Casanova – Geschichte meines Lebens - Giacomo Casanova - E-Book

Casanova – Geschichte meines Lebens E-Book

Giacomo Casanova

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Beschreibung

Zum ersten Mal alle 6 Bände in einer überarbeiteten digitalen Fassung mit umfangreichem Inhaltsverzeichnis. "Hexenmeister, Zauberer, Fälscher, Dieb, Spion, Münzenbeschneider, Giftmischer - mit einem Wort, der niederträchtigste Mensch auf der Welt." Giacomo Girolamo Casanova (geboren am 2. April 1725 in Venedig; gestorben am 4. Juni 1798 auf Schloss Dux im Königreich Böhmen, heute Tschechien) war ein venezianischer Schriftsteller, Abenteurer und Freigeist des 18. Jahrhunderts. Bekannt wurde er durch die Schilderungen seiner zahlreichen Liebschaften und spannenden Erlebnisse. Schon im 19. Jahrhundert tauchte die Figur Casanovas in den Werken anderer Künstler auf. Die Memoiren Casanovas mit dem Titel "Geschichte meines Lebens" zählen zur Weltliteratur und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Das Werk ist (trotz seines Umfangs) nicht nur äußerst kurzweilig und unterhaltsam sondern vor allem auch kulturhistorisch interessant: Das gesamteuropäische 18. Jahrhundert breitet sich darin vor den Augen des Lesers aus: Durch seine Reisen, bei denen er europäische Höfe und Metropolen besuchte, hatte er Kontakt zu bedeutenden Personen seiner Zeit. Casanova kannte die Päpste Benedikt XIV. und Clemens XIII., sprach mit Friedrich dem Großen und der Zarin Katharina II.. Neben den Herrschern war ihm auch die geistige Elite Europas vertraut: Da Ponte, Voltaire, Crébillon, von Haller, Winckelmann und Mengs zählten zu seinen Bekannten. Aber auch die "Normalsterblichen" - und da besonders die weiblichen Vertreter kamen in seinem Werk und seinem Leben nicht zu kurz. Hermann Kesten beschrieb Casanovas Schriften so: "Das ganze 18. Jahrhundert tummelt sich in seinen Memoiren und lacht, und räsoniert, und hurt, in keinem anderen Buch ist es so lebendig, so deutlich, so zum Riechen, Fühlen, Schmecken nah." Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 6484

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Giacomo Casanova

Casanova – Geschichte meines Lebens

Komplettausgabe aller 6 Bände

Giacomo Casanova

Casanova – Geschichte meines Lebens

Komplettausgabe aller 6 Bände

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2023Übersetzung: Heinrich Conrad 3. Auflage, ISBN 978-3-954180-94-3

www.null-papier.de/casanova

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor und Werk

Vor­re­de

Teil 1

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Teil 2

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Se­ch­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

An­hang

Teil 3

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Teil 4

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Teil 5

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Teil 6

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tels

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes und ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ers­ter An­hang zum sechs­ten Ban­de

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Autor und Werk

»He­xen­meis­ter, Zau­be­rer, Fäl­scher, Dieb, Spi­on, Mün­zen­be­schnei­der, Gift­mi­scher – mit ei­nem Wort, der nie­der­träch­tigs­te Mensch auf der Welt.«

Gia­co­mo Gi­ro­la­mo Ca­sa­no­va (✳ 2. April 1725 in Ve­ne­dig; † 4. Juni 1798 auf Schloss Dux im Kö­nig­reich Böh­men, heu­te Tsche­chi­en) war ein ve­ne­zia­ni­scher Schrift­stel­ler, Aben­teu­rer und Frei­geist des 18. Jahr­hun­derts. Be­kannt wur­de er durch die Schil­de­run­gen sei­ner zahl­rei­chen Lieb­schaf­ten und span­nen­den Er­leb­nis­se. Schon im 19. Jahr­hun­dert tauch­te die Fi­gur Ca­sa­no­vas in den Wer­ken an­de­rer Künst­ler auf.

Die Me­moi­ren Ca­sa­no­vas mit dem Ti­tel »Ge­schich­te mei­nes Le­bens« zäh­len zur Welt­li­te­ra­tur und wur­den in mehr als zwan­zig Spra­chen über­setzt. Das Werk ist (trotz sei­nes Um­fangs) nicht nur äu­ßerst kurz­wei­lig und un­ter­halt­sam son­dern vor al­lem auch kul­tur­his­to­risch in­ter­essant: Das ge­sam­t­eu­ro­päi­sche 18. Jahr­hun­dert brei­tet sich dar­in vor den Au­gen des Le­sers aus: Durch sei­ne Rei­sen, bei de­nen er eu­ro­päi­sche Höfe und Me­tro­po­len be­such­te, hat­te er Kon­takt zu be­deu­ten­den Per­so­nen sei­ner Zeit. Ca­sa­no­va kann­te die Päps­te Be­ne­dikt XIV. und Cle­mens XIII., sprach mit Fried­rich dem Gro­ßen und der Za­rin Ka­tha­ri­na II.. Ne­ben den Herr­schern war ihm auch die geis­ti­ge Eli­te Eu­ro­pas ver­traut: Da Pon­te, Vol­taire, Cré­bil­lon, von Hal­ler, Win­ckel­mann und Mengs zähl­ten zu sei­nen Be­kann­ten. Aber auch die »Nor­mals­terb­li­chen« – und da be­son­ders die weib­li­chen Ver­tre­ter ka­men in sei­nem Werk und sei­nem Le­ben nicht zu kurz.

Her­mann Kes­ten be­schrieb Ca­sa­no­vas Schrif­ten so: »Das gan­ze 18. Jahr­hun­dert tum­melt sich in sei­nen Me­moi­ren und lacht, und rä­so­niert, und hurt, in kei­nem an­de­ren Buch ist es so le­ben­dig, so deut­lich, so zum Rie­chen, Füh­len, Schme­cken nah.«

Vorrede

Vor al­len Din­gen er­klä­re ich mei­nem Le­ser, dass ich über­zeugt bin, bei al­lem, was ich im Lau­fe mei­nes Le­bens Gu­tes oder Bö­ses ge­tan habe, für den gu­ten oder bö­sen Aus­gang sel­ber ver­ant­wort­lich zu sein. Es folgt dar­aus, dass ich an die Frei­heit des Wil­lens glau­be.

Die Leh­re der Stoi­ker und al­ler an­de­ren Sek­ten von der Macht des Schick­sals ist ein Hirn­ge­spinst der Fan­ta­sie, das dem Athe­is­mus nicht fern­steht. Ich bin nicht nur Mo­no­the­ist, son­dern Christ, ge­fes­tigt durch Phi­lo­so­phie, die nie­mals et­was ver­dor­ben hat.

Ich glau­be an das Da­sein ei­nes im­ma­te­ri­el­len Got­tes, der Schöp­fer und Herr al­ler Le­bens­for­men ist. Dass ich nie­mals an ihm ge­zwei­felt habe, be­weist mir die Tat­sa­che, dass ich im­mer auf sei­ne Für­sor­ge rech­ne­te, in­dem ich in mei­nen Nö­ten mich be­tend an ihn wand­te und mich stets er­hört fand. Die Verzweif­lung tö­tet; aber vor dem Ge­bet ver­schwin­det die Verzweif­lung, und wenn der Mensch ge­be­tet hat, emp­fin­det er Ver­trau­en, und er han­delt. Wel­che Mit­tel der Herr al­ler We­sen an­wen­det, um von de­nen, die sei­ne Hil­fe er­fle­hen, dro­hen­des Un­glück ab­zu­wen­den – dies zu wis­sen, geht über das Ver­ständ­nis des Men­schen, der in dem­sel­ben Au­gen­blick, wo er über die Un­be­greif­lich­keit der gött­li­chen Vor­se­hung nach­denkt, sich ge­nö­tigt sieht, sie an­zu­be­ten. Da fin­den wir Hil­fe nur in un­se­rer Un­wis­sen­heit, und wahr­haft glück­lich sind nur die, die zu ihr ihre Zuf­lucht neh­men. Da­rum müs­sen wir zu Gott be­ten und müs­sen glau­ben, die er­be­te­ne Gna­de er­hal­ten zu ha­ben, selbst wenn der An­schein da­ge­gen ist. Die Stel­lung, die un­ser Kör­per ein­neh­men muss, wenn wir uns an den Schöp­fer wen­den, lehrt uns ein Vers Pe­trar­cas:

Con le gi­noc­chia del­la men­te in­chi­ne. Vor ihm die Knie dei­ner See­le beu­gend.

Der Mensch ist frei; aber er ist nicht mehr frei, wenn er nicht an sei­ne Frei­heit glaubt. Je mehr Macht er dem Schick­sal bei­misst, de­sto mehr be­raubt er sich sel­ber je­ner Macht, die Gott ihm ver­lieh, in­dem er ihn mit Ver­nunft be­gab­te. Die Ver­nunft ist ein Bruch­teil­chen der Gött­lich­keit des Schöp­fers. Wenn wir uns ih­rer be­die­nen, um de­mü­tig und ge­recht zu sein, so wer­den wir un­fehl­bar Ihm, der sie uns ge­schenkt hat, wohl­ge­fäl­lig sein. Gott hört nur für die auf, Gott zu sein, die sich sein Nicht­vor­han­den­sein als mög­lich den­ken kön­nen. Die­se Vor­stel­lung muss für sie die größ­te Stra­fe sein, die sie er­lei­den könn­ten.

Aber wenn nun auch der Mensch frei ist, so dür­fen wir doch nicht glau­ben, dass er das recht habe, zu tun, was er will. Denn er wird Skla­ve, so oft er sich von ei­ner Lei­den­schaft zum Han­deln fort­rei­ßen lässt. Ni­si pa­ret, im­pe­rat. – Wenn sie nicht ge­horcht, be­fiehlt sie. Wer stark ge­nug ist, sei­ne Hand­lun­gen so lan­ge auf­zu­schie­ben, bis er wie­der ru­hig ge­wor­den ist, der ist wahr­haft wei­se. Aber sol­che Men­schen sind sel­ten.

Der den­ken­de Le­ser wird aus die­sen mei­nen Erin­ne­run­gen er­se­hen, dass ich nie­mals ein be­stimm­tes Ziel im Auge ge­habt habe, und dass das ein­zi­ge Sys­tem, das ich hat­te – wenn es über­haupt ei­nes ist – dar­in be­stand, mich von Wind und Wel­len trei­ben zu las­sen. Wel­che Wech­sel­fäl­le ent­ste­hen aus die­ser Un­ab­hän­gig­keit von ei­ner be­stimm­ten Metho­de! Was mir an Er­folg und Mis­ser­folg, was mir an Gu­tem und Bö­sem zu­teil wur­de: al­les hat mir ge­zeigt, dass in der phy­si­schen wie in der mo­ra­li­schen Welt das Gute stets aus dem Bö­sen und das Böse stets aus dem Gu­ten ent­steht. Mei­ne Ab­we­ge zei­gen den den­ken­den Le­sern die rech­ten Wege; sie kön­nen auch aus mei­nen Ver­ir­run­gen die große Kunst ler­nen, wie man sich über dem Ab­grund in der Schwe­be er­hält. Es kommt nur dar­auf an, Mut zu ha­ben; denn Kraft ohne Selbst­ver­trau­en führt zu nichts. Sehr oft sah ich das Glück mir lä­cheln in­fol­ge ei­nes un­be­son­ne­nen Schrit­tes, der mich in den Ab­grund hät­te stür­zen müs­sen; dann dank­te ich Gott, aber ich ver­gaß dar­über nicht, mich sel­ber zu ta­deln. Im Ge­gen­teil sah ich aber auch ein nie­der­schmet­tern­des Un­glück aus ei­nem wei­sen und maß­vol­len Ver­hal­ten her­vor­ge­hen. Dies de­mü­tig­te mich; aber ich trös­te­te mich leicht dar­über, weil ich ge­wiss war, dass ich recht ge­habt hat­te.

