Cherringham Sammelband III - Folge 7-9 - Matthew Costello - E-Book
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Cherringham Sammelband III - Folge 7-9 E-Book

Matthew Costello

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Beschreibung

Very British - drei England-Krimis in einem Band.

Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 7 - 9 der Cosy Crime Serie ′Cherringham - Landluft kann tödlich sein′ - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!

Folge 7: Die Leiche im See

Der Gemeinderat von Cherringham lädt Laurent Bourdain, Bürgermeister eines französischen Dorfs an der Bretagne-Küste, zu einem Galaempfang ein, um eine Partnerschaft zwischen beiden Gemeinden zu besiegeln. Der Veranstaltungsort soll Lady Reptons Herrenhaus sein, das ihr Enkel in ein Tagungszentrum von Weltrang zu verwandeln hofft. Zu Ehren des französischen Würdenträgers wird ein prächtiges Dinner vorbereitet. Doch während der Abend dahingeht und der Wein fließt, verschwindet der Bürgermeister von der Feier, um bald darauf tot im nahen See gefunden zu werden. Ein Unfall, so scheint es - bis Jack und Sarah herausfinden, was wirklich mit dem Toten im See geschah ...

Folge 8: Ein frostiges Verbrechen

Einer der bedrohlichsten Schneestürme seit Jahren sucht Cherringham heim und schneidet es von der Außenwelt ab. Am Rande des Dorfes kämpft Broadmead Grange, ein finanziell angeschlagenes Altersheim, ums Überleben. Einer der Bewohner, der arme alte Archy, verirrt sich im Schneetreiben und wird zu Cherringhams jüngstem Opfer. Doch sind wirklich die Elemente schuld an Archys Ableben, oder ist hier etwas faul? Jack und Sarah übernehmen den Fall und machen sich auf die Suche nach der Wahrheit.

Folge 9: Totentheater

Als die Laientheatergruppe von Cherringham eine örtliche Fernsehberühmtheit einlädt, bei ihrem Weihnachtsstück Regie zu führen, bekommen sie mehr Publicity, als sie erwartet hatten. Jemand will die Aufführung sabotieren, und die Proben geraten außer Kontrolle. Jack und Sarah werden gebeten, in der Sache zu ermitteln, und entdecken bald ein dunkles Geheimnis hinter den Kulissen -

Jack und Sarah ermitteln weiter - jeden Monat erscheint ein neuer, in sich abgeschlossener Fall mit Cherringhams Ermittlerduo.

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Seitenzahl: 400

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Inhalt

Cover

Cherringham – Landluft kann tödlich sein – Die Serie

Über diesen Sammelband

Die Autoren

Die Hauptfiguren

Sammelband III

Impressum

Die Leiche im See

Ein frostiges Verbrechen

Totentheater

Im nächsten Sammelband

Cherringham – Landluft kann tödlich sein – Die Serie

»Cherringham – Landluft kann tödlich sein« ist eine Cosy Crime Serie, die in dem vermeintlich beschaulichen Städtchen Cherringham spielt. Jeden Monat erscheint sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch ein spannender und in sich abgeschlossener Fall mit dem Ermittlerduo Jack und Sarah.

Über diesen Sammelband

Dieser Sammelband beinhaltet die Cherringham-Fälle sieben, acht und neun:

Cherringham – Die Leiche im See

Cherringham – Ein frostiges Verbrechen

Cherringham – Totentheater

Über die Autoren

Matthew Costello ist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.

Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u.a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling.

Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen. Cherringham ist die erste Krimiserie des Autorenteams in Buchform.

Die Hauptfiguren

Jack Brennan ist pensioniert und frisch verwitwet. Er hat jahrelang für die New Yorker Mordkommission gearbeitet. Alles, was er nun will, ist Ruhe. Ein Hausboot im beschaulichen Cherringham in den englischen Cotswolds erscheint ihm deshalb als Alterswohnsitz gerade richtig. Doch etwas fehlt ihm: das Lösen von Kriminalfällen. Etwas, das er einfach nicht sein lassen kann.

Sarah Edwards ist eine 38-jährige Webdesignerin. Sie führte ein perfektes Leben in London samt Ehemann und zwei Kindern. Dann entschied sich ihr Mann für eine andere. Mit den Kindern im Schlepptau versucht sie nun in ihrer Heimatstadt Cherringham ein neues Leben aufzubauen. Das Kleinstadtleben ist ihr allerdings viel zu langweilig. Doch dann lernt sie Jack kennen …

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Sammelband III

Folge 7: Die Leiche im SeeFolge 8: Ein frostiges VerbrechenFolge 9: Totentheater

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG

Übersetzung: Sabine Schilasky

Textredaktion: Dr. Arno Hoven

Projektmanagement: Michelle Zongo

Titelillustration: © shutterstock: Buslik | Andy Poole | Adam Fraise | Perfect Vectors | Longjourneys © istockphoto: digi_guru | AndyRoland

Titelgestaltung: Jeannine Schmelzer

eBook-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-0573-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Die Leiche im See

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

1. Kultivierte Gastgeber

Sarah bog von der Hauptstraße zum hohen Tor von Repton Hall ein. Sie blickte an den Steinsäulen hinauf, auf denen oben jeweils ein bronzener Hirsch prangte. Die riesigen Pforten aus Schmiedeeisen dazwischen waren geschlossen, doch als Sarah sich schon bereit machte, auszusteigen und …

… was zu tun? Klingeln? Hatten solche Anwesen überhaupt Türklingeln?

… öffnete sich das Tor wie von Zauberhand.

Sarah sah wieder zu den stuckverzierten Torbögen. Unter einem der Hirsche bemerkte sie eine unauffällig angebrachte Kamera. Jemand auf dem Anwesen, ein Sicherheitsmann vermutlich, hatte sie also auf seinem Monitor.

Offenbar hatte ihr alter RAV4 den Test bestanden, und jetzt begriff Sarah auch, warum Simon Reptons Sekretärin sie darum gebeten hatte, ihr Autokennzeichen mitzuteilen.

Als sie durchs Tor fuhr und an einem stilvollen Metallschild mit der Aufschrift »Repton Hall Country House and Conference Centre« vorbeikam, erinnerte sie sich wieder, dass erst vor ein paar Jahren das Gerücht umging, die Repton-Familie stehe kurz vor dem Bankrott und sei im Begriff, Haus und Grund zu verlieren.

Dies hier zeugte von einer beachtlichen Wende der ökonomischen Situation.

Wie es aussah, war die lange Auffahrt unlängst neu gepflastert worden, und als Sarah sie zum eindrucksvollen Queen-Anne-Herrenhaus hinauffuhr, das im nachmittäglichen Sonnenschein leuchtete, konnte sie außerdem sehen, dass man ein Vermögen in die Parkanlage gesteckt hatte.

Die Bäume waren in Form gestutzt, die weich abfallenden Rasenflächen säuberlich getrimmt und die Zäune frisch gestrichen. Seitlich vom Haus glitzerte der berühmte künstliche See.

Als Sarah das letzte Mal hier gewesen war – zu einer recht trübseligen Landwirtschaftsschau vor zwei Jahren –, war der See tot und von Algen bedeckt gewesen. Jetzt hingegen war das Wasser klar, und der georgianische Pavillon – ein klassischer Ziertempel – erhob sich wieder stolz auf der kleinen Insel in der Mitte des Gewässers.

Sarah lächelte. Zum Teil dürften Jack und sie mitverantwortlich sein für diese verblüffenden Neuerungen. Vor einiger Zeit hatten sie das geheimnisvolle Verschwinden eines römischen Artefakts aufgelöst, das auf Repton-Land gefunden worden war. Und die erfolgreiche Aufklärung des Falls hatte der gefürchteten Lady Repton angeblich eine halbe Million eingebracht.

