CARMENCITA - Im Land des Vergessens - Eine Sternenfrau und eine Erdenfrau erzählen ihre gemeinsame Geschichte. - Birgit Weidmann - E-Book

CARMENCITA - Im Land des Vergessens - Eine Sternenfrau und eine Erdenfrau erzählen ihre gemeinsame Geschichte. E-Book

Birgit Weidmann

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Beschreibung

Albruna trägt eine spirituelle Aufgabe. Wie alle Frauen empfängt sie das Wissen von den Sternen. Doch sie hat alles vergessen. Carmencita, eine Andromedanerin, begleitet ihre Erdenschwester. Auf Planet Erde erfährt sie die Wirkungsweise des Vergessens. Abraxis, ein humorvoller Gnom; Siria, Hüterin der spirituellen Intuition; Sirius, ein Weltenlehrer; die Mütter von Andromeda und viele andere unterweisen beide höchst unterschiedliche Schwestern. "Alles begann mit einem Traum ...", schreibt Albruna im hohen Alter in ihr Tagebuch. Sie und Carmencita beschließen, ihre Geschichte gemeinsam zu erzählen. Ihr Weg beginnt mit Albrunas Geburt. In ihrer Pubertät treffen sich die beiden Schwestern zum ersten Mal. Ihre Beziehung läuft mehr holprig als flüssig, da Albruna Carmencita nicht sehen und nur selten verstehen kann. CARMENCITA ist ein mehrteiliger spiritueller Roman, der in den 1950ern beginnt. Das erste Buch endet in den späten 1980ern. Rückblicke aus der Zukunft sind unvermeidlich. --- Die YouTuberin Nana Sturm vom Kanal Matriwissen hat das Manuskript gelesen: „Menschen, die von einem anderen Stern kommen und [Menschen, die] noch im Vergessen feststecken, hält Birgit Weidmann den Steigbügel der Erinnerung hin. Es sind alle eingeladen, einen erweiterten Begriff von Wirklichkeit zu entdecken … Bücher wie dieses helfen uns, neue Perspektiven einzunehmen ... und vertrauensvoll in die neue Zeit zu schreiten. … Birgit Weidmann ist in Schönheit, Weisheit und Würde zu einer der alten Frauen herangewachsen, die uns in ihren Büchern Orientierung und Einsicht vermitteln, voll Humor und Zärtlichkeit dem Leben und allem Lebendigen gegenüber. [Ihre Protagonistin Albruna, die Alte, entspricht diesem Bild.] In ihrer Buchreihe „Die verlorene Göttin“ hat [die Autorin] ... [durch ihr] historisches Wissen ... [für den vorliegenden Roman] ... Wurzelarbeit [geleistet], könnte man sagen, denn nur mit gesunden, kräftigen Wurzeln können wir der neuen Zeit entgegenwachsen. … Endlich die überholten Strukturen des Patriarchats durchschauen ... hinter uns lassen und in Harmonie mit all den Wesenheiten um uns her den Schritt in ein neues Bewusstsein zu wagen. Für diesen Weg erzählt Birgit Weidmann die Geschichte ihres [und Albrunas] Lebens, verwoben mit der Geschichte der Sternenmaid Carmencita. Beides ist so wichtig: Die Anerkennung der Tatsache, dass wir hier nicht allein sind, sondern umgeben von irdischen und kosmischen Wesenheiten, die wir gerade erst wieder wahrnehmen lernen, ebenso wie, dass wir einander unsere Geschichten erzählen, echt und wahrhaftig. Die Beschreibung der AAO, [eine Kultgemeinschaft der 1970er und 80er Jahre] in der die irdische Protagonistin des Buchs eine Weile lebt und die Birgit Weidmann aus gelebter Erfahrung kennt, macht am Rande einen weiteren Reiz des Buches aus. Besonders da es [der Autorin] gelingt, gleichzeitig kritisch zu reflektieren und diesem sozialen Experiment dennoch seinen Platz zuzugestehen – in der gesellschaftlichen Wirkung ... und der ... Biografie. Die Betrachtungen unserer Lebenswelt, die die Andromedanerin Carmencita anstellt, haben teilweise etwas von Büchern, wie dem Papalagi, wo ein gänzlich fremder Blick auf unseren Alltag uns hilft, noch einmal neu zu betrachten und zu überprüfen, was wir allzu oft als gegeben hinnehmen. All dies macht dieses Buch zu einer bereichernden Lektüre, die der Freude den Weg bereitet – und so wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen! Nana Sturm.“

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Seitenzahl: 436

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Birgit Weidmann

CARMENCITA

Im Land des Vergessens – Unterwegs in die Neue Zeit

Dieses Buch kann spirituelle Kanäle öffnen, sofern du es wünschst und erlaubst.

~~~~~~~~~

Ein Wegweiser

Das Buch

Carmencita

Eine Sternenfrau im Land des Vergessens

Albruna

Eine Erdenfrau unterwegs in die Neue Zeit

Zwei höchst ungleiche Schwestern erzählen ihre gemeinsame Geschichte.

Band 1 beginnt in den frühen 1950er-Jahren und endet in den späten 1980er-Jahren.

Einige Zeitliniensprün ge in Vergangenheit und Zukunft sind unvermeidlich.

Mittels holotonischer Grafie – eine andromedanische Übertragungstechnik - unterweisen die Mütter von Andromeda ihre Tochter Carmencita.

Ein Gnom begleitet Albruna von klein auf in humorvoller Weise. Er ist einer der Hüter von Mutter Erde.

Magisches und Reales verschmelzen. Neue Sichtweisen tun sich auf.

Eine spannende Lebensreise auf dem Weg in eine neue Zeit.

Die Autorin

Birgit Weidmann (*1954) ist mit ihrer dreibändigen Sachbuchreihe Die verlorene Göttin, Geschichte der Spiritualität bekannt geworden. Ihr fundiertes Fachwissen sowie einige biografische Erfahrungen integriert sie in diese Romanreihe.

Die Autorin lebte zwischen 1976 und 1990 in der Kommune-ähnlichen Gemeinschaft um den Künstler Otto Muehl (Wiener Aktionismus). Heute lebt die Autorin mit ihrer Wahlfamilie auf einer abgelegenen Wassermühle in Deutschland.

Sie arbeitet derzeit am 2. Band der CARMENCITA-Reihe.

© 2025 Birgit Weidmann

Website: https://www.neuwagenmuehle.de/Publikationen

Covergrafik von: Sita Otto (Bild); Pedro Kraft (Satz, Textgrafik)

Weitere Mitwirkende: Siehe Danksagung

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:

[email protected]

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Urheberrechte

Einleitung

Zauber der Kindheit – 1959 –

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Albruna und Carmencita stellen sich vor – 80 Jahre später –

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Carmencita lebt sich auf Planet Erde ein – 1952 bis 1967 –

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Carmencitas Mission beginnt – 1967 bis 1971 –

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Albruna folgt ihrem Bauchgefühl – 1973 bis 1976 –

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Es geht immer um die Liebe … –1976 bis 1980 –

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Die Sehnsucht nach der heilen Welt – um 1980 –

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6

Ein Rückblick – 1983 bis Übermorgen –

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Wörterbuch

Danksagung

CARMENCITA - Im Land des Vergessens - Eine Sternenfrau und eine Erdenfrau erzählen ihre gemeinsame Geschichte.

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Titelblatt

Urheberrechte

Einleitung

Danksagung

CARMENCITA - Im Land des Vergessens - Eine Sternenfrau und eine Erdenfrau erzählen ihre gemeinsame Geschichte.

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Einleitung

Die intergalaktische Sprache benutzt für ihre Aufenthalte auf Planet Erde unsere Worte, jedoch entspricht unser Sinn nicht unbedingt dem intergalaktischen Sinn. Ein Beispiel ist das Wort diesjährig. Wir beziehen diesen Zeitbegriff auf unser erdbezogenes Sonnenjahr, die Andromedaniten auf einen Inkarnationszyklus. Demnach bedeutet diesjährig für sie eine aktuelle Inkarnation und vorjährig die vorhergehende Inkarnation.

Um Sprachver(w)irrungen zu vermeiden und weil wir Erinnerungsstützen brauchen, habe ich ein Glossar am Ende des Buches angefügt.

