Caught in a Storm of Passion - Alison Roberts - E-Book

Caught in a Storm of Passion E-Book

ALISON ROBERTS

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Beschreibung

"Ich will doch nur dich!" Dr. Rafael de Luca schaut Abbie in die Augen - aber seine Frau weicht dem Blick verlegen aus. Was ist in den drei Monaten passiert, in denen Abbie mit ihrer kleinen Tochter in Amerika war? Hat Rafael seine Liebste für immer verloren?

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IMPRESSUM

Ich will doch nur dich! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „200 Harley Street: The Proud Italian“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Special thanks and acknowledgement are given to Alison Roberts for her contribution to the 200 Harley Street series.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MEDICAL ROMANCEBand 76 - 2015 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: WhataWin/wacomka/GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751506052

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Eigentlich sollte es doch nur ums Gewinnen gehen.

Oder? Der Zweck heiligt die Mittel, stimmte das etwa nicht?

Natürlich tat er das. Daran konnte in diesem Fall kein Zweifel bestehen. Das kleine, in eine Decke gehüllte Bündel in den Armen von Abbie de Luca war der lebende Beweis dafür. Die Schlacht, die sie hatte schlagen müssen, war schwer genug gewesen und hätte sie um ein Haar vernichtet. Aber sie hatte gewonnen.

Nein, Ella hatte gewonnen. Ihr kostbares Baby, das noch nicht einmal ein Jahr alt war, hatte gegen die mörderische Krankheit akuter lymboblastischer Leukämie in einem Alter gekämpft, in dem ihre größte Herausforderung eigentlich darin bestanden hätte, die ersten Schritte zu machen. Die Tatsache, dass man sie vom einzigen Ort auf der ganzen Welt, wo es die neue, radikale Behandlungsform gab, wieder weggeschickt hatte, damit Ella sich im Lighthouse Children’s Hospital in London erholen konnte, bewies, dass sie die Schlacht gewonnen hatten. Von hier aus war es nicht mehr weit nach Hause.

Aber gab es dieses „Zuhause“ überhaupt noch?

Für Abbie oder ihre Tochter?

Nachdem das Flugzeug aus New York in Heathrow gelandet war, hatten sie vor allen anderen Passagieren als Erste durch den Zoll gehen dürfen – fast, als wären sie Mitglieder der königlichen Familie. Das hätte Abbies Triumph darüber, den Kampf gewonnen zu haben, eigentlich noch verstärken müssen.

Warum hatte sie dann das Gefühl, ein neues Schlachtfeld zu betreten? Eines, das kaum weniger grausam war als der Überlebenskampf der letzten drei Monate, in denen sie mit ihrer kleinen Tochter außer Landes gewesen war?

„Draußen wartet ein Krankenwagen auf Sie, Mrs De Luca.“ Der Zollbeamte warf einen Blick auf den Rollstuhl neben ihr. „Gehört der zu Ihnen?“

„Nein, der geht mit dem nächsten Flieger wieder zurück.“ Abbie wickelte Ella aus der Decke und machte die Elektroden von der Überwachungsausrüstung los. „Das war nur eine Vorsichtsmaßnahme. Wir haben nicht einmal die Sauerstoffflaschen gebraucht.“ Sie hatten auch keinen medizinischen Begleitschutz benötigt. Das war eine der wenigen Vorteile, die ein Kind hatte, dessen Mutter pädiatrische Chirurgin war. Der gravierende Nachteil war jedoch, dass sie deshalb auch mehr über die Krankheit wusste.

Ella rührte sich in ihren Armen, wachte aber nicht auf. Abbie nahm sich einen Moment lang Zeit, um den Verbindungsschlauch des Zentralvenenkatheters am Schlüsselbein des Babys zu überprüfen, und vergewisserte sich, dass die Medikamente weiterhin ungehindert durch die Spritzenpumpe fließen konnten. Dann wickelte sie Ella wieder fürsorglich in die Decke ein und gab ihr einen Kuss auf den Kopf mit den wenigen Haaren, die ihr nach der Chemotherapie noch geblieben waren.