Doch als Sarah nun seitlich am Haus vorbei zum »Gäste-Parkplatz« fuhr, vermutete sie, dass die Reptons zusätzlich noch mindestens eine Million aufgetrieben haben mussten, um diese Verwandlung möglich zu machen.

Hinter dem eleganten Herrenhaus erstreckte sich nämlich ein niedriger Anbau aus Ziegeln und Holz, der sich durch kühle, klare Linien auszeichnete, was auf einen teuren Architekten hindeutete.

Es war das Tagungszentrum, in dem Sarah in wenigen Stunden ihren kleinen Auftritt haben würde …

Der Parkplatz war beinahe voll. Doch sie erspähte noch eine Lücke, schnappte sich ihren MacAir, schloss den Wagen ab und ging zum Seiteneingang.

»Hey, gutes Timing!«, rief eine Stimme hinter ihr.

Sie drehte sich um und sah Simon Repton vom Haus her auf sie zukommen. Schlank, braun gebrannt und in einem maßgeschneiderten anthrazitfarbenen Anzug, strahlte Simon Geld, Selbstvertrauen, Charme und Erfolg aus.

Wenigstens glaubt er das, dachte Sarah.

Schleimi-Simey nannte ihre Assistentin Grace ihn immer, und Sarah musste aufpassen, ihn nicht versehentlich so anzusprechen.

»Simon«, sagte sie. »Wie nett, Sie wiederzusehen.«

Simon kam näher und küsste sie auf beide Wangen, wobei seine Lippen ein wenig länger als nötig ihre Haut berührten.

»Wir sind noch immer beim Schampus-Schlürfen, also haben Sie reichlich Zeit für den Aufbau.«

»Ist alles okay?«

»Absolument parfait!«, antwortete er mit einem übertriebenen typisch französischen Achselzucken, bei dem ihm sein jungenhafter Pony in die Augen fiel. »Unsere Gäste haben eine tres bonne temps!«

»Wie klasse, dass Sie Französisch sprechen«, sagte Sarah, weil sie annahm, dass sie diese Leistung rühmen sollte.

»Einer der Vorzüge einer schrecklich teuren Schulbildung, Sarah«, erklärte er. »Obwohl ich gestehen muss, dass die geschätzten Vertreter von St. Martin sur Mer besser Englisch sprechen dürften als das Gros unseres Personals.«

»Das ist gut, denn die Präsentation ist ausschließlich auf Englisch – manches sogar auf Cherringham-Englisch.«

»Ich bin sicher, dass Sie alles sonnenklar darstellen werden, Babe.«

Oh ja, Schleimi-Simey.

»Und ich würde mir keine großen Sorgen machen«, fuhr er fort. »Wie ich hörte, sind wir unter den Favoriten. Da wird Ihre kleine PowerPoint-Präsentation nur das Sahnehäubchen sein.«

»Wunderbar«, sagte Sarah und dachte an die Stunden, die Grace und sie geschuftet hatten. Eigentlich hoffte sie, es wäre mehr als nur das Sahnehäubchen.

»Nicht, dass wir auf sie verzichten könnten, versteht sich«, ergänzte Simon hastig. Offenbar sah er Sarah ihre Enttäuschung an. »Schließlich ist sie der offizielle Grund, weshalb sie hergeflogen sind!«

Sarah staunte, wie schnell er die Kurve bekam.

»Wie wäre es, wenn ich Sie zum Medienraum bringe, damit Sie sich schon mal verkabeln können?«

Er legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie zu einer Tür im neuen Anbau. Sarah wich ein Stück zur Seite, worauf Simons Arm für einen Moment in der Luft hing, ehe er nach unten sank.

»Übrigens werden Sie feststellen, dass alles das Neueste vom Neuesten ist«, sagte er. »Hat Granny ein Vermögen gekostet!«

Sie betraten das Gebäude, und Sarah sah den langen Korridor, der zum Haupthaus führte – makellos gestaltet mit Zedernparkett, heller Holzvertäfelung und Textiltapeten.

Auf der einen Seite hing eine Reihe von Porträts grimmig dreinblickender Reptons aus früheren und heutigen Zeiten, auf der anderen zeigten gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos Armeen von Bediensteten, die sich auf der Eingangstreppe aufgereiht hatten.

»Familientradition«, sagte Simon, als Sarah sich näher zu einem der Fotos beugte. »Seit hundert Jahren haben die Bediensteten des Anwesens an jedem Zweiten Weihnachtstag ihren Bonus bekommen und sich hinterher dankbar zum Gruppenfoto aufgestellt.«

»Eine beachtliche Sammlung«, bemerkte Sarah.

»Aus Daddys Archiv«, erklärte Simon. »Ich habe die Fotos digital gespeichert. Besonders die Yankees lieben so ein Zeug.«

Dann dirigierte er sie mit einem Schultertippen in die andere Richtung zum »Medienraum«.

»Jede Menge Sitzbereiche zum Brainstorming«, sagte er unterwegs und wies zu diversen Räumlichkeiten, die vom Korridor abzweigten und jeweils mit Sofas, Kissen und niedrigen Tischen möbliert waren. »Und hier durch kommen wir zum Freizeitzentrum.«

»Sehr beeindruckend.«

»Ja, nicht? Das Schwimmbad und der Fitnessraum sind noch nicht eröffnet, aber Whirlpool, Dampfbad und Saunatrakt sind bereits in Betrieb. Ich hoffe, Sie gesellen sich nach dem Abendessen noch zu uns, um ein wenig auszuspannen?«

»Äh … hmm«, erwiderte sie rasch. »Sie wissen ja – berufstätige Mutter. Ich muss bis Mitternacht zu Hause sein.«

Simon wirkte enttäuscht.

»Zur Geisterstunde, häh? Ein Jammer. Ich hatte gehofft, dass Sie über Nacht bleiben. Schade …«

Träum weiter, dachte sie.

Er blieb an einer Tür stehen und öffnete sie. Dahinter war ein kleiner Vortragssaal mit Sitzreihen wie im Kino, einer Leinwand und einem Präsentationsbereich.

»Hier haben wir den Medienraum. Richten Sie sich in Ruhe ein, und ich bringe die Horde in einer Stunde.«

Mit diesen Worten machte er kehrt und verschwand – als wäre ihm schlagartig aufgegangen, dass anderswo mehr Spaß zu haben war.

»Ta-daa!«, sagte er im Gehen.

Die Tür fiel hinter ihm zu, und Sarah blickte sich im Raum um.

Könnte auch ein kleiner Kinosaal im West End sein, ging es ihr durch den Kopf, als sie ihren Laptop auspackte und ihn auf einen Tisch ganz vorne stellte.

Hoffentlich gefällt ihnen, was ich ihnen zeige …

Sarah bewegte sich mit selbstbewussten Schritten vor der Leinwand, wie sie hoffte, und klickte das nächste Bild an.

Öffentliche Präsentationen waren nicht ihre Stärke, aber diese schien recht gut zu laufen. Alle Augen waren auf sie gerichtet, und obwohl reichlich Champagner getrunken wurde, hatte sie den Eindruck, die volle Aufmerksamkeit ihres Publikums zu haben.

»Also, wir hier in Cherringham hoffen, Sie stimmen uns zu, dass die wirtschaftlichen Faktoren ebenso klar sind wie die sozialen und die kulturellen Zugewinne, die sich aus einer Partnerschaft ergeben würden. Unsere beiden Dörfer, St. Martin und Cherringham – die beide so stolz auf ihre lange Geschichte und so zuversichtlich sind, was die Zukunft betrifft –, passen perfekt zusammen. Sympathisch, weltoffen, gastfreundlich: Gab es je zwei bessere Kandidaten für eine Partnerschaft?«

Selbst im dämmrigen Licht sah Sarah die lächelnden Gesichter und das vielfache Kopfnicken.

