Chase - Alexa Klan - E-Book

Chase E-Book

Alexa Klan

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Beschreibung

Wie weit würdest du gehen, um das Verschwinden deines besten Freundes aufzuklären? Als Lucy zurück nach Irland zieht, freut sie sich sehnlichst darauf, ihre alten Freunde wiederzusehen. Ihr Temperament stürzt sie sogleich in einen Konflikt mit einer Clique von Jungen, doch das ist nicht die einzige Veränderung. Niemand hat ihr von dem ungelösten Verschwinden ihres Kindheitsfreundes Nick erzählt. Schnell wird ihr klar, dass sowohl die Clique als auch das verlassende Haus Nr. 33, das weiterhin jeden erschaudern lässt, der in die Nähe gelangt, in Nicks Verschwinden involviert sind. Lucy will nicht aufgeben und so nehmen sie und ihre Freunde die Ermittlungen selbst in die Hand. Nach rätselhaften Vorfällen und einem schrecklichen Fund verliert sich Lucy in ihren Ermittlungen, ohne direkte Drohungen zu berücksichtigen, während alle um sie herum die Hoffnung schon verloren haben. Doch jemand in ihrem Umkreis spielt ein falsches Spiel. Wem kann sie noch trauen?

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Anmerkungen

Prolog

Die Schritte näherten sich dem Ende der Straße, an dem hinter einem morschen Zaun unter einer Fichte ein dunkles, furchteinflößendes Haus stand. Die meisten Fensterscheiben waren eingeschlagen oder so von Dreck und Staub bedeckt, dass man nicht in das Innere des Hauses hätte blicken können. Und selbst wenn dies möglich wäre, es erreichten nur wenige Lichtstrahlen die dunklen Räume durch die Dachrinnen, sodass dort eine finstere und beklemmende Atmosphäre herrschte. Die uralten Holzbalken des Hauses waren schon morsch und durchlöchert. Insgesamt machte das Holzhaus keinen stabilen Eindruck mehr. Aber es stand noch. Es war unglaublich, dass das Haus nach der ganzen Zeit noch nicht abgerissen wurde. Wie denn auch, wenn sich fast niemand, außer Landstreichern, in dessen Nähe traute? Und trotzdessen, je näher man kam, desto mehr lockte es einen in den Bann. Es verströmte einen unheimlichen Eindruck, aber zugleich etwas, das einen Menschen dazu aufforderte ein zweites Mal hinzusehen. Doch etwas stimmte nicht mit diesemHaus.

»Na, traust du dich nicht?«, spottete Jerry und blickte Nick auffordernd und mit einer Spur Triumph in den Augen an. Als Nick weiterhin zögerte, machte Jerry Anstalten zu gehen.

»Kommt Jungs! Dieses Weichei wird niemals zu uns gehören, wenn es Angst hat da reinzugehen«, er machte eine abfällige Handbewegung und nickte in Richtung Zaun, welcher einige Meter von ihnen entfernt, um das verlassene Grundstück stand, als würde er jemanden davon abhalten wollen, dieses zu betreten. Es war nun mal auch verboten. Eigentlich.

»Wartet!«, Nick hatte plötzlich seine Stimme wiedergefunden, »Ich mache es, a-aber was ist, wenn wir erwischt werden?«

»Dein Pech!«, erwiderte Jordan und lachte abfällig.

»Außer uns traut sich doch eh niemand hier hin«, gab Aron selbstsicher von sich.

»Kommt, wir machen es ihm etwas leichter, bevor er sich gleich in die Hose macht«, übernahm Jerry das Wort, »Wir werden wache halten, du gehst da rein. Wenn du von dem Flur aus links abbiegst, solltest du in einen großen Raum kommen. Deine Aufgabe ist es, dort deinen Namen an die Wand zu sprühen«, er deutete auf eine neongrüne Spraydose, welche auf dem Boden stand, »Und keine Sorge. Wir werden das überprüfen.«

Ein Grinsen lag Jerry auf den Lippen.