Bevor die Kleine wieder einschlief, strich sie mit ihrer kleinen Hand leicht über die Wange ihrer Mutter – als wollte sie sich vergewissern, dass sie in Sicherheit war. Vielleicht lächelt sie ja, dachte Abbie. Leider war das nicht zu sehen, weil Ella noch die Maske trug, die sie während des Flugs vor Infektionen hatte schützen sollen.

Die Geste verfehlte ihre Wirkung auf die Umstehenden nicht.

„Oh …“ Der stämmige Zollbeamte lächelte. „Was für ein süßes kleines Ding!“

„Hinreißend“, sagte der Flugbegleiter, der den Rollstuhl geschoben hatte. „Ich freue mich so sehr für Sie, dass sie wieder gesund werden wird.“

„Danke, Damien.“ Abbie hatte einen dicken Kloß im Hals. Sie war mehr als glücklich über die günstige Prognose, die die Ärzte ihrer Tochter gestellt hatten. „Und danke noch mal, dass Sie sich während des Flugs so gut um uns gekümmert haben.“

„Es war ein Privileg für mich. Holt Sie jemand ab?“

Sie nickte. „Ja, auf uns wartet ein Krankenwagen. Er wird uns zum Lighthouse Children’s Hospital bringen, wo ich arbeite.“

Aber der Flugbegleiter schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. „Nein … ich meinte … Sie wissen schon …“

Abbie wusste nur zu gut, was er meinte. Nämlich einen Freund oder nahen Verwandten. Wie zum Beispiel Ellas Vater?

„Vielleicht. Wir haben den Flug erst in allerletzter Minute bekommen. Das Team aus New York hat den Transport organisiert, aber ich habe keine Ahnung, wer sonst noch darüber informiert ist.“

Sie hatte versucht, Rafael anzurufen, jedoch nur den Telefonservice erreicht. Offensichtlich war Mr De Luca den ganzen Tag im OP. Konnten sie ihm etwas ausrichten? Nein, hatte Abbie erwidert. Sie würde ihn noch früh genug sehen.

Würde es zu früh sein? Um diese Schlacht schlagen zu können, hatte sie ihre Ehe aufs Spiel gesetzt. Vielleicht konnte sie den Erfolg ja deshalb auch nicht richtig genießen.

Möglicherweise war der Preis zu hoch gewesen.

„Abbie …“ Der Mann, der gerade auf sie zukam und der Zugang zum Zollbereich hatte, war kein Flughafenangestellter.

„Hallo!“ Damien war sichtlich beeindruckt von dem hochgewachsenen, attraktiven Neuankömmling. „Ist das Ellas Daddy?“

„Nein.“ Abbie schüttelte verwundert den Kopf. „Das ist eher mein Boss.“ Und eine sehr stattliche Erscheinung, auch außerhalb einer medizinischen Umgebung.

„Ethan“, sagte sie erstaunt, „was machst du denn hier?“

„Oh, ich habe zufällig gehört, wann ihr ankommen solltet. Der Anruf war eigentlich für Rafael bestimmt, aber er muss den ganzen Tag operieren. Daher dachte ich, ich hole euch persönlich ab. Als Empfangskomitee, sozusagen.“

Wer hätte für diese Aufgabe besser geeignet sein können als einer der beiden Hunter-Brüder, denen die renommierte Londoner Klinik für plastische Chirurgie gehörte, bei der Ellas Eltern als pädiatrische Chirurgen im Bereich Kinderheilkunde angestellt waren? Die Klinik, die es Ella ermöglicht hatte, in Begleitung ihrer Mutter nach Amerika zu fliegen, um sich dort der experimentellen, riskanten Operation zu unterziehen, die ihre einzige Heilungschance gewesen war.

„Weiß … weiß Rafael, dass wir wieder zurück sind?“

„Nein, noch nicht.“ Ethans Blick war unergründlich. „Er muss heute einen ziemlich schweren Fall operieren und steht sehr unter Stress. Ich … ich wollte ihn nicht ablenken. Aber ich sage ihm Bescheid, sobald er aus dem OP kommt, das verspreche ich dir.“

Abbie nickte. Sie spürte genau, dass es noch um etwas anderes ging. Warum sollte Ethan Rafael vorwarnen, bevor es zu einem Wiedersehen kam? In letzter Zeit hatten sie nur noch über SMS und E-Mails miteinander kommuniziert. Standen die Dinge schon so schlecht zwischen ihnen? Brauchten sie vielleicht einen Mediator, um die Sorgerechtsfragen für ihr gemeinsames Kind zu klären? Das wäre ja wirklich traurig!