Und sie wusste, dass die nicht allein den vielen Hors d’oeuvres und Schampusflaschen geschuldet sein konnten, mit denen Simons Heer von Bediensteten seit einer Stunde aufwartete.

»Zum Schluss sollen die zu Gehör kommen, die diesen schönen Anlass wohl besser abrunden dürften als jeder andere, nämlich die Kinder von Cherringham!«

Sie trat beiseite, klickte das letzte Video an und atmete erleichtert auf.

Auf der Leinwand erschienen die Schüler der Cherringham Primary, die sich die Seele aus dem Leib sangen, um eine schräge, liebevolle Darbietung eines »Offenen Briefes« an den Bürgermeister und die stellvertretende Bürgermeisterin von St. Martin zum Besten zu geben, worin es hieß, sie mögen »für die Kinder« jenen Vertrag »tut svit« unterzeichnen.

Sarah sah zum Publikum. Dort waren viele Gesichter, die sie wiedererkannte – die Großen und Wohltätigen von Cherringham: Tony Standish, ihr alter Freund und Familienanwalt; Cecil Cauldwell, der hiesige Immobilienmakler; Harry Howden, der allzeit nüchtern kalkulierende Besitzer von Howdens Holdings, einem der größten Landwirtschaftsbetriebe in der Gegend; June Rigby, Vorsitzende des Gemeinderats; Lee Jones, Vizevorsitzender. Es waren noch mehr bekannte Gesichter aus dem Dorf da – nur hatte sie deren Namen nicht auf Anhieb parat.

Alle hatten sich hier zu einem Wochenende bei Wein und gutem Essen eingefunden, um die von wirtschaftlichen Interessen geleitete französische Delegation zu überzeugen, dass eine Partnerschaft ihrer Dörfer kommerziell von Vorteil wäre – nach einem guten Jahr harter Vorbereitungsarbeit.

Sarah betrachtete die beiden Gäste aus St. Martin – den Bürgermeister und seine Stellvertreterin.

Laurent Bourdin hatte die Statur eines Bullen und war wohl eher durch viele Cognacs und Gauloises als von seinen Lebensjahren gealtert.

Marie Duval hingegen war schmal, elegant, distanziert und schön.

Beide lächelten. War das ein gutes Zeichen? Könnte sein … Angeblich waren sie beide richtig harte Nüsse.

Sarah hoffte, dass ihr Beitrag sie endgültig überzeugt hatte, sich zu entscheiden.

Beim letzten schmetternden Akkord gingen die Lichter wieder an, und Sarah stellte begeistert fest, dass sich das Publikum lachend und applaudierend erhob.

Simon kam klatschend von der Seite auf sie zu.

»Meine Damen und Herren, Madame et Monsieur le maire – unsere Sarah Edwards hat Ihnen soeben auf wahrhaft bewegende Weise vorgeführt, warum wir alle hoffen, dass Sie uns dieses Wochenende Ihren Segen zu unserer historischen und ehrgeizigen Partnerschaft geben!«

Der Applaus ging weiter.

»Wenn Sie sich dann jetzt alle in den Queen-Mary-Raum begeben wollen – das Dinner wird gleich serviert!«

Sarah wartete, während Simon die Menge nach draußen scheuchte. An der Tür drehte er sich zu ihr um.

»Absolut genial, Sarah – ohne Fehl und Tadel. Großartig!«

»Danke, Simon.«

»Jetzt kommen Sie! Machen wir die Froschfresser betrunken, drücken ihnen einen Stift in die Hand und zwingen sie, zu unterschreiben!«

Sarah konnte ihm seinen Enthusiasmus nicht verübeln. Ob er nun aus eigennützigen Gründen dabei war, für die Reptons oder für das Dorf – Simon gab ohne Zweifel alles für die Sache.

2. Völkerverständigung

»Die EU verlassen? Auf keinen Fall, Laurent! Da lässt sich immer noch einiges an Geld machen, stimmt’s nicht, Harry?«

Lee Jones, Vizevorstand des Cherringham-Gemeinderats und Besitzer eines Luxus-Geländewagenhandels, grinste Harry Howden zu, wandte sich zu Sarah neben ihm um und zwinkerte.

»Harry wird erst froh sein, wenn seine Marshmallow-Stieleise jeden Tiefkühler in Europa füllen«, fuhr Lee fort.

Gegenüber am Tisch erhob Laurent Bourdin sein Glas und sagte zu Lee: »Solange ich sie nicht essen muss, Messieurs …«

»Da stimme ich Ihnen zu, Monsieur Bourdin«, erklärte Tony, der weiter unten am Tisch saß. »Ist nicht böse gemeint, Harry, alter Knabe.«

»Weiß ich doch«, sagte Harry Howden und hob sein Glas mit einem, wie Sarah fand, sehr verhaltenen Lächeln. »Aber ich finde nichts dabei, ein wenig modernes Know-how über Nahrungsmittel an unsere Freunde in St. Martin weiterzugeben.«

»Und wir nehmen es mit Freuden an«, antwortete Marie Duval.

Sarah blickte zu der stellvertretenden Bürgermeisterin, die nicht Harry Howden vornehm zulächelte, sondern Lee.

»Und im Gegenzug dürfen wir Sie vielleicht mit einigen der besonderen Vorzüge französischer Kultur bekannt machen.«

»Ich freue mich schon darauf«, sagte Lee und prostete ihr zu.

»Wäre das vor oder nach dem Cricket-Spiel?«, fragte eine Stimme vom Tischende.

Die sind alle ziemlich angeheitert, stellte Sarah fest. Entspannt. Zu Scherzen aufgelegt.

Noch …

»Nein, das verbiete ich!« In gespielter Entrüstung schlug Laurent die Hand auf den Tisch. »Kein Cricket in St. Martin – non!«

»Schreib das in den Vertrag, Tony!«, rief Simon von der Tischspitze.

»Nicht noch eine Klausel!«, kam eine Stimme von irgendwo.

»Was Brüssel kann, können wir schon lange!«

»Legen Sie noch eine Kiste von diesem Roten drauf, und ich unterschreibe alles«, sagte Lee. »Fantastisch!«

Sarah stimmte in das Gelächter ein und bemerkte kaum, dass ihr Glas nachgefüllt wurde.

Nun war es zu spät, den Wein abzulehnen.

Irgendwann zwischen Fisch, Sorbet und Fleischgängen hatte Sarah ihren Vorsatz aufgegeben, keinen Alkohol zu trinken. Heute Abend wurde ein richtig guter Tropfen ausgeschenkt! Wie konnte sie da Nein sagen?

Ja, sie musste morgen früh raus, um Daniel zum Fußball zu fahren; ja, sie hatte die Hausarbeit der ganzen Woche zu erledigen; und, ja, sie hatte versprochen, Chloes Aufsatz über »Antonius und Cleopatra« durchzusehen. Ihr stand also ein ziemlich anstrengender Sonntag bevor.

Aber ihr war schnell klar geworden, dass das Essen – und das Trinken – noch ewig weitergehen würde, und das stand sie nun einmal nur durch, indem sie sich mit dem Fluss treiben ließ.

Der Wein jedenfalls floss in Strömen.

Es waren zwanzig Plätze an der großen Tafel, und Simon hatte sich nicht lumpen lassen. Der Kronleuchter funkelte, das Silber blitzte, das Kristall glitzerte, und das Essen war selbst für französische Maßstäbe hervorragend.