Die gött­li­chen Grund­sät­ze, die in mei­nem Her­zen wur­zel­ten, muss­ten not­wen­di­ger­wei­se die Frucht ei­ner aus­ge­zeich­ne­ten Moral her­vor­brin­gen; trotz­dem bin ich mein gan­zes Le­ben lang das Op­fer mei­ner Sin­ne ge­we­sen. Ich ge­fiel mir dar­in, vom rech­ten Wege ab­zu­ge­hen, ich leb­te be­stän­dig im Irr­tum und hat­te da­bei nur den Trost, zu wis­sen, dass ich im Irr­tum war. Da­rum hof­fe ich, lie­ber Le­ser, du wirst mei­ner Ge­schich­te nicht den Cha­rak­ter un­ver­schäm­ter Über­he­bung bei­mes­sen, son­dern im Ge­gen­teil dar­in den Ton fin­den, der ei­ner Ge­ne­ral­beich­te ge­ziemt. Du wirst in mei­nen Er­zäh­lun­gen we­der eine Bü­ßer­mie­ne fin­den, noch die Ver­le­gen­heit ei­nes Sün­ders, der er­rö­tend sei­ne Ver­ir­run­gen be­kennt. Es sind Ju­gend­tor­hei­ten; du wirst se­hen, dass ich dar­über la­che, und wenn du gut bist, so wirst du mit mir la­chen.

Du wirst la­chen, wenn du siehst, wie ich mir oft­mals kein Ge­wis­sen dar­aus ge­macht habe, To­ren, Schel­me und Dumm­köp­fe zu hin­ter­ge­hen, wenn ich in Not war. Wenn ich Frau­en be­tro­gen habe, so war das Hin­ter­gan­gen­wer­den ge­gen­sei­tig. So et­was zählt nicht; denn wenn die Lie­be mit ins Spiel kommt, sind ge­wöhn­lich bei­de Tei­le an­ge­führt. Ganz et­was an­de­res ist es mit den Dumm­köp­fen. Noch jetzt wün­sche ich mir Glück, so oft ich mich er­in­ne­re, einen in mei­ne Net­ze ge­lockt zu ha­ben; denn sie sind so un­ver­schämt und an­ma­ßend, dass sie einen klu­gen Men­schen un­will­kür­lich her­aus­for­dern. Man rächt die Klug­heit, wenn man einen Dumm­kopf be­trügt, und der Sieg lohnt sich der Mühe; denn der Dumm­kopf ist ge­pan­zert, und man weiß oft nicht, an wel­cher Stel­le man ihm bei­kom­men soll. Mit ei­nem Wort: einen Dumm­kopf zu be­trü­gen, ist wohl ei­nes klu­gen Man­nes wür­dig. Seit­dem ich auf der Welt bin, habe ich in mei­nem Blut einen un­über­wind­li­chen Hass ge­gen die­ses Ge­züch­te von Dumm­köp­fen, weil ich mich sel­ber dumm fin­de, so oft ich in ih­rer Ge­sell­schaft bin. Ich bin weit da­von ent­fernt, sie mit den so­ge­nann­ten dum­men Men­schen in einen Topf zu wer­fen; denn die­se habe ich ei­gent­lich recht gern, wenn sie nur aus Man­gel an Er­zie­hung dumm sind. Ich habe un­ter ih­nen sehr eh­ren­wer­te Men­schen ge­fun­den und in dem Cha­rak­ter ih­rer Dumm­heit zu­wei­len einen ge­wis­sen Geist ent­deckt, einen haus­ba­cke­nen Ver­stand, durch den sie sich sehr weit von den Dumm­köp­fen un­ter­schei­den. Sie glei­chen Au­gen, die mit dem grau­en Star be­haf­tet sind, sonst aber sehr schön sein wür­den.

Wenn du, mein lie­ber Le­ser, den Geist die­ser Vor­re­de prüfst, so wirst du leicht mei­nen Zweck er­ra­ten. Ich habe sie ge­schrie­ben, weil ich wün­sche, dass du mich kennst, be­vor du mich liest. Nur in Kaf­fee­häu­sern und an Wirts­ta­feln un­ter­hält man sich mit Un­be­kann­ten.

Ich habe mei­ne Ge­schich­te ge­schrie­ben, und hier­ge­gen kann nie­mand et­was ein­zu­wen­den ha­ben. Aber tue ich recht dar­an, sie dem Pub­li­kum zu über­ge­ben, das ich nur von ei­ner sehr schlech­ten Sei­te ken­ne? Nein. Ich weiß, ich ma­che eine Dumm­heit. Aber da ich ein­mal das Be­dürf­nis emp­fin­de, mich zu be­schäf­ti­gen und zu la­chen – warum soll­te ich es mir ver­sa­gen, dies zu tun.

Ex­po­lit el­le­bo­ro mor­bum bi­lem­que me­ro­co. Gall­sucht trieb er hin­aus mit Hil­fe ge­rei­nig­ter Nies­wurz.

Ein Al­ter sagt uns in wei­sem Schul­meis­ter­ton: Wenn du nichts ge­tan hast, was wert ist, auf­ge­schrie­ben zu wer­den, so schrei­be we­nigs­tens et­was, was wert ist, ge­le­sen zu wer­den. Die­se Leh­re ist so schön wie ein Dia­mant von reins­tem Was­ser, der in Eng­land zum Bril­lan­ten ge­schlif­fen wor­den ist. Aber auf mich ist sie nicht an­wend­bar; denn ich schrei­be we­der einen Ro­man noch die Ge­schich­te ei­ner be­rühm­ten Per­sön­lich­keit. Mag es wür­dig sein, mag es un­wür­dig sein: mein Le­ben ist mein Stoff, und mein Stoff ist mein Le­ben. Ich habe es durch­lebt, ohne je­mals zu glau­ben, ich könn­te ei­nes Ta­ges auf den Ge­dan­ken kom­men, es nie­der­zu­schrei­ben; aber ge­ra­de da­durch kann es viel­leicht einen in­ter­essan­ten Cha­rak­ter er­hal­ten ha­ben, den es ge­wiss nicht ha­ben wür­de, wenn ich da­bei die Ab­sicht ge­habt hät­te, in mei­nen al­ten Ta­gen mei­ne Le­bens­ge­schich­te nie­der­zu­schrei­ben oder gar zu ver­öf­fent­li­chen.

Jetzt, im Jah­re 1797, da ich zwei­und­sieb­zig Jah­re alt bin, da ich sa­gen kann: vi­xi – ob­gleich ich noch lebe – jetzt könn­te ich mir schwer­lich eine an­ge­neh­me­re Un­ter­hal­tung ver­schaf­fen, als mich mit mei­nen ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten zu un­ter­hal­ten und der gu­ten Ge­sell­schaft, die mich an­hört, die mich stets freund­schaft­lich be­han­delt hat und in de­ren Mit­te ich stets ver­kehrt habe, einen wür­di­gen An­lass zum La­chen zu lie­fern. Um gut zu schrei­ben, brau­che ich mir nur vor­zu­stel­len, dass die­se gute Ge­sell­schaft mich liest: Quae­cun­que dixi, si pla­cuer­int, dic­ta­vit au­di­tor.. – Wenn das, was ich sage, ge­fällt, so hat es der Zu­hö­rer ein­ge­ge­ben.

Zwar gibt es auch Un­be­ru­fe­ne, die ich nicht wer­de hin­dern kön­nen, mich zu le­sen; aber da ge­nügt mir mein Be­wusst­sein, dass ich für sie nicht schrei­be.

In­dem ich mir die ge­nos­se­nen Freu­den ins Ge­dächt­nis zu­rück­ru­fe, er­neue­re ich sie und ge­nie­ße ih­rer zum zwei­ten Mal; der Lei­den aber, die ich aus­ge­stan­den habe und die ich jetzt nicht mehr füh­le – ih­rer la­che ich. Ich bin ein Glied des großen Alls; und so spre­che ich in die Luft hin­ein und bil­de mir ein, von mei­nem Tun und Las­sen Re­chen­schaft ab­zu­le­gen, wie ein Haus­hof­meis­ter sei­nem Herrn Rech­nung gibt, be­vor er ab­ge­ht. Über mei­ne Zu­kunft habe ich als Phi­lo­soph mich nie­mals be­un­ru­higt; denn ich weiß nichts von ihr; der gläu­bi­ge Christ aber muss glau­ben, ohne Be­wei­se zu su­chen; ge­ra­de der reins­te Glau­be ver­harrt in tiefs­tem Schwei­gen. Ich weiß, dass ich exis­tiert habe; denn ich habe ge­fühlt; und da ich dies durch das Ge­fühl weiß, so weiß ich auch, dass ich nicht mehr exis­tie­ren wer­de, so­bald ich auf­ge­hört habe zu füh­len.

Soll­te es ge­sche­hen, dass ich nach mei­nem Tode noch emp­fän­de, so wür­de ich an nichts mehr zwei­feln; aber ich wür­de je­den Lü­gen stra­fen, der mir sa­gen woll­te, dass ich tot sei.

Mei­ne Ge­schich­te muss mit der ent­fern­tes­ten Be­ge­ben­heit be­gin­nen, die mein Ge­dächt­nis mir dar­bie­ten kann; sie be­ginnt da­her mit dem Al­ter von acht Jah­ren und vier Mo­na­ten. Vor die­ser Zeit habe ich, wenn wirk­lich vi­ve­re co­gi­ta­re est – wenn le­ben: den­ken heißt – noch nicht ge­lebt; ich ve­ge­tier­te. Da das Den­ken des Men­schen nur in ei­nem ver­glei­chen­den Prü­fen ver­schie­de­ner Be­zie­hun­gen be­steht, so kann es un­mög­lich vor­han­den sein, be­vor es ein Ge­dächt­nis gibt. Das Or­gan da­für ent­wi­ckel­te sich in mei­nem Kopf erst acht Jah­re und vier Mo­na­te nach mei­ner Ge­burt; in die­sem Au­gen­blick er­lang­te mein Geist zu­erst die Fä­hig­keit, Ein­drücke auf­zu­neh­men. Wie eine im­ma­te­ri­el­le Sub­stanz, die nec tan­ge­re nec tan­gi kann, im­stan­de ist, Ein­drücke zu emp­fan­gen, das ist et­was, was der Mensch nicht er­klä­ren kann.

Eine trös­ten­de Phi­lo­so­phie be­haup­tet im Ein­klang mit der Re­li­gi­on, die Ab­hän­gig­keit der See­le von Sin­nen und Or­ga­nen sei nur zu­fäl­lig und vor­über­ge­hend; sie wer­de frei und glück­lich sein, wenn der Tod des Kör­pers sie aus die­ser skla­vi­schen Ab­hän­gig­keit er­löst habe. Das ist sehr schön, aber – ab­ge­se­hen von der Re­li­gi­on – wel­che Ge­währ ha­ben wir? Da ich also aus ei­ge­nem Au­gen­schein die voll­kom­me­ne Ge­wiss­heit der Uns­terb­lich­keit erst dann er­lan­gen kann, wenn ich nicht mehr lebe, so wird man mir ver­zei­hen, dass ich es nicht sehr ei­lig habe, zur Er­kennt­nis die­ser Wahr­heit zu ge­lan­gen; denn eine Er­kennt­nis, die das Le­ben kos­tet, scheint mir zu teu­er be­zahlt zu sein. Einst­wei­len ver­eh­re ich Gott, hüte mich vor je­der un­ge­rech­ten Hand­lung und ver­ab­scheue die Bö­se­wich­te, ohne ih­nen je­doch Bö­ses zu­zu­fü­gen. Es ge­nügt mir, wenn ich mich ent­hal­te ih­nen Gu­tes zu tun; ich bin über­zeugt: Schlan­gen sol­len nicht füt­tern.

Auch über mein Tem­pe­ra­ment und über mei­nen Cha­rak­ter muss ich ei­ni­ges sa­gen. Möge der Le­ser recht nach­sich­tig sein; das wird we­der sei­ner Red­lich­keit noch sei­ner Ver­stän­dig­keit Ab­bruch tun.