Diese Buchreihe dient der Frequenzanhebung unseres Bewusstseins und kann ein Wegweiser sein. Wer es erlaubt, dem wird das Buch helfen spirituelle Kanäle zu weiten und unser Vertrauen in unsere spirituelle Intuition, die die Andromedaniten Licht-Epinoia nennen, zu stärken und zu klären. Nebel lichten sich. Blickwechsel sind möglich.

Allen wünsche ich eine genussvolle Leehrne. (Ein andromedanischer Ausdruck für Lehre, Leere und Lernen, was in ihrer Kultur stets zusammengehört.)

Neuwagenmühle, den 2. Mai 2025

Zauber der Kindheit – 1959 –

1

Albruna ist fünf Jahre alt. Gerade sitzt sie auf dem Schrank im Kinderzimmer und liest ein Buch. Um sich herum hat sie ihre wertvollsten Schätze drapiert: Alte Garnrollen, glitzernde Stofffetzen, ihr magisches Malbuch, Buntstifte, ihre schönsten Bilderbücher, einige Bauklötze, ihren großen und ihren klitzekleinen Teddybären.

Sie ist schon groß. Bald wird sie in die Schule kommen. Die Erwachsenen fragen sie immer, was sie einmal werden will. Plötzlich hat Albruna eine Idee. Aufgeregt klettert sie vom Schrank auf ihr Bett – sie schläft oben, ihr kleiner Bruder unten – saust über die Leiter ihres Stockbettes auf den Fußboden – sie hat es mittlerweile zu einer atemberaubenden Geschwindigkeit gebracht – reißt die Türe des Kinderzimmers auf, flitzt auf den Flur und rennt in die Küche.

„Mutti, Mutti, ich weiß jetzt was ich werden will. Wenn ich groß bin will ich Hexe werden. Und ich werde einen Zauberer heiraten.“

Lachend dreht sich die Mutter zu ihrer Tochter um: „Du hast wieder einmal eine blühende Fantasie, Albruna. Sag Tante Dregger bitte guten Tag und geh wieder spielen.“

Am Küchentisch sitzen sich die beiden Frauen gegenüber und lächeln. Schnell macht Albruna einen Knicks, murmelt: „Guten Tag“ und wendet sich erneut an ihre Mutter: „Aber Mutti, das ist wichtig. Ich will eine echte Hexe werden. Nicht so eine wie in den Büchern…“

Voller Inbrunst vertraut sie ihrer Mutter ihre Lebenspläne an. Doch ihre Mutter nimmt sie nicht ernst. Im Gegenteil. Die Mutter belächelt die große Erkenntnis ihrer kleinen Tochter.

Albruna schießen Tränen in die Augen. Tief gekränkt dreht sie sich auf ihrem Absatz um. Hastig verlässt sie die Küche. Im Flur stampft Albruna wütend mit den Füßen auf. Laut brüllt sie Richtung Küchentür:

„Alle Erwachsenen sind dumm!“ Ein leiserer Stoßseufzer folgt: „Die verstehen einfach nichts.“ Trauer, Verlorenheit und Enttäuschung wallen in Albruna auf. Als Geächtete oder gar als Ungesehene will sie nicht leben: „Die werden schon sehen was sie davon haben.“ Schmollend betritt sie das Kinderzimmer und gibt der Türe einen festen Tritt. Laut fällt sie ins Schloss. Albruna ist allein. In diesem Augenblick fasst sie einen Entschluss: „Ab sofort behalte ich alles für mich.“

Carmencita, die andromedanische Sternenmaid, beobachtet das Ganze aus der Ferne. Sie findet Albrunas Entscheidung absolut verständlich. Allerdings auch sehr betrüblich, da sie weitreichende Folgen haben kann. Zu gerne hätte Carmencita in das Geschehen eingegriffen. Ihre Aufgabe beginnt jedoch erst mit Albrunas Pubertät. Bis dahin soll sie das Verhalten der Erdenmenschen studieren. Deshalb hält sie sich zurück.

In der folgenden Nacht wispert und flüstert es in Albrunas Kinderzimmer in allen Ecken: „Komm mit, komm mit, komm mit“, raunt es und posaunt es.

Großmutter Mond steht hoch am Himmel und steuert das Ihre zu dieser magischen Atmosphäre bei. Auf Albrunas Kopfkissen hockt ein kleiner Gnom. Dauernd flüstert er ihr ins Ohr:

„Komm mit, komm mit, komm mit zu mir nach Hause. Komm! Ich zeige dir, wo ich wohne.“

„Nein. Lass mich schlafen“, entgegnet Albruna. Sie weiß genau, das würden ihre Eltern ihr niemals erlauben.

Einige Erdentage später sieht Carmencita Albruna am Gartenzaun stehen. Versonnen späht sie in den unmittelbar hinter den Häusern beginnenden Wald. Sie liebt den Wald. Die Eltern sehen es nicht gerne, wenn ihre Kinder alleine durch das Törchen gehen.

„Im Wald gibt es einen schwarzen Mann“, behaupten die Erwachsenen, „der fängt kleine Kinder und steckt sie in seinen Sack.“

Paaahh, denkt Albruna, die wollen uns nur Angst machen. Und wieso ist er schwarz?

Die Großen jedoch schmücken ihre Geschichten aus. Sie behaupten, der Alte sei buckelig, trage einen langen schwarzen Mantel und Bart. Sein Sack sei immer groß und schwer.

Albruna überlegt: Sieht er wie ein schwarz verkleideter Nikolaus aus? Ärger steigt in ihr auf. Sie liebt den Nikolaus. Diese Gruselgeschichte liebt sie nicht. Sie findet sie regelrecht albern. Bestimmt haben die Erwachsenen sie von unserem Spiel geklaut, überlegt das Mädchen. Alle Kinder in Albrunas Straße lieben das Spiel: „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?“, ruft eine Spielerin. „Niemand!“, brüllen die anderen. Alle rennen los. Der „schwarze Mann“ muss so viele Kinder wie möglich abklatschen.

Verträumt blickt Albruna den Waldweg entlang und lauscht auf die Stimmen der Natur. Ihr Entschluss steht fest: Den Warnungen der ängstlichen Erwachsenen will sie kein Gehör mehr schenken. Hellwach schaut sie sich um. Kein Mensch ist zu sehen.

Ein leiser Wind kommt auf.

„Verrat mich nicht“, raunt sie ihm zu. Laut genug, um sich selber Mut zu machen, erklärt sie ihm: „Außerdem bin ich nicht alleine.“ Hoffentlich stimmt das auch.

Suchend tasten ihre Blicke die Umgebung ab. Endlich. Über ihre rechte Schulter spähend, erblickt sie ihn.

„Da bist du ja!“ Erleichtert atmet Albruna auf.

Der kleine Gnom blickt aufmerksam zu ihr empor. Er reicht ihr bis zu den Knien, hat struppiges angegrautes Haar, trägt ein kariertes Hemd und darüber ein speckiges Wams.

Seine braune abgetragene Hose hat Hochwasser, findet Albruna, und geheimnisvoll tiefe Taschen. Auf dem linken Knie prangt ein bunter Flicken. An beiden Ellbogen Flicken auch. Ob er sehr arm ist? Albruna hat sich das schon oft gefragt. Die Füße des Gnomen stecken in zwei viel zu groß geratenen Schuhen und auf seinem Kopf trägt er einen überdimensionierten, breitkrempigen Hut mit hoher Spitze. Ein Zwischending von Zauberhut und Zwergen-Zipfelmütze, überlegt Albruna.

Nachdenklich betrachtet Carmencita diesen kleinen Kerl. Wer mag das sein? Meist hält er sich in Albrunas Nähe auf.

Urplötzlich rutscht die Sternenfrau durch die Zeit. Mit ihr Albruna und ihr unermüdlicher Begleiter. Er reicht der nun erwachsenen und alt gewordenen Frau noch immer nur bis zu den Knien. Sie scheinen seine Wachstumsgrenze zu markieren. Seine Kleider wachsen scheinbar mit. Erschrocken merkt Carmencita auf. Beinahe wäre ihr der Zeitlinienfaden entglitten. Fast wäre sie in die Zukunft abgerauscht. Das darf auf keinen Fall geschehen! Rasch konzentriert sich die junge Sternenmaid wieder auf die Gegenwart. Augenblicklich verschwimmt die alte Albruna und mit ihr der alt gewordene Gnom.

Das Mädchen steht zusammen mit dem kleinen Gnomen am Gartentor und träumt. Sie freut sich, dass er bei ihr ist.

