrauisch musterte Jared seinen Bruder. „Falls du Bedenken hast, das Blut der Auserwählten zu vergießen, übernehme ich das.“

„Keine Sorge, Bruder“, erwiderte Henry und musste sich dazu zwingen, kühl zu klingen. „Morgen gehört diese Erde uns.“

Kapitel 3

Gespenstisch hatte sich an diesem frühen Samstagmorgen Nebel über den Friedhof von Neustadt an der Orla gelegt. Es schien beinahe so, als würde der stürmische Wind, der an den Zweigen der alten Eichen riss, das blutige Schicksal verkünden, das Lara erwartete. Wie gebannt starrte sie auf den Sarg, den sie vor zwei Wochen selbst aussuchte. In ihren Händen hielt Lara einen Strauß Rosen, dessen Dornen ihr tief ins Fleisch drangen. Der Mann neben Lara warf einen besorgten Blick auf das Blut, das über ihre weiße Haut lief.

„Lebe wohl, Großmutter“, flüsterte Lara und legte den Rosenstrauß auf den Sargdeckel nieder. Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und die Vergangenheit vermischte sich mit der Gegenwart, denn schon einmal vor zwanzig Jahren hatte sie das Schicksal hierhergeführt. Damals stand Laras Großmutter an ihrer Seite, hatte ihre Hand gehalten und ihr Trost geschenkt. Nun war sie fort und mit ihr all die Antworten, die Lara herbeigesehnt hatte. Mit ihrer Großmutter wurde nicht nur Laras letzte Verwandte beerdigt, sondern auch ihre Hoffnung, je zu erfahren, warum ihre Schwester Diana im Dunkel einer Nacht verschwand und nie mehr ins Licht zurückkehrte.

„Lass uns gehen.“ Behutsam legte Thomas seinen Arm um Lara. Er wusste, im Moment war dies alles, was er für die Frau tun konnte, für deren Sicherheit er aus einer fernen Welt gekommen war.

„Jetzt habe ich niemanden mehr.“ Verloren sah Lara Thomas in seine gutmütigen braunen Augen.

„Möchten Sie dabei sein, wenn wir den Sarg in die Tiefe lassen?“ Einer der Männer, die das Grab ausgehoben hatten, trat an Lara heran. Er und seine Kollegen hatten sich diskret zurückgezogen, aber nun drängte die Zeit, sie hatten an diesem Morgen noch andere Aufträge.

„Nein. Ich danke Ihnen, dass ich mich in Ruhe von meiner Großmutter verabschieden konnte.“

Lara atmete noch einmal tief die kalte Morgenluft ein, die ihre Seele durchflutete und sich mit dem Schmerz in ihr vereinte.

„Ich bin so weit. Gehen wir, Thomas.“ Langsam schritten beide auf das Ausgangstor zu, das man durch die Nebelwand nur erahnen konnte. Halt suchend ergriff Lara Thomas’ Arm. „Danke, dass du mich an diesem Morgen hierher begleitet hast, an den Ort, der meiner Großmutter ein neues Zuhause gab.“

„Betrachte mich als Fels in der Brandung“, erwiderte Thomas und schwor sich, dafür

zu sorgen, dass dieser Ort nicht auch Laras Zuhause wird.

Kapitel 4In der Unterwelt

Ein heftiger stechender Schmerz durchfuhr das sonst so tote Herz des Schöpfers, als er in seinem dunklen Exil in der Unterwelt erwachte. Unzählige schwarze Kerzen, die in kostbaren Kerzenständern brannten, brachten Licht in das Leben, das seit zweitausend Jahren sein Schicksal war. Wieder hatte sich die Frau, die er einst liebte, in seine blutigen Träume geschlichen und die schmerzhafte Erinnerung an eine andere Zeit heraufbeschworen. An eine Zeit, in der sein Name Ewan war und sein Herz voller Liebe schlug, an eine Zeit, in der Liebe und Hoffnung einen Namen hatten: Cara.

