Charley Moon - Reginald Arkell - E-Book

Charley Moon E-Book

Reginald Arkell

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Beschreibung

An einer abgelegenen Biegung der Themse, dort, wo selbst das kleinste Ruderboot nicht weiterkommt, liegt Little Summerford, ein winziges, verschlafenes, aber paradiesisches Nest mit üppigen Blumenwiesen und prallvollen Fischteichen. Hier wohnt in einer alten Mühle Charley Moon, ein treuherziger Querkopf, der mit seinen Späßen das ganze Dorf unterhält. Bis eines Tages auf einer Amateurbühne sein Talent entdeckt wird und er eintaucht in die glamouröse Welt der großen Bühnen. Von den Zuschauern gefeiert und von den Frauen geliebt, lebt Charley Moon einen Traum – doch London ist nicht Little Summerford, und so ganz kann sein Herz Rose, die Jugendliebe aus dem Dorfladen, und das kleine Dorf zwischen den Hügeln nicht vergessen.

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Seitenzahl: 322

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Über dieses Buch

Im verschlafenen Little Summerford unterhält Charley Moon, ein treuherziger Querkopf, mit seinen Späßen das ganze Dorf. Bis ihn eines Tages ein durchreisender Agent entdeckt und ihn mitnimmt in die Welt der großen Bühnen. Von den Zuschauern gefeiert und geliebt, lebt Charley Moon einen Traum – doch so ganz kann er das kleine Dorf nicht vergessen.

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Reginald Arkell (1882–1959) veröffentlichte neben Pinnegars Garten Romane und Gartenlyrik. Bekannt wurde er auch als Autor erfolgreicher Musicals und Theaterstücke.

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Brigitte Heinrich (*1957) lebt nach Verlagstätigkeit in etlichen Städten und Häusern als Übersetzerin, Herausgeberin und Lektorin in Frankfurt am Main.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Reginald Arkell

Charley Moon

Roman

Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1953 im Verlag Michael Joseph Ltd., London.

Originaltitel: Charley Moon

© by Reginald Arkell, 1953

© by Unionsverlag, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sven Schrape

ISBN 978-3-293-31008-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 26.01.2023, 15:44h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

CHARLEY MOON

PrologTeil Eins1 – Die Mühle in Little Summerford zerfiel zusehends …2 – Es war einmal ein Ritter in schimmernder Rüstung …3 – Charley Moon verließ die Schule, zog lange Hosen …4 – Man schreibt das Jahr 1916, und Charley Moon …5 – An diesem Abend geriet einiges in Bewegung auf …6 – Zu Beginn des Frühjahrs kam ein Brief von …7 – Der Tag des Waffenstillstands brachte mächtig Unruhe mit …8 – Let us take the road«, sangen Captain Macheath …9 – Die beiden Gepäckträger waren nicht sofort der Riesenerfolg …10 – Nachdem sie The Midnight Express beinahe ruiniert hätten …Teil Zwei11 – An einem Winterabend in den 1920er-Jahren erreichte ein …12 – Das Stück Cinderella, in einer dritten Stadt im …13 – Der Bühneneingang des Delphic Theatre liegt diskret in …14 – Hätte Charley Moon fünf Minuten vor Öffnen des …15 – Der zweite Abend einer Theateraufführung bedeutete eine Nervenprobe …16 – Es dauerte eine Weile, bis die Neuigkeit …17 – Der Urlaub im Süden wurde zu einem unvergesslichen …18 – Das neue Stück im Delphic war eine exakte …Teil Drei19 – Sollten Sie an einem bestimmten Juni-Sonntag auf der …20 – Oben in der Mühle, Charleys früherem Zuhause …21 – Drei Jahre später behaupteten die Leute im Dorf …

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Prolog

In einem Theaterclub im Londoner West End saßen vier Männer beieinander. Sie hatten gerade zu Abend gegessen, waren aber sitzen geblieben und unterhielten sich über dies und das, wie Männer das zu tun pflegen, wenn sie in Erinnerungen schwelgen.

Da sie alle ein gewisses Alter hatten, reichten ihre Erinnerungen weit zurück. Einer behauptete, Irving in seiner großen Zeit im Lyceum gesehen zu haben, ein anderer erinnerte sich an die Londoner Inszenierung von The Belle of New York, ein Dritter war sogar mit Harry Ainley als Statist in Paolo and Francesca auf der Bühne gestanden.

Diese Art von Geplauder entwickelte sich immer zu einem freundschaftlichen Erinnerungswettbewerb. Nachdem sie ausführlich die großen Namen der dramatischen Bühne erörtert hatten, gedachten sie der einstigen Stars der Music Halls: Eugene Stratton, Dan Leno, R. G. Knowles, Albert Chevalier und andere.

Da warf plötzlich jemand Sand ins Getriebe. »Was ist eigentlich aus diesem kleinen Komiker geworden, diesem Charley Moon?«, wollte er wissen.

Charley Moon! Sie alle erinnerten sich an Charley Moon! Natürlich. Genau wie an Teddy Payne im Gaiety und Dan Leno im Drury Lane. War gleich nach dem Ersten Weltkrieg im West End groß rausgekommen … Mit diesem berühmten Song in dem Musical im alten Delphic Theatre … Wie lautete noch mal der Titel? »Demnächst werde ich noch meinen eigenen Namen vergessen«, sagte einer.