Was Nick nicht wusste, war, dass dies zuvor noch niemand aus der Clique machen musste. Die anderen sahen still zu Jerry, Jason warf Nick einen mitleidigen Blick zu, aber niemand traute sich Jerry zu widersprechen. Jerry war der Anführer ihrer Clique. Ihm folgte Jordan, welche der größte und stärkste, wenn auch nicht der schlauste von den vieren war und Jerrys Befehle, ohne zu zögern, ausführte. Aron und Jason waren eher die Mitläufer, wobei Jason am nettesten zu Nick war und eigentlich nicht immer hinter Jerry zu stehen schien, auch wenn er ihm das natürlich nicht zeigte. Wenn Nick diese Mutprobe schaffen würde, dann wäre er das fünfte Mitglied der gefürchtetsten Clique der Schule. Er würde mit mehr Respekt behandelt werden und wäre nicht mehr der langweilige Außenseiter wie seine anderen Freunde, die ihre Pausen seit den letzten zwei Jahren nur noch damit verbrachten über Schulkram zu reden. Dann wäre er cool.

Er zwang seine Stimme, bei der Antwort fest und entschlossen zu klingen, was ihm jedoch nur halb gelang: »Okay. Ich mache es.«

Daraufhin trat Jerry die Tür des dunklen Hauses, vor dem sie standen, auf. Diese öffnete sich mit einem grässlichen Quietschen und vor Nick entfaltete sich ein düsterer Flur, welcher nur von schwachem Dämmerlicht erfüllt wurde. Die angrenzenden Räume sahen dunkel aus und man hatte keine Chance zu erahnen, was hinter den Schatten lauerte.

Jason drückte ihm mit einem aufmunternden Lächeln die Spraydose und eine Taschenlampe in die Hand: »Das wirst du brauchen. Die wird dir zwar nicht viel bringen, da die Batterien fast leer sind, aber-«

»Wir wollen ja nicht, dass der Kleine gleich anfängt zu heulen«, unterbrach Jordan ihn.

»Ich habe keine Angst«, sagte Nick, aber jeder wusste, dass dies eine Lüge war. Natürlich hatte er Angst.

Doch Jerry sagte nur: »Los.«

Er schubste Nick, welcher schwankend die Taschenlampe umklammerte und einschaltete, in den finsteren Flur hinein. Der schwache, flackernde Lichtkegel erhellte die paar Meter vor ihm, sodass er immerhin sehen konnte, wohin er seine Füße setzen musste, um auf keine rostigen Nägel oder andere scharfkantige Objekte zu treten. Er wagte einen Schritt vor und hörte hinter sich einen dumpfen, lauten Schlag, welcher das ganze Gebäude zum Erzittern brachte, als die Tür hinter ihm zuschlug.

Können sie die nicht auflassen?, dachte er mit einem mulmigen Gefühl. Es war ohnehin schon dunkel genug und der eingeschränkte Fluchtweg begünstigte seine wachsende Angst. Nun war er auf sich allein gestellt.

Nick atmete einmal tief durch, wobei ihm der modrige Gestank des Hauses auffiel. Nur mit Spraydose und Taschenlampe in der Hand zwang sich Nick, ruhig zu bleiben, und suchte mit der Taschenlampe in seinen zittrigen Händen den Raum, den Jerry ihm beschrieben hatte.

Überall sah man die Folgen des Vandalismus. Ein paar Meter vor ihm lag ein zerbrochenes Glas, daneben ein umgeworfener Stuhl und ein paar Fetzen Stoff, welche vielleicht Mal einen Teppich ergeben hatten. Als er schließlich den rostigen Türrahmen fand, ging er vorsichtig darauf zu. Die Tür schien aus den Angeln gerissen worden zu sein und er spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er den Raum betrat.

In einer Ecke stand ein uralter, einsamer Sessel neben den Fenstern. Am anderen Ende thronte ein einsamer Kamin, welcher wahrscheinlich seit Jahrzehnten nicht mehr im Gebrauch war. Weiter weg eine Kommode mit einer dicken Staubschicht und waren das etwa Fußabdrücke auf dem dreckigen Boden? Er wandte sich ab.

Langsam ging er zu der einzigen freigeräumten Wand, an der schon etwas geschrieben stand. Er suchte die Wand ab, fand aber nirgends die Namen der Clique verewigt. War er der Erste, der das hier tat oder hatten die anderen woanders ihre Namen angesprüht?