In jener Zeit hatten ihm Caras magische blaue Augen den Atem geraubt, der Rosenduft ihres langen, braunen Haares hatte ihn in Trance versetzt und er wäre für einen Kuss ihrer glutroten Lippen gestorben. Ihre Liebe lebte im Geheimen, denn in der Welt der höchsten Ebene gab es kein Erbarmen. Mit eiserner Faust herrschte Caras tyrannischer Vater Kairon über das Volk, dem die Vermischung der Gesellschaftsschichten unter Androhung der Todesstrafe verboten war. So lebte das Geheimnis ihrer Liebe dort, wo es begann: im Rosengarten, der hinter dem Schloss ihres Vaters lag. Es waren glückliche Stunden der Zweisamkeit, bis zu dem Tag, an dem Caras Vater einen Spaziergang zwischen seinen Rosen machte und ihre Liebe entdeckte. In Sekunden zerbrach ihr Traum vom Glück. Gewaltsam hatte die Dienerschaft des Herrschers Cara aus seinen Armen gerissen. Arme, in die sie nie zurückkehren würde. Wie ein Sturm traf ihn der unermessliche Zorn Kairons, der seine ewige Verbannung in die Unterwelt befohlen hatte. Allein sein Status als Diener des Herrschers bewahrte ihn vor der Todesstrafe. Jedoch erwartete ihn ein weit schlimmeres Schicksal. Ein Ort voller Kälte und Dunkelheit wurde sein Zuhause und umarmte ihn mit eisigem Atem. Die Kälte der Unterwelt war tief in sein Herz gedrungen und hatte es zu Eis verwandelt. Nur sein Plan der Rache gab ihm noch Halt.

Seit zweitausend Jahren schickte er seine Verbündeten, die ihm freiwillig gefolgt waren, um Kairons Tyrannei zu entfliehen, auf die Erde, um ihm Frauen als Mittel zum Zweck darzubringen, mit denen er seine dunklen Söhne zeugte. Während die Frauen nach den Geburten getötet wurden, wuchsen seine Söhne, ernährt von menschlichem Blut, bei seinen Verbündeten heran. Am Tag ihrer Volljährigkeit nahmen sie ihren Platz auf der Erde ein.

Der Schöpfer erhob sich von seinem aus Steinen gebauten Bett und ballte die Hände zu Fäusten. Er würde nicht zulassen, dass Caras Traumbild, so atemberaubend es auch war, ihn schwächte. Sein Gestern war beerdigt in seiner gefrorenen Seele. Sein Heute waren Hass, Wut und kalte Leidenschaft. Der Tag seiner Auferstehung war nah und mit ihm kam sein Reich der ewigen Finsternis.

Kapitel 5Neustadt an der Orla

Ein junger Mann kämpfte gegen den Sturm, der die Kleinstadt Neustadt an der Orla in dieser regnerischen Augustnacht heimsuchte. Michael hatte den Kragen seines schwarzen Ledermantels hochgeschlagen, sein schulterlanges, braunes Haar wehte ihm immer wieder ins gerötete Gesicht. Seine blutbefleckten Hände hatte er tief in den Manteltaschen vergraben, in seinen Augen war kein Mitleid zu sehen. Bei sich trug Michael den Dolch der Auferstehung, den er hütete wie einen kostbaren Schatz. Seit vier Monaten diente er nun schon den Söhnen der Nacht. Michael hatte in einer Bar gesessen, als er von Henry, einem Sohn der Nacht, angesprochen und als würdig befunden wurde, dem Bösen zu dienen. Von Henrys Bruder Jared hatte Michael den Auftrag erhalten, jeden Stein in dieser Stadt umzudrehen, auf der Suche nach dem Dolch, den der Schöpfer selbst erschaffen hatte. Monatelang war er tagsüber durch die Straßen und Gassen der Stadt gestreift, hatte seine Augen und Füße nicht geschont, aber leider ohne Erfolg. Immer wieder musste er in der Nacht Ewans Söhnen sein Versagen erklären. Dann warf endlich das Schicksal einen Lichtstrahl auf ihn. In einem Nachtclub, in dem Michael seine Niederlage ertränkte, lernte er Lilli kennen. Sie hatte neben ihm an der Bar Platz genommen und mit sehnsüchtigen Blicken seine Aufmerksamkeit gesucht.