Aber jetzt, nach drei Stunden, schwand jeder Schein von Förmlichkeit, und die Zungen aller waren nicht bloß gelöst, sie schlackerten geradezu.

Sarah lehnte sich zurück und schaute sich um. Zu ihrem Job gehörte es auch, einen Bericht über dieses historische Dinner zu verfassen, der in die Pressemitteilung integriert werden sollte, und dann in einer Woche Fotos von der tatsächlichen Unterzeichnung des Partnerschaftsabkommens zu machen.

Falls sie hinterher nicht alles gnadenlos durcheinanderbringen wollte, sollte sie jetzt anfangen, sich Notizen zu machen. So oder so empfand sie diesen Job eigentlich nicht als Arbeit. Beim Dinner hatte sie viele faszinierende Beobachtungen gemacht – eine ganze Menge, worüber Grace und sie am Montag plaudern und lachen konnten.

Die französische Delegation von St. Martin zum Beispiel.

Der Bürgermeister und seine Stellvertreterin waren nicht verheiratet – zumindest nicht miteinander. Trotzdem waren sie eindeutig ein Paar: Wie ihr von Simon leise hinterbracht worden war, hatten die beiden um ein Doppelzimmer gebeten.

Noch dazu waren sie ein bizarres Paar. Laurent war in den Sechzigern und rotgesichtig, und er hatte die massige Figur eines Ex-Rugbyspielers. Marie war um einiges jünger, spindeldürr und die typische Politikerin: äußerlich charmant und innerlich hart wie Stahl. Daran bestand für Sarah keinerlei Zweifel.

Und dennoch … lief hier auch etwas zwischen Marie und Lee?

Während der letzten paar Jahre hatte es ein halbes Dutzend »Sondierungsreisen« nach Frankreich gegeben, und nach dem, was Sarah zu Ohren gekommen war, hatte Lee diese Erkundungen sehr wörtlich genommen.

Zudem hatte Sarah bemerkt, wie der Vizevorstand des Cherringham-Gemeinderats der hübschen Marie etwas ins Ohr flüsterte, bevor sich alle zum Essen setzten.

Dann war da noch Harry Howden, der Geschäftsmann, der sich von keinem die Butter vom Brot nehmen ließ.

Es hieß, dass er diese Partnerschaft nutzen wollte, um einiges an französischem Grund zu kaufen und eine Fleischfabrik in St. Martin zu bauen.

Die Einheimischen dort werden begeistert sein …

Neben Harry schenkte sich Cecil Cauldwell noch ein Glas Wein ein. Diese Veranstaltung war so ganz nach seinem Geschmack, keine Frage. Essen, Trinken und lockere Gespräche mit potenziellen Kunden – er war in seinem Element. Und warum auch nicht? Die Partnerschaft würde seinem kleinen, neu gegründeten französischen Maklerbüro zusätzlichen Schwung verleihen, und er könnte von den Cotswolds in den sonnigen Süden Frankreichs expandieren.

Am anderen Ende des Tisches brach wildes Gelächter aus, anscheinend ausgelöst von Simon, dem Gastgeber. Machte er gerade einen Truthahn nach, mitsamt dem Kollern?

Die Leute brüllten vor Lachen.

Und was steckte für Simon in diesem Abkommen? Die Gemeinde Cherringham kam doch gewiss nicht für diesen Spaß auf. Sarah hatte gesehen, dass Simon ein Auge auf Marie geworfen hatte; womöglich malte er sich endlose Schlangen junger Französinnen vor dem Wellness-Bereich von Repton Hall aus.

Sarah blickte zum anderen Tischende, wo June Rigby in ein Gespräch mit Harry Howdens Frau Vanessa vertieft war.

June war still und ernst, engagierte sich jedoch sehr im Gemeinderat und hatte große politische Ambitionen, wie Sarah gehört hatte. Strebte sie eine Rolle in Westminster an? Und, falls ja, könnten ihr Simon und der Name Repton dabei helfen?

Sarah sah, wie die beiden Blicke wechselten. Vielleicht hatte Simon die Hoffnung auf eine französische Partnerin für heute Abend aufgegeben und beschlossen, mit der spröden englischen Maid vorliebzunehmen?

Und was war mit Harrys verkniffener Frau Vanessa? In welcher Weise würde die Partnerschaft sie betreffen? Vanessa war die selbst ernannte moralische Instanz des Dorfes, die häufig im Lokalblatt über die verlotterte »Jugendkultur« zeterte, über die allzu liberalen Ausschankzeiten und den Verfall gesellschaftlicher Normen. Würde ihr Truthahnzüchtergatte den zweifelhaften Versuchungen eines französischen Badeortes widerstehen können?

Oh, das ist wahrlich ein Spaß, dachte Sarah.

Im selben Moment wurden am anderen Tischende die Stühle zurückgeschoben, laute Musik ertönte, und Sarah sah, dass sich eine Polonaise mit Simon an der Spitze bildete.

Während sich das erschrockene Personal an den Rand des Saales zurückzog, stolperte die Polonaise lachend um den Tisch.

»La-laa-la-la-la! La-laa-la-la-la!«, sangen sie alle.

Unterwegs sammelten sie weitere Tänzer ein, und Sarah beobachtete, wie sie aus dem Raum verschwanden.

Herr Ober, die Rechnung bitte, dachte sie.

Zeit zu gehen.

Sarah schaute sich nach den sechs verbliebenen Gästen am Tisch um. June wirkte verlegen. Harry Howden grinste, wohingegen Vanessa angewidert die Lippen schürzte. Und Tony Standish schien, wie immer, bemerkenswert gelassen.

Laurent und Marie blinzelten verwundert.

Von draußen war die Polonaise zu hören, die singend den Korridor rauf- und runterstampfte.

»La-laa-la-la-la! La-laa-la-la-la!«

Die Gäste im Queen-Mary-Raum waren verstummt.

Plötzlich war alles ein wenig zu komisch.

»Les Anglais«, versuchte Sarah, mit einem entschuldigenden Lächeln das Schweigen zu brechen. »Die sind sicher bald wieder da.«

Was auch stimmte – mit Getöse waren sie im Nu zurück.

»Kommt schon, ihr Spaßverderber!«, rief Simon, als die Polonaise in den Raum hineinplatzte und an den sitzenden Gästen vorbeischwankte.

Simon riss June Rigby von ihrem Stuhl. Es gab einen kleinen Wortwechsel auf Französisch zwischen June und Laurent, als sie mit versteinerter Miene an ihm vorbeikam. Sarah konnte nur raten, dass sie sich für das Benehmen ihrer englischen Kollegen entschuldigte.

Sarah beobachtete, wie der Vorsitzende von Cherringhams Gemeinderat die Polonaise linkisch anführte.

Sie umrundete immer wieder den Tisch.

»La-laa-la-la-la! La-laa-la-la-la!«

»Mehr Champagner!”, rief Simon.

»Champagner! Champagner!”, stimmten die anderen hinter ihm ein.

»La-laa-la-la-la! La-laa-la-la-la!”

Sarah sah auf ihre Uhr. Es war erst elf, und sie fragte sich, wo dieser Abend enden würde …

Und wie …

Um ein Uhr morgens stolperte Sarah an die frische Luft. Draußen auf dem Kiesplatz vor dem wunderschönen alten Haus konnte man kaum glauben, dass die Party drinnen immer noch in Gang war.

War sie aber.

Und diese Partyspiele!

Hatten sie tatsächlich »Versteckte Sardinen« gespielt?

Hatte Sarah sich im Ernst mit einem französischen Bürgermeister im Schrank versteckt, während ihr Anwalt auf Zehenspitzen durchs Zimmer schlich und »Mäuschen, sag mal Piep« flüsterte?