Als er genauer hinsah, konnte er das entziffern, was dort schon geschrieben stand: »Lauf weg! Er kommt!«

Weiter unten stand noch etwas. In blutrot. Richtiges Blut? Irgendetwas stimmte hier nicht. »Es ist zu spät!«

Für was war es zu spät? Nick bekam eine Gänsehaut. Was war hier los? Wieso stand da so etwas an der Wand? Er atmete tief durch und zwang sich, einen klaren Kopf zu bewahren. Das hatten bestimmt nur ein paar Teenager hingeschrieben, um anderen Angst zu machen. Wenn nicht sogar die Clique. Er nahm die grüne Spraydose in die Hand, schüttelte sie kurz und begann dann im schwachen Lichtkegel der Taschenlampe an die Wand zu sprühen:

»Nick war hier «

Er fügte ein Emoji hinzu. Vielleicht um die komischen Warnungen zu vertuschen, vielleicht aber auch, um sich selbst zu beruhigen. Letzteres kam ihm wahrscheinlicher vor.

So schlimm war das doch gar nicht. Langsam entfernte er sich von der Wand. Er hatte seine Mission erledigt. Nun würde er ein wahres Mitglied sein! Wenn auch, seine Aufgabe irgendwie anders als die von den anderen gewesen sein musste. Aber er hatte es geschafft. Nick war kein Angsthase und wenn sie ihm nicht glaubten, konnten sie ja selbst hereingehen und nachschauen.

Er klopfte sich die Hände an der Hose ab und richtete die Taschenlampe wieder in Richtung Türrahmen, da sah er einen Fetzen Papier auf dem Boden. Vorsichtig bückte er sich und faltete es auseinander. Das Papier schien schon sehr alt zu sein, denn es war gelblich und die Schrift kaum lesbar, aber er schaffte es, sie zu entziffern: »Der Glückliche muss in den Keller. Dort wird der nächste Hinweis auf ihn warten«, stand dort geschrieben. In den Keller? War das eine Art Schatzsuche? Er hatte nicht einmal gewusst, dass es hier einen Keller gab. Sollte er es wagen? Was wäre, wenn es dort wirklich einen Schatz gab! Mit zögerlichen Schritten entfernte er sich von dem Raum. Neugier hatte seine Angst nun ersetzt.

Als er am Ende des Flurs angekommen war, leuchtete er einige Minuten herum, doch er fand nichts. Enttäuscht wollte er gerade wieder weggehen, als er etwas entdeckte…

*

Plötzlich hörte Jason ein dumpfes Geräusch, wie als wäre jemand von innen gegen die Tür gesprungen, vor welcher sie nun schon einige Zeit warteten. Da der äußerst massige Jordan jedoch dagegen lehnte, öffnete sich diese keinen Spalt breit.

»Leute? Leute, macht auf! Sofort! Hier ist jemand, ich werde verfolgt!«, hörten sie plötzlich Nicks dumpfe Schreie.

»Mach auf«, befahl ihm Jason, doch als Jordan Jerry ansah, um seine Bestätigung zu erhalten, schüttelte dieser den Kopf.

»Was soll das man? Was ist, wenn er es ernst meint?«, warf Jason ein.

»Der heult doch nur rum, war doch klar, dass das ein Weichei ist«, gab Jerry zurück. Doch just in diesem Moment hörten sie Glas splittern. Jason sprang auf, denn er hatte zuvor gegen das Gebäude gelehnt auf dem Boden gesessen. Auch die anderen taumelten einige Schritte vor und versuchten, das Geräusch zu lokalisieren. Da bemerkte Jason, dass es von dem ersten Fenster links neben der Tür kommen musste. So ziemlich das Einzige, welches noch nicht eingeschlagen war. Er rannte los. Irgendetwas war passiert. Vielleicht war irgendein Landstreicher im Haus gewesen, der Nick aus dem Haus jagte. Hinter sich hörte er die Schritte der anderen.

*

Nick hatte nur einen Gedanken im Kopf gehabt: Das Fenster! Neben dem Sessel war ein Fenster gewesen! Man hatte es gut von draußen gesehen. Es war der Tür am nächsten und wahrscheinlich das Einzige, das noch nicht eingeschlagen war. Er wollte losrennen, doch stolperte und fiel auf seine Knie, als er gegen einen Gegenstand prallte. Er brauchte kurz Zeit sich zu orientieren, als er laute Schritte hörte. Die Person kam näher. Er ignorierte die Schmerzen und zwang sich auf die Füße. Um nicht wieder in die Gefahr zu geraten, dass er stolperte und hinfiel, wollte er die Taschenlampe vor sich richten, als ihm auffiel, dass kein Licht mehr von ihr ausging. Die Batterien waren leer. Auch das noch! Er hörte die Schritte immer näherkommen. Er musste hier raus! Gerade wollte er weiter humpeln, als ihn jemand gegen die Wand schleuderte. Hart schlug er mit den Rippen gegen den Türrahmen am Eingang des Zimmers auf. Sein Schrei verwandelte sich in ein Keuchen, als der Schmerz zu ihm drang. Wahrscheinlich waren seine Rippen gebrochen. Der Schmerz raubte ihm fast den Verstand, als er realisierte, dass er immer noch mit diesem Jemand auf engstem Raum gefangen war. Er kroch zurück auf die Beine. Er war ein Stück weiter weggeflogen, sodass er nun im Raum war. Er zwang sich zurück auf die Beine, bis er etwas Durchsichtiges vor sich sah, denn dahinter waren grüne Bäume. Er nahm seine ganze Kraft zusammen und sprang.