Ich habe nach und nach alle Tem­pe­ra­men­te ge­habt: in mei­ner Kind­heit war ich phleg­ma­tisch, in mei­ner Ju­gend san­gui­nisch; spä­ter wur­de ich cho­le­risch und end­lich me­lan­cho­lisch, und das wer­de ich wahr­schein­lich blei­ben. In­dem ich mei­ne Nah­rung mei­ner Lei­bes­be­schaf­fen­heit an­pass­te, habe ich mich stets ei­ner gu­ten Ge­sund­heit er­freut. Schon früh­zei­tig lern­te ich, dass jede Schä­di­gung der Ge­sund­heit stets von ei­nem Über­maß in der Er­näh­rung oder in der Ent­halt­sam­keit her­rührt. Da­rum habe ich nie­mals einen an­de­ren Arzt ge­habt als mich sel­ber. Bei die­ser Ge­le­gen­heit muss ich sa­gen, dass ich das Über­maß in der Ent­halt­sam­keit viel ge­fähr­li­cher ge­fun­den habe als das Über­maß im an­de­ren Sin­ne; wohl führt die­ses zur Über­la­dung, ers­te­res aber führt zum Tod.

Heut­zu­ta­ge in mei­nem ho­hen Al­ter brau­che ich trotz mei­nem vor­züg­li­chen Ma­gen nur eine ein­zi­ge Mahl­zeit täg­lich; aber für die­se Ent­beh­rung frü­he­rer Genüs­se ent­schä­digt mich ein sü­ßer Schlaf, und die Leich­tig­keit, wo­mit ich mei­ne Ge­dan­ken schrift­lich aus­drücken kann, ohne Pa­ra­do­xe oder So­phis­men zu be­dür­fen, durch die ich mehr mich sel­ber als mei­ne Le­ser be­trü­gen wür­de; denn nie­mals könn­te ich mich ent­schlie­ßen, wis­sent­lich ih­nen falsche Mün­ze zu ge­ben.

Mein san­gui­ni­sches Tem­pe­ra­ment mach­te mich sehr emp­fäng­lich für die Lo­ckun­gen der Sinn­lich­keit; ich war stets fröh­lich und im­mer ge­neigt, von ei­nem Ge­nus­se zu ei­nem neu­en über­zu­ge­hen; da­bei war ich zu­gleich sehr er­fin­de­risch im Er­sin­nen neu­er Genüs­se. Da­her stammt ohne Zwei­fel mei­ne Nei­gung, neue Be­kannt­schaf­ten an­zu­knüp­fen, und mei­ne große Ge­schick­lich­keit, sol­che wie­der ab­zu­bre­chen; doch ge­sch­ah die­ses stets mit vol­ler Über­le­gung und nie­mals aus blo­ßer Leicht­fer­tig­keit. Tem­pe­ra­ments­feh­ler sind un­ver­bes­ser­lich, weil das Tem­pe­ra­ment nicht von un­se­ren Kräf­ten ab­hängt. Et­was an­de­res ist es mit dem Cha­rak­ter. Die­sen bil­den Geist und Herz; das Tem­pe­ra­ment hat fast gar nichts da­mit zu tun. Da­rum hängt der Cha­rak­ter von der Er­zie­hung ab und lässt sich folg­lich bes­sern und ge­stal­ten.

Ich über­las­se an­de­ren die Ent­schei­dung, ob mein Cha­rak­ter gut oder schlecht ist; aber so wie er ist, malt er sich in mei­nen Zü­gen, und je­der Ken­ner kann ihn leicht da­nach be­ur­tei­len. Nur in den Ge­sichts­zü­gen des Men­schen stellt sich ein Cha­rak­ter dem Bli­cke dar; in ih­nen hat er sei­nen Giß. Man be­ach­te, dass die Men­schen, die kei­nen Ge­sichts­aus­druck ha­ben – und de­ren gibt es gar vie­le – eben­so­we­nig ha­ben, was man Cha­rak­ter nennt. Wir kön­nen dar­aus die Re­gel ab­lei­ten, dass es eben­so vie­le ver­schie­de­ne Phy­sio­gno­mi­en gibt wie ver­schie­de­ne Cha­rak­tere.

Ich habe ein­ge­se­hen, dass ich mein Le­ben­lang mehr nach der Ein­ge­bung mei­nes Ge­fühls als aus Über­le­gung ge­han­delt habe; ich glau­be dar­aus fol­gern zu dür­fen, dass mein Ver­hal­ten mehr von mei­nem Cha­rak­ter als von mei­nem Ver­stan­de ab­hän­gig ge­we­sen ist. Mein Ver­stand und mein Cha­rak­ter lie­gen be­stän­dig im Krie­ge mit­ein­an­der, und bei ih­ren fort­wäh­ren­den Zu­sam­men­stö­ßen habe ich stets ge­fun­den, dass ich nicht Ver­stand ge­nug für mei­nen Cha­rak­ter und nicht Cha­rak­ter ge­nug für mei­nen Ver­stand be­saß. Doch ge­nug da­von! Denn wenn das Wort wahr ist: si bre­vis esse volo, obscu­rus fio – wenn ich kurz sein will, wer­de ich dun­kel – so glau­be ich, ich kann ohne Un­be­schei­den­heit die Wor­te mei­nes ge­lieb­ten Vir­gil auf mich an­wen­den:

Nec sum adeo in­fe­ri­or: nu­per me in li­to­re vidi Cum pla­ci­dum ven­tis sta­ret mare. Auch nicht bin ich so schlecht von Ge­stalt; mich sah ich am Ufer Jüngst, da des Meers Wind­stil­le mir spie­gel­te.

Der Kul­tus der Sin­nes­lust war mir im­mer die Haupt­sa­che: nie­mals hat es für mich et­was Wich­ti­ge­res ge­ge­ben. Ich fühl­te mich im­mer für das an­de­re Ge­schlecht ge­bo­ren; da­her habe ich es im­mer ge­liebt und mich von ihm lie­ben las­sen, so­viel ich nur konn­te. Auch die Freu­den der Ta­fel habe ich lei­den­schaft­lich ge­liebt, und ich habe mich für al­les be­geis­tert, was mei­ne Neu­gier er­reg­te.

Ich habe Freun­de ge­habt, die mir Gu­tes ge­tan ha­ben, und ich hat­te das Glück, ih­nen bei je­der Ge­le­gen­heit Be­wei­se mei­ner Dank­bar­keit ge­ben zu kön­nen. Ich habe auch ab­scheu­li­che Fein­de ge­habt, die mich ver­folgt ha­ben, und die ich nicht ver­nich­tet habe, weil es nicht in mei­ner Macht stand, dies zu tun. Wer eine Be­lei­di­gung ver­gisst, ver­gibt sie dar­um noch nicht; denn um ver­ge­ben zu kön­nen, muss man he­ro­i­sches Ge­fühl, ein ed­les Herz, einen groß­mü­ti­gen Sinn ha­ben; das Ver­ges­sen da­ge­gen be­ruht auf Ge­dächt­nis­schwä­che oder auf sanft­mü­ti­ger Nach­läs­sig­keit, der eine fried­fer­ti­ge See­le sich so ger­ne hin­gibt; oft auch auf ei­nem Be­dürf­nis nach Ruhe und Frie­den. Denn der Hass tö­tet mit der Zeit den Un­glück­li­chen, der ihn groß wer­den lässt.

Wenn man mich sinn­lich nennt, so tut man mir un­recht; denn mei­ner Sin­ne we­gen habe ich nie­mals Pf­lich­ten ver­nach­läs­sigt, so oft ich de­ren hat­te. Aus dem­sel­ben Grun­de hät­te man nie­mals Ho­mer einen Trin­ker nen­nen dür­fen:

Lau­di­bus ar­gui­tur vini vi­no­sus Ho­me­rus. Weil er den Wein ge­lobt, gilt als Wein­trin­ker Ho­me­rus.

Ich lieb­te alle scharf­ge­würz­ten Spei­sen: Mak­ka­ro­ni­pas­te­te von ei­nem gu­ten nea­po­li­ta­ni­schen Koch, die Ol­la­po­tri­da der Spa­nier, recht kleb­ri­gen Neu­fund­län­der Stock­fisch, Wild­pret im höchs­ten Sta­di­um des Duf­tes und von Käse ge­ra­de die­je­ni­gen Sor­ten, de­ren Vollen­dung sich da­durch zeigt, dass die Tier­chen, die sich in ih­nen bil­den, sicht­bar wer­den. Stets fand ich süß den Ge­ruch der Frau­en, die ich ge­liebt habe.

Was für ein ver­derb­ter Ge­schmack! wird man sa­gen; wel­che Scham­lo­sig­keit, ihn ohne Er­rö­ten ein­zu­ge­ste­hen! Die­se Kri­tik macht mich la­chen; denn ich glau­be, dank mei­nem der­ben Ge­schmack glück­li­cher zu sein als an­de­re Men­schen; ich bin über­zeugt, dass er mich ge­nuss­fä­hi­ger macht. Glück­lich, wer sich Genüs­se zu ver­schaf­fen weiß, ohne an­de­ren zu scha­den! Tö­richt, wer sich ein­bil­det, das höchs­te We­sen könn­te Wohl­ge­fal­len dar­an fin­den, dass ihm zum Op­fer Schmer­zen, Qua­len und Ent­beh­run­gen ge­weiht wer­den, und es lie­be nur die Über­schwäng­li­chen, die sich der­glei­chen auf­er­le­gen. Gott kann von sei­nen Ge­schöp­fen nur die Be­tä­ti­gung je­ner Tu­gen­den ver­lan­gen, de­ren Kei­me er in ihre See­le ge­legt hat; er gab uns al­les nur, um uns glück­lich zu ma­chen: Ei­gen­lie­be, ehr­gei­zi­ges Stre­ben nach Bei­fall, Nach­ah­mungs­trieb, Kraft, Mut und schließ­lich et­was, das kei­ne Ge­walt uns neh­men kann: die Mög­lich­keit, uns sel­ber zu tö­ten, wenn wir nach ei­ner rich­ti­gen oder falschen Be­rech­nung so un­glück­lich sind, un­se­re Rech­nung da­bei zu fin­den. Die­ses ist der stärks­te Be­weis für un­se­re mo­ra­li­sche Frei­heit, die der So­phis­mus so scharf be­strit­ten hat. Die Na­tur je­doch sträubt sich ge­gen den Selbst­mord, und mit Recht müs­sen alle Re­li­gio­nen ihn ver­bie­ten.

Ein ver­meint­li­cher star­ker Geist sag­te mir ei­nes Ta­ges, ich könn­te mich nicht einen Phi­lo­so­phen nen­nen und gleich­zei­tig an die Of­fen­ba­run­gen glau­ben. Aber wenn wir sie im Phy­si­schen nicht be­zwei­feln, warum soll­ten wir sie nicht auch in den re­li­gi­ösen Din­gen zu­las­sen? Es han­delt sich nur um die Form. Der Geist spricht zum Geist und nicht zu den Ohren. Die Ur­an­fän­ge al­les un­se­res Wis­sens müs­sen de­nen of­fen­bart wor­den sein, die sie in dem großen und er­ha­be­nen Prin­zip, das sie alle ein­schließt, uns mit­ge­teilt ha­ben. Die Bie­ne, die ih­ren Stock, die Schwal­be, die ihr Nest, die Amei­se, die ihre Höh­le baut, die Spin­ne, die ihr Netz webt – sie hät­ten nie­mals et­was ge­macht, hät­ten sie nicht vor­her eine Of­fen­ba­rung emp­fan­gen, die von Ewig­keit her da sein muss­te. Ent­we­der müs­sen wir dies glau­ben, oder wir müs­sen zu­ge­ben, dass die Ma­te­rie denkt. Wa­rum nicht, wür­de Lo­cke sa­gen, wenn Gott es ge­wollt hät­te? Aber da wir es nicht wa­gen, der Ma­te­rie so viel Ehre zu er­wei­sen, so wol­len wir uns doch lie­ber an die Of­fen­ba­rung hal­ten. Der große Phi­lo­soph Lo­cke, der, nach­dem er die Na­tur stu­diert hat­te, ju­belnd ver­kün­den zu kön­nen glaub­te, dass Gott nichts wei­ter sei als die Na­tur sel­ber – er starb zu früh. Hät­te er noch ei­ni­ge Zeit ge­lebt, so wäre er viel wei­ter ge­gan­gen, aber sei­ne Rei­se wäre nicht lang ge­we­sen. Er hät­te sich sel­ber in sei­nem Schöp­fer ge­fun­den und hät­te ihn dann nicht mehr leug­nen kön­nen: in eo mo­ve­mur et su­mus – in ihm le­ben und sind wir. Er wür­de ihn un­be­greif­lich ge­fun­den ha­ben und hät­te sich nicht mehr dar­um be­un­ru­higt.