»Ich sehe ihn so deutlich dort stehen, als wäre es erst gestern gewesen«, meinte ein anderer …

»Aber was ist aus ihm geworden?«, beharrte der Fragesteller. »Ist er nach Amerika gegangen? Er kann nicht tot sein; sonst hätte ich seinen Nachruf in der Zeitung gelesen. Ein solcher Mann verschwindet nicht einfach sang- und klanglos.«

»Gab es da nicht irgendwelchen Ärger?«, meinte ein älterer Kritiker. »Mir scheint … Ich war doch bei dieser Premiere, und … Nein! Es hilft alles nichts. Ich komme nicht darauf … Wahrscheinlich bring ich das durcheinander … Das ist so lange her …«

Ratlos wandten sie sich weniger schwierigen Fragen zu, als ein bekannter Autor von Musikkomödien, der schon seit dreißig Jahren im Geschäft war, zu der Gruppe stieß. »Hier ist der Mann, der uns vielleicht helfen kann«, sagte der Kritiker.

»Was wollen Sie denn wissen?«, fragte der Neuankömmling.

»Was ist aus Charley Moon geworden?«

»Charley Moon? Keine Ahnung. Warum fragen Sie mich? Wer war das? Ein Jockey?«

»Charley Moon«, sagte der Kritiker, »war ein Komiker. Er kam zu Beginn der Zwanzigerjahre nach London und hatte fantastischen Erfolg mit einer Musikkomödie – und wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie für ihn geschrieben …«

»Tatsächlich?«, meinte der Autor. »Ich vergesse so was. Man schreibt für so viele – und für mich sind sie alle gleich. Und überhaupt, ein Komiker mehr oder weniger, wen interessiert das schon? Wahrscheinlich hat er sich zu Tode getrunken oder hat sich einen Pub gekauft. Wo überwintern Komiker eigentlich? Mich dürfen Sie nicht fragen. Gute Nacht!«

»Ziemlich zugeknöpft, oder nicht?«, meinte der Mann, der die Diskussion angestoßen hatte. »Er weiß etwas, wollte aber nicht recht mit der Sprache herausrücken.«

»Ich meine, mich zu entsinnen …«, sagte der Kritiker nachdenklich. »Am Premierenabend im Theater … Nein, es hat keinen Zweck … Ich komme nicht darauf, was es war … Es ist alles so lange her …«

Teil Eins

1

Die Mühle in Little Summerford zerfiel zusehends, und wenn oben auf dem Dachboden der Müllerssohn Räder schlug, um sich warm zu halten, staunte man, dass das Ganze überhaupt noch zusammenhielt.

Dorfjungen schlagen gewöhnlich kein Rad, doch Charley Moon, der einmal einen Clown auf Händen und Füßen hatte herumwirbeln sehen, war entschlossen, dieses Kunststück zu meistern.

Charley war so. Stellte man ihm eine gewöhnliche Aufgabe, schlich er sich davon, sobald man ihm den Rücken kehrte. Sollte er einen Weg jäten oder Säcke schleppen, machte er sich schleunigst aus dem Staub. Wenn er sich aber eine seiner läppischen Ideen in den Kopf gesetzt hatte, ließ er nicht locker und arbeitete so hart daran, dass alle staunten.

Wenn es regnete und zu nass war, um draußen auf den Wiesen herumzustreunen, kletterte er auf den Dachboden der alten Mühle. Den erreichte man über eine Trittleiter in der hinteren Küche und eine Deckenluke. Er erstreckte sich von einem Ende des großen, verwinkelten Gebäudes zum anderen. Ein fantastisches Reich aus mächtigem Gebälk und gespenstischen Schatten, in dem Charley König war. Keine der Frauen war dazu zu überreden, auf den Dachboden zu steigen. Die älteren hätten sich das Genick gebrochen, und die jüngeren fürchteten sich vor den Mäusen. Wenn sie Zwiebeln brauchten, die dort oben von den Balken hingen, oder Äpfel für Apfelküchlein und Apfeltaschen, mussten sie Charley rufen, damit er sich in dieses Schattenreich hinaufwagte.

Vor fünfzig Jahren hatte jemand einen letzten, verzweifelten Versuch unternommen, den Dachboden der alten Mühle in Besitz zu nehmen, und die Wände mit Ausgaben des Morning Adviser und des Wilts and Gloucestershire Standard tapeziert. Da und dort klebten bunte Bilder aus den Weihnachtsausgaben des Graphic oder der Illustrated London News. Doch Feuchtigkeit und allgemeiner Verfall hatten schließlich die Oberhand gewonnen, und ein paar vermoderte Zeitungsfetzen waren alles, was noch übrig war.

Charley Moon war kein großer Leser, aber er war fasziniert von den historischen Schnipseln, die noch an den Wänden hingen. Da gab es ein Bild von einem kleinen Mädchen im roten Mantel, das einen Pfad durch den Schnee schippte, und darunter stand:

Ein jeder kehre vor seiner Tür,

und rein ist jedes Dorfquartier.

Auf einer Zeichnung blies ein Junge, in einem längst vergessenen Krieg des Empires, das Horn zum Angriff, und auf einer anderen überreichte ein Herr im Gehrock mit schwarz gewelltem Haar einer kleinen alten Dame ein Primelsträußchen. Doch am besten gefiel ihm das Bild eines klein gewachsenen Mannes namens Dan Leno, der ulkige Grimassen schnitt und an einem Ort namens Drury Lane wohnte.

Charley Moon, selbst so etwas wie ein Komiker, hielt große Stücke auf Mr Leno. Er stand gern stundenlang vor dem Bild und schnitt Grimassen. Mr Leno trug darauf Frauenkleider, und eines Tages fielen Charley ein alter Rock und ein noch älterer Schirm in die Hände, und damit sah er genauso komisch aus wie Mr Leno. Warum Mr Leno als alte Frau verkleidet war, wusste er nicht. Vielleicht hatte ein Zirkus in Drury Lane gastiert, so wie damals an dem Feiertag vergangenen August am Strand.