„So, Sie können jetzt gehen.“ Der Zollbeamte stempelte ihre Pässe ab. „Draußen wartet der Krankenwagen auf Sie. Wir schicken Ihr Gepäck mit dem Taxi nach, sobald es ausgeladen wurde.“

Ethan griff nach Abbies Reisetasche und betrachtete besorgt das kleine Bündel in ihren Armen. „Geht das für dich? Oder soll ich Ella lieber tragen?“

Abbie schüttelte fest den Kopf. „Nein, kein Problem.“

Sie dachte nicht daran, ihr Baby einem anderen zu überlassen, auch wenn es von Minute zu Minute schwerer zu werden schien. Kein Wunder, denn sie war schließlich total erschöpft. Die letzten Monate forderten ihren Tribut, körperlich wie seelisch, aber sie konnte sich jetzt keine Schwäche leisten.

Schließlich stand sie kurz vor einer neuen Schlacht.

Doch wenigstens hatte sie einen Verbündeten. Ethan war ein Kriegsheld, er hatte sich in Afghanistan durch seinen heroischen Einsatz ausgezeichnet. Das erklärte auch sein leichtes Humpeln, mit dem er sie zum Krankenwagen begleitete. Ihr kleiner Zug erregte einiges Aufsehen, aber Ethan schenkte den neugierigen Blicken der Umstehenden keine Beachtung.

Als sie dann auf dem Weg in die Innenstadt hinten im Krankenwagen saßen, erwähnte er Abbie gegenüber nichts von irgendwelchen Schwierigkeiten, auf die sie sich einstellen musste.

Rafael und er waren zwar befreundet, aber sie waren auch Männer. Ob sie sich in ihrer Abwesenheit nähergekommen waren? Vielleicht hatten sie hin und wieder Karten gespielt und ein oder zwei Gläser Whisky getrunken. Ob es dabei zum Austausch von Vertraulichkeiten gekommen war? Möglicherweise hatte Ethan Rafael ja daran erinnert, dass seine Chancen auf eine glückliche Ehe von Anfang an nicht besonders gut gewesen waren. Zwar hatten Abbie und er sich Hals über Kopf ineinander verliebt, sich aber eigentlich nicht besonders gut gekannt, als sie beschlossen hatten zu heiraten. Der Auslöser dafür war natürlich ihre Schwangerschaft gewesen.

Dieses Baby, das dann zur Welt gekommen war, schlief glücklicherweise in diesem Moment immer noch tief und fest. Ethan saß Abbie gegenüber. Die Crew des Krankenwagens saß vorn, sie unterhielten sich angeregt miteinander.

Der Verkehr beruhigte sich langsam, als sie in die Great Western Road einbogen. Eine perfekte Gelegenheit, um ein paar Informationen aus Ethan herauszuholen, dachte Abbie. Doch sie merkte, wie nervös sie war. Ihr war klar, dass sie nicht einfach aussprechen konnte, was ihr auf dem Herzen lag. Dennoch musste sie einen Vorstoß wagen.

Ihre Stimme zitterte verräterisch, als sie fragte: „Wie sieht’s denn in der Klinik aus?“

„Prima. Wir haben alle Hände voll zu tun. Hast du in der Presse nichts über unseren letzten Fall gelesen?“

„Nein, ich … äh, ich fürchte, ich habe nichts davon mitbekommen. Ist das ein pädiatrischer Fall?“

„Ja. Es geht um Anoosheh, ein zehnjähriges afghanisches Mädchen. Sie kam zu uns, nachdem ihr Waisenhaus evakuiert wurde. Wegen ihrer Krankheit hatte ihre Familie sie schon als Säugling verstoßen. Im Waisenhaus wurde sie als Küchenmädchen ausgenutzt, und man hat sie von allen Besuchern ferngehalten, die Kinder adoptieren wollten. Jetzt hat sie eine Neurofibromatose in der Größe einer Melone, von der die eine Gesichtshälfte befallen ist. Außerdem ist sie auf einem Auge blind, und ihre Atemwege sind beschädigt.“