Entsetzt schüttelte Sarah den Kopf.

Zum Glück fiel ihr die Aufgabe zu, den Bericht über diesen Abend zu verfassen. Und sie wusste genau, welche Stellen zensiert werden mussten.

Nach und nach hatten sich die vernünftigeren Gäste verabschiedet, doch es war noch ein Hardcore-Partytrupp im Gebäude geblieben. Sarah hatte sich fortgeschlichen, um sich vom überaus geduldigen Garderobenpersonal ihren Mantel geben zu lassen, und es geschafft, sich unbemerkt aus dem Haus zu stehlen.

Jedenfalls glaubte sie das.

Bis Simon in der Tür erschien.

»Gehen Sie nicht. Sie dürfen jetzt nicht gehen!«, rief er. »Der Spaß fängt doch gerade erst an.«

Er kam auf Sarah zugewankt.

»Hmm, das macht mir ja gerade Sorgen«, sagte Sarah, die sich selbst nur mühsam aufrecht hielt.

»Der Whirlpool füllt sich schon«, sagte er. »Der Dresscode lautet angeblich au naturel. Alle sind mächtig ausgelassen …«

»Ja, das sind sie ohne Frage. Ah, da ist mein Taxi!«

Scheinwerfer schwenkten vor ihnen über die Einfahrt.

Gott sei Dank, dachte Sarah.

»Na, dann wenigstens noch einen Gutenachtkuss«, lallte Simon und neigte ihr sein Gesicht zu, die Augen geschlossen …

Doch Sarah verschwand.

Keine Sekunde zu früh …

3. Die Insel im See

Laurent stand am Seeufer, nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und blickte in die Dunkelheit.

Der See lag glatt und schwarz in der mondlosen Nacht. Laurent konnte gerade noch die Umrisse der Insel mit dem kleinen griechischen Tempel ausmachen.

Einen »reinen Zierbau« nannten sie das, im Englischen folly, was auch »Narretei« bedeutete.

Folly.

Bien sur. Wie ausgesprochen … englisch!

Dieses ganze Projekt war eine Narretei, und er wollte damit nichts zu schaffen haben.

Es war bisher nichts Gutes dabei herausgekommen, und das würde es auch künftig nicht. Rien!

Diese Leute mit ihren großen Ideen und ihren arroganten Ansichten. Betranken sich mit solch einem exquisiten Wein! Und nie rückten sie Geld raus. Dauernd hatten sie »ein kleines Liquiditätsproblem«.

Er fröstelte.

Ich hätte ein Jackett anziehen sollen.

Ist eben nicht Südfrankreich.

Mon Dieu, wäre ich doch zu Hause!

Aber er konnte nicht abreisen – noch nicht. Vorher hatte er etwas zu erledigen. Ein letztes Treffen. Nur warum auf der Insel? Das ergab keinen Sinn.

Er hatte den Whirlpool verlassen, als es ein bisschen zu wild wurde. Dann hatte ihn Simon Repton in der leeren Bar abgefangen, alle möglichen Versprechungen gemacht und schließlich gelallt: »Wir haben Abmachung, oder?«

Laurent ließ sich ungern in die Enge treiben. Dieses Treffen war also nicht ganz so verlaufen wie erwartet.

Aber was kümmerte ihn das? Der reiche Mistkerl musste mal ein bisschen zurechtgestutzt werden.

Er war umhergewandert und hatte nach Marie gesucht, sie aber nicht finden können. Dann war er auf sein Zimmer gegangen, um sich hinzulegen. Und dort hatte er die Nachricht unter der Tür gefunden.

Jemand hatte geschrieben, sie müssten sich treffen. Sofort.

Deshalb war er hier draußen in der kalten Nacht und überlegte, wie er zu der verfluchten Insel kommen sollte.

Wie überaus … caché!

Er erinnerte sich, wie sie heute Morgen angekommen waren und Simon und dessen Mutter sie auf dem Anwesen herumführten. Am See waren Boote gewesen, dessen war sich Laurent sicher.

Er ging am Ufer entlang, wo das feuchte Gras rutschig war.

Aha – da sind sie ja!

Zwei kleine Ruderboote, die an einen Metallpfahl am Ufer gebunden waren.

Laurent hielt eines fest und kletterte hinein, wobei er halb fiel.

War er noch betrunken? Ein wenig vielleicht.

Es waren zwei Ruder im Boot und Ruderdollen an den Bootskanten.

Sehr gut.

Er band das Seil los und stieß sich mit einem der Ruder vom Ufer ab. Dann drehte er das Boot leicht und setzte sich, um zur Insel zu rudern.

Seit fünfzig Jahren lebte er am Meer, folglich wusste er, wie man ruderte.

Er fühlte, wie die Ruderblätter tief ins schwarze Wasser tauchten und das Boot geschmeidig dahinglitt. Vor sich konnte er die Umrisse von Repton Hall sehen, wo in einigen Fenstern noch Licht brannte.

In einem der oberen Zimmer erschien eine Gestalt am Fenster.

Konnte sie ihn sehen?

Das war unwahrscheinlich, so stockduster, wie es hier auf dem See war.

Die Gestalt verschwand.

Ins Bett? Oder ging die Party noch weiter? Gewiss nicht, denn es war fast drei Uhr morgens …

Incroyable …

Er blickte über seine Schulter.

Die Insel war nur noch wenige Meter entfernt, und er konnte den Tempel jetzt deutlich sehen.

Drinnen war ein schwaches Glimmen. War das eine Lampe?

Laurent schwenkte die Ruder ins Boot, dessen Rumpf hier und da gegen den steinigen Untergrund stieß, bevor es das Grasufer der Insel erreichte.

Vorsichtig kletterte Laurent an Land und vertäute das Seil an einem Baumstumpf.

Dann stand er auf, schaute sich um und lauschte.

Kein einziges Geräusch.

Und er konnte keine anderen Boote entdecken.

Was war das – irgendein Trick? Noch ein blöder englischer Witz?

Aber nein, jetzt hörte er etwas – ein leises Geräusch aus dem Tempel.

Laurent fröstelte wieder.

Und plötzlich überkam ihn ein Anflug von Angst. Die Härchen an seinen Armen stellten sich auf.

Wovor fürchte ich mich? Diese Regung überraschte ihn.

Nein, es musste an der Kälte liegen. Die Nachtluft hier auf dem See war noch kühler als drüben am Ufer.

Er ging den kleinen Grashang hinauf zum Tempel. Inzwischen hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt.

Vor ihm ragten hohe Marmorsäulen auf, und gleich hinter ihnen war eine große Metalltür, durch die man offenkundig ins Tempelinnere gelangte. Die Tür stand einen Spaltbreit offen.

Drinnen – ja, er hatte sich nicht getäuscht – war ein Licht.

Leise näherte er sich der Tür und streckte eine Hand aus, um sie weiter aufzustoßen.

Er schnupperte. Was war das für ein Geruch? Er kam ihm irgendwie vertraut vor …

Laurent stieß fester gegen die Tür, sodass sie aufschwang.

Das Tempelinnere war mit Kerzen erleuchtet – kleinen Teelichtern. Es mussten Hunderte sein, sie funkelten wie Sterne. Und auf dem Boden lagen Kissen und Decken.

Dann sah Laurent jemanden im Schatten stehen.

Die Person erwartete ihn nicht, sondern erschrak.

Laurent trat einen Schritt näher, und im dämmrigen Licht konnte er erkennen, wer es war. Das verstand er nicht. Auf einmal war er verwirrt.