Im November hörte Charley eines Tages jemanden die Trittleiter heraufkommen, dann das rostige Quietschen der Angeln an der Luke – die Zugbrücke zu seinem Schloss. Ein Feind war im Anmarsch. Er ging auf die Knie, schob das Stroh von den eingelagerten Äpfeln und begann, die fauligen auszulesen. Wenn man ihn so sah, hätte man meinen können, dass er den ganzen Nachmittag nichts anderes getan hatte. Selbst als der Feind über ihm stand, war er zu sehr beschäftigt, um aufzublicken …

»Du solltest nicht so schwer arbeiten, Charley, sonst tust du dir noch weh!« Die Bemerkung stammte von einem ziemlich feierlich dreinblickenden kleinen Mädchen in einem kurzen Baumwollkleid mit spindeldürren, schwarz bestrumpften Beinen; die Art kleines Mädchen, die nicht leicht zum Lachen zu bringen ist, da sie bisher wenig Übung darin hatte. Und doch fröhlich, innerhalb gewisser Grenzen. Charley Moon hielt beim Sortieren inne, rollte sich auf den Rücken und beäugte seine Besucherin.

»Hallo, Zöpfchen!«, sagte er.

»Man sucht nach dir«, sagte das Mädchen.

»Lass sie suchen.« Charley war gegen derlei gewappnet. Das kam alle Tage vor. Ständig suchten alle nach ihm. Riefen überall nach ihm. »Char-liee! Spann das Pony ein! Lauf rüber zur Farm! Trag diesen Mehlsack ins Pfarrhaus!« Immerzu gab es irgendetwas, das unverzüglich erledigt werden musste.

»Was soll ich ihnen sagen?«, fragte das Mädchen.

»Dass du mich nicht gesehen hast, natürlich.«

»Das kann ich nicht, Charley. Es wäre nicht wahr.«

Rose, wie sie leibte und lebte. Nicht übel für ein Mädchen, sie konnte auf Bäume klettern oder über Gräben springen wie ein Junge, zog sich aber sofort in ihr Schneckenhaus zurück, sobald man ihre Fühler berührte. Rose hätte alles für Charley getan – innerhalb gewisser Grenzen. Doch es gab Momente, da endete die Heldenverehrung. Wenn es um die Wahrheit ging, war mit Rose nicht zu spaßen.

»Du tust mir echt leid, du alte Eule! Du könntest nicht einmal dann ein Märchen erzählen, wenn es darum ginge, dein Leben zu retten. Willst du dich nicht hinsetzen und einen Apfel essen?«

Das war etwas anderes. Rose riskierte eine Predigt von ihrer greisen Großmutter, der der Dorfladen gehörte, oder vom alten Mr Moon, wenn er sie dabei erwischte, dass sie Charley in seiner Zeitverschwendung unterstützte, während er eigentlich hätte Besorgungen erledigen sollen. Sie nahm den goldgelben Blenheim-Apfel und betrachtete ihn andächtig. »Charley«, sagte sie, »du weißt, dass dein Vater nicht will, dass du von den Lageräpfeln nimmst, bevor die anderen aufgegessen sind.«

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Charley. »Wenn ich sie ein wenig hin und her schiebe und die Lücken fülle, merkt das keiner. Sei nicht so eine alte Eule. Wenn jemand es abkriegt, dann sowieso ich. Und ich kriege ständig was ab, also kommts nicht mehr drauf an.«

Rose tupfte sich mit dem Saum ihres Baumwollrocks die Nase ab. »Ich will nicht, dass du es abkriegst, Charley«, schniefte sie. »Deshalb habe ich dich daran erinnert. Und ich bin keine alte Eule …«

Charley Moon hatte ein Herz, so weich wie eine überreife Birne. Er konnte unter keinen Umständen ertragen, wenn jemand weinte. »Also gut, Zöpfchen«, sagte er. »Du bist keine alte Eule, du bist einfach ein goldiger kleiner Zaunkönig, und ich mag dich lieber als Kuchen.«

»Mehr als Apfelkuchen?«, wollte Rose wissen.

»Apfelkuchen!«, sagte Charley. »Aber du musst das Kerngehäuse runterschlucken, sonst weiß der alte Herr, dass wir an seinen Blenheims waren.«

In Little Summerford war man sich einig, dass der junge Charley Moon ein seltsamer kleiner Junge war, da gab es keinen Zweifel. Ständig zu Streichen aufgelegt … Immer irgendwelchen Blödsinn im Kopf … Aber eigentlich kein böser Kerl. Selbst Martha Peart, die dicke Wäscherin, die jeden Samstag in der Mühle schlecht und recht für Ordnung sorgte, duldete kein böses Wort gegen ihn. Und sie musste es schließlich wissen, denn Charley wäre einmal beinahe ihr Tod gewesen …

Er war ins Waschhaus spaziert, wo sie an ihrem Kessel zugange war, und hatte gefragt, ob sie schon einmal ein Nachtigallenei gesehen hätte. Hatte Martha nicht. Sie wischte den Schaum von ihren stämmigen Armen, nahm die Blechdose, die er ihr hinhielt, öffnete den Deckel – und stieß einen Schrei aus, der sämtliche Dorfhunde zum Bellen brachte.