„Oh, die arme Kleine!“

„Die heutige OP wird nicht die letzte sein, aber wir hoffen, das Ergebnis ist gut genug, um den Leuten zu beweisen, dass sie ein liebenswertes Mädchen ist. Die Presse ist sofort auf den Fall angesprungen, es gab bereits einige Angebote zur Adoption. Wahrscheinlich wartet ein ganzer Haufen Reporter auf Rafael, sobald er aus dem OP kommt. Glücklicherweise hat er ein Händchen für die Medien.“

„Stimmt, darin ist er wirklich gut.“

Hing das damit zusammen, dass er Abstand von seinen Gefühlen hatte und stets in der Lage war, das gesamte Bild zu sehen?

So wie bei der traumatischen Prognose seiner eigenen Tochter?

Abbies Herz pochte dumpf in ihrer Brust. Sie holte tief Atem. „Das heißt, er … geht es ihm gut?“

„Scheint so.“ Erneut gab es eine kleine Pause. Ethan rang offensichtlich damit, ob er noch mehr sagen sollte. Dann warf er Abbie einen kurzen Seitenblick zu. „Ich glaube, ich habe noch nie gesehen, dass jemand sich so komplett in die Arbeit stürzt. Er hat jeden Fall angenommen, den er noch irgendwie in seinen Terminplan hineinquetschen konnte. Daher habe ich ihn auch kaum zu Gesicht bekommen.“

Aha. Wenn er so reagiert hatte, war es unwahrscheinlich, dass Rafael seinen Irrtum zugeben und eingestehen würde, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Er hatte Abbie nämlich vor das Ultimatum gestellt, dass es mit ihrer Ehe aus sein würde, wenn sie Ella mit nach Amerika nahm.

Er hatte den Standpunkt vertreten, dass das Risiko zu groß war. Sie hatten nicht das Recht, ihrer kleinen Tochter so viel Leid zuzumuten, wenn die Erfolgschancen so gering waren.

Doch hatte Abbie am Ende nicht recht behalten? Hatte die Tatsache, dass die Behandlung angeschlagen hatte, ihre Entscheidung nicht gerechtfertigt? Und würde Rafael nicht glücklich über die Aussicht sein, dass Ellas Überleben gesichert war?

Vielleicht. Doch es ging noch um mehr. Er war Abbies Ehemann, und er hatte seinen Stolz. Wie viel Schaden hatte sie ihrer Beziehung dadurch zugefügt, dass sie sich gegen ihn gestellt hatte?

Und, was noch viel schlimmer war – sie hatte ihm sein Baby weggenommen. Das Baby, das er vergötterte. Sie hatte den Schmerz in seinem Blick gesehen, als sie ihn mit ihrer Tochter auf dem Arm verlassen hatte. Er war nicht davon ausgegangen, dass er Ella lebend wiedersehen würde. Wie furchtbar wäre es gewesen, wenn er am Ende recht behalten hätte? Nein, Abbie konnte seinen Hass auf sie durchaus verstehen.

Sie hatte Ella in den Armen gehalten und auf der ganzen Fahrt nach New York nur geweint.

Und Rafael hatte sich anscheinend in die Arbeit gestürzt. Das hatte sie schon geahnt, denn er hatte immer äußerst distanziert geklungen, als sie miteinander am Telefon gesprochen hatten. Auch seine E-Mails waren sehr unpersönlich gewesen. Er hatte sich in seiner Arbeit vergraben und ihr die kalte Schulter gezeigt, obwohl sie seine Unterstützung in den schweren Tagen bitter nötig gehabt hätte. Abbie war einsam und verzweifelt gewesen. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass Rafael sich von ihr und Ella abgewandt hatte.

War es mit ihrer Ehe vorbei?

Es wäre nicht fair von ihr, wenn sie Ethan jetzt noch mehr ausquetschte.

Sie musste mit Rafael direkt sprechen.

Nein, sie musste ihn sehen. Ihre Sehnsucht nach ihm wurde von Minute zu Minute stärker, als ob ihr Körper sich an ihn erinnern würde, je näher sie ihm kam. Sie liebte ihren Mann noch immer. Ja, sie hatten sich voneinander abgewendet, und sie hatten einander viel zu verzeihen. Aber die Liebe war noch immer da, und sie würde auch immer da sein.