Plötzlich sah er Jasons Gesicht. Hinter ihm waren die anderen: »Nimm meine Hand!«

Nick wollte es wirklich. Er wollte da raus. Seine Finger berührten Jasons Hand und dieser zog ihn zu sich. Er schabte sich den Bauch an den restlichen Scherben auf, aber das war ihm egal. Er hatte es geschafft!

Doch dann wurde Jasons Griff plötzlich lockerer. Und dieser Moment reichte. Es war zu spät. Nick spürte etwas um seinen Fuß und dann wurde er brutal zurückgezogen. Er schrie. Jason blickte entsetzt auf die Person hinter ihm. Diese zog ihn zurück und hielt ihm eine erstickende Hand vor den Mund. Er bekam keine Luft mehr und seine Sinne waren wie benebelt. Er wusste nicht, ob die anderen noch einen Versuch unternahmen, ihn zu retten, denn er fiel langsam in Ohnmacht. Das letzte, was er hörte, war Jerrys Stimme: »Lasst uns verschwinden!«

Sie hatten ihn im Stich gelassen.

1

Die vielen Bäume und Sträucher der idyllischen Landschaft zogen am Fenster vorbei, während Lucy nach draußen schaute. Sie fuhren über altbekannte Straßen und an einer Wiese vorbei, an der sie vor einigen Jahren zusammen gepicknickt hatten. Sie, ihre kleine Schwester Amy, eigentlich hieß sie Amelie, aber Lucy nannte sie lieber Amy, und ihre Eltern, Marc und Chloe Amberson. Damals war es noch so schön gewesen. Aber ihre Eltern hatten sich getrennt, kurz bevor sie in die siebte Klasse kam. Schließlich wollte ihre Mutter mit ihr und Amy ganz wegziehen. Sie waren nach England ausgewandert, das hatte ihre Mutter als gute Chance gesehen, sie hatte schon immer in England wohnen wollen. Und dann hatte sie dort einen anderen Mann kennengelernt und wollte gar nicht mehr weg. Lucy hatte es ihren Eltern übel genommen, denn sie hatte ihre besten Freunde nicht verlassen wollen und schon gar nicht, um in ein anderes Land zu ziehen.

In Oxford war es zwar nicht schlecht, vor allem, wenn man sich die guten Zukunftschancen ansah, aber sie hatte Irland vermisst. Die stürmischen Nächte, welche am nächsten Tag vom plötzlichen Sonnenschein abgelöst wurden. Ihr altes Haus. Sie hatte sich jeden Tag mit ihren Freunden treffen können und dann war da noch ihre alte Schule. Ihre Mutter hatte früher als Köchin in einem Restaurant gearbeitet, aber als sie weggezogen waren, hatte sie einen besser bezahlten Job gefunden als Leiterin einer Kochshow. So sehr Lucy ihre Mutter auch liebte, als diese ihnen ihren neuen Freund vorgestellt hatte, war es aus bei Lucy. Niemand konnte einfach so ihren Vater ersetzen. Auch wenn sie sich später damit abgefunden hatte und es ihrer Mutter gönnte, hatte sie Sehnsucht gehabt und ihre Mutter hatte sie verstanden als sie verkündete, dass sie wieder zurück zu ihrem Vater ziehen wollte. Amy wollte nicht ohne Lucy leben und so waren sie beide ausgezogen. Ihre Mutter hatte sich mit Tränen in den Augen verabschiedet und sie hatte ihr versprechen müssen regelmäßig anzurufen und die Ferien mit ihr zu verbringen. Ihr Vater Marc hatte sie dann am Flughafen abgeholt, denn Lucy war schon 14 und durfte mit ihrer kleinen, siebenjährigen Schwester und einem Reisebegleiter fliegen.