Denn in dieser Dose lag mit erhobenem Kopf zusammengerollt eine Ringelnatter, die beim Sonnenbad an einem warmen Hang im Obstgarten in Gefangenschaft geraten war. Wie Charley war auch sie ohne Arg, doch das wusste Martha nicht. Nachdem sie mit ihrem Schrei fast das Haus zum Einstürzen gebracht hätte, fiel sie ohnmächtig zu Boden, und zwei Eimer kaltes Wasser waren nötig, um sie wieder auf die Beine zu stellen …

Doch Martha nahm es ihm nicht übel. Das war einfach wieder der junge Master Charley bei einem seiner Lausbubenstreiche.

Der Pfarrer tat sich schwerer. Little Summerford war nicht gerade ein Nest von Singvögeln – doch Charley sang wie ein Engel. Er durfte im Chor also keinesfalls fehlen; wer sonst hätte bei den Weihnachtsliedern und der Osterhymne die Solopartien übernehmen können? Jeden Donnerstagabend wurde er von der Chorprobe in Ungnade nach Hause geschickt; und jeden Sonntag saß er wieder in seiner Kirchenbank, schaute drein, als könnte er kein Wässerchen trüben – und sang wie ein Engel.

2

Es war einmal ein Ritter in schimmernder Rüstung auf der Suche nach den Rosenkriegen oder sonst einer Schlacht, der hatte sich in dem Labyrinth aus Bächen und Rinnsalen rund um die Themsequelle verirrt. Als er einem Einheimischen begegnete, fragte er, ob es eine Furt gebe, von der aus er auf höher gelegenes Terrain gelangen könne.

»Jaja, die gibt es!«, erwiderte der Einheimische.

»Wissen Sie«, erkundigte der Ritter sich höflich, »wo sie ist?«

»Ja, das tue ich«, erwiderte der Sohn der Erde.

»Könnten Sie mir die Richtung zeigen?«, fragte der Ritter.

»Ja, das könnte ich«, bejahte der Wessex-Mann.

Mit der einen Hand sein Pferd im Zaum haltend, mit der anderen sich selbst, richtete der Ritter sich in den Steigbügeln auf und schrie: »Wo ist die Furt?« Worauf er die denkwürdige Antwort erhielt: »Som’er or t’other – Da oder dort!«

Der Ritter ritt davon und erkundigte sich vergebens nach der Somerortother-Furt; offenbar wurde er schließlich von den nassen Wiltshire-Wiesen verschluckt, denn man hörte nie wieder von ihm – wenn man von dem bisschen verrosteten Eisen absah, das im Museum von Cirencester in einer Vitrine aufbewahrt wird.

Der historische Ortsname Summerortother Ford wurde mit der Zeit verfälscht und zu Summerford verkürzt. Die Vermutung der Ortsansässigen, dass diese moderne Version sich von einer Furt ableitet, die nur im Sommer oder bei außergewöhnlicher Trockenheit genutzt werden kann, sollte mit größter Vorsicht aufgenommen werden, warnt die Cricklade Archeological Society. Das Dörfchen Little Summerford heißt so, um es von seinem größeren Nachbarn, Great Summerford, zu unterscheiden, und der wohlbekannte Ort Summerford Keynes hat mit diesem Disput nicht das Geringste zu tun. Und jetzt lassen Sie uns mit der Geschichte fortfahren.

Wie es heißt, gab es schon in den Tagen Wilhelm des Eroberers eine Familie Moon in Little Summerford. Vielleicht ist das übertrieben, aber die Moons waren mit Sicherheit schon lange genug an diesem Ort ansässig, um sich an ihn zu gewöhnen. Man musste sich auf dem Friedhof nur Anzahl und Größe ihrer Grabsteine ansehen, um ihre Bedeutung und das Alter ihres Stammbaums zu erahnen. Da waren Thomas Moon, der nach dem großen Brand auf eigene Kosten zwanzig Mehlsäcke nach London schickte, William Moon, der die große Glocke im Kirchturm stiftete, Charity Moon, die mit dem Diamanten in ihrem Verlobungsring ihren Namen ins Schlafzimmerfenster ritzte – die Moons von Little Summerford trugen kein Wappen, zählten auch nicht zum Landadel, doch sie waren mit Sicherheit eine Familie von Rang und Namen. 

Inzwischen war ihr Ruhm verblasst. Der Niedergang begann zur Zeit der industriellen Revolution, als England vergaß, dass eine Insel sich selbst versorgen sollte, und das Interesse an seinem wichtigsten Erwerbszweig verlor. Getreideanbau lohnte sich nicht mehr, Käse, oder was man dafür hielt, wurde en gros importiert, und eine synthetische Mischung aus tierischen Fetten und Pflanzenölen verdrängte in den Großstädten die Bauernhofbutter vom Frühstückstisch.

Die Moons aus Little Summerford waren unter den Ersten, die den Druck zu spüren bekamen. Eine Weile wurden die Verluste der Farm von den Gewinnen der Mühle ausgeglichen, doch sehr bald mussten die Getreidefelder verkauft werden, um das Geschäft aufrechtzuerhalten. Zu der Zeit, als diese Geschichte beginnt, gehörten dem alten William Moon nur noch die heruntergekommene Mühle und ein halbes Dutzend Rieselwiesen – allesamt bis zum Rand mit Hypotheken belastet – und ein einziger Sohn, Charley.

Im Dorf wurde behauptet, Müller Moon sei seit dem Tod seiner Frau bei Charleys Geburt nie mehr derselbe gewesen, doch die Schwierigkeiten reichten weiter zurück. Es braucht mehr als nur einen schweren Schicksalsschlag, um eine angesehene Familie zu ruinieren, und die Moons hatten ja lange genug Gelegenheit, das kommende Unheil zu erkennen. Doch angesichts des heraufziehenden wirtschaftlichen Unwetters hielten sie eisern an ihrem Kurs fest. Hätte der alte Großvater Moon die Landwirtschaft aufgegeben, als die Dinge noch gut standen, wäre alles ganz anders gekommen, doch man brauchte sich nur über der Anrichte sein Bild anzusehen, um zu wissen, dass er nicht zu denen gehörte, die aufgeben und noch einmal ganz von vorn anfangen. Er schlug alle Ratschläge in den Wind, setzte aufs falsche Pferd und ruhte nun in Frieden unter dem letzten großen Grabstein auf dem Friedhof von Little Summerford – und überließ es einem Enkel, die Folgen seiner strengen Grundsätze auszubaden.