Und alles, was Laurent Bourdin noch sagen konnte, war: »Non!«

4. Der Morgen danach

Jack schob die Tür seines Boots, der Grey Goose, auf, und die Morgensonne schien ihm direkt ins Gesicht. Eine leichte Brise wehte, die den Geruch der Uferwiesen zu ihm trug. Unter ihm plätscherte die Themse sanft gegen den Bootsrumpf.

Ein Traum, dachte er.

Katherine und er hatten geplant, sich hier zur Ruhe zu setzen. Sie hatten sich diese verrückte Lebensart gewünscht – ein englisches Leben für zwei Amerikaner.

Was für ein Spaß das wäre, hatten sie beide gesagt.

Und dann – als wäre alles nur ein Witz und der Traum eben schlicht ein Traum – war Katherine krank geworden und ihm mit jedem Tag mehr entglitten.

Bis sie verstarb. Aus irgendeinem Grund beschloss Jack, trotzdem hierher zu ziehen. Katherine hätte es sicherlich gewollt.

Ja, hier zu stehen und einen Bilderbuchmorgen in den Cotswolds zu erleben, das hätte Katherine geliebt.

Hinter ihm pfiff der Kessel. Riley kam nach oben und stupste Jack an, bereit für seinen Spaziergang.

»Schon gut«, sagte Jack zu seinem Springer Spaniel. »Starten wir den Tag …«

Er ging über das matschige Feld und wich den Stellen aus, an denen Schlammpfützen zwischen den Grasbüscheln lauerten.

Riley schien gelernt zu haben, wie er über die Wiesen flitzen musste: Er bekam kaum Dreck an seinen Pfoten, während er von Jack wegrannte und dann wieder zu ihm zurückeilte, als apportierte er einen unsichtbaren Ball.

Jack hatte einen großen Becher mit englischem Frühstückstee dabei, der ihm angenehm die Hände wärmte. Dies war nicht seine Welt, doch Jack mochte sie.

Der Hund kam zu Jack gerast, als wollte er sein Herrchen auffordern, mit ihm zu rennen. Früher war Jack gerne größere Strecken gelaufen – vor allem nach einem langen Dienst in den Straßen der Stadt –, um den Kopf frei zu bekommen.

Seine alternden Knie hatten dem ein Ende gemacht.

Riley neigte den Kopf zur Seite, kläffte und jagte erneut los; im Zickzack sauste er auf die uralte Kirche zu. Sie stand am westlichen Ende der Wiese, wo ein kleiner Feldweg vorbeiführte.

Jack machte sich auf, Riley zu folgen, und trank seinen kühler werdenden Tee, als sein Handy in der Jackentasche vibrierte.

Er holte es hervor, ahnte allerdings schon, wer anrief.

»Hi, Jack, hier ist Sarah.«

»Guten Morgen, Sarah«, sagte er.

»Jack, ich bin in Tonys Büro. Er hat mich angerufen.«

»Grüß ihn von mir«, bat Jack. Riley hatte nun das Ende seiner unsichtbaren Leine erreicht und begann zurückzuflitzen.

Jack mochte Tony Standish, den Inbegriff des britischen Anwalts – und vertrauenswürdigen Berater für Sarah und ihre Eltern.

Nun wartete Jack auf weitere Eröffnungen, denn Sarah rief ihn sicher nicht grundlos an.

»Kannst du vielleicht rasch herkommen?«

Ihre Stimme klang gleichermaßen angestrengt wie aufgeregt.

»Lass mich raten«, sagte Jack. »Es ist etwas passiert.«

Cherringham mochte ein kleines Dorf sein, aber letztlich waren die Leute überall gleich, ob auf den Straßen von New York oder den Dorfwegen hier.

»Ja.«

Er erwartete, dass sie Näheres berichtete, warum sie ihn anrief und zu kommen bat.

Sie aber erklärte: »Am besten erzähle ich dir alles, wenn du hier bist. Ich brauche deine Hilfe, Jack.«

Und ohne zu wissen, worum es ging und weshalb Tony Sarah kontaktiert hatte, nickte Jack, als stünden die beiden vor ihm.

»Klar. Ich bringe nur eben Riley aufs Boot zurück, dann bin ich sofort bei euch.«

»Danke«, sagte Sarah. So wie sie klang, lag eindeutig etwas in der Luft.

Jack, dessen Tag mit einem offenbar dramatischen Auftakt beginnen sollte, entgegnete: »Kein Problem. Bis gleich.«

An diesem perfekten Tag mit strahlend blauem Himmel, den seine Frau geliebt hätte, war Jack nur noch neugierig, was ihn erwartete.

»Kaffee, Jack?«

»Unbedingt, schwarz wäre gut.«

Die Sekretärin des Anwalts stand in der Tür und nickte Jack zu. »Kommt sofort, Mr Brennan.«

Mr Brennan …

In dem makellosen Büro kam Jack sich wie ein Penner vor. Tony war – wie üblich – in einen dunklen Anzug gekleidet, mit mittelbrauner Krawatte und sauber gefaltetem Taschentuch in der Brusttasche.

Jack hingegen trug immer noch die alte Jeans, die er sich morgens übergestreift hatte, und ein Flanellhemd, auf dem – soweit Jack es beurteilen konnte – Flecken vom gestrigen Abendessen waren. Seine schwarzen Schuhe hatten unter dem Spaziergang gelitten, und nun trocknete der Matsch an ihnen zu hellbraunem Dreck.

Sie hatte ja gesagt, dass ich gleich kommen sollte …

Jack nahm sich einen Stuhl, und Tonys Sekretärin, eine adrette grauhaarige Frau, brachte leise eine Tasse Kaffee.

»Vielen Dank, Emma.« Tony lächelte und wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.

»Also, was gibt’s?«, fragte Jack.

Tony wandte sich zu Sarah. »Möchtest du Jack erzählen, worum es geht? Eine schreckliche Sache, befürchte ich. Gar nicht gut.«

Jack trank von dem starken Kaffee und sah Sarah an.

»Es ist letzte Nacht passiert, Jack. Bei Lady Repton …«, begann sie. »Im See wurde eine Leiche gefunden.«

Jack nickte, lehnte sich zurück und hörte zu.

Eine Leiche im See.

Seine Aufmerksamkeit war ihr sicher.

5. Die Leiche

Sarah erzählte Jack zunächst von der Veranstaltung gestern Abend – dem Riesenzirkus, den man für den französischen Bürgermeister und seine Stellvertreterin veranstaltet hatte, um sie für eine Partnerschaft zu gewinnen.

Was eine Städte- oder Dorfpartnerschaft war, musste sie Jack erst erklären; anscheinend kannte man das in den Staaten nicht.

Zwei Länder, voneinander getrennt durch unterschiedliche Sprachen.

Wie wahr.

Sie erklärte ihm ihre Rolle am gestrigen Abend und berichtete von ihrer PowerPoint-Präsentation: Sie hatte die Vorteile aufgezeigt, die eine Partnerschaft für Cherringham und St. Martin hätte.

Dann erzählte sie von dem Dinner, dem reichlichen Wein und – Gott, war das peinlich! – der Polonaise.

»Du hast das nicht, ähm, mitgemacht, oder?«, fragte Jack mit einem matten Grinsen.

Sarah schüttelte den Kopf.

»Nein, aber alle waren mehr als angeheitert. Es war fast eins, als ich ging. Ich hätte wohl früher verschwinden sollen, denn alles schien außer Kontrolle zu geraten.«

Nun sprang Tony ein, um weiterzuerzählen.

»Ich muss zugeben, dass ich länger blieb, aber nur kurze Zeit. Schließlich bin ich der Anwalt, der für den Vertrag zuständig ist.«

»Und ich nehme mal an, dass du, Tony, auch nicht … bei der Polonaise dabei warst?«

Tony nahm die Frage tatsächlich ernst.