Ihr Zimmer hatte sich innerhalb der zwei Jahre kaum verändert. Wie denn auch, es war niemand reingegangen und sie hatte die letzten Tage der Sommerferien, die geblieben waren, damit verbracht sich wieder an ihre altbekannte Umgebung zu gewöhnen. Nun war jedoch der erste September und damit der erste Schultag. Lucy freute sich wahnsinnig darauf, ihre alten Freunde wiederzusehen. Vor allem Olivia und Nick hatte sie vermisst, auch wenn sie zu ihnen noch ein paar Mal Kontakt per Handy hatte. Hoffentlich gingen sie wieder in dieselbe Klasse.

Nachdem sie Amelie in die Grundschule von Doolin gebracht hatten, lenkte ihr Vater das Auto auf den überfüllten Parkplatz ihrer alten Schule, bis er endlich einen Parkplatz ganz hinten fand. Er schaltete den Motor ab und blickte zu Lucy: »Und? Erkennst du sie noch wieder?«

Damit hatte er sie aus ihren Tagträumen geweckt und sie brauchte eine Weile, bis sie die Frage verstanden hatte.

»Äh natürlich, sieht immer noch so aus wie vorher«, meinte sie dann und grinste.

Ihr Vater lächelte zurück: »Nun ja, diese zwei Jahre kamen mir wie eine Ewigkeit vor, aber für dich fühlt es sich wahrscheinlich so an, als wärst du niemals fort gewesen. Du wirst dich schon zurechtfinden.«

»Ja«, meinte sie nur halbwegs einverstanden und stieg aus dem Auto.

Ihr Vater seufzte: »Nun gut. Ich muss jetzt zur Arbeit, bin schon spät dran. Du musst jetzt selbst gucken, wie ihr später nach Hause kommt, denn ich kann euch ja nicht immer fahren.«

Lucy nickte: »Tschüss Dad, danke fürs Fahren.«

»Bis nachher, Lucy. Viel Spaß in der Schule!«

Sie schlug die Tür zu und während ihr Vater zur Arbeit fuhr, blickte sie auf ihr Handy. Es war noch genug Zeit da, um vor Schulbeginn in das Sekretariat zu gehen. Sie strich sich ihre dunkelblonden Haare, die ihr in Wellen über die Schulter fielen, aus dem Gesicht und rieb sich ihre hellblauen Augen, unter denen sich wahrscheinlich gerade Augenringe befanden, denn sie hatte vor Aufregung nicht schlafen können, aber das war ihr gerade egal.

Als sie losging, vernahm sie eine nur altbekannte Stimme: »Hey, du da! Du Blow-in!«

Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht ihrer besten Freundin Olivia.

»Liv! Wie lange stehst du hier schon?«, fragte Lucy überrascht, als Olivia sie umarmte.

»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, meinte diese nur und beide mussten sofort lachen. Bevor Lucy weggezogen war, hatten sie sehr viel Spaß miteinander gehabt und waren per Internet weiter in Kontakt geblieben, sodass Olivia natürlich wusste, dass Lucy zurückgekommen war.

»Und? Wie ist es wieder hier zu sein? Hast du uns vermisst?«, fragte Olivia dann neugierig und trat einen Schritt zurück. Sie hatte lockige, dunkelbraune Haare und stechend grüne Augen. Im Sommer hatte sie oft leichte Sommersprossen und eigentlich hatte sie sich kaum verändert, sie hatten ja auch oft per Videoanruf miteinander geredet, vielleicht kam es ihr deswegen nur so vor.

»Natürlich habe ich euch vermisst! Es ist großartig, auch wenn ich mir wünsche, dass meine Mutter wieder hier wäre, aber sie ist jetzt glücklicher und deswegen ist es in Ordnung für mich. Ich werde sie in den Ferien wiedersehen«, antwortete Lucy.

»Du wirst ganz schnell wieder den alten Rhythmus wiederfinden, das verspreche ich dir! Übrigens, in welche Klasse wirst du jetzt gehen? Hoffentlich nicht in eine der Parallelklassen, du musst sehen, wie diese Mädchen da herumlaufen!«

»Liv! Pst! Du darfst dich nicht so laut über andere Leute aufregen. Was ist, wenn sie dich hören?«, tadelte Lucy sie und blickte sich um, doch niemand schien wirklich Notiz von ihnen zu nehmen.