Müller Moon, gescheitert, noch bevor er richtig begonnen hatte, hegte keinen Groll gegenüber seinen Ahnen, die ihm diese Misere eingebrockt hatten. Er war stolz auf die schönen alten Grabsteine und war ganz in ihre Betrachtung versunken, während er darauf wartete, dass der junge Charley aus der Sakristei kam, wo ihm der Vikar wahrscheinlich gerade ordentlich die Leviten las, weil er im Chor den Clown gespielt hatte. Ein Gedanke, der den einsamen alten Mann wieder an seine einzig wahre Sorge erinnerte.

Was würde aus Charley werden? Mit Sicherheit würde es keine Wiesen und keine Mühle mehr geben, die er übernehmen konnte, wenn einmal seine Zeit gekommen wäre. Und wozu wäre er sonst geeignet? Charley war kein Dummkopf, doch für eine Farm brauchte es eine ordentliche Menge Kapital. Das war das Problem eines jeden Bauernsohns. Entweder man bestellte das eigene Land – oder man bearbeitete das eines anderen. Dazwischen schien es nichts zu geben. Und bei dem Gedanken, dass sein Sohn als Farmarbeiter schuftete, blickte der Besitzer der Summerford-Mühle auf die imposanten alten Grabsteine und spürte eine kalte Faust in der Magengrube.

Es war ihm schon gegen den Strich gegangen, Charley in die öffentliche Dorfschule zu schicken. Die alten Moons hatten sich gewiss in ihren Gräbern umgedreht! Doch wo das Geld für eine ordentliche Schule hernehmen? Man muss sich nach der Decke strecken, und in der Not frisst der Teufel Fliegen … Mit diesen Allerweltsweisheiten versuchte William Moon an jenem Sonntagmorgen, sich an den Gräbern seiner Vorfahren zu rechtfertigen.

Der Einzige, der sich keine Sorgen machte, war Charley. Nachdem er wie ein Engel gesungen und sich in der Sakristei eine streng private Strafpredigt des Vikars angehört hatte, kam er über den Friedhof auf seinen Vater zugesprungen. In Little Summerford gab es sonntags nur einen Gottesdienst, und der war jetzt absolviert. Jetzt stand ihm frei, in seine alten Kleider zu schlüpfen und auf den Rieselwiesen unterhalb der Mühle umherzustreifen. Vielleicht würde er einen Aal in der Reuse finden oder eine schöne Forelle, die im alten Bach festsaß. Man wusste nie, was man in dieser wassersatten Wildnis aus Schilf und Seggen finden würde … Sogar William Moon wurde von der ansteckenden Fröhlichkeit dieses Augenblicks angesteckt. Vater und Sohn spazierten glücklich den Hügel hinunter, als hätten sie keine einzige Sorge auf dieser Welt.

Die Wiesen der Mühle von Little Summerford waren einst Sumpfgebiet gewesen und später von einem erfindungsreichen Holländer nutzbar gemacht worden, der mit Wilhelm von Oranien aus Holland gekommen war. Sein ausgeklügeltes Be- und Entwässerungssystem versorgte die Wiesen in Zeiten der Dürre mit Wasser und leitete das Hochwasser ab in den Bach, wenn das Land von Überschwemmung bedroht war. Man hatte einen festen Rieselmeister eingestellt, der die Wassergräben sauber und die Wehre in Ordnung hielt; auf diese Weise wurde eine reiche Heuernte von ausgezeichneter Qualität Tradition in diesem Landstrich.

Von seinem ganzen Besitz schätzte Großvater Moon die Rieselwiesen in Summerford am meisten und hütete sie wie seinen Augapfel. Berühmte Landwirtschaftsfachleute aus ganz England machten hier halt, um herauszufinden, wie die Probleme eines hohen Wasserspiegels in tiefer liegendem Land überwunden werden konnten. Sie nahmen komplizierte Messungen vor und kehrten nach Hause zurück, um dort Ähnliches zu versuchen. Großvater Moon kicherte in sich hinein, wenn er ihnen zum Abschied einen Steigbügeltrunk kredenzte – und die Wiesen von Little Summerford behielten ihr Erfolgsgeheimnis für sich.

Wenn wir dankbar sind für das, was uns von früheren Generationen beschert wurde, sollten wir besonders dafür dankbar sein, dass uns die Sorgen späterer Generationen nichts mehr angehen. Hätte Großvater Moon gewusst, was aus seinen geliebten Wiesen werden würde, hätte ihn das sehr bekümmert, während sie für Charley gerade in ihrem vernachlässigten Zustand ein wahres Paradies darstellten.

Gleich nach dem Mittagessen drängte es Charley zum Aufbruch. Er wusste, wo er nach Forellen Ausschau halten musste, an der alten Schleuse; vielleicht war auch ein Aal in die Weidenreuse gegangen – und Rose würde mittlerweile auf dem weißen Gatter sitzen und auf ihn warten.