„Sie sehen aus, als hätten Sie einen schweren Tag gehabt?“, hatte sie eine vorsichtige Annäherung gewagt.

„Mein Job ist teuflisch“, hatte Michael betont abweisend reagiert.

Dann hatte sie doch sein Interesse geweckt, als sie erwähnte, dass sie für Maria arbeitet, die als Professorin an einer Universität tätig ist und dort eine Antiquitätenabteilung zur Unterstützung ihres Geschichtskurses leitet. Mit großem Interesse hatte er aufgehorcht. Diese Abteilung könnte seine Nadel im Heuhaufen sein. Michael hatte sein schönstes Lächeln aufgesetzt und sich mit Lilli für den nächsten Abend dort verabredet. Schon beim ersten Blick in den mit Antiquitäten gefüllten Raum hatte er den Dolch, den er bis dahin nur von Jareds Zeichnung kannte, in einer Glas Vitrine entdeckt. Michaels Herz hatte sich vor Begeisterung überschlagen und es hatte ihn viel innere Kraft gekostet, sich nicht anmerken zu lassen, wie viel ihm dieser Dolch bedeutete. Michael hatte sofort gewusst, dass Maria das Vertrauen eines Avatars genoss. Denn nur ein Avatar hatte die Macht, den Söhnen der Nacht den Dolch der Auferstehung zu entreißen.

Die letzten vier Wochen hatte Michael die Arbeitsgewohnheiten der Professorin studiert. Sie ging nie vor Mitternacht. Von daher musste er nur warten, bis Lilli pünktlich um elf Uhr verschwand. Heute Nacht hatte er das Schicksal der Welt besiegelt und einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass der Schöpfer auferstand. Stolz dachte Michael an seine Bluttat vor einer halben Stunde zurück, mit der er den Beginn einer dunklen Welt angekündigt hatte. Maria Duvall lag blutüberströmt auf dem polierten Linoleumboden der Universität. Sie war völlig arglos gewesen.

„Sie haben Lilli um zehn Minuten verpasst, junger Mann“, hatte sie charmant erklärt.

Michael hatte ein umwerfendes Lächeln aufgelegt, das Lächeln eines Mannes, der half, der Welt die Sonne zu stehlen. „Ich möchte zu Ihnen, Frau Professorin, denn ich habe den Auftrag, den Dolch der Auferstehung zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen.“ Michael hatte das Entsetzen in ihren Augen genossen, als er ihr erklärte: „Gestatten: Michael, Verbündeter der Söhne der Nacht.“

„Du bekommst den Dolch nur über meine Leiche“, hatte sich die kleine Professorin kämpferisch gegeben.

„Meinetwegen“, hatte er kalt erwidert, war an sie herangetreten und hatte ihr diesen Gefallen mit einem Schnitt durch die Kehle getan. Michael liebte den süßlichen Geruch vergossenen Blutes, es berauschte ihn unglaublich. Er fühlte sich wie ein Schriftsteller, der die Geschichte vom Ende eines Lebens schrieb.

Jetzt war er auf dem Weg zu Jared, um ihm den Dolch zu übergeben, den sein Bruder Henry vor zwanzig Jahren in dieser Stadt an einen Avatar verloren hatte. Ein teuflisches Lächeln vereinte sich mit der Nacht.

„Gut gemacht“, sagte er zu sich selbst.

Die Welt des Schöpfers war nah!!!

Kapitel 6Laras Praxis

Schläfrig saß Lara wie jeden Abend hinter dem Schreibtisch in ihrer parapsychologischen Praxis, die endlich menschenleer war. Die Wanduhr, von der ihr Mutter Maria zulächelte, zeigte eine halbe Stunde nach Mitternacht. Draußen tobte ein Sturm, der Regentropfen heftig gegen die Fensterscheiben schlug. Lara massierte ihre Schläfen, die wie verrückt pochten, und hörte in Gedanken die warmherzige Stimme ihrer Großmutter, die sie ermahnte, nicht so viel zu arbeiten.