»Um Himmels willen, nein! Ich war lediglich Zuschauer, als sie alle lachten und sich betranken. Sobald die Party in den Whirlpool verlegt wurde, habe ich mich entschuldigt und bin gegangen.«

»Ach du Schreck, das klingt aber nicht sehr nach Cherringham«, stellte Jack fest.

»Eben.«

»Tony rief mich heute Morgen an«, sagte Sarah.

»Stimmt«, bestätigte der Anwalt. »Die Polizei war überall, hat mit jedem gesprochen. Das Ganze wächst sich zu einem internationalen Skandal aus.«

»Wer ist der Tote?«, erkundigte sich Jack.

»Laurent Bourdin, Bürgermeister von St. Martin. Anscheinend war er so betrunken, dass er ein kleines Ruderboot nahm, zum Zierbau übersetzte …«

»Zierbau?«

Jack sah Sarah an.

»Ach, das ist so ein Tempel, wie ein griechisches Bauwerk. Nur Dekoration, eigentlich. Er steht auf einer kleinen Insel mitten im See.«

»Klingt nach einer treffenden Bezeichnung.«

»Wie es scheint, kam er bis zur Insel«, erzählte Tony weiter. »Dann muss er auf dem nassen Grund ausgerutscht und ins Wasser zurückgestürzt sein. Und dann ist er wohl mit dem Kopf auf einen Stein geprallt.«

»Übel. Also die Leiche …?«

»Trieb auf dem See. Bis heute Morgen. Lady Repton hat sie als Erste gesehen und die Polizei gerufen – asap, wie ihr gerne sagt.«

Jack nickte.

Und Sarah wusste, dass er nachdachte. Er fügte alle Einzelheiten zusammen.

Sein Spürsinn war in den Jahrzehnten als Detective auf den Straßen von Manhattan geschult worden.

»Sarah und ich können dir sagen, wer dort war. Ziemlich viele – eben alles, was hier im Ort Rang und Namen hat«, sagte Tony.

Jack schwieg nach wie vor.

Dann jedoch sah er stirnrunzelnd von Sarah zu Tony.

»Der betrunkene Bürgermeister rutscht aus, verliert beim selbst verschuldeten Sturz das Bewusstsein und ertrinkt, und die Polizei ermittelt.« Er holte einmal tief Luft. »Warum rufst du dann Sarah an, oder mich?«

Tony schnaubte kurz. »Wegen Lady Repton. Du kennst sie, glaube ich.«

»Oh ja. Eine großartige alte Dame.«

»Tja, das alles ist, nun, schrecklich unangenehm. Und die Veranstaltung wurde von ihrem Enkel organisiert.«

Tony zögerte. Jack hatte den Eindruck, dass der Anwalt kein Fan vom jungen Repton war.

»Simon Repton hat große Pläne für das alte Anwesen. Und jetzt fürchtet sie um den guten Namen der Familie.«

»Aber die Polizei ermittelt, nicht wahr?«

»Natürlich. Alan ist heute Morgen dort. Und es sollen Mordermittler aus Oxford kommen, wie ich hörte. Allerdings sieht es nach einem Unfall aus. Dessen ungeachtet … Tja, wie gesagt, ihr kennt Lady Repton.«

Sarah sah Jack an. Vielleicht hatte er recht, und es war nichts als ein Unfall, den die Polizei untersuchte.

In diesem Moment blickte Jack zu ihr, als hätte er gefühlt, dass sie ihn ansah. »Okay, ich schätze, wir könnten mit ihr sprechen.«

»Und mit Simon«, ergänzte Tony. »Das gestern Abend war sozusagen ‚seine Show’. Das Herrenhaus ist zu einem Tagungszentrum geworden. Sein Traum, den er natürlich mit dem Geld seiner Großmutter verwirklicht hat.«

Tony blickte von Jack zu Sarah. »Würdet ihr das machen? Damit tut ihr mir einen großen Gefallen. Es war nur ein schrecklicher Unfall, da bin ich mir ganz sicher.«

»Ja, ganz sicher«, stimmte Jack zu.

Meint er das im Ernst?, fragte sich Sarah.

Jack stand auf und reichte dem Anwalt die Hand.

Sarah hatte das Gefühl, dass Jack hier im Raum etwas verschwieg, das sie gleich erfahren würde, wenn sie beide draußen waren.

»Also, was denkst du, Jack?«

Einen Moment lang blinzelte er ins Sonnenlicht, ehe er sich zu ihr wandte.

»Manchmal ist ein Unfall wirklich nur ein Unfall«, antwortete er kopfschüttelnd.

»Ich weiß, aber es kann nicht schaden, wenn wir uns das mal ansehen. Und sei es nur, um Lady Repton zu beruhigen.«

Jack nickte. »Es ist Sache der Polizei. Sie haben ihre Leute dran. Ich weiß nicht, Sarah …«

»Schon, aber was, wenn wir helfen können?«, erwiderte sie knapp.

Und sicherheitshalber ergänzte sie: »Wir haben schon Leuten geholfen.«

Wieder nickte Jack, holte tief Luft. Es stimmte ja. Fall … geschlossen.

Dann lächelte er. »Sicher doch.«

Und das sagte er mit ebenjener Wärme, die Sarah an ihm so schätzen gelernt hatte.

»Es schadet nicht, wenn wir ein paar Fragen stellen. Und es dürfte interessant werden, diesen Simon kennenzulernen.«

»Den wirst du garantiert nicht mögen«, sagte Sarah.

Jack lachte.

»Ja, das dachte ich mir schon – nach Tonys Worten über ihn.«

»Der Mann ist ein Krake – falls du verstehst, was ich meine.« Womit sie Jack ein weiteres Lachen entlockte.

Er sah sich wieder um.

»Na, das Wetter ist jedenfalls nicht schlecht. Wie wäre es mit dem Sprite, mit offenem Verdeck?«

»Super!« Sarah folgte ihm zu dem kleinen Sportwagen, den er beim Gemeindesaal geparkt hatte. Der hochgewachsene Fahrer in dem kleinen Auto war mittlerweile ein vertrauter Anblick im Dorf.

Schweigend fuhren sie nach Repton Hall und genossen das Licht sowie den Wind an diesem recht spektakulären Tag.

6. Simon

Als er auf den kreisförmig angelegten Kiesweg vor dem prächtigen georgianischen Haus fuhr, sah Jack den Streifenwagen.

»Wie es aussieht, ist Alan noch hier.«

Jack war nie sicher, wie Alan auf sie beide reagierte. Ohne Frage waren mit ihrer Hilfe schon Verbrechen aufgeklärt worden. Und dieser Tage schien es Alan weniger zu stören, wenn sie sich einmischten – wenigstens nicht mehr so sehr wie beim ersten Mal, als Jack und Sarah ein wenig »ermittelten« …

Ein solider Revier-Cop, hätte Jack ihn damals in New York City genannt. Perfekt für ein verschlafenes Nest wie Cherringham.

Nur wenn die Dinge kompliziert wurden, konnte er schon mal überfordert sein.

Alan sprang aus seinem Wagen, sowie Jack vorfuhr.

»Und offensichtlich erwartet er uns«, sagte Jack.

Sarah nickte. Jack kannte ihre Geschichte mit Alan, die es für Sarah bisweilen schwierig machte.

Jack parkte den Sprite, und Sarah und er stiegen aus.

Alans Miene war grimmig.

7. Das zweite Boot

Sarah stieg aus Jacks Sprite und blickte sich um. Sie waren von Repton Hall aus über die Hauptstraße und dann steil bergan gefahren, sodass sie nun oben auf einem der bewaldeten Hügel standen, die an das Repton-Anwesen grenzten.