Seltsame Gefährten, diese beiden. Es war selten, dass ein Junge und ein Mädchen ihres Alters gemeinsam herumstreunten. Gewöhnlich teilten sich Dorfkinder nach Geschlechtern auf, aber Charley und Rose waren schon immer anders gewesen. Für sie waren die Wiesen der alten Mühle ein verzauberter Ort unzähliger Spiele, und das weiße Gatter war der Treffpunkt, von dem aus alle ihre kleinen Abenteuer ihren Anfang nahmen.

Rose würde jetzt dort sitzen, ihre dünnen Beine baumeln lassen und sich fragen, warum Charley nicht endlich auftauchte; und später, wenn sie durchnässt, müde und hungrig nach Hause zurückkehrten, wäre es bereits dunkel.

Im Dorf wunderten sich manche, warum diese Kinder nicht mittlerweile Fischhäute an den Füßen oder sich vor Kälte den Tod geholt hatten, da sie die ganze Zeit im Wasser herumplanschten und im nassen Gras spielten. Warum sie nicht längst in einem der alten Wassergräben ertrunken waren, war ein immerwährendes Rätsel. Tatsächlich waren die beiden so amphibisch wie Jungfrösche. 

Und da war Charley, stahl sich, mit einem Klappmesser, einem Schnurknäuel und einem alten Eimer ausgerüstet, aus der Mühle, und da war Rose, die auf dem weißen Gatter mit den Beinen baumelte. Unter der Woche wurde sie, wenn sie nicht gerade in der Schule war, von ihrer alten Großmutter auf Trab gehalten, die den Dorfladen betrieb. Aber heute war Sonntag, und sie hatte ein Picknick in ihrem Korb …

Das Wunderbare an den Wiesen war, dass man den ganzen Tag dort spielen konnte, ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen. Zu Großvater Moons Zeiten war das anders gewesen. Damals brauchte ein Junge nur seine Nase über ein Wehr zu strecken, dann wurde er sofort auf die Straße zurückgescheucht, denn bei den Wehren hatten die Kinder nichts zu suchen. Entweder sie beschädigten sie, oder sie verdarben die Heuernte. Doch inzwischen waren sämtliche Wehre zerbrochen, und es gab kein Heu mehr zu verderben. Wo früher Gras zur Ernte gewachsen war, war der Boden jetzt mit Binsen überwuchert, und Wildenten und mindere Wasservögel hatten das Gelände für sich erobert.

Müller Moon hätte mit der Verpachtung der Fischerei- und Jagdrechte ordentlich Geld verdienen können, doch ein eigenartiger Familienstolz hielt ihn davon ab. »Man verlangt ja auch kein Geld für eine Tasse Tee«, antwortete er, als ein Fremder ihn auf dieses Thema ansprach, nachdem er von dem Jagdparadies gehört hatte.

Da er nicht alt genug war zum Fliegenfischen oder um ein Gewehr zu tragen, hatte Charley sich zu einem erstklassigen Wilderer entwickelt. Er wusste genau, wo eine Aalreuse einzusetzen und wie eine Forelle zu kitzeln war, und seine selbst gefertigte Angel war eine tödliche Waffe, wenn es um gewöhnliche Fische ging.

Forellen zu kitzeln, machte am meisten Spaß. Dazu legte er sich flach auf den Bauch und robbte vor bis zum Bachrand. Rose setzte sich auf seine Beine, damit er nicht ins Wasser fiel. Dann ließ er die Finger unter den Fisch gleiten bis zu den Kiemen und packte plötzlich zu. Wenn das nicht klappte, gab es ja genügend andere Forellen, bei denen man es nochmals probieren konnte.

Wenn die Forelle zu tief im Wasser stand, um sie mit der Hand zu erreichen, ging er mit seinem Klappmesser ins Weidengestrüpp, schnitt eine schlanke Rute, bog das dünne Ende zu einer Öse und fertigte so eine bewegliche Schlinge. Auf diese Weise hatten wohl schon die prähistorischen Jäger ihre Forellen gefangen, auch wenn bezweifelt werden darf, ob in zahllosen Wilderergenerationen jemand diesen Trick mit größerer Kunstfertigkeit beherrschte als Charley Moon.

Sobald es um Aalfang ging, kam Rose’ großer Moment. Die aus langen Weidenruten gefertigte Aalreuse war nicht leicht zu handhaben, denn sie war größer als ein Junge, und am allerwichtigsten war ihre richtige Positionierung im Bach. Sie war an jedem Ende mit einer Schnur versehen, und wenn man sie ans Ufer holte, fing der Spaß erst an. Denn die Aale aus dem Summerford-Bach ließen sich nicht problemlos in den Eimer bugsieren, und wenn man es endlich schaffte, bestand die Aufgabe darin, sie dort festzuhalten. Mit Kinderaugen gesehen, waren das ziemlich furchterregende Ungeheuer, und die Sache kam der Großwildjagd näher, als man in diesem Teil der Welt hätte vermuten können.

Flusskrebse waren einfacher, hatten aber einen ziemlich strengen Geruch. Der kleine, stachelbewehrte Süßwasserkrebs führte ein wüstes Leben mit einer Vorliebe für Aas jeder Art. Irgendwie musste man es anstellen, Aasköder zu sammeln, die man dann auf ein an einem Eisenring befestigtes Netz legte, das auf den Bachgrund gesenkt wurde. Das war die Aufgabe, die Rose wirklich hasste, auch wenn sie es um nichts in der Welt zugegeben hätte. Ein weiteres Ärgernis bestand darin, dass Krebse sich erst in der Dämmerung rührten. Alles in allem eine nasse, unangenehme Beschäftigung für eine junge Dame mit empfindlicher Nase, die sich im Dunkeln auf den Rieselwiesen zumindest ein klein wenig fürchtete.