Das ist gerade nochmal gut gegangen. Aufgeregt flattert Carmencita umher. Als Amsel fliegt sie vor der Kleinen auf und schnell davon. Die kindliche Albruna sieht dem Vogel nach.

Der Gnom schaut zu Albruna auf. Sein Blick ist schwer zu deuten. Auf einmal werden seine dunklen Augen tellergroß. Sie ziehen sie in ihren Bann. Magische Stille breitet sich aus. Dann lösen sich ihre Blicke wieder und beide beobachten den Wald.

In der Ferne macht Albruna einen dunklen Schatten aus, der sich bewegt. Ist das der geheimnisvolle alte Mann? Ganz deutlich kann sie ihn erspähen. Tief vornüber gebeugt geht er im Schatten hoher Bäume schnellen Schrittes seiner Wege. Albruna sieht er nicht und sucht auch nicht nach ihr. Auf seinem Buckel trägt der fremde Mann ein großes Bündel Reisig.

„Na also…!“, triumphiert Albruna laut. „Es gibt ihn wirklich! Und er tut mir nichts.“ Abenteuerlust blitzt in ihren Augen auf und sie beschließt der Sache auf den Grund zu gehen.

Der kleine Gnom hüpft aufgeregt um sie herum. Sein lockendes „Komm mit! Komm mit!“ verbindet sich mit dem Rascheln des trockenen Laubs unter seinen tänzelnden kleinen Füßen in den viel zu großen Schuhen.

Behutsam öffnet Albruna das verbotene Törchen und schlüpft hindurch. Der Gnom ihr nach. Nachdenklich betrachtet sie den vor ihr liegenden Waldweg, der sich durchs Dickicht schlängelt. Wohin er führt, weiß sie nicht. Entschlossen nimmt sie die Fährte des alten Mannes auf und läuft in seine Richtung los. „Komm mit!“, ruft sie ihrem kleinen Begleiter zu. Diesmal ist sie die Lockende.

Eine Antwort erhält sie nicht. Verwirrt blickt sie sich um. Weit und breit kein Gnom in Sicht. Egal. Albruna läuft alleine los.

Der Wald um sie herum wird fremd. Das kleine Mädchen will den Gnomen jetzt lieber bei sich haben.

„Wo bist du?“, ruft sie in den Wald hinein. Die Antwort bleibt noch immer aus. Laut klopft Albrunas Herz. Wo ist er nur? Furcht schleicht sich an. Verlorenheit will nach ihr greifen. Der Wald erscheint ihr plötzlich undurchdringlich, riesengroß und ur-uralt. Um sich selber zu beruhigen, ruft sie so laut sie kann. „Woooo biiiist duuuu!?“

„Komm mit! Komm mit!“, wispert und flüstert es um sie herum.

Albruna dreht sich hierhin und dorthin. Nichts zu sehen.

„Wo bist du denn? Hör auf mit dem Versteckspiel!“ Kleinlaut geworden fügt sie hinzu: „Ich habe Angst.“

Hinter ihr raschelt es im Laub. Das Mädchen dreht sich suchend um. In dem Moment kommt ihr kleiner Freund aus dem Gebüsch gekrochen. Eifrig klopft er sich Unmengen von trockenem Moos und Laub aus seinen Kleidern. Kaum ist er fertig, vertritt er Albruna frech den Weg. Sein krächzendes Stimmchen ertönt:

„Abraxis, mein Name.“

„Oh nein, nicht schon wieder!“, stöhnt Albruna.

Der Kleine lässt sich nicht beirren. Förmlich will er sie im Wald willkommen heißen. Mit einer weit ausladenden Gebärde verbeugt er sich bodentief vor ihr, reißt seine breitkrempige Mütze vom Kopf, wedelt sie in der Luft herum, fegt danach den Waldboden mit ihr und beendet so seinen altmodischen Kratzfuß.

„Abraxis!“ Albruna findet seine Darbietung peinlich: „Mach das nie wieder!“

Lachend richtet sich der Kleine auf, klopft seine Mütze sauber, wischt sich den letzten Krümel Moos aus seinem grauen Strubbelhaar, setzt sich die breitkrempige Zipfelmütze ordentlich auf seinen Kopf, zieht und zupft Wams, Hemd und Hose zurecht und blickt Albruna wartend an.

„Komm mit in mein Zuhause“, lacht er.

„Hör auf, Abraxis. Ich kann nicht mitkommen. Du wohnst viel zu weit weg. Das erlaubt mir meine Mutter nie.“ Albruna überlegt: Vielleicht kennt er den Weg zum alten Mann? Hoffnungsvoll blickt sie ihn an und setzt ihr allerfreundlichstes Lächeln auf: „Abraxis, ich will den alten Mann besuchen. Du weißt schon, den Alten mit dem Bündel auf dem Rücken. Zeigst du mir den Weg?“

Abraxis schweigt.

Albruna wechselt unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Wenn du mir jetzt den Weg zum Alten zeigst, komme ich auch ganz bestimmt zu dir nach Hause. Wenn ich einmal groß bin, meine ich.“

„Versprochen?“, fragt der Kleine schnell.

„Versprochen“, antwortet Albruna.

Der Gnom blickt Albruna lange an. Leise sagt er: „Komm mit.“

Und diesmal folgt sie ihm.

Gemeinsam laufen sie tiefer und tiefer in den Wald hinein, bis sie an eine kleine Lichtung voller Farne, Moose und umgestürzter dicker Bäume kommen. Der Boden ist schlammig und morastig. Die Sonne scheint durch das Blätterdach und zeichnet lustig tanzende Flecken auf die Wasserpfützen. Ausgelassen springt Albruna von Grasbüschel zu Grasbüschel. Dabei achtet sie darauf, nicht in den morastigen Grund einzusinken. Endlich erreicht sie einen der querliegenden Bäume, klettert auf seinen Stamm und übt das Balancieren. Hochkonzentriert vertieft sie sich in ihr Spiel und vergisst darüber völlig wo sie ist und wohin sie will.

Im Farn grollt eine Stimme. Erschrocken blickt Albruna auf.

„Pass auf!“, poltert es neben ihr, „unter dir liegt ein gefährlicher Sumpf!“

Unsanft erwacht Albruna aus ihrem Spiel, dreht sich blitzschnell nach der Stimme um, rutscht aus und landet rittlings auf dem Stamm.

„Aua!“, schreit sie auf. Der Sturz hat ihre Beine unsanft auseinandergerissen. Wütend blickt sie sich um: „Du hast mich total erschreckt! … Was soll das? Oh nein! Ich glaub, ich träum!“

Abraxis, der Mistkerl, hält sich vor Lachen seinen kleinen Bauch. Eine Lachträne kullert ihm über seine runzelige Wange.

„Du bist gemein“, brüllt ihn Albruna an, „nie wieder gehe ich mit dir!“

„Oh, bitte, komm mit … komm mit.“ Der Gnom kann sich das freche Grinsen kaum verkneifen.

Albruna schmollt, rutscht vom Baum und landet geradewegs im sumpfigen Untergrund. „Mein Schuh steckt fest! Hilf mir, mein Schuh, Abraxis, nun hilf mir doch…!“

Keine Antwort.

Suchend schaut sich Albruna um. Weit und breit kein Abraxis in Sicht. Also müht sie sich alleine ab, einigermaßen trockenen Fußes mit ihren beiden Schuhen aus dem Schlamassel rauszukommen. Was auch gelingt.

Zurück auf festem Grund fällt ihr der alte Mann wieder ein, den sie besuchen will. Wo ist Abraxis? Wie soll sie den Alten ohne Abraxis‘ Hilfe finden? Albruna sucht ihn überall. Er ist und bleibt verschwunden. Da sie nun schon so weit entfernt von Zuhause ist, beschließt sie, immer der Nase nach, wie es in ihren Kinderbüchern steht, geradeaus zu gehen. Angst hat sie diesmal keine.

Mutig stapft das kleine Mädchen auf dem sonnenbeschienenen Waldweg wie unter einem Goldregen dahin. Sie folgt einem schmalen gewundenen Pfad und staunt über die Schönheit des sie umgebenden grünen, lichtdurchfluteten Waldes. Sein Blätterdach wirft bizarre Schatten und die Sonne malt leuchtende Kringel auf den mit altem Laub und Zweigen bedeckten Waldboden.