Könn­te Gott, der Ur­an­fang al­ler An­fän­ge, der sel­ber nie­mals einen An­fang ge­habt hat, sich sel­ber be­grei­fen, wenn er, um sich zu be­grei­fen, sei­nen ei­ge­nen An­fang ken­nen müss­te?

O glück­li­ches Nichts­wis­sen! Spi­no­za, der tu­gend­haf­te Spi­no­za, starb, ehe er zu die­sem Be­sit­ze ge­langt war. Er wäre als Wei­ser und mit ge­rech­tem An­spruch auf Be­loh­nung sei­ner Tu­gen­den ge­stor­ben, wenn er an die Uns­terb­lich­keit sei­ner See­le ge­glaubt hät­te.

Es ist falsch, dass ech­te Tu­gend nicht auf Be­loh­nung An­spruch er­he­ben dür­fe, son­dern da­durch ih­rer Fein­heit Ab­bruch tue. Im Ge­gen­teil, die Tu­gend wird da­durch ge­stärkt; denn der Mensch ist zu schwach, als dass er tu­gend­haft sein woll­te, nur um sich sel­ber zu ge­fal­len. Ich glau­be, dass je­ner Am­phia­ra­os, qui vir bo­nus esse quam vi­de­ri ma­le­bat – der lie­ber ein recht­schaf­fe­ner Mann sein als schei­nen woll­te, der Fa­bel an­ge­hört. Ich glau­be mit ei­nem Wort, es gibt auf der Welt kei­nen eh­ren­wer­ten Men­schen ohne alle An­sprü­che, und ich will von den mei­ni­gen re­den.

Ich er­he­be An­spruch auf die Freund­schaft, die Ach­tung und die Dank­bar­keit mei­ner Le­ser. Auf ihre Dank­bar­keit: wenn das Le­sen mei­ner Erin­ne­run­gen sie be­lehrt und ih­nen Ver­gnü­gen macht. Auf ihre Ach­tung: wenn sie mir Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren las­sen und mich rei­cher an gu­ten Ei­gen­schaf­ten als an Feh­lern fin­den. Auf ihre Freund­schaft: wenn sie mich die­ser wür­dig fin­den we­gen des Frei­mu­tes und des Ver­trau­ens, wo­mit ich mich ohne Ver­klei­dung, ganz wie ich bin, ih­rem Ur­teil über­lie­fe­re.

Sie wer­den fin­den, dass ich stets die Wahr­heit so lei­den­schaft­lich ge­liebt habe, dass ich oft zu­nächst ge­lo­gen habe, um Men­schen, die ihre Rei­ze nicht ahn­ten, mit der Wahr­heit be­kannt zu ma­chen. Sie wer­den nicht auf mich schmä­len, wenn sie mich die Bör­se mei­ner Freun­de lee­ren se­hen, um mei­ne Lau­nen zu be­frie­di­gen; denn die­se Freun­de tru­gen sich mit chi­mä­ri­schen Plä­nen, und in­dem ich ih­nen Hoff­nung auf de­ren Er­fül­lung mach­te, hoff­te ich sel­ber sie von ih­rer Tor­heit zu hei­len, in­dem ich sie sie er­ken­nen ließ. Ich be­trog sie, um sie ver­nünf­tig zu ma­chen, und ich hielt mich nicht für straf­bar; denn ich han­del­te nicht aus Hab­sucht. Die Sum­men, die ich be­nutz­te, um mir mei­ne Ver­gnü­gun­gen zu ver­schaf­fen, wa­ren zu Zwe­cken be­stimmt, die von Na­tur un­mög­lich sind. Ich wür­de mich schul­dig füh­len, wenn ich heu­te reich wäre. Aber ich habe nichts; ich habe al­les ver­schwen­det; und dies trös­tet mich und recht­fer­tigt mich. Es war Geld, das zu Tor­hei­ten be­stimmt war. Ich habe es sei­ner Be­stim­mung nicht ent­frem­det, in­dem ich es für mei­ne ei­ge­nen Tor­hei­ten ver­wand­te.

Soll­te ich mich in mei­ner Hoff­nung ge­täuscht ha­ben und dem Le­ser nicht ge­fal­len, so ge­ste­he ich: dies wür­de mir leid tun; aber doch nicht so sehr, um mich be­reu­en zu las­sen, mei­ne Le­bens­ge­schich­te nie­der­ge­schrie­ben zu ha­ben; denn trotz al­le­dem bleibt es da­bei, dass mir dies Spaß ge­macht hat. Grau­sa­me Lan­ge­wei­le! Nur aus Ver­se­hen kön­nen die Schil­de­rer der Höl­len­stra­fen dich über­gan­gen ha­ben!

Doch muss ich ge­ste­hen, ich kann mich der Furcht vor dem Aus­ge­pfif­fen­wer­den nicht ganz er­weh­ren; sie ist nur zu na­tür­lich, und da­her brau­che ich mich nicht da­mit zu brüs­ten, un­emp­find­lich ge­gen sie zu sein; und ich bin weit ent­fernt, mich da­mit zu trös­ten, dass ich nicht mehr am Le­ben sein wer­de, wenn die­se Erin­ne­run­gen er­schei­nen. Nur mit Ent­set­zen kann ich dar­an den­ken, dass ich dem Tode, den ich ver­ab­scheue, für et­was dank­bar sein müss­te; denn das Le­ben – mag es glück­lich, mag es un­glück­lich sein – ist das ein­zi­ge Gut, das der Mensch be­sitzt, und wer das Le­ben nicht liebt, der ist des Le­bens nicht wür­dig. Wenn man ihm die Ehre vor­zieht, so ge­schieht dies nur, weil die Schan­de es un­aus­lösch­lich brand­markt. Vor sol­che Wahl ge­stellt, kann man wohl dazu kom­men, sich zu tö­ten; aber dann hat die Phi­lo­so­phie zu schwei­gen.

O Tod! Grau­sa­mer Tod! Ver­häng­nis­vol­les Ge­setz, das die Na­tur ver­wer­fen müss­te, denn es zielt nur auf ihre Zer­stö­rung ab. Ci­ce­ro sagt, der Tod be­freie uns von den Schmer­zen. Aber der große Phi­lo­soph trägt nur die Aus­ga­be ein, bucht je­doch nicht die Ein­nah­me. Ich er­in­ne­re mich nicht, ob sei­ne Tul­lia schon ge­stor­ben war, als er sei­ne Tus­ku­la­nen schrieb. Der Tod ist ein Un­ge­heu­er, das den auf­merk­sa­men Zuschau­er aus dem großen Welt­thea­ter hin­aus­jagt, be­vor das Stück, das ihn un­end­lich in­ter­es­siert, zu Ende ge­spielt ist. Schon die­ser Grund al­lein muss ge­nug sein, um den Tod zu ver­ab­scheu­en.

Man wird in die­sen Erin­ne­run­gen nicht alle mei­ne Aben­teu­er fin­den; ich habe die­je­ni­gen aus­ge­las­sen, die den dar­an be­tei­lig­ten Per­so­nen hät­ten miss­fal­len kön­nen; denn sie wür­den eine schlech­te Fi­gur da­bei spie­len. Trotz die­ser Zu­rück­hal­tung wird man mich bis­wei­len nur all­zu in­dis­kret fin­den; das tut mir leid. Wenn ich vor mei­nem Tode noch ver­nünf­tig wer­de und die Zeit dazu fin­de, wer­de ich al­les ver­bren­nen; jetzt habe ich nicht den Mut dazu.

Soll­te man bis­wei­len fin­den, dass ich ge­wis­se Lie­bes­s­ze­nen zu sehr im ein­zel­nen aus­ma­le, so tad­le man mich doch nicht; es sei denn, dass man mich für einen schlech­ten Ma­ler be­fin­det. Denn man darf doch mei­ner al­ten See­le kei­nen Vor­wurf dar­aus ma­chen, dass sie nur noch in der Erin­ne­rung ge­nie­ßen kann. Üb­ri­gens kön­nen tu­gend­haf­te Ge­mü­ter alle jene Schil­de­run­gen über­schla­gen, durch die sie sich ver­letzt füh­len könn­ten; die­sen Rat glau­be ich hier ge­ben zu müs­sen. Wenn je­mand mei­ne Vor­re­de nicht liest, umso schlim­mer für ihn! Ich wer­de dann kei­ne Schuld tra­gen; denn je­der muss wis­sen, dass eine Vor­re­de für ein Werk das­sel­be be­deu­tet, wie der Thea­ter­zet­tel für eine Ko­mö­die: man muss sie le­sen.

Ich habe die­se Erin­ne­run­gen nicht für die Ju­gend ge­schrie­ben; denn die­se muss in der Un­wis­sen­heit er­hal­ten wer­den, da­mit sie nicht zu Fall kom­me. Ich schrieb sie für sol­che, die durch das Le­ben der Ver­füh­rung un­zu­gäng­lich ge­wor­den sind, gleich­sam wie der Sala­man­der da­durch, dass er im Feu­er lebt, feu­er­fest wird. Da die wah­ren Tu­gen­den nur Ge­wohn­hei­ten sind, so er­küh­ne ich mich zu sa­gen: wahr­haft tu­gend­haft ist nur, wer Tu­gend übt, ohne dass es ihm die ge­rings­te Mühe macht. Sol­chen ist jede Un­duld­sam­keit fremd, und für sie habe ich ge­schrie­ben.

Ich habe fran­zö­sisch ge­schrie­ben und nicht ita­lie­nisch, weil die fran­zö­si­sche Spra­che wei­ter ver­brei­tet ist als die mei­ni­ge. Wenn Ei­fe­rer für die Rein­heit der Spra­che an mir zu ta­deln fin­den, weil sie in mei­nem Stil hei­mat­li­che Re­de­wen­dun­gen ent­de­cken, so wer­den sie recht ha­ben, so­bald sie mich dar­über un­klar fin­den müs­sen. Den Grie­chen ge­fiel Theo­phrast trotz sei­nen ere­si­schen Aus­drücken, und den Rö­mern ihr Ti­tus Li­vi­us trotz sei­nen pa­dua­ni­schen Pro­vin­zia­lis­men. Wenn ich in­ter­essant bin, kann ich – dünkt mich – auf die­sel­be Nach­sicht An­spruch ma­chen. Üb­ri­gens fin­det ganz Ita­li­en an Al­ga­rot­ti Ge­fal­len, ob­gleich sein Stil mit Gal­li­zis­men ge­spickt ist.

Es ist be­mer­kens­wert, dass von al­len le­ben­den Spra­chen, die in der Re­pu­blik der Wis­sen­schaf­ten eine Rol­le spie­len, die fran­zö­si­sche die ein­zi­ge ist, die von ih­rer Aka­de­mie ver­ur­teilt wur­de, sich nicht auf Kos­ten der an­de­ren be­rei­chern zu dür­fen. Die an­de­ren da­ge­gen, die sämt­lich an Wor­ten rei­cher sind als sie, plün­dern sie und neh­men ihr Wor­te so­wohl wie Re­de­wen­dun­gen, so oft sie be­mer­ken, dass sie durch sol­che An­lei­hen ihre ei­ge­ne Schön­heit ver­meh­ren kön­nen. Und noch eins: ge­ra­de die, die sie am meis­ten in An­spruch neh­men, schrei­en am lau­tes­ten über ihre Ar­mut, wie wenn sie da­durch ihre An­eig­nun­gen recht­fer­ti­gen woll­ten. Man sagt, die fran­zö­si­sche Spra­che habe sich jetzt so weit ent­wi­ckelt, dass sie alle Schön­hei­ten be­sit­ze, de­ren sie fä­hig sei – und man muss ein­räu­men, dass die­ser Schön­hei­ten vie­le sind – und dar­um wür­de der ge­rings­te frem­de Zu­satz sie häss­li­cher ma­chen; ich glau­be aber be­haup­ten zu kön­nen, dass die­se Mei­nung auf ei­nem Vor­ur­teil be­ruht. Denn ob­wohl die fran­zö­si­sche Spra­che die klars­te und lo­gischs­te von al­len ist, so wäre es doch all­zu kühn zu be­haup­ten, dass sie nicht über die jetzt er­reich­te Höhe hin­aus sich wei­ter ent­wi­ckeln kann. Man wird sich noch er­in­nern, dass zu Lul­lis Zeit die gan­ze Na­ti­on ei­nig war in ih­rem Ur­teil über sei­ne Mu­sik: Ra­meau kam und al­les än­der­te sich. Der neue Auf­schwung, den das fran­zö­si­sche Volk ge­nom­men hat, kann es auf bis­her un­be­merkt ge­blie­be­ne Wege füh­ren, und neue Schön­hei­ten, neue Voll­kom­men­hei­ten kön­nen aus neu­en Ver­hält­nis­sen und aus neu­en Be­dürf­nis­sen ent­ste­hen.