Es gab Tage, da blieben Klappmesser, Eimer und Schnurknäuel zu Hause. Dann war Charley kein Jäger, sondern räkelte sich zufrieden in der Sonne, kaute auf Sauerampferblättern herum und kitzelte Rose mit einer Margerite am Ohr. Manchmal überraschten sie einen Reiher, der im seichten Wasser stand, oder folgten dem leuchtenden Aufblitzen eines Eisvogels, wenn er um eine Bachbiegung flitzte. Je nach Jahreszeit pflückte Rose Sträuße von Wasserveilchen, Kuckuckslichtnelken oder Weidenröschen, und wenn Charley sich bei solchen friedlichen Vergnügungen zu langweilen begann, veranstalteten sie auf dem Bach Papierbootrennen mit fantastischen Preisen für den Sieger.

3

Charley Moon verließ die Schule, zog lange Hosen an und wurde aus dem Chor geworfen, alles an einem Tag. Ob es die langen Hosen waren, die ihm zu Kopf stiegen, oder ob sein erster Tag in Freiheit nach einer Feier verlangte, wir werden es nie erfahren. Tatsache ist, dass die Frau des Vikars auf dem Heimweg von der Chorprobe den Friedhof überquerte und dort auf eine gewaltige, fast mannshohe weiße Eule stieß, die geisterhaft mit den Flügeln schlug, ehe sie in die Nachtluft entschwebte.

Umfangreiche Nachforschungen ergaben, dass Charleys weißes Chorhemd nicht wie üblich am Haken hing, und obwohl er beteuerte, es zum Waschen mit nach Hause genommen zu haben, hatte man das Gefühl, dass er es für einen scherzhaften Spuk missbraucht hatte. Das war das Ende seiner Chorkarriere, und von da an musste er sein musikalisches Naturtalent auf dem schalldichten Dachboden der Summerforder Mühle auf einer alten Mundharmonika ausleben …

Als Rose Charley in langen Hosen sah, wusste sie, dass sie ihn für immer verloren hatte. »Wirklich, Charley«, sagte sie, »das sieht richtig gut aus. Jetzt bist du fast ein Mann …« In dieser Nacht steckte sie den Kopf unter die Bettdecke und weinte sich in den Schlaf … Genau wie seine Mutter es getan hätte.

An jenem Morgen, als Charley die Schule beendete und zum ersten Mal zu Hause blieb, saßen Vater und Sohn einander am Frühstückstisch gegenüber. Müller Moon, der gerade seine zweite Tasse Kaffee getrunken hatte, warf einen Blick auf die Großvateruhr und wurde unruhig auf seinem Stuhl. Schließlich zog er die goldene Sprungdeckeluhr aus der Tasche, klappte den Deckel auf und verglich sie mit der alten Uhr in der Ecke. »Du kommst zu spät zur Schule, Charley«, sagte er. »Besser, du machst dich jetzt auf den Weg.«

»Ich bin fertig mit der Schule«, sagte Charley. »Hast du das vergessen?«

»Fertig mit der Schule!«, wiederholte sein Vater. »Was willst du denn den ganzen Tag machen?«

»In der Mühle helfen, nehme ich an«, antwortete Charley.

Der Müller dachte einen Moment über diese Ankündigung nach, zumindest schien es so. Tatsächlich aber versagte sein Denkvermögen in dieser außergewöhnlichen Situation. »Und was willst du in der Mühle machen?«, fragte er schließlich.

»Mithelfen«, erwiderte sein Sohn fröhlich.

»Du wärst keine große Hilfe. Du würdest nur im Weg herumstehen«, sagte der alte Mann.

»Ich könnte es lernen«, meinte Charley. »Jeder muss früher oder später etwas lernen. Warum nicht ich?«

»Du würdest nur im Weg herumstehen«, wiederholte der Müller, der so sehr in seinem Alltagstrott gefangen war, dass jede Veränderung ihn aus der Fassung brachte. »Zum Beispiel heute Morgen: Ich habe keine Ahnung, was du tun könntest!«

»Mach dir keine Sorgen«, erwiderte Charley. »Ich finde schnell eine Aufgabe.«

»Dann hast du dich seit gestern verändert.« Eigentlich eine Binsenweisheit, doch nicht ganz so unfreundlich, wie es klang. Der Müller liebte Charley, bewunderte ihn in gewisser Weise sogar, doch der unvermittelte Schreck hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt.

»Gestern war Feiertag«, erinnerte ihn Charley. »Heute ist es anders. Ich kann mich in der Mühle besser nützlich machen, als du denkst. Sie braucht Veränderung … Neue Ideen … Die ganze Sache pfeift aus dem letzten Loch, eines schönen Tages wird alles zusammenbrechen. Wir dümpeln so dahin … Ja, genau das, wir dümpeln einfach dahin! Du solltest mal hören, was die Leute über uns sagen. Sie sagen, jeder andere hätte das alte Mühlrad schon vor Jahren ausrangiert.«

»Oh, sagen sie das, ja?«, fragte der Vater. »Und woher nähmen sie das Geld dafür?«

»Ich weiß, woher ich es nähme«, sagte Charley. »Von dort, wo alle anderen es auch nehmen. Von der Bank natürlich.«

»Angenommen, es wäre kein Geld auf der Bank, was dann?«

»Bei der Bank gibt es immer einen Haufen Geld.«

»Nicht bei unserer Bank«, sagte der Alte.

Charley starrte ihn an. »Du meinst, wir sind – wir sind pleite?«

Das war der Augenblick, den der Müller gefürchtet hatte. An den Gräbern der Ahnen Entschuldigungen zu murmeln, war eine Sache, eine ganz andere aber, dem offenen Blick der Jugend standzuhalten und zu bekennen, dass man das Vertrauen verraten hat. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und sagte nichts.