Tief beeindruckt schaut Albruna zu den großen Bäumen auf: „Ihr seid alle meine Freunde“, ruft sie ihnen zu. „Ich komme euch alle besuchen!“

Sie beginnt jeden einzelnen mit Händen und Blicken zu erfassen. Irgendwann gibt sie ihren Begrüßungstaumel auf, breitet ihre Arme aus, dreht sich im Kreis, so dass ihr Tellerrock hoch hinauffliegen kann und ruft:

„Ich besuche euch alle. Nur einzeln geht das nicht. Ihr seid einfach zu viele!“ Lachend lässt sie sich auf ein Moosbett plumpsen.

Glücklich berauscht von der Schönheit der Natur geht sie tiefer und tiefer in den Wald hinein, dessen Unterholz immer dichter zu werden scheint. Versunken bewundert sie die lebendige Vielfalt von Steinen, Pflanzen und Tieren. Überall huscht, wispert und raunt es. Edelsteine funkeln unter den Büschen. Durch die Lücken im Blätterdach fluten Sonnenstrahlen, in denen Abermillionen Staubkörnchen tanzen.

„Das ist der goldene Vorhang, den ich zu durchschreiten habe, um ins Zauberland zu kommen.“ Albruna hebt ihren Kopf und strafft ihren Rücken. Augenblicklich fühlt sie sich als Hexe. Achtsam und in Würde wandert sie durch ihren Märchenwald. Tiere spielen ihr auf: Vögel zwitschern ihre Lieder. Mäuse und andere kleinen Tiere krispeln und trippeln den Takt im trockenen Laub. Ab und zu raschelt es im Gebüsch.

Schließlich erreicht Albruna ein altes, völlig zugewuchertes, verwahrlost wirkendes kleines Haus, das sie noch nie zuvor gesehen hat. Vor diesem Kotten steht ein Apfelbaum, der ebenso alt sein muss, wie der Kotten selbst. Der Baum ist dicht mit verführerisch aussehenden rotwangigen Äpfeln behangen. Kurz überlegt sie, ob sie nicht lieber einige Äpfel klauen und danach abhauen soll, anstatt einen alten Mann zu besuchen, den sie garnicht kennt. Nein. Es bleibt dabei. Äpfel hat sie schon oft gesammelt. Einen geheimnisumwitterten Alten aufzuspüren ist spannender.

Das Wetter ist umgeschlagen. Dunkle Wolken ziehen auf und es beginnt zu nieseln. Albruna fröstelt. Schnell zieht sie den Reißverschluss ihres Anoraks hoch. Neugierig blickt sie sich um. Den halb umgefallenen Gartenzaun überwuchert dichtes Brombeergestrüpp. Das verwitterte Törchen steht einen Spalt offen. Sie versucht es zu bewegen. Es geht weder vor noch zurück.

Albruna quetscht sich durch. Vorsichtig schaut sie in Richtung Haus. Alles ist dunkel. Nur ein großes Fenster leuchtet schwach. Allerdings ist es schwer erreichbar, denn zwischen Albruna und dem ersehnten Fenster liegt ein verwunschener Garten voller Brennnesseln, wildem Brombeergestrüpp und Geäst.

Unschlüssig lehnt die Kleine am halbverrotteten Gartentörchen. Suchend tastet sie mit den Augen ihre Umgebung ab. Eine schmale, grünbemooste Plattentreppe, zerbröckelt von Wind und Wetter, führt direkt zum Haus. Die vor Jahren mal grün oder blau gestrichene verwitterte Haustür aus morschem Holz scheint fest verschlossen zu sein. Direkt daneben beleuchtet das große Fenster die plötzlich hereinbrechende Dämmerung.

Albrunas Blick erforscht das Dickicht unter dem ersehnten Fenster jetzt genauer. Es liegt nicht sehr hoch. Sie überlegt: Wenn ich mich auf Zehenspitzen stelle, müsste ich hineinschauen können. Vielleicht ist jemand zuhause. Erneut beäugt sie das Gestrüpp. Behutsam setzt sie Schritt für Schritt, ängstlich darauf bedacht, dass ihre Kleidung nicht zerreißt und kein Ästlein knackt. Endlich steht sie unter dem ersehnten Fenster. Aufs äußerste gespannt stellt sie sich auf Zehenspitzen, zieht sich am Fensterbrett hoch und schaut durch die schmuddelige Scheibe in das dahinter liegende Zimmer.

Auf einem großen, mit dunklem Leder bezogenen Lehnstuhl, an einem mit Papieren überladenen Schreibtisch sitzt der alte Mann. Ungläubig starrt Albruna ihn an. Seelenruhig blickt er vor sich hin. Seine Hände stützen seinen Kopf. Eine weiße Kerze brennt.

Kaum blickt Albruna etwas länger hin, beginnt die Kerze wie durch Geisterhand hin und her zu flackern. Schnell taucht Albruna ab. Hat sie soeben einen Luftzug dort erzeugt?

Vorsichtig taucht sie wieder auf. Der alte Mann hat scheinbar nichts bemerkt. Nachdenklich blickt er vor sich hin, also ob nicht gewesen wäre. Vor ihm steht eine Untertasse voller braunem Schlamm. Eine leere Tasse steht daneben. Die Lippen des Alten bewegen sich scheinbar lautlos. Auf einmal beginnt das Feuer im Kamin hoch aufzulodern. Erschrocken und fasziniert zugleich beobachtet Albruna die zum Leben erwachten Flammen. Gierig verschlingen sie ein Stück des gesammelten Reisig.

„Komm nur herein.“ Der Alte weist Albruna, ohne aufzublicken, mit einer gebieterisch anmutenden Gebärde den Weg zur Haustür. Albruna erschrickt zu Tode.

„Wundere dich nicht, kleines Fräulein. Du kannst mich verstehen, obwohl das Fenster verschlossen ist“, brummelt der Alte und blinzelt sie über seine Brillengläser hinweg an. „Es ist kalt und nass da draußen. Hier drin ist es gemütlicher. Komm herein.“

Die brummige Stimme des Alten verschreckt Albruna. Sie schämt sich, weil er sie erwischt hat.

Der Alte blickt ihr scharf ins Gesicht, das augenblicklich derart zu glühen beginnt, dass Albruna meint, sie müsste sich an ihm verbrennen.

„Die Türe steht offen. Doch sei vorsichtig, sie wird nicht mehr lange halten.“ Jetzt schmunzelt der Alte.

Erleichterung kühlt Albrunas Wangen.

„Hab keine Angst. So lange ich lebe, so lange wird die Türe ihren Dienst noch tun, das hat sie mir versprochen. Also geh ruhig durch, sie wird dich nicht gleich erschlagen.“

Etwas berührt Albruna sanft an der linken Schulter, führt sie zu der jetzt offenstehenden Haustür und schiebt sie mit einem kleinen Ruck hindurch. Unmittelbar hinter ihr fällt die alte Türe ins Schloss. Unschlüssig steht Albruna in einem dunklen Flur. Durch eine spaltbreit geöffnete Zimmertüre rechts von ihr dringt ein warmer Lichtstrahl.

„Nur herein. Es wird kalt hier.“

Vorsichtig tastet sich Albruna an der dunklen Wand entlang. Zaghaft drückt sie die Zimmertür ein kleines bisschen weiter auf. Flugs schlüpft sie in das behagliche Wohn- und Arbeitszimmer des alten Mannes aus dem Wald. Wärme strömt ihr entgegen. Der Duft von Kaffee liegt in der Luft. Alles wirkt anheimelnd und gemütlich.

„Schön ist es hier“, murmelt Albruna ergriffen und vergisst ganz „Guten Tag“ zu sagen. Ihr Herz ist übervoll. Zwei Tränen kullern über ihre heißen Wangen.

Aufmerksam blickt sie sich um. Alle Wände sind mit Regalen vollgestellt. Bis unter das Dach quellen unendlich viele alte, völlig verstaubte Bücher aus ihnen hervor. Dicke Spinnen ziehen ihre Netze in den Ecken. Sie leben in einer natürlichen Gemeinschaft mit dem Mann. So etwas hat Albruna nie zuvor gesehen: Bei uns zu Hause gibt es keine Spinnen. Insekten in der Wohnung gelten als Ungeziefer. Mein Papa besprüht sie immer mit Paral, schießt es Albruna durch den Kopf. Plötzlich überfällt sie ein Grauen vor diesem giftigen Sprühnebel, der so viele kleine Tierchen ruckzuck tötet.