»Ist ja gut. Ich meine halt nur…«

Lucy hörte ihr nicht mehr zu, etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Und sie wusste noch zu gut, wer das war. Sie konnte sich kaum an ihre Namen erinnern, aber sie erinnerte sich, dass sie sich immer so aufgespielt hatten, als wären sie irgendwelche Mafiabosse, gerade ärgerten sie die Fünftklässler.

»Erde an Lucy! Hallo! Hörst du mir überhaupt noch zu?«, fragte Olivia und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.

»Tut mir leid«, meinte diese, »aber guck doch«, sie deutete mit dem Finger auf die Peiniger, »Die sind wohl immer noch auf Ärger aus, oder? Wie hießen sie noch gleich?«

Olivia wurde nervös.

»Ähm, also das sind doch Jerry und seine Gruppe. Jordan, welcher mit Jerry in der 11. ist. Eigentlich wären sie in der 12., aber sie sind sitzen geblieben und ähm, die dahinter sind Aron und Jason, die sind in der 10.«, meinte sie, »Aber hör zu! Geh ihnen lieber aus dem Weg. Seitdem du weg warst, hat sich hier so einiges verändert. Sie sind immer fieser geworden, sodass alle jetzt Respekt vor denen haben.«

»Pff. Die tun doch nur so«, Lucy hätte gerne eingegriffen, aber Olivia schien wirklich Angst vor ihnen zu haben und sie wollte sie nicht da reinziehen, wenn sie Probleme mit ihnen haben sollte. Aber würden sie ihre Freude auch nur falsch ansehen, dann würde sie wirklich wütend werden, denn sie hasste solche Leute.

»Oh Mist. Gleich ist Unterrichtsbeginn!«, unterbrach Olivia ihre Gedankengänge.

Lucy wandte sich ab: »Kommst du noch schnell mit mir ins Sekretariat? Ich muss da noch was erledigen, wegen des Schulwechsels.«

»Klar«, erwiderte Olivia, »aber dann müssen wir uns beeilen.«

Sie machten sich schnell auf den Weg und Lucy freute sich darauf ihre anderen Freunde wiederzusehen und mit ihnen in der Pause zu reden. Die Schulklingel ertönte schon, als sie gerade aus dem Sekretariat gingen und sich auf dem Weg zum Klassenzimmer machten.

2

Wenn man wieder neu in der Klasse war, machte es keinen guten Eindruck, wenn man gleich am ersten Tag zu spät kam. Auch, wenn es nur eine Minute war. Mr. Penhallow, ihr Klassenlehrer, war darüber nicht begeistert, trotz, dass er sich freute, Lucy wiederzusehen. Die meisten aus der Klasse schienen darüber verwundet, denn sie war unangekündigt wiedergekommen. Nur Olivia hatte sie Bescheid gegeben, dass sie wiederkommen würde, im Versuch die anderen ihrer Freundesgruppe zu überraschen, aber anscheinend hatte Olivia es nicht verschweigen können, denn sie grinsten sie schon wissend an, als sie in die Klasse kam. Mr. Penhallow hatte gerade mit dem Unterricht beginnen wollen, als sie hereinkamen, brach dann jedoch abrupt ab, was dazu führte, dass sich die ganze Klasse zu Tür drehte und das war nicht gerade das angenehmste Gefühl auf Erden.

»Tut uns leid, dass wir zu spät sind, aber wir mussten noch ins Sekretariat und die haben uns so lange warten lassen«, übernahm ihre Freundin schon das Wort, ehe Lucy den Mund aufmachen konnte. Sie lächelte den Lehrer entschuldigend an und er machte eine Handgeste, die ausdrücken sollte, dass es ihm egal war, wieso sie zu spät waren, er wollte einfach nur möglichst schnell mit dem Unterricht fortfahren.

»Wie ihr wisst, habt ihr dieses Jahr wieder eine neue Schülerin bekommen, Naja, sie war früher in eurer Klasse. Jedenfalls ist Lucy Amberson, den Umständen entsprechend, nun wieder zurück nach Doolin gekommen und alles Weitere könnt ihr sie in der Pause fragen. Wir machen jetzt weiter mit dem Organisatorischen zu diesem neuen Schuljahr«, sagte er barsch und Lucy sah sich nach einem Platz um.

Da winkte ihr Kathrin zu. Diese hatte zu Lucys engsten Freunden gezählt und neben ihr war glücklicherweise noch ein Platz frei. Lucy setzte sich hin und Kathrin lächelte sie nett an.

»Schön, dass du wieder da bist. Wie war es in England?«

Lucy wollte ihr grade die Frage beantworten, aber Mr. Penhallow räusperte sich und sah die beiden tadelnd an.