»Wir sind also pleite?« Die Frage des Jungen schnitt in die Unentschiedenheit des alten Mannes wie der erste Schnitt eines Skalpells.

»So ist es«, gestand der Vater.

Charley überlegte einen Augenblick. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?«

»Was hättest du denn tun können?«

»Ich hätte die Schule schon vor einem Jahr verlassen können.«

»Was hätte das denn genützt? Die Schule kostet nichts, und sie hat dich von Dummheiten abgehalten.«

Charley errötete. »Du hältst nicht sehr viel von mir!«

Der Vater legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Sei nicht böse, Sohn«, sagte er. »Was hättest du tun können – in deinem Alter? Die Mühle zu leiten, ist Aufgabe eines Mannes, und wenn ich nicht Manns genug dafür bin, wie willst du es dann schaffen?«

»Mir wäre vielleicht etwas eingefallen«, sagte Charley. »Wir hätten darüber sprechen können. Ich hätte zu dir sagen können: Dad, warum verkaufen wir nicht etwas, damit wir uns ein neues Mühlrad leisten können? … Oder so was.« Die jugendliche Auflehnung endete in einer ziemlich hoffnungslosen Geste. Wenn man zum ersten Mal lange Hosen trägt, ist die Apathie alter Männer nicht leicht zu ertragen.

»Es ist nicht so einfach, wie du denkst«, sagte der Müller. »Was könnten wir denn verkaufen, um das Geld für dieses wunderbare neue Mühlrad aufzutreiben, von dem du und deine Freunde da reden?«

Charley umklammerte die Tischkante, sein Gesicht war kalkweiß. Er versuchte, etwas zu sagen, bekam aber kein Wort heraus. Dann brachte er sein großes Opfer. »Die Wiesen«, sagte er, »wir könnten die Wiesen verkaufen.«

Was immer wir von Charley Moon halten, und sosehr wir ihm in Zukunft vielleicht die Schuld ankreiden mögen – nie sollten wir diesen Moment vergessen, als er seine geliebten Wiesen in den Hut warf. »Für die Wiesen würdest du eine Menge Geld bekommen«, sagte er.

»Ja«, erwiderte sein Vater, »aber es wäre nicht unser Geld.« Und mit der resignierten Logik des geschlagenen Mannes erklärte er seinem Sohn das Mysterium von Krediten, Hypotheken und Kontoüberziehungen, von Besitz, der nicht Eigentum war, und von Männern, die reich an weltlichen Gütern schienen und doch nicht die waren, die sie zu sein schienen.

Für Charley Moon war dies der Moment der Wahrheit. »Du meinst«, fragte er, »die Wiesen gehören uns gar nicht mehr?«

Der alte Mann versuchte, die Sache zu erklären. Um die Mühle in Betrieb zu halten, hatte er die Wiesen beliehen, und bei einem Verkauf würden die Kreditgeber das Geld bekommen. Alles, was er tun konnte, war, weiterzumachen wie bisher, auf bessere Zeiten zu hoffen und den bösen Tag so weit wie möglich hinauszuschieben.

»Das alles hat also keine Zukunft«, sagte Charley mit dem brutalen Realismus der Jugend.

»Ja, so ist es«, stimmte sein Vater zu.

Zugunsten Charley Moons muss gesagt werden, dass er fest entschlossen war, in der Sache etwas zu unternehmen, als er sich vom Küchentisch erhob. Ihm war nicht ganz klar, was zu tun war, doch irgendeine Lösung musste es geben. Sein Vater war alt und müde, doch das war umso mehr Anstoß für ihn, Charley, zur Tat zu schreiten. »Mach dir keine Sorgen, Dad«, sagte er, »alles wird gut, du wirst schon sehen.«

Er schob seinen Stuhl zurück. »Wo willst du hin?«, fragte der Vater.

»Hinunter zur Mühle«, antwortete Charley. Dann verließ er die Küche und schloss sachte die Tür.

Charley gab sein Bestes. Er stand frühmorgens auf, schleppte Säcke, die viel zu schwer für ihn waren, und wäre um ein Haar im Mühlenteich ertrunken. Tatsächlich war er den anderen ständig im Wege. Und das alles auch noch vergebens. Niemand schien ihn zu wollen. Und so verfiel er wieder in seine alte Rolle: des kleinen Jungen, der nie da war, wenn man ihn brauchte.

»Char-lee! Char-lee!« Der Ruf ertönte vom Küchenfenster oder aus dem Tor der alten Scheune. Und Charley Moon, verborgen auf dem Dachboden oder zu den Wiesen entschwunden, fühlte sich wie ein alter Fuchs, der in seinem Unterschlupf die Meute bellen hört und weiß, dass es an der Zeit ist, abzuhauen, solange es noch möglich ist.

Die Besserwisser im Dorf machten sich Sorgen um den Jungen, der aus der Bahn zu geraten schien. Ein paar Klatschweiber redeten davon, sich an seinen Vater zu wenden, entschieden sich jedoch eines Besseren. Müller Moon mochte vom Pech verfolgt und gesellschaftlich im Abstieg begriffen sein, doch noch war es nicht so weit, dass man sich ihm gegenüber Freiheiten herausnahm. Diese Zeit würde noch kommen – ein, zwei Neider, die sich am Niedergang anderer weideten, lauerten bereits –, doch noch war es nicht so weit. Von den Hypotheken und Überziehungskrediten wusste nur die Bank, auch wenn die Neugierigen etwas ahnten. Die Zeichen standen an der Wand.