Rafael würde Ella in seinem Leben willkommen heißen, daran hegte sie keinen Zweifel. Aber würde er auch sie willkommen heißen?

Die Vorstellung, dass der Riss zwischen ihnen nie heilen würde, war schrecklich.

Abbie riss sich zusammen und lächelte Ethan bemüht an. „Was ist sonst noch passiert? Haben Leo und Lizzie sich schon auf einen Termin für die Hochzeit geeinigt?“

„Ja, sie wird am letzten Samstag im April stattfinden.“

„Wirklich? Großer Gott … das ist ja schon in ein paar Wochen!“

„Das musst du mir nicht sagen. Eine kleine Feier wäre leicht zu organisieren gewesen, aber natürlich musste es eine Prunkhochzeit im Claridge’s sein. Ich gebe mir Mühe, mich aus dem Ganzen so gut wie möglich herauszuhalten.“

Abbie lächelte. „Viel Glück!“

Ethan schnaubte. „Naja … bis jetzt hatte ich damit nicht viel Erfolg. Lizzie hat mich überredet, ihr Trauzeuge zu sein. Das bedeutet, ich werde eine Rede halten müssen.“

„Ach, das kriegst du schon hin, auch wenn du bis dahin nicht viel Zeit hast. Aber warum eilt es ihnen denn damit so?“

Er zuckte die Schultern. „Ich glaube, sie wollen einfach nicht länger warten. Sie sind sehr verliebt.“

Etwas in seinem Ton bewirkte, dass das Gespräch an diesem Punkt abbrach. Abbie wusste nicht genau, was die Entfremdung zwischen den beiden Hunter-Brüdern ausgelöst hatte. Aber wie jeder andere, der in der Klinik arbeitete, war ihr die Spannung bewusst, die zwischen ihnen herrschte. Die Tatsache, dass Lizzie Ethan dazu überreden musste, ihr Trauzeuge zu sein, war Beweis genug dafür, dass die Dinge zwischen ihnen immer noch nicht zum Besten standen.

Aber worum mochte es noch gehen? Was hielt Ethan vor ihr zurück? Freute er sich für Leo, oder hatte er Zweifel, dass die Ehe glücklich sein würde? Vielleicht galten Rafael und sie ja als schlechtes Beispiel für eine viel zu übereilte Hochzeit.

Abbie spürte plötzlich den Kloß in der Kehle und versuchte, tief durchzuatmen. Um sich abzulenken, beugte sie sich über Ella und strich ihr sanft über die Wange.

Doch es gelang ihr nicht, das Thema zu verdrängen. Auch Rafael und sie waren einmal so verliebt gewesen. Das war noch gar nicht so lange her. Eigentlich sollten sie noch in den Flitterwochen sein, aber davon war keine Rede mehr.

Ihre perfekte Verbindung, die zudem noch so schnell mit einem Kind gesegnet war, war durch einen grausamen Streich des Schicksals zerstört worden.

Und jetzt kehrte Abbie an den Ort zurück, an dem das alles angefangen hatte.

Jetzt würde sich zeigen, ob es möglich war, die Scherben des Puzzles wieder zusammenzufügen.

Ein Blick durch die getönten Scheiben des Krankenwagens zeigte ihr, dass sie gerade am Regent’s Park vorbeifuhren. Die Doppeldeckerbusse und die schwarzen Taxen waren ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie wieder in London waren. Es tat so gut, wieder zu Hause zu sein. Jetzt kam das große Backsteingebäude an der Ecke der Harley Street in Sicht – direkt daneben lag die Hunter Clinic.

Ethan folgte ihrem Blick. „Hast du es vermisst?“

„Oh ja, sehr.“ Trotzdem spürte Abbie eine gewisse Distanz. Als würde es sich um ein früheres Leben handeln. Wie schwer würde es sein, den Weg zurückzufinden?“

„Glaubst du, du kannst schon wieder arbeiten? Wir brauchen dich so schnell wie möglich. Ich weiß, dass alle es kaum erwarten können, dich wieder an Bord zu sehen.“

„Ich könnte morgen anfangen.“

„Wirklich? Das wäre großartig. Aber wirst du dich nicht zuerst um Ella kümmern müssen?“

Abbie lächelte bitter. „Die Krebsstation im Lighthouse Hospital ist das einzige Zuhause, das Ella wirklich gut kennt. Schließlich hat sie die meiste Zeit ihres Lebens dort verbracht. Und das Personal dort ist für sie wie eine Familie. Je eher wir wieder in das normale Leben zurückfinden, desto besser ist es für uns beide.“

Für uns alle, fügte sie im Stillen noch hinzu.