»Ich denke, das müssen wir auf die Pause verschieben«, flüsterte Lucy und Kathrin nickte.

Die ersten beiden Schulstunden waren schnell vergangen, denn sie hatten alles Organisatorische besprochen. Wer auch, machte am ersten Tag, gleich in der ersten Stunde, Unterricht?

Lucy packte ihre Sachen zusammen und sah sich nach ihren Freunden um, welche schon an der Tür auf sie warteten. Olivia, Kathrin, Liam und Nathan. Wo war eigentlich Nick? Das war eine der Fragen, die sich Lucy stellte, als sie zu ihren Freunden ging. Sie hatte ihn auch nicht im Unterricht gesehen. Vielleicht war er auch einfach krank oder war nicht mehr auf dieser Schule. Aber davon hätte ihr Olivia bestimmt berichtet. Sie beschloss, die Frage später zu stellen, und folgte ihren Freunden in die Cafeteria, wo sie sich gerade an einem Tisch niederlassen wollten, als ein paar ältere Jungen von der Seite kamen und sie anrempelten.

Lucy verschlug es die Sprache. Das hatten sie mit Absicht getan! Sie blickte auf und erkannte, dass es Jerry, Jordan, Aron und Jason waren. Von der Nähe erkannte sie ihre Gesichter und konnte sich wieder gut an die Störenfriede erinnern. Zumindest an Jerry und Jordan, Aron und Jason waren ihr vorher schon aufgefallen, aber schienen neu in ihrer Clique zu sein. Sie waren älter geworden, aber Lucy schließlich auch und als sie sich umdrehte, um nach ihren Freunden zu sehen wurde sie wütend. Jerry schubste Kathrin gerade mit voller Absicht, sodass diese ihr Gleichgewicht verlor und auf den Boden fiel. Olivia kam ihr sofort zu Hilfe und Liam und Nathan stierten Jerry böse an, aber ohne etwas zu unternehmen. Hatten die etwa auch Angst? Von Liam hätte sie dies erwarten können, er war auch früher schon etwas empfindlicher gewesen, was so etwas anging, aber Nathan?

Plötzlich, ohne nachzudenken, ging Lucy auf Jerry zu und schubste ihn ebenfalls, so dolle es mit ihren untrainierten Armen möglich war, gegen die Wand.

»Seid ihr völlig bescheuert?«, fuhr sie ihn an. Sie konnte es abhaben, wenn man schlecht mit ihr umging, aber sie wurde unglaublich wütend, wenn man ihre Freunde schikanierte. Sie erhielt einen anerkennenden Pfiff von einigen Schülern, welche die Szene beobachtet hatten, aber als sie kurz zu ihren Freunden blickte und in deren kreidebleiche Gesichter sah, zweifelte sie daran, dass dies eine gute Entscheidung gewesen war.

Jerrys Grinsen war augenblicklich weg und seine Augen wurden dunkel vor Wut, als er sie ansah.

»Du wagst es, mich zu schubsen?«, fragte er sie drohend und machte einen Schritt auf sie zu.

»Du wagst es, meine Freunde zu schubsen?«, konterte sie mutig zurück, obwohl ihr mulmig wurde, die Wut ließ langsam nach und wurde sofort durch Unsicherheit ersetzt. Nun hatte sie sich gleich am ersten Tag wieder Feinde gemacht. Er kam noch einen Schritt auf sie zu, sie machte einen Schritt zurück und nun war sie diejenige, welche plötzlich die kalte Wand an ihrem Rücken spürte. Jason legte Jerry eine Hand auf den Rücken, um ihn zu beruhigen, aber dieser schüttelte sie ab und fixierte Lucy mit seinem Killer Blick. Oh je, das gibt Ärger, spottete ihre innere Stimme, aber Lucy versuchte sich nichts anmerken zu lassen und starrte ebenfalls wütend zurück.

»Wenn du es dich noch einmal wagst, dich mit uns anzulegen, dann wirst du dir wünschen, du hättest uns nie kennengelernt«, seine Stimme klang ruhig, aber drohend, er unterdrückte seine Wut.

Er verschonte sie. Noch ...

Da kam Lucys Rettung herbei. Eine Lehrerin, Lucy erkannte, dass es Mrs. Johnson, ihre alte Klassenlehrerin war, zog Jerry von ihr weg und beschimpfte ihn.