»So langsam kennst du dich richtig gut in der Gegend aus, Jack«, stellte Sarah fest. »Ich war noch nie hier oben.«

»Hier kann man schön spazieren gehen. Ich komme häufiger her.«

Sarah musste ihm recht geben; es war wirklich ein schöner Flecken.

»Also, wollen wir hier picknicken?«

»Ach, schade, ich habe vergessen, uns einen Korb zu bestellen. Aber komm mit – hier entlang.«

Jack ging voraus. Er betrat einen Pfad, der von dem Feldweg abzweigte und entlang der dicht beieinanderstehenden Bäume zu einer Lichtung führte.

Sarah stellte sich neben ihn. Der Pfad endete abrupt an einem Felsenabhang. Von diesem Aussichtspunkt aus überblickte man eine Wiese unten und dahinter den See.

»Lady Reptons Anwesen«, sagte Sarah.

»Stimmt. Ich wusste, dass wir es von hier sehen können. Siehst du die Insel?«

Unten im Tal konnte sie den Mann im weißen Overall erkennen. Gelbes Absperrband flatterte an den Bäumen neben einem kleinen Anleger, an dem ein Boot vertäut war. Alan und der Beamte von der Spurensicherung beugten sich vor und schauten auf das Boot.

»Sieht aus, als hätten sie etwas gefunden«, meinte Sarah.

»Kann sein. Ich wollte nur mal das Ganze sehen: die Insel, den See, das Haus.« Er wandte sich zu ihr. »Das ist alles, nun ja, verwirrend.«

»Was meinst du damit?«

»Wieso ist der Bürgermeister, angetrunken, wie er war, in eines der Boote gestiegen und rüber zur Insel gerudert?«

»Ja, stimmt. Als ich ging, hatte ich den Eindruck, dass die anderen kurz vorm Koma waren.«

»Ist dir Simon eben aufgefallen? Wie er seine Nase gerieben hat? Es könnte sein, dass sie sich noch etwas kolumbianisches Marschpulver gegönnt haben, nachdem du weg warst.«

»Koks?«

»Simon mit Sicherheit, würde ich sagen. Und vielleicht auch einige andere. Du kennst diese Leute. Hältst du es für möglich? Aufrechte Gemeinderäte, die sich ein oder zwei Linien teilen?«

»Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Andererseits war ich schon auf einigen Partys und habe mich schon manches Mal gewundert, wer so ein Zeug schnupft.«

»Eben. Ihr habt eine etwas andere Einstellung zu dem Stoff hier in England, hmm?«

»Kann sein – in London. Aber es ist immer noch eine Luxusdroge.«

»Also ging die Party weiter. Spaß im Whirlpool, und irgendwie endet es damit, dass Laurent zur Insel rudert. Dort rutscht er auf den Steinen aus und …« Jack verstummte.

»Was?«

Mittlerweile hatte Sarah diese Momente schätzen gelernt, in denen Jack sein lautes Nachdenken unterbrach und versonnen vor sich hinblickte, als sähe er im Geiste, wie sich Puzzleteile zusammenfügten.

Dann sah er wieder Sarah an.

»Alan sagte, als sie die Leiche rauszogen, lag sie mit dem Gesicht im Wasser, nicht?«

»Richtig.«

»Und Laurent ist gestürzt und hat sich den Kopf aufgeschlagen.«

»Worauf willst du hinaus, Jack?«

Lächelnd erklärte er ihr die Grundlagen der Schwerkraft: »Wie du weißt, habe ich schon manche Leichenbergung aus dem Wasser erlebt. Der East River ist seit jeher ein beliebter Entsorgungsort. Und wenn man da runtersieht – zu der Insel, den kleinen Felsen –, kommt man ins Grübeln. Wenn er gestolpert ist …«

Jetzt begriff Sarah.

Natürlich!

»Er wäre nach vorn gefallen, nicht nach hinten.«

»Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass er rückwärts gefallen ist – aber schwer vorstellbar.«

Dann wurde Sarah klar, was das bedeutete. Plötzlich fühlte sich die Sonne auf dieser Felsenklippe nicht mehr ganz so wohlig warm an.

»Könnte er von hinten erschlagen worden sein?«

Jack neigte den Kopf zur Seite. »Das liegt nahe, nicht? Und sicher denken die da unten dasselbe. Ein Schlag auf den Hinterkopf – immer verdächtig.«

Sarah blickte hinunter zum Ufer.

Der Beamte von der Spurensicherung ging gebückt um das Boot herum, während Alan zurück zu seinem Streifenwagen lief.

Ja, sie hatten etwas gefunden.

Jack fasste zusammen: »Der Bürgermeister rudert aus einem Grund, den wir nicht kennen, zur Insel. Und während er dort ist, schlägt ihm jemand von hinten den Schädel ein und bugsiert die Leiche ins Wasser, damit es aussieht, als wäre er auf den Steinen ausgerutscht.«

»Warte mal. Dann war jemand bei ihm im Boot?«

Jack schüttelte den Kopf. »Nein, wie sollte er? Das Boot, das Laurent benutzt hat, ist noch auf der Insel. Was bedeutet, dass der Täter das andere Boot benutzt haben muss, das da unten angebunden ist.«

Unten ging der Beamte von der Spurensicherung zu Alan, und die beiden unterhielten sich.

Sie hatten eindeutig einen interessanten Fund gemacht.

»Willst du dir noch mehr ansehen, Jack?«, fragte Sarah. »Ich müsste nämlich bald zurück.«

»Nein, ich bin fertig. Vorerst habe ich genug, um ausgiebig nachzudenken.«

Als sie auf den Dorfplatz einbogen, klingelte Sarahs Handy.

»Ich wette, das ist Daniel«, sagte sie.

Jack stellte den Motor aus.

Sarah zog das Handy aus ihrer Jeanstasche, doch es war nicht ihr Sohn, der anrief.

»Tony, hi, wir haben mit Lady Repton und …«

»Sarah.« Sie verstummte, denn Tony klang angespannt. »Sie haben eben Simon Repton wegen Mordes an Laurent Bourdin festgenommen.«

Sarah stellte das Telefon auf Lautsprecher. Jack starrte sie an. Das ging jetzt alles so schnell.

»Sie haben einen blutigen Handabdruck auf einem der Boote gefunden, und der stammt anscheinend von Simon«, fuhr Tony fort. »Er hat nicht mal geleugnet, dass der Abdruck von ihm ist, behauptet aber, vollkommen unschuldig zu sein!«

»Oh Gott!«, hauchte Sarah.

»Lady Repton, nun, sie ist außer sich, wie ihr euch wohl denken könnt, und hat mich angerufen. Ich habe ihr gesagt, dass ich euch informiere.«

»Denkst du, dass er …«

»Ich weiß nicht, was ich denken soll, Sarah! Aber ich fürchte, das ist jetzt ein Mordfall. Meinst du, Jack und du könntet … weitermachen?«

Sarah blickte zu Jack, dem die Sonne ins Gesicht schien. Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich, während er aufmerksam zuhörte.

Er nickte ihr zu.

»Klar, machen wir, Tony. Allerdings bin ich nicht sicher, wie viel wir tun können, wenn die Polizei ermittelt und schon jemanden verhaftet hat.«

»Danke, Sarah. Mir geht es vor allem um Lady Repton. Diese Geschichte könnte sie umbringen.«

Jack beugte sich näher zum Telefon.

Verdächtigte er auch Simon?

»Tony«, sagte Jack, »wir sehen, was wir tun können.«

Eine lärmende Kindergruppe kam aus dem Zeitungsladen in der Nähe. Lachend und schreiend gingen sie an dem Wagen vorbei.