Beschämt blickt Albruna auf den Boden. Er ist mit altem vergilbtem Papier voller Schriftzeichen übersät. Dazwischen liegen rundum abgeknabberte Apfelkitsche, über deren Reste sich die Mäuse hermachen.

„So fressen sie wenigstens nicht meine Papiere an. Die Äpfel mögen sie lieber“, hört Albruna die brummige Stimme des Alten vom Schreibtisch zu ihr herübertönen.

Sie blickt auf.

Der Alte schmunzelt. Fragend taxiert er sie über den Rand seiner Lesebrille. Unendlich viele Lachfalten bekränzen seine dunklen, warmen Augen und geben seinem Gesicht ein verschmitztes und liebenswertes, sogar gütiges Aussehen. Er trägt einen langen, zotteligen Bart. Seine grauen Haare wirken struppig und ungekämmt. „Na, da wunderst du dich, kleine Hexe. Vor dir sitzt ein echter Zauberer.“ Der Alte lacht.

Albruna nickt und staunt, wobei sie etwas verloren in diesem wunderlichen Raum herumsteht. Keinen Ton bringt sie heraus. Bei uns zu Hause ist alles immer ordentlich und sauber. Hier findet man sicher gar nichts wieder, schießt es ihr durch den Kopf. Augenblicklich schämt sie sich für ihre unhöflichen Gedanken und beschließt, den Alten so zu begrüßen, wie die Eltern es ihr beigebracht haben.

Noch ehe sie ihrem Gastgeber mit einem artigen Knicks ihre gute Erziehung angedeihen lassen kann, verzieht ein breites Grinsen sein Gesicht und ein zahnloser Mund kommt unter seinem haarigen Gestrüpp zum Vorschein.

„Setz dich, kleines Fräulein, und hör mir gut zu. Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte.“

Albruna bleibt wie angewurzelt stehen.

2

Unsichtbar fliegt Carmencita im Raum umher. Ob der Alte sie bemerkt, weiß sie nicht. Ist auch egal. Sie kennt ihn. Doch woher? Beinahe wäre sie in Erinnerungen abgeschweift. Schnell greift die junge Sternenfrau die ihr entglittenen Fäden der Zeit wieder auf, um der Geschichte zu lauschen. Um mehr über Albrunas Seelenauftrag zu erfahren.

Beruhigend wirkt der alte Mann auf Albruna ein: „Als ich heute Morgen den Kaffeesatz auf den Teller stülpte, um zu erfahren, wie der Tag verlaufen wird, entdeckte ich, dass mir ein kleines Fräulein gleich seine Aufwartung machen wird. Nun, ich bekomme sehr selten Besuch und fand keine Zeit mehr aufzuräumen. Das ist nicht wichtig. Setz dich dort drüben hin, damit ich dir deine Geschichte erzählen kann.“ Er zeigt mit seiner Hand Richtung Kamin.

Albruna schaut sich um. Am warmen Feuer neben dem Kamin erblickt sie einen gemütlichen mit weinrotem Plüsch bezogenen, uralten Ohrensessel. Ohne zu zögern steuert sie auf ihn zu, klettert auf seinen Sitz und fühlt sich augenblicklich pudelwohl. Alle Aufregung ist verflogen. Stolz und aufrecht sitzt sie in dem viel zu großen Sessel und fühlt sich wie eine echte Hexe. Wie eine erwachsene und in geheimes Wissen eingeweihte Frau.

„Es war einmal vor langer, langer Zeit“, beginnt der Alte seine Geschichte, während er abwechselnd zu Albruna und auf den Kaffeesatz in der vor ihm stehenden Untertasse blickt.

Albruna ist sich sicher, dass dort alles geschrieben steht, was der Alte ihr erzählen will.

„Es ist schon sehr, sehr lange her. Damals lebte ein hoch entwickeltes Volk auf diesem Planeten. Die Menschen verfügten über elektrischen Strom, Flugzeuge und Radios und verstanden es mit Hilfe des Steins der Weisen, wie sie ihn nannten, ihr Leben zu verlängern. Großer Reichtum prägte ihre Städte. Kein Mensch musste hungern. Tiere, Pflanzen und Menschen waren Freunde. Die heute scheuen Rehe waren damals zahm. Alles gehörte sich selbst. Niemand nahm sich das Recht Wald, Land und Wasser samt ihren Bewohnern zu besitzen. Alles gehörte niemandem und allen zugleich. Auf jedem Dorfplatz plätscherte eine klare Quelle und füllte die Brunnen. Überall war die Stimmung entspannt, friedlich und voller Glückseligkeit.

Es gab keine Beton- und Teerstraßen wie heute. Breite Schneisen, bewachsen mit schönsten Orchideen, schmückten die Zugänge zu Haus und Hof. Die Menschen fuhren nicht mit stinkenden, knatternden Autos herum. Sie schwebten in feinsten Mobilen über dem Erdboden dahin. Nicht Feuerkraft und Explosionen trieben deren Motoren an, sondern eine ganz spezielle Form der Elektrizität. Unsichtbar und gut verträglich für alles, was lebte.

Diese Energieform ist überall vorhanden. Sie wird von der Lebens- und Wachstumsenergie aus Mutter Erde heraus wie ein Geschenk verströmt. Die damaligen Menschen sprachen mit ihr und lernten von ihr. Und so erfuhren sie eine Technik, mit deren Hilfe sie Energien im Einklang mit der Natur sammeln, bündeln und kanalisieren konnten. Dafür errichteten sie große, wunderschöne Kristalleier, die sie in die Landschaft setzten.

Solange die Leute mit dem zufrieden waren, was ihnen Planet und Kosmos an Lebensfülle schenkte, waltete großer Friede auf Mutter Erde. Anders als heute, gab es damals keine Kriege um Land, Energie oder Bodenschätze, denn der wichtigste Schatz, die Lebens- und Wachstumsenergie, ist überall vorhanden.

Dann entstand der Riss. Habgier wuchs. Die Lust nach mehr, nach größer, reicher und besser begann sich räkelnd aus dem Schlaf zu winden. Lange noch lebten die Menschen in ihren Familienclans in altgewohnter Harmonie. Doch die Winde im Außen wurden rauer. Das Wissen um den gemeinsamen Ursprung erstarrte und verlor seine heitere Lebendigkeit. Alte Mythen lagen im Sterben. Die menschliche Gesellschaft drohte, wie der Wagon eines Zuges, aus den Gleisen zu springen.

Einst empfingen die Frauen das Wissen von den Sternen und gaben es an ihre Kinder weiter. Einst dienten die Männer dem Leben in allem, was ist. Alle wussten um den Lichttau der Sophia, der die Schwingung allen Lebens ist. In allem, was ist – auch in der modernen Technik von heute – ist Leben. Alles lebt und alles liebt. Vergiss das nie, kleine Hexe.“

Das Rascheln der hin- und her huschenden Mäuse vermischt sich mit dem Knistern des Feuers und der Stimme des Alten:

„Mutter Erde gebiert und sie nimmt. Der Mensch wollte sich von ihrem Zyklus abkoppeln, um zu nehmen, ohne zu geben. Um zu beherrschen, ohne zu dienen. Er ignorierte die großen kosmischen Gesetze und schmiedete sich eigene. Die Strahlen alten Wissens begannen zu erlöschen. Die Weisheit der Alten wurde nicht mehr gehört. Ihr hohes Wissen achtlos weggewischt. Die bisher hoch geachteten sehenden Frauen und Männer gerieten in Gefahr. Habgierige Menschen übernahmen die Macht. Sie betrachteten Mütter und Kinder als ihr Eigentum, hielten sie meist kurz und drillten selbst ihre eigenen Kinder auf Gehorsam. Männer führten gegeneinander blutige Schlachten, um sich Wasser, Land und Leute als Privatbesitz anzueignen.

Skrupellose Männer unterwarfen das starke Geschlecht der Frauen unter ihr Joch. Sie machten selbst vor den Großen Kosmischen Müttern keinen Halt und ersetzten sie durch ihre eigenen Götter. Kosmischer Muttermord und der Beginn des Krieges waren die Folge. Im Verlauf der Geschichte verrieten auch Frauen für Reichtum und Macht die Gesetze des Lebens. Kindern fehlt es seither an Wärme und Geborgenheit.“

Der Alte schweigt. Albruna steigen heiße Tränen auf. Tiefe Trauer überschwemmt ihr Herz. In ihrer Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit kuschelt sie sich tief in den weichen Sessel, damit er ihr das gibt, was ihr so sehr fehlt.