»Was macht ihr denn hier? Lasst sie in Ruhe. Solltet ihr nicht ins Büro des Schulleiters kommen? Stattdessen belästigt ihr hier die anderen Schüler.«

Jerry und die anderen traten zurück und machten sich auf den Weg, aber nicht ohne sich noch einmal umzudrehen.

»Damit kommst du davon. Diesmal«, er legte die Betonung auf das letzte Wort und Lucy schluckte. Sie bedankte sich bei Mrs. Johnson und ging mit ihren Freunden einige Schritte weiter in die Cafeteria rein.

Entsetzt starrte Kathrin sie an, während die anderen schwiegen.

Bis Olivia das Wort ergriff: »Lucy, bist du eigentlich völlig verrückt? Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich fernhalten von denen. Die bedeuten nur Ärger! Jetzt hast du die gleich am ersten Tag als Feind.«

»Besser gesagt, wir«, korrigierte Liam murrend. Lucy starrte sie ungläubig an: »Was hätte ich denn an eurer Stelle tun sollen? Wie dreist sie uns einfach angerempelt haben! Vor allem, dass Kathrin seinetwegen auf den Boden gefallen ist! Ihr könnt mir nicht sagen, dass euer Verhältnis davor friedlich war!«

Wenn es um Kathrin ging, dann waren sie damals schon immer besorgt um sie gewesen. Kathrin war die Jüngste und Schüchternste von ihnen. Ihre grauen Augen blickten einen unschuldig hinter ihrer Brille an, was von ihren glatten, schwarzen Haaren umrahmt wurde. Kathrin sah sie nun besorgt an.

»Trotzdem hättest du das nicht für mich tun sollen! Jetzt haben sie dich im Visier!«

»Ach, es gibt Schlimmeres«, stritt Lucy ab.

»Was denn?«, konterte Olivia, aber Nathan kam dazwischen.

»Ist doch jetzt egal Leute. Jerry und seine Gruppe sind Vollidioten! Wir haben Lucy noch gar nicht richtig begrüßt.«

Langsam beruhigten sie sich und setzten sich an einen der Tische.

Sofort fingen die Fragen an. Wie war es in England? Wieso genau war sie zurückgekommen? Hatte sie, sie vermisst? Lucy beantwortete alle Fragen und fand dann, dass es an der Zeit war ihre Fragen zu stellen.

»Wie war es eigentlich ohne mich?«, fragte sie.

»Also was habt ihr so erlebt?«, fügte sie dann hinzu, denn sie wollte nicht selbstverliebt rüberkommen. Als ob es hier nur um dich geht, hatte ihre innere Stimme zu ihr gesagt.

»Also vom Unterricht her nichts Spannendes. Die Klassenfahrt war lustig-«, fing Kathrin an.

»Du hättest sehen müssen, wie Liam bei einem Ausflug in den Fluss gefallen ist!«, platzte Nathan dazwischen und lachte Liam aus, welcher nicht so aussah, als wäre ihm nach Lachen zu Mute.

»Ja genau. Dann war ich pitschnass und bin am nächsten Tag krank geworden. Vielen Dank auch«, murrte er.

»Dafür musstest du immerhin nicht mit uns zu diesem langweiligen Museum«, meinte Olivia aufmunternd und Kathrin fuhr fort.

»Sonst war es eigentlich ziemlich ruhig. Ist nicht viel passiert so, ohne dich«, meinte sie, aber Lucy sah, dass sich die Augen der anderen bei diesen Worten verdunkelten.

»Wo ist eigentlich Nick? Er hat sich die letzten Wochen nicht mehr bei mir gemeldet und hier ist er auch nicht«, versuchte sie das Thema zu wechseln, denn mit Nick hatte sie ein enges Verhältnis gehabt. Neben Olivia war er ihr bester Freund gewesen. Aber nun herrschte noch mehr Stille. Ihre Freunde sahen sich zögernd an.

»Okay, was ist passiert, Leute?«, fragte sie misstrauisch.

Dann begann Nathan zu sprechen: »Naja. Olivia wollte es dir nicht sagen, ehe du gekommen bist, und ich würde dir jetzt auch nicht gerne den Tag vermiesen …«

Bevor Lucy erneut nachhaken konnte, mischte sich Kathrin ein: »Das ist alles deren schuld! Wären die nicht gewesen, wäre Nick noch unser Freund!«, sagte sie wütend und starrte zu Jerrys Gruppe, die wieder da waren und nun am anderen Ende der Cafeteria mit den Rücken zu ihnen standen.