Rafael de Luca streifte sich die blutigen Gummihandschuhe ab und warf sie in den Mülleimer. Dann zog er an seinem Mundschutz, knüpfte die Bänder auf und entsorgte ihn ebenfalls.

Endlich konnte er wieder frei atmen. Nicht nur wegen der fehlenden Maske, sondern weil die Operation, die ihn heute viele Stunden lang auf den Beinen gehalten hatte, besonders zermürbend gewesen war.

Aber sie hatten einen guten Job gemacht. Jeder Einzelne seines Teams hatte seine Aufgabe zu Rafaels voller Zufriedenheit erfüllt. Das war eine große Leistung, denn es handelte sich nicht unbedingt um Mitarbeiter, die er freiwillig ausgewählt hätte. Aber schließlich hatte er sich nach Abbies Verschwinden mit dem begnügen müssen, was da war.

Sie waren als das „Dream Team“ in der Klinik bekannt. Noch nie zuvor hatte es bessere Partner in einem Operationssaal gegeben. Daher hatte es niemanden überrascht, dass sie sich auch privat gefunden hatten.

Ha …

Das Ganze konnte man nur eine Ironie des Schicksals nennen. Normalerweise verbot Rafael sich, darüber nachzudenken, welchen Verlust er durch Abbies Verschwinden erlitten hatte. Heute war ihm dieser Vergleich nur gekommen, weil er so unglaublich erschöpft war. Sein Rücken schmerzte höllisch, und seine Augen tränten, weil er die ganze Zeit für die Feinarbeit durch mikroskopisch kleine Linsen hatte sehen müssen, und außerdem plagten ihn starke Kopfschmerzen.

Nachdem er den Kittel abgelegt und ebenfalls in den Mülleimer gestopft hatte, stieß Rafael die Türen auf und verließ den OP. Er hatte noch ein bisschen Zeit, bevor er nach der kleinen Anoosheh sehen würde, und im Moment schien es auch keine besorgten Familien zu geben, mit denen er sprechen musste. Daher würde er sich jetzt erst einmal eine heiße Dusche gönnen, und rasieren musste er sich auch noch.

Bestimmt warteten draußen schon die Reporter auf ihn, die wissen wollten, wie die Operation verlaufen war. Aber man konnte es ihm nicht übelnehmen, dass er sich erst einmal frisch machen wollte, bevor er vor die Presse trat. Vielleicht war das ja auch gar nicht nötig. Denn draußen wartete Ethan Hunter auf ihn. Das war der perfekte Gesprächspartner für die Medien. Nicht nur gehörte ihm die Klinik zur Hälfte – er war es auch, der Anoosheh für die Operation nach London geholt hatte, die ihr Leben retten sollte.

„Rafael … wie ist es gelaufen?“

„Gut.“ Er nickte Ethan zu. „So gut, wie wir gehofft haben. Der Tumor konnte entfernt werden. Jetzt hat sie eine Titanplatte im Kiefer, und wir haben ihre nasalen Durchgänge rekonstruiert. Darüber hinaus gibt es noch einiges zu tun, aber dazu muss sie sich erst einmal von der Operation erholen.“ Das betraf vor allem die Feinarbeit wie das Entfernen überflüssigen Narbengewebes und die Neupositionierung der Gesichtszüge. Also genau die Arbeit, in der Abbie Meisterin war.

Rafael seufzte erschöpft und rieb sich die Stirn. Verdammt, wie müde er war!