„Was geschah dann?“

Die Stimme des Alten reißt das kleine Mädchen aus ihrem Kummer. Sie rappelt sich auf. „Bitte erzähl weiter. Was ist passiert?“

Neugierig blickt sie dem Märchenerzähler in seine gütigen Augen. Augenblicklich kehrt ihr Hexengefühl zurück. Kampflustig richtet sie sich auf und macht sich bereit, der Geschichte des Zauberers weiter zu lauschen.

Schmunzelnd beobachtet er sie über seine Brillengläser hinweg und fährt dann fort:

„Die Veränderung nahm ihren Lauf. Die Menschen wollten natürliche Gezeiten und Rhythmen kontrollieren. Dafür benötigten sie sehr viel Energie. Um ihren Energiehunger zu stillen, stellten sie immer mehr kristalline Eier in der Landschaft auf. Sie waren wirklich sehr schön anzusehen, diese Eier. Nur, weil es mit der Zeit so viele wurden, strahlten sie etwas zu hell. Tiere flohen in entlegene Gebiete und Menschen erblindeten leicht. Doch das war für sie kein Problem. Spezielle Brillen mit verdunkelten Gläsern schützten ihre Augen und schmückten das Gesicht.

Leider waren diese energieproduzierenden Eier, in Massen genutzt, so gefährlich, dass eine Katastrophe mit gigantischem Ausmaß drohte.“

Erschrocken klatscht sich Albruna die Hände auf den Mund. Ihr Herz klopft wild. Ein leises „Oh“ entfleucht ihrer Kehle.

Der Zauberer zwinkert ihr ermutigend zu.

Albrunas Herz schlägt wieder ruhig.

„In deiner Zeit, kleine Hexe, haben die meisten Menschen ihre Verbindung zu Planet Erde als ihre liebende, lehrende und nährende Mutter verloren. Altes Wissen hüten nur noch wenige Völker, die bis heute an verborgenen Orten der Erde leben. Auch sie sterben mehr und mehr aus.

Der moderne Mensch deiner Zeit erinnert sich nicht mehr an die alten Weisheiten, die das Überleben aller sichert. Stattdessen raubt er der Erde ihre Schätze und missachtet ihre Gastfreundschaft.

Bedenke stets, Mutter Erde ist ein lebendiger Organismus. Sie ist Teil des universalen Raums. Ihre Wanderung durch das All weist im Einklang mit allen Gestirnen zeitliche Zyklen und Rhythmen auf. Diese sollten nicht gestört werden. Der Mensch hat seinen Platz im Gefüge, wie alles, was ist. Jedoch meint er derzeit, er sei das einzige intelligente Wesen und habe deshalb Anspruch auf den wichtigsten Platz im Gefüge. Was nicht stimmt.

Wie in heutiger Zeit, überschätzte sich der Mensch auch damals, als er die kristallinen, energiespendenden Eier - ohne mit Mutter Erde Rücksprache zu halten - massenhaft in die Landschaft setzte. Schon damals schlugen die Menschen ihrem Heimatplaneten tiefe Wunden. Ohne mit ihm Zwiesprache zu halten, raubten sie seine Schätze und überluden ihn mit schwer verdaulichen Abfällen. Die von uns und Mutter Erde eingesetzten Schatzhüter wurden von kampflustigen jungen Männern übergangen oder umgebracht. Bis heute erzählt ihr euch die Sagen von den Drachentötern. Dazu ein anderes Mal mehr.

Das alles bringt Mutter Erde ins Schlingern, denn sie benötigt ihre Schätze, um das Gleichgewicht zu wahren.

Es gibt gierige und achtsame Menschen. Diejenigen, die Kontrolle und Herrschaft über andere lieben, sind bereit für Reichtum, Ruhm und Macht alles zu tun. Das sind die gierigen Menschen.

Ihre Sorge gilt nicht dem Wohle aller, sondern einzig und allein ihrem eigenen Wohl und Stand. Sie unterjochen andere und sondern sich selbst von ihnen ab. Sie bilden Bünde und Vereinigungen, treffen sich in elitären Clubs und fühlen sich unentbehrlich, stark und mächtig. Sie töten die Magie, schaffen moralische Schriften und erfinden Gesetze, die sie selber brechen.

Ähnlich wie heute, wurden auch in der damaligen Zeit viele Menschen immer gieriger. Sie traten die Rechte ihrer Mitmenschen und die der gesamten Natur mit Füßen und interessierten sich nicht für die Brandspur, die sie hinterließen. Ihre Werke riefen Leid, Elend und Armut hervor, was die Habgierigen kalt ließ. Hinter verschlossenen Türen schufen sie sich eine glitzernde Welt, in deren Glanz und Herrlichkeit sie sich rücksichtslos badeten. Diese künstliche Welt widersprach den Bedürfnissen des lebendigen Alls, denn ihr Nährboden war die Falschheit, die Niedertracht, der Raub und der Mord. Deshalb zerfiel ihr glamouröses Gebäude zu Staub.

Neben den gierigen gibt es die achtsamen Menschen. Diese lieben das Leben, so wie es ist. Sie ehren und achten Mutter Erde, die kosmische Mutter und Mutter Natur. Magie ist für sie ein unentbehrlicher Teil der mütterlichen Ordnung. In aller Bescheidenheit sorgen die Achtsamen füreinander: Die Jungen helfen den Alten und die Alten den Jungen. Kinder fühlen sich von allen geliebt.

Ähnlich wie heute, lebten auch in der damaligen Zeit die achtsamen Menschen ein einfaches Leben in abgelegenen Dörfern. Sie litten gemeinsam mit der Natur unter den Folgen des stumpfen Reichtums der mächtig gewordenen Gierigen. Um die daraus entstandenen Leiden zu lindern und die Menschenrodung durch die Mächtigen zu verhindern, gaben die achtsamen und magiekundigen Frauen und Männer alles, was sie vermochten. Leider blieb ihr Einfluss zu gering. Das Unheil nahm seinen Lauf.

Die Achtsamen erkannten die drohende Katastrophe und sorgten vor, um nicht alles dem Untergang preiszugeben. Als die große Flut hereinbrach und ihre Beben die Erde erschütterten und ins Schlingern brachten, flohen die Achtsamen auf ferne Kontinente, um dort neue Kulturen zu gründen.

Mutter Erde verschluckte alle Spuren, wie sie es lange zuvor mit den Spuren des galaktischen Risses getan hatte, von dem nicht einmal mehr Legenden geblieben sind. Das ist eine andere Geschichte.

Heute befindet sich die Menschheit in einer ähnlich schwierigen Lage wie vor der großen Erdbeben-Flut. Der Rat der Sterne hat sich getroffen. Aufgrund einer Bitte von Mutter Erde, die ihren nächsten Entwicklungsschritt jetzt vollziehen möchte, haben wir gemeinsam beschlossen: Was damals geschah, soll kein zweites Mal geschehen.

Erfahrene und hoch entwickelte Seelen erklärten sich bereit, die dafür notwendigen Aufgaben zu übernehmen – und zu vollbringen. Seitdem inkarnieren viele dieser Seelen als Menschen und manche als Tiere. Sie kommen immer in Schüben. Auch Du gehörst dazu.

Obwohl Verwirrung durch viel zu lange Herrschaft und Knechtschaft das Bewusstsein aller Erdenmenschen umnebelt, wird es uns gemeinsam gelingen, die Wende einzuleiten und den Heilungsprozess in Gang zu setzen.

Der Erdenmann prescht gerne unerschrocken vor. Gehört er zu den Habgierigen, erobert er Land und Leute. Als Achtsamer wird er die Fesseln knechtender Strukturen mutig sprengen und impulsgebend wirken. Auch Mischformen werden gebraucht.

Da die Erdenfrau, bedingt durch Mondzeit, Eisprung, Schwangerschaft und Muttersein, bis heute das Wissen der Sterne empfängt, wirkt sie als Hebamme der neuen Zeit. Darin wird auch deine Aufgabe liegen. Deshalb möchtest du so gerne eine Hexe werden. Alle Hexen waren einst Priesterinnen der Großen Göttinnen.