Der Wahl­spruch, den ich mei­nem Wer­ke vor­ge­setzt habe, recht­fer­tigt mei­ne Ab­schwei­fun­gen und mei­ne, viel­leicht zu häu­fi­gen, Er­ör­te­run­gen über mei­ne Ta­ten al­ler Art: ne­qui­d­quam sa­pit qui sibi non sa­pit. – Der ist nicht wei­se, der es für sich selbst nicht ist. Aus dem­sel­ben Grun­de war es mir stets Be­dürf­nis, in gu­ter Ge­sell­schaft mich lo­ben zu hö­ren:

Ex­ci­tat au­di­tor stu­di­um, lau­da­taque vir­tus Cre­s­cit et im­men­sum glo­ria cal­car ha­bet.

Ei­fer wird durch Hö­rer be­lebt, es wächst die ge­lob­te Tu­gend, mit schärfs­tem Sporn trei­bet den Men­schen der Ruhm.

Gern hät­te ich hier den stol­zen Wahl­spruch auf­ge­pflanzt: ne­mo la­edi­tur nisi a se ip­so. – Je­der ist sel­ber schuld, wenn ihn Scha­den trifft. Aber ich fürch­te, ich er­re­ge da­mit An­stoß bei al­len den un­ge­heu­er vie­len, die, so oft ih­nen et­was schief geht, so­fort schrei­en: Das war nicht mei­ne Schuld! Man muss ih­nen die­sen klei­nen Trost las­sen, denn wenn sie die­ses Aus­hilfs­mit­tel nicht hät­ten, so wür­den sie schließ­lich sich sel­ber has­sen, und der Selbst­hass hat oft die ver­häng­nis­vol­le Fol­ge des Selbst­mor­des.

Ich aber er­ken­ne ger­ne stets in mir sel­ber die Haup­t­ur­sa­che des Gu­ten oder Bö­sen, das mir zu­stößt. Da­her sah ich mich stets mit Be­ha­gen im­stan­de, mein ei­ge­ner Schü­ler zu sein, und mach­te es mir zur Pf­licht, mei­nen Leh­rer zu lie­ben.

Teil 1

Erstes Kapitel

Nachrichten aus meiner Familie – Meine Kindheit.

Don Ja­cob Ca­sa­no­va, ge­bo­ren zu Sa­ra­gos­sa, der Haupt­stadt von Ara­go­ni­en, na­tür­li­cher Sohn Don Fran­cis­cos, ent­führ­te im Jah­re 1428 Don­na Anna Pala­for aus dem Klos­ter; dies ge­sch­ah einen Tag, nach­dem sie ihr Ge­lüb­de ab­ge­legt hat­te. Er war Ge­heim­schrei­ber des Kö­nigs Al­fon­so. Er floh mit ihr nach Rom, wo Anna ein Jahr im Ge­fäng­nis zu­brin­gen muss­te; nach Ver­lauf die­ser Zeit ent­band Papst Mar­tin der Drit­te sie von ih­rem Ge­lüb­de und gab ih­rer Ehe sei­nen Se­gen auf Emp­feh­lung des Don Juan Ca­sa­no­va, Haus­hof­meis­ters des Al­ler­hei­ligs­ten Palas­tes und Oheims des Don Ja­cob. Die aus die­ser Ehe her­vor­ge­gan­ge­nen Kin­der star­ben sämt­lich in zar­tem Al­ter mit Aus­nah­me Don Ju­ans, der im Jah­re 1475 Don­na Eleo­no­ra Al­bi­ni hei­ra­te­te und von ihr einen Sohn, Na­mens Mar­co An­to­nio, hat­te.

Im Jah­re 1481 tö­te­te Don Juan einen Of­fi­zier des Kö­nigs von Nea­pel und muss­te des­halb Rom ver­las­sen; er floh mit sei­ner Frau und sei­nem Sohn nach Como; spä­ter ver­ließ er die­se Stadt wie­der, um sein Glück in der Fer­ne zu su­chen, und starb im Jah­re 1493 als Rei­se­ge­fähr­te von Chri­stof Co­lum­bus.

Mar­co An­to­nio wur­de ein gu­ter Dich­ter im Mar­ti­al­schen Stil; er war Se­kre­tär des Kar­di­nals Pom­peo Co­lon­na. Die Sa­ti­re ge­gen Gi­u­lio de Me­di­ci, die wir in sei­nen ge­sam­mel­ten Dich­tun­gen le­sen, zwang ihn zur Flucht nach Rom; er kehr­te nach Como zu­rück und hei­ra­te­te hier Abon­dia Rez­zo­ni­ca.

Als Gi­u­lio de’ Me­di­ci Papst Cle­mens der Sie­ben­te ge­wor­den war, ver­zieh er ihm und ließ ihn mit sei­ner Frau nach Rom kom­men. Kurz nach der Ein­nah­me und Plün­de­rung der Stadt durch die Kai­ser­li­chen im Jah­re 1526 starb Mar­co An­to­nio an der Pest; sonst wäre er im Elend ge­stor­ben, denn die Sol­da­ten Karls des Fünf­ten hat­ten ihm al­les ge­nom­men, was er be­saß. Pie­tro Va­le­ria­no spricht von ihm aus­führ­lich in sei­nem Buch De in­fe­li­ci­ta­te li­te­ra­torum.

Drei Mo­na­te nach sei­nem Tode brach­te sei­ne Wit­we einen Sohn zur Welt, Gia­co­mo Ca­sa­no­va; er starb in sehr ho­hem Al­ter in Frank­reich als Oberst in dem Hee­re, das von Far­ne­se ge­gen Kö­nig Hein­rich von Na­var­ra, spä­ter Hein­rich der Vier­te von Frank­reich, be­feh­ligt wur­de. Gia­co­mo hat­te in Par­ma einen Sohn hin­ter­las­sen, der sich mit Te­resa Con­ti ver­mähl­te. Aus die­ser Ehe ent­sprang ein Sohn, Gia­co­mo, der im Jah­re 1680 Anna Roli hei­ra­te­te. Gia­co­mo hat­te zwei Söh­ne, Giam­bat­tis­ta und Gae­ta­no Gi­u­sep­pe Gia­co­mo. Der Äl­te­re ver­ließ Par­ma 1712 und ist ver­schol­len, der Jün­ge­re trenn­te sich als Neun­zehn­jäh­ri­ger im Jah­re 1715 eben­falls von sei­ner Fa­mi­lie.

Die­se dürf­ti­gen Nach­rich­ten fand ich in ei­nem No­tiz­buch mei­nes Va­ters. Das fol­gen­de habe ich aus dem Mun­de mei­ner Mut­ter er­fah­ren.

Gae­ta­no Gi­u­sep­pe Gia­co­mo ver­ließ sein el­ter­li­ches Haus, be­zau­bert von den Rei­zen ei­ner Schau­spie­le­rin, der so­ge­nann­ten Fra­go­let­ta, die die Rol­len der mun­te­ren Lieb­ha­be­rin spiel­te. Eben­so ver­liebt wie mit­tel­los, ent­schloss er sich, sei­nen Le­bens­un­ter­halt sich mit Hil­fe sei­ner per­sön­li­chen Vor­zü­ge zu ver­die­nen. Er wur­de Tän­zer und fünf Jah­re spä­ter Schau­spie­ler, als wel­cher er sich noch mehr durch sei­nen ta­del­lo­sen Cha­rak­ter als durch sein Ta­lent aus­zeich­ne­te.

Vi­el­leicht weil er ih­rer über­drüs­sig, viel­leicht weil er ei­fer­süch­tig war – ge­nug, er ver­ließ die Fra­go­let­ta und wur­de in Ve­ne­dig Mit­glied ei­ner Schau­spie­ler­trup­pe, die im Thea­ter San Sa­mu­e­le spiel­te. Ge­gen­über dem Zim­mer, worin er haus­te, wohn­te ein Schuh­ma­cher, Na­mens Ge­ro­ni­mo Fa­ru­si, mit sei­ner Frau Mar­zia und ih­rer ein­zi­gen Toch­ter Za­net­ta, ei­ner voll­kom­me­nen Schön­heit von sech­zehn Jah­ren. Der jun­ge Schau­spie­ler ver­lieb­te sich in das Mäd­chen; er wuss­te ihre Zärt­lich­keit zu er­we­cken und über­re­de­te sie dazu, sich von ihm ent­füh­ren zu las­sen. Dies war das ein­zi­ge Mit­tel in ih­ren Be­sitz zu ge­lan­gen: dem Schau­spie­ler wür­de Mar­zia nie­mals ihr Kind ge­ge­ben ha­ben, noch we­ni­ger Ge­ro­ni­mo; denn in ih­ren Au­gen war ein Ko­mö­di­ant eine höchst ver­ab­scheu­ens­wer­te Per­son. Die jun­gen Lie­ben­den ver­sa­hen sich mit den nö­ti­gen Pa­pie­ren und be­ga­ben sich in Beglei­tung von zwei Zeu­gen zum Pa­tri­ar­chen von Ve­ne­dig, der ih­rer Ehe sei­nen Se­gen er­teil­te. Za­net­tas Mut­ter Mar­zia jam­mer­te und fluch­te über dies Un­glück, und der Va­ter starb vor Gram. Die­ser Ehe ent­stam­me ich; neun Mo­na­te nach der Hoch­zeit, am 2. April 1725, wur­de ich ge­bo­ren.

Im nächs­ten Jah­re übergab mich mei­ne Mut­ter der Pfle­ge Mar­zi­as, die ihr ver­zie­hen hat­te, als sie er­fuhr, dass mein Va­ter ihr ver­spro­chen habe, sie nie­mals zum Auf­tre­ten auf der Büh­ne zu zwin­gen. Die­ses Ver­spre­chen ge­ben alle Schau­spie­ler, wenn sie ein Mäd­chen aus bür­ger­li­chen Fa­mi­li­en hei­ra­ten; das Ver­spre­chen wird aber nie­mals ge­hal­ten, weil ihre Frau­en sel­ber sich wohl hü­ten, auf Ein­hal­tung ih­res Wor­tes zu drin­gen. Üb­ri­gens war es für mei­ne Mut­ter ein großes Glück, dass sie ge­lernt hat­te, Ko­mö­die zu spie­len; denn sie wür­de sonst, als sie neun Jah­re dar­auf als Wit­we mit sechs Kin­dern da­stand, nicht die Mit­tel ge­habt ha­ben, ihre Kin­der auf­zu­zie­hen.

Ich war also ein Jahr alt, als mein Va­ter mich in Ve­ne­dig zu­rück­ließ, um ein En­ga­ge­ment in Lon­don an­zu­neh­men. In die­ser großen Stadt be­trat mei­ne Mut­ter zum ers­ten Male die Büh­ne, und hier brach­te sie im Jah­re 1727 mei­nen Bru­der Fran­ces­co zur Welt, der jetzt als be­rühm­ter Schlach­ten­ma­ler in Wien lebt, wo er seit 1783 sei­nem Be­ruf ob­liegt.

Ge­gen Ende des Jah­res 1728 kehr­te mei­ne Mut­ter mit ih­rem Gat­ten nach Ve­ne­dig zu­rück, und da sie nun ein­mal Schau­spie­le­rin war, so blieb sie es auch.