„Und das Auge?“

„Es sieht so aus, als könnte es gerettet haben. Das werden wir wissen, sobald die Narben geheilt sind.“

„Prima. Das kann ich ja schon einmal der Presse mitteilen.“

„Grazie.“ Rafael lächelte mühsam. „Dafür bin ich dir sehr dankbar. Dann kann ich jetzt schnell duschen und danach nach Hause fahren.“ Plötzlich fiel ihm Ethans eigenartiger Gesichtsausdruck auf. „Was ist? Soll ich mich doch den Kameras stellen?“

„Nein, darum geht es nicht. Es geht um …“

„Was denn?“

„Abbie“, erwiderte Ethan ruhig.

Rafaels Herz machte einen Satz und fing dann heftig zu klopfen an. Es war etwas passiert. Mit Ella? Oh nein … bitte nicht! Bitte nicht das …

„Sie ist hier, Rafael“, verkündete Ethan. „Sie sind beide hier. Ella wurde auf die Kinderkrebsstation verlegt, um sich hier zu erholen.“

Rafael starrte ihn nur an. Warum wusste er nichts darüber? Warum hatte Abbie ihn nicht kontaktiert? Weil sie nicht einmal mehr mit ihm reden wollte? Stand es inzwischen so schlecht um sie?

„Es war offensichtlich eine Entscheidung in letzter Minute“, fuhr Ethan fort. „Der Anruf kam, als du mit der Operation schon begonnen hattest. Ich dachte, es wäre besser, wenn du nichts davon erfährst, damit du nicht abgelenkt wirst. Daher bin ich selbst zum Flughafen gefahren, um sie abzuholen.“

Rafael blieb stumm. Das Ganze war nicht Ethans Schuld. Aber bestimmt war die Entscheidung, Ella nach London zu überweisen, schon vor Tagen gefallen. Abbie hätte ihn darüber informieren müssen. Doch vielleicht hatte sie es ja versucht. Er war so mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen, dass er zwei Tage lang nicht dazu gekommen war, seine Mails zu checken. Dasselbe galt für den Telefonservice.

Aber das war jetzt ja auch völlig egal.

Sie waren hier.

Die beiden Menschen, die ihm im Leben am allerwichtigsten waren, waren hier im Gebäude. Was stand er also noch hier herum?

„Ich muss zu ihnen“, sagte er bestimmt. „Ich muss sie sehen.“

Die Dusche war vergessen. Voll neuer Energie lief Rafael die Treppen hoch und eilte im Sturmschritt durch die Gänge. Bestimmt dachten alle, die ihn sahen, es würde sich um einen Notfall handeln.

Erst kurz vor der Tür zur Kinderkrebsstation bremste er ab. Er hatte Abbie erblickt, die im Flur stand. Plötzlich hatte er das Gefühl, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gerannt.

Es war zwölf Wochen her, dass er sie zuletzt gesehen hatte.

Die Frau, die er geheiratet hatte. Die Liebe seines Lebens. Die Mutter seines Kindes.

Aber beim letzten Mal hatte sie ihm dieses Kind weggenommen. Sie hatte sich gegen seinen Wunsch gesperrt und damit das Ende ihrer Ehe riskiert.

Inzwischen wusste er, dass es ein Fehler gewesen war, ihr dieses Ultimatum zu stellen. Es war falsch von ihm gewesen, Ella diese Behandlung zu versagen. Dieses Wissen war wie ein Messer, das sich in seine Eingeweide gebohrt hatte. Und als sich herausstellte, dass die Behandlung erfolgversprechend war, hatte es sich noch tiefer hineingebohrt.

Außerdem war ihm klar, dass Abbie ebenfalls durch die Hölle gegangen war und dass er nicht da gewesen war, um sie zu beschützen. Er hatte sie im Stich gelassen, weil sein Stolz ihm nicht gestattet hatte, sich bei ihr zu entschuldigen.

Bestimmt hasste sie ihn jetzt dafür.

Bis jetzt hatte sie ihn noch nicht gesehen. Sie blickte durch eine Glasscheibe in das Zimmer vor ihr. Wahrscheinlich sah sie Ella beim Schlafen zu.

Rafael fiel auf, dass sie abgenommen hatte.

Die weiblichen Kurven, die ihm als Erstes aufgefallen waren, als sie begonnen hatten, im Lighthouse Hospital miteinander zu arbeiten, waren fast verschwunden. Ihre Jeans schienen viel zu groß, und selbst ihr goldblondes Haar, das jetzt zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden war, hatte an Volumen verloren.