Du bist gekommen, um deine Aufgabe zu meistern. Suche deine Gefährten. Ihr seid Rebellen. Rebellen des Lichts. Gekommen, um Frieden und Liebe im Herzen der Menschen zu wecken, so dass die Wandlung jetzt eingeleitet werden kann. Erinnere dich, kleine Hexe! Du bist eine von uns. So ist es auch deine Aufgabe, Erkenntnisse zu sammeln und Herausforderungen zu meistern, um das Fliegen erneut zu erlernen.“

Leise verhallen die Worte des Alten.

Stille erfüllt den Raum.

Das Rauschen des durch die Blätter der Bäume streifenden Windes und das Knistern des Feuers im Kamin sind kaum zu unterscheiden. Ein Apfel fällt Albruna in den Schoss. Verwundert blickt sie zu dem Alten hin. Ein letztes Mal erhascht sie seinen warmen Blick.

Seine dunklen, von unzähligen Lachfalten umkränzten Augen zwinkern ihr verschwörerisch über seine Lesebrille hinweg zu.

Das alles ist Albruna sehr vertraut. Und doch so fremd. Verwirrt senkt das Mädchen ihren Blick. Verlegen dreht sie den Apfel in ihren Kinderhänden hin und her. Sie fühlt sich ernst genommen. Als Alte und zugleich als Kind.

Blinzelnd hebt sie ihren Blick, um sich das Gesicht des Alten einzuprägen. In dem Moment verblasst der alte Mann und mit ihm alles, was ihn umgibt.

Wie in einem aufsteigenden Zaubernebel, verschwinden nach und nach der Tisch samt dampfender Kaffeetasse und Untertasse voller braunem Kaffeesatz. Das Kaminfeuer, die vielen Bücher und Bilder, der wohlige Geruch von altem Holz, Feuer und Kaffee, die geheimnisvollen Schriftzüge auf den Papieren und danach die vergilbten Papiere selbst. Das alles löst sich langsam auf.

Schließlich verschwindet sogar der rote Plüschsessel, auf dem Albruna sitzt – und mit ihm der Holzfußboden, zusammen mit den Wänden und der Decke des behaglichen Zimmers. Dann löst sich das ganze Haus im Nebel auf, zusammen mit dem Garten, dem halbzerfallenen Zaun, dem windschiefen Törchen und der bemoosten Plattentreppe.

Nur der große Apfelbaum bleibt stehen. Und die Mäuse sind noch da. Sie flitzen zwischen dem raschelnden Laub hin- und her und fressen die runtergefallenen Äpfel rundum ab.

Albruna sitzt jetzt unterm Apfelbaum. Ihr Rücken lehnt an seinem Stamm.

Ein Wind kommt auf. Er rüttelt an den Ästen des großen Waldes. Im luftigen Brausen ertönt die altersbrüchige Stimme des gerade erst verschwundenen Zauberers. Ihr Klang vermischt sich in Albrunas Ohren mit dem Knarren des Geästs.

„Ihr alle seid eine Gemeinschaft. Und eine Gemeinschaft arbeitet zusammen. Ihr habt starke Verbündete in den Welten dieser Erde und in den Galaxien des lichtdurchfluteten Universums. So bitte ich dich, liebes Kind, lerne und lehre bis du das Vergessen vergessen hast, so dass du dich erinnerst, wer du einst warst und wer du bist.“

Stille. Himmel und Erde atmen feucht-kühle Luft ein und aus. Es nieselt. Nebel senkt sich herab. Albruna blinzelt zur Sonne, die als blasse Scheibe hinter den Wolken schwebt und ihr zu winken scheint.

Tief erfüllt von dem Erlebten rappelt sich die Kleine auf. Es dämmert bereits. Ihre Mutter wird schon warten. Entschieden, das Erlebte in ihrem Inneren gut zu hüten, stopft Albruna den Apfel, den sie noch immer in den Händen hält, in ihre Anoraktasche, kuschelt sich in die Kapuze und stapft eiligen Schrittes davon. Schweigend geht sie heim.

Abraxis trippelt neben ihr, ebenso schweigsam wie sie. Hoffnung keimt auf und macht der großen Vorfreude Raum.

Am elterlichen Gartentörchen blickt sich Albruna ein letztes Mal suchend um. Ihr ist, als sähe sie in der Ferne den Alten wandern, mit einem Bündel Reisig auf den gebeugten Schultern.

Diese Geschichte behält das Mädchen für sich.

Als Frau vergisst sie sie ganz.

Albruna und Carmencita stellen sich vor – 80 Jahre später –

1

Albruna ist alt geworden. Sehr alt sogar. Gerade tritt sie aus dem Haus. Es ist Winter. Die Luft ist bitterkalt. Schnee bedeckt alles mit seiner schützenden Pracht. Die Äste der Bäume biegen sich unter der eisweißen Last. Albruna will einen kurzen Nachtspaziergang machen. Der fast volle Mond erhellt mit seinem silbernen Licht die kristallklare Nacht. Unzählige Sterne funkeln am Himmel. Kälte und Schönheit vereinen sich.

Albrunas schütter gewordenes Haar spendet ihr keine Wärme mehr. Rasch zieht sie sich die mit Fell gefütterte Kapuze über die Ohren, schlingt den langen Wollschal fester um den Hals, stülpt Fäustlinge über ihre Finger und stapft durch den Schnee den Waldweg entlang.

Nach etwa 600 Metern erreicht sie eine große Lichtung.

Ergriffen bleibt Albruna stehen.

Vor ihr breitet sich eine mit zahllosen Schneekristallen überzogene Wiese aus. Über ihr wölbt sich ein sternenübersäter Äther. Wie oben so unten glitzert und funkelt es, als wollten Himmel und Erde sich spiegeln.

Langsamen Schrittes betritt Albruna die Lichtung. Behutsam öffnet sie ihre Sinne und lässt den Zauber dieses Augenblicks auf sich wirken. Ruhig nimmt sie die märchenhafte Schönheit in sich auf.

Die Lichtung liegt in einem von bewaldeten Hängen umgebenen, verborgenen Tal. Der fast volle Mond steht über den Wipfeln des Waldes. Seine Silhouette zeichnet sich dunkel vor dem sternenklaren Himmel ab.

Der Wald steht schwarz und schweiget.

Unwillkürlich muss Albruna an das alte deutsche Volkslied ihrer Kindheit denken. Leise beginnt sie es vor sich hin zu summen:

Der Mond ist aufgegangen.

Die goldenen Sternlein prangen am Himmel hell und klar.

Der Wald steht schwarz und schweiget…

Tief berührt betrachtet Albruna das Kunstwerk der Natur. Weiße Linien zeichnen die bizarren Kurven der sich im Mondenschein räkelnden ausladenden Äste nach. Jedes kleine Zweiglein ist aufs Feinste bestäubt. Viele Male hat Albruna dieses Schauspiel schon gesehen. Immer durchrieselt sie Ehrfurcht, Staunen und Freude.

Das alte Mondlied im Ohr setzt Albruna ihre Wanderung über die verschneite Wiese fort. Jeder Schritt ist eine kleine Überwindung. Den groben Stiefel in die weiße Unschuld des Schnees zu drücken fühlt sich irgendwie schmerzhaft an.

Albruna blickt zurück und betrachtet die Spur, die sie hinterlassen hat. Wie hässlich die verletzte Reinheit auf mich wirkt, denkt sie, und doch ist es normal. Jede Handlung, jedes Wort, jeder Gedanke hinterlässt Spuren. Wenn auch vielfach unsichtbar für uns. Hier sind sie für alle sichtbar.

Albruna beruhigt sich. „Meine Fußstapfen im Schnee symbolisieren unseren Lebensweg. Er ist unentflechtbar mit der Zeit verbunden. Die Schicksalsgöttinnen hüten sie.“ Nachdenklich betrachtet Albruna dieses Wunderwerk. Die Zukunft ist verborgen und unberührt. Sie wird erst durch unsere Schritte sichtbar und gestaltet. Verantwortung kommt hier ins Spiel.

Im Gehen denkt Albruna über ihre Mutter nach. Denkt an ihr eigenes Alter und an die längst verflossene Zeit. Tränen verschleiern Albrunas Blick. Sie blinzelt sie weg. Drei Tränen tropfen auf ihren linken Handschuh, wo sie verräterisch funkelnd liegen bleiben. Wie Diamanten sehen sie aus. Flüchtig gehärtet von Schicksal und Zeit.