Im Jah­re 1730 ge­bar sie mei­nen Bru­der Gio­van­ni, der Ende 1795 als Di­rek­tor der kur­fürst­li­chen Ma­ler­aka­de­mie in Dres­den ge­stor­ben ist. In den nächs­ten drei Jah­ren wur­de sie dann noch Mut­ter von zwei Töch­tern, von de­nen die eine als klei­nes Kind starb, die an­de­re als ver­hei­ra­te­te Frau noch jetzt, 1798, in Dres­den lebt. End­lich hat­te ich einen nach­ge­bo­re­nen Bru­der, der Pries­ter wur­de und vor fünf­zehn Jah­ren in Rom ge­stor­ben ist.

Doch kom­men wir jetzt zum Be­ginn mei­ner Exis­tenz als den­ken­des We­sen.

Das Or­gan des Ge­dächt­nis­ses ent­wi­ckel­te sich bei mir An­fang Au­gust 1733; ich war also da­mals acht Jah­re und vier Mo­na­te alt. Ich habe nicht die ge­rings­te Erin­ne­rung an Er­eig­nis­se, die vor die­ser Zeit lie­gen. Mei­ne ers­te Erin­ne­rung be­trifft fol­gen­des:

Ich stand in der Ecke ei­nes Zim­mers ge­gen die Wand ge­beugt; mei­nen Kopf hielt ich in den Hän­den und blick­te un­ver­wandt auf das Blut, das mir in Strö­men aus der Nase floss und auf die Erde rie­sel­te.

Mei­ne Groß­mut­ter Mar­zia, de­ren Lieb­ling ich war, kam zu mir her­an, wusch mir das Ge­sicht mit kal­tem Was­ser, ließ mich, ohne dass im Hau­se je­mand et­was da­von merk­te, mit sich in eine Gon­del stei­gen und führ­te mich nach der sehr volk­rei­chen In­sel Mu­ra­no, die nur eine hal­be Mei­le von Ve­ne­dig liegt.

Hier stie­gen wir aus und gin­gen in eine Spe­lun­ke, wo wir ein al­tes Weib fan­den, das mit ei­nem schwar­zen Ka­ter in den Ar­men auf ei­nem schmut­zi­gen Bett saß und noch fünf oder sechs Kat­zen um sich hat­te. Es war eine Hexe. Die bei­den al­ten Frau­en hat­ten ein lan­ges Ge­spräch mit­ein­an­der, das wahr­schein­lich mich be­traf. Zum Schluss die­ser Zwie­sprach, die in Fri­au­ler Mund­art ab­ge­hal­ten wur­de, be­kam die alte Hexe von mei­ner Groß­mut­ter einen Sil­ber­du­ka­ten. Sie öff­ne­te eine Kis­te, nahm mich auf die Arme, leg­te mich hin­ein und schloss den De­ckel, in­dem sie mir sag­te, ich sol­le kei­ne Angst ha­ben. Die­se Be­mer­kung wäre nun ge­ra­de ge­nug ge­we­sen, um mir Angst zu ma­chen, wenn ich über­haupt ir­gend­wel­che Denk­kraft be­ses­sen hät­te; aber ich war ganz be­täubt. Ich lag ru­hig in ei­ner Ecke zu­sam­men­ge­kau­ert, hielt mir das Ta­schen­tuch un­ter die Nase, weil ich im­mer noch blu­te­te, und küm­mer­te mich üb­ri­gens nicht im ge­rings­ten um den Lärm, den ich drau­ßen ma­chen hör­te. Ich hör­te ab­wech­selnd la­chen, wei­nen, sin­gen, schrei­en und an die Kis­te klop­fen; mir war das al­les gleich­gül­tig. End­lich ho­len sie mich aus der Kis­te her­vor, mein Blut ist ge­stillt. Das son­der­ba­re Weib macht mir hun­dert Lieb­ko­sun­gen, ent­klei­det mich, legt mich auf das Bett, ver­brennt Kräu­ter, fängt den Rauch da­von mit ei­nem Tuch auf, wi­ckelt mich in die­ses ein, macht Be­schwö­run­gen, wi­ckelt mich dar­auf wie­der aus und gibt mir fünf sehr an­ge­nehm schme­cken­de Zucker­plätz­chen. Gleich dar­auf reibt sie mir Schlä­fen und Na­cken mit ei­ner lieb­lich duf­ten­den Sal­be ein und dann klei­det sie mich wie­der an. Sie sag­te mir, mei­ne Blu­tun­gen wür­den ganz all­mäh­lich auf­hö­ren; nur dürf­te ich nie­man­dem er­zäh­len, was sie ge­macht hät­te, um mich zu hei­len; sie droh­te mir, ich wür­de all mein Blut ver­lie­ren und ster­ben, wenn ich es wag­te, zu ir­gend­ei­nem Men­schen von ih­ren Ge­heim­nis­sen zu spre­chen. Nach­dem sie mir dies al­les ein­ge­prägt hat­te, sag­te sie noch, eine rei­zen­de Dame wür­de mir nächs­te Nacht einen Be­such ma­chen und von die­ser wür­de mein Glück ab­hän­gen, wenn ich nur so­viel Wil­lens­kraft hät­te, nie­man­dem von die­sem Be­such zu er­zäh­len. Hier­auf nah­men wir Ab­schied und kehr­ten nach Hau­se zu­rück.

Kaum lag ich im Bett, so schlief ich ein, ohne wie­der an den schö­nen Be­such zu den­ken, der mir be­vor­stand; aber als ich ei­ni­ge Stun­den spä­ter aus­wach­te, sah ich – oder glaub­te we­nigs­tens sie zu se­hen – eine blen­dend schö­ne Frau, die aus dem Ka­min kam. Sie war im Reif­rock, trug ein pracht­vol­les Kleid und hat­te auf dem Kopf eine mit Edel­stei­nen be­setz­te Kro­ne, von der – wie es mir vor­kam – Fun­ken sprüh­ten. Sie kam lang­sa­men Schrit­tes mit ma­je­stä­ti­scher und sanf­ter Mie­ne auf mein Bett zu und setz­te sich auf die­ses; dann zog sie aus ih­rer Ta­sche klei­ne Büchs­chen, die sie über mei­nen Kopf aus­leer­te, wo­bei sie Wor­te flüs­ter­te. Nach­dem sie mir eine lan­ge An­spra­che ge­hal­ten hat­te, von der ich nichts ver­stand, küss­te sie mich und ver­schwand auf dem­sel­ben Wege, auf dem sie ge­kom­men war. Hier­auf schlief ich wie­der ein.

Am an­de­ren Mor­gen kam mei­ne Groß­mut­ter mich an­klei­den; kaum an mein Bett an­tre­ten, sag­te sie, ich müs­se un­be­dingt schwei­gen; ich sei des To­des, wenn ich über das von mir in der Nacht Ge­se­he­ne zu spre­chen wage. Die­se Rede aus dem Mun­de der ein­zi­gen Frau, die auf mich einen un­be­schränk­ten Ein­fluss hat­te und die mich ge­wöhnt hat­te, al­len ih­ren Be­feh­len blind­lings zu ge­hor­chen, be­wirk­te, dass ich mich der Er­schei­nung wie­der er­in­ner­te und dass ich sie un­ter Sie­gel im ge­heims­ten Win­kel mei­nes eben er­wa­chen­den Ge­dächt­nis­ses auf­be­wahr­te. Üb­ri­gens fühl­te ich mich gar nicht ver­sucht, das Be­geb­nis ir­gend­ei­nem Men­schen zu er­zäh­len; zu­nächst weil ich nicht wuss­te, was man über­haupt dar­an in­ter­essant fin­den könn­te, dann aber auch weil ich nie­mand kann­te, an den ich mich mit mei­ner Er­zäh­lung hät­te wen­den kön­nen; denn da mei­ne Krank­heit mich trüb­sin­nig und nicht im ge­rings­ten un­ter­hal­tend mach­te, so be­dau­er­ten mich alle Leu­te und lie­ßen mich in Ruhe; man glaub­te, ich wür­de nicht lan­ge le­ben, und mei­ne El­tern spra­chen nie­mals ein Wort mit mir.

Nach der Rei­se nach Mu­ra­no und dem nächt­li­chen Be­such der Fee blu­te­te ich zwar noch, aber die Blu­tun­gen wur­den von Tag zu Tag ge­rin­ger und all­mäh­lich ent­wi­ckel­te sich mein Ge­dächt­nis. In we­ni­ger als ei­nem Mo­nat lern­te ich le­sen.

Ohne Zwei­fel wäre es lä­cher­lich, mei­ne Hei­lung die­sem tol­len Zau­ber zu­zu­schrei­ben; ich glau­be aber auch, dass man un­recht hät­te, woll­te man rund­weg leug­nen, dass er viel­leicht dazu bei­ge­tra­gen. Die Er­schei­nung der schö­nen Kö­ni­gin habe ich im­mer für einen Traum ge­hal­ten – wenn es nicht etwa ein zu mei­nem Bes­ten ver­an­stal­te­ter Mum­men­schanz war; die Heil­mit­tel für die schwers­ten Krank­hei­ten sind ja nicht im­mer in Apo­the­ken zu fin­den. Tag­täg­lich tut ir­gend­ein Phä­no­men uns un­se­re Un­wis­sen­heit dar, und ich glau­be, dies ist der Grund, warum wir so sel­ten einen Ge­lehr­ten fin­den, des­sen Geist von je­dem Aber­glau­ben frei ist. Ganz ge­wiss hat es auf die­ser Welt nie­mals He­xen und He­xen­meis­ter ge­ge­ben; aber eben­so un­leug­bar ha­ben zu al­len Zei­ten Leu­te an Be­trü­ger ge­glaubt, die das Ta­lent be­sa­ßen, als Zau­be­rer auf­zu­tre­ten: Som­nio noc­tur­nos le­mu­res por­ten­taque Thes­sa­lia vi­des. – Im Traum siehst du Nacht­ge­spens­ter und thes­sa­li­sche Un­ge­heu­er.

Man­ches, was zu­nächst nur in der Fan­ta­sie vor­han­den ist, wird all­mäh­lich zur Tat­sa­che; folg­lich ist es wohl mög­lich, dass die­se oder jene Wir­kung, die man nur dem Glau­ben zu­schreibt, kein ei­gent­li­ches Wun­der ist, ob­gleich sie de­nen, die dem Glau­ben eine schran­ken­lo­se Macht zu­schrei­ben, als ein wirk­li­ches Wun­der er­scheint. –

Das zwei­te mir wi­der­fah­re­ne Er­eig­nis, des­sen ich mich er­in­ne­re, pas­sier­te mir drei Mo­na­te nach der Rei­se nach Mu­ra­no und sechs Wo­chen vor dem Tode mei­nes Va­ters. Ich tei­le es dem Le­ser nur mit, um ihm einen Be­griff zu ge­ben, in wel­cher Wei­se sich mein Cha­rak­ter ent­wi­ckel­te.

Ei­nes Ta­ges, um die Mit­te des No­vem­bers, be­fand ich mich zu­sam­men mit mei­nem um zwei Jah­re jün­ge­ren Bru­der Fran­ces­co im Zim­mer mei­nes Va­ters und sah ihm auf­merk­sam bei sei­nen op­ti­schen Ar­bei­ten zu.

Ein großes Stück Kris­tall, rund und in Fa­cet­ten ge­schlif­fen, fes­sel­te mei­ne Auf­merk­sam­keit. Ich nahm es in die Hand, hielt es vor mei­ne Au­gen und war wie be­zau­bert, als ich alle Ge­gen­stän­de ver­viel­fäl­tigt sah. So­fort be­kam ich Lust, mir die­sen Kris­tall an­zu­eig­nen, und da ich mich un­be­ach­tet sah, so be­nutz­te ich den Au­gen­blick, ihn in die Ta­sche zu ste­cken. Gleich dar­auf stand mein Va­ter auf, um den Kris­tall zu be­nut­zen; da er ihn nicht fand, sag­te er zu uns, ei­ner von uns bei­den müss­te ihn ge­nom­men ha­ben. Mein Bru­der ver­si­cher­te ihm, er habe ihn nicht an­ge­rührt, und hier­auf sag­te ich trotz dem Be­wusst­sein mei­ner Schuld ihm das­sel­be. Mein Va­ter war aber sei­ner Sa­che si­cher und droh­te uns, er wür­de un­se­re Ta­schen durch­su­chen, und wer ge­lo­gen hät­te, wür­de Prü­gel be­kom­men. Ich tat, als such­te ich den Kris­tall in al­len Zun­me­r­e­cken, und hier­bei ge­lang es mir in ei­nem güns­ti­gen Au­gen­blick, das Ding ge­schickt mei­nem Bru­der in die Rock­ta­sche glei­ten zu las­sen. Dies tat mir so­fort leid, denn ich hät­te ja tun kön­nen, als hät­te ich den Kris­tall ir­gend­wo ge­fun­den; aber die Schlech­tig­keit war nun ein­mal be­gan­gen. Mein Va­ter wur­de schließ­lich un­ge­dul­dig, als wir nichts fan­den; er durch­such­te uns, ent­deck­te die ver­häng­nis­vol­le Ku­gel in der Ta­sche des Un­schul­di­gen und gab ihm die ver­hei­ße­ne Tracht Prü­gel. Drei oder vier Jah­re spä­ter war ich so dumm, mich mei­nem Bru­der ge­gen­über die­ses Strei­ches zu rüh­men; er ver­zieh ihn mir nie­mals und ver­säum­te kei­ne Ge­le­gen­heit, sich da­für zu rä­chen.