Lara warf einen wehmütigen Blick auf das Bild zweier Frauen, das vor ihr auf dem Schreibtisch stand. Ihre Schwester Diana hatte sie schon vor langer Zeit verloren und auch ihre Großmutter Melinda hatte vor drei Monaten einen Herzinfarkt erlitten und sie ohne Familie auf der Welt zurückgelassen. Laras Eltern waren bei einem Autounfall gestorben, als sie gerade zwei Jahre alt war. Ihre Großmutter väterlicherseits hatte sie und Diana bei sich aufgenommen und so gut es ging Vater und Mutter ersetzt. Schon ihre Großmutter mütterlicherseits Isabell hatte Lara nie kennengelernt, da sie Opfer eines Überfalls wurde. Näheres hatte sie nie erfahren. Wahrscheinlich hatte sie deshalb Parapsychologie studiert, weil sie es satthatte, dass alles hinter Nebel lag. Sie wollte Antworten auf Fragen, die sich nur wenige trauten zu stellen. Sie wollte das Unwahrscheinlichste wissen, um Licht in ihr Leben zu bringen, denn sie spürte, dass ein Geheimnis auf ihrer Familie lag wie ein düsterer Schatten. Tränen traten in Laras Augen. Heute war ihre Wohnung eine Insel aus Einsamkeit mit Bildern von Menschen, die es nur noch im Gestern gab.

Das plötzliche Klingeln des Telefons riss sie aus ihren melancholischen Gedanken. Sie wusste, es würde nicht verstummen. Mit einem tiefen Atemzug nahm sie den Hörer ab.

„Hallo, Thomas“, seufzte sie müde.

„Ich dachte schon, ich muss meine Lieblingsnachbarin als vermisst melden“, hörte sie die besorgte Stimme ihres Nachbarn, der vor vier Monaten in die Wohnung neben ihr zog. Er war zu ihr wie der Bruder, den sie nie hatte. Thomas hatte versucht, sie nach dem Tod ihrer Großmutter zu trösten. Er war Balsam für ihre Seele, aber nicht für ihr trauerndes Herz.

„Thomas“, erwiderte sie lächelnd, „ich habe nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergeht. Ich komme sofort nach Hause, damit du ruhig schlafen kannst.“

„Ich höre den Sarkasmus in deiner Stimme. Ich mache mir eben Sorgen um dich“, erklärte er ihr seinen Anruf.

Lara wusste, dass Thomas’ Besorgnis echt war. „Was hältst du davon, mich abzuholen?“, fragte sie versöhnlich.

„Ich bin gleich da“, antwortete Thomas und eine Sekunde später knackte es in der Leitung.

Lara legte kopfschüttelnd den Hörer auf. Dieser Mann war ihr ein Rätsel. Ihre Wohnung befand sich nur zwei Häuser weiter entfernt von der Praxis und Thomas tat, als müsste sie das Meer durchqueren. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht mehr ans Telefon zu gehen, wenn er anrief, nur weil sie nicht Punkt zwölf Uhr zu Hause war. Aber sie wollte sich nicht vorstellen, was er dann anstellen würde. Wahrscheinlich würde er ein Polizeiaufgebot bestellen.

*

Erleichtert, Laras Stimme gehört zu haben, hatte Thomas den Hörer aufgelegt.

„Wenn du wüsstest, in welcher Gefahr du schwebst“, flüsterte er leise.

Eine Minute später lief er hastig die Treppe des Hausflurs hinunter.

Kapitel 7Stillgelegte Textilfabrik

Unzählige schwarze Kerzen in goldenen Kerzenständern erhellten den Kellerraum der stillgelegten Textilfabrik am Ende der Stadt. Um einen Holztisch versammelt, saßen sechs in Schwarz gekleidete Söhne der Nacht. Ihre grünen Augen funkelten gefährlich. Hierher hatten sie sich zurückgezogen, um die Auferstehung ihres Schöpfers vorzubereiten. Die Kelche, die vor ihnen standen, waren randvoll gefüllt mit menschlichem Blut. Um keinen Avatar anzulocken, der sie aufhalten konnte, hatten sie beschlossen, keine blutleeren Opfer in der Stadt zurückzulassen. Ihre menschliche Nahrung hatten sie zahlreich im Keller nebenan angekettet.