Albruna liebt den Wald. Seine natürliche Dichte und Stille gibt ihr das Gefühl von Geborgenheit. Hier ist sie niemals allein! Sie gehört dazu. Nimmt Anteil und wird so ein Teil von ihm.

Die wechselnden Jahreszeiten geben dem Wald immer wieder ein neues Gesicht. Es ist ein Gebären und Sterben. Ein Fruchten, Leben und Nähren. Ein Tanzen, Trauern und Lachen im Lichte der Unvoreingenommenheit, die so heilsam für alle Beziehungen ist.

Erneut gleitet Albrunas Blick über die Lichtung hinweg, hinauf zu den Wipfeln der Bäume und zu den Sternen. Wie sie dort schweben, winken und blinken, als sprächen sie zu ihr.

„Wie schön ihr alle seid“, raunt Albruna ihnen zu. Dankbar schickt sie ihre Worte ins Firmament. Als Antwort zwinkern ihr die Sterne lachend zu. Albruna lacht zurück, hebt ihre Hand und winkt.

„Ach, wenn ich nur wüsste, wo meine Sternenheimat ist.“ Ein Seufzer entfleucht den Lippen der alten Frau.

Ein leises Stimmchen ruft: „Flieg!“ Ein glockenhelles Lachen folgt.

Albruna dreht sich suchend um. Nichts. Wieder einmal sieht sie nichts. Nichts, außer den leise schwirrenden Silberfäden am erleuchteten Himmelszelt.

„Hast du gerade „Flieg!“ gesagt?“, fragt Albruna in den leeren Raum hinein. „Willst du mich veralbern? Noch lebe ich als Erdenmensch, wie du weißt.“

In einer Mischung aus Verärgerung und Versöhnlichkeit fügt sie hinzu: „Flieg, flieg … wie soll das gehen?“

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Flieg mit der Geistfrau!“

Albruna lacht in sich hinein und denkt sich ihren Teil. Die Geistfrau. Mit ihren Träumen und Gefühlen. Sie kommt in tiefer Meditation. Auch im Schlaf. Im Wachzustand ist sie für Albruna nichts als eine Ahnung. Eine spirituelle Intuition. Mit ihr fliegen, das klappt nur mit lebendig gefühlter Geisteskraft. Albruna gehört nicht zu den hochbegabten Seherinnen. Eine Gnade? Oder ein Fluch? Sie weiß es nicht.

Ihre Antwort fällt prompt etwas zu mürrisch aus: „Ja, ja. Du hast gut reden. Ich bin ein Erdenmensch. Mit meinem Körper viel zu eng verbunden. Das weißt du genau!“

Auf dem Heimweg durch die mondhelle und klirrendkalte Winternacht lässt Albruna stillverträumt ihre Erinnerungen schweifen: Carmencita ist das Mädchen mit den Silberfäden. Bis heute erscheint sie ihr gerne mit wippendem weitem Faltenrock und langen hellen Zöpfen. Ihr Lachen ist glockenhell. Ihre Silberfäden reichen weit in den Himmel hinauf.

Zuerst dachte Albruna, dieses Sternenwesen sei so etwas wie eine kosmische Marionette. Sie fragte sich, ob dieses Wesen ein Engel sei.

Sie sei kein Engel, erklärte ihr Carmencita. Was sie ist, woher sie kommt und warum sie bei Albruna weilt, darüber schwieg sich Carmencita lange aus.

Ich musste ihr alles aus der Nase ziehen. Schmunzelnd erinnert sich die alte Frau: Carmencita ist für mich wie eine Schwester geworden. Schon früh nannte ich sie „Das Mädchen mit den Silberfäden“. Sie war mir sehr lange außerordentlich peinlich. Ich wollte nicht wie eine Verwirrte dastehen oder gar für verrückt erklärt werden. Also behielt ich ihre Anwesenheit und so manches andere Erlebnis lieber für mich.

Albruna weiß, diese Zeit ist jetzt vorbei. Nachdenklich betrachtet sie die Felsen am gegenüberliegenden Bachufer. Dort leben sie, die vielen Gnome, Zwerge und Steinriesen. Ihre Gesichter und Gestalten zeichnen sich in den Felsformationen deutlich ab. Es macht Spaß sie zu finden. Ein lustiges Spiel. Albrunas Mutter spielte es schon mit ihr.

Die alte Frau nickt den viel älteren Felsen freundlich zu: „Hallo. Ich grüße euch und danke euch für euer Sein.“

Prompt schießt ihr eine Antwort durch den Kopf: „Die Zeit ist reif.“

„Stimmt“, antwortet Albruna. „Ich spüre es auch. Ich bin alt geworden. Die Zeit ist gekommen, offen damit umzugehen.“

Neben ihr knackt ein Holunderbusch. Albruna spürt die Wärme seiner Heilkraft in den Knochen. „Wie schön es ist im Verbund mit euch, zusammen mit unseren kosmischen und irdischen Geschwistern den irdischen Wertewandel zu vollziehen.“ Albruna ist gerührt.

Ein eisiger Wind zieht durch das Tal. Albruna stampft mit ihren Füßen auf. Kälte kriecht ihr durch die Stiefel. Ihr Atem dampft. Das Stapfen durch den tiefen Schnee hilft ihr die letzte Wärme zu bewahren. Im Rhythmus ihrer Schritte bewegt sie das Erlebte tief in sich.

Alles aufschreiben und der Nachwelt berichten. Damit wird sie nun beginnen. Augenblicklich erfüllt sie eine freudige Erregung. Und sie weiß: Alle sind da. Wir werden unsere Geschichte erzählen.

Seit Jahrzehnten kommuniziert Albruna mit ihren meist unsichtbaren Wegbegleitern. Manche Leute halten sie deshalb für schrullig: Die Alte da unten im Tal führt mal wieder Selbstgespräche.

In jungen Jahren nannte Albruna ihre Kommunikation mit der unsichtbaren Welt „Nichtgespräche“. Weil sie nichts und niemanden sehen konnte.

Ich sehe nichts – Ich höre nichts – Also gibt es nichts.

Das stand in einer Ausstellung auf ein Fenster geschrieben. Sehr stimmig. Albruna schmunzelt. Im Selbstgespräch spreche ich mit dem Selbst. Im Nichtgespräch mit dem Nichts. So oder so sind es unsichtbare Gedanken. Sie kommen aus dem Nichts. Und verschwinden im Nichts.

Die alte Frau beschließt einen Umweg zu machen. Sie spürt die heranfliegenden Gedankenfetzen und hat Lust ihnen zu begegnen.

Das Gedankenkarussell amüsiert sie. Auch wenn es manchmal nervig ist. Es ist ein Spektakel, dem sie immer wieder gerne beiwohnt.

Herausfordernd wirft Albruna den ersten Stein: „Allein schon wegen meines Namens wäre ich früher als Hexe verbrannt worden. Dazu kommen meine Nichtgespräche, die auch mal laut werden können.“

Stille.

„Als kleines Mädchen hatte ich blonde Locken. Bei meiner Geburt trug ich einen ziemlich großen roten Blutschwamm auf der linken Schulter. Die Geburtshelfer nannten mich hinter vorgehaltener Hand: Engel mit dem Teufelsbiss. Meine Mutter lachte darüber. Mein Vater wollte ihn beseitigen. Das Ergebnis war meinen Eltern außerordentlich peinlich.“

Ein Trauerfaden weht Albruna an und verdunkelt ihr Herz. Auch im Außen wird es dunkel. Der Wald steht hier besonders dicht. Die felsige Schlucht ragt rechts und links empor. Der Mond hat sich hinter dem Felsen versteckt. Ehe sich der Trauerfaden in Albrunas Gemüt festhaken kann, vernimmt sie in ihrem Hinterkopf ein Stimmengewirr.

„Du bist der Engel mit dem Teufelsbiss! Hexe. Hexe. Hexe“, keift jemand herum.

Eine andere Stimme zetert: „Ich will nicht verbrannt werden. Nicht schon wieder. Das hatten wir schon!“

Albruna schaltet sich ein: „Ruhe! Ich will davon nichts hören. Diese Geschichten gruseln mich.“

Statt Ruhe kehrt ein wirres Durcheinandergerede in ihren Gedanken ein:

„Es ist nie passiert.“

„Es ist lange her.“

„Woher willst du das wissen!?“

„Ob das eine gerechte Strafe für dich war?“