Als ich in ei­ner Ge­ne­ral­beich­te mich die­ser Sün­de mit al­len Ne­ben­um­stän­den an­klag­te, er­hielt ich eine Be­leh­rung, die mir Spaß mach­te. Mein Beicht­va­ter, ein Je­suit, sag­te mir, da ich Gia­co­mo hei­ße, so hät­te ich mit die­ser Tat der Be­deu­tung mei­nes Na­mens ent­spre­chend ge­han­delt. Denn im He­bräi­schen be­deu­tet Ja­kob Ver­drän­ger. Des­halb gab Gott dem Pa­tri­ar­chen für sei­nen al­ten Na­men den neu­en Is­rael, das heißt: Der Se­hen­de. Er hat­te sei­nen Bru­der Esau hin­ter­gan­gen.

Sechs Wo­chen nach die­sem Vor­fall be­kam mein Va­ter im In­nern des Kop­fes ein Ge­schwür, das ihn bin­nen acht Ta­gen ins Grab brach­te. Der Arzt Zam­bel­li gab dem Kran­ken zu­nächst ver­stop­fen­de Heil­mit­tel und glaub­te dann die­se Dumm­heit mit der Verab­rei­chung von Bi­ber­geil wie­der gutz­u­ma­chen. Mein Va­ter starb in­fol­ge­des­sen an Krämp­fen. Eine Mi­nu­te nach sei­nem Tode barst das Ge­schwür und floss durchs Ohr ab; es ent­fern­te sich, nach­dem es ihn ge­tö­tet hat­te, wie wenn es nun nichts mehr bei ihm zu tun hät­te.

Mein Va­ter schied im blü­hends­ten Al­ter aus dem Le­ben; er zähl­te nur 36 Jah­re. In sein Grab folg­te ihm das Be­dau­ern des Pub­li­kums, be­son­ders des Adels, der in ihm einen Mann ach­te­te, der sich durch sei­ne Le­bens­füh­rung wie durch sei­ne Kennt­nis­se in der Mecha­nik über sei­nen Stand er­hob.

Zwei Tage vor sei­nen Tode fühl­te mein Va­ter sein Ende na­hen; er ließ sei­ne Frau und uns alle an sein Bett kom­men und bat die ed­len Her­ren Gri­ma­ni, un­se­re Be­schüt­zer zu wer­den.

Nach­dem er uns sei­nen Se­gen ge­ge­ben hat­te, ver­lang­te er von mei­ner in Trä­nen zer­flie­ßen­den Mut­ter, dass sie ihm schwö­re, keins von sei­nen Kin­dern für die Büh­ne zu er­zie­hen, die er sel­ber nie­mals wür­de be­tre­ten ha­ben, wenn ihn nicht eine un­glück­li­che Lei­den­schaft dazu ge­zwun­gen hät­te. Sie tat den Schwur, und die drei Pa­tri­zi­er bürg­ten für des­sen Un­ver­letz­lich­keit. Die Um­stän­de hal­fen ihr, die­ses Ver­spre­chen hal­ten zu kön­nen.

Da mei­ne Mut­ter da­mals im sechs­ten Mo­nat schwan­ger war, wur­de sie bis nach Os­tern vom Auf­tre­ten be­freit. Schön und jung wie sie war, schlug sie alle Hei­rats­an­trä­ge aus; auf die Vor­se­hung ver­trau­end, hoff­te sie sel­ber im­stan­de zu sein, uns groß­zu­zie­hen.

Zu­nächst glaub­te sie sich mit mir be­schäf­ti­gen zu sol­len; nicht so sehr aus be­son­de­rer Vor­lie­be für mich als we­gen mei­ner Krank­heit, die mich in einen sol­chen Zu­stand ver­setz­te, dass man nicht mehr wuss­te, was man mit mir an­fan­gen soll­te. Ich war sehr schwach, hat­te kei­nen Ap­pe­tit, war zu kei­ner An­stren­gung fä­hig und sah aus wie ein Blöd­sin­ni­ger. Die Arz­te strit­ten sich um die Ur­sa­che mei­nes Lei­dens. Er ver­liert, sag­ten sie, wö­chent­lich zwei Pfund Blut, wäh­rend er doch im gan­zen nur sech­zehn bis acht­zehn ha­ben kann. Wo­her kann also eine so über­reich­li­che Ab­ga­be von Blut kom­men? Der eine sag­te, mein gan­zer Spei­se­saft ver­wand­le sich in Blut, der an­de­re be­haup­te­te, die von mir ein­ge­at­me­te Luft müs­se bei je­dem Atem­zu­ge die Men­ge des in mei­nen Lun­gen vor­han­de­nen Blu­tes ver­meh­ren und dar­um hiel­te ich fort­wäh­rend den Mund of­fen. Dies wur­de mir sechs Jah­re spä­ter von Herrn Baf­fo, ei­nem ver­trau­ten Freun­de mei­nes se­li­gen Va­ters, er­zählt.

Baf­fo kon­sul­tier­te schließ­lich in Pa­dua den be­rühm­ten Arzt Ma­co­po, der ihm sei­ne Mei­nung schrift­lich mit­teil­te. In die­sem Gut­ach­ten, das ich auf­be­wahrt habe, heißt es, un­ser Blut sei eine dehn­ba­re Flüs­sig­keit, die an Di­cke, nie­mals aber an Men­ge sich ver­min­dern oder ver­meh­ren kön­ne; mei­ne Blu­tun­gen könn­ten nur da­von her­rüh­ren, dass die Blut­men­ge zu dick sei. Sie ma­che sich auf na­tür­li­chem Wege Luft, um den Um­lauf zu er­leich­tern. Er sag­te, ich wür­de be­reits ge­stor­ben sein, wenn nicht die Na­tur, die le­ben will, sich sel­ber ge­hol­fen hät­te. Er kam zu dem Schluss: da die Ur­sa­che die­ser Di­cke nur in der von mir ein­ge­at­me­ten Luft ge­sucht wer­den kön­ne, so müs­se man mir Luft­ver­än­de­rung ver­schaf­fen oder sich dar­auf ge­fasst ma­chen, mich zu ver­lie­ren. Nach sei­ner Mei­nung war fer­ner an dem dum­men Aus­druck, den mei­ne Züge tru­gen, eben­falls nur die Di­cke mei­nes Blu­tes schuld.

Die­ser Herr Baf­fo, ein er­ha­be­ner Geist und ein Poet, der sich nur in Ge­dich­ten der schlüpf­rigs­ten Art ver­such­te, in die­ser aber groß und ein­zig war – Baf­fo also ver­an­lass­te, dass mei­ne Fa­mi­lie sich ent­schloss, mich nach Pa­dua in Pen­si­on zu ge­ben; folg­lich ver­dan­ke ich ihm mein Le­ben. Er ist zwan­zig Jah­re spä­ter ge­stor­ben, der letz­te sei­ner al­ten pa­tri­zi­schen Fa­mi­lie; aber sei­ne Ge­dich­te, sind sie gleich schmut­zig, wer­den sei­nen Na­men nie­mals un­ter­ge­hen las­sen. Die ve­ne­zia­ni­schen Staats­in­qui­si­to­ren wer­den aus ei­ner ge­wis­sen Pie­tät zu sei­nem Ruh­me bei­ge­tra­gen ha­ben; denn in­dem sie sei­ne in Ab­schrif­ten um­lau­fen­den Wer­ke ver­folg­ten, mach­ten sie sie kost­bar; sie hät­ten wis­sen müs­sen, dass spre­ta exo­les­cunt – was nicht be­ach­tet wird, fällt der Ver­ges­sen­heit an­heim.

So­bald der Ora­kel­spruch des Pro­fes­sors Ma­co­po als zu­tref­fend er­ach­tet war, über­nahm es Herr Ab­ba­te Gri­ma­ni, mit Hil­fe ei­nes in Pa­dua woh­nen­den ihm be­kann­ten Che­mi­kers, für mich eine gute Pen­si­on zu fin­den. Er hieß Ot­ta­via­ni und war zu­gleich auch An­ti­quar. In ein paar Ta­gen war die Pen­si­on ge­fun­den und an mei­nem neun­ten Ge­burts­tag, den 2. April 1734 brach­te man mich in ei­nem Burchi­el­lo auf dem Bren­ta­ka­nal nach Pa­dua. Der Burchi­el­lo kann für ein klei­nes schwim­men­des Haus gel­ten. Es be­fin­det sich dar­auf ein Saal mit ei­nem Ka­bi­nett am obe­ren und un­te­ren Ende, und für die Die­ner­schaft ist Un­ter­kunft am Bug und am Stern des Fahr­zeugs vor­han­den; die Form des Saa­l­es ist ein Recht­eck; er ist mit Glas­fens­tern und Holz­lä­den ver­se­hen, und dar­über be­fin­det sich noch ein Sitz­deck. Die Dau­er der Rei­se be­trägt acht Stun­den. Ab­ba­te Gri­ma­ni, Herr Baf­fo und mei­ne Mut­ter be­glei­te­ten mich; ich schlief mit mei­ner Mut­ter im Saal und die bei­den Freun­de ver­brach­ten die Nacht in ei­nem der bei­den Ka­bi­net­te. Mit Ta­ge­s­an­bruch stand mei­ne Mut­ter auf und öff­ne­te ein Fens­ter ge­gen­über dem Bett; die Strah­len der auf­ge­hen­den Son­ne tra­fen mein Ge­sicht, so­dass ich die Au­gen auf­schlug. Das Bett war so nied­rig, dass ich das Land nicht se­hen konn­te; ich sah durch das Fens­ter nur die Wip­fel der Bäu­me, die den Fluss um­säu­men. Die Bar­ke be­weg­te sich, aber so gleich­mä­ßig und ru­hig, dass ich da­von nichts merk­te; es über­rasch­te mich da­her aufs höchs­te, dass ein Baum nach dem an­de­ren mei­nen Bli­cken ent­schwand. »O, lie­be Mut­ter!« rief ich, »was ist denn das? Die Bäu­me lau­fen ja!« Im sel­ben Au­gen­blick tra­ten die bei­den Her­ren ein und frag­ten mich, als sie mein ver­dutz­tes Ge­sicht sa­hen, wor­an ich denn däch­te. »Wo­her kommt es«, wie­der­hol­te ich, »dass die Bäu­me lau­fen?«

Sie lach­ten; mei­ne Mut­ter aber stieß einen Seuf­zer aus und sag­te ganz trau­rig: »Das Schiff be­wegt sich, und nicht die Bäu­me. Zieh dich an!« Ich be­griff, dank mei­ner er­wa­chen­den, sich im­mer mehr ent­wi­ckeln­den und noch gar nicht vor­ein­ge­nom­me­nen Ver­nunft so­fort den Grund der Er­schei­nung. »Dann ist es also mög­lich«, sag­te ich zu mei­ner Mut­ter, »dass auch die Son­ne sich nicht be­wegt, und dass im Ge­gen­teil un­se­re Erde von Wes­ten nach Os­ten rollt.« Mei­ne gute Mut­ter ent­setz­te sich über die­sen Un­sinn, Herr Gri­ma­ni be­klag­te mei­ne Dumm­heit, und ich stand da ganz ver­dutzt, trau­rig und dem Wei­nen nahe. Herr Baf­fo schenk­te mir neu­es Le­ben! Er schloss mich in sei­ne Arme, küss­te mich zärt­lich und sag­te: »Du hast recht, mein Kind; die Son­ne be­wegt sich nicht, sei ge­trost! Brau­che im­mer dei­ne Ver­nunft und lass die Leu­te la­chen!«

Mei­ne Mut­ter frag­te ihn über­rascht, ob er toll wäre, dass er nur sol­che Ratschlä­ge gäbe; der Phi­lo­soph ant­wor­te­te ihr gar nicht, son­dern fuhr fort, mir in Um­ris­sen eine Er­klä­rung zu ge­ben, wie sie mei­ner ein­fa­chen und rei­nen Ver­nunft an­ge­mes­sen war. Es war das ers­te­mal in mei­nem Le­ben, dass ich eine wirk­li­che Freu­de kos­te­te! Wäre Herr Baf­fo nicht ge­we­sen, so hät­te die­ser Au­gen­blick ge­nügt, mei­ne Er­kennt­nis zu er­nied­ri­gen; denn die Feig­heit der Leicht­gläu­big­keit wür­de sich hin­ein­ge­schli­chen ha­ben. Ganz be­stimmt hät­te die Un­wis­sen­heit der bei­den an­de­ren die Schär­fe mei­ner Denk­fä­hig­keit ab­ge­stumpft. Ob ich es in die­ser Fä­hig­keit sehr weit ge­bracht habe, weiß ich nicht, das aber weiß ich, dass ich ihr al­lein al­les Glück ver­dan­ke, des­sen ich ge­nie­ße, wenn ich mich mit mir al­lein be­fin­de.

Wir ka­men bei gu­ter Zeit in Pa­dua an und gin­gen zu Ot­ta­via­ni, des­sen Frau mich mit Lieb­ko­sun­gen über­häuf­te. Ich sah in ih­rem Hau­se fünf oder sechs Kin­der, un­ter ih­nen ein acht­jäh­ri­ges Mäd­chen, na­mens Ma­ria, und ein an­de­res sie­ben­jäh­ri­ges, na­mens Rosa, hübsch wie ein En­gel. Zehn Jah­re spä­ter wur­de Ma­ria die Frau des Mak­lers Co­lon­da, und ei­ni­ge Jah­re dar­auf wur­de Rosa an den Pa­tri­zi­er Pie­tro Mar­cel­lo ver­hei­ra­tet, dem sie einen Sohn und zwei Töch­ter schenk­te; von die­sen wur­de die eine die Gat­tin des Herrn Pie­tro Mo­ce­ni­go; die an­de­re hei­ra­te­te einen No­bi­le aus der Fa­mi­lie Car­ra­ro; doch wur­de die­se Ehe spä­ter für nich­tig er­klärt. Ich wer­de von al­len die­sen Per­so­nen zu spre­chen ha­ben, dar­um er­wäh­ne ich sie hier.

Ot­ta­via­ni führ­te uns so­fort nach dem Hau­se, wo ich in Kost ge­ge­ben wer­den soll­te. Es lag nur fünf­zig Schritt von dem sei­ni­gen ent­fernt, in San­ta Ma­ria da Ban­zo, Ge­mein­de San Mi­che­le, und ge­hör­te ei­ner al­ten Sla­vo­nie­rin, die den ers­ten Stock an Si­gno­ra Mida, die Frau ei­nes sla­vo­ni­schen Obers­ten, ver­mie­tet hat­te. Man öff­ne­te vor ihr mein Köf­fer­chen und gab ihr ein Ver­zeich­nis des ge­sam­ten In­halts; hier­auf zähl­te man ihr sechs Ze­chi­nen auf, wo­mit Kost und Woh­nung für mich auf ein hal­b­es Jahr be­zahlt wa­ren. Für die­se ge­rin­ge Sum­me soll­te sie mich be­kö­s­ti­gen, mei­ne Wä­sche sau­ber hal­ten und mir Schul­un­ter­richt ge­ben las­sen. Man ließ sie re­den, es sei nicht ge­nug; man um­arm­te mich, be­fahl mir, im­mer ih­ren Be­feh­len recht ar­tig nach­zu­kom­men, und ließ mich in dem Hau­se. So ent­le­dig­te man sich mei­ner.

Zweites Kapitel

Meine Großmutter gibt mich dem Doktor Gozzi in Pension – Meine erste zärtliche Bekanntschaft.

So­bald ich mit der Sla­vo­nie­rin al­lein war, führ­te sie mich auf den Dach­bo­den, wo sie mir mein Bett zeig­te, das in ei­ner Rei­he mit vier an­de­ren stand; von die­sen wa­ren drei für drei Kna­ben mei­nes Al­ters be­stimmt, die in die­sem Au­gen­blick in der Schu­le wa­ren; das vier­te ge­hör­te der Magd, die den Auf­trag hat­te auf­zu­pas­sen, dass wir uns nicht den üb­li­chen klei­nen Schü­leraus­schwei­fun­gen hin­gä­ben. Nach die­sem Be­such gin­gen wir wie­der hin­un­ter, und sie führ­te mich in den Gar­ten; dort könn­te ich bis zum Mit­ta­ges­sen spa­zie­ren­ge­hen, sag­te sie.

Ich war we­der glück­lich noch un­glück­lich; ich sag­te kein Wort. Ich emp­fand gar nichts, we­der Furcht, noch Hoff­nung, noch Neu­gier; ich war we­der lus­tig noch trau­rig. An­stö­ßig war mir nur das Ge­sicht der Haus­her­rin; denn ob­wohl ich kei­nen Be­griff von Schön­heit oder Häss­lich­keit hat­te, so stieß mich doch al­les an ihr ab: ihr Ge­sicht, der Aus­druck ih­rer Mie­ne, ihr Ton und ihre Spra­che. Ihre männ­li­chen Ge­sichts­zü­ge brach­ten mich je­des Mal in Ver­wir­rung, so oft ich sie an­sah, um zu hö­ren, was sie mir sag­te. Sie war groß und breit wie ein Sol­dat; sie hat­te eine gel­be Haut­far­be, schwar­ze Haa­re, lan­ge dich­te Au­gen­brau­en und ihr Kinn war mit et­li­chen lan­gen Bart­haa­ren ge­schmückt. Um dies Bild­nis zu ver­voll­stän­di­gen, will ich noch er­wäh­nen, dass ein häss­li­cher, von Run­zeln durch­furch­ter, hal­b­ent­blö­ßter Bu­sen ihr bis zur Hälf­te ih­res lan­gen Ober­kör­pers her­ab­hing; sie moch­te etwa fünf­zig Jah­re alt sein. Die Magd war eine di­cke Bäue­rin, die für alle Ver­rich­tun­gen an­ge­nom­men war, und der so­ge­nann­te Gar­ten war ein Vier­eck von drei­ßig zu vier­zig Schritt, an dem nichts An­ge­neh­mes war au­ßer der grü­nen Far­be.

Ge­gen Mit­tag sah ich mei­ne drei Ka­me­ra­den an­kom­men, die mir, wie wenn wir alte Be­kann­te ge­we­sen wä­ren, sehr viel er­zähl­ten; sie setz­ten bei mir Vor­kennt­nis­se vor­aus, die ich nicht be­saß. Ich ant­wor­te­te ih­nen nicht, aber da­durch lie­ßen sie sich nicht aus der Fas­sung brin­gen; schließ­lich nö­tig­ten sie mich an ih­ren un­schul­di­gen Ver­gnü­gun­gen mich zu be­tei­li­gen. Es han­del­te sich um Wett­lau­fen, Hucke­pack­rei­ten, Ko­bolz­schie­ßen, und ich ließ mich in alle die­se Wun­der recht ger­ne ein­wei­hen, bis wir zum Es­sen ge­ru­fen wur­den. Ich setz­te mich zu Tisch; als ich aber einen Holz­löf­fel vor mir sah, stieß ich die­sen zu­rück und ver­lang­te mein sil­ber­nes Be­steck, das ich sehr lieb­te, weil es ein Ge­schenk mei­ner gu­ten Groß­mut­ter war. Die Magd ant­wor­te­te mir, die Haus­frau wol­le, dass wir alle gleich sei­en, und ich müs­se mich dem Brauch fü­gen; dies tat ich denn auch, ob­wohl es mir miss­fiel; ich be­gann wie die an­de­ren die Sup­pe aus der Schüs­sel zu löf­feln, ohne mich über die Schnel­lig­keit zu be­kla­gen, wo­mit mei­ne Ka­me­ra­den aßen, doch nicht ohne mich zu wun­dern, dass so et­was er­laubt sei.

Nach der sehr schlech­ten Sup­pe be­ka­men wir eine klei­ne Por­ti­on ge­dörr­ten Stock­fisch, hier­auf einen Ap­fel, und da­mit war das Mit­ta­ges­sen zu Ende; wir be­fan­den uns in der Fas­ten­zeit. Wir hat­ten kei­ne Glä­ser oder Be­cher, son­dern tran­ken alle aus dem­sel­ben ir­de­nen Krug ein elen­des Ge­tränk, das man Cra­spia nennt; es wird zu­be­rei­tet, in­dem man ent­kern­te Wein­bee­ren in Was­ser kocht. Die fol­gen­den Tage trank ich nur rei­nes Was­ser. Das Es­sen über­rasch­te mich, denn ich wuss­te nicht, ob es mir er­laubt wäre, es schlecht zu fin­den.

Nach Tisch führ­te mich die Magd in die Schu­le zu ei­nem jun­gen Pries­ter, na­mens Dok­tor Goz­zi; mit ihm hat­te die Sla­vo­nie­rin ver­ab­re­det, ihm mo­nat­lich vier­zig Sol­di zu be­zah­len, das ist der elf­te Teil ei­ner Ze­chi­ne.

Da ich erst schrei­ben ler­nen muss­te, wur­de ich zu den fünf- bis sechs­jäh­ri­gen Kin­dern ge­setzt, die sich so­fort über mich lus­tig mach­ten.

Wie­der ins Haus mei­ner Sla­vo­nie­rin zu­rück­ge­kehrt, er­hielt ich mein Abendes­sen, das na­tür­lich noch schlech­ter war als die Mit­tags­mahl­zeit. Ich war er­staunt, dass es mir nicht er­laubt war, mich dar­über zu be­kla­gen. Man leg­te mich in ein Bett, wo ich we­gen des Un­ge­zie­fers der ge­nug­sam be­kann­ten drei Ar­ten kein Auge zu­tun konn­te. Au­ßer­dem jag­ten die Rat­ten, die über­all her­um­lie­fen und auf mein Bett spran­gen, mir eine Angst ein, dass mir das Blut in den Adern er­starr­te. In die­ser Nacht emp­fand ich zum ers­ten Mal, was Un­glück ist, und lern­te es mit Ge­duld er­tra­gen.

Die In­sek­ten, die mich ver­zehr­ten, ver­min­der­ten die Angst, die ich vor den Rat­ten hat­te; und zum Aus­gleich mach­te mich die Angst we­ni­ger emp­find­lich ge­gen die Bis­se. Mei­ner See­le kam die­ser Wi­der­streit mei­ner Lei­den zu stat­ten. Die Magd war völ­lig taub ge­gen mein Ge­schrei.

So­bald der Tag zu grau­en be­gann, ver­ließ ich mein trau­ri­ges La­ger, und nach­dem ich mich bei dem Mäd­chen ein biss­chen über alle die aus­ge­stan­de­nen Lei­den be­klagt hat­te, ver­lang­te ich von ihr ein Hemd, denn das mei­ni­ge war ekel­haft an­zu­se­hen. Sie ant­wor­te­te mir aber, das Hemd wer­de nur Sonn­tags ge­wech­selt, und lach­te mich aus, als ich ihr droh­te, ich wür­de mich bei der Haus­frau be­kla­gen.

Zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben wein­te ich vor Kum­mer und Zorn, als ich mei­ne Ka­me­ra­den mich ver­spot­ten hör­te; die Un­glück­li­chen wa­ren in der­sel­ben Lage wie ich, aber sie wa­ren dar­an ge­wöhnt. Da­mit ist al­les ge­sagt.